72. Jg. – Nr. 140 Sommer 2008 - carocktikum.de
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<strong>72.</strong> <strong>Jg</strong>. – <strong>Nr</strong>. <strong>140</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2008</strong>
Impressum<br />
Herausgegeben im Auftrag <strong>de</strong>s Schulvereins »Carolinum« e.V.<br />
in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Altschülerschaft e.V. durch:<br />
Jost Reinhold<br />
Helga Reuter<br />
Dr. Eberhard Voß<br />
Henry Tesch<br />
Olaf Müller<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Die Bezugsgebühren für Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schulvereins »Carolinum« e.V.<br />
und <strong>de</strong>r Altschülerschaft e.V. sind in <strong>de</strong>r Spen<strong>de</strong> enthalten.<br />
Redaktionskollegium:<br />
Hannelore Genten<br />
Armgard Bentzin<br />
Jana Minkner<br />
Dirk Kollhoff<br />
Eike Benzin<br />
Dr. Detlef Stietzel<br />
Andreas Löskow<br />
Gesamtherstellung:<br />
Göttinger Tageblatt GmbH & Co. KG – Druckhaus Göttingen<br />
Anfragen unter:<br />
Gymnasium Carolinum, Louisenstraße 30, 17235 Neustrelitz,<br />
Tel. 0 39 81 / 28 67 10, Fax 0 39 81 / 28 67 30, E-Mail: info@carolinum.<strong>de</strong>
Inhalt<br />
Vorwort ..................................................................................................... 6<br />
Aus <strong>de</strong>m Schulleben<br />
• Rhetorikwettbewerb <strong>2008</strong> ............................................................................ 7<br />
• Norwegische Schüler beim Ministerpräsi<strong>de</strong>nten ..................................................... 10<br />
• 10 Jahre KuMuLi ...................................................................................... 11<br />
• Henry Tesch in <strong>de</strong>n Vorstand <strong>de</strong>r Willy-Brandt-Stiftung gewählt .................................... 14<br />
• Explaining the Middle East – Gil Yaron zu Gast am Carolinum ..................................... 15<br />
• Kanustation ........................................................................................... 17<br />
• Letzter Schultag ....................................................................................... 18<br />
• Der Generalsekretär <strong>de</strong>r Kultusministerkonferenz in Neustrelitz .................................... 19<br />
• Schüleraustausch Dänemark .......................................................................... 21<br />
• Die Roboter kommen (III) ............................................................................ 22<br />
• Projekttag <strong>de</strong>r 10. Klassen ............................................................................ 34<br />
Aus <strong>de</strong>r Geschichte<br />
• Die Fritz-Reuter-Gesellschaft zu Gast am Gymnasium Carolinum .................................. 36<br />
• Neues von Dorchläuchting ............................................................................ 37<br />
• »Erinnern ist Wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n« – Kindheitserinnerungen an Polen ................................... 44<br />
• »Sechstes Heft erschienen« – Hinweis auf das neue KWA-Heft ..................................... 47<br />
Literarisches<br />
• Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis <strong>2008</strong> ..................................................................... 48<br />
• Film-Rezension »Die Welle« .......................................................................... 52<br />
• Annalise-Wagner-Preis <strong>2008</strong> .......................................................................... 54<br />
Projekte und Studienfahrten<br />
• »Fünf lateinische Briefe von Carl Andreß an Heinrich Schliemann«<br />
– ein Schülerprojekt .................................................................................. 55<br />
• »Geschichte erlebbar machen« ....................................................................... 65<br />
Schulvereinsmitglie<strong>de</strong>r stellen sich vor: Bernd Wer<strong>de</strong>rmann .............................................. 69<br />
Absolventen <strong>de</strong>s Carolinum berichten: Klara Kopperschmidt ............................................. 71<br />
Nachrufe:<br />
• Christiane Funke ...................................................................................... 72<br />
• Bodo Hein ............................................................................................. 73<br />
Pressespiegel ................................................................................................ 74<br />
5
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Vorwort<br />
so viele Farben wie <strong>de</strong>r <strong>Sommer</strong> hat, so facettenreich ist unser diesjähriges <strong>Sommer</strong>heft. Neben<br />
interessanten Einblicken in die Arbeit <strong>de</strong>r Fritz-Reuter-Gesellschaft veröffentlichen wir zahlreiche<br />
Belege für die Kreativität unserer Schülerinnen und Schüler. So schlägt dieses Heft wie<strong>de</strong>rum<br />
eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Nicht vergessen wird dabei natürlich die<br />
Gegenwart.<br />
Wir hoffen, Ihnen mit dieser Ausgabe eine kurzweilige und anregen<strong>de</strong> Lektüre für die <strong>Sommer</strong>tage<br />
zu bieten. Vielleicht fin<strong>de</strong>n Sie die Zeit, um uns weitere Hinweise für die Gestaltung <strong>de</strong>r<br />
folgen<strong>de</strong>n Hefte zu geben.<br />
Die Redaktion<br />
6
Aus <strong>de</strong>m Schulleben<br />
Rhetorikwettbewerb <strong>2008</strong><br />
Zum siebenten Mal lud <strong>de</strong>r Rotary Club Neubran<strong>de</strong>nburg die Gymnasien <strong>de</strong>s Schulamtsbezirks<br />
Neubran<strong>de</strong>nburg zum Rhetorikwettstreit auf. Je<strong>de</strong> Schule konnte mit einem Vertreter <strong>de</strong>r Sekundarstufe<br />
II teilnehmen.<br />
Zur Auswahl stan<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> �emen:<br />
1. Welchen Einfluss soll man als gebil<strong>de</strong>ter Mensch auf <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Sprache nehmen?<br />
2. Welchen praktischen Wert hat in <strong>de</strong>r heutigen Gesellschaft das Goethewort:<br />
»E<strong>de</strong>l sei <strong>de</strong>r Mensch, hilfreich und gut«?<br />
3. Tragen Sie Ihre Meinung zu <strong>de</strong>m noch nicht abgeschlossenen Tarifstreit zwischen <strong>de</strong>r<br />
Deutschen Bahn und <strong>de</strong>r Lokführergewerkschaft GDL unter beson<strong>de</strong>rer Einbeziehung <strong>de</strong>s<br />
Streikrechts vor.<br />
Die Teilnehmer mussten zu einem �ema eine Re<strong>de</strong> erarbeiten und dann halten.<br />
Im Vorfeld wur<strong>de</strong> im Gymnasium Carolinum ein schulinterner Vorausscheid ausgeschrieben,<br />
<strong>de</strong>r am 26. Februar <strong>2008</strong> in <strong>de</strong>r Schule stattfand.<br />
Der Zwölftklässler Stefan Didt konnte diesen für sich entschei<strong>de</strong>n und vertrat das Carolinum<br />
beim Rhetorikwettbewerb <strong>de</strong>s Rotary Clubs in Neubran<strong>de</strong>nburg. Dort belegte er einen achtbaren<br />
dritten Platz.<br />
Im folgen<strong>de</strong>n drucken wir das Re<strong>de</strong>manuskript ab. Stefan sprach zum 1. �ema.<br />
Die Teilnehmer <strong>de</strong>s<br />
schulinternen Rhetorikwettstreits<br />
<strong>2008</strong><br />
v.l.: Stefan Didt,<br />
Benjamin Sane,<br />
Chris Stefani, Anne Piper<br />
7
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
ich habe neulich <strong>de</strong>n Fernseher eingeschaltet und beim Umherschalten bin ich auf eine Werbung<br />
aufmerksam gewor<strong>de</strong>n. Sie ging ungefähr so: »Gibt es etwas, was alle Menschen verbin<strong>de</strong>t<br />
–das je<strong>de</strong>n einzelnen fasziniert und begeistert? Etwas, das alle gemeinsam, haben egal wie alt<br />
sie sind. Gibt es etwas, was wirklich je<strong>de</strong>n bewegt?«<br />
Gemeint sind hier die United Son<strong>de</strong>rmo<strong>de</strong>lle von Volkswagen. Ich glaube aber nicht, dass<br />
dieser Slogan für ein Auto geeignet ist. Ich habe jedoch über diese Worte nachgedacht und mir<br />
ist aufgefallen, dass es wirklich etwas gibt, was alle Menschen verbin<strong>de</strong>t und wirklich je<strong>de</strong>n<br />
betrifft: Die Sprache.<br />
Sprache ist allgegenwärtig.<br />
Täg lich begegnet sie uns<br />
überall und kein Tag vergeht,<br />
an <strong>de</strong>m wir nicht in irgen<strong>de</strong>iner<br />
Art und Weise mit ihr<br />
konfrontiert wer<strong>de</strong>n. Verbale<br />
Kommunikation ist die erfolgreichsteKommunikationsform<br />
<strong>de</strong>s Menschen und die<br />
Fähigkeit, die uns unseren<br />
Status als höchstentwickeltes<br />
Lebewesen auf <strong>de</strong>m Planeten<br />
gesichert hat. Vielleicht wür<strong>de</strong>n<br />
wir ohne Sprache immer<br />
noch auf <strong>de</strong>n Bäumen sitzen,<br />
eigentlich kein Wun<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn<br />
niemand könnte uns sagen,<br />
wie schön es auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ist.<br />
Fakt ist, dass alles Wissen,<br />
all unsere Erkenntnisse, all<br />
unsere Erfindungen, unser<br />
Fortschritt und unsere Überlegenheit<br />
auf Sprache basiert.<br />
Stefan Didt<br />
Die Sprache ist also das,<br />
was <strong>de</strong>n Menschen ausmacht<br />
und von <strong>de</strong>n Tieren unterschei<strong>de</strong>t. Doch <strong>de</strong>r Mensch ist verschie<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>mzufolge<br />
gibt es rund 6500 verschie<strong>de</strong>ne Sprachen auf <strong>de</strong>r Welt. Je<strong>de</strong> von ihnen hat eine lange Tradition<br />
und ist meist die Grundlage einer ganzen Kultur o<strong>de</strong>r gibt Hinweise auf die Geschichte <strong>de</strong>r<br />
jeweiligen Nation. Es gibt Weltsprachen wie Englisch o<strong>de</strong>r Mandarin, die von vielen Millionen<br />
Menschen gesprochen wer<strong>de</strong>n, aber auch Sprachen, die nur von Naturvölkern benutzt wer<strong>de</strong>n<br />
und vom Aussterben bedroht sind. Man geht davon aus, dass in <strong>de</strong>n nächsten hun<strong>de</strong>rt Jahren<br />
tausen<strong>de</strong> Sprachen verschwin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
Sprache ist je<strong>de</strong>r Nation o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>m Volk eigen. Daher hat auch je<strong>de</strong>s Volk eine an<strong>de</strong>re<br />
Sprache, o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st eine eigene Art und Weise sie zu benutzen. Doch die Welt rückt<br />
zusammen. Das Phänomen Globalisierung hat die Weltbevölkerung fest im Griff. Grenzen<br />
wer<strong>de</strong>n geöffnet und Menschengruppen vermischen sich. Und wenn Menschengruppen sich<br />
ver mischen, dann vermischt sich auch die Sprache.<br />
8
Ich erwähnte vorhin die United Son<strong>de</strong>rmo<strong>de</strong>lle von Volkswagen. Die Werbung ist in diesem<br />
Genre ein Trendsetter. Slogans wie »come in and find out« sind normal. Aber wenn wir mal genauer<br />
hinkucken, gibt es das nicht nur in <strong>de</strong>r Werbung, son<strong>de</strong>rn überall befin<strong>de</strong>n sich Wörter<br />
aus einer an<strong>de</strong>ren Sprache in unserem Wortschatz: »Babysitten ist ein cooles Hobby für clevere<br />
Kids.« Heutzutage ein ganz normaler Satz.<br />
Sprachschützern wür<strong>de</strong> es jedoch kalt <strong>de</strong>n Rücken herunterlaufen. Sie gehen davon aus, dass<br />
sogenannte Anglizismen o<strong>de</strong>r umgangssprachlich »Denglisch« die <strong>de</strong>utsche Sprache und das<br />
Kulturerbe bedrohen. Argumentiert wird, dass hauptsächlich Jugendliche Anglizismen verwen<strong>de</strong>n<br />
um hip und in, also angesagt und lässig zu wirken, was <strong>de</strong>n realen Nutzen in Frage stellt.<br />
Sprachpolizisten wie <strong>de</strong>r Verein Deutsche Sprache (VDS) sehen es als ihre Aufgabe, Denglisch<br />
aus <strong>de</strong>n Köpfen <strong>de</strong>r Menschheit zu verbannen. Gegrün<strong>de</strong>t am 12. November 1997, »verfolgt<br />
[er] das Ziel, die <strong>de</strong>utsche Sprache als eigenständige Kultursprache zu för<strong>de</strong>rn. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
tritt er dafür ein, daß sich die <strong>de</strong>utsche Sprache gegen die Überhäufung mit Wörtern aus <strong>de</strong>m<br />
Englischen behauptet.« Und hat schon einige prominente Mitglie<strong>de</strong>r geworben, wie zum Beispiel<br />
Hape Kerkeling, Dieter Hallervor<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Autor <strong>de</strong>s Buches »Der Dativ ist <strong>de</strong>m Genitiv<br />
sein Tod« Bastian Sick, <strong>de</strong>r allgemein als <strong>de</strong>r Sprachpapst bezeichnet wird.<br />
Wie ist nun <strong>de</strong>r Einfluss gebil<strong>de</strong>ter Leute auf die <strong>de</strong>utsche Sprache? Sollten wir in Zukunft<br />
Sätze wie »Kin<strong>de</strong>r betreuen ist eine lässige Freizeitbeschäftigung für schlaue Kin<strong>de</strong>r« verwen<strong>de</strong>n?<br />
Gehen wir das Problem mal von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite an. »kitsch« benutzen sowohl Franzosen<br />
als auch Spanier. Auch die Wörter »waldsterben«, »poltergeist«, »weltanschauung« und »krach«<br />
fin<strong>de</strong>t man im Französischem Wörterbuch. Der »kin<strong>de</strong>rgarten« ist ein englisches Wort und<br />
»to abseil« ist <strong>de</strong>r englische Begriff für »sich abseilen«. Kanadische Hausfrauen treffen sich beim<br />
»Kaffeeklatsching« und in Russland verspeist man ein »Butterbrot«. Weit weg, in Papua Neu -<br />
guinea beleidigt man sich mit <strong>de</strong>m Wort »rinfi« und Neuseelän<strong>de</strong>r beweisen manchmal echtes<br />
»fingerspitzengefuel«. Deutsch ist weiter verbreitet, als man <strong>de</strong>nkt!<br />
Können nun »Denglische« Begriffe eine Sprache vertreiben, die sich über die ganze Welt<br />
verbreitet hat? Eine Sprache, die schon seit mehr als 1500 Jahre gesprochen wird? Eine Sprache,<br />
in <strong>de</strong>r sich die, wie es heißt, größten Dichter und Denker ausgedrückt haben? Können simple<br />
Anglizismen eine Sprache fortjagen, die zu <strong>de</strong>n neun Weltsprachen gehört? Eine Sprache,<br />
welche die Amtssprache 7 Europäischer Län<strong>de</strong>r und die Arbeitssprache in <strong>de</strong>r EU ist?<br />
Mit Sicherheit nicht davonjagen. Mit unserer Sprache wür<strong>de</strong> es sich eher so verhalten, wie<br />
mit einer Brausetablette. Die zersetzt sich erst langsam, dann schneller und schneller und am<br />
En<strong>de</strong> ist nichts mehr vorhan<strong>de</strong>n. Dann ist sie vermischt mit <strong>de</strong>r Flüssigkeit, in die wir sie geworfen<br />
haben und das einzige, was übrig bleibt ist ein zarter Geschmack.<br />
Aber nicht, wenn wir es verhin<strong>de</strong>rn. Nicht wenn wir die Deutsche Sprache genau dann richtig<br />
benutzen, wenn es angebracht ist. Nicht wenn wir darauf achten, dass die Deutsche Sprache<br />
korrekt gesprochen wird. Nicht wenn wir unseren Kin<strong>de</strong>rn und unseren Mitmenschen wenigstens<br />
ein kleines bisschen korrektes Deutsch beibringen.<br />
Nicht wenn wir die <strong>de</strong>utschen Worte, die wir durch die englischen ersetzen, im Gedächtnis<br />
behalten.<br />
Anglizismen sind wie Schokola<strong>de</strong>, in kleinen Mengen vollkommen in Ordnung. Aber wenn<br />
es zur Gewohnheit wird, kann – kann - es problematisch wer<strong>de</strong>n.<br />
Danke!<br />
9
Velkommen til Tyskland<br />
Zum wie<strong>de</strong>rholten Male konnten wir im März dieses Jahres 13 Schüler und die Lehrerinnen<br />
Solbjørg Hansen und Lilian Hansen von <strong>de</strong>r vi<strong>de</strong>regaen<strong>de</strong> skole Jessheim am Carolinum<br />
begrüßen.<br />
Für einige Gastgeber war es das langersehnte Wie<strong>de</strong>rsehen, da sie sich bereits im September<br />
2007 beim Schüleraustausch in Norwegen kennengelernt hatten.<br />
Neben Unterrichtsbesuchen bestimmten viele soziale Aktivitäten und Ausflüge, z. B. <strong>de</strong>r<br />
Besuch <strong>de</strong>s Müritzeums in Waren und <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages in Berlin, das Programm <strong>de</strong>r Woche.<br />
Der Höhepunkt war die Fahrt in die Lan<strong>de</strong>shauptstadt Schwerin am 4. März <strong>2008</strong>. An diesem<br />
Tag erfolgte in <strong>de</strong>r Staatskanzlei durch Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Dr. Harald Ringstorff und Bildungsminister<br />
Henry Tesch <strong>de</strong>r offizielle Startschuss für das Norwegenquiz, das im Rahmen <strong>de</strong>r Ausstellung<br />
›Nicht nur Lachs und Würst chen‹, die in Rostock eröffnet wur<strong>de</strong>, für alle Schülerinnen<br />
und Schüler Deutschlands und Norwegens zur Teilnehme animieren sollte.<br />
Für die norwegischen und <strong>de</strong>utschen Schüler war es zugleich eine erste Möglichkeit, ihr eigenes<br />
Wissen zu Norwegen, Deutschland und Europa zu prüfen.<br />
Ein beson<strong>de</strong>res Dankeschön gilt <strong>de</strong>m Schulverein »Carolinum« für die finanzielle Unterstützung.<br />
Elke Bartsch<br />
Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Dr. Harald Ringstorff, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Henry Tesch,<br />
Botschaftsrat Fro<strong>de</strong> Solberg (v.l.) sowie Schülerinnen und Schüler <strong>de</strong>r vi<strong>de</strong>regaen<strong>de</strong> skole Jessheim und <strong>de</strong>s<br />
Gymnasium Carolinum<br />
10
10 Jahre KuMuLi<br />
Wer hätte am Abend <strong>de</strong>r 1. Vernissage gedacht, dass es uns gelingen wür<strong>de</strong>, diese Veranstaltung<br />
über 10 Jahre lebendig zu erhalten? Im Flur <strong>de</strong>s 1. Stockwerkes unserer Schule bil<strong>de</strong>te ein Teppich<br />
die provisorische Bühne, an <strong>de</strong>r Wand hingen Kunstobjekte, die »Schauspieler« warteten auf<br />
ihren Einsatz und <strong>de</strong>r Chor mit wenigen Instrumentalisten bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Rahmen. Die Aufsteller<br />
mit <strong>de</strong>n unterschiedlichsten Bildgestaltungen aus <strong>de</strong>m Kunstunterricht <strong>de</strong>r Abschlussklassen<br />
stan<strong>de</strong>n dichtgedrängt auf <strong>de</strong>m Flur zum Lehrerzimmer. Viele Interessenten waren gekommen,<br />
um diese neuartige Veranstaltung in Augenschein zu nehmen. All die Mühen <strong>de</strong>r Vorbereitung<br />
vergessend, genossen alle Teilnehmen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n großen Spaß an diesem Ereignis: Schauen, Hören,<br />
Nach<strong>de</strong>nken, gemeinsam über künstlerische Arbeiten kommunizierend.<br />
Entstan<strong>de</strong>n war diese I<strong>de</strong>e vor allem<br />
aus <strong>de</strong>m Bedürfnis <strong>de</strong>r Kunstlehrerinnen<br />
– damals waren wir nur zu viert, Frau<br />
Funke, Frau Dieckmann, Frau Parpart,<br />
Frau Schnei<strong>de</strong>r – die vielen kreativen Arbeiten<br />
nicht in <strong>de</strong>n Schubla<strong>de</strong>n verschwin<strong>de</strong>n<br />
zu lassen, son<strong>de</strong>rn allen<br />
Schülern vor ihrem Abitur nochmals die<br />
Gelegenheit zu geben, zu zeigen, was sie<br />
auch auf diesem Gebiet zu leisten im<br />
Stan<strong>de</strong> sind. Die an<strong>de</strong>ren musischen<br />
Fächer mit einzubeziehen und einen unterhalt<br />
samen Abend für die Öffentlichkeit<br />
zu gestalten, ergab sich aus unseren Diskussionen.<br />
Mit streiter fan<strong>de</strong>n wir in Frau Krase, die die »Carolimimen« betreute und in Herrn<br />
Gust, <strong>de</strong>r das Schulensemble leitete. Auch Herrn Tesch – damals stellvertreten<strong>de</strong>r Schulleiter –<br />
konnten wir mit unserer I<strong>de</strong>e überzeugen und fan<strong>de</strong>n Hilfe und Unterstützung. Der Name unseres<br />
Events erfand sich fast von selbst – Kunst-Musik-Literatur – KuMuLi.<br />
Nach diesem ersten Versuch vor 10 Jahren hatten wir alle das Gefühl, dass es eine gelungene<br />
Sache gewor<strong>de</strong>n war und die Schüler konnten stolz auf ihre Leistungen sein.<br />
Nun waren wir je<strong>de</strong>s Jahr wie<strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rt, die Anfangsi<strong>de</strong>e, <strong>de</strong>n Anfangserfolg aufrecht zu<br />
erhalten und weiterzuentwickeln. Schon zu Beginn je<strong>de</strong>s Schuljahres wur<strong>de</strong> KuMuLi als Ereignis<br />
geplant, Schüler entwarfen selbständig Plakate, Lehrer sammelten die besten Bildgestaltungen,<br />
Stücke wur<strong>de</strong>n geprobt, Musik geübt und sprachbegabte Schüler bereiteten sich darauf<br />
vor, durchs Programm zu führen – nicht zu vergessen Christian Klager, Christian Krüger,<br />
Marten Schrö<strong>de</strong>r … Wir Kunstlehrer waren bestrebt,<br />
dass die Stellwän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Schülerarbeiten auch über<br />
einen längeren Zeitraum zu sehen sind und so fand<br />
KuMuLi bereits im 2. Jahr in <strong>de</strong>r Aula statt.<br />
Natürlich war es nicht immer einfach und so wur<strong>de</strong><br />
manches mühevoll auf <strong>de</strong>n Weg gebracht, was heute<br />
selbstverständlich erscheint, z. B. dass die Aula als Veranstaltungsort<br />
auch wirklich länger als einen Tag zur<br />
Verfügung steht, die Versorgung (anfänglich wur<strong>de</strong> alles<br />
selbst eingekauft und zubereitet), die Organisation und<br />
nicht zuletzt die Finanzierung.<br />
11
Dass unsere Veranstaltung nun zum 10. Mal stattgefun<strong>de</strong>n<br />
hat, ist neben <strong>de</strong>m gemeinsamen Engagement <strong>de</strong>r Schüler, <strong>de</strong>r<br />
Lehrer und <strong>de</strong>r Schulleitung nicht zuletzt auch immer ein Verdienst<br />
beson<strong>de</strong>rs engagierter Schüler, sodass je<strong>de</strong>s Jahr neue Akzente<br />
zu fin<strong>de</strong>n waren. So wur<strong>de</strong>n z.B. ganz spontan selbst geschriebene<br />
Gedichte vorgetragen o<strong>de</strong>r die Aulafenster mit bedruckten<br />
Papierbahnen verhängt. Die dafür notwendigen Maße<br />
mussten natürlich exakt ermittelt und die entsprechen<strong>de</strong>n Meter<br />
berechnet wer<strong>de</strong>n, was eine Meisterleistung von Denny Böttcher<br />
darstellte. Im Jahr 2002 gab es die erste Auktion – durchgeführt<br />
von Katrin Lau und Christiane Schlenker – mit <strong>de</strong>m bisher noch<br />
nicht wie<strong>de</strong>r erreichten Höchstgebot für das Bild <strong>de</strong>r amerikanischen<br />
Austauschschülerin. Im Gedächtnis ist uns auch noch, als<br />
das Wort Ku-<br />
MuLi in Form<br />
von »Eat Art« präsentiert wur<strong>de</strong> (also Kuchen,<br />
geraspelte Möhren etc.) und Elisabeth Hofmann<br />
ganz traurig war, dass es so schnell aufgegessen<br />
wur<strong>de</strong>. Es gab also neben <strong>de</strong>m Alt -<br />
bewährten auch immer etwas Neues – von <strong>de</strong>r<br />
Performance bis hin zu Aktionskunst und Vi<strong>de</strong>okunst<br />
– was je<strong>de</strong>s Jahr die Spannung steigen<br />
ließ.<br />
Nach 10 Jahren kann man wohl davon sprechen,<br />
dass es uns gelungen ist, eine Tradition<br />
an unserer Schule zu entwickeln, die hoffentlich<br />
noch lange Bestand hat, <strong>de</strong>nn Kunst muss<br />
an einem humanistischen Gymnasium immer<br />
eine wichtige Rolle spielen.<br />
Wir wollen es aber an dieser Stelle nicht versäumen, doch mal möglichst viele zu nennen, die<br />
immer wie<strong>de</strong>r für ein weiteres Highlight im Schulalltag sorgen und gesorgt haben:<br />
12<br />
• die Schulleitung (vor allem HerrTesch und Herr Müller)<br />
• die Fachschaft Kunst(Frau Dieckmann, Frau Funke, Herr Varsbotter, Herr Dr. Ludwinski,<br />
Frau Schrö<strong>de</strong>r, Frau Parpart, Frau Schnei<strong>de</strong>r)<br />
• Herr Gust, Frau Bartsch, <strong>de</strong>r Chor und das Ensemble<br />
• Frau Krase und die »Carolimimen«<br />
• die Hausmeister (Herr Raschke, Herr Singer, Herr Wirth) das Sekretariat (Frau Gau,<br />
Frau Pieroth, Frau Uhl)<br />
• Frau Kort und die Cateringfirma »Hormigas«<br />
• <strong>de</strong>r Schulverein<br />
und alle Abschlussjahrgänge !!!!!!!<br />
Katrin Schnei<strong>de</strong>r
Henry Tesch<br />
in <strong>de</strong>n Vorstand <strong>de</strong>r Norwegisch-Deutschen<br />
Willy-Brandt-Stiftung gewählt<br />
Henry Tesch, Minister für Bildung, Wissenschaft und<br />
Kultur in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertreten<strong>de</strong>r<br />
Vo sitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schulvereins »Caro li num e.V.«,<br />
ist im April in Berlin in <strong>de</strong>n Vorstand <strong>de</strong>r Norwegisch-<br />
Deutschen Willy-Brandt-Stiftung (www. willy-brandt-stiftung.<strong>de</strong>)<br />
gewählt wor<strong>de</strong>n. Dem Vorstand gehören mit<br />
Harald Norvik, er ist ehemaliger Konzernchef von Stat -<br />
oil, und Franz �önnes, er ist Parlamentarischer Staatssekre<br />
tär, als Vorsitzen<strong>de</strong> außer<strong>de</strong>m Gerd Walter (Geschäftsführer<br />
<strong>de</strong>r Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft),<br />
Ine Marie Eriksen Sørei<strong>de</strong> (Parlamentsabgeordnete)<br />
und Einar Steensnæs (Parlamentsabgeordnete)<br />
an.<br />
Die Stiftung bzw. <strong>de</strong>r Verein wer<strong>de</strong>n gemeinsam von<br />
einem Vorstand aus jeweils drei nor wegischen und<br />
<strong>de</strong>utschen Mitglie<strong>de</strong>rn geleitet. Der Vorstand gibt die<br />
Richtlinien für die gemeinsame Arbeit vor und ist für<br />
<strong>de</strong>n laufen<strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Stiftung verantwortlich. Er<br />
beschließt Kriterien für die Vergabe von Stipendien und<br />
Instrumentarien zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ziele <strong>de</strong>r Stiftung.<br />
Die Stiftung insgesamt hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Vertiefung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-norwegischen<br />
Beziehungen und zu einem besseren gegenseitigen Verständnis bei<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r beizu -<br />
tragen. Sie will Kenntnisse über das gesellschaftliche Leben, die Kultur und die Sprache <strong>de</strong>s<br />
jeweils an<strong>de</strong>ren Lan<strong>de</strong>s vermitteln und för<strong>de</strong>rt hierzu <strong>de</strong>n Dialog zwischen Gruppen, Bildungsinstitutionen,<br />
Nachwuchskräften und gesellschaftlichen Multiplikatoren in <strong>de</strong>r Hoffnung auf<br />
einen dauerhaften Kontakt und Erfahrungsaustausch.<br />
Für diese Ziele setzt sich Henry Tesch bereits seit vielen Jahren intensiv ein. Erst im Oktober<br />
2007 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Minister in Berlin für dieses Engagement vom norwegischen König Harald V.<br />
<strong>de</strong>r Königlich Norwegische Verdienstor<strong>de</strong>n verliehen.<br />
Auf Initiative von Henry Tesch wur<strong>de</strong> in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Norwegischen Botschaft<br />
im Frühjahr <strong>2008</strong> in Rostock die Austellung »Nicht nur Lachs und Würstchen« zu 100 Jahren<br />
Unabhängigkeit Norwegens unter <strong>de</strong>r Schirmherrschaft von Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Dr. Harald<br />
Rings torff und <strong>de</strong>m Norwegischen Botschafter in Deutschlandmit großem Erfolg präsentiert.<br />
Das Carolinum unterhält seit 2002 enge Kontakte nach Norwegen. So fin<strong>de</strong>n in regelmäßigem<br />
Rhythmus Schülerbegegnungen statt. Schüler <strong>de</strong>s Gymnasium carolinum nehmen jährlich<br />
am European Spacecamp in Norwegen und am Mathematikwettstreit KappAbel teil. Ein beson<strong>de</strong>rer<br />
Höhepunkt wur<strong>de</strong> für bei<strong>de</strong> Seiten das Jahr 2005, <strong>de</strong>r 100. Jahrestag <strong>de</strong>r staatlichen Un -<br />
abhängigkeit Norwegens. Zahlreiche Veranstaltungen zeigten die enge Verbun<strong>de</strong>nheit bei<strong>de</strong>r<br />
Seiten. Dem Carolinum wur<strong>de</strong> für dieses beson<strong>de</strong>re Engagement <strong>de</strong>r Willy-Brandt-Preis <strong>de</strong>s<br />
Jahres 2006 verliehen.<br />
Eike Benzin<br />
14
Explaining the Middle East<br />
Was wissen wir eigentlich über <strong>de</strong>n Nahost-Konflikt?<br />
Hmm … da kämpfen irgendwo<br />
Israelis und Palästinenser gegeneinan<strong>de</strong>r<br />
… Traurig, aber warum sollte uns das<br />
interessieren? Israel ist immerhin mehr als<br />
3000 »reale« Kilometer von uns entfernt,<br />
gefühlt meistens noch viel weiter. Allerdings<br />
sind das in unserer globalisierten<br />
Welt auch nur 4 Flugstun<strong>de</strong>n und die Auswirkungen<br />
<strong>de</strong>r Spannungen im Nahen<br />
Osten sieht man auch, wenn man zur<br />
heimischen Tankstelle fährt o<strong>de</strong>r von geplanten<br />
Terroranschlägen in Deutschland<br />
hört. Der Nahostkonflikt geht uns alle an.<br />
Um uns das zu erklären, und auch um<br />
uns die Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geschehnisse in<br />
Israel <strong>de</strong>utlicher zu machen, fand am 09.<br />
April im Carolinum ein Vortrag <strong>de</strong>s Nachrichtenkorrespon<strong>de</strong>nten<br />
Gil Yaron statt,<br />
<strong>de</strong>r für mehrere <strong>de</strong>utschsprachige Zeitungen<br />
und Radiostationen aus <strong>de</strong>r Region berichtet.<br />
Anlass dafür war, dass Israel <strong>2008</strong><br />
seinen 60. Geburtstag feiert.<br />
Seit seiner Gründung am 14. Mai 1948 hat das Land einige Kriege geführt: <strong>de</strong>n Unabhängigkeitskrieg<br />
zum Beispiel, <strong>de</strong>n Sechs-Tage-Krieg und <strong>de</strong>n bisher letzten – <strong>de</strong>n Libanonkrieg. Aber<br />
warum? Vielfach wird vergessen, dass Israel tatsächlich einer ständigen Bedrohung ausgesetzt<br />
ist. Eigentlich alle Nachbarstaaten sind o<strong>de</strong>r waren ihm feindlich gesinnt. Zum einen hat das<br />
natürlich religiöse Grun<strong>de</strong>: Ju<strong>de</strong>ntum gegen Islam, eine Religion gegen die an<strong>de</strong>re. Nicht zu<br />
vernachlässigen ist aber auch <strong>de</strong>r kulturelle Aspekt: Die europäischen jüdischen Einwan<strong>de</strong>rer<br />
trafen auf ihrer Suche<br />
nach einem eigenen Staat<br />
auf alteingesessene arabische<br />
Bauern, die jahrhun<strong>de</strong>rtelang<br />
an ihren Traditionen<br />
festgehalten hatten<br />
und die Neuan -<br />
kömm linge misstrauisch<br />
beäugten. Dazu kommen<br />
die Interessen frem<strong>de</strong>r<br />
Mächte: Großbritannien<br />
beispielsweise meinte Israel<br />
im 2. Weltkrieg als<br />
Gegenleistung für Unterstützung<br />
gleich dreimal<br />
versprechen zu müssen:<br />
<strong>de</strong>n Arabern, sich selbst<br />
und eben <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n.<br />
15
Heute dagegen mischen sich vor allem Staaten wie Syrien, <strong>de</strong>r Iran o<strong>de</strong>r die USA in <strong>de</strong>n<br />
Konflikt ein. Dabei scheint doch so schon ein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Spannungen kaum möglich zu sein: Die<br />
Palästinenser wollen (können) nicht verhan<strong>de</strong>ln, solange Israel Siedlungen auf palästinensischen<br />
Territorium baut, weil es da so schön billig ist o<strong>de</strong>r man meint, dass man auf diese Art und<br />
Weise sein Land verteidigen müsse. Und die Israelis wollen nicht verhan<strong>de</strong>ln, solange sie Opfer<br />
von terroristischen Anschlägen wer<strong>de</strong>n.<br />
Was man sich hier im sicheren Deutschland kaum bewusst machen kann, ist, was eine dauerhafte<br />
Bedrohung tatsächlich be<strong>de</strong>utet, welch ein Einschnitt in <strong>de</strong>n Alltag das ist. Gil Yaron hat<br />
versucht, uns das anhand von Bil<strong>de</strong>rn und Vi<strong>de</strong>osequenzen <strong>de</strong>utlicher zu machen. Wie fühlt<br />
man sich, wenn eine fröhliche Geburtstagsfeier im Freien, in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Gazastreifens, plötzlich<br />
von einem Alarm unterbrochen wird und man 15 Sekun<strong>de</strong>n Zeit hat, in Deckung zu gehen?<br />
Was, wenn das 50 Mal am Tag vorkommt? Wie soll dann ein »normales« Leben möglich sein?<br />
Wie soll man »normal« han<strong>de</strong>ln?<br />
Man sieht hier auch kaum, was für perfi<strong>de</strong> Metho<strong>de</strong>n die Terroristen <strong>de</strong>r Hisbollah o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Hamas anwen<strong>de</strong>n. Wenn sich ein Attentäter beispielsweise direkt vor einer Schule postiert und<br />
von dort seine Rakete abschießt, wie soll ein israelischer Flieger dann reagieren? Auf die Schule<br />
zielen? O<strong>de</strong>r israelische To<strong>de</strong>sopfer in Kauf nehmen?<br />
Gil Yaron hat versucht, uns diese Zwiespältigkeit <strong>de</strong>s Nahost-Konfliktes zu zeigen. In <strong>de</strong>r<br />
anschließen<strong>de</strong>n Fragerun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass er selbst nicht an eine Lösung glaubt. Zumin<strong>de</strong>st<br />
nicht jetzt. Nichts <strong>de</strong>sto trotz ist Israel ein schönes Land, hoch entwickelt und mit vielen<br />
Qualitäten. Israel ist nicht nur Terror und Krieg. Und vor allem müssen wir uns eigene Meinung<br />
von <strong>de</strong>n Vorgängen bil<strong>de</strong>n. Um das zu tun, muss man aber informiert sein. Dabei hat uns Gil Yaron<br />
sicherlich geholfen. O<strong>de</strong>r wusstet ihr, dass <strong>de</strong>r Konflikt zahlenmäßig ziemlich »unbe<strong>de</strong>utend«<br />
ist? In 130 Jahren haben 85 000 Menschen ihr Leben verloren. Natürlich sind das immer<br />
noch 85 000 zu viel, aber eigentlich hätte man nach <strong>de</strong>r Berichterstattung <strong>de</strong>r Medien Millionen<br />
erwartet. Was auch nichts an seiner Wichtigkeit än<strong>de</strong>rt. Vor allem kann <strong>de</strong>r Nahostkonflikt sehr<br />
interessant sein, wenn jemand anschaulich und informativ darüber zu berichten weiß.<br />
16<br />
Henrike Reincke
Jost Reinhold ergreift Initiative für Kanustation<br />
am Sportplatz<br />
Jost Reinhold, Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Schulvereins »Carolinum« e.V.<br />
Vor fast einem Jahr wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r neue Sportplatz durch die Schülerinnen<br />
und Schüler in Besitz genommen.<br />
Der Glambecker See bietet durch die unmittelbare Nähe<br />
zum Sportplatz eine gute Möglichkeit für alle Kanuinteressierten<br />
und die erfolgreichen Drachensportler in <strong>de</strong>n Sportstun<strong>de</strong>n<br />
und natürlich auch im Rahmen <strong>de</strong>s Ganztagsschulprogramms.<br />
Damit ist eine gute Ergänzung zu <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Gegebenheiten<br />
am Zierker See möglich.<br />
Eine Grundvoraussetzung ist die Unterbringung <strong>de</strong>r Kanus<br />
und <strong>de</strong>r Drachenboote. Eine zweite ist ein entsprechen<strong>de</strong>r Zugang<br />
zum See, also ein ausreichend großer Steg.<br />
Dafür hat <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schulvereins, Jost Reinhold,<br />
jetzt die Initiative ergriffen, um das sportliche Gelän<strong>de</strong> so komplett<br />
zu machen. Ziel ist es, zu Beginn <strong>de</strong>s neuen Schuljahres<br />
dieses Vorhaben seiner Bestimmung zu übergeben.<br />
v.l.n.r.: Jana Renner und Thomas Greier, Landschaftsarchitekten; Henry Tesch, Minister für Bildung, Wissenschaft<br />
und Kultur sowie stellvertreten<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schulvereins; Olaf Müller, amtieren<strong>de</strong>r<br />
Schulleiter; Hei<strong>de</strong>marie Awe, Schulleitung, während eines Vor-Ort-Termins<br />
17
18<br />
Impressionen<br />
vom letzten<br />
Schultag <strong>de</strong>r<br />
Gymnasiasten
Generalsekretär <strong>de</strong>r Kultusministerkonferenz,<br />
Prof. Dr. Erich Thies, in Neustrelitz zu Gast<br />
Prof. Erich �ies, <strong>de</strong>r<br />
Generalsekretär <strong>de</strong>r Kon -<br />
ferenz <strong>de</strong>r Kultusminister,<br />
und Kultusminister<br />
Henry Tesch, <strong>de</strong>r zurzeit<br />
1. Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r<br />
KMK ist und im nächsten<br />
Jahr <strong>de</strong>n Vorsitz<br />
übernehmen wird, trafen<br />
sich in Neustrelitz am<br />
Carolinum, <strong>de</strong>r schu -<br />
lischen Wirkungsstätte<br />
Henry Teschs, zu einem<br />
Arbeitsgespräch mit unterschiedlichenSchwerpunkten.<br />
So ging es<br />
unter an<strong>de</strong>rem um die<br />
Gestaltung <strong>de</strong>r vorschulischen<br />
Bildung. Bei<strong>de</strong><br />
nahmen daher die Gelegenheit wahr, sich in <strong>de</strong>r evangelischen integrativen Kin<strong>de</strong>rtagesstätte<br />
»Marienkäfer«, wo auch behin<strong>de</strong>rte Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Gruppen integriert sind, ein Bild über die<br />
Bedingungen vor Ort zu machen. Mitgebracht hatten sie eine Forscherkiste von Siemens im<br />
Wert von 500 Euro.<br />
Die Forscherkisten ermöglichen Kin<strong>de</strong>rn, die Zusammenhänge und Phänomene aus Natur<br />
und Wissenschaft selbst unter die Lupe zu nehmen. Sie bieten eine komplette Ausrüstung für 45<br />
Versuche. Damit kommen die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Geheimnissen von Wasser, Luft, Farben, Licht und<br />
Strom auf die Spur. Mit <strong>de</strong>r Kiste erhalten die Kin<strong>de</strong>rgärten außer<strong>de</strong>m einen Gutschein über ein<br />
eintägiges Seminar, in <strong>de</strong>m die Erzieherinnen und Erzieher für <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>r Forscher -<br />
kiste fit gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
Henry Tesch äußerte: »Mit dieser altersgerecht ausgestatteten Forscherkiste wird die natür -<br />
liche Neugier <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r auf spielerische Weise angesprochen und damit das Interesse für<br />
naturwissenschaftliche Zusammenhänge geweckt. Wir können gar nicht früh genug damit beginnen,<br />
für <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Nachwuchs von morgen zu sorgen. Deshalb ist diese Aktion<br />
von Siemens eine beispielhafte Ergänzung <strong>de</strong>r vorschulischen Bildungsarbeit.«<br />
Am Nachmittag besuchten �ies und Tesch gemeinsam das Deutsche Zentrum für Luft- und<br />
Raumfahrt (DLR) in Neustrelitz. Dort befin<strong>de</strong>n sich als entsprechen<strong>de</strong> Abteilungen Instituts -<br />
teile <strong>de</strong>s Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD, Nationales Bo<strong>de</strong>nsegment), <strong>de</strong>s<br />
Instituts für Kommunikation und Navigation (IKN) und <strong>de</strong>s Instituts für Methodik <strong>de</strong>r Fern -<br />
erkundung (IMF), sämtlich mit Sitz <strong>de</strong>r Mutter-Institute im DLR Oberpfaffenhofen bei<br />
München.<br />
Bei <strong>de</strong>n Gesprächen ging es unter an<strong>de</strong>rem um die Internationalisierung <strong>de</strong>r Hochschulen<br />
sowie um die Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r hochschulischen und außeruniversitären Forschungs -<br />
institute.<br />
19
Professor Thies, Henry Tesch und <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>s DLR, Holger Maass, <strong>de</strong>r auch Alt-Caroliner ist.<br />
Das DLR als weltweit agieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Großforschungseinrichtung <strong>de</strong>r Spitzenforschung<br />
mit rund 5.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (an sieben Standorten in 36 Instituten und<br />
Einrichtungen) zählt zu <strong>de</strong>n wichtigsten Forschungs- und Technologie-Partnern <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />
Mecklenburg-Vorpommern (www.dlr.<strong>de</strong>). Allein das DLR Neustrelitz als Nationales Bo<strong>de</strong>nsegment<br />
<strong>de</strong>s DFD empfängt gegenwärtig zehn internationale Satelliten-Missionen, darunter seit<br />
Juni 2007 die neueste <strong>de</strong>utsche Entwicklung TerraSAR-X. Mit dieser Entscheidung <strong>de</strong>s DLR hat<br />
Mecklenburg-Vorpommern in Sachen Satellitenkommunikation seine wissenschaftliche Exzellenz<br />
und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Vergleich<br />
weiter ausgebaut.<br />
»Mit <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Einrichtung <strong>de</strong>s DLR in Neustrelitz können wir wie<strong>de</strong>r einmal<br />
mehr zeigen, dass Mecklenburg-Vorpommern auch als Wissenschafts- und Forschungsland eine<br />
exzellente und attraktive Arbeits- und Lebensregion mit Zukunftsperspektiven in Europa ist. In<br />
<strong>de</strong>n Satellitenempfangsräumen konnten wir live <strong>de</strong>n Überflug von Satelliten und die Aufzeichnung<br />
<strong>de</strong>r gesen<strong>de</strong>ten Daten sowie <strong>de</strong>ren weitere Verarbeitung verfolgen. Dieses hat auch <strong>de</strong>n<br />
Experten <strong>de</strong>r KMK, Prof. �ies von <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r DLR-Einrichtung überzeugt.«, so<br />
Minister Tesch.<br />
Weiter machte Tesch <strong>de</strong>utlich, dass das DLR zu einem zentralen Knotenpunkt in Deutschland<br />
und Europa ausgebaut wer<strong>de</strong>n sollte. Das schließt <strong>de</strong>n Empfang von Datenrelaissatelliten<br />
im Ka-Band und mit optischen Bo<strong>de</strong>nstationen ein.<br />
Ein weiterer Punkt ist <strong>de</strong>r Ausbau eines Echtzeitdatenzentrums für GMEF und GALILEO in<br />
Neustrelitz.<br />
20<br />
Eike Benzin
Unser Schüleraustausch nach Dänemark<br />
Ich <strong>de</strong>nke, Klassenfahrten gehören für die meisten zu einer <strong>de</strong>r schönsten Erinnerungen an die Schule. Mit diesem<br />
Artikel möchte ich über unsere Projektfahrt nach Dänemark berichten.<br />
Am Montag, <strong>de</strong>m 7.April <strong>2008</strong> um 7.30Uhr begann unsere Reise in <strong>de</strong>n hohen Nor<strong>de</strong>n von Dänemark zu unserer<br />
Partnerschule nach Stovring. Nach einer fast 10-stündigen Busfahrt hatten wir unser Ziel erreicht. Dort wur<strong>de</strong>n wir bereits<br />
von <strong>de</strong>r Klasse 1e und <strong>de</strong>ren Eltern erwartet. Nach<strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r seinen Austauschschüler gefun<strong>de</strong>n hatte, ging es<br />
nach Hause.<br />
Am Dienstag, <strong>de</strong>m 8.April <strong>2008</strong><br />
Die Schule<br />
trafen wir uns um 8.30Uhr in <strong>de</strong>r<br />
Schule. Dass die Schule dort eine<br />
Stun<strong>de</strong> später beginnt als bei uns ist<br />
nicht <strong>de</strong>r einzige Unterschied. Es ist<br />
ein kleines Gymnasium mit ca. 440<br />
Schülern. Wenn man die Schule<br />
betritt, fallen einem sofort die vielen<br />
Sofas und Sessel auf, wo es sich die<br />
Schüler in <strong>de</strong>n Pausen gemütlich<br />
machen. Die Unterrichtsstun<strong>de</strong>n umfassen<br />
nicht wie bei uns 45 Minuten,<br />
son<strong>de</strong>rn ca. 100 Minuten mit einer<br />
kleinen Pause dazwischen. Mich hat<br />
beson<strong>de</strong>rs erstaunt, dass die Schüler<br />
ihre Lehrer mit Vornamen ansprechen.<br />
Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Schulleiter uns<br />
begrüßt hatte, wur<strong>de</strong>n wir in Gruppen<br />
aus dänischen und <strong>de</strong>utschen Schülern aufgeteilt, um ein Projekt zum Thema »The Welfare States Germany and<br />
Denmark« zu gestalten. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n wir durch das Schulgebäu<strong>de</strong> geführt. Am späten Nachmittag fuhren wir<br />
mit <strong>de</strong>r Klasse nach Aalborg, <strong>de</strong>r viertgrößten Stadt Dänemarks. Zuerst besuchten wir die Kunstgalerie für Mo<strong>de</strong>rne<br />
Kunst. Anschließend hatten wir bis 21Uhr Freizeit.<br />
Am Mittwoch, <strong>de</strong>m 9. April arbeiteten wir zunächst an unserem Projekt weiter. Je<strong>de</strong> Gruppe fertigte einen Artikel<br />
zu ihrem Thema an. Dabei stan<strong>de</strong>n uns die Bibliothek und die vielen Computer <strong>de</strong>r Schule zur Verfügung. Danach hatten<br />
wir die Möglichkeit, verschie<strong>de</strong>ne Unterrichtsstun<strong>de</strong>n zu besuchen. Ich habe Musik und Mathematik gewählt. Die<br />
Lehrer waren sehr nett und versuchten sogar für uns auf Englisch zur unterrichten. Ich hatte das Gefühl, dass <strong>de</strong>r<br />
Unterricht entspannt und locker gestaltet wird. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tages wur<strong>de</strong> ein Vortrag über die Skagen-Maler gehalten.<br />
Skagen ist die nördlichste Stadt Dänemarks.<br />
Am Donnerstag, <strong>de</strong>m 10. April fuhren wir <strong>de</strong>n gesamten Tag nach Skagen. Die Fahrt dauerte fast 2 Stun<strong>de</strong>n. Dort<br />
haben wir uns in <strong>de</strong>m Kunstmuseum <strong>de</strong>r Stadt die Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Skagen-Maler angesehen. Anschließend sind wir nach<br />
Grenen, <strong>de</strong>r Nordspitze Dänemarks gefahren, wo Nord- und Ostsee zusammenfließen. Es ist wirklich faszinierend, wie<br />
die Wellen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Meere aufeinan<strong>de</strong>r stoßen. Außer<strong>de</strong>m haben wir Robben gesehen, während wir am Strand liefen.<br />
Am Freitag, <strong>de</strong>m 11. April konnten wir wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Unterricht besuchen. Ich habe mir Dänisch und Biologie aus -<br />
gesucht und auch hier müssen die Schüler sich mit Gedichtinterpretationen herumschlagen. Dann hieß es bald<br />
Abschied von unseren Austauschschülern und <strong>de</strong>r Schule zu nehmen, <strong>de</strong>nn eine lange Heimreise stand uns bevor.<br />
Es war eine schöne Woche in Dänemark, aus <strong>de</strong>r ich viele Eindrücke mit nach Hause genommen habe und ich freue<br />
mich schon auf <strong>de</strong>n Besuch <strong>de</strong>r dänischen Schüler hier bei uns.<br />
Carolin Borauke<br />
21
Die Roboter kommen (III)<br />
Caroliner erfüllen die Mission Power-Puzzle <strong>de</strong>r FIRST Lego-League<br />
Seit nunmehr vier Jahren organisiert <strong>de</strong>r Fachbereich Informatik am Carolinum für Schüler das<br />
Abenteuer Legoroboter »to create a world where science and technology are celebrated, where<br />
young people dream of becoming science and technology heroes…«<br />
(Dean Kamen, amerikanischer Erfin<strong>de</strong>r, Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Wettbewerbs FIRST Lego-League).<br />
Über die Entwicklung <strong>de</strong>s Spezialkurses, das Anliegen <strong>de</strong>r FIRST Lego-League und die Erlebnisse<br />
<strong>de</strong>r Mannschaften ›Carosubmarines‹ und ›Nanotecs‹ ist in <strong>de</strong>n Heften 136 und 138<br />
dieser Zeitschrift berichtet wor<strong>de</strong>n.<br />
Inzwischen können wir <strong>de</strong>r Erfolgsgeschichte <strong>de</strong>s Legokurses ein weiteres Kapitel hinzu -<br />
fügen.<br />
Die CaroAces<br />
Nichts bleibt, wie es ist – unter diesem Motto begann die Mannschaft <strong>de</strong>s Jahres 2007 im Februar<br />
mit <strong>de</strong>r Arbeit. Für <strong>de</strong>n Wettbewerb waren erstmals Lego-NXT-Baukästen zugelassen, und<br />
damit Roboter mit neuen Sensoren (Ultraschall, Mikrofon, Rotationssensoren) und schnelleren<br />
Prozessoren.<br />
Die neuen Roboter basieren auf<br />
<strong>de</strong>m System von Lego-Technik.<br />
Der Lichtsensor unseres Krans<br />
kann die Farben <strong>de</strong>r Kugeln<br />
unterschei<strong>de</strong>n.<br />
Beim Lösen einfacher Aufgaben, an <strong>de</strong>nen die Schüler <strong>de</strong>r Klasse 9 das Konstruieren und<br />
Programmieren trainieren, lernten die Schüler schnell die größere Präzision gegenüber <strong>de</strong>n alten<br />
RCX-Maschinen schätzen, mussten aber auch feststellen, dass die neuen Roboter erheblich<br />
größer und sperriger gerieten und mit ihren starken Motoren auch schon mal die Kulissen auf<br />
<strong>de</strong>r Übungsfläche kurz und klein fahren konnten.<br />
Der Umstieg auf das neue Legosystem war eine wesentliche, jedoch nicht die einzige Verän<strong>de</strong>rung<br />
gegenüber <strong>de</strong>n vergangenen Jahren. Zu <strong>de</strong>n Schlussfolgerungen aus <strong>de</strong>n letzten Wettbewerben<br />
gehörte, unsere Teambezeichnung nicht mehr jährlich zu wechseln. Es galt langfristig<br />
einen Namen aufzubauen, <strong>de</strong>r für die gute Legoarbeit am Carolinum bürgt. Die Schüler entschie<strong>de</strong>n<br />
sich für <strong>de</strong>n Namen CaroAces. Gleichzeitig mel<strong>de</strong>ten sie sich für <strong>de</strong>n Regionalwett -<br />
bewerb an, diesmal aber – eine weitere Neuigkeit – nicht mehr in Trittau, son<strong>de</strong>rn in Berlin,<br />
eine Entscheidung, die sie nicht bereuen sollten.<br />
22<br />
Roboterjunge Alpharex muss das<br />
Laufen noch lernen.<br />
Robotervater Dominic hilft ihm bei<br />
seinen ersten Schritten ins Leben.<br />
Trainer Kai-Uwe macht seine<br />
ersten Erfahrungen als ›Legolehrer‹.
Die Mission ›Power Puzzle‹<br />
Wie in je<strong>de</strong>m Jahr wur<strong>de</strong> bereits viele Monate vor <strong>de</strong>n Wettkämpfen das �ema <strong>de</strong>r Lego -<br />
mission bekannt gegeben:<br />
» ›Power Puzzle‹ Alternative Energien – Eine globale Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
Täglich nutzen wir vielfältige Energien: Wir beheizen unsere Häuser, betanken Autos, la<strong>de</strong>n unsere<br />
Handys und Laptops auf und können sogar Musik auf unsere MP3Player runterla<strong>de</strong>n. Wie<br />
beeinflusst unsere Energienutzung die Umwelt, die Wirtschaft und das Leben rund um <strong>de</strong>n Erdball?<br />
Welche Energiequellen sollten wir nutzen und warum? Fin<strong>de</strong>t heraus, wie die Energie ge -<br />
winnung und <strong>de</strong>r Energieverbrauch die Er<strong>de</strong> und unser Leben heute, morgen und das <strong>de</strong>r nächsten<br />
Generationen beeinflusst. Können FIRST LEGO League Teams die ultimative Lösung für das<br />
weltweite ›Power Puzzle’‹ fin<strong>de</strong>n?«<br />
In <strong>de</strong>n letzten Jahren hatten unsere Teams mit originellen, spektakulären Roboterkonstruktionen<br />
in <strong>de</strong>r Forschungspräsentation von sich re<strong>de</strong>n gemacht, hatten in <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sfinals<br />
damit vor<strong>de</strong>re Plätze belegt und <strong>de</strong>n Lego-Creativity-Award gewonnen. Die Zeit bis zum <strong>Sommer</strong><br />
wollten die Schüler <strong>de</strong>shalb nutzen, um wie<strong>de</strong>r eine einzigartige, Aufsehen erregen<strong>de</strong><br />
Lösung für die Präsentation vorzubereiten. Dazu bezogen sie ein Projekt ein, das das Carolinum<br />
gera<strong>de</strong> erfolgreich abgeschlossen hatte.<br />
DEMMIN – Durable Environmental Multidisciplinary Monitoring Information<br />
Network<br />
Das Demmin-Projekt wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Jahren 2006/2007 unter Leitung <strong>de</strong>s Deutschen Zentrums<br />
für Luft- und Raumfahrt (DLR), Außenstelle Neustrelitz, durchgeführt. Ziel war es, mittels Fernerkundung<br />
per Satellit flächen<strong>de</strong>ckend Informationen über <strong>de</strong>n Zustand landwirtschaft licher<br />
Standorte zu erfassen. Das DLR strebte an, durch diese Daten frühzeitig Erträge zu prognostizieren,<br />
Ernteausfälle durch Dürre o<strong>de</strong>r<br />
Schädlinge vorherzusagen und daraus<br />
folgend pflanzenbauliche Maßnahmen,<br />
wie Düngung, Bewässerung und <strong>de</strong>n<br />
Pflanzenschutz zu empfehlen.<br />
Schüler <strong>de</strong>s Carolinums hatten an<br />
sechs Stand orten eines Versuchsfel<strong>de</strong>s<br />
über die gesamte Vegetationsperio<strong>de</strong> u.<br />
a. Wuchshöhe, Be<strong>de</strong>ckungsgrad, Chlorophyllgehalt,<br />
Blattfläche und Trockenmasse<br />
von Weizenpflanzen gemessen.<br />
Das DLR fertigte zeitgleich Luftbil<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Weizenschlages in verschie<strong>de</strong>nen<br />
Spektren an und stellte Zusammenhänge<br />
mit <strong>de</strong>n Messreihen am Bo<strong>de</strong>n her.<br />
Schüler und Mitarbeiter im Deutschen Zentrum<br />
für Luft- und Raumfahrt. Hier wur<strong>de</strong>n<br />
die Daten <strong>de</strong>s Demminprojektes ausgewertet.<br />
23
Während die Arbeitsgruppe <strong>de</strong>s<br />
Carolinums am Bo<strong>de</strong>n Daten<br />
erfasst und dokumentiert,<br />
wer<strong>de</strong>n durch das DLR zeitgleich<br />
Luftbil<strong>de</strong>r angefertigt.<br />
Darauf aufbauend wollten die CaroAces ein ›Lego-Rapsfeld‹ (nachwachsen<strong>de</strong>r Energieträger)<br />
aus <strong>de</strong>m ›Weltraum‹ analysieren und die Messwerte zu einem Roboter auf die Er<strong>de</strong> funken<br />
lassen. Der Roboter wür<strong>de</strong> dann punktgenau nachsäen, bewässern und Schädlinge bekämpfen.<br />
Alternative Energien umweltschonend nutzbar machen – Raumfahrt, Robotertechnik und<br />
Land wirtschaft am High-Tech-Standort Mecklenburg-Vorpommern, so stellten sich die Schüler<br />
ihre Forschungspräsentation vor.<br />
Florian hatte für <strong>de</strong>n Auftritt <strong>de</strong>r Jungs viele Stun<strong>de</strong>n konstruiert und programmiert. Ein<br />
digitaler Fotoapparat stellte <strong>de</strong>n Satelliten dar, <strong>de</strong>r auf einem Mo<strong>de</strong>llfeld <strong>de</strong>n Raps ›multispektral‹<br />
analysierte. Eine eigens geschriebene Software rasterte das Bild und errechnete aus <strong>de</strong>n<br />
Messwerten ein Programm mit Arbeitsanweisungen, das <strong>de</strong>r Roboter abarbeiten konnte.<br />
Reihe für Reihe fuhr <strong>de</strong>r Roboter das Feld ab und legte an <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen Stellen blaue<br />
(Wasser), grüne (Dünger) o<strong>de</strong>r weiße (Pflanzenschutz) Legosteine ab. Es war beeindruckend,<br />
24<br />
Bestimmung <strong>de</strong>s Chlorophyllgehaltes<br />
eines Getrei<strong>de</strong>blattes mit<br />
<strong>de</strong>m N-Tester Yara SPAD-502<br />
Wie hoch steht <strong>de</strong>r Weizen?<br />
Mit statistischen Verfahren muss<br />
ein Mittelwert gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Links das ›Luftbild‹ <strong>de</strong>s Fotoapparates, rechts das errechnete Raster, aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Computer die Arbeitsanweisungen<br />
für <strong>de</strong>n Roboter ableitet.
wie <strong>de</strong>r Roboter nach und nach die vorher optisch ausgemessenen Flächen mit Legosteinen<br />
be<strong>de</strong>ckte.<br />
Der Roboter kann<br />
in drei Farben je 20<br />
Legosteine zum<br />
Bearbeiten <strong>de</strong>s Fel<strong>de</strong>s<br />
aufnehmen und über<br />
Transportketten und<br />
Klappmechanismen<br />
in <strong>de</strong>n richtigen<br />
Sektor auf <strong>de</strong>m<br />
›Rapsfeld‹ ablegen.<br />
Zurück auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n! (Forschungspräsentation, 2. Versuch)<br />
»Wählt ein Gebäu<strong>de</strong> (Schule/Rathaus) in eurer Umgebung aus, wertet <strong>de</strong>ssen Energieverbrauch<br />
aus. Schaut euch an, welche Energiearten in <strong>de</strong>m Gebäu<strong>de</strong> verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n und wie viel<br />
verbraucht wird. Schlagt Lösungen vor, <strong>de</strong>n Verbrauch zu senken und <strong>de</strong>n Einsatz alternativer<br />
Energien voranzutreiben.«<br />
Betroffen lasen die Schüler wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r die Aufgabenstellung, die mit <strong>de</strong>r Roboter -<br />
mission acht Wochen vor <strong>de</strong>m Wettkampf veröffentlicht wur<strong>de</strong>. Kein Robotereinsatz, keine<br />
revolutionären I<strong>de</strong>en, keine Visionen – sollte wirklich nichts von <strong>de</strong>m, was in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />
so wichtig war, in diesem Jahr in <strong>de</strong>r Forschungspräsentation gefor<strong>de</strong>rt sein? Nicht nur, dass die<br />
CaroAces mit ihren Überlegungen von vorn anfangen mussten; es be<strong>de</strong>utete auch, dass <strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>ren Teams das DLR-Projekt und eine einzigartige Robotershow entgehen wür<strong>de</strong>, auf die<br />
sich unsere Schüler schon so gefreut hatten.<br />
Schweren Herzens machten sich die Jungs wie<strong>de</strong>r an die Arbeit, erstellten brav eine Energiebilanz<br />
<strong>de</strong>s Carolinums und schlugen in ihrer Spielszene vor, das Dach <strong>de</strong>s Hauses mit einer Isolierung<br />
aus Altpapier zu versehen.<br />
Um wenigstens Teile ihrer Robotershow zu retten, ließen sie <strong>de</strong>n Satelliten nicht mehr das<br />
Feld, son<strong>de</strong>rn eine Dachfläche scannen und ihren Roboter <strong>de</strong>n Dachstuhl isolieren. Trotz<strong>de</strong>m,<br />
die neue Präsentation blieb nur ein schwacher Abglanz unserer kühnen I<strong>de</strong>e mit <strong>de</strong>m echten<br />
Raumfahrtprojekt.<br />
25
Wir befin<strong>de</strong>n uns nun auf <strong>de</strong>m Dach eines Hauses.<br />
Auf <strong>de</strong>m Dach haben sich (zufällig angeordnete)<br />
Wärmebrücken gebil<strong>de</strong>t, die wir durch mehrere farbige<br />
Papierblätter symbolisieren.<br />
Die magische Zahl 400<br />
Der Umstieg auf das neue Robotersystem bot <strong>de</strong>n Carolinern die Chance, in einer Disziplin<br />
stärker zu punkten, die bisher immer die meisten Schwierigkeiten bereitete: <strong>de</strong>m Roboter-<br />
Game.<br />
Im Roboterwettkampf lassen sich auf <strong>de</strong>m Parcours theoretisch 400 Punkte erreichen. Dazu<br />
muss man jedoch einen Roboter an <strong>de</strong>n Start bringen, <strong>de</strong>r innerhalb von 150 Sekun<strong>de</strong>n alle Aufgaben<br />
auf Anhieb fehlerfrei löst und dabei in einer Konkurrenzaufgabe auch noch schneller ist,<br />
als <strong>de</strong>r Roboter <strong>de</strong>s Teams vom Nachbartisch.<br />
Die Caroliner Mannschaften konnten sich bisher in ihren Rennen von Jahr zu Jahr steigern:<br />
2004 No Limits 151 Punkte im Regionalfinale<br />
2005 Ocean Odyssee 229 Punkte im Regionalfinale, 221 Punkte im Bun<strong>de</strong>sfinale<br />
2006 Nano Quest 283 Punkte im Regionalfinale, 343 Punkte im Bun<strong>de</strong>sfinale<br />
Die Maximalzahl 400 Punkte war für uns immer eine abstrakte Grenze, die wir praktisch für<br />
nicht erreichbar hielten.<br />
Im Jahre 2006 erlebte unser Team auf <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sfinale in Mag<strong>de</strong>burg erstmalig, wie zwei<br />
Mannschaften – die späteren Siegerteams – anscheinend spielend leicht auf jene magischen 400<br />
Punkte kamen, und das auch noch mehrmals nacheinan<strong>de</strong>r.<br />
Wenn es also doch möglich ist – warum dann nicht für uns? Um die volle Punktzahl im<br />
Robotgame und damit um <strong>de</strong>n Titel eines Champions zu fighten, sollte die wahre Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
<strong>de</strong>s Jahres für die CaroAces wer<strong>de</strong>n.<br />
Anfangs sah es jedoch nicht so aus, als wenn mit <strong>de</strong>n neuen Robotern ein Durchbruch zu<br />
schaffen wäre. Roboter sind eben doch nur so gut, wie die Menschen, die sie erschaffen, und unsere<br />
Schüler machten beim Training dieselben Anfängerfehler, wie die Teams <strong>de</strong>r vergangenen<br />
Jahre: instabile, schlecht durchdachte Konstruktionen, wenig rationelle Programme, unzu -<br />
reichen<strong>de</strong> Fehleranalysen. Kein Wun<strong>de</strong>r, dass die Bestleitung in <strong>de</strong>n Übungsmissionen auch nur<br />
160 Punkte betrug.<br />
26<br />
Das Dach <strong>de</strong>s Gymnasiums wird isoliert: mit einem<br />
Material, hergestellt aus alten Zeitungen.<br />
So je<strong>de</strong>nfalls lassen wir es in <strong>de</strong>r Forschungspräsen -<br />
tation ›wahr‹ wer<strong>de</strong>n.
Erst in <strong>de</strong>n Herbstferien, <strong>de</strong>r intensivsten Arbeitsphase in <strong>de</strong>r Vorbereitung auf die Lego-<br />
League, fan<strong>de</strong>n die Schüler ihre Lösung. Sie entwickelten einen sehr schnell manövrieren<strong>de</strong>n<br />
Roboter (erstmals mit Rä<strong>de</strong>rantrieb und nicht mit Ketten), <strong>de</strong>r sich im Rennen, also während<br />
die Zeit lief, blitzschnell umbauen ließ. Die einzelnen Module – die meisten waren Schiebe -<br />
schil<strong>de</strong> in verschie<strong>de</strong>nen Größen – passten alle auf einen einzigen Stecker und ließen sich so<br />
während <strong>de</strong>r ›Boxenstopps‹ ganz leicht austauschen. Das Steuerprogramm wur<strong>de</strong> ebenfalls<br />
modular programmiert. Damit konnten die Teilaufgaben solange in immer wie<strong>de</strong>r neuer<br />
Reihenfolge ausgeführt wer<strong>de</strong>n, bis die Jungs die schnellste Variante herausgefun<strong>de</strong>n hatten.<br />
Was in <strong>de</strong>r Formel 1 die Boxengasse, ist in <strong>de</strong>r Lego-League die Base: Je<strong>de</strong>r Handgriff muss sitzen - auch <strong>de</strong>r<br />
Umbau in Rekordzeit wird trainiert.<br />
Montag: 290 Punkte, Dienstag: 340, Mittwoch: 370, Donnerstag: 385, Freitag: 395 Punkte. Je<br />
näher die Jungen <strong>de</strong>m Ziel zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Herbstferien kamen, <strong>de</strong>sto schwieriger wur<strong>de</strong> es, aber<br />
umso ehrgeiziger wur<strong>de</strong>n sie auch. Wir waren uns ziemlich sicher, dass wir mit dieser Leistung<br />
schon vorn im Wettbewerb mitspielen könnten. Es wür<strong>de</strong> aber härter wer<strong>de</strong>n, als in <strong>de</strong>n vergangenen<br />
Jahren; immerhin hatten 2007 insgesamt mehr als 450 Mannschaften für die Legoleague<br />
gemel<strong>de</strong>t.<br />
27
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin…<br />
Am 17. November 2007 war es für die CaroAces soweit. Unter Leitung ihres Trainers Valentin<br />
Lunkenheimer fuhr die Mannschaft zum Regionalwettbewerb <strong>de</strong>r First Lego League in die<br />
Bun<strong>de</strong>shauptstadt.<br />
Neben <strong>de</strong>n Carolinern hatten ursprünglich zehn weitere Berliner Mannschaften für dieses<br />
Regionalfinale gemel<strong>de</strong>t; mehrere traten jedoch auf Grund <strong>de</strong>r schweren Aufgaben nicht mehr<br />
zum Wettkampf an.<br />
Pünktlich um 10.30 Uhr wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wettbewerb durch die Juroren <strong>de</strong>r gastgeben<strong>de</strong>n Firma<br />
Motorola eröffnet. Für die CaroAces als einziger Mannschaft aus Mecklenburg-Vorpommern<br />
galt es zunächst, im fairen Wettstreit mit <strong>de</strong>n Schülern aus <strong>de</strong>r Hauptstadt um Punkte in <strong>de</strong>n<br />
Kategorien Roboter<strong>de</strong>sign, Teamarbeit und Forschungspräsentation zu kämpfen.<br />
Die CaroAces verteidigen vor <strong>de</strong>n Prüfern <strong>de</strong>n Konstruktionsansatz für ihren Roboter.<br />
Entsprechend ihrer geän<strong>de</strong>rten Forschungspräsentation schlüpften die Caroliner in die Rolle<br />
von Professoren, welche in einer fiktiven Fernsehsendung verschie<strong>de</strong>ne Lösungen zur Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Energiebilanz <strong>de</strong>s Carolinumgebäu<strong>de</strong>s vorstellten. Anschließend hatten sie sich in<br />
einem Kolloquium <strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r Juroren zu stellen und diskutierten mit <strong>de</strong>n Prüfern Verfahren<br />
zur Wärmedämmung an Bauten.<br />
Höhepunkt <strong>de</strong>s Turniers war jedoch <strong>de</strong>r eigentliche, mit Spannung erwartete Roboterwettkampf.<br />
Den Mannschaften in <strong>de</strong>n Hamburger Regionalfinals konnten die Neustrelitzer seinerzeit<br />
das Wasser reichen, was die Berliner können, mussten die CaroAces erst noch heraus -<br />
fin<strong>de</strong>n. Die Angst war unbegrün<strong>de</strong>t. Souverän meisterten die Caroliner die geplante Mission in<br />
<strong>de</strong>r Vorrun<strong>de</strong> und zogen mit 370 von 400 möglichen Punkten sicher ins Halbfinale ein.<br />
Nun aber holten die an<strong>de</strong>ren Mannschaften auf und verkürzten <strong>de</strong>n Abstand zu <strong>de</strong>n Caro -<br />
Aces. Markus und Maximilian, die <strong>de</strong>n Neustrelitzer Roboter am Wettkampftisch ausrichten<br />
und für je<strong>de</strong> neue Aufgabe umbauen mussten, verän<strong>de</strong>rten in einer Wettkampfpause noch einmal<br />
die Konstruktion, um noch exakter auf <strong>de</strong>m Feld zu agieren.<br />
28
Damit steigerten sie die Leistungsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>s kleinen Roboters weiter und zogen sicher<br />
in das Finale <strong>de</strong>s Roboterwettkampfes ein.<br />
Die Endrun<strong>de</strong> verlangte von <strong>de</strong>n Wettkämpfern<br />
alles ab. Die Finalgegner, die<br />
MCO-Robots, hatten eine ähnliche Strategie<br />
für ihre Mission entwickelt und somit ebenfalls<br />
alle Chancen, <strong>de</strong>n Sieg zu erringen.<br />
Erschwerend für bei<strong>de</strong> Mannschaften war,<br />
dass die Aufgaben zweimal gelöst wer<strong>de</strong>n<br />
mussten, und je<strong>de</strong>s kleine Missgeschick das<br />
Aus be<strong>de</strong>uten wür<strong>de</strong>. Doch die Strategie <strong>de</strong>r<br />
Caroliner ging auf. Mit einer zehntel Sekun<strong>de</strong><br />
Vorsprung löste ihr Roboter <strong>de</strong>n Solar -<br />
satelliten aus, wodurch fünf Punkte an die<br />
CaroAces gingen, die die Berliner nicht mehr<br />
erreichen konnten. Mit 385 und 395 Punkten<br />
gewannen die Neustrelitzer bei<strong>de</strong> Final läufe<br />
und damit <strong>de</strong>n gesamten Roboterwettkampf.<br />
Der Staudamm wird zum Fluss transportiert.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für die Punktzahl ist die erreichte Zielposition<br />
<strong>de</strong>s Staudammes.<br />
Während <strong>de</strong>s gesamten Tages beobachteten<br />
mehrere Juroren die Schüler beim Wettstreit<br />
gegeneinan<strong>de</strong>r, ihr Auftreten, ihren Zusammenhalt als Mannschaft, ihren Siegeswillen<br />
und auch ihre Hilfsbereitschaft an<strong>de</strong>ren Mannschaften gegenüber. Mit unbändigem Spaß am<br />
Wettkampf, mit Schlachtrufen und Laolawellen sorgten die Neustrelitzer für Stimmung im Firmengebäu<strong>de</strong><br />
von Motorola.<br />
Die Siegerehrung brachte für die Caroliner <strong>de</strong>n verdienten Lohn für die Arbeit <strong>de</strong>r letzten<br />
Monate. Die Schüler gewannen <strong>de</strong>n Regionalwettbewerb in <strong>de</strong>n Sparten ›Roboterwettkampf‹<br />
und ›Roboter<strong>de</strong>sign‹ und wur<strong>de</strong>n Lego-Champion im Regionalfinale Berlin.<br />
Mit ihrer souveränen Leistung waren die CaroAces für die nächste Wettkampfrun<strong>de</strong> qualifiziert,<br />
wo es galt, die Län<strong>de</strong>r Berlin und Mecklenburg-Vorpommern international zu vertreten.<br />
Die CaroAces und ihre<br />
neuen Freun<strong>de</strong>, die<br />
MCO-Robots aus Berlin.<br />
Dass unser Legoteam<br />
sich mit an<strong>de</strong>ren Mannschaften<br />
anfreun<strong>de</strong>t,<br />
Gedanken, I<strong>de</strong>en und<br />
Tipps austauscht, ist wohl<br />
das schönste, was auf<br />
diesem Wettbewerb<br />
passieren konnte.<br />
29
Alles erreicht und nichts gewonnen<br />
Wir nahmen eine dreizehnstündige Busfahrt (855 km) quer durch Deutschland auf uns, um am<br />
großen Zentraleuropäischen Finale in <strong>de</strong>r kleinen Schwarzwaldgemein<strong>de</strong> Triberg teilzunehmen.<br />
418 Schülermannschaften aus Deutschland, Österreich, Ungarn, <strong>de</strong>r Schweiz, Tschechien<br />
und Polen waren in 31 regionalen Vorausschei<strong>de</strong>n gegeneinan<strong>de</strong>r angetreten. Nur 38 Mannschaften<br />
glückte <strong>de</strong>r Sprung in die Finalrun<strong>de</strong>, unter ihnen auch das Legoteam <strong>de</strong>s Carolinums.<br />
Allein die Zulassung zu diesem hochkarätig besetzten Wettkampf be<strong>de</strong>utete also eine Auszeichnung<br />
für uns.<br />
Lego international. Schüler aller teilnehmen<strong>de</strong>n Nationen<br />
grüßen in ihrer Lan<strong>de</strong>ssprache die Teams.<br />
Die zentraleuropäische Meisterschaft<br />
wur<strong>de</strong>, wie schon die Regionalfinals,<br />
in mehreren Kategorien ausgetragen.<br />
Je<strong>de</strong> Mannschaft startete in <strong>de</strong>n<br />
Sparten Roboter-Design, Forschungspräsentation,<br />
Teamwork und Roboter-<br />
Challenge.<br />
38 Mannschaften, das war nicht nur<br />
Teilnehmerrekord, es be<strong>de</strong>utete auch<br />
einen völlig neuen Ablauf <strong>de</strong>s Wettkampfes:<br />
alle Mannschaften wur<strong>de</strong>n in<br />
je<strong>de</strong>r Kategorie auf jeweils vier Jurys<br />
aufgeteilt, so dass je<strong>de</strong>s Kampfgericht<br />
sich ein Bild von neun o<strong>de</strong>r zehn<br />
Mannschaften machen konnte.<br />
Die Bewertung erfolgte allerdings<br />
nicht nur für je<strong>de</strong> Kategorie auf an<strong>de</strong>re<br />
Weise, selbst innerhalb einer Kategorie<br />
sind die vier Jurys lei<strong>de</strong>r nicht einheitlich<br />
an die Bewertung herangegangen,<br />
so dass es neben einer sehr guten Leistung auch einer gehörigen Portion Glücks bedurfte, um in<br />
<strong>de</strong>r Gesamtwertung weit<br />
vorn zu lan<strong>de</strong>n. Hier wird<br />
die Zentrale Wett bewerbs -<br />
leitung nach neuen Wegen<br />
für die zukünftige Wettbewerbsorganisation<br />
suchen<br />
müssen.<br />
30<br />
Singend und tanzend bereiten<br />
sich die CaroAces auf die<br />
nächste Wettkampfrun<strong>de</strong> vor.<br />
Es ist anstrengend, aber es<br />
macht auch viel Spaß beim<br />
heutigen Finale.
Die CaroAces konnten, trotz dieses Handicaps, wie<strong>de</strong>r herausragen<strong>de</strong> Ergebnisse erzielen.<br />
Mit 86 Prozent aller erreichbaren Punkte in <strong>de</strong>r Sparte Roboter<strong>de</strong>sign und 84 Prozent in <strong>de</strong>r<br />
Sparte Teamwork kamen die Caroliner jeweils unter die besten zehn Mannschaften in <strong>de</strong>r Einzelwertung.<br />
Auch die Präsentation <strong>de</strong>r Forschungsergebnisse, die in einem nur fünfminütigen<br />
Vortrag dargelegt wer<strong>de</strong>n mussten, gelang <strong>de</strong>n Carolinern gut (74 Prozent) und be<strong>de</strong>utete einen<br />
Mittelfeldplatz in dieser Kategorie.<br />
Das Hauptaugenmerk hatten die CaroAces in diesem Jahr ja auf das eigentliche Roboterrennen<br />
gelegt.<br />
Die Aufgabe »Montiere die Solarzelle auf <strong>de</strong>m Dach <strong>de</strong>s Wohnhauses« ist gelöst – das Solarmodul bleibt auf<br />
<strong>de</strong>m Dach liegen.<br />
Der Roboter je<strong>de</strong>r Mannschaft durfte zunächst dreimal an <strong>de</strong>n Start gebracht wer<strong>de</strong>n, und<br />
das beste Ergebnis ging in die Wertung. Die Caroliner konnten in dieser Vorrun<strong>de</strong> 390 von 400<br />
möglichen Punkten erkämpfen; das war schon das höchste Ergebnis, was ihnen bis dahin jemals<br />
auf Bun<strong>de</strong>sebene gelang. Doch selbst diese sehr gute Wertung be<strong>de</strong>utete ›nur‹ Platz 8 und<br />
großes Bangen um <strong>de</strong>n Einzug ins Viertelfinale, <strong>de</strong>nn eine weitere Mannschaft hatte die gleiche<br />
Punktzahl erreicht. Das zeigt, auf welch hohem Niveau dieser internationale Schülerwettkampf<br />
ausgetragen wur<strong>de</strong>.<br />
Eine Beratung <strong>de</strong>r Jury und viel Daumendrücken bei <strong>de</strong>n Neustrelitzer Gymnasiasten war<br />
notwendig – doch dann stand es fest: die CaroAces hatten sich für das Viertelfinale qualifiziert.<br />
In <strong>de</strong>r Run<strong>de</strong> <strong>de</strong>r besten acht Mannschaften gelang ihnen sogar ihr Meisterstück: <strong>de</strong>r Roboter<br />
löste innerhalb <strong>de</strong>r vorgegebenen Zeit alle Aufgaben fehlerfrei, die Mannschaft erreichte in<br />
einem hochspannen<strong>de</strong>n Rennen die Traumwertung von 400 Punkten, ein Ergebnis, das auf <strong>de</strong>m<br />
31
gesamten Zentraleuropäischen Finale nur sechs Mannschaften überhaupt glückte. Natürlich<br />
waren die Neustrelitzer damit für die nächste Run<strong>de</strong> qualifiziert, und erst hier im Halbfinale,<br />
beim Aufeinan<strong>de</strong>rtreffen <strong>de</strong>r besten vier Mannschaften aus <strong>de</strong>n sechs teilnehmen<strong>de</strong>n Nationen,<br />
wur<strong>de</strong>n die Caroliner knapp bezwungen.<br />
Es war sicher regelkonform, trotz<strong>de</strong>m konnten sich die Schüler nur schwer damit abfin<strong>de</strong>n,<br />
mit dieser großartigen Wettkampfleistung in Triberg letztlich ›leer‹ auszugehen.<br />
Zum guten Schluss<br />
Das Zentraleuropäische Finale <strong>de</strong>r First-Legoleague bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Höhepunkt und <strong>de</strong>n Abschluss<br />
<strong>de</strong>s Legojahres, war jedoch längst nicht die einzige Bewährungsprobe <strong>de</strong>r CaroAces.<br />
Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil einer<br />
erfolgreichen ›Firmentätigkeit‹.<br />
Dafür nutzen wir erstmals das Schulfest.<br />
für uns nicht nur ein höchst willkommenes Sprechtraining<br />
unter ›Einsatzbedingungen‹. Der Beitrag wur<strong>de</strong><br />
für eine Radiosendung zum �ema »Der große Schulvergleich«<br />
aufgezeichnet. Die Bildungsangebote einer<br />
Schweriner Privatschule wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nen unseres Gymnasiums<br />
gegenübergestellt. Klar, dass wir mit unserem<br />
Legokurs <strong>de</strong>m Carolinum alle Ehre machten.<br />
Insgesamt schließen wir also ein erfolgreiches Legojahr<br />
ab. Wir können bilanzieren, dass uns <strong>de</strong>r Umstieg<br />
auf das NXT-System gelungen ist. Die Erfolge im Zentraleuropäischen<br />
Finale und die Erinnerung an ein<br />
»Team wie aus einem Guss« (Jury Berlin), das nur<br />
durch die Gemeinsamkeit aller seiner Mitglie<strong>de</strong>r zu einem<br />
solchen Erfolg in <strong>de</strong>r Lage war, wer<strong>de</strong>n wir immer<br />
mit <strong>de</strong>m Legojahrgang 2007 verbin<strong>de</strong>n.<br />
Trainer Markus schrieb auf unserer Internetseite,<br />
was alle empfan<strong>de</strong>n:<br />
32<br />
Im Herbst trat unser Legoteam erstmals<br />
auf <strong>de</strong>m Schulfest <strong>de</strong>s Carolinums auf.<br />
Hauptattraktionen waren ein selbst gebautes<br />
Roboterhockey und die Showroboter<br />
Alpharex und Spike.<br />
Beim Tag <strong>de</strong>r offenen Tür – nach zwei<br />
Jahren Pause wie<strong>de</strong>r durchgeführt – konnten<br />
wir viele Gäste an unserem Stand<br />
begrüßen und trugen so zur Werbung für<br />
unser Gymnasium bei.<br />
Kurzweilige Abwechslung brachte im<br />
November <strong>de</strong>r Besuch eines Rundfunkreporters<br />
vom NDR. Solche Interviews sind<br />
Lego lebt vom Mitmachen. Trainer Lucas<br />
betreut seinen jungen Gast beim Hin<strong>de</strong>rnis -<br />
parcours.
»Das Legojahr en<strong>de</strong>te zum Glück erst wie<strong>de</strong>r im<br />
Dezember. Das heißt, wir haben uns zum wie<strong>de</strong>rholten<br />
Male für die zweite Run<strong>de</strong> <strong>de</strong>r First Lego-League qualifiziert<br />
– für das Zentraleuropäische Finale in Triberg.<br />
Obwohl die Aufgaben in dieser Legosaison noch komplexer<br />
und komplizierter waren als in <strong>de</strong>n vergangenen,<br />
hatten wir wie<strong>de</strong>r große Erfolge zu verbuchen. Sogar <strong>de</strong>r<br />
Part ›Robotgame‹ lief dieses Mal optimal. Deswegen<br />
konnten wir in Berlin Robotchampion wer<strong>de</strong>n und im<br />
Zentral europäischen Finale sogar mit <strong>de</strong>r absoluten,<br />
vorher noch nie erreichten Höchstpunktzahl von 400<br />
über das ebenso noch nie dagewesene Viertel- bis ins<br />
Halbfinale einziehen. Auch 2007 hat uns gezeigt, dass<br />
das Wichtigste überhaupt ein funktionieren<strong>de</strong>s Team<br />
ist. Der Zusammenhalt und die Stimmung waren genial<br />
und machten die Finals zu einem unvergesslichen Erlebnis.<br />
Wie haben einmal mehr bewiesen, dass wir in <strong>de</strong>r<br />
Lage sind, aus einer bunten Truppe binnen sechs Monaten<br />
ein eingeschworenes und nicht unter zu kriegen<strong>de</strong>s<br />
Team zu machen. Wir wer<strong>de</strong>n dieses Team immer in<br />
guter Erinnerung behalten. ›Gute Freun<strong>de</strong> sind nie zu<br />
trennen!‹ heißt es, und das trifft auf uns genau zu! Wir<br />
sind die CaroAces, wir sind EIN TEAM!! In diesem Sinne<br />
noch mal Danke für die Klasse Zusammenarbeit und<br />
für eine geile Zeit!<br />
Valentin als NDR-Rennreporter:<br />
Unser Cheftrainer schil<strong>de</strong>rt in packen<strong>de</strong>n<br />
Worten die wil<strong>de</strong> Fahrt <strong>de</strong>s Roboters.<br />
Danke an Velle, Kai, Stumpi, Päkchen, Tobsi, Jojo, Henning, Max und Lucas. Unser Dank gilt<br />
auch <strong>de</strong>m Schulverein ›Carolinum‹ e.V. CaroAces forever!«<br />
Andreas Löskow www.carolinum.<strong>de</strong>/lego<br />
Die CaroAces 2007: Lucas Thiem, Maximilian Gehrlich, David Nowitzke, Kai-Uwe Hey<strong>de</strong>n, Johannes Bussian,<br />
Valentin Lunkenheimer, Tobias Schult, Andreas Pakusa, Markus Turowski<br />
www.carolinum.<strong>de</strong>/lego<br />
33
Projekttag <strong>de</strong>r 10. Klassen<br />
Der Projekttag unter <strong>de</strong>m Motto »Studium – Beruf – Leben« am 27.06.<strong>2008</strong> bot ein weites<br />
Spektrum an Aktivitäten rund um das spätere (Berufs-) Leben.<br />
Langjährige Kooperationspartner wie die Hochschule Neubran<strong>de</strong>nburg, die AOK, die<br />
Verbundnetz AG Leipzig und das Generalkonsulat <strong>de</strong>r USA in Hamburg unterstützten <strong>de</strong>n<br />
Projekttag. Die Schüler konnten aus einem vielfältigen Angebot wählen.<br />
34<br />
Ein Seminar <strong>de</strong>r AOK zur 1. Hilfe:<br />
Stabile Seitenlage<br />
Frau Yoshi Ludwig (vorn rechts)<br />
vom Generalkonsulat <strong>de</strong>r USA in<br />
Hamburg referierte zum Thema<br />
»Studieren und Arbeiten in <strong>de</strong>n<br />
USA«<br />
Dr. Dr. An<strong>de</strong>rs Henningsen, Absolvent <strong>de</strong>s Carolinums 1997<br />
stellte die Bun<strong>de</strong>swehr als Arbeitgeber vor
Im Seminar »Wieviel Bewegung<br />
braucht <strong>de</strong>r Mensch?« wur<strong>de</strong><br />
zunächst <strong>de</strong>r persönliche Körperfettwert<br />
ermittelt, um ein effektives<br />
Trainingsprogramm zu erstellen<br />
Die Fahrschulen Kohn und<br />
Zornikau aus Neustrelitz<br />
verlegten <strong>de</strong>n Fahrschulunterricht<br />
auf das Immergut-<br />
Gelän<strong>de</strong>. Die Hin- und<br />
Rückfahrt mit <strong>de</strong>r Bimmelbahn<br />
war ein sehr willkommenes<br />
Extra.<br />
Im »Le petit«von Gesine Holst wur<strong>de</strong>n<br />
die neuesten Frisurtrends zu<br />
verschie<strong>de</strong>nen Anlässen ausprobiert<br />
Heiko Benzin<br />
35
Aus <strong>de</strong>r Geschichte<br />
Die Fritz Reuter Gesellschaft<br />
zu Gast am GymnasiumCarolinum<br />
Bereits seit Januar diesen Jahres war <strong>de</strong>r 19. April in meinem Kalen<strong>de</strong>r angekreuzt. Eine Weiterbildung<br />
vor Ort und dann in <strong>de</strong>r eigenen Schule, diesen Heimvorteil wollte ich nutzen.<br />
Die Fritz Reuter Gesellschaft ist neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch dafür bekannt,<br />
dass sie interessierten Lehrern Unterstützung gibt, die platt<strong>de</strong>utsche Sprache im Unterricht<br />
o<strong>de</strong>r in Projektgruppen anzuwen<strong>de</strong>n. Schon mehrmals kam ich aus Neubran<strong>de</strong>nburg mit praktikablen<br />
I<strong>de</strong>en zurück, die ich dann im Rahmen <strong>de</strong>s Neigungsunterrichts Platt<strong>de</strong>utsch für die<br />
Klassen 7-10 umsetzen konnte.<br />
Der Anfang ist also gemacht und ich hoffe auf <strong>de</strong>n Erhalt <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn ich schließe<br />
mich <strong>de</strong>n Gedichtzeilen von Ursula Kurz an, die sagt: »Plattdütsch, dat is mihr as Sprak, Plattdütsch<br />
is Tauhns«.<br />
Doch zurück zum 19. April <strong>2008</strong>. Die Aula <strong>de</strong>s Carolinums bot <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Fritz<br />
Reuter Gesellschaft, die aus ganz Deutschland angereist waren, sowie <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r platt<strong>de</strong>utschen<br />
Sprache an diesem Tag »Hüsung«, wie es Olaf Müller, <strong>de</strong>r amtieren<strong>de</strong> Schulleiter,<br />
ausdrückte.<br />
Wat geef dat nu tau seihn un tau hüren?<br />
Der Schirmherr <strong>de</strong>r Veranstaltung, unser Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur,<br />
Henry Tesch, stimmte die Anwesen<strong>de</strong>n bereits in seiner Begrüßungsre<strong>de</strong> auf Platt<strong>de</strong>utsch ein,<br />
in <strong>de</strong>m er aus Fritz Reuters »Urgeschicht von Meckelnborg« zitierte. Auch Ingrid Sievers, erste<br />
Beigeordnete <strong>de</strong>s Landkreises Mecklenburg-Strelitz, ließ es sich nicht nehmen ihre Willkommensgrüße<br />
in Platt zu formulieren. Dann ging es mit verschie<strong>de</strong>nen halbstündigen Beiträgen<br />
weiter. Im Mittelpunkt stand das �ema: »Neustrelitz – Resi<strong>de</strong>nz zur Zeit Fritz Reuters«.<br />
Der Zuhörer erhielt einen Überblick über die Geschichte <strong>de</strong>s Herzogtums Mecklenburg-Strelitz<br />
sowie die Amerika-Auswan<strong>de</strong>rung aus Mecklenburg während <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts. Neuere<br />
Untersuchungen befassten sich mit <strong>de</strong>r Darstellung jüdischer Figuren in Fritz Reuters Werken.<br />
Über Daniel San<strong>de</strong>rs war zu erfahren, dass er auch nie<strong>de</strong>r<strong>de</strong>utsche Mundarttexte sammelte und<br />
über Karl Kraepelin, dass er <strong>de</strong>r beste und gefragteste Reuter-Interpret seiner Zeit war. Höhepunkte<br />
<strong>de</strong>r Tagesveranstaltung waren für mich die Lesung von Werner Völschow aus Fritz Reuters<br />
»Dorchläuchting« und das herzerfrischen<strong>de</strong> Programm »Up Platt« <strong>de</strong>r Grundschüler aus<br />
Altstrelitz.<br />
So informativ und kurzweilig wünscht man sich Fortbildung.<br />
Dieser Tag hat mich auch darin bestärkt einen langen Atem zu haben, wenn es darum geht<br />
noch mehr Jugendliche für die platt<strong>de</strong>utsche Sprache, mit <strong>de</strong>r sich soviel ausdrücken lässt, zu<br />
interessieren. Vielleicht heißt es dann einmal »Platt is cool«.<br />
36<br />
Ingrid Grundtmann
Die Geschichte eines vergangenen Lan<strong>de</strong>s:<br />
Mecklenburg-Strelitz<br />
Wenn Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Werke Fritz Reuters <strong>de</strong>n Namen Mecklenburg-Strelitz hören, merken sie auf.<br />
In diesem Großherzogtum verbrachte <strong>de</strong>r Dichter sieben Jahre und durchlebte seine wichtigste<br />
Schaffensperio<strong>de</strong>. Ich nenne an Veröffentlichungen aus dieser Zeit »Kein Hüsung«, »Ut <strong>de</strong> Franzosentid«,<br />
»Ut mine Festungstid« sowie die ersten bei<strong>de</strong>n Teile von »Ut mine Stromtid«. Doch<br />
Mecklenburg-Strelitz spielte auch im Werk Reuters eine Rolle. Während seiner letzten Lebensperio<strong>de</strong><br />
in Eisenach ließ er »Dörchläuchting« erscheinen. Bei <strong>de</strong>r Titelfigur han<strong>de</strong>lt es sich um<br />
Herzog Friedrich Wilhem IV. von Mecklenburg-Strelitz.<br />
Doch was war Mecklenburg-Strelitz? Seit wann gab es überhaupt ein Herzogtum dieses Namens?<br />
Heute ist Mecklenburg-Strelitz als Landkreis ein unterer Verwaltungsbezirk <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>slan<strong>de</strong>s<br />
Mecklenburg-Vorpommern. Es hat annähernd die Größe <strong>de</strong>s ehemaligen Lan<strong>de</strong>s Stargard.<br />
Hiervon getrennt ist seit 1934 das Gebiet <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Ratzeburg. Es ist kaum noch im Bewusstsein,<br />
dass dies einmal Teil von Mecklenburg-Strelitz gewesen ist.<br />
Mecklenburg ist in seiner tausendjährigen Geschichte die meiste Zeit in verschie<strong>de</strong>ne Herrschaftsbereiche<br />
aufgeteilt gewesen. Als mit Gustav Adolf die Güstrower Linie ausstarb, konnte<br />
Herzog Friedrich Wilhelm ganz Mecklenburg vereinen. Doch er hatte nicht mit seiner Verwandtschaft<br />
gerechnet. Gustaf Adolf hatte seinen Schwiegersohn Adolf Friedrich II., einen Onkel<br />
Friedrich Wilhelms, zu seinem Erben bestimmt. Auch auswärtige Mächte suchten, ihre Interessen<br />
zu wahren, und mischten sich ein.<br />
Es folgte ein langwieriger Erbschaftsstreit. Eine kaiserliche Kommission brachte schließlich<br />
1701 in Hamburg einen Vergleich zustan<strong>de</strong>. Friedrich Wilhelm wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anfall <strong>de</strong>s Fürstentums<br />
Güstrow grundsätzlich bestätigt, Adolf Friedrich aber das Fürstentum Ratzeburg – man<br />
beachte die Reihenfolge! – sowie die Herrschaft Stargard zuerkannt. Adolf Friedrich erhielt über<br />
<strong>de</strong>n Stargar<strong>de</strong>r Distrikt die volle Lan<strong>de</strong>shoheit, allerdings hatte er die mecklenburgische Kirchen-<br />
und die Polizeiordnung unverän<strong>de</strong>rt zu beachten. Ebenfalls gemeinsam blieben die Ritterund<br />
Landschaft in ihrer Union von 1621 mit <strong>de</strong>m Landkasten, also <strong>de</strong>r Steuererhebung, das<br />
Konsistorium und das Hof- und Landgericht.<br />
Mit <strong>de</strong>m Hamburger Vertrag war die Linie Mecklenburg-Strelitz <strong>de</strong>s Hauses Mecklenburg<br />
entstan<strong>de</strong>n. Sie hatte Bestand bis 1918. Doch ein Land dieses Namens gab es noch nicht. 1701<br />
wur<strong>de</strong> kein Herzogtum Mecklenburg-Strelitz begrün<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn nur eine neue Linie <strong>de</strong>s Hauses<br />
Mecklenburg, die sich nach <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nz nannte, wie man das in Schwerin tat und bisher in<br />
Güstrow getan hatte. Adolf Friedrich II. residierte im Schloß von Strelitz. Als dieses 1712 abgebrannt<br />
war, ließ Adolf Friedrich III. das Jagdschloß im nahegelegenen Glienke am Zierker See<br />
zum Schloss ausbauen und verlegte seine Resi<strong>de</strong>nz in dieses Neustrelitz. Seit<strong>de</strong>m erfolgte die<br />
planmäßige Anlage <strong>de</strong>r gleichnamigen Stadt.<br />
Adolf Friedrich II. war als neuer Fürst von Ratzeburg zum Reichsfürsten gewor<strong>de</strong>n. Als solcher<br />
besaß er Sitz und Stimme auf <strong>de</strong>m Reichstag und auf <strong>de</strong>m Tag <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rsächsischen<br />
Reichskreises. Im Fürstentum Ratzeburg gab es keine Stän<strong>de</strong>, auf die er Rücksicht nehmen mußte.<br />
Die Herrschaft Stargard blieb jedoch in <strong>de</strong>r ständischen Verfassung Teil <strong>de</strong>s Fürstentums Güstrow.<br />
Die Schweriner Herzöge versuchten die Strelitzer zunächst als abgeteilte Prinzen zu behan<strong>de</strong>ln.<br />
Im Verfassungsrecht <strong>de</strong>s Reiches gab es das Fürstentum Ratzeburg, aber kein Herzogtum<br />
Mecklenburg-Strelitz. Erst als das Reich sich schon in Auflösung befand, erhielt <strong>de</strong>r Strelitzer<br />
37
Herzog Karl 1803 im Reichs<strong>de</strong>putationshauptschluss, als 53 neue Stimmen für <strong>de</strong>n Reichstag<br />
verteilt wur<strong>de</strong>n, eine Stimme für die Herrschaft Stargard; wohlgemerkt nicht für Mecklenburg-<br />
Strelitz.<br />
Als das Reich 1806 sein En<strong>de</strong> fand, war <strong>de</strong>r Strelitzer Herzog Karl theoretisch zum Souverän<br />
gewor<strong>de</strong>n. Sein Beitritt zum napoleonischen Rheinbund legte diese Stellung sogar ausdrücklich<br />
fest. Die von Napoleon unterzeichnete Akte, mit <strong>de</strong>r Herzog Karl 1808 in <strong>de</strong>n Rheinbund aufgenommen<br />
wur<strong>de</strong>, spricht nicht nur von le Duc <strong>de</strong> Mecklembourg-Strélitz, son<strong>de</strong>rn erstmals auch<br />
von <strong>de</strong>m Duché <strong>de</strong> Mecklembourg-Strélitz. Erst seit diesem Zeitpunkt fasste man das Fürstentum<br />
Ratzeburg und das Land Stargard staatsrechtlich als Herzogtum Mecklenburg-Strelitz zusammen.<br />
Auf <strong>de</strong>m Wiener Kongreß wur<strong>de</strong> das Reich nicht wie<strong>de</strong>r hergestellt, son<strong>de</strong>rn die <strong>de</strong>utschen<br />
Fürsten behielten ihre Souveränität, vereinigten sich aber zum Deutschen Bund. Bei<strong>de</strong>n<br />
mecklenburgischen Herzögen erkannte man <strong>de</strong>n Rang von Großherzögen von Mecklenburg zu.<br />
Es gab nun die Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz.<br />
Soweit die staatsrechtliche Seite. Doch welche außenpolitischen Möglichkeiten besaßen die<br />
Strelitzer Herzöge als Stän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Reiches und als Souveräne? Ihre Lan<strong>de</strong> hatten einem Umfang<br />
von 3.000 qkm und 1815 eine Bevölkerung von 70.000 Einwohnern. Bezogen auf <strong>de</strong>n Deutschen<br />
Bund, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Ei<strong>de</strong>r bis zum Adriatischen Meer und von <strong>de</strong>r Maas bis zur oberen Weichsel<br />
reichte, be<strong>de</strong>utete dies: Mecklenburg-Strelitz hatte eine Fläche von 0,5 v. H. <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s und<br />
eine Einwohnerzahl von 0,2 v. H. Hier zeigt sich die Bevölkerungsarmut <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Mecklenburg-Strelitz<br />
hatte überhaupt die geringste Bevölkerungsdichte in Deutschland. Große Politik<br />
war selbst für ganz Mecklenburg nicht mehr zu machen, zumal wenn man die großen Mächte in<br />
<strong>de</strong>r Nachbarschaft berücksichtigt: Schwe<strong>de</strong>n, Bran<strong>de</strong>nburg-Preußen, Hannover, das mit Großbritannien<br />
in Personalunion verbun<strong>de</strong>n war. Schließlich ist auch Dänemark zu nennen, zu <strong>de</strong>m<br />
zwar eine Landgrenze nur mit seinen <strong>de</strong>utschen Besitzungen bestand, das aber von Warnemün<strong>de</strong><br />
aus in Sichtweite lag und liegt.<br />
Die Strelitzer Herzöge versuchten von Anfang an, neutral zu bleiben. Aber schon <strong>de</strong>r Güstrower<br />
Erbfolgefall hatte nicht nur <strong>de</strong>n Kaiser, son<strong>de</strong>rn auch die großen Mächte beschäftigt. Beson<strong>de</strong>rs<br />
Schwe<strong>de</strong>n war an <strong>de</strong>m weiteren getrennten Bestehen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>steile Schwerin und<br />
Güstrow interessiert, um eine Stärkung <strong>de</strong>s Schweriner Herzogs zu verhin<strong>de</strong>rn. Zur Zeit <strong>de</strong>s<br />
Hamburger Vergleichs hatte <strong>de</strong>r dritte Nordische Krieg schon begonnen. Hier wie im späteren<br />
Siebenjährigen Krieg konnte <strong>de</strong>r Strelitzer Herzog seine Neutralität behaupten. Das hieß aber<br />
nicht, dass das Land Stargard von <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>r Kriege wirklich verschont blieb. Gewaltsame<br />
Werbungen, Truppendurchmärsche und For<strong>de</strong>rungen von Geld und Naturalien lasteten schwer<br />
auf <strong>de</strong>r Bevölkerung. Stargard lag verhältnismäßig abgelegen vom Operationsgebiet <strong>de</strong>r Kriegsparteien,<br />
im Gegensatz zum Fürstentum Ratzeburg, das von <strong>de</strong>r Strelitzer Geschichtsschreibung<br />
vielfach übersehen wird. – Zu Beginn <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts wur<strong>de</strong> Mecklenburg-Strelitz aber in<br />
<strong>de</strong>n Russlandfeldzug Napoleons hineingezogen.<br />
Konnten die Strelitzer Herzöge sich aus <strong>de</strong>m Streit <strong>de</strong>r Großen für ein Jahrhun<strong>de</strong>rt weitgehend<br />
heraushalten, wenn sie auch – wie es heute verharmlosend heißt – Kollateralschä<strong>de</strong>n zu<br />
erdul<strong>de</strong>n hatten, so gab es Reibereien mit <strong>de</strong>m Schweriner Vettern. Der Schweriner Herzog<br />
Christian Ludwig strebte, um die Stän<strong>de</strong> zu schwächen, eine völlige Trennung von Strelitz an.<br />
Doch <strong>de</strong>r Vereinbarung stand Karl Ludwig Friedrich in Mirow, ein Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s regieren<strong>de</strong>n Strelitzer<br />
Herzogs entgegen. Auch Großbritannien-Hannover stützte <strong>de</strong>n Mirower Herzog, weil es<br />
eine Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>s preußischen Einflusses nach Nor<strong>de</strong>n verhin<strong>de</strong>rn wollte. Nach Karl Ludwig<br />
Friedrichs Tod beanspruchte Christian Ludwig die Vormundschaft über Adolf Friedrich IV.,<br />
ebenso die Herzogin-Witwe Elisabeth Albertine. Verhandlungen hierüber wur<strong>de</strong>n von Strelitzer<br />
Seite in die Länge gezogen, weil man ein Eingreifen <strong>de</strong>s Kaisers erhoffte. Dies wie<strong>de</strong>rum befürchtete<br />
Christian Ludwig, und er ließ das Schloß in Neustrelitz besetzen. Kurz darauf wur<strong>de</strong><br />
Adolf Friedrich IV. vom Kaiser für volljährig erklärt und er konnte die Regierung übernehmen.<br />
38
Mit <strong>de</strong>m Beitritt Adolf Friedrichs IV. zum Lan<strong>de</strong>sgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755 wur<strong>de</strong>n<br />
auch die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen <strong>de</strong>n Höfen in Schwerin und Neustrelitz beigelegt.<br />
Bevor wir in unserem Überblick über die Geschichte von Mecklenburg-Strelitz fortfahren,<br />
seien einige Bemerkungen über »Dörchläuchting« Adolf Friedrich IV. eingeschoben. Fritz Reuter<br />
hat mit seinem Roman erreicht, dass er als einziger <strong>de</strong>r Strelitzer Herren im Bewusstsein <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung geblieben ist. Reuter war aber nicht Historiker, son<strong>de</strong>rn Schriftsteller. Darauf wies<br />
er ausdrücklich in <strong>de</strong>r »Vorred’« zu »Dörchläuchting« hin. Er ließ also seiner Phantasie freien<br />
Lauf sowie seiner Abneigung gegen die Welt <strong>de</strong>r Höfe <strong>de</strong>s Ancien Régime. Die Schrulligkeit <strong>de</strong>s<br />
Herzogs wur<strong>de</strong> so gesteigert, dass er zur Karikatur wur<strong>de</strong>. Dagegen stellte Reuter <strong>de</strong>n Konrektor<br />
Äpinus, <strong>de</strong>m als Bürgerlichen seine Sympathie gehörte. Die humorvolle Darstellung <strong>de</strong>s Geschehens<br />
verschleiert die Ansicht <strong>de</strong>s alten Demokraten Reuter. Der preußische Historiker Heinrich<br />
von Treitschke nahm <strong>de</strong>n Romantitel auf und sprach von <strong>de</strong>n mecklenburgischen Herzögen allgemein<br />
ironisch als »gutmütigen Dörchläuchtings«. Reuters Schil<strong>de</strong>rungen mecklenburgischer<br />
Verhältnisse prägte wegen ihrer Beliebtheit und weiten Verbreitung entschei<strong>de</strong>nd das Bild, das<br />
man sich in Deutschland von Mecklenburg machte, nicht nur das von Adolf Friedrich IV.<br />
Auf noch etwas sei hier hingewiesen: Reuter veröffentlichte »Dörchläuchting« 1866, als er<br />
seit drei Jahren in Eisenach lebte. Mit <strong>de</strong>m Roman brach er die Brücken nach Mecklenburg-<br />
Strelitz ab. Nach <strong>de</strong>m Erscheinen <strong>de</strong>s Buches wäre ein dauerhafter Aufenthalt in <strong>de</strong>m Großherzogtum<br />
unmöglich wor<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>r allgemeinen Empfindlichkeit Allerhöchster Herrschaften,<br />
was die Darstellung ihrer Angehörigen betraf, wäre er gesellschaftlich isoliert gewesen.<br />
Doch zurück zum Fortgang <strong>de</strong>r Geschichte: Die mecklenburgischen Herzöge erfuhren seit<br />
Adolf Friedrich IV. eine <strong>de</strong>utliche Aufwertung durch Eheschließungen. Der Herzog selbst blieb<br />
ledig. Doch von seinen Schwestern heiratete Sophie Charlotte König Georg III. von Großbritannien<br />
und Kurfürsten von Hannover. Genau gesagt: Man suchte für <strong>de</strong>n König eine passen<strong>de</strong> Gemahlin,<br />
um die Erbfolge zu sichern. Ein Oberst bekam <strong>de</strong>n Auftrag, sich bei <strong>de</strong>n kleineren <strong>de</strong>utschen<br />
Höfen nach einer passen<strong>de</strong>n Braut umzusehen. Im Mo<strong>de</strong>bad Pyrmont stieß er auf die<br />
Mirower Prinzessin. Für Sophie Charlottes Bru<strong>de</strong>r Karl, <strong>de</strong>n später ersten Großherzog von<br />
Mecklenburg in Strelitz, be<strong>de</strong>utete die Heirat seiner Schwester eine erhebliche Hebung seiner<br />
sozialen Stellung. Vom hannoverschen Hauptmann stieg er zum Generalmajor auf. Auch finanziell<br />
sorgte <strong>de</strong>r englische König für stan<strong>de</strong>sgemäße Ausstattung seiner Schwäger, hielt jedoch<br />
ein Auge auf ihre Ausgaben.<br />
Ihre ältere Schwester Christiane, »Dörchläuchtings« »Christel-Swester«, geriet jedoch in <strong>de</strong>n<br />
Vormundschaftsstreit. Christian Ludwig suchte für seinen Sohn Ludwig eine Gemahlin. Es ging<br />
es um <strong>de</strong>n Fortbestand <strong>de</strong>r Dynastie. Sein Blick fiel auf die Mirower Christiane. Er sah in <strong>de</strong>r<br />
Ehe eine Möglichkeit, die Beziehungen mit <strong>de</strong>n Mirowern zu verbessern. Es kam zu Verhandlungen,<br />
die parallel zu <strong>de</strong>nen über die Vormundschaft liefen. Die Herzogin-Witwe zeigte sich<br />
nach außen nicht abgeneigt, spielte aber auf Zeit. Als sie diese Haltung aber auch nach <strong>de</strong>r Einigung<br />
nicht aufgab, heiratete Ludwig eine Prinzessin von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Christiane<br />
fand schließlich ihre gesellschaftliche Stellung als Kanonesse <strong>de</strong>r Reichsabtei Herford. Sie lebte<br />
aber in Neustrelitz.<br />
Zwei <strong>de</strong>r Töchter Karls heirateten wie<strong>de</strong>r königlich. Luise wur<strong>de</strong> die Gemahlin <strong>de</strong>n preußischen<br />
Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm III. Von elf preußischen Königinnen<br />
ist Luise die einzige, die populär wur<strong>de</strong> und es in einem gewissen Gra<strong>de</strong> geblieben ist. Ihre<br />
Schwester Frie<strong>de</strong>rike heiratete zunächst auch einen preußischen Prinzen und wur<strong>de</strong> dann, nach<br />
einem bewegten Liebesleben, Gemahlin <strong>de</strong>s ersten von Großbritannien unabhängigen Königs<br />
von Hannover. Erwähnt sei auch Karl, <strong>de</strong>r Halbbru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Schwestern. In <strong>de</strong>n Freiheitskriegen<br />
machte er sich als Führer einer Briga<strong>de</strong> in Blüchers Schlesischer Armee verdient. Karl<br />
wur<strong>de</strong> Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s preußischen Staatsrates. Er beinflußte die Gesetzgebung stark in konserva-<br />
39
tivem Sinne. Der Herzog schrieb auch Fest- und Lustspiele und fand damit Eingang wenigstens<br />
in die mecklenburgische Literaturgeschichte.<br />
Auch die nächste Generation setzte die ehelichen Verbindungen mit königlichen und kaiser -<br />
lichen Familien fort, mit Großbritannien, Dänemark und Russland.<br />
Deutschland fand erst spät zur Form <strong>de</strong>s Nationalstaates. Bis zu seiner Gründung konnte es<br />
nicht als ganzes, son<strong>de</strong>rn nur in seinen Teilen im Konzert <strong>de</strong>r europäischen Mächte mitspielen.<br />
Daher haftet <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Kleinstaaten <strong>de</strong>r Ruch <strong>de</strong>s Rückständigen, Lächerlichen an. Sie blieben<br />
bestehen, weil ihre Nachbarn an ihnen nicht interessiert waren o<strong>de</strong>r sich nicht über sie einigen<br />
konnten. Diese Staaten hatten aber im <strong>de</strong>utschen Umfeld ihre Existenzberechtigung, solange<br />
sie ihre Aufgaben erfüllen konnten: die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, Rechtssicherheit<br />
zu gewähren und höhere Bildungseinrichtungen zu unterhalten. Die Behebung sozialer<br />
Notlagen sah man im allgemeinen noch nicht als Aufgaben <strong>de</strong>s Staates an. Auch eine planmäßige<br />
Wirtschaftspolitik erwartete man nicht von <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sherren. Wenn sie sich darum bemühten,<br />
die Erwerbstätigkeit ihrer Untertanen zu för<strong>de</strong>rn, dachten sie in erster Linie an eine Steigerung<br />
ihrer eigenen Einkommen.<br />
Wenn Adolf Friedrich II. in Mirow Münzen schlagen ließ, bezweckte er dreierlei: einmal seinen<br />
Herrschaftsanspruch und sein Münzrecht zu <strong>de</strong>monstrieren, die Wirtschaft mit Zahlungsmitteln<br />
zu versorgen und schließlich durch die Herstellung von Schei<strong>de</strong>münzen sich Einnahmen<br />
zu verschaffen. Letztlich hatte er aber keinen Erfolg und mußte die Münze einstellen. Seine<br />
Nachfolger betrieben ebenfalls diese Münzpolitik. Sie ließen sogar 5-Taler-Stücke und einen<br />
Dukaten, reine Han<strong>de</strong>ls- und Prestigemünzen, schlagen. Die letzten Münzen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s waren<br />
1872 nur noch 5-, 2- und 1-Pfennig-Stücke.<br />
Das Schlagen von Münzen war immer mit Risiken verbun<strong>de</strong>n. Daher verfielen viele Lan<strong>de</strong>sherren<br />
darauf, nach <strong>de</strong>m Stein <strong>de</strong>r Weisen suchen zu lassen. Unedle Metalle in Gold verwan<strong>de</strong>ln<br />
zu können, hätte für immer volle Kassen be<strong>de</strong>utet – hätte allerdings auch das Zahlungssystem<br />
ruiniert. Auch Adolf Friedrich II. bemühte sich, vorsichtig, auf diesem Wege seiner Schul<strong>de</strong>n<br />
Herr zu wer<strong>de</strong>n. Da die Alchimie sich in seiner Zeit langsam zur Chemie entwickelte, hatte er<br />
schließlich doch einen Gewinn. Den Holzreichtum <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Stargard hatte er bislang nur<br />
durch Verkauf <strong>de</strong>r Stämme genutzt sowie um Teer und Holzkohle herzustellen. Die Beschäftigung<br />
mit <strong>de</strong>r Literatur führte ihn dazu, Holz zu Pottasche verarbeiten zu lassen. Diese war ohne<br />
größere Kenntnisse auch von Bauern herzustellen. Pottasche fand vielfache Verwendung und<br />
war daher stark nachgefragt. Sie diente zur Herstellung von Seifen. Damit hatte sie auch Be<strong>de</strong>utung<br />
für die Textilmanufaktur. Sie war als Düngemittel in <strong>de</strong>r Landwirtschaft einsetzbar. Da <strong>de</strong>r<br />
Rin<strong>de</strong>rbestand in <strong>de</strong>r frühen Neuzeit zurückgegangen war, war Mist knapp gewor<strong>de</strong>n. Weiterhin<br />
war Pottasche ein Grundstoff für die Herstellung von Schwarzpulver und von Glas. Schließlich<br />
wur<strong>de</strong> durch die Rodung von Waldstücken neues Ackerland gewonnen.<br />
So geschah es auch im Land Stargard: Neben Pottasche wur<strong>de</strong> grünes Glas und Schwarz pulver<br />
hergestellt. Abgeholzte Flächen führten zu Schafzucht. Um die Wolle zu Tuchen verarbeiten zu<br />
können, ließ <strong>de</strong>r Herzog eine Walkmühle und eine Färberei errichten. Er för<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>n Obst -<br />
anbau und legte Tabakskulturen an. Die Manufakturen wur<strong>de</strong>n jedoch vielfach unter Adolf<br />
Friedrich III. wie<strong>de</strong>r aufgegeben.<br />
Während Adolf Friedrich II. die Bevölkerungszahl durch die Ansetzung von Bauern zu heben<br />
suchte, kam es unter seinem Sohn dazu, diese an manchen Orten zu legen o<strong>de</strong>r umzusetzen.<br />
Adolf Friedrischs III. Ziel war es, die Gemengelage auf <strong>de</strong>m Land zu beseitigen. Im Gegensatz<br />
zum Fürstentum Ratzeburg waren die Bauern im Land Stargard leibeigen. Adolf Friedrich IV.<br />
kaufte weiter Güter für das Domanium an, um seinen Besitz abzurun<strong>de</strong>n. Weiterhin versuchte<br />
er, <strong>de</strong>m zu stark genutzten Wald wie<strong>de</strong>r aufzuhelfen.<br />
40
Der Herzog bemühte sich um die Hebung <strong>de</strong>r Volksbildung. Lateinschulen gab es schon in<br />
Friedland und Neubran<strong>de</strong>nburg. – Fritz Reuter hat bekanntlich die Gelehrtenschule in Friedland<br />
besucht. – Das Gymnasium Carolinum in Neustrelitz wur<strong>de</strong> erst 1811 gegrün<strong>de</strong>t. Er<br />
verbesserte die Lage <strong>de</strong>r Lehrer im Domanium; auf die ritterschaftlichen Schulen hatte er<br />
keinen Einfluss. Auch seine Nachfolger sahen in <strong>de</strong>r Verbesserung <strong>de</strong>s Schulwesens eine Auf -<br />
gabe. Großherzog Georg richtete 1816 in Mirow ein Landschullehrerseminar ein. Herzog Karl,<br />
<strong>de</strong>r erste Strelitzer Großherzog, führte die Regelung <strong>de</strong>r Agrarverhältnisse seines Bru<strong>de</strong>rs fort.<br />
Er erließ <strong>de</strong>n Bauern die Dienste und verkaufte ihnen das Inventar <strong>de</strong>r Höfe. Die Gemengelage<br />
wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Verkoppelung beseitigt. Die Leibeigenschaft wur<strong>de</strong> aber in ganz Mecklenburg<br />
erst 1820 aufgehoben. Der Herzog mo<strong>de</strong>rnisierte die Verwaltung und das öffentliche Sicherheitwesen.<br />
Die Rangerhöhung Herzog Karls ver<strong>de</strong>ckte, dass Strelitz im Deutschen Bund zu <strong>de</strong>n Staaten<br />
gehörte, die zu klein waren, um all <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen, die man an sie stellte, gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Bun<strong>de</strong>sakte for<strong>de</strong>rte für Staaten, die keine 300.000 Einwohner hatten, sich mit an<strong>de</strong>ren<br />
zu verständigen, um zusammen ein Gericht <strong>de</strong>r dritten Instanz zu errichten. Strelitz grün<strong>de</strong>te<br />
daher zusammen mit Schwerin gemeinsam ein Oberappellationsgericht in Parchim, das später<br />
nach Rostock verlegt wur<strong>de</strong>. Ab 300.000 Einwohnern war 1815 offensichtlich ein Staat erst in<br />
<strong>de</strong>r Lage, eine Universität zu unterhalten. Strelitz gehörte damit zu <strong>de</strong>n Kleinstaaten, die ihre<br />
Aka<strong>de</strong>miker an auswärtigen Universitäten auf Kosten an<strong>de</strong>rer Län<strong>de</strong>r ausbil<strong>de</strong>n ließen.<br />
Hatten die Herzöge bislang ein gutes Verhältnis zu Preußen gesucht, weil dies ihnen Sicherheit<br />
bot, so än<strong>de</strong>rte sich das unter <strong>de</strong>n Großherzögen Georg und Friedrich Wilhelm. Im Deutschen<br />
Bund brauchten sie keine gewaltsamen Übergriffe mehr zu befürchten. Sie lehnten alle<br />
iberal-<strong>de</strong>mokratischen Strömungen entschie<strong>de</strong>n ab. Je mehr Preußen sich Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />
politischen Lebens zuneigte, <strong>de</strong>sto mehr zog man sich in Strelitz von ihm zurück.<br />
Die Verfassungsdiskussion in <strong>de</strong>n Jahren 1848/49 wur<strong>de</strong> durch die Union <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong> erschwert.<br />
Eine gemeinsame Verfassung für bei<strong>de</strong> Großherzogtümer bei Aufhebung <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong><br />
hätte Strelitz mediatisiert. Großherzog Georg, <strong>de</strong>m die Vorgänge ohnehin nicht passten, stellte<br />
sich <strong>de</strong>r Entwicklung entgegen. Als Großherzog Friedrich Franz II. für Schwerin das neue<br />
Staatsgrundgesetz in Kraft setzte und die Stän<strong>de</strong> aufhob, erhob Georg Einspruch. Es kam zu einem<br />
Schiedsgerichtsverfahren, das Georg Recht gab. Die Stän<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r in ihre Rechte<br />
eingesetzt. Der Lan<strong>de</strong>sgrundgesetzliche Erbvergleich wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r Verfassungsrecht. Georg hat<br />
mit seinem Vorgehen Mecklenburg für mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt in Deutschland <strong>de</strong>r<br />
Lächerlichkeit preisgegeben.<br />
Georg pflegte zu Preußen keine engen Beziehungen mehr. Auch von <strong>de</strong>n Schwerinern hielt er<br />
sich fern, zumal diese sich Preußen näherten. Georgs Sohn Friedrich Wilhelm setzte diese Politik<br />
fort. Er war außeror<strong>de</strong>ntlich sparsam. Durch geschickte Börsenspekulationen gelang es ihm,<br />
nicht nur die Lan<strong>de</strong>sschul<strong>de</strong>n zu tilgen, son<strong>de</strong>rn ein erhebliches Vermögen aufzubauen. Nutzte<br />
er hier die Möglichkeiten einer neuen Zeit, so lehnte er bei allen an<strong>de</strong>ren Dingen Verän<strong>de</strong>rungen<br />
ab. Seine Ablehnung Preußens wuchs seit 1866. Hannoversche Beamte und Offiziere, die<br />
nicht unter Preußen dienen wollten, fan<strong>de</strong>n in Neustrelitz eine Zuflucht. Bismarck sah darin einen<br />
unfreundlichen Akt. In Berlin wur<strong>de</strong> daher 1870 die Besetzung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ernsthaft erwogen,<br />
als Friedrich Wilhelm zögerte, sich am Krieg gegen Frankreich zu beteiligen. Nur wi<strong>de</strong>rwillig<br />
sah sich <strong>de</strong>r Großherzog im Deutschen Reich.<br />
Vieles, was in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten an Mo<strong>de</strong>rnisierung in Mecklenburg-Strelitz unterblieben<br />
war, wur<strong>de</strong> durch das Deutsche Reich nachgeholt. Den <strong>de</strong>utschen Fürsten blieb dabei nur<br />
ein Anschein <strong>de</strong>r Souveränität, die sie aufgrund <strong>de</strong>r Verfassung besaßen. Adolf Friedrich V. und<br />
VI., Sohn und Enkel Friedrich Wilhelms, sahen sich aber als Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s neuen Deutschen<br />
Reichs und waren preußische Offiziere.<br />
41
Mit <strong>de</strong>m in seinen Beweggrün<strong>de</strong>n nur zu vermuten<strong>de</strong>n Freitod Adolf Friedrichs VI. 1918 begann<br />
das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>slan<strong>de</strong>s Mecklenburg-Strelitz. Großerzog Friedrich Franz IV. in<br />
Schwerin sah sich aufgrund <strong>de</strong>r Hausverträge als Erbe und eine Vereinigung bei<strong>de</strong>r Mecklenburg<br />
stand bevor. Dagegen erhob sich Wi<strong>de</strong>rstand im Lan<strong>de</strong>. Friedrich Franz wollte während<br />
<strong>de</strong>s Krieges Unruhen vermei<strong>de</strong>n. Daher schob er eine endgültige Anglie<strong>de</strong>rung hinaus und trat<br />
in Strelitz nur als Lan<strong>de</strong>sverweser auf. Als solcher verzichtete er auch für Mecklenburg-Strelitz<br />
für sich und sein Haus auf <strong>de</strong>n �ron.<br />
Nunmehr setzte man im Land alles daran, durch vollen<strong>de</strong>te Tatsachen eine Vereinigung mit<br />
Schwerin zu verhin<strong>de</strong>rn. Noch im Dezember 1918 wur<strong>de</strong> eine verfassunggeben<strong>de</strong> Versammlung<br />
gewählt. Bereits am 29. Januar 1919 verabschie<strong>de</strong>te sie ein Lan<strong>de</strong>sgrundgesetz. Dieses war die<br />
erste Verfassung, die sich ein <strong>de</strong>utsches Land nach 1918 gab. Die Weimarer Nationalversammlung<br />
trat erst im Februar zusammen. Diese konnte daher die Strelitzer Verfassung nicht mehr<br />
beeinflussen o<strong>de</strong>r außer Kraft setzen. Vielmehr schützte die Weimarer Verfassung <strong>de</strong>n Bestand<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Das Bemühen um eine Reichsreform war an dieser Stelle bereits gescheitert, ehe<br />
man in dieser Frage gesetzgebend tätig wer<strong>de</strong>n konnte.<br />
Die politische Lage im Lan<strong>de</strong> war instabil. Man verbrauchte in <strong>de</strong>n Jahren von 1918 bis 1933<br />
nicht weniger als sechzehn Lan<strong>de</strong>sregierungen. 1919 umfaßte das Ministerium neben <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>shauptmann<br />
sechs Lan<strong>de</strong>sräte. Nach diesem parlamentarischen Überschwang begnügte man<br />
sich seit 1920 nur noch mit zwei Ministern. Seit 1928 gab es nur noch einen Staatsminister, <strong>de</strong>m<br />
Parlamentarische Staatsräte an die Seite gestellt waren. Der Freistaat Mecklenburg-Strelitz war<br />
als Land <strong>de</strong>s Deutschen Reiches schlicht überfor<strong>de</strong>rt von <strong>de</strong>n Aufgaben, die an ihn gestellt wur<strong>de</strong>n.<br />
Das Land Ratzeburg strebte von Strelitz fort. Schließlich erwog man 1930 in Neustrelitz<br />
selbst, sich Preußen anzuschließen. Ohne Reichshilfe bei <strong>de</strong>r Übernahme <strong>de</strong>r Schul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />
zeigte Preußen aber kein Interesse. Auch <strong>de</strong>r Schweriner Finanzminister lehnte eine Zusammenarbeit<br />
mit Strelitz ab.<br />
Die Nationalsozialisten for<strong>de</strong>rten – wie an<strong>de</strong>re Parteien auch – eine Neuglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Reiches.<br />
Als sie an die Macht kamen, war die Vereinigung bei<strong>de</strong>r Mecklenburg für sie offenbar eine<br />
Prestigeangelegenheit. Sie wollten so schnell wie möglich auf diesem Gebiet einen Erfolg vorweisen.<br />
Bereits am 27. März 1933 fan<strong>de</strong>n Gespräche über die Neuglie<strong>de</strong>rung Mecklenburgs<br />
statt. In Strelitz gab es trotz <strong>de</strong>r katastrophalen Lage <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstand gegen diesen Plan,<br />
selbst unter Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r NSDAP. Dieser wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n Reichsstatthalter und Gauleiter<br />
Friedrich Hil<strong>de</strong>brandt unterdrückt. Am 13. Oktober 1933 traten die bei<strong>de</strong>n Landtage im Rostocker<br />
Rathaus zu getrennten Sitzungen zusammen und beschlossen die Vereinigung zum 1.<br />
Januar 1934. Aus <strong>de</strong>m Land Ratzeburg wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Kreis Grevesmühlen <strong>de</strong>r Kreis Schönberg.<br />
Die Kreise Stargard und Strelitz wur<strong>de</strong>n zum Kreis Strelitz vereinigt. Mecklenburg-Strelitz<br />
war, wie bereits Bismarck 1870 ironisch drohte, wenn nicht zu einem preußischen, so doch zu<br />
einem Landkreis gewor<strong>de</strong>n.<br />
Ein selbständiges Land Mecklenburg-Strelitz hatte sich nach mehr als zweihun<strong>de</strong>rt Jahren<br />
überlebt. Hätten nicht die Nationalsozialisten ihm sein En<strong>de</strong> bereitet, so wäre es 1945 die Sowjetische<br />
Militäradministration gewesen. Die Zeit ist über Mecklenburg-Strelitz hinweggegangen,<br />
nicht aber über seine Geschichte und Kultur und über die Dichtung, die hier entstand und<br />
die hier ihren Stoff fand.<br />
42<br />
Helge Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>n
Biographie<br />
Helge Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>n, geboren 1934 in<br />
Eitorf/Sieg, 1944-1953 Besuch <strong>de</strong>r Großen<br />
Stadtschule in Rostock, Abitur. Bis 1960<br />
Studium <strong>de</strong>r Geschichte, Deutschen und<br />
Skandinavischen Philologie, Philosophie und<br />
<strong>de</strong>r Ur- und Frühgeschichte an <strong>de</strong>n Universitäten<br />
Rostock, Göttingen und Freiburg/Br.<br />
Promotion und erstes Staatsexamen in Göttingen.<br />
Bis 1996 im Schuldienst an Gymnasien<br />
in Cuxhaven und Bückeburg, zuletzt<br />
Oberstudienrat. 1977-2000 Herausgeber <strong>de</strong>r<br />
»Schriften zur mecklenburgischen Geschichte,<br />
Kultur und Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>«. 1984 Wie<strong>de</strong>rbelebung<br />
<strong>de</strong>s Vereins für mecklenburgische<br />
Geschichte und Altertumskun<strong>de</strong> und 1985<br />
<strong>de</strong>r »Mecklenburgischen Jahrbücher«. Gründungsmitglied<br />
und 1990-2002 Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Historischen Kommission für Mecklenburg.<br />
Mitglied <strong>de</strong>r Fritz Reuter Gesellschaft<br />
seit 1979.<br />
* Vortrag, gehalten auf <strong>de</strong>r Jahrestagung <strong>de</strong>r Fritz Reuter Gesellschaft am 17. April <strong>2008</strong> in <strong>de</strong>r Aula <strong>de</strong>s Gymnasiums<br />
Carolinum in Neustreliz. Eine ausführliche Fassung mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Nachweisen erscheint in <strong>de</strong>n Beiträgen<br />
<strong>de</strong>r Fritz Reuter Gesellschaft. Bd. 19. Rostock 2009.<br />
43
Erhard Kunkel<br />
Erinnern ist Wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n<br />
Ich hatte immer Scheu, an meinen Geburtsort in Polen zurückzukehren. Als ich ihn dann nach<br />
über fünfzig Jahren aufsuchte, fand ich die Erinnerungen an meine früheste Kindheit wie<strong>de</strong>r,<br />
und ich entschloss mich, sie aufzuschreiben, um sie für mich zu vergegenwärtigen. Aber beim<br />
Schreiben stan<strong>de</strong>n mir meine heutigen Erkenntnisse um historische Zusammenhänge im Weg,<br />
die das unbelastete Erleben eines Kin<strong>de</strong>s verfälschen. Zu dieser Zeit kam mir ein Zufall zu Hilfe.<br />
Ich hörte ein Interwiev mit Siegfried Lenz, <strong>de</strong>r im Zusammenhang mit seinem Roman ›Heimatmuseum‹<br />
über diese Problematik sprach, er sagte sinngemäß:<br />
»Spreche ich über meine Erinnerungen, so gibt es zwei Erzähler – ich, <strong>de</strong>r die Geschichte erlebt<br />
hat, und ich, <strong>de</strong>r heute mehr um die ›Geschichte‹ <strong>de</strong>r Geschichte weiß. Ich darf die Erfahrung<br />
meiner Unerfahrung nicht stören, um ihr nicht ihre Wahrheit zu nehmen.«<br />
Diese Gedanken halfen mir, die Erlebnisse meiner frühen Kindheit aufzuschreiben, und<br />
ihnen ihre kindliche Naivität zu erhalten. Ich nannte sie: Vertreibung aus <strong>de</strong>m Paradies.<br />
Hineingeboren wur<strong>de</strong> ich in ein Paradies, in ein kleines Dorf im Posener Land, umgeben von<br />
Fel<strong>de</strong>rn und Wäl<strong>de</strong>rn, versteckt irgendwo zwischen <strong>de</strong>n Flüssen Netze und Warthe, es hieß<br />
Deutschro<strong>de</strong>. In diesem Dorf lagen <strong>de</strong>utsche und polnische Höfe eng beieinan<strong>de</strong>r, die Menschen<br />
waren sich freundlich und je<strong>de</strong>r Hof hatte ein Storchennest. Wenn ich über <strong>de</strong>n großen<br />
See sah, <strong>de</strong>r hinter <strong>de</strong>m Dorf lag, dachte ich, hier beginnt das Paradies.<br />
Mein Vater sagte: »Wenn es ein Paradies gibt, dann leben wir darin. Aber ein Paradies hat<br />
auch einen großen Nachteil, weil man irgendwann daraus vertrieben wer<strong>de</strong>n kann.«<br />
Vertrieben? Durch wen, dachte ich. Aber dann dachte ich auch wie<strong>de</strong>r, das Eigenartige an<br />
unserem Paradies ist, dass hier in zwei Sprachen gesprochen wird, in Deutsch und in Polnisch,<br />
das verstand ich nicht, aber es gefiel mir, auf <strong>de</strong>r Straße polnisch zu sprechen.<br />
Woran ich mich am weitesten zurückerinnern kann, ist an meine erste Reise in eine große<br />
Stadt.<br />
Eines Tages sagte mein Vater: »Morgen beginnt <strong>de</strong>r <strong>Sommer</strong>. Morgen fahren wir zum großen<br />
Fest <strong>de</strong>r Sonne nach Bromberg.«<br />
Am frühen Morgen ging es los.<br />
Das ›Sonnenfest‹ war ein großer Jahrmarkt. Ich sah wie Zigeuner auf Seilen tanzten, o<strong>de</strong>r auf<br />
<strong>de</strong>m Rücken <strong>de</strong>r galoppieren<strong>de</strong>n Pfer<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Kopf stan<strong>de</strong>n. Es gab Feuerschlucker und<br />
Messerfresser.<br />
Und ich sah in einem Mäusezirkus viele Mäuse, die auf einer riesengroßen Trommel tanzten.<br />
Alles war sehr lustig.<br />
Aber dann gab es auch noch eine traurige Geschichte von einem guten Kasper und einem<br />
bitterbösen Teufel. Der gute Kasper kämpfte gegen <strong>de</strong>n Teufel. Aber weil ein Engel <strong>de</strong>m Kasper<br />
half, ging die Geschichte doch noch gut aus, darüber war ich sehr froh und ich musste nicht<br />
weinen. Es war ja auch kein richtiger Teufel und auch kein richtiger Engel, alles waren Puppen,<br />
44
auch <strong>de</strong>r Kasper. Ich habe es <strong>de</strong>utlich gesehen, <strong>de</strong>nn alle Figuren wur<strong>de</strong>n an Schnüren gezogen,<br />
aber alles wirkte wie echt.<br />
Es war ein sehr schöner Junitag, aber dafür gab es gleich im September viel Aufregung, <strong>de</strong>nn<br />
eines Tages packte meine Mutter Decken und Kissen zusammen, etwas zu Essen und zu<br />
Trinken, und ich dachte, es geht wie<strong>de</strong>r auf eine große Reise, aber es ging nur in die Rübenfel<strong>de</strong>r<br />
hinter unserer Scheune, wo wir übernachteten. Mein Vater trug das Gepäck, meine Mutter<br />
hatte mein wenige Monate altes Schwesterchen in ein Kissenbün<strong>de</strong>l gepackt auf ihrem Arm. Ich<br />
aber stolperte Vater und Mutter singend voran, und begriff nicht, warum mein Vater mir energisch<br />
zurief: »Sei still, Bengel!« Ich reagierte sofort, <strong>de</strong>nn die Anre<strong>de</strong> ›Bengel‹ benutzten meine<br />
Eltern immer nur in einer sehr ernsten Situation. Ich verstand sofort, das gehört zu <strong>de</strong>m Abenteuer<br />
genauso wie die geheimnisvolle Dunkelheit, in die wir gingen. Also schwieg ich, aber ging<br />
immer noch mutig voran.<br />
»Warum schlafen wir nicht zu Hause?«<br />
»Es ist Krieg«, sagte mein Vater. »Seit sechs Tagen sind die Polen unsere Fein<strong>de</strong>.«<br />
»Auch Edmund und Janina?«<br />
Mein Vater antwortete mir nicht. Er sah mich nur an. Ich sagte: »Deshalb müssen wir uns vor<br />
ihnen in <strong>de</strong>n Rübenfel<strong>de</strong>rn verstecken. Vor Edmund und Janina und Onkel Karel und Tante<br />
Janka?«<br />
»Nein, nicht vor Tante Janka und nicht vor Onkel Karel.«<br />
»Und was ist mit <strong>de</strong>n polnischen Störchen?«<br />
Darauf antwortete mein Vater auch nicht. Nur meine Mutter sagte: »Störche sind eben Störche.<br />
Die haben damit nichts zu tun«.<br />
Na ja, dachte ich, wenn die Störche damit nichts zu tun haben, dann kann es so schlimm<br />
nicht sein.<br />
Nach vier abenteuerlichen Nächten in <strong>de</strong>n Rübenfel<strong>de</strong>rn kamen <strong>de</strong>utsche Soldaten ins Dorf<br />
und die verdarben mir alles, <strong>de</strong>nn jetzt musste ich wie<strong>de</strong>r in meinem Bett schlafen und brauchte<br />
mich nicht mehr vor meinen Fein<strong>de</strong>n verstecken.<br />
Die <strong>de</strong>utschen Soldaten bekamen Blumen geschenkt, aber ich wusste nicht wofür.<br />
Alles war durcheinan<strong>de</strong>r. Wo waren meine polnischen Freun<strong>de</strong>. Mussten die sich jetzt auch<br />
in <strong>de</strong>n Rübenfel<strong>de</strong>rn verstecken? Es wur<strong>de</strong> langweilig im Dorf. Ich konnte nicht einmal richtig<br />
spielen.<br />
Ich ging zum Babiniec, zu <strong>de</strong>m kleinen See, in <strong>de</strong>m wir im <strong>Sommer</strong> immer ba<strong>de</strong>ten und im<br />
Winter auf ihm schlid<strong>de</strong>rten o<strong>de</strong>r Piekschlitten fuhren.<br />
Dort sah ich an <strong>de</strong>r Wegkreuzung eine Menschenansammlung. Endlich war wie<strong>de</strong>r etwas los,<br />
und ich erlebte eine Geschichte, die ich schon in einem dicken Buch als Bild gesehen hatte. Ein<br />
Mann trug ein großes schweres Kreuz auf seinen Schultern. Meine Mutter erzählte mir oft<br />
Märchen aus diesem dicken Buch, die gefielen mir immer gut, aber das Märchen vom Christus<br />
mit <strong>de</strong>m Kreuz hatte ich nie so richtig verstan<strong>de</strong>n.<br />
45
Jetzt sah ich Josua aus <strong>de</strong>m Unterdorf am großen Holzkreuz stehen. Ein Soldat gab ihm eine<br />
Axt und befahl ihm, das Christuskreuz umzuhacken wie einen Baum, und es auf seinen Schultern<br />
die Straße entlangzuschleppen.<br />
Ich wollte ihm helfen, aber ein Soldat stieß mich zurück, die Soldaten lachten über mich und<br />
beschimpften Josua und stießen ihn, damit er schneller das Kreuz tragen sollte.<br />
Vor <strong>de</strong>m Gasthaus brach er zusammen und dort blieb das Kreuz liegen, viele Tage. Später<br />
warf man es im Gasthaus an die Seite <strong>de</strong>s großen Tanzsaales, dort lag es, solange ich mich er -<br />
innern kann. Wenn Feste waren, haben wir Kin<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stamm <strong>de</strong>s Kreuzes beson<strong>de</strong>rs gern<br />
gesessen. Josua aber haben wir seit diesem Tag nicht wie<strong>de</strong>r gesehen.<br />
»Christus gibt es wirklich, er ist Josua aus <strong>de</strong>m Unterdorf, aber er ist nicht am Kreuz gestorben,<br />
vielleicht wird er wie<strong>de</strong>r zurückgekommen. Ist Josua schon immer Christus gewesen?«,<br />
fragte ich meine Mutter. »Du bringst alles durcheinan<strong>de</strong>r«, sagte sie, »Josua ist nicht Christus, er<br />
ist ein Pole und er ist ein Jid«, und ich merkte, sie wollte darüber mit mir nicht sprechen. Aber<br />
mir kam es vor, als wür<strong>de</strong> unser kleines Dorf eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielen in <strong>de</strong>r Welt, wie ich es<br />
schon in <strong>de</strong>m dicken Buch gesehen hatte. Das machte mich stolz.<br />
Am nächsten Tag waren die Soldaten wie<strong>de</strong>r weg, dann dauerte es nicht lange, da wur<strong>de</strong><br />
mein Vater auch Soldat. Als er fortging, hat meine Mutter sehr geweint. Mir gefiel seine schöne<br />
Uniform, jetzt sah er aus wie die Soldaten, die in unser Dorf gekommen waren und wie die, die<br />
Josua zwangen, das Kreuz zu tragen. Aber wo waren meine Freun<strong>de</strong> Janek und Stephan und die<br />
an<strong>de</strong>ren, mit <strong>de</strong>nen ich immer zum Angeln ging. Wir spielten nicht mehr ›Ziegenhüten‹ o<strong>de</strong>r<br />
›Himmel und Hölle‹ o<strong>de</strong>r ›Wer hat Angst vor <strong>de</strong>m schwarzen Mann?‹ War ich dieser ›schwarze<br />
Mann‹, hatten sie Angst vor mir und warum?<br />
Meine Erinnerungen beginnen im <strong>Sommer</strong> 1939 und en<strong>de</strong>n im Herbst 1945, als wir unsere<br />
polnische Heimat verlassen mussten und über eine zerstörte O<strong>de</strong>rbrücke nach Deutschland<br />
gingen.<br />
46
Sechstes Heft erschienen<br />
In <strong>de</strong>r Neuen Schriftenreihe <strong>de</strong>s Karbe-Wagner-Archivs, in <strong>de</strong>r seit 2003 jährlich ein Heft publiziert<br />
wird, sind auch in diesem Jahr – pünktlich zur Verleihung <strong>de</strong>s Annalise-Wagner-Preises –<br />
eine Reihe interessanter Aufsätze im nun schon sechsten Heft erschienen.<br />
Wenn auch <strong>de</strong>r Abdruck <strong>de</strong>s »Topographischen Versuchs <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nzstadt Neustrelitz« von<br />
Carl Albert Christoph Heinrich von Kamptz, <strong>de</strong>r erstmals 1792 veröffentlicht wur<strong>de</strong>, im 275.<br />
Gründungsjubiläum unserer Heimatstadt einen Schwerpunkt <strong>de</strong>s Heftes bil<strong>de</strong>t, so beleuchten<br />
neun weitere Aufsätze verschie<strong>de</strong>ne �emen, die mit <strong>de</strong>r Mecklenburg-Strelitzer Geschichte im<br />
Zusammenhang stehen.<br />
Zwei Autoren gehen auf die Gründungs- bzw. Baugeschichte <strong>de</strong>s Carolinenstifts ein.<br />
In einem Beitrag wird ein Irrtum berichtigt, <strong>de</strong>r sich seit Jahrzehnten in <strong>de</strong>r überlieferten<br />
Baugeschichte <strong>de</strong>r Rödliner Kirche festgesetzt hat.<br />
In Erinnerung an <strong>de</strong>n 9. November 1938 ist ein Aufsatz <strong>de</strong>r jüdischen Gemein<strong>de</strong> und ihrem<br />
Friedhof in Altstrelitz gewidmet.<br />
Weiterhin wer<strong>de</strong>n Adolf Glaßbrenners Korrespon<strong>de</strong>nzen aus Neustrelitz zwischen <strong>de</strong>n Jahren<br />
1840 und 1850 beleuchtet.<br />
Walter Karbes Verdienste bei <strong>de</strong>r Schaffung eines Strelitzer Naturschutzgesetzes wer<strong>de</strong>n in<br />
einem Aufsatz dargestellt, ein an<strong>de</strong>rer Beitrag schil<strong>de</strong>rt Walter Karbes Geburtsort Trechwitz aus<br />
heutiger Sicht.<br />
Ein Beitrag erinnert an die vor 15 Jahren verstorbene bekannte Kirchenfrau Jutta von Dewitz,<br />
und zum Abschluss wird an <strong>de</strong>n 2007 verstorbenen Forstmann Walter Hackert erinnert.<br />
Wie auch in <strong>de</strong>n vorigen Heften können die Re<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Laureaten <strong>de</strong>s Annalise-Wagner-<br />
Preises von 2007 nachgelesen wer<strong>de</strong>n, und zuletzt wer<strong>de</strong>n die Neuzugänge <strong>de</strong>s KWA vorgestellt,<br />
die durch Schenkungen an das Archiv kamen.<br />
Wir hoffen, dass dieses 6. Heft aus <strong>de</strong>m KWA mit einer bunten Mischung historischer Beiträge<br />
ebenso viele interessierte Leser fin<strong>de</strong>t wie seine Vorgänger.<br />
Es ist in <strong>de</strong>r Neustrelitzer Buchhandlung Wilke o<strong>de</strong>r direkt im KWA (Tel./Fax: 03981/<br />
20 04 89 o<strong>de</strong>r per e-mail: kwa@neustrelitz.<strong>de</strong>) für 10 Euro erhältlich.<br />
47
Literarisches<br />
Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis <strong>2008</strong><br />
Frau Dr. Schroe<strong>de</strong>r, Lehrerin für Deutsch und Französisch am Gymnasium Carolinum, ist Mitglied<br />
<strong>de</strong>r Jury und hatte in diesem Jahr die Ehre, die Laudatio für diesen Sprachpreis zu halten. In<br />
Auszügen wird diese hier abgedruckt.<br />
Liebe Bewerber um <strong>de</strong>n Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis, sehr verehrte Damen und Herren, Herr<br />
Bürgermeister, liebe Eltern,<br />
Normalerweise ist ein To<strong>de</strong>stag Anlass zur Trauer. Wenn wir uns aber heute hier zu Ehren<br />
<strong>de</strong>s 111. To<strong>de</strong>stages von Daniel San<strong>de</strong>rs versammelt haben, ist das im Gegenteil ein Anlass zur<br />
Freu<strong>de</strong>.<br />
Denn es war ja Daniel San<strong>de</strong>rs bekanntlich ein beson<strong>de</strong>res Anliegen, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit<br />
junger Leute zu för<strong>de</strong>rn. Könnte er heute hier bei uns sein, wäre er sicherlich,<br />
gera<strong>de</strong> ob <strong>de</strong>r so häufig beklagten Sprachschlamperei <strong>de</strong>r Jugend <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts – und<br />
nicht nur <strong>de</strong>r Jugend – erfreut über alle vorliegen<strong>de</strong>n Einsendungen.<br />
Das �ema, zu <strong>de</strong>m in diesem Jahr gearbeitet wer<strong>de</strong>n sollte, lautete »Begegnung mit <strong>de</strong>m<br />
Frem<strong>de</strong>n«. Der, die o<strong>de</strong>r auch das Frem<strong>de</strong> ist, um mit �eodor Fontane o<strong>de</strong>r Günter Grass zu<br />
sprechen, ein »weites Feld« das unzählige Assoziationen zulässt und ein großes Spektrum von<br />
Schreibanlässen bietet. Dementsprechend vielfältig sind die eingegangenen Arbeiten ausgefallen.<br />
Sie sind alle interessant, informativ und ihrem jeweiligen Anliegen entsprechend nach<strong>de</strong>nklich,<br />
witzig o<strong>de</strong>r auch wütend und vor allem, trotz kleinerer Mängel, die in allen Arbeiten enthalten<br />
sind, sprachlich durchaus überzeugend, was uns als Jury vor eine regelrechte Qual <strong>de</strong>r<br />
Wahl gestellt hat.<br />
Es sind insgesamt neun Texte eingereicht wor<strong>de</strong>n; drei aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Regionalschule/<br />
Ge samt schule und sechs aus <strong>de</strong>m Bereich Gymnasium Klasse 11-13. In <strong>de</strong>r Kategorie Gymnasium<br />
Klasse 8-10 hat in diesem Jahr kein Schüler teilgenommen.<br />
Insgesamt zeichnet sich hier im Vergleich mit <strong>de</strong>n Vorjahren eine positive Entwicklung ab;<br />
und zwar nicht nur in quantitativer, son<strong>de</strong>rn auch in qualitativer Hinsicht, wie die eingereichten<br />
Arbeiten, die nun kurz vorgestellt wer<strong>de</strong>n sollen, belegen.<br />
(…) Im Bereich <strong>de</strong>r gymnasialen Oberstufe ist uns die Entscheidung nicht leicht gefallen.<br />
Hier hat sich die Jury sogar neben <strong>de</strong>m üblichen ersten (und eigentlich einzigen) Preis für einen<br />
zusätzlichen Son<strong>de</strong>rpreis entschie<strong>de</strong>n. Aber <strong>de</strong>r Reihe nach:<br />
Der 1. Beitrag stammt von Julia Heineking aus <strong>de</strong>r 12. Klasse <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum.<br />
Sie beschreibt ganz emotional ihren Rückblick auf ihr »unglaublich schönes« Austauschjahr in<br />
Brasilien, wo für sie das Frem<strong>de</strong> zum Vertrauten gewor<strong>de</strong>n ist.<br />
48
Ganz an<strong>de</strong>rs, aber ebenso »lebensnah«, erzählt Danny Oestreich, Abiturient am Gymnasium<br />
Carolinum, von seiner »ganz persönlichen Mondlandung«; einer Odyssee durch die Schulen <strong>de</strong>s<br />
Landkreises und von seiner Überzeugung, dass »die Hoffnung zuletzt stirbt und man alles<br />
schaffen kann, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt«.<br />
Olaf Peters, ebenfalls Abiturient am Carolinum, hat eine »schriftlich festgehaltene Re<strong>de</strong> an<br />
Schüler, die in Erwägung ziehen als Austauschschüler ins Ausland zu gehen« eingesandt. Olaf<br />
war selber als Austauschschüler in Südamerika, wo er ebenso wie Nicole und Julia die Erfahrung<br />
gemacht hat, wie das zunächst Frem<strong>de</strong> zum Vertrauten wird.<br />
Auch Henrike Reinckes Essay liegt eine Auslandserfahrung als Beweggrund, über das Frem<strong>de</strong><br />
an sich nachzu<strong>de</strong>nken, zu Grun<strong>de</strong>. Henrike, auch sie ist Abiturientin am Carolinum, hat bei <strong>de</strong>r<br />
Einreise nach Israel das Gefühl von Misstrauen und Fremd-Sein am eigenen Leib erlebt.<br />
Es fällt auf, dass die meisten Teilnehmer das »Frem<strong>de</strong>« tatsächlich auch in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> erlebt<br />
haben. Maxim Menschenins »Offener Brief eines besorgten Mitbürgers an alle Rechtsradikalen<br />
in Mecklenburg-Strelitz und darüber hinaus« hingegen setzt sich, wie <strong>de</strong>r Titel schon sagt, mit<br />
befremdlichen politischen Ten<strong>de</strong>nzen in nächster Nähe auseinan<strong>de</strong>r. Er tut dies in ausgesprochen<br />
sprachgewandter Weise und befleißigt sich dabei einer überaus elaborierten Grammatik.<br />
Maxim, <strong>de</strong>r die 12. Klasse <strong>de</strong>s Carolinums besucht, erhält einen Son<strong>de</strong>rpreis in Höhe von 300 €<br />
für seinen ebenso originellen wie mutigen Beitrag.<br />
Herzlichen Glückwunsch, Maxim!<br />
Meine Damen und Herren, liebe Preisträger,<br />
alle Jugendlichen, die am Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis teilgenommen haben, haben gezeigt,<br />
dass sie die verschie<strong>de</strong>nsten Nuancen ihrer Muttersprache beherrschen. Daniel San<strong>de</strong>rs hätte<br />
seine Freu<strong>de</strong> gehabt!<br />
Vielen Dank<br />
Maxim Menschenin<br />
(Klasse 12)<br />
gewann mit <strong>de</strong>m Beitrag<br />
auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Seiten<br />
<strong>de</strong>n Daniel-San<strong>de</strong>rs-<br />
Sprachpreis<br />
<strong>de</strong>r Stadt Neustrelitz<br />
49
50<br />
Offener Brief eines besorgten Mitbürgers an alle Rechtsradikalen<br />
in Mecklenburg-Strelitz und darüber hinaus<br />
Liebe Nazis,<br />
warum tut ihr euch eigentlich so schwer, <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>m zu begegnen? Warum muss man euch<br />
als frem<strong>de</strong>nfeindlich einstufen? Es ist manchmal schwer an<strong>de</strong>ren Menschen mit ihren frem<strong>de</strong>n<br />
Lebens- und Denkweisen zu begegnen, so etwas verlangt nach ein wenig Toleranz, Offenheit,<br />
Verständnis und Freundlichkeit. Doch dieses Minimum an menschlichen Qualitäten kann man<br />
schon aufbringen und schon gar nicht sollte man diese Menschen verprügeln! Das zeugt nicht<br />
nur von schlechtem Benehmen, son<strong>de</strong>rn auch von Beschränktheit und Naivität. Ihr wollt doch<br />
die Nation stärken, or<strong>de</strong>ntliche Deutsche sein und eurem Land dienen. Doch tut man das, in<strong>de</strong>m<br />
man nun wirklich geschmacklose Thor-Steinar-Kollektionen tragend, in oftmals ungepflegtem<br />
Zustand auf alles Frem<strong>de</strong> gedankenlos eindrischt? Neben Geschmacksfragen solltet ihr auch<br />
einmal diese Frage über<strong>de</strong>nken, also euch in Selbstkritik üben und eure verqueren Ansichten<br />
prüfen. Das Ergebnis dieser Überlegung, also die Tatsache, dass euer Tun <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sache<br />
kaum zuträglich ist, wird euch durchaus fremd erscheinen, was für euch sicher problematisch<br />
sein wird. Zunächst wer<strong>de</strong>t ihr diese an<strong>de</strong>re Einsicht ablehnen, doch einmal über euren schwerfälligen,<br />
braunen Schatten gesprungen, könnt ihr euch langsam an Werte wie Toleranz und<br />
Vernunft heranpirschen, die eigentlich schon seit <strong>de</strong>r Aufklärung, welche vor gut 220 Jahren um<br />
sich griff, obligat sein sollten.<br />
Ein Leben mit <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n ist auch für euch möglich! Der Weg dahin ist gar nicht so<br />
schwierig und wenn man erst einmal angekommen ist, so wer<strong>de</strong>t ihr feststellen, dass bisher<br />
Frem<strong>de</strong>s eigentlich gar nicht fremd ist, son<strong>de</strong>rn gewissermaßen schon immer Teil auch eures<br />
Lebens war. Mir ist es anfangs auch schwer gefallen, eure Fremdartigkeit zu verstehen, euer<br />
archaisches Gebrüll, das unglaubliche Fehlen je<strong>de</strong>n Stils, welches ihr allesamt teilt, eure überholten<br />
Überzeugungen und vor allem eure seltsam geringe Frauenquote. Ich konnte eure<br />
Menschenverachtung, eure Dumpfheit und eure Deutschtümelei nie nachvollziehen. Ihr wart mir<br />
in Gänze fremd und ich stand euch geringschätzig gegenüber, ja ich habe euch gera<strong>de</strong> dieser<br />
Fremdheit halber gehasst. Doch ich begann zu verstehen, dass eure ganzen abscheulichen Eigenschaften<br />
doch nur das Symptom von fehlen<strong>de</strong>r Herzensbildung, von provinzieller Langeweile, von<br />
Perspektivlosigkeit und einer tief sitzen<strong>de</strong>n Angst vor Verän<strong>de</strong>rungen sind. Ihr fürchtet das<br />
Frem<strong>de</strong>, das Unbekannte und das allzu Mo<strong>de</strong>rne. Ihr lei<strong>de</strong>t unter <strong>de</strong>m Entzug von Anerkennung,<br />
da ihr glaubt, dass euer Zug hin zum gesellschaftlichen Anschluss abgefahren ist. Wer am<br />
lautesten Unsagbares brüllt, wer am kräftigsten zuhaut und wer die radikalsten, hasserfülltesten<br />
Ansichten vertritt, verdient sich eure Anerkennung, die ihr untereinan<strong>de</strong>r getreu <strong>de</strong>m Motto ›zusammen<br />
schlagen macht Spaß‹ sucht. Unbelehrbar verteidigt ihr euren Glauben an die Ehre <strong>de</strong>r<br />
Wehrmacht, an die Unschuld Rudolf Hess’ und an <strong>de</strong>n Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen als großgermanische<br />
Weltbeglücker zu fungieren. Ich verstand, dass euer Frem<strong>de</strong>nhass weniger Ursache,<br />
son<strong>de</strong>rn Wirkung einer Suche nach Halt ist, die schließlich unglücklicherweise im Bereich <strong>de</strong>s<br />
Ewig gestrigen geen<strong>de</strong>t hatte. Damit wusste ich auch, dass ich eurer Fremdheit nicht mit Hass<br />
begegnen darf.<br />
Nein, vielmehr müssen wir alle über unseren eigenen weltanschaulichen Mauern einreißen,<br />
damit wir, die wir einan<strong>de</strong>r verfrem<strong>de</strong>t sind, uns wie<strong>de</strong>r begegnen können. Ich habe <strong>de</strong>n ersten<br />
Schritt gewagt, ich habe meine Vorbehalte aufgegeben, ich habe begriffen, dass ihr <strong>de</strong>n<br />
Marktplatz meiner Stadt auf eigenartige Weise national befreien wollt, dass ihr in einer<br />
anti<strong>de</strong>mokratischen Aktionsfront zusammenfin<strong>de</strong>t und dass ihr <strong>de</strong>n Ort mit einem Hauch von<br />
3. Reich überzieht. Ich konnte das nachfühlen, da ich weiß, warum ihr das tut. Ihr han<strong>de</strong>lt<br />
nach Absichten, die <strong>de</strong>r Menschheit stets inne wohnen wer<strong>de</strong>n, ihr wollt Halt, Konstanten und
Werte, doch ihr überlegt nicht auf eurer Suche danach. Eure Frem<strong>de</strong>nfeindlichkeit aber kann ich<br />
daher nicht verstehen. So schreibt euch doch nicht ab, lernt die Wun<strong>de</strong>r eines entnazifizierten<br />
Lebens kennen. Lernt ein Leben kennen, in <strong>de</strong>m ihr <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n ohne Vorbehalte, ohne Furcht<br />
und ohne Angst begegnen könnt. Lernt ein Leben kennen, in <strong>de</strong>m ihr nieman<strong>de</strong>n mehr befrem<strong>de</strong>t.<br />
Für euch ist das dringend notwendig! Denn genauso wie ihr noch euren rechtsradikalen<br />
Muff auslebt, genau so gibt es noch sehr viele Menschen die euch skeptisch, kritisch und bisweilen<br />
sogar äußerst hasserfüllt gegenüberstehen. Noch gibt es sie, die Aktionsbündnisse gegen<br />
Rechts, die Gegen<strong>de</strong>mos zu euren <strong>de</strong>primieren<strong>de</strong>n Kundgebungen und die große Mehrheit in <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung, welche euch entschie<strong>de</strong>n ablehnt. Sie wer<strong>de</strong>n nicht eher verschwin<strong>de</strong>n, wie ihr<br />
euren Frem<strong>de</strong>nhass abgelegt habt, <strong>de</strong>nn sie wissen alle, dass ihr euch insgeheim doch nur nach<br />
Sinn, Gemeinschaft, Anerkennung, Freu<strong>de</strong> und besseren Tagen sehnt. Doch sie wissen auch, dass<br />
das, was ihr dafür tut, für euch eigentlich schlecht, brutal, menschenunwürdig und von Gestern<br />
ist. Das alles solltet ihr schon aus eurem Alltag, aus <strong>de</strong>r Reaktion eurer Umwelt und <strong>de</strong>r<br />
Geschichte mitbekommen haben.<br />
Es gibt doch so viele Dinge außerhalb eurer beschränkten, kleinen, braunen Welt, die viel<br />
lebenswerter sind, als das ständige Nachplappern stumpfsinniger Parolen, die ewig gleichen<br />
Versammlungen um die Fotos toter NS-Verbrecher und <strong>de</strong>r blauäugige Glaube im Sinne <strong>de</strong>r<br />
Nation zu han<strong>de</strong>ln. Eure politischen Exponenten in <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sparlamenten müsst ihr doch schon<br />
längst satt haben! Ungebil<strong>de</strong>t, krampfhaft nach <strong>de</strong>n falschen Worten suchend und sich ständig<br />
wie<strong>de</strong>r-holend bezeugen sie doch am ehesten, wie verloren eure Sache ist. Solltet ihr nicht vor<br />
lauter Einsicht die Hän<strong>de</strong> über <strong>de</strong>n Glatzen zusammenschlagen in <strong>de</strong>r Erkenntnis wie hohl eure<br />
Standpunkte sind, wenn die von euch beschworene ›Nationale Revolution‹ sich eigentlich nur<br />
auf Anfragen nach Spültabs für <strong>de</strong>n fraktionseigenen Geschirrspüler beschränkt?<br />
Ihr könnt es doch nicht auf ewig ertragen, Zielscheibe für allerhand Hohn und Gelächter zu<br />
sein! Wür<strong>de</strong>t ihr ab und zu mal in <strong>de</strong>n Spiegel schauen, wür<strong>de</strong>t ihr endlich mal anfangen euch<br />
selbst zu erkennen, so seht ihr, dass man ganz leicht eure Symbole durch Äpfel und eure Rhetorik<br />
durch ein unzusammenhängen<strong>de</strong>s, wüten<strong>de</strong>s Gekreische ersetzen kann. Genau das haben die<br />
Leute schon immer gemacht um euch gelungen zu persiflieren, von Charlie Chaplin bis zur<br />
Front Deutscher Äpfel.<br />
So sehr ihr auch eure Verbrechen für Deutschland begeht, sie bleiben <strong>de</strong>nnoch Verbrechen und<br />
machen sich nicht gut auf <strong>de</strong>m Führungszeugnis. Nieman<strong>de</strong>m ist geholfen, wenn ihr Auslän<strong>de</strong>r,<br />
Linke, Obdachlose und so weiter zusammenschlagt. Damit verbaut ihr euer Leben und das Leben<br />
eurer Opfer. Eure Heimat wird zum No-Go-Area erklärt und vereinsamt, da es verständlicherweise<br />
so nicht son<strong>de</strong>rlich reizvoll ist, euch zu begegnen.<br />
Millionen von Menschen in Deutschland können vorbehaltlos <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n begegnen. Ihr tut<br />
euch schwer damit und erklärt die Frem<strong>de</strong>nfeindlichkeit zu eurem Programm. Ihr zwingt eure<br />
Umwelt zu allergischen Reaktionen, da niemand in einer Gegend mit braunem Lokalkolorit leben<br />
möchte. Ihr seid in eurem nationalistischen Gehabe und mit euren zurückgebliebenen Politikern<br />
leben<strong>de</strong> Karikaturen eurer selbst. Ihr beraubt euch je<strong>de</strong>n Anreizes, mit euch leben zu können.<br />
Ich muss euch je<strong>de</strong>n Tag irgendwo begegnen und ich bleibe trotz<strong>de</strong>m gleichmütig, <strong>de</strong>nn ich<br />
weiß um eure wahren Beweggrün<strong>de</strong> und ich schätze, dass ihr von eurer finalen Einsicht nicht<br />
weit entfernt seid. Ihr müsst ganz einfach nur konzentriert <strong>de</strong>r nächsten Re<strong>de</strong> von Udo Pastörs<br />
im Plenum <strong>de</strong>s Landtags zuhören, dann wer<strong>de</strong>t ihr schon verstehen.<br />
In <strong>de</strong>r Besorgnis eines Mitbürgers,<br />
Maxim Menschenin.<br />
51
Filmrezension ›Die Welle‹<br />
Nach <strong>de</strong>m gleichnamigen Erfolgsroman von Morton Rhue<br />
›Die Welle‹ stellt die zweite Verfilmung <strong>de</strong>s<br />
Romans ›�e Wave‹ von Morton Rhue dar. Es<br />
ist immer mit einem gewissen Risiko verbun<strong>de</strong>n,<br />
wenn man eine bekannte Geschichte erneut<br />
verfilmt. Während sich die Story eigentlich<br />
in <strong>de</strong>n USA abspielt, hat Regisseur Dennis<br />
Gansel nun das Geschehen in das heutige<br />
Deutschland gelegt, womit <strong>de</strong>r Film näher an<br />
unserem heutigen Alltag ist.<br />
Rainer Wenger, gespielt von Jürgen Vogel, ist<br />
Lehrer eines Berliner Gymnasiums und besticht<br />
von Anfang an durch seine lässige, sympathische<br />
Art. Er wird von <strong>de</strong>n Schülern geduzt und<br />
von seinen Kollegen schief angeschaut. In einer<br />
Projektwoche zum �ema ›Staatsformen‹ beansprucht<br />
er als ehemaliger Hausbesetzer und<br />
Linker selbstverständlich <strong>de</strong>n ›Anarchie-Kurs‹<br />
für sich. Allerdings wird ihm <strong>de</strong>r ungeliebte<br />
Kurs ›Autokratie‹ zugeteilt.<br />
Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kurs am Montag eher schleppend<br />
anfängt, kommt in einer Diskussion sehr<br />
schnell zum Ausdruck, dass die Schüler ein -<br />
hellig <strong>de</strong>r Meinung sind, eine Diktatur wäre in<br />
<strong>de</strong>r heutigen aufgeklärten Gesellschaft nicht Filmplakat<br />
mehr möglich. Dadurch wächst in Wenger die<br />
I<strong>de</strong>e, ein Experiment zu wagen. Er baut bewusst Distanz zu seinen Schülern auf. So müssen sie<br />
ihn mit ›Herrn Wenger‹ ansprechen und auf stehen, wenn sie etwas sagen. Es wird einheitliche<br />
Kleidung in Form eines weißen Hem<strong>de</strong>s eingeführt. Die Schüler nehmen diese neuen Vorgaben<br />
über raschend positiv auf und schnell ist <strong>de</strong>r Name für die Bewegung gefun<strong>de</strong>n – ›Die Welle‹.<br />
Die Motivation und Leistungen seiner Schüler steigen, wodurch Wenger die Anerkennung<br />
seiner Kollegen erhält, aber gleichzeitig das eigentliche Ziel aus <strong>de</strong>n Augen verliert.<br />
Von <strong>de</strong>r neuen ›Unterrichtspolitik‹ ist <strong>de</strong>r Außenseiter Tim (Fre<strong>de</strong>rick Lau) am meisten beeindruckt<br />
und entwickelt sich schnell zu einem fanatischen Anhänger <strong>de</strong>r Welle. In<strong>de</strong>m Protagonist<br />
Fre<strong>de</strong>rick Lau <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Tim <strong>de</strong>n Blick eines getriebenen Tieres verleiht, wird diese<br />
Rolle noch überzeugen<strong>de</strong>r. Aber auch Sinan (Elyas M'Barek) ›<strong>de</strong>r Türke‹ o<strong>de</strong>r Marco (Max Riemelt),<br />
<strong>de</strong>r Sportler aus <strong>de</strong>r unteren sozialen Schicht, sind sehr empfänglich für die Gemeinschaftsverspechungen.<br />
Den Gegenpol dazu stellen Karo (Jennifer Ulrich), die bis dahin Klassenprima<br />
war, und Mona (Amelie Kiefer) dar. Bei<strong>de</strong> stehen <strong>de</strong>r Welle von Anfang an skeptisch<br />
gegenüber. Als sie erkennen, was die Welle wirklich ist, leisten sie Wi<strong>de</strong>rstand mit allen Mitteln.<br />
Was als harmloser Versuch begann, entwickelt plötzlich eine enorme Eigendynamik, durch<br />
die An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong> erst abweisend, dann aggressiv behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Wenger bemerkt nicht,<br />
dass er die Kontrolle über das Experiment verliert und begreift auch erst sehr spät, was er<br />
eigentlich ins Rollen gebracht hat.<br />
52
Die Welle ist ein in sich abgeschlossener<br />
Film. Er enthält zu<strong>de</strong>m noch einige<br />
Ereignisses und Muster, die auf historische<br />
Parallelen anspielen. So erinnert<br />
<strong>de</strong>r Ausgangszustand <strong>de</strong>r Klasse an die<br />
Weimarer Republik – Uneinigkeit, Egoismus<br />
und schwache Führung. Durch die<br />
Flugblatt aktion von Karo wird eine Parallele<br />
zu Sophie Scholl geschaffen. Die<br />
Schlussre<strong>de</strong> Wengers am Samstag wur<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>n gleichen Perspektive aufgenommen,<br />
wie auch die Propagandare<strong>de</strong>n vieler<br />
NS-Größen. Die Kamera befin<strong>de</strong>t<br />
sich hinter <strong>de</strong>r ›Führerperson‹ Wenger<br />
und zeigt von schräg oben auf die uniformierten<br />
Schüler herunter. Dadurch Ausschnitt aus <strong>de</strong>m Film ›Die Welle‹<br />
wird noch einmal sein Spiel mit <strong>de</strong>r<br />
Macht ver<strong>de</strong>utlicht, bevor er das Experiment abbricht. Das ansonsten eindrucksvolle En<strong>de</strong> wird<br />
dadurch geschmälert, dass die Be<strong>de</strong>nken und Betroffenheit Wengers erst ziemlich spät ins<br />
Blickfeld rücken und von daher aufgesetzt wirken.<br />
Durch <strong>de</strong>n insgesamt sehr gelungenen Film wur<strong>de</strong> noch einmal <strong>de</strong>utlich gemacht, dass wir<br />
doch nicht so aufgeklärt sind, wie wir glauben und dass die Demokratie auch heute noch verteidigt<br />
wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Schüler <strong>de</strong>r 10. Klasse<br />
<strong>de</strong>s Jahrgangs 2007/08<br />
am Gymnasium Carolinum<br />
53
Der Annalise-Wagner-Preis für Texte aus <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r über die Region<br />
Mecklenburg-Strelitz bzw. das historische Stargar<strong>de</strong>r Land<br />
geht im Jahr <strong>2008</strong> an die Berliner Historikerin und Publizistin<br />
Dr. Annette Leo für ihre Publikation<br />
»Das ist so’n zweischneidiges Schwert hier unser KZ …«:<br />
Der Fürstenberger Alltag und das Frauenkonzentrationslager<br />
Ravensbrück<br />
(Metropol-Verlag 2007, ISBN 978-3-938690-61-1).<br />
Aus 59 Bewerbungen und Vorschlägen wählte die Neubran<strong>de</strong>nburger<br />
Annalise-Wagner-Stiftung einstimmig diesen dokumentarisch-publizistischen<br />
Text aus, <strong>de</strong>r Zeitzeugen-Erinnerungen<br />
von Bürgern aus <strong>de</strong>r ehemals mecklenburg-strelitzschen Stadt<br />
Fürstenberg (bis 1952 Mecklenburg, heute Bun<strong>de</strong>sland Bran<strong>de</strong>n -<br />
burg) an das unmittelbar benachbarte Frauenkonzentrations -<br />
lager Ravensbrück zu einem wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Bild zusammenfügt.<br />
Die Jury <strong>de</strong>s Annalise-Wagner-Preises <strong>2008</strong> beeindruckte, mit<br />
welcher Sensibilität Annette Leo erkun<strong>de</strong>t, wie Fürstenberger<br />
<strong>de</strong>r Geburtsjahrgänge 1913 bis 1933 erlebt und verarbeitet haben,<br />
was zwischen 1939 und 1945 im KZ Ravensbrück geschah,<br />
was danach unter sowjetischer Besetzung passierte und wie sie heute darüber <strong>de</strong>nken. Als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Interviewprojekt ›Die Stadt Fürstenberg und das KZ Ravensbrück‹<br />
in Kooperation mit <strong>de</strong>r Mahn- und Ge<strong>de</strong>nkstätte Ravensbrück und als Publizistin ging es<br />
Annette Leo »nicht mehr nur darum, ob und wie die Fürstenberger auf das Geschehene reagiert<br />
hatten, son<strong>de</strong>rn auch darum, ob und wie ihre Wahrnehmungen und Bewertungen sich nach <strong>de</strong>m<br />
Erlebnis von min<strong>de</strong>stens zwei gesellschaftlichen Brüchen – 1945 und 1990 – verän<strong>de</strong>rten« (A. Leo).<br />
Diese Darstellung von Brüchen und Wi<strong>de</strong>rsprüchen in Geschichte und Erinnerungspro -<br />
zessen ist für die Jury Beispiel für einen neuen Ansatz <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nkens in einer verän<strong>de</strong>rten<br />
Geschichtskultur, <strong>de</strong>r weniger in Schwarz-Weiß-Kategorien als in Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeiten argumentiert,<br />
ohne nationalsozialistische und kommunistische Diktatur gleichzusetzen o<strong>de</strong>r NS-<br />
Verbrechen zu verharmlosen. Annette Leo setzt ritualisierten Formeln <strong>de</strong>r ›Bewältigung‹ von<br />
Geschichte die Annahme o<strong>de</strong>r Ablehnung von persönlicher Verantwortung <strong>de</strong>r Interviewten,<br />
immer eingebettet in <strong>de</strong>ren Alltagserfahrungen, entgegen. Sie steht für einen nichti<strong>de</strong>ologischen<br />
und leisen Umgang mit individueller Verantwortung anstelle plakativ wirksamer Schuldzu -<br />
weisung.<br />
Annette Leos stilistisch virtuos gehandhabte Interview- und Kommentartechnik, ihre dichte<br />
Erzählung und ihr leiser Ton tragen wesentlich dazu bei, dass dieser Text eine »aktive Haltung<br />
<strong>de</strong>s Erinnerns« för<strong>de</strong>rt, dass er Fragen auslöst nach Komplexität und Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit historischer<br />
Prozesse, nach individuellen und gesellschaftlichen Erinnerungsprozessen, nach <strong>de</strong>r<br />
Gefährlichkeit aktueller rechtsextremer Bestrebungen, vor allem aber nach Vergleichbarkeit<br />
heutiger individueller Entscheidungssituationen und nach persönlicher Verantwortung.<br />
Deshalb gehört Annette Leos Arbeit im Sinne Annalise Wagners (1903-1986), <strong>de</strong>r Stifterin<br />
<strong>de</strong>s Annalise-Wagner-Preises, zu <strong>de</strong>n Texten mit ganz beson<strong>de</strong>rem Wert für das »Gedächtnis<br />
<strong>de</strong>r Region«.Die feierliche Preisverleihung fand am 21. Juni <strong>2008</strong> im Rathaus Neustrelitz statt.<br />
www.annalise-wagner-stiftung.<strong>de</strong><br />
54
Projekte und Studienfahrten<br />
Fünf lateinische Briefe von Carl Andreß<br />
an Heinrich Schliemann<br />
Übersetzt von Schülerinnen und Schülern<br />
<strong>de</strong>s Neuen Carolinum Neustrelitz 1<br />
und bearbeitet und kommentiert von<br />
Dr. Lutz-Ingolf Peters<br />
(Lateinlehrer am Carolinum)<br />
und Dr. Reinhard Witte<br />
(Leiter <strong>de</strong>s Schliemann-Museums)<br />
Im Archiv <strong>de</strong>s Heinrich-Schliemann-Museums Ankershagen<br />
wer<strong>de</strong>n neben Originalbriefen von Schliemanns<br />
Hand auch rund 35.000 Briefkopien an <strong>de</strong>n<br />
berühmten Kaufmann und Forscher aufbewahrt. Sie<br />
gelangten in die Einrichtung durch einen Kooperationsvertrag<br />
zwischen <strong>de</strong>r Heinrich-Schliemann-<br />
Gesellschaft Ankershagen e. V. und <strong>de</strong>m Museum<br />
mit <strong>de</strong>r Genna<strong>de</strong>ios-Bibliothek Athen, wo sich überwiegend<br />
die Originale <strong>de</strong>s gewaltigen Schliemann-<br />
Nachlasses befin<strong>de</strong>n. Diese schriftliche Hinterlassenschaft<br />
umfasst insgesamt zwischen 60.000 und<br />
80.000 Briefen von bzw. an Schliemann, 18 Reiseund<br />
Ausgrabungstagebücher (ebenfalls in Kopie im<br />
Museumsarchiv), Geschäftsbücher, Hotelrechnungen,<br />
Visitenkarten u. a. Nur ein Bruchteil <strong>de</strong>r Archivalien<br />
ist bisher veröffentlicht. An Briefausgaben<br />
Heinrich Schliemann als Petersburger<br />
Großkaufmann, 1861<br />
wären in erster Linie zu nennen: Briefe von Heinrich Schliemann, hrsg. v. Ernst Meyer, Berlin-<br />
Leipzig 1936; Heinrich Schliemann. Briefwechsel. Aus <strong>de</strong>m Nachlaß in Auswahl hrsg. v. Ernst<br />
Meyer (2 B<strong>de</strong>.), Berlin 1953-1958; Die Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen Heinrich Schliemann und<br />
Rudolf Virchow 1876-1890, bearb. u. hrsg. v. Joachim Herrmann und Evelin Maaß, Berlin 1990;<br />
Geraldine Saherwala, Klaus Goldmann u. Gustav Mahr, Heinrich Schliemanns »Sammlung trojanischer<br />
Altertümer«, Berlin 1993 (beinhaltet Briefwechsel zwischen Schliemann und Berliner<br />
Museumsbeamten); Hans-Günter Buchholz, Die Archäologenfreundschaft zwischen Heinrich<br />
Schliemann und Friedrich Schlie – Der Briefwechsel zweier be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Archäologen, in:<br />
Mitteilungen aus <strong>de</strong>m Heinrich-Schliemann-Museum Ankershagen, Heft 3, 1996 sowie last but<br />
not least Abenteuer meines Lebens. Heinrich Schliemann erzählt, hrsg. u. erläutert von Heinrich<br />
Alexan<strong>de</strong>r Stoll, Leipzig 1958 (u. a. mit <strong>de</strong>n Briefen Schliemanns an <strong>de</strong>n Neustrelitzer Jugend -<br />
freund Wilhelm Rust). Das Heinrich-Schliemann-Museum Ankershagen ist als ein Zentrum <strong>de</strong>r<br />
internationalen Schliemannforschung (s. Blaubuch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung) mit starker Hilfe<br />
1 Alle Schülerinnen und Schüler gehören <strong>de</strong>r Klasse 12 <strong>de</strong>s Kurses »Latein als 3. Fremdsprache« an.<br />
55
durch die Schliemann-Gesellschaft bestrebt, mehr Briefe <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />
Das soll durch Transkription <strong>de</strong>r in Deutscher Schrift und durch Übersetzungen <strong>de</strong>r in<br />
zwölf Sprachen geschriebenen Briefe und - wo es sich anbietet - durch Veröffentlichungen<br />
geschehen. Schwerpunkt in <strong>de</strong>r Erschließung <strong>de</strong>r Archivbestän<strong>de</strong> im letzten Jahr waren die<br />
Briefe <strong>de</strong>s Neustrelitzer Bekanntenkreises Schliemanns. Darunter fan<strong>de</strong>n sich auch in Latein<br />
geschriebene Briefe von Carl Andreß.<br />
Am 10. März 1883 schreibt Schliemann, <strong>de</strong>r im <strong>Sommer</strong> jenen Jahres einen längeren Aufenthalt<br />
in seinem Heimatort plante, aus Athen an Pastor Becker in Ankershagen: »Kannst Du nicht<br />
meinen einstigen Lehrer Carl Andres 2 von N.Strelitz während unseres Dortseins logiren; <strong>de</strong>nn<br />
ich mögte ihn gerne 1 Monat bei mir haben, da er <strong>de</strong>r einzige ist <strong>de</strong>r im Stan<strong>de</strong> wäre geläufig<br />
altgriechisch zu sprechen; auch weiß er alle gr[iechischen] Tragiker auswendig und schreibt<br />
Briefe die <strong>de</strong>m Plato Ehre machen wür<strong>de</strong>n.« 3 Wer war dieser so hoch gelobte Mann? Der heute<br />
in Vergessenheit geratene Neustrelitzer Bürger Carl Andreß (1808-1885) war <strong>de</strong>r Sohn eines<br />
großherzoglichen Mundkochs, <strong>de</strong>r mit finanzieller Unterstützung durch <strong>de</strong>n Großherzog von<br />
Mecklenburg-Strelitz alte und neue Sprachen studieren konnte. Seit 1830 wirkte er als Haus -<br />
lehrer. In dieser Funktion lernte ihn <strong>de</strong>r zehnjährige Heinrich Schliemann in <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rreichen<br />
Familie seines Onkels in Kalkhorst kennen, wohin ihn sein Vater wegen <strong>de</strong>r misslichen Verhältnisse<br />
im Ankershagener Pfarrhaus nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mutter geschickt hatte. In Kalkhorst<br />
unterrichtete Andreß dann auch <strong>de</strong>n kleinen Heinrich in Latein. Carl Andreß wur<strong>de</strong> 1845 Hilfsbeamter<br />
<strong>de</strong>r Großherzoglichen Bibliothek in Neustrelitz. Er galt als sehr gelehrt, aber auch als<br />
sehr verschroben. Nach allem, was über ihn bekannt ist, fristete er in <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nzstadt ein sehr<br />
kümmerliches Leben. Kürzlich wur<strong>de</strong> er in einem Vortrag im Museum mit <strong>de</strong>m ›Armen Poeten‹<br />
von Carl Spitzweg verglichen – wahrscheinlich ein treffen<strong>de</strong>r Vergleich! Schliemann unterstützte<br />
seinen ehemaligen Lehrer seit Mitte <strong>de</strong>r 1850er Jahre finanziell, ließ ihn auch auf seine Kosten<br />
und zum damals üblichen Honorar die <strong>de</strong>utsche Übersetzung seines Buches ›Ithaque, le Péloponnèse,<br />
Troie. Recherches archéologiques‹ anfertigen, mit <strong>de</strong>r er aber nicht zufrie<strong>de</strong>n war.<br />
Über Carl Andreß fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Literatur eine interessante Notiz: »Er war von großer<br />
Gestalt, in seinem Alter stets gebückt gehend, trug einen langen Rock, an <strong>de</strong>m hinten stets ein<br />
rotes Taschentuch nach Spitzwegweise heraushing. Zwei Jahre nach <strong>de</strong>m Zusammensein mit<br />
Schliemann in Ankershagen ist er in Neustrelitz unbeachtet verstorben. Sein Grab hat <strong>de</strong>r Verfasser<br />
noch um 1926 auf <strong>de</strong>m Friedhof von Neustrelitz feststellen können.« 4 Im Archiv <strong>de</strong>s<br />
Heinrich-Schliemann-Museums befin<strong>de</strong>n sich insgesamt 49 Briefe aus <strong>de</strong>r Zeit vom 2. März<br />
1857 bis 16. Dezember 1884, davon 27 auf Deutsch, 16 auf Altgriechisch und 6 5 auf Latein.<br />
Schon seit vielen Jahren bestehen gute Beziehungen zwischen Museum und Gesellschaft mit<br />
<strong>de</strong>m Carolinum Neustrelitz, <strong>de</strong>ssen Schüler Heinrich Schliemann 1833 für kurze Zeit war, bis er<br />
dann wegen Geldmangels zur Realschule wechseln musste, die sich im gleichen Gebäu<strong>de</strong> befand.<br />
Somit war es nur eine Frage <strong>de</strong>r Zeit, dass sich die Beziehungen bei<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Kultur-<br />
und Bildungseinrichtungen <strong>de</strong>r Mecklenburgischen Seenplatte noch enger gestalten sollten.<br />
Dr. Peters kam je<strong>de</strong>s Jahr mit seinen Lateinschülern zu einem Projekttag ins Museum. Auch<br />
sonst ist er oft Gast <strong>de</strong>r Einrichtung. Nahezu von selbst drängte sich im Gespräch mit <strong>de</strong>m<br />
Museumsleiter die I<strong>de</strong>e auf, schulischen Unterricht mit interessanten Projekten zu bereichern:<br />
Warum sollten nicht begabte Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrem engagierten<br />
Lehrer bei <strong>de</strong>r Erschließung <strong>de</strong>r Museumsarchivalien helfen? Eine erste Antwort darauf liegt<br />
nun mit dieser kleinen Publikation vor.<br />
2 Der Leser möge sich nicht an <strong>de</strong>r unterschiedlich vorkommen<strong>de</strong>n Weise <strong>de</strong>s Namens stören: Andreß, Andress,<br />
Andres.<br />
3 Ernst Meyer (Hrsg.), Heinrich Schliemann. Briefwechsel, II. Band (= Meyer, BW II), Berlin 1958, S. 158.<br />
4 Ernst Meyer, Heinrich Schliemann. Kaufmann und Forscher, Göttingen - Zürich - Berlin - Frankfurt 1969, S. 61.<br />
Die Beschreibung beruht auf einer mündlichen Äußerung <strong>de</strong>s Neustrelitzer Architekten Hustädt im Jahre 1950<br />
gegenüber Meyer.<br />
5 Lei<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 6. Brief erst nach Redaktionsschluss ›ent<strong>de</strong>ckt‹.<br />
56
Brief vom 4. Januar 1862 (GL Sch A, B 48:1, 42662 f.) 6<br />
(übersetzt von Carolin Meißler)<br />
Carolus Andress Henrico Schliemanno<br />
S.P.D. 7<br />
Plures jam elapsi sunt menses, quum a<br />
matre Lauii comperi, te epistolam ad me esse<br />
daturum. Quam quum nullam receperim<br />
adhortata me est mulier honestissima, quod<br />
sponte mea facere non ausus essem, ut suo et<br />
meo nomine tibi congratuler ad novum annum,<br />
quod ex animo facio, optans, ut prospere<br />
omnia tibi succedant. Narravit mihi Lauia,<br />
morem esse apud vos qui Petropoli habitatis<br />
Germani, ut ineunte novo anno conveniatis<br />
festumque diem inter vos agatis. Jam quum<br />
laeto convivio accumbetis sodale memor sis<br />
veteris tui praeceptoris, qui nunc magna<br />
rerum inopia pressus meminit illius Virgiliani<br />
dicti:<br />
Tu ne ce<strong>de</strong> malis, sed contra au<strong>de</strong>ntior<br />
ito. 8<br />
Promiserunt qui<strong>de</strong>m, qui gubernacula<br />
civitatis nostrae tenent, viri, me mox meliore<br />
fortuna usurum, sed cunctando non »restituunt<br />
meas res«, ut semper hoc in ore geram:<br />
Bis dat qui cito dat! 9<br />
Novae Strelitiae pridie Nonas Januarias 1862<br />
6 Original im Schliemann-Archiv in <strong>de</strong>r Genna<strong>de</strong>ios-<br />
Bibliothek (Gennadius Library) Athen: Heinrich<br />
Schliemann and Family Papers = GL Sch A Series B<br />
Correspon<strong>de</strong>nce (Box-<strong>Nr</strong>., Fol<strong>de</strong>r <strong>Nr</strong>., Blatt <strong>Nr</strong>.). Hier<br />
also: Gennadius Library Schliemann Archive, Serie B<br />
Korrespon<strong>de</strong>nz, Kasten 48: Hefter 1, Blätter 42662 f.<br />
7 Briefliche Grußformel: Salutem plurimam dicit, in<br />
etwa: Grüße vielmals, Tausend Grüße, grüßt. – Dieser<br />
Brief ist bereits veröffentlicht, in Meyer, BW I, S. 111<br />
f. Man möge die Übersetzung vergleichen<br />
8 Nach Vergil, Aeneis 6, 95.<br />
9 Nach Publius Syrus (jüngerer Zeitgenosse Caesars),<br />
Sentenzen I 6.<br />
10 Schliemann wohnte während seiner Schulzeit in Neustrelitz<br />
(1833-1836) beim Hofmusikus Carl Ernst Laue<br />
(1790-1860) und <strong>de</strong>ssen Frau Margarethe. Er besuchte<br />
1879 die Witwe in ihrem Haus in <strong>de</strong>r Tiergartenstraße<br />
17 (früher: 10). Dieses hatte ihr Mann 1859 ein Jahr<br />
vor seinem To<strong>de</strong> gekauft. Frau Laue bewohnte es bis<br />
zu ihrem To<strong>de</strong> im Jahre 1889. Das frühere Wohnhaus<br />
Carl Andress grüßt Heinrich Schliemann<br />
Es sind schon einige Monate vergangen, als<br />
ich von <strong>de</strong>r Mutter <strong>de</strong>s Herrn Laue 10 erfahren<br />
habe, dass du mir einen Brief geschrieben<br />
hättest. Da ich aber keinen bekommen habe,<br />
hat mir die hochehrbare Frau geraten, weil ich<br />
es aus eigenem Antrieb nicht gewagt hätte,<br />
dass ich dir in ihrem und meinem Namen zum<br />
neuen Jahr gratulieren kann, was ich (auch)<br />
von Herzen tu in <strong>de</strong>m Wunsch, dass alle <strong>de</strong>ine<br />
Vorhaben nach Belieben ge<strong>de</strong>ihen mögen.<br />
Diese Frau Laue hat mir erzählt, dass es bei<br />
euch, <strong>de</strong>n in Petersburg leben<strong>de</strong>n Deutschen 11 ,<br />
Brauch sei, dass ihr zu Beginn <strong>de</strong>s neuen Jahres<br />
zusammenkommt und <strong>de</strong>n Festtag mitein -<br />
an<strong>de</strong>r begeht. Und wenn du dich schon zum<br />
fröhlichen Gastmahl gesellig hingibst, dann<br />
erinnere dich <strong>de</strong>ines alten Lehrers, <strong>de</strong>r nun<br />
unter großem Mangel seiner Dinge lei<strong>de</strong>t und<br />
an die Worte <strong>de</strong>s Vergil:<br />
Weiche nicht vor <strong>de</strong>m Bösen zurück,<br />
son<strong>de</strong>rn gehe mutiger dagegen vor!<br />
Diejenigen Herren, die die Geschicke unserer<br />
Stadt lenken, haben zwar versprochen, dass ich<br />
bald ein besseres Schicksal haben soll, obwohl<br />
sich meine Dinge durch ihr Zögern nicht zum<br />
Positiven gewen<strong>de</strong>t haben, ich sage immer:<br />
Doppelt gibt, wer schnell gibt!<br />
Neustrelitz, am 4. Januar 1862<br />
Laues in <strong>de</strong>r Strelitzer Straße 28, in <strong>de</strong>m Schliemann<br />
und Ernst Meincke während ihrer Schulzeit wohnten<br />
und in <strong>de</strong>m sich Karfreitag 1836 Heinrich und seine<br />
Jugendfreundin Minna Meincke tränenüberströmt in<br />
die Arme gefallen haben wollen, existiert seit 1945<br />
nicht mehr. Mit ›Herrn Laue‹ ist <strong>de</strong>mzufolge ein Sohn<br />
<strong>de</strong>r Eheleute gemeint, wahrscheinlich H. Laue, <strong>de</strong>r als<br />
Musiker selbst in St. Petersburg lebte und auf einer<br />
Reise 1853, die ihn auch nach Neustrelitz führte, »im<br />
Auftrage« Schliemanns Erkundigungen über Neustrelitzer<br />
Bekannte einholte. Vgl. Ernst Meyer, Heinrich<br />
Schliemann. Kaufmann und Forscher, Göttingen etc.,<br />
1969, S. 60.<br />
11 Schliemann lebte seit En<strong>de</strong> Januar 1846 in St. Petersburg.<br />
Anfangs war er dort Vertreter <strong>de</strong>s Amsterdamer<br />
57
Carolus Andress Henrico Schliemanno S.P.D.<br />
Adiit me Woehlertus quidam, sartor<br />
Ankershagiensis, qui, quum audisset, me<br />
tecum per literas communicare, eniae me<br />
rogavit, ut te certiorem facerem, se bis terve<br />
nummos a te ad eum missos, accepisse, et<br />
quidam Rustium mercatorem Neostrelitiensem<br />
sine ulla <strong>de</strong>minutione pecuniam, solvisse,<br />
quum alii aliquam tum <strong>de</strong>traxissent. Totam<br />
rem ei explicui. Schroe<strong>de</strong>ri enim fratres,<br />
foeneratores Hamburgenses, syngrapham,<br />
quam mense Octobre 1861 solvere <strong>de</strong>bebant,<br />
<strong>de</strong>mum mense Aprili sequentis anni ad<br />
Rustium solutam miserunt. Tota summa erat<br />
30 thalerorum, ex quibus ego 20, Woehlertus<br />
10 accepimus. Libenter ego tabellariam et<br />
pecuniam epistolarem persolvi, non Rustius,<br />
quod Woehlertus opinabatur, qui ita nummos<br />
suos integros accepit. Grato animo veneratur<br />
Woehlertus beneficia tua in eum collata, quae<br />
magno ei usui fuerunt ad liberos suos octo<br />
nutriendos. Uxor eius rursus gravida fortasse<br />
jam nonum partum edidit, ut bonus Woehlertus<br />
inter impigros liberorum procreatores<br />
numerandus sit. Petit a te vir optimus, ut sibi<br />
effigiem tuam mittas, ut vultum benefactoris<br />
tota eius familia adspicere possit. Optat<br />
Woehlertus a<strong>de</strong>o, ut te Petropoli visere possit,<br />
cuius voti difficile est eum compotem fieri.<br />
Si quid in posterum Woehlerto et mihi condonari<br />
constitueris, optimum erit, ut Rustio<br />
nostro man<strong>de</strong>s pecuniam solvere. Woehlertus<br />
mihi praeterea mandavit, ut persuasum haberes,<br />
se maxima cura sepulchrum matris tuae<br />
58<br />
Brief vom 31. Juli 1862 (GL Sch A, B 50:5, 45099 f.)<br />
(übersetzt von Anne-Marie Maaß und Marie-Luise Schrö<strong>de</strong>r)<br />
Han<strong>de</strong>lshauses Schrö<strong>de</strong>r & Co. Sehr schnell stieg er jedoch<br />
zum selbständigen Petersburger Großkaufmann<br />
auf. Bis auf eine Unterbrechung von knapp zwei Jahren<br />
(1851/52 nahm er am kalifornischen Goldrausch teil) erwarb<br />
er sich in Russland hauptsächlich im Indigohan<strong>de</strong>l<br />
(während <strong>de</strong>s Krimkrieges 1853-1856 han<strong>de</strong>lte er auch<br />
mit Salpeter, Schwefel und Blei) ein vielfaches Millionenvermögen.<br />
Schliemann war in erster Ehe (1852-1869)<br />
mit <strong>de</strong>r Russin Jekaterina Lyshina (1826-1896) verheiratet<br />
und hatte mit ihr drei Kin<strong>de</strong>r. - In St. Petersburg lebten<br />
im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt viele Deutsche. Die mecklenburgische<br />
Auswan<strong>de</strong>rerbewegung vollzog sich nicht nur<br />
nach Übersee, son<strong>de</strong>rn auch nach Russland<br />
Erste Seite <strong>de</strong>s lateinischen Briefes von Carl Andreß<br />
an Heinrich Schliemann vom 31. Juli 1862<br />
floribus fertisque ornare, ut aliquam tibi<br />
gratiam pro magnis tuis in se meritis referat.<br />
Ambo tui semper grato animo recordabimur,<br />
qui nobis, summa rerum inopia pressis, auxilio<br />
venisti, quod in curia Schroe<strong>de</strong>rorum fratrum<br />
serius, attamen exoptatum venit. Vale mihique<br />
fave!<br />
Scripsi Strelitiae novae mense Julio exeunte<br />
1862.
Carl Andreß grüßt Heinrich Schliemann<br />
Ein gewisser Wöllert 12 , ein Schnei<strong>de</strong>r aus<br />
Ankershagen, ist an mich herangetreten, <strong>de</strong>r,<br />
als er gehört hatte, dass ich mit dir über Briefe<br />
kommuniziere, mich eifrig gefragt hat, ob ich<br />
dich benachrichtigt hätte, dass er zwei bis drei<br />
Museumsgelän<strong>de</strong> in Ankershagen mit ehemaligem<br />
Pfarrhaus (seit 1980 Ge<strong>de</strong>nkstätte), wie<strong>de</strong>r aufgebautem<br />
Stallgebäu<strong>de</strong> (seit 2001 u. a. großer Vortragsraum)<br />
und ›Troianischem Pferd‹ (seit 1996),<br />
Foto: Roman März (Berlin)<br />
12 Gemeint ist nicht <strong>de</strong>r aus Schliemanns Selbstbiographie<br />
(1881) bekannte Schnei<strong>de</strong>r und Totengräber Daniel<br />
Bernhard Christian Wöllert (1779-1855), genannt<br />
Peter Hüppert. Hier han<strong>de</strong>lt es sich um Friedrich<br />
Wöllert (nicht: Wöhlert), ebenfalls Schnei<strong>de</strong>r wie sein<br />
Vater. Die Not dieses Mannes lässt sich aus einem<br />
Brief <strong>de</strong>sselben an Schliemann vom 6. April 1862 aus<br />
Ankershagen begreifen: »O jetzt in diesem Jahre ist<br />
die Noth noch um so größer, <strong>de</strong>nn seit Weihnachten<br />
habe ich keine Kartoffeln mehr im Hause und das kleine<br />
Schwein welches ich mir einschlachten wollte ist<br />
mir auch gestorben, ich weiß nicht mehr wovon ich<br />
leben soll, und für uns Eltern ist es immer am<br />
schlimmsten <strong>de</strong>nn wenn jetzt am Tage meine Kin<strong>de</strong>r<br />
kommen und bitten Vater und Mutter gebt uns Brot<br />
und Ach: wir haben ja nichts …« (s. Meyer, BW I, S.<br />
113). Schliemann hatte eine Tochter Wöllerts bei sich<br />
in St. Petersburg als Hausangestellte beschäftigt.<br />
Münzen empfangen<br />
hätte, die von dir zu<br />
ihm geschickt wor<strong>de</strong>n<br />
waren und dass<br />
ein gewisser Rust 13 ,<br />
ein Kaufmann aus<br />
Neustrelitz, sie ihm<br />
ohne je<strong>de</strong>n Verlust<br />
in die hiesige Wäh -<br />
rung ein gelöst hat,<br />
während an<strong>de</strong>re dagegen<br />
ihm etwas abgezogen<br />
hätten. Ich<br />
Wilhelm Rust (1820-1910),<br />
<strong>de</strong>r Jugendfreund Schliemanns<br />
aus <strong>de</strong>r Neustrelitzer<br />
Schulzeit<br />
hatte ihm die ganze Sache erklärt. Die Brü<strong>de</strong>r<br />
Schrö<strong>de</strong>r 14 nämlich, Bankiers aus Hamburg,<br />
haben einen Wechsel geschickt, <strong>de</strong>n sie im<br />
Oktober 1861 einlösen sollten und schließlich<br />
im Monat April <strong>de</strong>s folgen<strong>de</strong>n Jahres an Rust<br />
ausgezahlt haben. Die ganze Summe betrug 30<br />
Taler, aus <strong>de</strong>r ich 20 Taler und Wöllert 10 er-<br />
13 Wilhelm Rust (1820-1910) war Schulkamerad von<br />
Heinrich Schliemann in Neustrelitz und Sohn <strong>de</strong>s<br />
Großherzoglichen Kammerlakaien. Er brachte es in<br />
Neustrelitz zu höchstem Ansehen. Er war dort seit<br />
1843 selbständiger Kaufmann, besaß im Haus an <strong>de</strong>r<br />
Ecke Markt/Zierker Straße (heute noch vorhan<strong>de</strong>n)<br />
eine »Manufactur- und Mo<strong>de</strong>waaren-Handlung«, in<br />
<strong>de</strong>r er neueste Mo<strong>de</strong> aus Paris, Leinwand, Tapeten,<br />
echten Souchong-Tee und Nähmaschinen von Wheeler,<br />
Wilson und Singer verkaufte. Er grün<strong>de</strong>te später<br />
eine Bank und vertrat auch die Gothaer Lebens- und<br />
Feuerversicherung. Rust galt als reichster Mann <strong>de</strong>r<br />
Stadt. Schliemann sagte einmal sinngemäß, wenn ich<br />
nicht Schliemann wäre, wür<strong>de</strong> ich gern Rust sein.<br />
Rust war seit 1870 Kommerzienrat, später sogar Geheimer<br />
Kommerzienrat. Bei<strong>de</strong> Männer stan<strong>de</strong>n in regem<br />
Briefwechsel. Die Briefe von Schliemann wur<strong>de</strong>n<br />
bereits von Stoll (Abenteuer meines Lebens, s. oben)<br />
veröffentlicht. Nun, durch die Briefkopien im Museum,<br />
liegen auch die Gegenbriefe zur Veröffentlichung<br />
bereit. Diese wird in nächster Zeit durch Rainer Hilse<br />
vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
14 Die Firma Schrö<strong>de</strong>r in Hamburg wur<strong>de</strong> von Johann<br />
Heinrich Schrö<strong>de</strong>r (1784-1883) etabliert. Er war auch<br />
<strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>r eines Bankhauses in London. Über<br />
„Schrö<strong>de</strong>r Hamburg“ wickelte Schliemann anfangs<br />
seine Geldgeschäfte in Deutschland ab. Später bevorzugte<br />
er Robert Warschauer & Co. in Berlin.<br />
59
hielten. Gerne habe ich <strong>de</strong>n Postboten und <strong>de</strong>n<br />
Geldbrief bezahlt und nicht Rust, <strong>de</strong>r seine<br />
Münzen unversehrt erhalten hat, wie Wöllert<br />
meinte. Wöllert verehrt mit dankbarem Herzen<br />
die Wohltaten, die du ihm erwiesen hast und<br />
die hochherzig von ihm benutzt wor<strong>de</strong>n sind<br />
um seine acht Kin<strong>de</strong>r zu ernähren. Seine schon<br />
wie<strong>de</strong>r schwangere Frau gebärt ihm vielleicht<br />
das neunte Kind, so dass <strong>de</strong>r gute Wöllert unter<br />
die rastlosen Schöpfer von Kin<strong>de</strong>rn zu<br />
zählen ist. Der gute Mann möchte, dass du ihm<br />
<strong>de</strong>in Bild schickst, damit die ganze Familie das<br />
Antlitz <strong>de</strong>s Wohltäters betrachten kann. Außer -<br />
<strong>de</strong>m wünscht sich Wöllert sehr, dass er dich in<br />
Sankt Petersburg besuchen kann, was für ihn<br />
schwer zu verwirklichen sein wird. Wenn du<br />
beschließt, <strong>de</strong>m Wöllert und mir in Zukunft etwas<br />
zu schenken, wird es am besten sein, dass<br />
du unseren Rust beauftragst das Geld einzulösen.<br />
Wöllert hat mich außer<strong>de</strong>m beauftragt,<br />
damit du überzeugt bist, dass er mit großer<br />
Sorgfalt das Grab <strong>de</strong>iner Mutter 15 mit Blumen<br />
und Opfergaben schmückt, damit er mit einiger<br />
Dankbarkeit dir die großen für ihn geleisteten<br />
Wohltaten zurückgibt. Wir bei<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n uns<br />
immer mit dankbaren Herzen an dich erinnern,<br />
<strong>de</strong>r du uns, die wir von größtem Mangel<br />
an Dingen bedrängt wur<strong>de</strong>n, zu Hilfe gekommen<br />
bist, was durch die Sorglosigkeit <strong>de</strong>r<br />
Brü<strong>de</strong>r Schrö<strong>de</strong>r zwar später aber <strong>de</strong>nnoch<br />
höchst ersehnt gekommen ist.<br />
60<br />
Ich habe es geschrieben in Neustrelitz<br />
am Ausgang <strong>de</strong>s Monats Juli 1862.<br />
Grab und Grabkreuz <strong>de</strong>r Mutter in Ankershagen<br />
Alle Abbildungen<br />
aus <strong>de</strong>m Archiv <strong>de</strong>s HSM<br />
15 Schliemanns Mutter starb am 22. März 1831 im Alter von 38 Jahren kurz nach <strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s neunten Kin<strong>de</strong>s.<br />
Am 13. (?) Oktober 1858 (s. Rainer Hilse, Spen<strong>de</strong>naufruf zur Restaurierung <strong>de</strong>s Grab-Monuments von Schliemanns<br />
Mutter auf <strong>de</strong>m Friedhof von Ankershagen, in: Informationsblatt 19 <strong>de</strong>r Heinrich-Schliemann-Gesellschaft<br />
Ankershagen e. V., Februar <strong>2008</strong>, S. 60) ließ er auf das Grab <strong>de</strong>r Mutter ein gusseisernes Grabkreuz mit einer<br />
hochinteressanten Inschrift errichten: »Henry Schliemann, / In St. Petersburg, seiner geliebten Mutter / Louise<br />
Therese Sophia Schliemann, geb. Bürger, / geb. a. 19. Mai 1793, gest. d. 22. Maerz 1831«. Es ist recht ungewöhnlich,<br />
dass sich <strong>de</strong>r Stifter zuerst nennt.
Brief vom 5. September 1863 (GL Sch A, B 58:1, 52180 f.)<br />
(übersetzt von Alexandra Stange und Miriam Winkel)<br />
Carolus Andress<br />
Henrico Schliemanno suo<br />
S. P. D.<br />
Utor oblata mihi per Lauium, nostri amantissimum,<br />
ad te scribendi occasione, ut pauca<br />
<strong>de</strong> rerum mearum statu tecum communicem.<br />
Accidit, ut bibliothecae publicae i<strong>de</strong>mque<br />
meus praefectus Gentzen, qui tui aeque ac<br />
Langmannus e scholae tempore saepius re -<br />
cordatur, morbo apoplectico corriperetur.<br />
Valetudinis restaurandae causa in balneum<br />
�uringicum nomine Koesen profectus, iam<br />
rediit viribus exhaustis nondum satis refectis.<br />
In<strong>de</strong> laboris plus humeris meis impositum, sed<br />
nondum mercedis plus mihi tributum est.<br />
Princeps noster, parsimoniae amantissimus,<br />
non prius rebus angustis subditorum suorum<br />
prospicere vult, quam omnia publica <strong>de</strong>bita<br />
erunt persoluta, quod i<strong>de</strong>m est ac nos ad<br />
Graecas calendas relegare. Nihilominus negotiis<br />
bibliothecae nostrae magno cum studio<br />
perfungor. Imperator Russiae nobis dono <strong>de</strong>dit<br />
codicem vetustissimum bibliorum in monte<br />
Sinai a Tischendorfio <strong>de</strong>tectum, ex quo nova<br />
lux theologiae affulsit. Preaterea persfecutor<br />
vetera historiae nostrae Mecklenburgicae manuscripta,<br />
in quibus nuper fundationis epistolam<br />
aedis sacrae Ankershagiensis inveni.<br />
Eques quidam nomine Eccardus, saeculo <strong>de</strong>cimotertio<br />
terrae Ankershagiensis possessor<br />
duo jugera agri assignavit ad verbum divinum<br />
promovendum . – Res politicae vitam nostram<br />
quietam nondum turbaverunt, et securi ex -<br />
spectamus, quid rerum novarum futurum<br />
tempus fit allaturum . – Tu, insigni fortunae<br />
favore adjutus, vitam tuam ad augendam<br />
scientiam impen<strong>de</strong>re poteris et iter aliquod<br />
longinquum suscipero, veluti in interiorem<br />
Africae partem, ad quam aditus nunc patet et<br />
ubi nostrates concurrunt . Bona tibi omina<br />
precans valere te jubeo mihique favere.<br />
Scripsi Neostrelitiae<br />
Nonis Septembrius<br />
1863<br />
Carl Andress<br />
grüßt Heinrich Schliemann<br />
Ich nutze die Gelegenheit, die mir von<br />
unserem heiß geliebten Herrn Laue ange boten<br />
wor<strong>de</strong>n ist, dir zu schreiben, um dir ein wenig<br />
über <strong>de</strong>n Zustand meiner Dinge mitzuteilen.<br />
Es kommt hinzu, dass Gentzen 16 , <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Vorstand <strong>de</strong>r Öffentlichen Bibliothek ist und<br />
ebenso mein Vorgesetzter, von einem Schlag -<br />
anfall betroffen ist, dieser erinnert sich häufig<br />
an dich sowie an Langmann 17 aus <strong>de</strong>r Schulzeit.<br />
Er ist in ein Bad namens Kösen in �üringen<br />
gefahren um seine Krankheit zu kurieren<br />
und wur<strong>de</strong> schon wie<strong>de</strong>r nach Hause geschickt,<br />
obwohl die erschöpften Kräfte noch nicht wie<strong>de</strong>r<br />
hergestellt wor<strong>de</strong>n sind. Daher fällt mir<br />
mehr Arbeit zu, aber mir wird nicht mehr Lohn<br />
zugeteilt. Unser Fürst 18 , <strong>de</strong>r die Sparsamkeit<br />
auf das Äußerste liebt, will sich nicht um die<br />
Nöte seiner Untertanen kümmern, nicht bevor<br />
alle öffentlichen Schul<strong>de</strong>n getilgt sind, was das<br />
gleiche für uns ist, als wenn man die Sache auf<br />
die Kalen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Griechen 19 verschieben<br />
wür<strong>de</strong>. Nichts<strong>de</strong>stoweniger führe ich die Amtsgeschäfte<br />
unserer Bibliothek mit großem Eifer<br />
durch.<br />
Der russische Zar hat uns als Geschenk uralte<br />
Handschriften 20 mitgebracht, die Tischen dorf 21<br />
16 Gentzen war ein Lehrer Schliemanns in Neustrelitz.<br />
17 Langmann war ebenfalls ein Lehrer Schliemanns in<br />
Neustrelitz.<br />
18 Großherzog Georg von Mecklenburg Strelitz (1779-<br />
1860).<br />
19 Die Kalen<strong>de</strong>n gab es nicht bei <strong>de</strong>n Griechen, nur bei<br />
<strong>de</strong>n Römern. Somit ist hier <strong>de</strong>r Sankt Nimmerleinstag<br />
gemeint.<br />
20 Über <strong>de</strong>n Besuch <strong>de</strong>s russischen Zaren Alexan<strong>de</strong>r II.<br />
in Neustrelitz konnte bisher nichts Näheres in Erfahrung<br />
gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />
21 Konstantin von Tischendorf (1815-1874) war evangelischer<br />
Theologe und seit 1851 Ordinarius für Neues<br />
Testament in Leipzig. Auf seinen Reisen 1844 und<br />
1859 ent<strong>de</strong>ckte er Bibelhandschriften und edierte sie,<br />
vor allem <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong>x Sinaiticus aus <strong>de</strong>m 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />
Tischendorf erwarb sich auch große Verdienste<br />
in <strong>de</strong>r Septuaginta- und Apokryphenforschung.<br />
61
auf <strong>de</strong>m Berg Sinai gefun<strong>de</strong>n hat, von <strong>de</strong>nen<br />
neues Licht auf die �eologie gefallen ist.<br />
Außer <strong>de</strong>m habe ich neulich in <strong>de</strong>n alten Schrif -<br />
ten unserer mecklenburgischen Geschichte einen<br />
Brief <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>s Gotteshauses in<br />
Ankershagen gefun<strong>de</strong>n. Ein gewisser Ritter mit<br />
Namen Eckert, <strong>de</strong>r Besitzer <strong>de</strong>r Ankershagener<br />
Län<strong>de</strong>reien im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt, hat zwei<br />
Morgen Land gewidmet, um das Wort Gottes<br />
zu beför<strong>de</strong>rn 22 . Politische Dinge haben unser<br />
Leben nie beunruhigt und wir erwarten unbesorgt,<br />
was die zukünftige Zeit an neuen Dingen<br />
heranbringen wird. Du, <strong>de</strong>r du als beson<strong>de</strong>rer<br />
Günstling <strong>de</strong>s Schicksals geför<strong>de</strong>rt wirst, wirst<br />
<strong>de</strong>in Leben für die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Wissenschaft<br />
verwen<strong>de</strong>n können und wirst irgen<strong>de</strong>ine sehr<br />
lange Reise auf dich nehmen, wie zum Beispiel<br />
in <strong>de</strong>n inneren Teil Afrikas, zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Zutritt<br />
nun offen steht und wo viele aus unserem Land<br />
zusammenkommen 23 . In<strong>de</strong>m ich alle guten<br />
Vorzeichen für dich erbitte, trage ich dir auf,<br />
dass es dir gut gehen möge und du mir gewogen<br />
bleibst.<br />
62<br />
Ich habe es geschrieben in Neustrelitz<br />
an <strong>de</strong>n Nonen <strong>de</strong>s September<br />
1863<br />
22 Durch eine Neuweihe <strong>de</strong>r Ankershagener Kirche am 1. Mai 1266 ist uns <strong>de</strong>r Name eines Ritters Ecgehardus <strong>de</strong><br />
Ankershagen überliefert. Er o<strong>de</strong>r seine Vorfahren könnten Ankershagen gegrün<strong>de</strong>t haben. Anzunehmen ist, dass<br />
ihr Geschlecht <strong>de</strong>m Dorfe seinen Namen gegeben haben dürfte.<br />
23 Das ist im September 1863 eine sehr interessante Bemerkung. Der Kaufmann Schliemann begab sich zwischen<br />
1864 und 1866 auf eine Weltreise und widmete sein Leben anschließend <strong>de</strong>n Wissenschaften.
Brief vom 9. Januar 1864 (GL Sch A, B 59:1, 52995)<br />
(übersetzt von Maike Gehrlich und Carolin Wieczorek)<br />
vit. Ha quae ad hibernum usum necessaria<br />
sunt, emere potui; praeterea calopodia ferrata,<br />
quibus me juvat per glaciem <strong>de</strong>currere. Habito<br />
nunc in ultima domo plateae, quae a lacu<br />
Zierkiensi nomen ducit; hospes meus, nomine<br />
Warnke, filiam in Russia nuptam habet pistori<br />
Cronstadiensi. Adventus tuus huc verno<br />
tempore exoptatus erit cum omnibus tuis<br />
amicis, tum mihi, qui laetor, te secunda<br />
fortuna ad excolendum literis ingenium uti;<br />
interea vale mihique fave.<br />
Neostrelitiae, 9. Jan. 1864<br />
[…] 25 Diejenigen Dinge, die ich für <strong>de</strong>n<br />
winterlichen Gebrauch benötigte, konnte ich<br />
kaufen; außer<strong>de</strong>m Schlittschuhe [wörtl.: eiserne<br />
Fußträger], welche mich erfreuen über das Eis<br />
zu laufen. 26 Ich wohne jetzt im letzten Haus<br />
auf <strong>de</strong>m Plateau, welches vom Zierker See seinen<br />
Namen nimmt; mein Hauswirt, mit <strong>de</strong>m<br />
Namen Warnke hat eine Tochter, die in<br />
Russland mit einem Bäcker aus Kronstadt<br />
verheiratet ist. 27 Deine Ankunft wird in diesem<br />
Frühjahr von allen <strong>de</strong>inen Freun<strong>de</strong>n erwünscht<br />
sein, umso mehr von mir, <strong>de</strong>r ich mich freue,<br />
dass du das Glück hast, <strong>de</strong>n Geist zum sorg -<br />
fältigen Ausschmücken <strong>de</strong>r Wissenschaften zu<br />
benutzen; in<strong>de</strong>ssen bleibe gesund und bleibe<br />
mir gewogen.<br />
25 Hier fehlt <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s Briefes.<br />
Neustrelitz, 9. Januar 1864<br />
26 Zum Schlittschuhlauf (auf <strong>de</strong>m Zierker See)<br />
27 nach Ernst Meyer (Der »Professor« Andreß,<br />
in: Mecklenburg-Strelitzer Heimatblätter 4, Heft 3,<br />
September 1928) wohnte Carl Adreß in einer »ärmlichen<br />
Hofwohnung in <strong>de</strong>r Seestraße«.<br />
63
28 Dieser Brief ist bereits veöffentlicht. In: Meyer BW I, S. 125 f.<br />
29 Allgemein lassen sich die Penaten als ›Hausgötter‹ bezeichnen. Abgeleitet ist <strong>de</strong>r Begriff von penus ›<strong>de</strong>r Vorratskammer‹<br />
bzw. <strong>de</strong>m ›innersten Teil eines Hauses‹. Diese Götter beschützten die Wohnstätte und ihre Bewohner.<br />
Ihnen war ein Kult am Herd <strong>de</strong>s Hauses gewidmet. In Wandmalereien in Pompeji sind u. a. Jupiter (Zeus), Mars<br />
(Ares), Venus (Aphrodite) und Volcanus (Hephaistos) als Penaten gekennzeichnet. Doch gehören im Prinzip alle<br />
im Inneren eines Hauses verehrten Gottheiten dazu. Schliemann war also nach langer Weltreise ›nach Hause‹<br />
zurückgekehrt.<br />
30 Schliemann wur<strong>de</strong> am 6. Januar 1822 in Neubukow geboren und wuchs zwischen 1823 und 1831 in Ankershagen<br />
auf. Es existieren einige Belege von ihm, in <strong>de</strong>nen er Ankershagen fälschlicherweise als seinen Geburtsort bezeichnet.<br />
31 Bei diesem Buch han<strong>de</strong>lt es sich um: Albert Nie<strong>de</strong>rhöffer, Mecklenburgische Volkssagen, in vier Bän<strong>de</strong>n, 1858-<br />
1862. Die Sage von Henning Bra<strong>de</strong>nkierl (Henning von Holstein) nahm Schliemann in seine Selbstbiographie (Einleitung<br />
zu »Ilios. Stadt und Land <strong>de</strong>r Trojaner«) von 1881 auf .<br />
64<br />
Brief vom 27. März 1866 (GL Sch A, B 60:3, 54670 f.) 28<br />
(übersetzt von Felix Lämmerhirt)<br />
Carolus Andres<br />
Henrico Schliemanno<br />
S.P.D.<br />
Gratulor tibi, te salvum hospitemque ex<br />
longis itineribus ad Penates tuos rediisse.<br />
Sperabam, te nos quoque aditurum esse,<br />
ut manuscripta vetera, vicum tuum natalem<br />
spectantia, quae in bibliotheca nostra asservantur,<br />
inspiceres. Quae spes quum me fefellerit,<br />
mitto tibi narratiunculam <strong>de</strong> Henningis<br />
equite Ankershagiensi, e libro quodam, qui<br />
inscribitur: »Mecklenburgische Volkssagen«<br />
<strong>de</strong>mtam, quam legere tua fortasse interest.<br />
Apographa manuscriptorum si voles, omni<br />
tempore tibi suppeditare possum. – Status<br />
rerum mearum provecta aetate non melior fit,<br />
omni virium mearum contentione opus est, ut<br />
ad vitam necessaria mihi comparem. Quodsi<br />
aliqua ex porte ad levandam tristem meam<br />
conditionem conferre poteris, magnam tibi<br />
habebo gratiam. Vale mihique fave!<br />
1866<br />
Carl Andres, Neu Strelitz 27 Mrz<br />
Carolus Andres grüßt<br />
Heinrich Schliemann<br />
Ich gratuliere dir, dass du gesund und<br />
wohlbehalten von <strong>de</strong>n langen Reisen zu <strong>de</strong>inen<br />
Penaten 29 zurückgekehrt bist. Ich hoffte, dass<br />
du auch zu uns kommen wirst, damit du<br />
die alten Manuskripte, welchen <strong>de</strong>inen Geburtsort<br />
30 betreffen und in unserer Bibliothek<br />
aufbewahrt wer<strong>de</strong>n, anschauen kannst. Da<br />
mich diese Hoffnung getäuscht hat, schicke ich<br />
dir diese Geschichte über Henning, <strong>de</strong>n Ankershagener<br />
Ritter aus einem Buch, welches überschrieben<br />
wur<strong>de</strong> mit „Mecklenburgische Volkssagen“,<br />
die dich vielleicht interessiert zu lesen. 31<br />
Die Abschrift <strong>de</strong>r Manuskripte kann ich dir,<br />
wenn du willst, zu je<strong>de</strong>r Zeit schicken. Der<br />
Zustand meiner Angelegenheiten wird in <strong>de</strong>r<br />
nächsten Zeit nicht besser sein, da alle Anstrengung<br />
meiner Kräfte nötig sein wird,<br />
damit ich mir die lebensnotwendigen Dinge<br />
verschaffen kann. Wenn du einen gewissen Teil<br />
zur Erleichterung meines tristen Daseins<br />
beitragen kannst, wer<strong>de</strong> ich dir ewig dankbar<br />
sein. Bleib gesund und bleibe mir gewogen!<br />
1866<br />
Carl Andres, Neu Strelitz 27 Mrz<br />
Die Arbeit an <strong>de</strong>n lateinischen Briefen hat allen Beteiligten viel Freu<strong>de</strong> gemacht. In die Übersetzungen<br />
<strong>de</strong>r Schülerinnen und Schüler wur<strong>de</strong> seitens <strong>de</strong>s Lehrers nur behutsam eingegriffen.<br />
Heinrich-Schliemann-Museum und Heinrich-Schliemann-Gesellschaft möchten diese Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>m Neuen Carolinum und an<strong>de</strong>ren Gymnasien weiter intensivieren, <strong>de</strong>nn<br />
zahlreiche fremdsprachige Briefe warten auf wissbegierige Schülerinnen und Schüler.
Geschichte erlebbar machen –<br />
eine Herausfor<strong>de</strong>rung unserer Zeit<br />
• Wie kann man die junge Generation an die Geschichte heranführen?<br />
• Wie kann man Geschichte für unsere Schüler erlebbar machen?<br />
Fragen, die beson<strong>de</strong>rs uns Geschichtslehrer immer wie<strong>de</strong>r bewegen und <strong>de</strong>nen wir uns<br />
täglich stellen müssen. Geschichtsunterricht muss stets mehr sein als nur die Vermittlung von<br />
Daten und Fakten, er sollte Entwicklungen aufzeigen, die Möglichkeit bieten sich selbst mit<br />
Geschehnissen in Beziehung zu setzen und vor allem das historische Beispiel o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n historischen<br />
Ort erlebbar nahe bringen.<br />
Um diesen For<strong>de</strong>rungen gerecht zu wer<strong>de</strong>n, richtet sich <strong>de</strong>r Blick über die eigentlichen<br />
Unterrichtsstun<strong>de</strong>n hinaus.<br />
Die folgen<strong>de</strong>n zwei Beispiele, die sich insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>m �ema DDR-Geschichte<br />
beschäftigen, zeigen Varianten auf, sich auf an<strong>de</strong>re Art und Weise mit <strong>de</strong>r Historie zu beschäftigen<br />
und darüber zu reflektieren.<br />
Schülerprojekt <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum<br />
Ehemalige Stasi U-Haftanstalt Töpferstraße – Ein vergessener Ort<br />
Was interessiert Schüler <strong>de</strong>s<br />
Gymnasiums Carolinum ein<br />
altes verlassenes Gebäu<strong>de</strong>, in<br />
<strong>de</strong>m quietschen<strong>de</strong> Türen,<br />
dunkle Zellen, in die kaum<br />
Licht durch die verschmutzten<br />
Glasbausteinfenster dringt,<br />
und kein Platz zu fin<strong>de</strong>n ist,<br />
<strong>de</strong>r nicht in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />
schmutzfrei blieb? Vielleicht<br />
gibt dieser unheimliche,<br />
düstere Ort Aufschlüsse<br />
auf Geheimnisse <strong>de</strong>r Geschichte<br />
in Neustrelitz, die<br />
uns bisher verborgen blieben.<br />
Es gibt wohl in ganz<br />
Deutschland keinen so authentischen,<br />
vergessenen Ort.<br />
Überall sonst wur<strong>de</strong> verän<strong>de</strong>rt,<br />
abgerissen, renoviert<br />
und überbaut.<br />
Außenansicht <strong>de</strong>r ehemaligen Stasi U-Haftanstalt Töpferstraße<br />
65
So begann im Jahre 2005 eine Schülergruppe unter <strong>de</strong>r Leitung von Herrn Dr. Heinig sich mit <strong>de</strong>r<br />
ehemaligen U-Haftanstalt zu beschäftigen. Dieses Projekt wur<strong>de</strong> begleitet durch <strong>de</strong>n<br />
LandtagsabgeordnetenDr. Körner und <strong>de</strong>n Beauftragten <strong>de</strong>r Stasiunterlagen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Mecklenburg-<br />
Vorpommern Herrn Mothes.<br />
Im ersten Jahr unserer Arbeit beschäftigten wir uns mit philosophischen Grundlagen<br />
<strong>de</strong>rÜberwachung und <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nkens. Hierbei wur<strong>de</strong>n wissenschaftliche Arbeiten von Michel Focault,<br />
Friedrich Nietzsche und Joseph Beuys ausgewertet. Eine Erkenntnis hierbei war, dass in einer<br />
zukünftigen Ge<strong>de</strong>nkstätte die Besucher nicht mit Informationen überflutet wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn durch<br />
fragmentarische Gestaltung Denkanstöße geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n sollen. Weiterhinmöchten wir <strong>de</strong>n<br />
Gedanken <strong>de</strong>s Gedächtnisortes als soziale Plastik mit einbeziehen. Aufgrund unserer Forschungen<br />
stellen wir uns vor, dass in einer zukünftigen Ge<strong>de</strong>nkstätte aufgefor<strong>de</strong>rt wird, kritisch zu hinterfragen<br />
und teilzunehmen am steten kreativen Prozess unseres kollektiven Gedächtnisses und nicht<br />
vorgefertigte Meinungen bezüglich <strong>de</strong>s Erinnerns einfach zu übernehmen.<br />
Wir erkannten, dass sich das philosophische Konzept <strong>de</strong>s »Panoptismus« gera<strong>de</strong>zu klassisch auf<br />
die UHA Töpferstraße anwen<strong>de</strong>n lässt, weil man hier jene Machtstrukturen erforschen kann, mit <strong>de</strong>r<br />
sich die SED mehr als 40 Jahre an <strong>de</strong>r Macht hielt.<br />
Wir sichteten vielfältiges Aktenmaterial, führten Zeitzeugengespräche und nahmen<br />
Ortsbegehungen vor. Bei <strong>de</strong>r Inhaftierung achtete man beson<strong>de</strong>rs auf strengste Isolation, Demütigung,<br />
Kontrolle und Manipulation <strong>de</strong>r politischen Häftlinge. Sie wussten zunächst nicht, wo sie waren und<br />
wie lange sie in <strong>de</strong>r Haft bleiben mussten.<br />
Bemerkenswert ist, dass Täter und Opfer bis heute von dieser Vergangenheit stark geprägt sind.<br />
Das Unvermögen mit einan<strong>de</strong>r sprechen zu können zeigt, dass diese Vergangenheit noch nicht<br />
bewältigt wor<strong>de</strong>n ist. Das Problem besteht darin, dass in vielen Fällen <strong>de</strong>m Wunsch ehemaliger<br />
Inhaftierter sich mit <strong>de</strong>n damals Verantwortlichen auseinan<strong>de</strong>rzusetzen nicht entsprochen wird.<br />
Höhepunkte <strong>de</strong>r ersten Jahre waren das Vorstellen von Ergebnissen auf einer Veranstaltung <strong>de</strong>r<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung sowie die Präsentation und Diskussion mit interessierten Bürgern und<br />
Zeitzeugen am „Tag <strong>de</strong>s offenen Denkmals“ in <strong>de</strong>r Töpferstraße. Zu Beginn <strong>de</strong>s Schuljahres<br />
2007/<strong>2008</strong> übernahm Herr Ulrich Beesk, Geschichtslehrer am Carolinum, die Leitung <strong>de</strong>s Projektes.<br />
Obwohl die Forschungsarbeiten nicht mehr Teil <strong>de</strong>s Unterrichts sein konnten und somit in <strong>de</strong>r Freizeit<br />
<strong>de</strong>r Schüler stattfin<strong>de</strong>n mussten, erklärten sich Tim Kahl, Maxim Menschenin und Danny Oestreich<br />
bereit, dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dieses Engagement und Interesse<br />
für Geschichte ist beson<strong>de</strong>rs zu loben, zumal sich alle Schüler in diesem Schuljahr auf ihr Abitur<br />
vorbereiten müssen.<br />
Wir stellten uns drei Aufgaben:<br />
1. Entwicklung einer Nutzungskonzeption für die ehemalige U-Haftanstalt<br />
2. Dokumentation <strong>de</strong>r Forschungsarbeit<br />
3. Weiterentwicklung <strong>de</strong>s Projekts, um durch <strong>de</strong>n vergessenen Ort viele Schüler zu motivieren, sich<br />
mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Geschichte <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts zu beschäftigen.<br />
Bei <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r Nutzungskonzeption diskutierten wir viele Fragen kontrovers.<br />
1. Welche und wie viele Räume sollten genutzt wer<strong>de</strong>n?<br />
2. Inwieweit sollte man die Vorstellungen von einer »normalen« Ge<strong>de</strong>nkstätte sprengen?<br />
3. Welche Impulse für die Entwicklung <strong>de</strong>s Geschichtsbewusstseins kann diese Ge<strong>de</strong>nkstätte<br />
geben?<br />
66
Im Januar und Februar <strong>2008</strong> stellten wir die Nutzungskonzeption einer breiten Öffentlichkeit<br />
am »Tag <strong>de</strong>r offenen Tür« im Gymnasium Carolinum sowie im Amtsgericht <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>r AG Haftanstalt vor. Wir sind stolz über die Zustimmung <strong>de</strong>r Expertenrun<strong>de</strong> und über die<br />
Weiterleitung unserer Vorschläge ins Justizministerium in Schwerin.<br />
Wie sieht unsere Nutzungskonzeption im Einzelnen aus?<br />
Wir schlagen vor, die gesamte obere Etage <strong>de</strong>r ehemaligen Stasi Untersuchungshaftanstalt zu<br />
nutzen. Bei unserer Arbeit einigten wir uns auf drei grundlegen<strong>de</strong> Funktionen <strong>de</strong>r zukünftigen<br />
Ge<strong>de</strong>nkstätte.<br />
1. Konservierung und Wie<strong>de</strong>rherstellung von vier Originalzellen<br />
2. Schaffung von Räumen für Studienzwecke und Begegnungen.<br />
Es entstehen ein Archiv und eine Bibliothek, ein multimedialer Arbeitsraum, Seminarräume<br />
sowie ein Sanitär - und Küchentrakt.<br />
3. Ausstellungsräume, die die Besucher informieren und zur persönlichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
anregen.<br />
Vier Räume wer<strong>de</strong>n etappenweise präsentiert. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um ein DDR-Wohnzimmer,<br />
in <strong>de</strong>m das Gefühl <strong>de</strong>r Überwachung durch <strong>de</strong>n panoptischen Blick mithilfe eine Fernsehers<br />
simuliert wird. Weiterhin sollen Bespitzlung, Haftalltag und persönliche Schicksale anschaulich<br />
dargestellt wer<strong>de</strong>n. Ein abschließen<strong>de</strong>r Raum bietet die Möglichkeit <strong>de</strong>r persönlichen<br />
Reflektion. Die Besucher verlassen die Ausstellung durch einen „Eisernen Vorhang“.<br />
Um die Ergebnisse unserer<br />
umfangreichen Forschungsarbeit<br />
darstellen<br />
und präsentieren zu können,<br />
fertigten wir eine<br />
portable Ausstellung an,<br />
die von allen Interessierten<br />
je<strong>de</strong>rzeit genutzt wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Außer<strong>de</strong>m ist<br />
eine Digitalisierung geplant.<br />
Den Abschluss unserer<br />
Projektarbeit bil<strong>de</strong>te eine<br />
Besichtigung <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstätte<br />
in Berlin Hohenschönhausen.<br />
Dieser Besuch<br />
machte uns noch<br />
einmal <strong>de</strong>utlich, wie wichtig<br />
es ist, sich auch in Zu- Die Besucher verlassen die Ausstellung durch einen »Eisernen Vorhang«<br />
kunft mit dieser ehemaligen<br />
U-Haftanstalt in Neustrelitz zu beschäftigen. Diese Arbeit hat allen Beteiligten viel Freu<strong>de</strong><br />
bereitet. Die Abiturienten Maxim Menschenin, Danny Oesterreich und Tim Kahl erhielten für<br />
ihre Arbeit ein Zertifikat <strong>de</strong>s Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Henry Tesch.<br />
Daher wünschen wir uns, dass auch im nächsten Schuljahr interessierte Schüler <strong>de</strong>s Gymnasiums<br />
Carolinum dieses Projekt weiterführen können.<br />
Ulrich Beesk<br />
67
»Macht das Tor auf« – Zugänge zum Geschichtsverständnis<br />
En<strong>de</strong> letzten Jahres kam es in <strong>de</strong>r Aula <strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum Neustrelitz zur Aufführung<br />
<strong>de</strong>s �eaterstückes »Macht das Tor auf«, das Til Dellers vom Interkunst e.V. Berlin anlässlich<br />
<strong>de</strong>s 30. To<strong>de</strong>stages Michael Gartenschlägers produzierte. Geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> das Projekt<br />
vom Lan<strong>de</strong>sbeauftragten für die Stasiunterlagen, Herrn Jörn Mothes. In 70 Minuten wur<strong>de</strong> die<br />
Geschichte <strong>de</strong>s SED-Regimegegners inszeniert. Vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r anwesen<strong>de</strong>n Zwölftklässler<br />
haben Felix Isenbügel als Protagonist und David Hannak in <strong>de</strong>r Rolle seines Freun<strong>de</strong>s Gerd<br />
Resag be<strong>de</strong>utsame Stationen ihres Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s auf die Bühne gebracht. In ihren vielfältigen<br />
Nebenrollen unterstützten Elisabeth Fritze sowie Frie<strong>de</strong>mann A. Nawroth das Schauspiel.<br />
Anhand dieses konkreten Beispiels wird über ein Stück <strong>de</strong>utscher Geschichte reflektiert. Aus<br />
<strong>de</strong>r Ernüchterung <strong>de</strong>r sozialen Realität im Strausberg <strong>de</strong>r 60er Jahre heraus fangen <strong>de</strong>r 17-jährige<br />
Michael und <strong>de</strong>r gleichaltrige Gerd an, ihren Zweifel an <strong>de</strong>r DDR zu leben: Sie hören klassenfeindliche<br />
Musik, sie beschmieren die Mauer, welche urplötzlich <strong>de</strong>n Weg ins vermeintliche<br />
Paradies Westberlin versperrt, sie beschließen daraufhin, sich <strong>de</strong>n Weg freizusprengen. Der<br />
Plan misslingt; sie wer<strong>de</strong>n inhaftiert. Im sich anschließen<strong>de</strong>n Schauprozess kommt es zur Verurteilung<br />
zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Konfrontiert mit menschenunwürdigen<br />
Haftbedingungen rebelliert Gartenschläger und radikalisiert sein Denken. Unter <strong>de</strong>n zwischen<br />
1964 und 1989 von <strong>de</strong>r BRD inoffiziell freigekauften 33755 Häftlingen befan<strong>de</strong>n sich auch Gartenschläger<br />
und Resag, die 1971 nach 10 Jahren politischen Gewahrsams befreit wur<strong>de</strong>n. Jenseits<br />
<strong>de</strong>r verhassten Mauer zeigt sich Gartenschläger gegenüber <strong>de</strong>r beschwichtigen<strong>de</strong>n Entspannungspolitik<br />
Brandts zunehmend enttäuscht. Auf <strong>de</strong>r Suche nach extremeren Protest -<br />
formen <strong>de</strong>montiert er einen »To<strong>de</strong>sautomaten«, welcher Bestandteil <strong>de</strong>s sogenannten To<strong>de</strong>sstreifens,<br />
in <strong>de</strong>m 270 DDR-Bürger starben, war. Die Selbstschussanlage wird <strong>de</strong>r west<strong>de</strong>utschen<br />
Presse übergeben; Staatsicherheitschef Mielke schäumt vor Wut und requiriert ein Liquidationskommando,<br />
welches <strong>de</strong>n 32 Jahre alten Gartenschläger bei seinem erneuten Versuch <strong>de</strong>r<br />
Entwendung 1976 erschießt.<br />
Das durch <strong>de</strong>n Einsatz von projizierten Bil<strong>de</strong>rn und weitestgehend minimalistisch anmuten<strong>de</strong>m<br />
Bühnen- und Requisitenrepertoire gestaltete Stück wirft die Problematik eines unzulänglich<br />
vermittelten Geschichtsverständnisses auf. Bezeichnen<strong>de</strong>rweise wirkt <strong>de</strong>r Prolog als Fingerzeig<br />
auf <strong>de</strong>n Missbrauch dieser Geschichte von rechts: NPD-Funktionäre benutzen nicht nur<br />
<strong>de</strong>n Fall Gartenschläger, son<strong>de</strong>rn auch weiteres Unrecht <strong>de</strong>r DDR zur Indoktrinierung. Das ordnet<br />
sich in die Gesamtheit falscher Interpretationsansätze <strong>de</strong>r Geschichte ein. Dieses mangeln<strong>de</strong><br />
Verständnis von Geschichte schlug sich auch in <strong>de</strong>m relativ geringen Engagement <strong>de</strong>r Schüler in<br />
<strong>de</strong>r auf das Stück aufbauen<strong>de</strong>n Diskussion nie<strong>de</strong>r. Derartiges scheinbares Desinteresse in einer<br />
Abiturstufe ist doch durchaus beunruhigend und fragwürdig: Fühlen sich die »Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Ostens« nicht mehr von DDR-Geschichte betroffen? Ruft ein solcher Fall mutiger Rebellion<br />
keine Meinung hervor? Sollte man die Aufarbeitung historischer Begebenheiten allein <strong>de</strong>n politischen<br />
Extremen überlassen? Wie schafft die Schule <strong>de</strong>m Abhilfe?<br />
Vielleicht bringen unterrichtsergänzen<strong>de</strong> Projekte die Lösung. Am Gymnasium Carolinum<br />
haben die Lehrer Dr. J. Heinig und U. Beesk mit ihrem Projektkurs »Untersuchungshaftanstalt<br />
Töpferstraße« zur lokalen Stasivergangenheit erste erfolgsversprechen<strong>de</strong> Schritte eingeleitet.<br />
Mit <strong>de</strong>r Aufführung von »Macht das Tor auf«“ wur<strong>de</strong> an dieser Schule nun ein weiteres Zeichen<br />
gesetzt.<br />
68<br />
Jonas Wehling und Maxim Menschenin
Schulvereinsmitglie<strong>de</strong>r stellen sich vor<br />
Drei Fragen an: Bernd Wer<strong>de</strong>rmann<br />
1. Herr Wer<strong>de</strong>rmann, Sie sind als erfolgreicher Unternehmer<br />
in unserer Region bekannt und engagieren sich auch für<br />
das Carolinum. Schil<strong>de</strong>rn Sie uns doch bitte Ihren<br />
persönlichen Wer<strong>de</strong>gang und Ihre berufliche Entwicklung.<br />
Geboren wur<strong>de</strong> ich am 25. Mai 1954 in Neustrelitz als<br />
Ältester von 8 Geschwistern. Mein Vater war als Kraftfahrer<br />
tätig und meine Mutter war Hausfrau. Nach Abschluss<br />
<strong>de</strong>r 10.Klasse erlernte ich <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s Maurers im Baubetrieb<br />
Carl Röwer. Ich arbeitete dann im VEB (K) Bau<br />
Neustrelitz als Maurer und studierte nach <strong>de</strong>r Armeezeit,<br />
von 1975-1978 an <strong>de</strong>r Ingenieurschule für Bauwesen in<br />
Neustrelitz und schloss als Ingenieur für Hochbau ab.<br />
Nach <strong>de</strong>m Studium begann sofort <strong>de</strong>r Einsatz als Bauleiter<br />
im Kreisbaubetrieb. Die Leitung von anspruchsvollen Bauvorhaben,<br />
wie <strong>de</strong>r Umbau <strong>de</strong>s �eaters, die Erweiterung<br />
und Sanierung <strong>de</strong>s Krankenhauses lagen in meinem Auf gabenbereich.<br />
Es entstand <strong>de</strong>r Wunsch ein eigenes Unternehmen zu grün<strong>de</strong>n und zu leiten. Nach gründ -<br />
licher Vorbereitung und vielen Behör<strong>de</strong>ngängen gelang <strong>de</strong>r Schritt in die Selbstständigkeit. Am<br />
1.4.1988 grün<strong>de</strong>te ich einen Baubetrieb mit 2 weiteren Mitarbeitern. Schwerpunkte <strong>de</strong>r Arbeit<br />
waren Baureparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen. Später kam <strong>de</strong>r Gerüstbau hinzu. Es<br />
galt Auftraggeber in <strong>de</strong>r Region zu gewinnen und gute Handwerksarbeit abzuliefern.<br />
Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gerüstbau und die Sanierung von Bau<strong>de</strong>nkmälern zu <strong>de</strong>n<br />
tragen<strong>de</strong>n Säulen <strong>de</strong>s Unternehmens.<br />
Neben einfachen Bühnen mussten nun auch komplizierte Baugerüste an Brücken und<br />
Kirchen fachgerecht erstellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Meine Frau Karin, von Beruf Lehrerin, arbeitet seit 1991 im Unternehmen mit. Mein Sohn<br />
Nico, geb. 1976, absolviert ein Jurastudium und mein Sohn Michael, geb. 1981, arbeitet als<br />
Diplombetriebswirt in Köln.<br />
2. Warum erfolgte gera<strong>de</strong> die Spezialisierung auf solche anspruchsvollen Objekte wie Bau<strong>de</strong>nkmäler<br />
und vor allem Kirchen?<br />
Wenn man heute auf <strong>de</strong>m ›Baumarkt‹ bestehen will, muss man sich Nischen suchen, das<br />
heißt, sich spezialisieren. In unserem Betrieb verfüge ich über einen guten Stamm an Fachkräften<br />
von Maurern, Zimmerern und Gerüstbauern.<br />
Mit <strong>de</strong>r Lehrlingsausbildung in unserem Betrieb sichere ich <strong>de</strong>n eigenen Facharbeiternachwuchs<br />
ab. Seit 1990 haben wir bisher ca. 60 Lehrlinge ausgebil<strong>de</strong>t.<br />
Für meine Lehrlinge nehme ich mir viel Zeit. Wenn sie sich bei uns bewerben, bestelle ich sie<br />
zu einem Vorstellungsgespräch mit <strong>de</strong>ren Eltern her und erkenne in diesem Gespräch, ob dieser<br />
Jugendliche in unsere Struktur passen könnte. Der Azubi absolviert dann ein praktisches Jahr in<br />
unserem Betrieb, in <strong>de</strong>m wir uns kennen lernen. Danach beginnt die 3-jährige Lehre, die unsere<br />
Lehrlinge meist mit tollen Ergebnissen abschließen. Wer mit ›sehr gut‹ abschließt, erhält eine<br />
Urlaubsreise. Lei<strong>de</strong>r zieht <strong>de</strong>r Bund, die Freundin o<strong>de</strong>r Fernweh viele dieser jungen Leute in die<br />
Welt, aber sie sind gut ausgebil<strong>de</strong>t und fin<strong>de</strong>n ihren Weg.<br />
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Die soli<strong>de</strong> Lehrausbildung ist das Eine, aber auch die Weiterbildung und Spezialisierung <strong>de</strong>r<br />
Facharbeiter wird bei uns großgeschrieben. Wir müssen Achtung haben, Achtung vor <strong>de</strong>m, was<br />
die Generationen vor uns hinterlassen haben. Wir, als Firma, erhalten solche Bauwerke o<strong>de</strong>r<br />
stellen sie in ihrer ursprünglichen Form wie<strong>de</strong>r her. Aber wir fügen <strong>de</strong>m nichts hinzu. Je<strong>de</strong>nfalls<br />
nur selten und dann gut durchdacht. Man muss aber manchmal auch Kompromisse eingehen.<br />
Die Speicher am Neustrelitzer Stadthafen hatten ihre Be<strong>de</strong>utung als Speicher verloren und wur<strong>de</strong>n<br />
einer neuen Nutzung zugeführt. Das be<strong>de</strong>utete: Entkernung, neue Deckenhöhen, neue<br />
Statik, neue Grundrisse und Balkone.<br />
Unsere Firma hat im historischen Stadtkern von Neustrelitz viele ältere Gebäu<strong>de</strong> restauriert.<br />
Stolz sind wir z.B. auf die Sanierung <strong>de</strong>r Glambeckerstraße 3 (Jugendstilfassa<strong>de</strong>). Für die Sanierung<br />
<strong>de</strong>s Wohnhauses in <strong>de</strong>r Elisabethstr. 15/16 erhielten wir 1999 <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>spreis für Handwerk<br />
in <strong>de</strong>r Denkmalpflege.<br />
Ein Gebäu<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>ssen Sanierung wir die Zimmerer- und Fassa<strong>de</strong>narbeiten ausführten, war<br />
das heutige Carolinum. Die damals entstan<strong>de</strong>ne Beziehung zu <strong>de</strong>m Gebäu<strong>de</strong> hat sich zu einer<br />
Verbun<strong>de</strong>nheit mit dieser Schule bis heute entwickelt. Am Anfang eine anspruchsvolle Arbeit,<br />
an einem tollen Gebäu<strong>de</strong> … dann ein engagierter Schulleiter … und heute unterstütze ich sehr<br />
gern die Initiativen, die von <strong>de</strong>n Schülern und Angestellten dieser Schule ausgehen.<br />
Wir waren bisher an <strong>de</strong>r Instandsetzung von mehr als 160 Gotteshäusern in Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Bran<strong>de</strong>nburg und Nie<strong>de</strong>rsachsen beteiligt. Meistens ist es die Architektur, die<br />
mich begeistert, manchmal auch <strong>de</strong>r Kontakt zu <strong>de</strong>n Menschen, die großes Interesse für die<br />
Arbeit meiner Männer zeigen.<br />
Auch die von Hofbaumeister Buttel errichtete Schlosskirche in Neustrelitz gehört in diese<br />
Liste <strong>de</strong>r restaurierten Kirchen. In <strong>de</strong>r Arbeit meiner 28 Maurer, Zimmerer und Gerüstbauer<br />
steckt auch ein gehöriges Maß an Erfahrung und Wissen um baugeschichtliche, konstruktive<br />
und verfahrenstechnische Zusammenhänge früherer Jahrhun<strong>de</strong>rte.<br />
3. Dem Unternehmer Bernd Wer<strong>de</strong>rmann wird aber auch viel Bo<strong>de</strong>nständigkeit, Heimatverbun<strong>de</strong>nheit<br />
und soziales Engagement bescheinigt?<br />
Wenn man in dieser Region geboren ist, hier arbeitet und wohnt, sollte man sich auch hier<br />
engagieren. Ob es nun um die Unterstützung <strong>de</strong>r Schlossgartenfestspiele, <strong>de</strong>s Breiten- und<br />
Kin<strong>de</strong>rsports o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Senioren geht. Viele Aktivitäten in unserer Gesellschaft sind heute nur<br />
über das Ehrenamt zu realisieren. Die Gesellschaft lebt davon, dass Menschen sich uneigen -<br />
nützig engagieren. Lei<strong>de</strong>r ist es so, dass Einige sehr viel tun, während an<strong>de</strong>re ihre Reserven nicht<br />
nutzen. Diese wissen gar nicht, wie viel Lebensfreu<strong>de</strong> ihnen ehrenamtliche Arbeit bringen<br />
könnte.<br />
Ich bin seit über 25 Jahren Mitglied <strong>de</strong>r FDP, bin Gründungsmitglied <strong>de</strong>s Lions-Club Neustrelitz,<br />
Lan<strong>de</strong>svorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s Gerüstbau, stellvertreten<strong>de</strong>r Oberinnungsmeister<br />
<strong>de</strong>r Bauinnung Mecklenburg- Strelitz / Neubran<strong>de</strong>nburg und öffentlich bestellter und<br />
vereidigter Sachverständiger für <strong>de</strong>n Gerüstbau.<br />
Eine Vereinsmitgliedschaft liegt mir beson<strong>de</strong>rs am Herzen – die im Verein Technikum Strelitz<br />
– Max Hittenkofer, ein Verein zur Wahrung <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r Ingenieurausbildung in Neu -<br />
strelitz. 1890 wur<strong>de</strong> das Technikum Strelitz eröffnet und 1991 als Ingenieurschule für Bauwesen<br />
geschlossen. Auch so eine abgebrochene Tradition … Mit Ausnahme <strong>de</strong>r Kriegsjahre gab es immer<br />
800-1000 Stu<strong>de</strong>nten im Stadtteil Strelitz und viele davon waren Auslän<strong>de</strong>r. Zu DDR-Zeiten<br />
studierten mehrere afrikanische Bauminister und auch <strong>de</strong>r Stadtbaudirektor von Jerusalem in<br />
Neustrelitz. Der heutige Traditionsverein betreut eine Ausstellung, arbeitet die Geschichte <strong>de</strong>r<br />
Schule weiter auf und organisiert regelmäßige Treffen <strong>de</strong>r Absolventen.<br />
Wie bereits erwähnt fühle ich mich mit <strong>de</strong>m Gymnasium Carolinum verbun<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong><br />
auch in <strong>de</strong>r Zukunft bei <strong>de</strong>r Durchführung von Veranstaltungen, Konzerten und Wettkämpfen<br />
Unterstützung geben.<br />
Heinz Ol<strong>de</strong>nburg<br />
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Absolventen <strong>de</strong>s Carolinum berichten<br />
Zum Abschluss – ein Foto<br />
Erfahrungsbericht einer Praktikantin<br />
Die Betreuerin <strong>de</strong>r Praktikantin Maria Arndt, Klara Kopperschmidt<br />
und <strong>de</strong>r Minister für Bildung, Wissenschaft und<br />
Kultur, Henry Tesch<br />
Während ich die letzten Tage meines<br />
Praktikums im Ministerium für Bildung,<br />
Wissenschaft und Kultur in Schwerin<br />
verbrachte, ließ mich Herr Tesch mit<br />
<strong>de</strong>m Hinweis, es wür<strong>de</strong>n Fotos gemacht<br />
wer<strong>de</strong>n, in sein Büro bestellen. Als wir<br />
nun vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>korativen Bücherwand<br />
stan<strong>de</strong>n und uns unterhielten, bemerkte<br />
er beiläufig, dass die Fotos neben meinem<br />
Artikel in <strong>de</strong>r Zeitschrift Carolinum<br />
Verwendung fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Ich gebe zu,<br />
dass ich im ersten Moment nicht sicher<br />
war, ob diese Aussage ernsthaft geäußert<br />
wur<strong>de</strong> und fragte nach. Die Antwort,<br />
liebe LeserInnen, liegt vor Ihnen.<br />
Mein Name ist Klara Kopperschmidt<br />
und ich bin eine <strong>de</strong>r AbiturientInnen <strong>de</strong>s<br />
Jahrgangs 2007. Nach <strong>de</strong>m Abschluss ging ich nach Bremen, um im Internationalen Studiengang<br />
Politik management zu studieren. Da im Curriculum <strong>de</strong>s Studienganges zwanzig Wochen<br />
Praktikum vorgesehen sind, überlegte ich mir schon bald verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten. Sie können<br />
sich vorstellen, dass mir das Ministerium für Bildung, Wisenschaft und Kultur in Schwerin<br />
als ehemaliger Schülerin <strong>de</strong>s Carolinum sehr schnell in <strong>de</strong>n Sinn kam. Auf diesem Wege verbrachte<br />
ich also vier Wochen im Februar und März <strong>2008</strong> im Marstall <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>shauptstadt.<br />
Als frische Stu<strong>de</strong>ntin hatte ich allerdings kaum Kenntnis von <strong>de</strong>n praktischen Abläufen eines<br />
Ministeriums und war gespannt, welche Aufgaben mich erwarten wür<strong>de</strong>n. Im ersten Gespräch<br />
mit <strong>de</strong>r persönlichen Referentin erfuhr ich dann, dass man mich jeweils zwei Wochen im Koordinierungsstab<br />
sowie im Hochschulreferat einsetzte. Durch diese Teilung bekam ich Gelegenheit,<br />
möglichst unterschiedliche Einblicke in <strong>de</strong>n bildungspolitischen Alltag Mecklenburg-Vorpommerns<br />
zu gewinnen. Ich durfte an Arbeitskreis- und Ausschusssitzungen teilnehmen,<br />
Herrn Tesch bei öffentlichen Terminen begleiten o<strong>de</strong>r auch die Debatten <strong>de</strong>r Landtagssitzungen<br />
miterleben. Hier sah ich dann auch zum ersten Mal, wie grotesk und inhaltslos die NPD in<br />
Mecklenburg vorgeht.<br />
Daneben erledigte ich aber auch Arbeiten innerhalb <strong>de</strong>s Ministeriums, wie das Vorverfassen<br />
von Antwortbriefen, Schreiben von Pressemitteilungen und –einladungen o<strong>de</strong>r das Archivieren<br />
von Studiengängen.<br />
Mit <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>r Aufgaben und Eindrücke verging die Zeit in Schwerin sehr schnell und ich<br />
wur<strong>de</strong> um eine Erfahrung reicher. Mein nächstes Praktikum wür<strong>de</strong> ich sehr gern in Brüssel<br />
beim Europäischen Parlament absolvieren. Wenn überhaupt, wer<strong>de</strong> ich dort aber nicht die<br />
Chance auf einen Fototermin vor einem Brockhaus-bestückten Regal bekommen.<br />
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72<br />
Nachruf<br />
An dieser Stelle möchten wir unserer langjährigen Kollegin<br />
Christiane Funke<br />
ge<strong>de</strong>nken, die im Februar <strong>2008</strong> verstorben ist.<br />
Christiane war eine engagierte Lehrerin, die ihre Arbeit mit <strong>de</strong>n<br />
Schülern liebte und für diese und uns Kollegen immer ein<br />
offenes Ohr hatte. Sie war eine hilfsbereite, kritische und<br />
streitbare Kollegin, fröhlich und unerschütterlich optimistisch. Wir<br />
verlieren mit ihr eine verständnisvolle<br />
und herzliche Freundin.<br />
Christiane wird in unseren Gedanken bleiben.<br />
Die Kolleginnen und Kollegen <strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum
Nachruf<br />
Im März <strong>2008</strong> verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit unser<br />
Kollege<br />
Bodo Hein<br />
Fachlehrer für Geografie und Sport.<br />
Seine große Lei<strong>de</strong>nschaft gehörte <strong>de</strong>m Fußball.<br />
Durch sein engagiertes Auftreten begeisterte er<br />
über viele Jahre seine Schüler.<br />
Wir verlieren mit ihm einen freundlichen<br />
und hilfsbereiten Kollegen, <strong>de</strong>n wir nicht vergessen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Kolleginnen und Kollegen <strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum<br />
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Strelitzer Zeitung, 27. November 2007<br />
74<br />
Pressespiegel
Anzeigenkurier, 28. November 2007<br />
75
Strelitzer Zeitung, 28. November 2007<br />
76
Strelitzer Zeitung, 11. Dezember 2007<br />
77
Strelitzer Zeitung, 13. Dezember 2007<br />
78
Strelitzer Zeitung, 21. Dezember 2007<br />
79
Strelitzer Zeitung, 29./30. Dezember 2007<br />
80
Strelitzer Zeitung, 12./13. Januar <strong>2008</strong><br />
81
Strelitzer Zeitung, 19./20. Januar <strong>2008</strong><br />
82
Mecklenburger-Strelitz Blitz, 20. Januar <strong>2008</strong><br />
83
Strelitzer Zeitung, 21. Januar <strong>2008</strong><br />
84
Strelitzer Zeitung, 25. Januar <strong>2008</strong><br />
85
Strelitzer Zeitung, 26./27. Januar <strong>2008</strong><br />
86
Strelitzer Zeitung, 28. Januar <strong>2008</strong><br />
87
Strelitzer Zeitung, 4. Februar <strong>2008</strong><br />
88
Strelitzer Zeitung, 4. Februar <strong>2008</strong><br />
89
Strelitzer Zeitung, 4. Februar <strong>2008</strong><br />
90
Strelitzer Zeitung, 12. Februar <strong>2008</strong><br />
91
Strelitzer Zeitung, 26. Februar <strong>2008</strong><br />
92
Strelitzer Zeitung, 4. März <strong>2008</strong><br />
93
Strelitzer Zeitung, 13. März <strong>2008</strong><br />
94
Strelitzer Zeitung, 7. April <strong>2008</strong><br />
95
Strelitzer Zeitung, 8. April <strong>2008</strong><br />
96
Strelitzer Zeitung, 16. April <strong>2008</strong><br />
97
Strelitzer Zeitung, 19./20. April <strong>2008</strong><br />
98
Strelitzer Zeitung, 8. Mai <strong>2008</strong><br />
99
Strelitzer Zeitung, 17./18. Mai <strong>2008</strong><br />
100
Strelitzer Zeitung, 22. Mai <strong>2008</strong><br />
101
Strelitzer Zeitung, 22. Mai <strong>2008</strong><br />
102
Strelitzer Zeitung, 23. Mai <strong>2008</strong><br />
103
Strelitzer Zeitung, 25. Mai <strong>2008</strong><br />
104
Strelitzer Zeitung, 30. Mai <strong>2008</strong><br />
105
Strelitzer Zeitung, ohne Datum <strong>2008</strong><br />
106
Strelitzer Zeitung, 11. Juni <strong>2008</strong><br />
107
Strelitzer Zeitung, 15./16. Juni <strong>2008</strong><br />
108
Strelitzer Zeitung, 18. Juni <strong>2008</strong><br />
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