72. Jg. – Nr. 140 Sommer 2008 - carocktikum.de
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Offener Brief eines besorgten Mitbürgers an alle Rechtsradikalen<br />
in Mecklenburg-Strelitz und darüber hinaus<br />
Liebe Nazis,<br />
warum tut ihr euch eigentlich so schwer, <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>m zu begegnen? Warum muss man euch<br />
als frem<strong>de</strong>nfeindlich einstufen? Es ist manchmal schwer an<strong>de</strong>ren Menschen mit ihren frem<strong>de</strong>n<br />
Lebens- und Denkweisen zu begegnen, so etwas verlangt nach ein wenig Toleranz, Offenheit,<br />
Verständnis und Freundlichkeit. Doch dieses Minimum an menschlichen Qualitäten kann man<br />
schon aufbringen und schon gar nicht sollte man diese Menschen verprügeln! Das zeugt nicht<br />
nur von schlechtem Benehmen, son<strong>de</strong>rn auch von Beschränktheit und Naivität. Ihr wollt doch<br />
die Nation stärken, or<strong>de</strong>ntliche Deutsche sein und eurem Land dienen. Doch tut man das, in<strong>de</strong>m<br />
man nun wirklich geschmacklose Thor-Steinar-Kollektionen tragend, in oftmals ungepflegtem<br />
Zustand auf alles Frem<strong>de</strong> gedankenlos eindrischt? Neben Geschmacksfragen solltet ihr auch<br />
einmal diese Frage über<strong>de</strong>nken, also euch in Selbstkritik üben und eure verqueren Ansichten<br />
prüfen. Das Ergebnis dieser Überlegung, also die Tatsache, dass euer Tun <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sache<br />
kaum zuträglich ist, wird euch durchaus fremd erscheinen, was für euch sicher problematisch<br />
sein wird. Zunächst wer<strong>de</strong>t ihr diese an<strong>de</strong>re Einsicht ablehnen, doch einmal über euren schwerfälligen,<br />
braunen Schatten gesprungen, könnt ihr euch langsam an Werte wie Toleranz und<br />
Vernunft heranpirschen, die eigentlich schon seit <strong>de</strong>r Aufklärung, welche vor gut 220 Jahren um<br />
sich griff, obligat sein sollten.<br />
Ein Leben mit <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n ist auch für euch möglich! Der Weg dahin ist gar nicht so<br />
schwierig und wenn man erst einmal angekommen ist, so wer<strong>de</strong>t ihr feststellen, dass bisher<br />
Frem<strong>de</strong>s eigentlich gar nicht fremd ist, son<strong>de</strong>rn gewissermaßen schon immer Teil auch eures<br />
Lebens war. Mir ist es anfangs auch schwer gefallen, eure Fremdartigkeit zu verstehen, euer<br />
archaisches Gebrüll, das unglaubliche Fehlen je<strong>de</strong>n Stils, welches ihr allesamt teilt, eure überholten<br />
Überzeugungen und vor allem eure seltsam geringe Frauenquote. Ich konnte eure<br />
Menschenverachtung, eure Dumpfheit und eure Deutschtümelei nie nachvollziehen. Ihr wart mir<br />
in Gänze fremd und ich stand euch geringschätzig gegenüber, ja ich habe euch gera<strong>de</strong> dieser<br />
Fremdheit halber gehasst. Doch ich begann zu verstehen, dass eure ganzen abscheulichen Eigenschaften<br />
doch nur das Symptom von fehlen<strong>de</strong>r Herzensbildung, von provinzieller Langeweile, von<br />
Perspektivlosigkeit und einer tief sitzen<strong>de</strong>n Angst vor Verän<strong>de</strong>rungen sind. Ihr fürchtet das<br />
Frem<strong>de</strong>, das Unbekannte und das allzu Mo<strong>de</strong>rne. Ihr lei<strong>de</strong>t unter <strong>de</strong>m Entzug von Anerkennung,<br />
da ihr glaubt, dass euer Zug hin zum gesellschaftlichen Anschluss abgefahren ist. Wer am<br />
lautesten Unsagbares brüllt, wer am kräftigsten zuhaut und wer die radikalsten, hasserfülltesten<br />
Ansichten vertritt, verdient sich eure Anerkennung, die ihr untereinan<strong>de</strong>r getreu <strong>de</strong>m Motto ›zusammen<br />
schlagen macht Spaß‹ sucht. Unbelehrbar verteidigt ihr euren Glauben an die Ehre <strong>de</strong>r<br />
Wehrmacht, an die Unschuld Rudolf Hess’ und an <strong>de</strong>n Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen als großgermanische<br />
Weltbeglücker zu fungieren. Ich verstand, dass euer Frem<strong>de</strong>nhass weniger Ursache,<br />
son<strong>de</strong>rn Wirkung einer Suche nach Halt ist, die schließlich unglücklicherweise im Bereich <strong>de</strong>s<br />
Ewig gestrigen geen<strong>de</strong>t hatte. Damit wusste ich auch, dass ich eurer Fremdheit nicht mit Hass<br />
begegnen darf.<br />
Nein, vielmehr müssen wir alle über unseren eigenen weltanschaulichen Mauern einreißen,<br />
damit wir, die wir einan<strong>de</strong>r verfrem<strong>de</strong>t sind, uns wie<strong>de</strong>r begegnen können. Ich habe <strong>de</strong>n ersten<br />
Schritt gewagt, ich habe meine Vorbehalte aufgegeben, ich habe begriffen, dass ihr <strong>de</strong>n<br />
Marktplatz meiner Stadt auf eigenartige Weise national befreien wollt, dass ihr in einer<br />
anti<strong>de</strong>mokratischen Aktionsfront zusammenfin<strong>de</strong>t und dass ihr <strong>de</strong>n Ort mit einem Hauch von<br />
3. Reich überzieht. Ich konnte das nachfühlen, da ich weiß, warum ihr das tut. Ihr han<strong>de</strong>lt<br />
nach Absichten, die <strong>de</strong>r Menschheit stets inne wohnen wer<strong>de</strong>n, ihr wollt Halt, Konstanten und