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Schizophrenie - verstehen, behandeln, bewältigen - Therapie ... - ACC

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DR. MED. SAMUEL PFEIFERSCHIZOPHRENIEDiagnose, <strong>Therapie</strong>, SeelsorgePSYCHIATRIESEELSORGESEMINARHEFT


IHRE DIGITALE BIBLIOTHEK12 SEMINARHEFTE VONDR. SAMUEL PFEIFERjetzt gratis als PDF fürTablet-PCs / iPAD400Seiten mit vielenTabellen und GrafikenGRATISwww.seminare-ps.net/ipadZwang und ZweifelSie möchten Lieber richtige SeminarHefte zum nachschlagen?Bezugsquelle für gedruckte hefte:Schweiz:Psychiatrische Klinik SonnenhaldeGänshaldenweg 28CH-4125 Riehen - SchweizTel. (+41) 061 645 46 46Fax (+41) 061 645 46 00E-Mail: seminare@sonnenhalde.chDeutschland / EU:Alpha BuchhandlungMarktplatz 9D-79539 LörrachTel. +49 (0) 7621 10303Fax +49 (0) 7821 82150Übersicht und Preisliste:http://www.seminare-ps.net/Pub/Seminarhefte_Samuel_Pfeifer.pdf


PUBLIC DOMAINAlle 12 Seminarhefte von Dr. Samuel Pfeiferstehen als PDF kostenfrei all denen zur Verfügung,die sich näher für seelischen Erkrankungensowie für dieVerbindung von Psychiatrie,Psychotherapie und Seelsorge interessieren.Fühlen Sie sich frei, diese PDF für sich selbst zu speichern und sieandern weiterzugeben.Dieses Angebot gilt besonders für Studenten der Medizin, der Psychologie,der Theologie, der sozialen Wissenschaften sowie der Seelsorgeim engeren Sinne.Verwendung von Abbildungen und Tabellen kostenfreiunter Angabe der Quelle.Optimale Darstellung auf dem iPad:Speichern Sie die Datei iniBooks


AUS DEM INHALT<strong>Schizophrenie</strong> — mit diesem Wort sind immer noch Ängste und Vorurteile verbunden.In ihrem schillernden Erscheinungsbild ist sie oft schwer verständlich. Und dochmacht keine andere psychische Krankheit so viele junge Menschen in ihren blühendstenJahren arbeitsunfähig. Uneinfühlbare Ängste, eigenartiges Verhalten, Stimmenhörenund Halluzinationen, berufliche Überforderung, sozialer Rückzug — Menschen mit einerschizophrenen Störung fallen aus vielen Bereichen des Lebens heraus. Das Seminarheftsoll einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zu dieser Erkrankung und Hilfe zumVerständnis und zur Begleitung geben.Aus dem Inhalt:Frühe Anzeichen einer <strong>Schizophrenie</strong> Der schizophrene WahnPositive und negative Symptome Diagnose der <strong>Schizophrenie</strong>Was erleben schizophrene Menschen? Formen und Verlauf der<strong>Schizophrenie</strong> <strong>Schizophrenie</strong> im Kindesalter EntstehungsmodellVulnerabilität und Stressbewältigung Hirnbiologieund <strong>Schizophrenie</strong> Behandlung der <strong>Schizophrenie</strong> Wie verhältman sich in der Akutphase? Wie beugt man Rückfällen vor?Medikamentöse Behandlung Psychotherapie bei <strong>Schizophrenie</strong>Der religiöse Wahn und seine Erklärung Häufige Fragen beireligiösen Patienten Zusammenarbeit von Arzt und SeelsorgerMitbetroffen und mitleidend: Die Angehörigen Plädoyer für dieSchwachheit Selbsthilfegruppen und Internetadressen WeiterführendeLiteratur und Links.Der Autor:Dr. med. Samuel Pfeifer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapieund Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen bei Basel.Bezugsquelle:Klinik Sonnenhalde, Gänshaldenweg 28, CH-4125 Riehen, Schweiz.Tel. (+41) 061 645 46 46, Fax 645 46 00 – E-mail: seminare@sonnenhalde.chwww.seminare-ps.netim Buchhandel zu beziehenüber den Brunnenverlag BaselISBN 978-3-905709-30-8SFR 10.00 - EURO 7.00


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIESCHIZOPHRENIEVerstehen, Beraten, BewältigenB


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEInhaltDer <strong>Schizophrenie</strong>-Begriff — Psychosen ................................................................ 2Abgrenzung — Einige Zahlen .................................................................................. 3<strong>Schizophrenie</strong> und Kultur......................................................................................... 4Frühe Anzeichen einer <strong>Schizophrenie</strong> ..................................................................... 6Der schizophrene Wahn ........................................................................................... 7Diagnose der <strong>Schizophrenie</strong> .....................................................................................8Was erleben schizophrene Menschen? ................................................................. 10Formen der <strong>Schizophrenie</strong> ...................................................................................... 12Sonderformen .......................................................................................................... 14<strong>Schizophrenie</strong> im Kindesalter ................................................................................. 15Entstehungsmodell ..................................................................................................16Vulnerabilität und Stressbewältigung ................................................................... 17Positive und negative Symptome .......................................................................... 18Hirnbiologie und <strong>Schizophrenie</strong>............................................................................. 20Risikofaktor Cannabis............................................................................................. 22Behandlung der <strong>Schizophrenie</strong>.............................................................................. 23Medikamentöse Behandlung .................................................................................24Soziales Training...................................................................................................... 28Wie beugt man Rückfällen vor? ..............................................................................29Psychotherapie bei <strong>Schizophrenie</strong> ..........................................................................31Der religiöse Wahn und seine Erklärung................................................................ 32Zusammenarbeit von Arzt und Seelsorger............................................................ 35Wie verhält man sich in der Akutphase? ................................................................26Mitbetroffen und mitleidend: Die Angehörigen .................................................. 38Selbsthilfegruppen und Internetadressen............................................................. 39Weiterführende Literatur und Internetlinks......................................................... 40C


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIE<strong>Schizophrenie</strong> als HerausforderungSie ist noch immer geheimnisvollund unheimlich. Unddoch ist etwa ein Prozent derBevölkerung davon betroffen:Die <strong>Schizophrenie</strong> mit ihrenmannigfachen Gesichternstellt eines der größten Problemein der Psychiatrie dar.Uneinfühlbare Ängste, eigenartigesVerhalten, Stimmenhörenund Halluzinationen, beruflicheÜberforderung, sozialerRückzug – Menschen mit einerschizophrenen Störung fallenaus vielen Bereichen des Lebens heraus. Keineandere psychische Krankheit macht so vielejunge Menschen in ihren blühendsten Jahrenarbeitsunfähig. Oftmals haben sie nur noch dieFamilie, die zu ihnen steht.Es war Prof. Eugen Bleuler in Zürich, der 1911den Begriff der «<strong>Schizophrenie</strong>» prägte. Seinewissenschaftliche Arbeit war gepaart mit tiefermenschlicher Einfühlung. Er sah in jedem krankenMenschen auch seine gesunden Anteile. Eigentlichwerde das Gesunde nicht aufgelöst, essei nur von der Psychose verdeckt.Vorurteile und Hoffnungtroffen sind, kann man nicht verdrängen.<strong>Schizophrenie</strong> wird heute als schwereStörung der Informationsverarbeitung imGehirn verstanden. Neue Medikamente habenHoffnung gebracht und ermöglichenvielen Betroffenen, in ihrem normalen Umfeldzu leben. Dadurch ist aber die Gesellschaftviel stärker mit ihren besonderenGrenzen und Bedürfnissen konfrontiert. Eineumfassende Betrachtung ist dringendnotwendig.Das vorliegende Seminarheft soll dazubeitragen, diese Krankheit und ihre Auswirkungenbesser zu <strong>verstehen</strong>. Neben vielfältigenmedizinischen und sozialen Aspektenwerden auch Fragen angesprochen, die sich inPatienten sind Menschen.Die Krankheit istTeil ihrer Biografie. Aber sie sindnicht nur Kranke. Sie haben ein Lebenjenseits der Krankheit – davor, danach,daneben.Asmus FinzenDie Gesellschaft hat Mühe mit der Erkrankung.Der Begriff <strong>Schizophrenie</strong> ist mit vielfältigenVorurteilen behaftet: Gewalttaten machenSchlagzeilen; schizophrene Menschen werdenals «verrückt» abgeschrieben und gemieden;der alltägliche Missbrauch des Wortesprägt die Sprache. Der Umgang mit <strong>Schizophrenie</strong>hängt von der Betrachtungsweise ab. Psychiatriekritikerbehaupten sogar, die <strong>Schizophrenie</strong>sei eine Erfindung der Psychiater. Man kann vielleichtdie Existenz der <strong>Schizophrenie</strong> leugnen,aber die Menschen, die von der Erkrankung bederBeratung von gläubigen Menschen ergeben.Wenn das Heft dazu beitragen kann, Menschenmit einer schizophrenen Erkrankung besser zubegegnen, so hat es sein Ziel erreicht.Dr. med. Samuel Pfeifer1


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDer <strong>Schizophrenie</strong>begriffÜber lange Zeit hinweg wurdedie Diagnose einer <strong>Schizophrenie</strong>sehr weit gestellt. Vieleamerikanische Untersuchungenaus den Vierziger- und FünfzigerJahren wurden also an Patientendurchgeführt, die nach der strengerenDiagnostik unserer Zeit garnicht an einer <strong>Schizophrenie</strong> litten.«Es spricht einiges dafür, dassetwa das berüchtigte Konzept vonder ‹schizophreno ge nen› Mutterauf der Grundlage der Beobachtungvon Kranken entwickeltworden ist, die aus heutiger Sichtzum beträchtlichen Teil gar nichtschizophren waren.»(Finzen, <strong>Schizophrenie</strong>, S. 74)Der Begriff der «Psychosen»Die <strong>Schizophrenie</strong>n gehören zu der Gruppe derPsychosen.Definition : Umfassender Begriff für schwerePersönlich keits störun gen, charakterisiert durchabnormes Verhalten und Erleben und ausgeprägteDesorganisation der Persönlichkeit mitnachteiligen sozialen Folgen. Der Betroffeneist unfähig, äußere Erfahrungen und eigeneErlebens weisen auseinander zu halten. Zu denPsychosen gehören zudem:manisch-depressive Psychosenorganische Psychosen (ausgelöst durch Gifte,wie z. B.. Drogen oder Infektionen, wie z.B.Fieberdelir bei Malaria)Folgen schwerer Hirnabbauprozesse, häufigim Altervorübergehende Reaktionen auf belastendeSituationen (z.B. nach einem Zugsunglückoder im Krieg)Die Dauer und die Behandlung einer Psychoseist äusserst unterschiedlich. Der Psychosebegriffist daher nur beschreibend, sagt abernichts über den Verlauf oder den Erfolg der Behandlungaus.Weil der <strong>Schizophrenie</strong>-Begriff immer nochmit vielfältigen Vorurteilen und Ängsten behaftetist, braucht man bis zur Erhärtung der Diagnoseoft den Begriff «Psychose».2


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIE<strong>Schizophrenie</strong> und Kultur<strong>Schizophrenie</strong> kommt in allenKulturen der Welt vor, sei esin China, in Indien, in Afrika oder inEuropa. Und überall beschreiben diePatienten ein ähnliches Erleben:Eingebung von Gedanken, Gedankenübertragung,Gedankenentzug;Stimmen, die der Betreffende übersich sprechen hört oder die seineHandlungen und Gedanken begleiten.Veränderte Wahrnehmung in seinerpsychischen und sozialen Umgebung;beispielsweise kann die ganze Welt ineinen so intensiven persönlichen Bezug zu ihmtreten, dass sich jedes Geschehene speziell aufihn zu beziehen scheint und eine besondere Mitteilungan ihn enthält.Gemeinsame Symptome bei paranoider <strong>Schizophrenie</strong>in verschiedenen Kulturen (Aarhus,Agra, Cali, Ibadan, London, Moskau, Prag,Taipeh, Washington):– Mangelnde Einsicht– Mißtrauen– Verfolgungswahn– Beziehungswahn– Beziehungsideen– übermässige Religiosität– Mangelnde Zusammenarbeit– Inadäquate Beschreibung– Wahn-bezogene Stimmung– Flacher AffektIn einfacheren Kulturenleben Patienten(sofern sie eher ruhig undzurückgezogen sind) inihren Familien und in ihrenDörfern. Sie verrichteneinfache Arbeiten in Hausund Hof und werden mitgetragen.Wenn sie sehrauffällig werden und dasZusammenleben stören, istdie Gemeinschaft überfordert:manche werden eingesperrt,z.T. angekettet.Andere fliehen in die Wälder oder reisen in diegrossen Städte, wo ihnen ein unsicheres Schicksaldroht.Werden sie gewalttätig, so landen sie nicht seltenim Gefängnis. In manchen Ländern Afrikas gibtes Naturheiler, die ausserhalb der Dörfer wohnenund dort Kranke aufnehmen, wo ihnen ein ruhigesLeben, Kräuterheilmittel und Rituale helfensollen, die Besonnenheit wieder zu finden.In Indien gibt es neben wenigen psychiatrischenKliniken sogenannte «Schreine», wo hinduistische,buddhistische oder christliche Möncheneben einem Tempel oder einer Kirche Wohnmöglichkeitenfür Kranke und ihre Angehörigeneingerichtet haben. Auch dort werden mancheKranke in unruhigen Zeiten angekettet.Selbst im hochentwickelten Westenfallen schizophrene Menschen durch die Netze:In den USA sind nicht wenige Obdachlose eigentlichpsychisch krank und würden Behandlungbrauchen.4


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEGeschichtliche StreiflichterNicht immer ging es psychisch Kranken so gutwie heute:a) ruhige Patienten lebten- in einfacheren Kulturen bei den Angehörigen,oft unter elenden Umständen.- in höher zivilisierten Kulturen auch inbesonderen Hospizen, «Asylen», Anstalten.b) störende Kranke wurden je nachZeit in besonderen Anstalten untergebracht:- Gefängnisse oder Irren-Anstalten- z.T. in Ketten, auf Stroh- Problematik der Zwangsmaßnahmenc) Befreiung der Geisteskranken durch- menschlichere Betrachtungsweise- besseres Verständnis für Krankheiten- Medikamente ab 1953 (Largactil)Philippe Pinel (1745 –1826) führtein Paris die menschlichere Behandlungvon psychisch Kranken einund gilt als einer der Begründer dermodernen Psychiatrie.5


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDer schizophrene WahnWie kommt es zum Wahn?Menschen, die einen Wahn entwickeln, sindvon Grund auf verunsichert. Ängstlich prüfensie die eigene Befindlichkeit im Bezug zurUmwelt. Sie beginnen ängstlich zu forschen,was die anderen wohl über sie denken; was derGrund für ihre befremdlichen Wahrnehmungenist. Jedes erahnte Gefühl von Ablehnung oderZurückweisung bestärkt ihre Ängstlichkeit. DieGedanken werden laut, man beginnt zu «hören»,was die andern «sagen». Es entsteht eine eigenePrivatlogik, in der alles eine Bedeutung erhaltenkann: das rote Auto vor dem Haus, Gespräche imTram, die Nachrichten im Fernsehen etc. So werdendie Ängste und Bedürfnisse, die Ahnungenund Empfindungen mit den Beobachtungender Aussenwelt zu einem Mosaik verdichtet,das der zerbrochenen Wirklichkeit wieder Sinnverleihen soll; ein Sinn, den allerdings die Aussenweltnicht mehr versteht.HalluzinationenHalluzinationen sind Sinneswahrnehmungenohne äusseren Reiz. Wer halluziniert, hört,sieht, spürt, riecht, schmeckt Dinge, ohne dassin der äusseren Welt etwas vorhanden wäre,an dem sich diese Wahrnehmung festmachenkönnte.Akustische Halluzinationen können sein:Geräusche wie Klopfen, Summen, Schritte;Murmeln oder ganze Sätze / Dialoge, freundlichoder drohend, von aussen oder von innen;manchmal einfach Gedankenlautwerden, oftverbunden mit Angst.Körperliche Halluzinationen (werden alsvon aussen gemacht erlebt): z.B. Gefühl derBestrahlung, Magnetisierung; z.B. Herz wirdgestört; z.B. sexuelle Belästigung.WahnthemenBeziehungswahnBeeinträchtigungswahnVerfolgungswahnLiebeswahnEifersuchtswahnGrössenwahnReligiöser WahnANGST bei <strong>Schizophrenie</strong>Angst ist ein zentrales Symptom im Erlebenschizophrener Kranker. Der Einbruch der Psychosein das Erleben und Fühlen, das Entgleitender Steuerbarkeit des Denkens und schliesslichdie Verzerrung der Wirklichkeit im Wahn führenunweigerlich zu Angst. Vorher Vertrauteswird unbekannt und unheimlich. Früher selbstverständlicheBeziehungen sind nicht mehrstimmig.Die Orientierung in der Welt ist von Grundauf gestört. Alles dies ist mit Angst verbunden,die sehr tief gehen, sehr elementar sein kann,die schlimmstenfalls Vernich tungs gefühle auslösenund die Kranken auf den Weg in den Suizidtreiben kann. Auch wenn Angst an sich angemessenist, kann sie bei Psychosekranken ineiner Intensität auftreten, die für den Aussenstehendennicht mehr einfühlbar ist. Die emotionaleBelastbarkeit vieler Schizophrener istvermin dert. Sie sind über die Massen sensibelund verletzlich. (vgl. Finzen, <strong>Schizophrenie</strong>,S. 56)HINWEIS: Die hier aufgezählten Details sindnur einige Facetten des schizophrenen Erlebens.Weitere Informationen finden sich in zahlreichenLehrbüchern.7


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDiagnose der <strong>Schizophrenie</strong>Die Diagnose einer <strong>Schizophrenie</strong> wird anhandklar definierter Kriterien (DSM-IV *)sehr zurückhaltend gestellt. Doch ist es selbstfür Erfahrene schwierig, sich in Grenzfällenfestzulegen. Oft braucht es eine längere Verlaufsbeobachtung.Im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung gibtes drei Phasen:A. ProdromalphaseB. Aktive PhaseC. ResidualphaseDauer: Gesamtdauer min. 6 Monate, verschiedeneDauer der einzelnen Phasen möglich,z.B. gutartiger Verlauf: 2 Wochen Phase A,2 Wochen Phase B und 6 Monate Phase C, dannkeine Episode mehr.z.B. schubweiser Verlauf: 4 Wochen PhaseA, 2 Wochen Phase B, 6 Monate Phase C, dannüber 2 Jahre symptomfrei, wieder 4 Wochen PhaseB, 6 Mo nate Phase Cz.B. chronischer Verlauf: 3 Monate PhaseA, 4 Monate Phase B, 6 Monate Phase C, dannwieder 1 Monat Phase B, 5 Monate Phase C etc.Beginn: meist vor dem 45. Lebensjahr* DSM-IV = Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen, 4. Revision8


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDrei Phasen der <strong>Schizophrenie</strong>A. Prodromalphase(Prodrom = Vorläufer) Deutliche Verschlechterunggegenüber dem früheren Leistungsniveau(Berufs tätigkeit, soziale Be ziehungen, Selbstversorgung).Mindestens zwei der unten genann tenSymptome, die nicht durch eine Verstimmungoder durch Drogen verur sacht sind.Symptome während der Prodromal- und Residualphase:1. soziale Isolation oder Zurückgezogen-heit2. ausgeprägte Beeinträchtigung in Beruf, Haushaltoder Ausbildung3. ausgeprägt absonderliches Verhalten (Sammelnvon Abfällen, Horten von verrottetenLebensmitteln, enthemmtes Verhalten...)4. ausgeprägte Vernachlässigung der Hygieneund der Kleider5. abgestumpfter, verflachter oder unan-gepaßterGefühlsausdruck6. abschweifende, vage, übergenaue, umständlicheoder bildhafte Sprache7. eigentümliche oder bizarre Vorstellungen odermagisches Denken; Gefühl, beeinflußt zuwerden oder andere beeinflussen zu können,über wertige Ideen, Beziehungsideen8. ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse,z.B. wiederholte Illusionen, jemand oder eineunsichtbare Macht sei anwesend, die von andernnicht wahrgenommen werden kann.B. Aktive PhaseMindestens eines der folgendenMerkmale:1. bizarre Wahnphänomene (inhaltlich offensichtlichabsurd und ohne mögliche realeGrundlage), z.B. Gefühl der Beeinflussung,des Ge mach ten, der Gedankenausbreitung,Gedankeneingebung oder Gedankenentzug2. körperbezogene, Größen-, religiöse, nihilistischeoder andere Wahnphäno-mene3. Verfolgungs- und Eifersuchtswahn, kombiniertmit Halluzinationen4. Stimmenhören (Kommentare zum Verhaltendes Betroffenen, Beschimpfungen, sich unterhaltendeStimmen)5. zerfahrenes Denken, deutliche Lockerung derAssoziationen, ausgeprägt unlogisches Denkenund ausgeprägte Verarmung der sprachlichenÄußerungen, wenn sie mit mindestenseinem der folgenden Merk male einhergehen:- abgestumpfter, verflachter oder unpassenderGefühlsausdruck- Wahnphänomene oder Halluzinationen- katatones oder sonst grob desorganisiertesVerhaltenC. ResidualphaseMindestens zwei der unter A genannten Symptome,die nach einer aktiven Krankheitsphaseanhalten und nicht durch eine Verstimmung oderdurch Drogen verursacht sind.9


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEWas erleben schizophrene Menschen?Psychotisches Erleben lässt sich nicht mitobjektiven Messungen erfassen. Untersucherund Betreuer sind daher auf die Schilderungender Betroffenen angewiesen. Zudemlassen sich manchmal Beobachtungen machen,die Hinweise auf das Erleben geben. Will mandeshalb schizophrene Menschen <strong>verstehen</strong>, soist es ganz wichtig, sie in ihrem Erleben ernstzu nehmen. Die folgenden Bereiche sind in sehrwechselhaftem Ausmass betroffen. Die Erläuterungensind stichwortartig (in Anlehnung anDilling und Reimer 1990)1. Störungen des Denkens: Der formaleZusammenhang wird zerfahren, zusammenhanglos,alogisch, verworren. Es kommtzu Sperrungen, Gedankenabreissen; Gedankenwerden als gemacht erlebt oder «weggenommen».Begriffe zerfallen, werden überkonkretoder symbolisch aufgefasst.2. Störungen des Gefühls: Nicht übereinstimmendmit der Situation und dem Erleben(Parathymie). Ambivalenz (beziehungslosesNebeneinanderbestehen, unvereinbareErlebnisqualitäten); instabile Stimmungslage;mangelnder Kontakt. Gefühlsmässige Steifigkeit,Verflachung, Verlust der Schwingungsfähigkeit.Daneben auch Phasen von ekstatischerStimmung mit Glücksgefühl und Entrücktheit,Ratlosigkeit, Gefühlsverarmung und depressiveVerstimmung.3. Ich-Störungen: Auseinanderbrechenvon Denken, Fühlen, Wollen und Handeln. Rückzugnach innen (Autismus), Entfremdungserlebnisse,Verlust des Ich-Gefühls verbundenmit dem Erleben des von aussen Gemachtenund der Beeinflussung von Fühlen, Wollen undDenken.Abbildung: Die Desorganisation des Denkenskann sich auch im Schriftbild zeigen.Zusätzliche Merkmale(Akzessorische Symptome)Wahn: Verfolgung, Beeinträchtigung, Vergiftung,aber auch Berufung und GrösseHalluzinationen: Stimmenhören, Wahrnehmungvon Gerüchen, Bildern etc.Störungen der Motorik und des Antriebs(katatone Symptome): Erstarrung(Stupor) oder Erregungs-zustände; wachsartigeBewegungserstarrung mitten im Ablauf(Flexibilitas cerea bei Katatonie), wiederholtegleichförmige Bewegungen etc.Anmerkung:Eine umfassende Darstellung dieser Symptome im Detail findetsich in vielen Lehrbüchern der Psychiatrie.10


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIENicht-Wollen-KönnenAls Aussenstehender ist man versucht, <strong>Schizophrenie</strong>krankezu drängen, wenigstensminime Aktivitäten zu entwickeln (Aufstehen,die Medikamente regelmässig zu nehmen, zurArbeit gehen, sich an Regeln halten).Dies ist aber im akuten Schub für die Betroffenennicht mehr möglich. Sie leiden untereinem Nicht-Wollen-Können. Bei der psychotischenAmbivalenz stehen die gegensätzlichenGefühle und Strebungen weitgehend be-ziehungslos nebeneinander. Lachen und Weinen,Liebe und Hass, Wollen und Nicht-Wollen,Angst und Glück bestehen nebeneinander.In ihrem gleichzeitigen Auftreten blockierensie sich gegenseitig, ohne dass die Kranken sichdessen bewusst sind. Damit wird das Nicht-Wollen-Können zum Hindernis für Behandlungund Rehabilitation.BasisstörungenIm Bemühen, das subjektive Erleben von <strong>Schizophrenie</strong>krankenbesser zu erfassen wurdenverschiedene Fragebogen aufgebaut, die diesermöglichen sollen. Wohl das umfassendsteKonzept wurde von Huber und Süllwold inForm des Frankfurter Beschwer defragebogensentwickelt. In 98 Fragen bzw. Feststellungen«Meine Gedanken sind öfter so aufdringlich,als ob etwas laut denkt in mir» (DE)«Zeitweise kann ich nicht reagieren und musseinfach abwarten, bis es wieder geht» (KO)«Manchmal stoppe ich mitten in einer Bewegungund überlege, wie es weitergeht»(MO)«Manchmal kommt es mir vor, als ob derBoden, auf dem ich gehe, sich hebt oderkrümmt» (WAK)«Ganz normale Nebengeräusche, die ich frühernicht beachtet habe, lenken mich jetztübermässig ab» (REI)werden die auf Seite 5 beschriebenen Störungendetailliert in Worte gefasst. Huber und Süllwoldsprechen bei den Störungen des Denkens,der Gefühle und des Ich-Erlebens von schizophrenenBasis störun gen. Diese werden in zehnKategorien eingeteilt:1. KO = Verlust der Kontrolle (Selbstverfügbarkeit)2. WAS = Wahrnehmung (sensorische Irritation)3. WAK = Wahrnehmung komplex4. SP = Sprache5. DE = Denken6. GED = Gedächtnis7. MO = Motorik8. AU = Automatismenverlust9. AN = Anhedonie und Angst10. REI = ReizüberflutungANMERKUNG:In der Internationalen Literatur ist von «kognitiven Störungen»die Rede.Literatur:Süllwold L & Huber G: Schizophrene Basisstörungen, Springer1986.11


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEFormen der <strong>Schizophrenie</strong>1. Hebephrenie(desorganisierte Form der <strong>Schizophrenie</strong>).Früher Beginn, Stimmungslage gleichgültig,freundlich, oberflächlich heiter, situations-unangemessenfröhlich, distanzlos nett und unkritisch(«läppisch»), deutlich verminderteArbeits fähigkeit.2. Katatone <strong>Schizophrenie</strong>Auch wenn zeitweise eine Form besonders imVordergrund steht, kann es bei ein und derselbenPerson im Verlauf der Krankheit zu unterschiedlichenAusprägungen kommen.(z.B. eine Phase hebephren, dann eher kataton,später wieder mehr paranoid).Kombination mit ausgeprägten motorischenStörungen (z.B. stundenlanges Verharren in einerungewöhnlichen Kör per stellung, oder aberErregungszustand)3. Paranoide <strong>Schizophrenie</strong>Im Vordergrund steht ein deutliches Wahnsystem(z.B. Größenwahn, Erfinderwahn, Verfolgungswahn).4. Schizoaffektive PsychoseSchizophrene Symptome und Verlauf mitaus geprägten Gefühlsstörungen (Depression,Manie).5. Schizophrenia SimplexAllmähliche Persönlichkeitsveränderung ohneakuten Schub mit "Versandung" der Gefühle,des Denkens und allgemeiner Lebensuntüchtigkeit,ohne dass es je zu einem akuten Schub einerPsychose gekommen wäre.12


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEVerlaufsformenGrundsätzlich beobachtetman drei Ver laufsformen:a) einmaligeEpisodeb) wiederholte Schübemit Abfall der Leistungsfähigkeitc) chronische VerschlechterungmitschweremRestzustand.ResidualzustandAnzeichen für guten VerlaufKurze KrankheitsdauerRegelmässige MedikamenteneinnahmePatient wird nicht als gefährlich erlebtPatient wird nicht gemiedenKeine finanziellen/ berufl. ProblemeLändlicher HintergrundWährend die Residualphase (S. 8) sozusagendie «Erholungsphase» nach einem akutenschizophrenen Schub ist, handelt es sich beieinem Residualzustand um die langfristigenRestfunktionen einer schizophrenen Person.Diese können mit erheblichen Benachteiligungeneinhergehen:«Im durchschnittlichen Alter von 35 Jahrensind 60 Prozent ledig geblieben, gut die Hälftelebt allein oder noch bei den Eltern, und einDrittel ist sozial sehr isoliert. Ein Drittel kannam Ende der 2-jährigen Nachsorge den Lebensunterhaltselbst bestreiten, knapp die Hälfte istvorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.Verschärfte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarktund erhöhte Anforderungen benachteiligenSchizophrene besonders, trotz Verbesserungdes Krankheitsverlaufs. SozialpsychiatrischeHilfen zur Kontaktförderung, für Wohnenund Arbeit sind mehr denn je erforderlich,um stärkeres Elend zu verhindern.»QUELLE:Müller P. (1998). Zur sozialen Situation schizophrener Patienten.Nervenarzt 69:204-209.13


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIESonderformenImmer wieder trifft man Zustandsbilder, diein manchen Anteilen nicht dem klassischenKonzept entsprechen. Wenn diese als Einheitgefasst werden, so spricht man auch von einemKonstrukt. Folgende Begriffe sind besondershäufig:Spät-<strong>Schizophrenie</strong>Obwohl eine <strong>Schizophrenie</strong> in der Regel vordem 45. Altersjahr auftritt, lassen sich immerwieder Fälle beobachten, wo die schwere Veränderungim Sinne einer <strong>Schizophrenie</strong> erst nachdieser Grenze auftritt. Diese muss allerdingsvon wahnhaften Entwicklungen im Alter abgegrenztwerden, wo sich gehäuft organische Ursachenfinden.PfropfschizophrenieEs handelt sich um schizophrene Symptome,die bei einer vorbestehenden psychoorganischenKrankheit bzw. Hirnschädigung auftreten.Die schizophrene Symptomatik pfropftsich gleichsam auf die organische Störung auf.Der Begriff galt lange als veraltet, wurde aberkürzlich wieder aufgegriffen.Zoenästhetische<strong>Schizophrenie</strong>Im Vordergrund stehen körperliche Beschwerden,wie etwa seltsame und rasch wechselndeSchmerzen, Taubheitsgefüh-le, Elektrisierungs-und Hitzegefühle. Typische Aussage:«Es ist ein ständiges Reissen in allen Nerven,das brennt und elektrisiert, dabei verliert manden Verstand.»SchizotypePersönlichkeitsstörungDurchgängiges Muster von Eigentümlichkeitenin Vorstellungen, äusserer Erscheinungund Verhalten, sowie Mängel in zwischenmenschlichenBeziehungen. Häufig: Beziehungsideen(aber kein Beziehungswahn); extremesoziale Ängstlichkeit; seltsame magische Vorstellungen;ungewöhnliche Wahrnehmungen;Verhalten und äussere Erscheinung wirken oftseltsam oder exzentrisch; keine engen Freundeoder Vertraute; eigenartige Sprache (z.B. verarmt,weitschweifig, vage oder übermässig abstrakt);inadäquater Affekt, oft spröde und unnahbar;Argwohn oder paranoide Vorstellungen.<strong>Schizophrenie</strong> und ZwangsstörungIn etwa 5 Prozent der <strong>Schizophrenie</strong>-Krankenbeobachtet man eindrückliche Zwangssymptome(z.B. Waschzwang). Oft ist es schwierig,zwischen Zwangsgedanken und der Reaktionauf Halluzinationen zu unterscheiden. PsychologischeTests haben deutliche kognitive Defizitegezeigt. Insgesamt ist das Vorhandenseinausgeprägter Zwangssymptome ein Hinweisauf eine schlechtere Prognose, häufig mit einer<strong>Therapie</strong>resistenz auf Antipsychotika. Immerhinkann die Kombination von Antipsychotika mitAnafranil eindrückliche Besserungen bewirken.Manchmal kann aber das Antidepressivum diePsychoseschwelle erniedrigen.14


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIE<strong>Schizophrenie</strong>n im KindesalterIn seltenen Fällen können schon Kinder an einer<strong>Schizophrenie</strong> erkranken (etwa 1 bis 2 Prozentder Erkrankungen). Wie bei Erwachsenen kommtes zu einem deutlichen Einbruch im Vergleichzum vorherigen Wesen und Verhalten.In einer Studie an 44 Patienten (Klapal u.a. 1997)wurden Störungen in folgenden fünf Bereichenherausgearbeitet:1. Kognition - Affekt: stereotypes Denken,leibliche Befindensstörungen, vermindertesabstraktes Denkvermögen, Gespanntheit.2. Sozialer Rückzug: passiv-apathischeIsolation, mangelnde Spontaneität und Gesprächsfähigkeit.3. antisoziales Verhalten: Feindseligkeit,Unkooperativität, Kontaktmangel, Selbstbezogenheit.4. Erregung: mangelnde Impulskontrolle, Erregung,Größenwahn.5. Realitätsbezug: verminderte Urteils- undEinsichtsfähigkeit, Angst, Aufmerksamkeitsschwäche,Halluzinationen.Für die Eltern ist eine solche Erkrankung ausserordentlichbelastend. Nicht selten erlebensie, dass man ihnen die Schuld am Auftretender Störung gibt. Auch hier gilt: <strong>Schizophrenie</strong>ist eine Erkrankung des Gehirns. Sie ist mitMedikamenten bis zu einem gewissen Grad behandelbar,auch wenn die Prognose einer frühauftretenden <strong>Schizophrenie</strong> ernst ist. Die Elternbrauchen einfühlsame Unterstützung im Umgangmit den betroffenen Kindern.Ein FallbeispielBis zu seinem 10. Lebensjahr war Marcoein ruhiges angenehmes Kind mit gutenSchulleistungen. Allmählich veränderte ersich. Er verlor sich immer mehr im Spiel mitseinen Plastikfiguren. Nachts wollte er nichtins Bett. Er wirkte gehetzt und verängstigt.Er machte seitenweise Notizen, wobei dasSchriftbild auffällig ungeordnet war. Er klagteüber Bauchweh: «Die Monster sitzen inmeinem Darm und kämpfen mit dem Laserschwertgegen mich.»Seine Schulleistungen liessen stark nach undoft rannte er hinaus in die Felder statt zurSchule zu gehen. Ermahnungen gegenüberwar er nicht zugänglich. Unter Medikamentenkam es zu einer gewissen Beruhigung,aber Marco wurde apathisch und entwickelteeine ausgesprochene Negativsymptomatik.15


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEEin Entstehungsmodell der Schizophenie(nach Ciompi)16


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEVulnerabilität und Stressbewältigung(nach Spring & Zubin)Vulnerabilität bedeutet Verletzlichkeit,eine erhöhte Anfälligkeitfür das Auftreten vonKrankheitssymptomen (wie z.B.Stimmenhören, Schlafstörungenetc.). Je höher der Stress, destoeher treten Symptome auf.Linie 1 zeigt eine niedrige Vulnerabilität:Es braucht einige Belastungen,bis es zu Symptomenkommt.Linie 3 zeigt eine hohe Verletzlichkeit:Schon kleine Stressoren(ein leichter Vorwurf, Angst vorÜbeforderung) führen zu vermehrtenSymptomen.Durch Medikamente, Reizabschirmungund Gespräche kann die Vulnerabilitätsgrenzeverschoben werden (Pfeil).Unter diesem Schutz hält eine vulnerable Persondeutlich mehr Stress aus.Linie 2 zeigt aber, dass es (bei einer mittlerenVulnerabilität) unter allzu hohem Stress trotzdemnoch zu einem Rückfall kommen kann.Deshalb müssen Patienten angeleitet werden,wie sie Stress und erste Symptome erkennenkönnen, um einem Rückfall vorzubeugen.Das Vulnerabilitätskonzept ist eine derwichtigsten Grundlagen für die Schulungvon Patienten, wie sie Rückfälle vermeidenkönnen.vgl. S. 29Literatur:Schmidt-Degenhardt M. (1988): Disposition - Vulnerabilität - Verletzlichkeit.Der Nervenarzt 59:573–585.17


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEGestörte NetzwerkeGrundlage dieser Störungen sind Veränderungender Nervenleitungen ins Stirnhirn,wo der Sitz der Persönlichkeit ist. Die nebenstehendeAbbildung zeigt Pyramidenzellen desGrosshirns, die durch eine spezielle Färbungsichtbar gemacht wurden.Über 100 Milliarden Nervenzellen bilden gemeinsamdas komplexeste Gebilde der Schöpfung.Die Zellen sind zu Netzwerken verknüpft,die in ihrem Zusammenspiel die Grundlagemenschlicher Eigenschaften, wie Be wusst sein,Ge dächtnis, Denken, Fühlen, Kreativität und Intelligenzbilden. Bei einer <strong>Schizophrenie</strong> ist dieInformationsverarbeitung gestört.Primäre und sekundäre NegativsymptomeNicht immer sind Negativsymptome Ausdruckder schizophrenen Störung selbst.Man kann sich leicht vorstellen, dass ständigesVersagen oder das Zerbrechen von Freundschaftenzum sozialen Rückzug führen können. DieTabelle zeigt die vielfältigen Faktoren, die zusekundären Negativsymptomen führen können.Gründe für sekundäreNegativsymptome– Depression– Persönlichkeitsstörungen– organische Gehirnveränderungen– Drogen / Alkohol / Medikamente– Überstimulation– Unterforderung– «neurotische» Konfliktverarbeitung(nach Marneros)Literaturhinweis:Marneros A.: Negative Symptome der <strong>Schizophrenie</strong>. Thieme19


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEHirnbiologie und <strong>Schizophrenie</strong>Informationen im Gehirn werden durchNeurotransmitter geregelt. Biochemischgesprochen gibt es keinen Gedanken, dernicht durch Neurotransmitter gesteuertwird. Dabei kommt es auf ein reibungslosesZusammenspielen von Wahrnehmung(Hören, Sehen etc.), Informationsdeutung,Informationsverarbeitung undSpeicherung an.Jede Sachinformation wird zudem mitGefühlen gekoppelt. Denken, Fühlen undHandeln werden in verschiedenen «Kernen»des Gehirns gesteuert, die miteinander durchNervenbahnen in engem Kontakt stehen. ImZentrum der Erlebnisverarbeitung steht daslimbische System (1).Durch eine Überaktivität erhält das Gefühlszentrumfalsche Informationen aus den Wahrnehmungszentren(3). Es hört Stimmen undsieht Dinge, die nicht wirklich sind. Aber dieGefühle sind ganz intensiv. Eigentlich solltedas Stirnhirn (2), der Sitz der Persönlichkeit füreine Wirklichkeitsüberprüfung sorgen. Dochbei schizophrenen Menschen fehlt der «Reality-Check»— es kommt zu desorganisiertemVerhalten (4).Zwei Neurotransmitter sind wesentlichfür eine korrekte Informations-Vernetzung:Dopamin und Serotonin. Sie aktivieren undhemmen andere Zellen mit spezifischen Rezeptoren,die man mit Schaltern vergleichenkönnte.Bei einer Psychose ist das Zusammenspielder Hirnregionen und das Gleichgewicht dereinzelnen Neurotransmitter und der Rezeptorenin komplexer Weise gestört.Für die psychotische Aktivität (positive Sym-ptome) ist nach derzeitigem Wissensstand eineDopamin-Überaktivität der limbischenAreale (1) verantwortlich. Diese müssten alsogehemmt werden. Die Minus-Symptomatikscheint eher durch den Serotonin-Stoffwechselbegründet.Die funktion des StirnhirnsAbstraktes und kreatives DenkenLogisches DenkenAusdruck von Sprache und GefühlenEinordnung von sozialen SituationenAufbau von zwischenmenschlichenBeziehungenKonstruktives und beharrlichesAnstreben von Zielen.Aufgaben angehen und durchhaltenPlanen für die ZukunftAnpassung an neue Situationen20


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEEin Computermodell der <strong>Schizophrenie</strong>Die obige Darstellung ist ein äußerst vereinfachtesModell der Funktionsweisedes menschlichen Gehirns. Unser Gehirn isttausend fach komplexer als jeder Computer.Unser Gehirn ist auch mehr als nur eine Maschine,die Geistesdimension lässt sich in keinModell einfangen. Dennoch hilft uns das Bild,Störungen der Gehirntätigkeit besser zu <strong>verstehen</strong>.Bei den Psychosen ist in erster Linie die Informationsverarbeitunggestört. Während etwabei einer Depression das inhaltliche Denken gestörtist («Ich bin nichts wert» oder «Niemandhat mich gern»), steht bei der <strong>Schizophrenie</strong>das formale Denken im Vordergrund, also dieArt, wie der Denkvorgang abläuft. Eine Psychosekann mit einem Computer-Absturz verglichenwerden. Richtige Wahrnehmungen werdenfalsch gedeutet, mit falschen Speicherinhaltenverglichen und führen daher auch zu falschenReaktionen.Zudem gaukelt das Bewusstsein Inhaltevor, die ungewollt aus dem Speicher abgeru-fen werden und mit aktuellen Wahrnehmungenzu einem Gemisch verarbeitet werden, das wirdann als Wahn bezeichnen.Ein völliges Blockieren der Bildschirmfunktion(«Absturz») kann einer Katatonie verglichenwerden.Bei einer Psychose istdas Zusammenspielder Hirnregionen und dasGleichgewicht der einzelnenNeurotransmitterin komplexer Weisegestört.21


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIERisiko Cannabis«Ich trauere um die Erfahrungen, dieich wegen meiner Motivationslosigkeitnicht gemacht habe. Das Gehirnhabe ich anstatt mit kreativen Impulsenmit Schwachsinn gefüllt.Die wichtigsten Jahre meiner Jugendsind ein grosser, grüner Brei»Lange Zeit hielt man das «Kiffen» für eineharmlose Freizeitdroge. Neuere Studien belegenimmer deutlicher: Bei dauerhaftem Cannabis-Konsumkönnen nachhaltige Schäden im Gehirnentstehen. Besonders gefährdet sind jungeMenschen, die bereits eine gewise Vulnerabilitäthaben. Bei ihnen kommt es gehäuft zumAuftreten von Psychosen.Der Wirkstoff THC ist heute durch neue Anbaumethodenviel stärker konzentriert als nochvor 20 - 30 Jahren, als die Flower-Power-Generationdie Wasserpfeife kreisen liess.Die Suchtgefahr ist nicht zu unterschätzen:Jeder Zehnte der 18- bis 24-Jährigen, die Cannabisprobieren, wird davon abhängig oder betreibtzumindest «schädlichen Gebrauch».Studien zeigen, dass bei regelmässigem Konsumdas Denkvermögen oft schon nach kurzerZeit zu leiden beginnt. Wortfindungsstörungen,Vergesslichkeit und verminderte Fähigkeit,Neues aufzunehmen, führen zu Lernschwierigkeiten,die Weichen fürs Leben stellen:Schulversagen, Lehr- und Studienabbruchführen zu einer verminderten beruflichen Qualifikation.Insbesondere bei jüngeren Konsumentenkommt es zu einer Verzögerung der Hirnreifungmit nachhaltigen Schäden. Heute wird zunehmenddeutlich, dass ein jugendliches Gehirn,das regelmässig mit Rauschmitteln zugedröhntwird, regelrecht auf Sucht programmiert wird.Bei sensiblen jungen Menschen wird <strong>Schizophrenie</strong>durch Cannabismissbrauch um Jahrefrüher ausgelöst — mit weitreichenden negativenFolgen für Ausbildung, Berufstätigkeitund Rehabilitation.Ein Betroffener, Spiegel 27/2004fOLGEN VON cANNABIS-kONSUM— Psychische Abhängigkeit— Konzentrationsstörungen— Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen,vermindertes Lernvermögen— Störung der neuronalen Reifung— Verzögerung der Persönlichkeitsentwicklung— «Amotivationales Syndrom»— Verstärkung einer Veranlagung zu psychischenLeiden (spez. Psychosen).22


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEBehandlung der <strong>Schizophrenie</strong>Eine schizophrene Erkrankung beginnt oft miteiner schleichenden Persönlich-keitsveränderung.In dieser Phase spüren die Betroffenennur diffus, dass etwas nicht stimmt und suchenHilfe bei verschiedensten Angeboten. Je früherdie Problematik erkannt wird, desto rascherkann geholfen werden.Dies hat offenbar auch Einfluss auf den Verlauf.Nach einer ersten Episode kommt es in 88% zu einer Erholung (recovery).Medikamente und RückfallprophylaxeRückfälle sind ein grosses Problem für schizophrenePatienten. Sie beeinträchtigen dieLebensqualität, behindern Beruf und Privatlebenund führen immer wieder zu stationärenBehandlungen. Viele dieser Rückfälle könnteneigentlich durch eine konsequente neuroleptischeLangzeitbehandlung vermieden werden.Studien haben zudem ergeben, dass einekonsequente medikamentöse Prophylaxe erheblicheEinsparungen mit sich bringt. Ziel derAnstrengungen muss es daher sein, Patientenund Ärzte zu schulen und über die Möglichkeitender Rückfallprophylaxe aufzuklären.23


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEMedikamentöse BehandlungWie lange muss man Medikamenteeinnehmen?Nach einer ersten Episode mindestens einbis zwei Jahre lang. Nach dem zweiten Schubsollte mindestens fünf Jahre lang neuroleptischbehandelt werden, um einem Rückfall vorzubeugen.Medikamente haben das Schicksalvon <strong>Schizophrenie</strong>krankenentscheidend verbessert. Obwohl Nebenwirkungenstörend sein können,verbessert sich dieLebensqualität dennoch dramatisch.Welches sind die häufigstenNebenwirkungen?Die genauen Nebenwirkungsprofile solltender Packungsbeilage entnommen werden undkönnen hier nicht im Detail erwähnt werden.Zudem werden Nebenwirkungen je nach Personganz unterschiedlich erlebt. Besonders störendbei den klassischen Antipsychotika können EPSsein (vgl. unten). Weitere Nebenwirkungen könnensein: Sedierung, Blutdrucksenkung, Hautausschläge,Gewichtszunahme, Mundtrockenheitoder vermehrter Speichelfluss.kann man sie <strong>behandeln</strong>?EPS = Extrapyramidalmotorische Symptome,d. h. parkinson-ähnliche Beschwerden: SchlaffeGesichtsmimik, «Robotergang», Muskelverkrampfungen(Augen, Kiefer, Schlund). Auf einentsprechendes Gegenmittel (z.B. Akineton)sprechen die EPS meist gut an.In etwa 5 - 10 Prozent der mit klassischenAntipsychotika behandelten Pat. kommt eszu einer Spätdyskinesie (unwillkürliche Bewegungenim Mundbereich, aber auch in anderenKörperbereichen). Sie bilden sich in der Regelnach Absetzen des Medikaments zurück, könnenaber lange andauern. — Darum ist es das Zielneuer Antipsychotika, dass es bei einer normalenDosierung nicht mehr zu EPS kommt.Wie schnell wirken Antipsychotika?Eine Beruhigung kann innert wenigen Stundenund Tagen einsetzen; für eine psychischeStabilisierung kann es aber Monate dauern. Ausdiesem Grund sollte man a) nicht zu rasch dasPräparat wechseln und b) nicht immer höher dosieren,um eine Wirkung zu erreichen. Geduldist oft wichtiger.Muss man Antipsychotika beiSchwangerschaft absetzen?Bis heute ist keine Schädigung des werdendenKindes durch klassische Antipsychotikabekannt. In jedem Fall ist aber eine engmaschigeärztliche Betreuung angezeigt.Was versteht man unter EPS und wie24


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEEin vereinfachtes SchemaDas obige Schema ist sehr vereinfacht. AusGründen der Didaktik wurden nicht alle Medikamenteund alle Besonderheiten im Detail aufgezeigt.DEPOT-AntipsychotikaLeider sind manche Patienten mit einer<strong>Schizophrenie</strong> nicht zuverlässig in der Medikamenteneinnahme.Wenn sie die Medikamentewieder weglassen, kommt es oft zumnächsten Rückfall.Aus diesem Grund gibt es Antipsychotika, dieals Spritze verabreicht werden können (z.B.Risperdal-Consta u.a.). Die Wirkung einerSpritze dauert 2 bis 4 Wochen an. Damit wirdeine bessere Compliance (= <strong>Therapie</strong>treue)erreicht.In der Akutbehandlung gilt es, einerseitsdie psychotischen Positivsymptome zu <strong>behandeln</strong>.Gleichzeitig kann aber auch starkeAngst und Erregung vorhanden sein, die aufdie Antipsychotika nicht genügend ansprechen.Erste Wahl zur Beruhigung sind nach heutigerAuffassung Tranquilizer (z.B. Lorazepam),ohne dass man Angst vor einer Suchthaben müsste.Schliesslich achtet man bei der Wahl des Medikamentsauf die Nebenwirkungen. Insbesonderedie klassischen Antipsychotika können EPSerzeugen und erfordern oft ein «Gegenmittel»,z.B. Akineton.25


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDie Wirkweise der AntipsychotikaDie typischenAntipsychotika (Prototyp:Haloperidol) entfaltenihre antipsychotischeWirkung durch Hemmungder Dopamin-D2-Rezeptoren.Allerdings hemmensie auch die D2-Rezeptorenin den Basalganglien(bzw. im NigrostriatalenSystem). Dadurchkommt es zu parkinsonähnlichenSymptomen(EPS = ExtrapyramidalmotorischeSymptome).Atypische Antipsychotika (Vertreter:Zyprexa, Seroquel, Risperdal, Solian, Abilify)greifen deutlich weniger in die Bewegungssteuerungein (d.h. viel weniger EPS) und habendurch die Hemmung von Serotonin-Rezeptorenauch eine bessere Wirksamkeit bei Negativ-Symptomen.Atypische AntipsychotikaDurch intensive biochemische Forschungsind heute fünf Dopamin- und etwa 10 Serotonin-Rezeptorenbekannt. Seit ca. zehn Jahrensind neue Antipsychotika auf dem Markt,die folgende Besonderheiten zeigen:wenig EPS (praktisch keine bei Leponex undSeroquel, erst in höherer Dosierung bei Risperdal,Solian und Zyprexa).weniger kognitive Einschränkung:Unter den atypischen Antipsychotika klagen Pa-tienten viel weniger über gedankliche Verlangsamungund Einschränkungen bei alltäglichenVerrichtungen.Problem Gewichtszunahme: einige deratypischen Antipsychotika (insbesondere Leponexund Zyprexa) führen bei ca. 20 % der Patientenzu einer deutlichen Gewichtszunahme.Weniger Gewichtszunahme beobachtet man beiSolian (Amisulpirid), Seroquel (Quetiapin) undAripiprazol (Abilify).26


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIERechtzeitige Behandlung — Warum?Studien haben gezeigt, dass Patienten, die nichtrechtzeitig mit Medikamenten behandelt werdern,folgende Nachteile haben:Psycho-EdukationVerschiedene Kliniken und Beratungsstellenbieten Psychoedukative Gruppen für <strong>Schizophrenie</strong>krankeund ihre Angehörige an. Dabeilernen sie, die Krankheit besser zu <strong>verstehen</strong>und Symptome eines Rückfalls rechtzeitig zuerkennen. Die dabei erlernten Strategien derBewältigung können wesentlich für die Verhinderungeines Rückfalls sein.— langsamere und weniger vollständige Erholung— schlechtere Prognose— erhöhtes Risiko von Depression und Suizid— Störung der psychologischen und der sozialenEntwicklung— Beziehungs-Stress: Verlust von Unterstützungin Familie und Umfeld— vermehrte psychologische Probleme in derFamilie des Patienten— Unterbrechung von Studium und Arbeit, Gefahrdes Arbeitsplatz-Verlustes— vermehrter Missbrauch von Alkohol und Drogen(als fehlgeleitete Selbstbehand lung)— Risiko von Gewalt und kriminellen Handlungen— unnötige Hospitalisationen— Verlust von Selbstwert undSelbstvertrauen— langfristig erhöhte Behandlungskosten.Was bringt es, Medikamente zu nehmen? Dielangfristige Prognose ist etwa 10 Prozent besserund die Lebensqualität ist deutlich erhöht.Primäre Ziele derPsychoedukation— Mithilfe der Patienten zur Verhinderungvon Rückfällen und zu frühzeitiger Intervention;Vermeiden von Ohnmachtsgefühlen.— Regelmässige Medi-Einnahme— Begrenzung des Verlustes psychosozialerFunktionen— Milderung der Auswirkungen der negativenSymptome— Vermindern von zwischenmenschlichenKonfliktenSekundäre Ziele:— Verlagerung des Schwerpunkts von «<strong>Schizophrenie</strong>»auf «Krankheit»— Entmystifizierung der Ursachen und Ausräumenvon Vorurteilen— Erfahrungsaustausch zwischen erfahrenenund neu diagnostizierten Patienten— Trost – «Sie sind nicht allein»— Verbesserung der Lebensqualität.27


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIESoziales TrainingIn der Rehabilitation von Menschen mit einer<strong>Schizophrenie</strong> hat sich ein praxis-orientiertessoziales Training, verbunden mit dem Trainingvon kognitiven Funktionen sehr bewährt. EntsprechendeProgramme wurden insbesonderein Bern entwickelt. Wie die Abbildung zeigt,werden dabei fünf Stufen unterschieden.Hilfreiche SpieleIn einem sozialen Gruppentraining kann diesesTraining auch spielerisch unterstützt werdendurch das Spiel «Competence» oder «Der Weg istdas Ziel».(erhältlich bei der Firma Lundbeck).Abbildung:Schematische Darstellung des fünfstufigenProgramms zur integrierten <strong>Therapie</strong> kognitiver,kommunikativer und sozialer Fähigkeiten. (nachBrenner et al. 1987)28


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEWie beugt man Rückfällen vor?Medikamente:Da es sich bei der <strong>Schizophrenie</strong> um eine Erkrankungdes Gehirns handelt, haben Medikamenteeinen wesentlichen Einfluss auf das Zustandsbild.Im Vordergrund stehen die Antipsychotika(vgl. S. 26). Sie führen allgemein zu einer Beruhigungund zu einer Ordnung der Denkvorgänge.Seit der Einführung der Medikamentekonnten in den westlichen Ländern mehr als einDrittel aller Betten in der Psychiatrie abgebautwerden. Eine ärztlich kontrollierte Dauermedikation(z.B. mit Depot-Spritzen) ist die wichtigsteSäule der Rückfallprophylaxe, auch wenn nichtalle Probleme durch die Medi ka men te gelöstwerden können.Abbildung: Faktoren der Rückfall-ProphylaxeGeregelter Tagesablauf:Ziel ist einerseits Schutz vor Stress, an de rerseitsdas Training der noch vorhandenen Fähigkeiten.Ein geregel ter Tagesablauf ist wichtig aus folgendenGründen:1. Klares zeitliches Programm, schafft Anhaltspunktefür den Patienten.2. Vermittelt das Gefühl: man wird gebraucht,kann etwas machen.3. Die Angehörigen werden entlastet, die Betreuungauf mehrere Schultern verteilt.Emotionales Klima:Menschen, die an einer <strong>Schizophrenie</strong> leiden,sind allgemein weniger belastbar. Die Einstellungihrer Umwelt, insbeson dere die der Angehörigen,kann zur Vorbeugung eines Rückfalls bei tra gen.Es gilt, den Patienten mit seinen Grenzen anzunehmen,ohne sich zu überengagieren.FrühwarnzeichenZur Verhütung eines Rückfalls ist eswichtig, dass ein Patient die Anzeichenkennt, die eine erneute Entgleisung ankündigen.Folgende Symptome sind besondershäufig:— Nervosität, Spannung— Niedergeschlagenheit— Schlafstörungen— Unruhe— Konzentrationsstörungen— Lustlosigkeit— Appetitstörungen— Gedächtnisstörungen— Sozialer Rückzug— «Andere lachen über mich»— «Andere sprechen über mich»— Übererregbarkeit— Stimmenhören— Gefühl der Wertlosigkeit29


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEIst Heilung ohne Medikamente möglich?Immer wieder besteht die Hoffnung, einenMenschen allein durch ein verständnisvollesUmfeld und eine Abschirmung von belastendenReizen (therapeutisches Milieu) von seiner schizophrenenPsychose heilen zu können. In derTat sind diese Elemente wichtig für eine guteBehandlung.1984 wurde in Bern im Rahmen eines sozialpsychiatrischenProjektes die «Soteria», einespezielle therapeutische Wohngemeinschaftgegründet, die das Ziel verfolgte, schizophrenePatienten mit möglichst wenig Medikamentenzu heilen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass einekleine Gruppe von leicht Erkrankten von diesemKonzept profitieren konnte. Der personelle Aufwandwar jedoch hoch; zudem war die Rückfallprophylaxeohne Medikamente nicht gesichert.Viele Patienten konnten gar nicht von dem Projektprofitieren, weil sie die Bedingungen für dieAufnahme nicht erfüllten.Fazit: Eine Behandlung ohne Medikamenteist in leichteren Einzelfällen möglich, in der Regelbringt aber nur eine integrative <strong>Therapie</strong> von Milieu,Medikamenten und sozialer Reintegrationoptimale Ergebnisse.Selbsthilfe schizophreniekranker MenschenMenschen mit einer <strong>Schizophrenie</strong> findenoft auch eigene Strategien, mit den störendenSymptomen besser umzugehen. Hiereinige Beispiele:1. Umgang mit der Angst: Selbstzuspruch(z.T. Selbstgespräche), Ablenkung, Kontaktsuche,Rückzug.3. Umgang mit Wahrnehmungs-störungen:Übertönen der Stimmen durch lauteMusik (Radio, MP3-Player), aber auch (obwohlnicht logisch) durch Ohrstöpsel. – Verminderungder Halluzinationen durch Reizabschirmung,Rückzug oder durch bewusstesFokussieren auf die Gegenwart: «Ich bin jetzthier in meinem Zimmer!»2. Umgang mit Inaktivität: Aktivität inForm von Spaziergängen, Laufen, Gymnastik,Arbeit. - Aktivierung durch Kaffee (Cave:Kann Wirkung der Antipsychotika vermindern!).4. Missbrauch von Suchtmitteln(Alkohol, Drogen, Rauchen) zur Beruhigungund zum Angstabbau.30


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEPsychotherapie der <strong>Schizophrenie</strong>Gesprächstherapie ist abhängig von der Gesprächsfähigkeiteines Menschen, von seinerFähigkeit, das Gesagte zu <strong>verstehen</strong>, richtigeinzuordnen und anzuwenden. Weil bei schizophrenenMenschen — insbesondere im akutenSchub — das Denken schwer gestört ist, sinddem therapeutischen und dem seelsorglichenGe spräch enge Grenzen gesetzt.Die Gesprächsfähigkeit ist bei schizophrenenMenschen je nach Phase unterschiedlich. Amwenigsten ist sie in der akuten Phase vorhanden.Dazwischen ist jedoch häufig ein normalesGespräch möglich. Ähnlich verhält es sichauch mit dem religiösen Leben. Es wird durchdie Denkstörung stark verzerrt, kann nachherjedoch wieder völlig normal werden und einewichtige Stütze für den Patienten sein.Eine gesprächstherapeutische und seelsorglicheBegleitung sollte bei schizophrenenMenschen nur im Rahmen einerpraktischen und stützenden Atmosphäre geschehen.Stark aufdeckende oder gefühls-intensive<strong>Therapie</strong>n können die Krankheit eherverschlechtern und bis zum Suizid führen.Gruppentherapie ist nur dann sinnvoll,wenn der Schwerpunkt auf mehr oder minderneutralen Themen liegt. Hilfreich kann das gemeinsameBesprechen von sozialen Situationensein, um Sicherheit im Umgang mit andernMenschen und praktischen Alltagsaktivitätenzu trainieren (vgl. S. 28).Supportive Psychotherapie: Am bestengeeignet ist bei einer grossen Teilgruppe schi-zophrer Kranker eine begleitende, führende undstützende Psychotherapie in der Verbindungmit Medikamenten.Eine solche supportive Psychotherapie mitregelmässiger Beratung, die sich auf konkreteLebens- und Krankheitsprobleme einschliesslichder Medikamentenverordnung konzentriert,kann die gesunden Persönlichkeitsanteileund die Entwicklung von BewältigungsundSelbstschutzreaktionen stärken.«Provoziere nicht;sei nicht zu aktiv; suche nichtden Grundkonfliktallzu energisch aufzuklären;bezwinge dein psychoanalytischesInteresse und deine Begierde,ganz zu <strong>verstehen</strong>.»(Paul Federn, Psychoanalytiker)Weitere Informationen:W. Rössler: Psychiatrische Rehabilitation. Springer 2004.(mit einem sehr lesenswerten Kapitel über «Supportive <strong>Therapie</strong>»).31


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDer religiöse Wahn und seine Erklärunga) Religiöse Bilder zur Erklärungschizophrenen Erlebens:Die Erlebnisse einer sch izo phrenen Denkstörungsind oft sehr unheimlich, »überirdisch”,fremd und bedrohlich und lassen sich mit derbisherigen Erlebniswelt nicht mehr erklären.Übernatürliche Kräfte und Visionen, verzückendeGlücksgefühle, aber auch zerstörerische,negative Mächte werden spürbar. Irdische Bilderreichen oft nicht mehr aus. Doch aus der Religionsind Engel und Dämonen, prophetische Botschaftenund übernatürliche Wunder bekannt.Und so entwickeln selbst Menschen, die im Alltagnicht vom christlichen Glauben geleitet werden,die phantasiereichsten religiösen Wahngebilde.Klingt der schizophrene Schub wieder ab,so kehrt auch der Glaube wieder auf das vorherigeNiveau zurück.chen. Gerade hier ist viel Verständnis für ungewöhnlicheAusprägungen christlichen Gedankengutsnotwendig, um dem Patienten nicht unrechtzu tun. Oft ist es nicht leicht zwischen Wahn,Aberglaube oder religiöser Sonderlehre zu unterscheiden.Wird eine Überzeugung (Beispiele:Glaube an den Weltuntergang; bei Judenund Moslems: Verunreinigung durch das Essenvon Schweinefleisch) von vielen anderen gesundenMenschen geteilt, so müssen neben demGlaubensinhalt auch noch andere Zeichen füreine psychotische Erkrankung erfüllt sein, bevorvon einem Wahn gesprochen werden darf, selbstwenn die Betreuer diese Überzeugung nicht teilen.b) Wahnhafte Verzerrung echterReligiosität:Hat eine Person vor ihrer Erkrankung einengesunden Glauben, so kann dieser wie andereLebensinhalte durch die Krankheit verzerrtempfunden und geäußert werden. Der Wunsch,andere zu «erretten» kann so stark werden, dasssich beispielsweise eine junge Frau mit einemMesser verletzt, um ihr Blut zu geben. Unterder Behandlung klingen solche Störungen wiederab, das Glaubensleben erleidet in der Regelkeinen bleibenden Schaden. Zu dieser Kategoriegehören auch depressive Wahnideen, wiez.B. Versündigungsideen, die groteske Formenannehmen können.c) Besondere AUSPRÄGUNGEN DES GLAU-BENS werden durch die Betreuer beim schizophrenenPatienten als Ausdruck seiner Krankheitempfunden, obwohl diese dem Glauben seinerKirche oder seiner religiösen Gruppe entspre-Allgemein gilt: Der religiöse Wahn ist nureines der möglichen Themen des Wahns. Niemalsdarf man aus dem Wahninhalt ableiten, daß darindie Ursache für die schizophrene Erkrankung zusuchen sei. Dies wäre genau so absurd, wie wennman die Technik für den Ausbruch einer <strong>Schizophrenie</strong>verantwortlich machen würde, bei dersich der Patient von Lasern und Computern beeinflußtfühlt.32


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEDas «Israel-Syndrom»Jedes Jahr erkranken 50 bis 200 Touristen in Jerusaleman einer psychotischen Phase, in dersie Wahnideen entwickeln, sie seien biblischeGestalten. »Jeder Dritte hält sich für Jesus Christus,aber auch in ‹Gott› oder einen ‹Teufel›wollen sich manche verwandelt haben. WährendChristen eher die Rolle von Aposteln liegt, bevorzugenJuden König David, Abraham oder einender biblischen Propheten. . . Für den plötzlichenAusbruch der Krankheit macht Dr. Bar-El dieüberwältigenden Eindrücke verantwortlich, diein der Heiligen Stadt auf einen tiefgläubigenNeuankömmling einstürmen. Meist löst sich«Okkulte Belastung» und KausalitätsbedürfnisWenn schwere Ereignisse über sie hereinbrechen,so neigen viele Men schen unwillkürlichdazu, eine Ursache für die Erkrankungzu suchen. «Was ist schuld? Haben Drogen diePsychose ausgelöst? Sind giftige Dämpfe amArbeitsplatz schuld?» etc.Bei religiösen Menschen wird häufig die Fragegestellt, ob möglicherweise dämonische («okkulte»)Einflüsse hinter dem Geschehen stehen.Wenn im Verlauf der Entwicklung einer psychotischenKrise ein Kontakt mit «okkulten Praktiken»(z.B. eine Person hat sich von einer Wahrsagerinaus der Hand lesen lassen) aufgetretenist, so wird darauf geschlossen: Schuld an derPsychose ist eine «okkulte Belastung». Hätte siedas nicht getan, so hätte sich keine Psychoseentwickelt. Oft werden dabei wesentliche Aspektein der Diagnostik und in der umfassendenProblembeschreibung ausser acht gelassen.Grundsätzlich gilt: Eine magische Betätigung(insbesondere in ihren dramatischen und angstauslösendenFormen) kann zwar Auslöser oderfehlgeleiteter Bewältigungsversuch sein, sie istaber nicht Ursache der Erkrankung.In einer eigenen Studie (*) an 60 religiösen<strong>Schizophrenie</strong>patienten fand sich bei 53 % dieVermutung einer «okkulten Belastung».28 (46 %) suchten eine Heilung durch einBefreiungsgebet oder durch einen Exorzismus(besonders häufig in charismatischen Gemeinschaften).In einzelnen Fällen führten solche Ritualezu einer Verschlechterung der Symptomatik,einerseits wegen der psychischen Belastung,andererseits wegen des Verzichts auf Medikamente.In keinem Fall konnte eine Verbesserungdes langfristigen Verlaufes festgestellt werden.* Pfeifer S. (1994): Belief in demons and exorcism. Brit J MedPsychol 67:247–258.Weitere Artikel zum Thema können heruntergeladen werden vondieser Website: www.seminare-ps.net.der Wahn nach einigen Tagen von alleine wiederauf.» (aus Psychologie Heute, August 1992, S. 14)33


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEHäufige Fragen bei religiösen PatientenMit welchen Fragen wird der Seelsorger konfrontiert?In meinen Gesprächen sind mirdrei Gruppen von Fragen begegnet:1. Sinn‐ und Glaubensfragen2. Fragen zur Krankheit:Ursachen, Verlauf, Medikamente etc.3. Fragen zur Lebensbewältigung:a) Umgang mit mangelnderBelastbarkeitb) praktische Lebensgestaltungc) Beratung und Trost der AngehörigenReligiösen Wahnideen sollte man nicht allzugroße Aufmerksam keit schenken, da sie sichin den meisten Fällen von selbst zurückbilden.Bestenfalls kann man ihnen in einfachen, vonÜberzeugung getragenen Worten die biblischenTatsachen entgegen halten.Bei einem Residual zustand braucht es immerwieder den tröstenden Zuspruch, daß der Werteiner Person vor Gott nicht abhängig ist von ihrerLeistung. ‐ Die Antworten in solchen Situationensind ähnlich wie in der Betreuung vonMenschen, die an schweren körperlichen Behinderungenleiden.Es versteht sich von selbst, daß der seelsorglicheZuspruch nie isoliert von einer praktischenBetreuung und Beratung des Patienten und seinerAngehörigen steht.Das Erlebnis einer Psychose wirft fürden gläubigen Patienten und seine Angehörigengrundlegende Fragen auf, die siemit dem Psychiater zumeist nicht besprechenkönnen. Hier sind einige Beispiele:«Warum läßt Gott das zu?»Fragen im Zusammenhang mit besonderenGlaubensauffassungen:«Wenn Christus doch Heilung verspricht,warum bin ich immer nochso schwach?» — «Woher kommt dieseKrankheit: liegt Sünde oder eine okkulteBelastung vor?»«Wir haben alles versucht, warum nütztdas Gebet nicht?»«Was nützen mir Medikamente, wennmeine Probleme doch von einem unreinenGeist verursacht werden?»«Weshalb ist das geistliche Leben sogestört?»Dora, 23jährig, Verkäuferin: «Ich habekeine Glaubens gewißheit mehr! Es ist,als würde mir die Gewißheit von meinerNachbarin weggenommen. Sie schautimmer so finster drein.»Reinhard, 32, Lehrer: «Ich bin oft somüde und verstehe die Bibel gar nichtmehr. Ich liege einfach herum. KannGott mich überhaupt noch annehmen?»Und schließlich: «Gibt es noch Hoffnung?»34


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEZusammenarbeit von Arzt und SeelsorgerSeelsorge ist abhängig von der Gesprächsfähigkeiteines Menschen, und von seinerFähigkeit, das Gesagte zu <strong>verstehen</strong>, richtigeinzuordnen und anzuwenden. Weil bei schizophrenenMenschen – insbesondere im akutenSchub – das Denken schwer gestört ist, sind demseelsorglichen Ge spräch enge Grenzen gesetzt.Die Gesprächsfähigkeit ist bei schizophrenenMenschen je nach Phase unterschiedlich.Am wenigsten kann ein Ratsuchender währendeiner akuten psychotischen Phase aufnehmen.Dazwischen ist jedoch häufig ein normalesGespräch möglich. Ähnlich verhält es sichauch mit dem geistlichen Leben. Es wird durchdie Denkstörung verzerrt, kann nachher jedochwieder völlig normal werden und bei der Erholungeine wichtige Stütze für den Patienten sein.Fragen zur Krankheit: Gerade weil die<strong>Schizophrenie</strong> so schwer zu <strong>verstehen</strong> ist, wirdauch der Seelsorger mit Fragen zu dieser Krankheitkonfrontiert und sollte einige Antwortengeben können.Häufig wollen die Kranken auch die Meinungdes Seelsorgers zu den Medikamenten hören:»Muß ich noch Tabletten nehmen?” fragen siedann etwa. »Ich will doch nicht süchtig werden!”In keinem Fall sollte man einem Ratsuchendenvon der Einnahme von Antipsychotika abraten.Verweisen Sie ihn immer an seinen Arzt und erklärenSie ihm, wie hilfreich Medikamente sind,auch wenn er einige Nebenwirkungen verspürt.Es ist besser, mit Hilfe von Mitteln außerhalbder Klinik leben, arbeiten und den Gottesdienstbesuchen zu können, als ohne Tabletten oderSpritzen wieder in eine Psychose zu geraten. Dieregelmäßige Einnahme von neuroleptischen Mittelnist nicht einer Sucht gleichzusetzen.Kontakt aufnimmt!Die medizinische Betreuungschliesst eine behutsame seelsorglicheBegleitung nicht aus. Vielmehrist es gerade für den gläubigen Menschen,der durch das beängstigendeErlebnis einer Psychose gegangenist, ein Bedürfnis, seine Krankheitaus der Perspektive seines Glaubenszu <strong>verstehen</strong> und zu verarbeiten.Angehörigenbetreuung: Auch die Angehörigenhaben manchmal das Bedürfnis nach einerAussprache. Wie oft stehen sie in dem Dilemma:«Was ist im Verhalten des Patienten krankheitsbedingt,was ist Absicht? Wie sollen wir uns verhalten?Wo sind die Grenzen, die eine erneuteEinweisung in die Klinik nötig machen?» Die Beantwortungdieser Fragen ist nicht immer möglich,selbst nicht für den Erfahrenen. Oft gehtes nicht in erster Linie um Recht oder Unrecht,sondern um die Tragfähigkeit der Angehörigenund Betreuer in einer bestimmten Situation.Rückfallprophylaxe: Falls Sie beobachten,daß ein schizophrener Mensch plötzlichweniger schläft und stärker angetrieben ist, sowirken Sie darauf hin, dass er mit seinem Arzt35


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEWie verhält man sich in der Akutphase?1. Bleiben Sie ruhig und versuchenSie, den Menschen immer wieder auf diereale Ebene zurückzubringen, d.h. sprechenSie ihn auf die wirk liche Situation an, auchwenn diese Kranken für Ihre Argumente nurschwer zugänglich sind. Die Umstände, unterdenen die Einwei sung in eine Klinik erforderlichwird, können dabei sehr dramatisch sein,so daß der Helfer leicht aus dem Konzeptgerät.2. Seien Sie konsequent undtun Sie alles, damit der Kranke zu einerärztlichen Behandlung motiviert wird. DieseKranken müssen grund sätzlich fachärztlichversorgt werden. Ein akuter Schub der <strong>Schizophrenie</strong> kann nur selten ambulant erfolgreichbehandelt werden. In der Regel habendiese Menschen keine Krankheitseinsicht,darum ist es u.U. erforderlich, daß Sie ihnendiese Entscheidung abnehmen; da bei dürfenSie selbst keine Unsicherheit zeigen. Da dieseKranken ihre Orientierung verloren haben,müssen Sie diese Orientierung geben.raus und reden Sie mit ihm ganz natürlich.4. Besuchen Sie die Person währendihres Aufenthaltes in der Klinik, damitsie die Beziehung zu der normalen Weltnicht verliert. Es ist dabei wichtig, daß derKranke während seines Klinikaufenthaltesauf das vorbereitet wird, was danach auf ihnzukommt.5. Geben Sie praktische Hilfeund vergessen Sie nicht die Not der Angehörigen.Versuchen Sie nach der Klinikbehandlung,den Kranken mit großer Ausdauer undGeduld im Rahmen seiner Möglichkeiten zueiner normalen Lebensgestaltung anzuhalten.6. Verlieren Sie nicht dieHoffnung. Vergessen Sie nicht, daß esin 75 % bei einer fachgerechten Behandlungzur Besserung kommt, auch wenn es viel Zeitbraucht. Überfordern Sie den Kranken nichtdurch zu hohe Erwartungen.3. Verhalten Sie sich natürlichund ungezwungen, gehen Sie nicht ineine Art Schutzstellung, sondern setzen Sieein soziales Verhalten bei dem Kranken vo-36


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEPlädoyer für die SchwachheitIn unserer auf Leistung, Gesundheit und Erfolgausgerichteten Gesell schaft werden dieSchwachen an den Rand gedrängt. Studienhaben gezeigt, daß die Wiedereingliederungund die Annahme schizophrener Menschen inländlichen Gegenden deutlich besser erreichtwird als in städtischen Regionen.Eine verbesserte Akzeptanz beginnt bei unsererWertung schwacher und behinderter Mitmenschen,insbesondere bei psychischen Störungen.Warum nur Krebs oder Diabetes als chronischeorganische Krankheit ansehen, nichtaber Stoffwechsel störungen im Gehirn? LösbareProbleme wollen wir lösen. Doch wir brauchenauch die Bereitschaft, unlösbare Problemezu tragen.Zwischen Förderung und ÜberforderungDie Begleitung von Patienten und Angehörigenbedeutet immer einen «Seiltanz» zwischenFörderung und Überforderung, zwischen zu hohenZielen und Resignation.Eine Psychotherapie, die nur Eigenverantwortungund Einsicht betont, und dadurch Heilungverspricht, ist letztlich kontraproduktiv und unbarmherzig.Familien-perspektiveEinige Merkpunkte:1. Psychiatrisches Handeln bedeutet, dass ichmich nie auf einen Einzelmenschen sondernimmer auf eine ganze Familie einlasse.2. Die Familie ist der Ort der Entstehung psychischerStörungen, nicht aber ihre Ursacheund daher auch nicht der Anlass für Schuldzuschreibung.3. Wir haben uns ein Bild von den Entwicklungsstufenim Erwachsenenalter zu machen.4. Ich habe ständig mein Bild vom Sinn, vonder Funktion, von der Aufgabe der Familieaus der Erfahung anzureichern.(nach K. Dörner)Ähnliches gilt auch für eine Seel Sorge,die immer nur die Verantwortung, die Sündeund das Ziel der Ge sundheit betont. Hoffnungliegt meist nicht in völliger Heilung, sondernin einem Leben, das mit Grenzen sinnvoll gestaltetwird.37


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEMitbetroffen und mitleidend: Die AngehörigenEs wäre völlig falsch, die Angehörigen einesschizophren erkrankten Menschen als Ursachefür seine Erkrankung zu betrachten. DieFamilie leidet oft sehr stark mit dem Patientenund braucht ebenfalls die Unterstützung derBetreuer.Ähnlich wie in einem Trauerprozess lassen sichauch bei Angehörigen fünf Phasen der Reaktionauf schwere psychische Krankheit in der Familiebeobachten:1. Nicht-wahr-haben-wollen und Verbergen: MancheAngehörige können es nicht glauben, dass soetwas bei ihnen vorkommt, oder schämen sichgegenüber der Umwelt.2. Ursachensuche und Schuldzuweisung (auchSelbstvorwürfe)3. Verzweifelte Bemühungen um Hilfe und Heilung(vom Kräuterarzt bis zum Guru, vom Geistheilerbis zum Psychotherapeuten)4. Verunsicherung und Resignation (oft Depression)nach Gesprächen mit Ärzten und Sozialarbeiternin der Klinik noch grösser. «Was kann ichüberhaupt noch für meinen Sohn tun? Wie ich esauch mache, ist es falsch.»5. Annahme und Neugestaltung der Beziehungzum Patienten: Diese Phase braucht viel Zeit.Oft bedeutet sie einen Trauerprozess. So vieleHoffnungen und Wünsche, die man für Sohn oderTochter hatte, haben sich nicht erfüllt.Das EE-KonzeptEE = Expressed Emotions (oder: EmotionalesEngagement) der Angehörigen. Mit dem Begriffwird der Ausdruck von Gefühlen bei denAngehörigen umschrieben. Dabei haben sichfolgende Faktoren herauskristallisiert:Kritische EinstellungFeindseligkeitWärme und VerständnisÜberengagementJe nach dem, wie das emotionale Klima ist,wird auch die Krankheit beeinflusst. Positivist eine verständnisvolle Atmosphäre, in derdarauf verzichtet wird, zuviel für den Patientenzu machen.In einem Umfeld, das von Feindseligkeit oderübermässigem Engagement geprägt wird, beobachtetman vermehrte Rückfälle. Ein wesentlicherFaktor ist auch die Zeit, die Angehörigemit einem Patienten verbringen: Gelingt es, eineTagesstruktur ausserhalb der Familie zu finden,so können die Angehörigen wieder Kraftschöpfen und sind entspannter.Cave: Nicht immer kann man sagen: Weil dieAngehörigen so kritisch sind, darum geht esdem Kranken so schlecht. Oft ist es das vermehrtstörende Verhalten, das dann auch dieFamilie vermehrt belastet und zu vermehrterAnspannung führt.38


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIESelbsthilfegruppenIn manchen Städten gibt es aktive Selbsthilfegruppenfür Patienten (=»Psychiatrie-Erfahrene»)und ihre Angehörigen. Vorbildlich istbeispielsweise der Verein Treffpunkt DemokratischePsychiatrie in Basel, der vielfältige Tagesangeboteund offene Abende für vereinsamteMenschen anbietet. Hier sind einige Aussagenvon Treffpunkt-Besucherinnen und -Besuchern,was ihnen Selbsthilfe bedeutet:«Akzeptiert werden wie man ist, mit allenSchwächen.»«Sich aussprechen und auf Verständnis stossen.»«Wenn ich Lust habe, etwas zu unternehmen,kann ich mir das arrangieren. Gestern habe ichmit meinen Treffpunkt-Kolleginnen einen Ausflugunternommen.»«Handarbeit, Stricken und körperliche Arbeithelfen mir, mit meiner Krankheit zu leben.»Hilfreiche AdressenSchweizVereinigung der Angehörigen von<strong>Schizophrenie</strong>kranken (VASK)www.vask.chDeutschlandBundesverband der Angehörigenpsychisch Kranker e.V.www.psychiatrie.deÖsterreichHilfen für Angehörige psychischErkrankter (HPE)www.hpe.at«Wir helfen uns gegenseitig. Oft lachen wir zusammenund manchmal können wir auch kräftigschimpfen.»«Am Anfang lebte ich sehr einsam. Nun ist derTreffpunkt meine Familie. Praktisch jeden offenenAbend bin ich da.»Weitere Infos:www.stiftungmelchior.ch39


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEWeiterführende LiteraturDie folgenden Bücher enthalten weitere Informationenzur Thematik dieses Arbeitsheftes.Im Rahmen der knappen Übersicht ist es jedochnicht möglich, alle Aspekte ausreichend zubeleuchten.Andreasen N. & Black D.: Lehrbuch Psychiatrie.Beltz.Bondy B.: Was ist <strong>Schizophrenie</strong>? Ursachen, Verlauf,Behandlung. C.H. Beck.Dilling H. & Reimer C.: Psychiatrie. Springer.Finzen A.: <strong>Schizophrenie</strong> - Die Krankheit <strong>verstehen</strong>.Psychiatrieverlag.Häfner H.: Das Rätsel <strong>Schizophrenie</strong>. Eine Krankheitwird entschlüsselt. C. H. Beck.Hahlweg K. u.a.: Familienbetreuung schizophrenerPatienten. Beltz.Huber M.: Multiple Persönlichkeitsstörung, Fischer.Marneros A.: Negative Symptome der <strong>Schizophrenie</strong>:Diagnose -<strong>Therapie</strong> - Bewältigung.Thieme.Pfeifer S. & Bräumer H.: Die zerrissene Seele.Borderline und Seelsorge. Brockhaus.Pfeifer S.: Die Schwachen tragen. Psychische Erkrankungenund biblische Seelsorge. Brunnen.Pfeifer S.: Wenn der Glaube zum Problem wird.online:www.seminare-ps.net.Romme M. & Escher S.: Stimmen hören akzeptieren.Psychiatrie-Verlag.Scharfetter C.: Schizophrene Menschen. Beltz.Seemann M.V. u.a.: <strong>Schizophrenie</strong> - wie mandamit leben und arbeiten kann. Gustav FischerVerlag.VASK: <strong>Schizophrenie</strong>: Diagnose - Bewältigung.Eine Information für Angehörige und Laien.(Bezug: VASK Schweiz, Postfach 6161, 8023Zürich)Voderholzer U. & Hohagen F. (Hrsg): <strong>Therapie</strong>psychischer Erkrankungen. Urban & Fischer.Französische Titel:Van Meer F.C.: Vivre avec la schizophrénie: Guidepour familles et les soignants. Editions Frisons-Roche.Hoffer A.: Comment vivre avec la schizophrénie.Editions Flammarion.Internet-Ressourcenwww.medicinenet.com - Breite Informationenzu verschiedensten Gesundheitsfragen,auch zur <strong>Schizophrenie</strong>.www.nami.org - National Alliance for the MentallyIll: Interessen-Organisation, die sichfür psychisch Kranke einsetzt.www.psychiatrie.de - Deutsche Homepage mitInformationen zur Sozialpsychiatrie. Hinweiseauf Bücher und Unterrichtsmaterial.Allgemeiner Hinweis:Unter der Adresse www.google.de können Siejedes Schlagwort im Netz finden.40


DR. MED. SAMUEL PFEIFER: SCHIZOPHRENIEMehr Informationen:www.sonnenhalde.chEine Oase der Stille und doch nur sechs Kilometer ausserhalb derKulturstadt Basel - die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapiebietet eine einfühlsame und fachlich kompetente Behandlungfür Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Essstörungen,psychosomatischen Beschwerden, Borderline-Störungen, Psychosenund vielfältige weitere psychische Erkrankungen.Aus klinischer Erfahrung haben wir gelernt, die Hoffnung nichtaufzugeben. Eine Behandlung in der Klinik Sonnenhalde kann derBeginn eines neuen Kapitels im Leben eines Patienten darstellen.Reihe «Psychiatrie & Seelsorge»Angst <strong>verstehen</strong> und bewältigenBorderline – Diagnose,<strong>Therapie</strong>, SeelsorgeStress und BurnoutDepression <strong>verstehen</strong>und bewältigen<strong>Schizophrenie</strong> - Diagnose und<strong>Therapie</strong>, Seelsorge undBewältigungDer sensible Menschund seine LebensnöteAlternativmedizin, Psycheund GlaubePsychosomatikSchlafen und TräumenZwang und ZweifelInternetsuchtTrauma - Die Wunden der GewaltIn der Heftreihe «Psychiatrie und Seelsorge» werden einzelne Themenumfas-send und doch in knapper Form dargestellt. Auf wenigen Seitenfinden sich die wesentlichsten Informationen über Häufigkeit, Ursachen,Entstehungsformen und Behandlungsmöglichkeiten der einzelnen Störungen.Zudem wird eine Übersicht über weiterführende Literatur gegeben.MEHR INFORMATIONEN - WEITERE SEMINARHEFTE41www.seminare-ps.net

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