20 Jahre Kunsthof Zürich - Zürcher Hochschule der Künste

20 Jahre Kunsthof Zürich - Zürcher Hochschule der Künste 20 Jahre Kunsthof Zürich - Zürcher Hochschule der Künste

12.07.2015 Aufrufe

8Zett 2–13/ Hochschule

Hochschule / Zett 2–139«Also, was du heute kannst besorgen», gibt Barmettler zubedenken. «Ist das die Beute aus dem Seefeld?», fragt ein Dritter.«Genau», sagt Barmettler, auch zu mir gewandt, und erklärt:«Da sollten Bodoni-Schriften entsorgt werden. Das darfnicht sein, so etwas heute nachzumachen kostet mindestens2000 Franken pro Schnitt.» Auch Linoleumböden holt Barmettleraus Abbruchhäusern, «ein wunderbares Druckform-Material, das man in Drittweltländern noch heute verwendet,in Kuba zum Beispiel», und dieses Wort, Drittweltland, wirder nochmals brauchen, und ich schrecke erneut auf, sprecheich doch höchstens von «sogenannten Drittweltländern»; diesemeine Vorsicht, dieses Bewusstsein, mit der Sprache auchWertungen zu (re)produzieren, teilt Barmettler offensichtlichnicht; sein Fokus ist ein anderer.Geduld ermöglicht Genauigkeit und InsistenzWenn man etwas gedruckt hat, muss man fast eine Wochewarten, bis es trocken ist, dazu dienen eine Art vertikale Wäscheständer,in die die Blätter eingelegt werden; man kannTalkum drüberstreuen oder der Farbe Schnelltrockner beimischen,aber «eigentlich», so viel wird klar, ist das WartenTeil dieser Arbeit, ist Geduld eine Tugend, die Genauigkeitund Insistenz erst ermöglicht.«Wie lange können die Buchstaben noch verwendet werden?»,frage ich. Barmettler wiegt den Kopf hin und her: «Wennwir Sorge tragen, können wir noch hundert Jahre damit arbeiten;wenn wir nicht aufpassen, vielleicht zwanzig. Mitjedem Druck geht etwas verloren, das hängt natürlich auchvom Material ab; Linoleum ist schneller durch als Blei, Holzliegt dazwischen.»Barmettler ist Vermittler, Wissenschaftler und Archivar; sobaut er mit www.swisstypedesign.ch ein Inventar der Schriftenauf, die in der Schweiz zwischen 1857 und 2003 entworfenworden sind, samt Vergleichstool, das heisst, ich kann direktzwei Schriften miteinander vergleichen oder die verschiedenenSchnitte einer Schrift. Unter www.typetypo.ch hat erausserdem ein Portal für Weiterbildungen in den BereichenSchriftgestaltung und Typografie an der ZHdK geschaffen,mehrere Weiterbildungsangebote hat Barmettler konzipiertund führt diese CAS- und MAS-Lehrgänge auch durch. Dabeikam er eher zufällig als Aushilfe an die ZHdK, später hatteer ein Minipensum; nach zehn Jahren wurde ihm überraschenddie Leitung der Vertiefung Visuelle Kommunikationam Departement Design angeboten; eine extreme Arbeitsbelastung,200 Prozent, wie er meint, das aber sei in einersolchen Position normal. 2008 ist er als Leiter zurückgetretenund unterrichtet heute zu rund 70 Prozent an der ZHdK undzu 15 Prozent an der Berufsschule.Lesehilfe steht im ZentrumJede Schriftenwicklung beginnt mit einem «n»; das habenalle 23 Studierenden (von Hand) entworfen; basisdemokratischwurde entschieden, welches das beste (noch weiter zupräzisierende) ist; auch ein Name wurde bereits festgelegt:May heisst die Schrift, weil sie im Mai 2013 entworfen wurde.«Der Text muss auch in kleinen Grössen gut lesbar sein», sagtBarmettler, «seine Zeichenformen sollten weder extravagantsein noch was Famoses haben; die Schrift soll der schnellerenLinke Seite: Im Unterricht bei Rudolf Barmettler wird eine neue Schrift vomKlassenkollektiv entwickelt. Fotos: Betty Fleckund besseren Texterfassung dienen, nicht der Selbstverwirklichungdes Entwerfers.»Heute haben die Studierenden nur noch 8 Arbeitstage Zeitdafür, früher waren es 15; die Gewichtungen haben sich verschoben.Manchmal frage er sich schon, ob er nicht ein kleinwenig den medientechnischen Anschluss verpasst habe, aberdie neu auf den Markt drängenden technologischen Entwicklungenalle zu beherrschen, wäre ein Job für sich, das delegiereer lieber an andere.Barmettler und sein Assistent schauen, wägen ab. «En Tickmeh vilicht, was meinsch, Anton?», dann kommt das «H».«Super, machen Sie Kopien, die Serifen werden übernommenfür alle Grossbuchstaben.» Ein «g» ist eine aussergewöhnlicheKreation, «ein Ring und eine Schlinge, verbunden durch einenSteg», in diesem «g» sieht Barmettler ein Potenzial, «mal etwaszu machen, was es noch nicht gibt»; ich lerne, dass auchBuchstaben Ohren haben; sowieso kommen sie mir immermehr vor wie Menschen, so unterschiedlich können sie sein;Strichdicke, Übergänge, Serifengrösse, Ansatzwinkel. «Dasisch wie en anderi Mentalität do unde», kritisiert Barmettler,und ich stelle mir vor, dass man von solchen Formen träumenkann, von zwei Blättern, die man übereinander hält, um imdurchscheinenden Licht die winzigen Abweichungen zu sehen;alles wird gemessen und verglichen – zunächst nur mitden Augen, dann mit dem Geodreieck kontrolliert; meistenskann Barmettler den Eindruck bestätigen; er erkennt einenAnsatzwinkel, der um kaum 1 Grad flacher ausfällt als zuvorfestgelegt.Jeden Buchstaben ordnet er sofort einer Tradition zu, hat einungeheures Raster im Kopf, kennt alle optischen Gesetze,Licht von oben wirkt stärker als Licht von unten; deswegenist das «u» ein klein wenig schmaler als das «n», damit esoptisch gleich gross wirkt.«Für die Studierenden ist die Gruppenarbeit eine grosse Herausforderung»,meint er, «sie sind es nicht gewohnt, Rücksichtzu nehmen aufeinander, ja einander überhaupt wahrzunehmen,hier geht es nicht um Selbstverwirklichung, aberdurchaus darum, mit den Vorgaben kreativ umzugehen, dasist ein Unterschied; ein Grafikdesigner arbeitet meistens imAuftragsverhältnis; dabei gilt es, den Spielraum kreativ zunutzen, sodass auch für den Auftraggeber jener Mehrwertentsteht, um dessentwillen man angestellt wurde.»«Es git Bier», ruft um 19 Uhr ein Student, «mir mached esFäschtli». «Es Fäschtli», ruft Barmettler, halb gespielt entrüstet,«ihr seid doch im Hintertreffen mit allem, da könnt ihrdoch nicht Party machen! Ich komme, doch, ein Bier nehmeich gerne» – und führt mich stattdessen in sein vollgestelltesBüro, nachdem er den Assistenten verabschiedet hat: «Bismorgen um neun!». Ja, an Samstagen arbeite er immer oderbeinahe immer, eigentlich arbeite er sieben Tage die Woche,das sei (s)eine Art, zu leben.* Ruth Schweikert ist Schriftstellerin sowie Dozentin an der Hochschule derKünste Bern und war im Studienjahr 2012/2013 als Observer-in-Residence fürZ+ an der ZHdK tätig. Sie besprach ausgewählte Veranstaltungen unterschiedlicherDisziplinen. Darüber hinaus porträtierte sie verschiedene Persönlichkeitenin deren Arbeits- und Hochschulalltag und bot Einblick in ProduktionsundLebenswelten der ZHdK (ruth.schweikert@gmx.net).Weitere Porträtswww.zhdk.ch/zplus

<strong>Hochschule</strong> / Zett 2–139«Also, was du heute kannst besorgen», gibt Barmettler zubedenken. «Ist das die Beute aus dem Seefeld?», fragt ein Dritter.«Genau», sagt Barmettler, auch zu mir gewandt, und erklärt:«Da sollten Bodoni-Schriften entsorgt werden. Das darfnicht sein, so etwas heute nachzumachen kostet mindestens<strong>20</strong>00 Franken pro Schnitt.» Auch Linoleumböden holt Barmettleraus Abbruchhäusern, «ein wun<strong>der</strong>bares Druckform-Material, das man in Drittweltlän<strong>der</strong>n noch heute verwendet,in Kuba zum Beispiel», und dieses Wort, Drittweltland, wir<strong>der</strong> nochmals brauchen, und ich schrecke erneut auf, sprecheich doch höchstens von «sogenannten Drittweltlän<strong>der</strong>n»; diesemeine Vorsicht, dieses Bewusstsein, mit <strong>der</strong> Sprache auchWertungen zu (re)produzieren, teilt Barmettler offensichtlichnicht; sein Fokus ist ein an<strong>der</strong>er.Geduld ermöglicht Genauigkeit und InsistenzWenn man etwas gedruckt hat, muss man fast eine Wochewarten, bis es trocken ist, dazu dienen eine Art vertikale Wäschestän<strong>der</strong>,in die die Blätter eingelegt werden; man kannTalkum drüberstreuen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Farbe Schnelltrockner beimischen,aber «eigentlich», so viel wird klar, ist das WartenTeil dieser Arbeit, ist Geduld eine Tugend, die Genauigkeitund Insistenz erst ermöglicht.«Wie lange können die Buchstaben noch verwendet werden?»,frage ich. Barmettler wiegt den Kopf hin und her: «Wennwir Sorge tragen, können wir noch hun<strong>der</strong>t <strong>Jahre</strong> damit arbeiten;wenn wir nicht aufpassen, vielleicht zwanzig. Mitjedem Druck geht etwas verloren, das hängt natürlich auchvom Material ab; Linoleum ist schneller durch als Blei, Holzliegt dazwischen.»Barmettler ist Vermittler, Wissenschaftler und Archivar; sobaut er mit www.swisstypedesign.ch ein Inventar <strong>der</strong> Schriftenauf, die in <strong>der</strong> Schweiz zwischen 1857 und <strong>20</strong>03 entworfenworden sind, samt Vergleichstool, das heisst, ich kann direktzwei Schriften miteinan<strong>der</strong> vergleichen o<strong>der</strong> die verschiedenenSchnitte einer Schrift. Unter www.typetypo.ch hat erausserdem ein Portal für Weiterbildungen in den BereichenSchriftgestaltung und Typografie an <strong>der</strong> ZHdK geschaffen,mehrere Weiterbildungsangebote hat Barmettler konzipiertund führt diese CAS- und MAS-Lehrgänge auch durch. Dabeikam er eher zufällig als Aushilfe an die ZHdK, später hatteer ein Minipensum; nach zehn <strong>Jahre</strong>n wurde ihm überraschenddie Leitung <strong>der</strong> Vertiefung Visuelle Kommunikationam Departement Design angeboten; eine extreme Arbeitsbelastung,<strong>20</strong>0 Prozent, wie er meint, das aber sei in einersolchen Position normal. <strong>20</strong>08 ist er als Leiter zurückgetretenund unterrichtet heute zu rund 70 Prozent an <strong>der</strong> ZHdK undzu 15 Prozent an <strong>der</strong> Berufsschule.Lesehilfe steht im ZentrumJede Schriftenwicklung beginnt mit einem «n»; das habenalle 23 Studierenden (von Hand) entworfen; basisdemokratischwurde entschieden, welches das beste (noch weiter zupräzisierende) ist; auch ein Name wurde bereits festgelegt:May heisst die Schrift, weil sie im Mai <strong>20</strong>13 entworfen wurde.«Der Text muss auch in kleinen Grössen gut lesbar sein», sagtBarmettler, «seine Zeichenformen sollten we<strong>der</strong> extravagantsein noch was Famoses haben; die Schrift soll <strong>der</strong> schnellerenLinke Seite: Im Unterricht bei Rudolf Barmettler wird eine neue Schrift vomKlassenkollektiv entwickelt. Fotos: Betty Fleckund besseren Texterfassung dienen, nicht <strong>der</strong> Selbstverwirklichungdes Entwerfers.»Heute haben die Studierenden nur noch 8 Arbeitstage Zeitdafür, früher waren es 15; die Gewichtungen haben sich verschoben.Manchmal frage er sich schon, ob er nicht ein kleinwenig den medientechnischen Anschluss verpasst habe, aberdie neu auf den Markt drängenden technologischen Entwicklungenalle zu beherrschen, wäre ein Job für sich, das delegiereer lieber an an<strong>der</strong>e.Barmettler und sein Assistent schauen, wägen ab. «En Tickmeh vilicht, was meinsch, Anton?», dann kommt das «H».«Super, machen Sie Kopien, die Serifen werden übernommenfür alle Grossbuchstaben.» Ein «g» ist eine aussergewöhnlicheKreation, «ein Ring und eine Schlinge, verbunden durch einenSteg», in diesem «g» sieht Barmettler ein Potenzial, «mal etwaszu machen, was es noch nicht gibt»; ich lerne, dass auchBuchstaben Ohren haben; sowieso kommen sie mir immermehr vor wie Menschen, so unterschiedlich können sie sein;Strichdicke, Übergänge, Serifengrösse, Ansatzwinkel. «Dasisch wie en an<strong>der</strong>i Mentalität do unde», kritisiert Barmettler,und ich stelle mir vor, dass man von solchen Formen träumenkann, von zwei Blättern, die man übereinan<strong>der</strong> hält, um imdurchscheinenden Licht die winzigen Abweichungen zu sehen;alles wird gemessen und verglichen – zunächst nur mitden Augen, dann mit dem Geodreieck kontrolliert; meistenskann Barmettler den Eindruck bestätigen; er erkennt einenAnsatzwinkel, <strong>der</strong> um kaum 1 Grad flacher ausfällt als zuvorfestgelegt.Jeden Buchstaben ordnet er sofort einer Tradition zu, hat einungeheures Raster im Kopf, kennt alle optischen Gesetze,Licht von oben wirkt stärker als Licht von unten; deswegenist das «u» ein klein wenig schmaler als das «n», damit esoptisch gleich gross wirkt.«Für die Studierenden ist die Gruppenarbeit eine grosse Herausfor<strong>der</strong>ung»,meint er, «sie sind es nicht gewohnt, Rücksichtzu nehmen aufeinan<strong>der</strong>, ja einan<strong>der</strong> überhaupt wahrzunehmen,hier geht es nicht um Selbstverwirklichung, aberdurchaus darum, mit den Vorgaben kreativ umzugehen, dasist ein Unterschied; ein Grafikdesigner arbeitet meistens imAuftragsverhältnis; dabei gilt es, den Spielraum kreativ zunutzen, sodass auch für den Auftraggeber jener Mehrwertentsteht, um dessentwillen man angestellt wurde.»«Es git Bier», ruft um 19 Uhr ein Student, «mir mached esFäschtli». «Es Fäschtli», ruft Barmettler, halb gespielt entrüstet,«ihr seid doch im Hintertreffen mit allem, da könnt ihrdoch nicht Party machen! Ich komme, doch, ein Bier nehmeich gerne» – und führt mich stattdessen in sein vollgestelltesBüro, nachdem er den Assistenten verabschiedet hat: «Bismorgen um neun!». Ja, an Samstagen arbeite er immer o<strong>der</strong>beinahe immer, eigentlich arbeite er sieben Tage die Woche,das sei (s)eine Art, zu leben.* Ruth Schweikert ist Schriftstellerin sowie Dozentin an <strong>der</strong> <strong>Hochschule</strong> <strong>der</strong>Künste Bern und war im Studienjahr <strong>20</strong>12/<strong>20</strong>13 als Observer-in-Residence fürZ+ an <strong>der</strong> ZHdK tätig. Sie besprach ausgewählte Veranstaltungen unterschiedlicherDisziplinen. Darüber hinaus porträtierte sie verschiedene Persönlichkeitenin <strong>der</strong>en Arbeits- und Hochschulalltag und bot Einblick in ProduktionsundLebenswelten <strong>der</strong> ZHdK (ruth.schweikert@gmx.net).Weitere Porträtswww.zhdk.ch/zplus

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