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20 Jahre Kunsthof Zürich - Zürcher Hochschule der Künste

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22Zett 2–13/ MusikDie DirigentenschmiedeSie studieren, dirigieren und ergatternPreise, Fellowships und Engagements – dieaktuellen und ehemaligen Studierenden vonJohannes Schlaefli, <strong>der</strong> die Dirigierausbildung<strong>der</strong> ZHdK mit ausserordentlichem Erfolg leitet.Daniela Huser* (Text und Fotos) hat ihm imUnterricht über die Schulter geschaut.Um seine Fitness braucht sich Johannes Schlaefli keine Sorgenzu machen. Für seine Studierenden reisst er sich beideBeine aus. Rennt treppauf, treppab, um seiner Rumpfklassevon einer Dirigentin und fünf angehenden Dirigenten – dieübrigen leiten gerade Orchesterproben in Bern und Salzburg –nach einem missglückten Raumabtausch im voll besetztenHaus Florhof während <strong>der</strong> Prüfungsperiode zu einem Zimmerzu verhelfen. In <strong>der</strong> Klassenstunde am Morgen, erzählenzwei <strong>der</strong> wartenden Studierenden, werden Werke analysiertund besprochen, die in <strong>der</strong> Ensemblestunde am Nachmittagpraktisch angegangen werden.Daniela Huser: Was zeichnet einen guten Dirigenten aus?Johannes Schlaefli: Er kennt die Partitur in all ihren Aspekten,hat sich eine «innere Stimme» zum Werk erarbeitet,tritt vor das Orchester mit Ausstrahlung und Kommunikationsvermögenund kann im Musizieren «Geben und Nehmen»in ein ständig wechselndes, hochwirksames Gleichgewichtbringen.KlassenstundeTschaikowskys 6. Sinfonie wird unter die Lupe genommen.Fünf Studierende aus aller Welt beugen sich über die Partitur.Prüfen die Tonarten <strong>der</strong> Sätze – üblich o<strong>der</strong> abweichend? –,suchen nach Sekundvorhalten, die zuvor als eines <strong>der</strong> zentralenmusikalischen Themen dieses Werks herausgeschältworden sind. Fokussieren auf die Punktierung an einer bestimmtenStelle und darauf, was passieren würde, wenn sieentfiele. Reflektieren den Umgang des Komponisten mit denBogenstrichen. Ist <strong>der</strong> Bläsersatz an dieser Stelle bewussteInhaltssetzung o<strong>der</strong> technisches Zugeständnis? Wo und wiespielt <strong>der</strong> Komponist mit musikalischen Erwartungen? Wasist das «finale Statement»? Minutiös werden Bausubstanz undinhaltliche Aussagen des Stückes untersucht.Daniela Huser: Was zeichnet den Jungstudierenden aus, <strong>der</strong>die Aufnahmeprüfung Orchesterleitung besteht?Johannes Schlaefli: Er bringt gute Voraussetzungen mit –Musikalität, Gehör, Intelligenz, Vorstellungsvermögen, Führungsqualitäten– und das gewisse Etwas, die Begabung, dasOrchester so zum Klingen zu bringen, dass <strong>der</strong> musikalischeMoment zu einem beson<strong>der</strong>en wird.Zwischendurch werden Einspielungen verschiedener Orchesterangehört und besprochen: «Wie spielt Fedoseyev dieseStelle?» – «Kennst du die Aufnahme mit Karajan?». Man spieltdas Finale an, verfolgt die Stimmen in <strong>der</strong> Partitur – wissendesSchmunzeln, andächtiges Zuhören. «Der Klang istschön, aber ist es so interpretiert, wie es geschrieben steht?Tschaikowsky betrachtete die Sechste schliesslich als seinewichtigste Komposition.» Schlaefli erinnert die Studierendenan ihre Aufgabe als Dirigierende. Den Klang spüren, nehmen,bewegen, respektieren. Die Musikerinnen und Musikertun das sowieso, schwelgen im Klang, die Dirigierenden abermüssen den Flug lenken, sie kennen das Stück, wissen, wo esnoch hingeht. Wo hat es einen Höhepunkt, wie ist das richtigeTempo im Anschluss?Die Atmosphäre ist entspannt, aber konzentriert. Und immerwie<strong>der</strong> stellt Johannes Schlaefli Fragen, die die Studierendenüber bestimmte Aspekte intensiv nachdenken lassen, ihreWahrnehmung schärfen. Die Musik und seine Studierendenliegen ihm am Herzen, das merkt man. Und er stellt klareFor<strong>der</strong>ungen. «Darauf habe ich keine Antwort, ich kann nurFragen stellen», so ein Student. «Du musst aber eine Antworthaben», so Schlaefli. Erst wenn die Studierenden nicht weiterkommen,wird Wissen in Form von Information vermittelt.Daniela Huser: Was zeichnet eine gute Dirigierdozentin aus?Johannes Schlaefli: Sie konfrontiert die Studierenden miteiner Mischung aus ermuntern<strong>der</strong> Begleitung, anregen<strong>der</strong>Fragestellung und Wissensvermittlung in gut gewähltemTiming; sie bietet einen geistigen Raum für künstlerischesWachstum in angeregter Atmosphäre und lässt doch keinenZweifel an <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Erwartung.EnsemblestundeEs ist heiss. Ein gutes Dutzend Studieren<strong>der</strong> findet sich amNachmittag im gediegenen Salon mit Flügel und <strong>der</strong> adrettenGeigerin in Öl an <strong>der</strong> Wand ein. Stühle werden zurechtgerückt,Fenster geöffnet, man spielt sich ein. Einige <strong>der</strong> Dirigierstudierendensitzen selbst an Instrumenten. Eine Kamerasteht bereit. Vorne steht <strong>der</strong> junge Dirigent – <strong>der</strong>zeit imBachelor-Studium –, <strong>der</strong> nun die Kolleginnen und Kollegenan den Instrumenten unter seinem Stab versammeln muss,damit begonnen werden kann. Wirkt er souverän genug?Das Orchester, dieser musikalische Resonanzkörper des Dirigenten,reagiert sensibel auf Reize und Impulse. Das Spielbeginnt, 1. Satz.Schlaefli beobachtet mit Sperberaugen, ihm entgeht nichts. ImHintergrund «geistdirigiert» ein Kollege über seine Partiturgebeugt mit. Nach ein paar Minuten unterbricht Schlaefli, Zeitfür ein grundsätzliches Feedback und fürs Repetieren vonStellen, die Probleme bereiteten. Er lässt die Register alleinespielen, gibt Anweisungen, worauf zu hören und zu achtenist, korrigiert, lässt den Studenten variieren, fragt nach: «Duhast noch fünf Minuten – was möchtest du spielen?» Der jungeStudent wirkt in seinen letzten Minuten bereits sicherer undbeendet sein Dirigat, erleichtert und voller Eindrücke undErfahrungen, die er in <strong>der</strong> Folge verarbeiten wird. Schlaeflischliesst mit: «Reto, deine Zeit ist um – ich bin stolz auf dich.»

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