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März 2003 (PDF) - An.schläge

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einzig die männliche Sichtweise als „objektiv<br />

richtig“ festgehalten. So bleibt in<br />

den Beschreibungen der Handlungen<br />

unerwähnt, wie Frauen diese aufgenommen<br />

und empfunden haben. Ausnahmen<br />

bilden Verfahren über massive körperliche<br />

Gewaltanwendungen, die durch<br />

medizinische Atteste abgesichert sind.<br />

Sofern die Aussagen von ZeugInnen<br />

erwähnt werden, bleibt ihr Geschlecht<br />

ungenannt. Aber gerade in dieser Auseinandersetzung<br />

wäre die Kategorie Geschlecht<br />

von größter Bedeutung. Wenn<br />

hier als Maßstab das Empfinden des<br />

„vernünftigen Durchschnittsmenschen“<br />

angewandt wird, haben Frauen keine<br />

Chance, Recht zugesprochen zu bekommen.<br />

Gerade in der Frage, ob ein bestimmtes<br />

Verhalten als sexuelle Belästigung<br />

empfunden wird, sollte die Einschätzung<br />

einer „vernünftigen Frau“ jener<br />

eines „vernünftigen Mannes“<br />

vorgezogen werden. Ein Beispiel aus einem<br />

anderen Kontext verdeutlicht diese<br />

Notwendigkeit: Eine Afrikanerin fühlt<br />

sich durch rassistische Witze verletzt<br />

und klagt. Die Zeuginnen sind allesamt<br />

weiße Frauen, die keinen <strong>An</strong>stoß an den<br />

Witzen nehmen. Würde sich das Gericht<br />

hier ebenso unhinterfragt den weißen<br />

Frauen anschließen, ohne zu berücksichtigen,<br />

dass eine schwarze Frau rassistische<br />

Witze auf Grund ihrer Lebenserfahrungen<br />

anders empfindet?<br />

Rollenumkehr. In einem Verfahren des<br />

ASG Wien aus dem Jahr 1998 befand die<br />

zuständige Richterin die Klage der sexuellen<br />

Belästigung als „nicht glaubwürdig“.<br />

Der Grund:„Beim Beklagten handelt<br />

es sich um einen durchschnittlich<br />

gut aussehenden, gepflegten Mann,<br />

während es der Klägerin an jeglicher Attraktivität<br />

mangelt und sie auch den<br />

Eindruck erweckt, auf ein gepflegtes<br />

Äußeres wenig Wert zu legen“. Ein Aufschrei<br />

ging durch die Presse. Während<br />

dieses Urteil festhält, dass „unattraktive“<br />

Frauen nicht belästigt werden können,<br />

stellt dasselbe ASG in einem anderen<br />

Fall fest, dass eine (vermutlich „attraktive“)<br />

Frau „überzogen sexistisch“<br />

sei, wenn sie keine Komplimente über<br />

ihr Aussehen vom Geschäftsführer<br />

hören möchte. In beiden Fällen verlieren<br />

die Frauen vor Gericht, weil nicht die Taten<br />

der Männer bewertet werden, sondern<br />

die Klägerinnen. Die allzu bekannte<br />

Rollenumkehr bestätigt sich: aus der<br />

Klägerin wird die Beklagte, aus dem Opfer<br />

die Täterin.<br />

Faktor Macht. Die meisten Gerichtsverfahren<br />

beschäftigte einzig die Frage, ob und<br />

wie sexualisierte Beziehungen am Arbeitsplatz<br />

gestaltet werden (dürfen). Völlig<br />

unbeachtet bleiben Fragen, die das<br />

Kernanliegen des Gleichbehandlungsgesetzes<br />

sind: Inwieweit hat sich durch die<br />

Handlungen des Mannes das Arbeitsklima<br />

für die betroffene Frau derart verschlechtert,<br />

dass es für sie benachteiligend<br />

oder unzumutbar wurde? Fand in<br />

irgendeiner Form Machtausübung statt,<br />

die die Würde der Frau verletzte?<br />

Insgesamt werden in Gerichtsverfahren<br />

weibliche Lebenserfahrungen<br />

weitgehend ausgeblendet. Sie orientieren<br />

sich an männlich definierten Maßstäben,<br />

wie Männer und Frauen sich zueinander<br />

verhalten sollen. Machtausübung<br />

wird auf erotische und sexuelle<br />

Umgangsformen reduziert, statt die Benachteiligungen<br />

auf Grund des Geschlechts<br />

zu beurteilen. Gerichte gestehen<br />

prinzipiell Männern zu, in gewissem<br />

Ausmaß über die Körper der Arbeitnehmerinnen<br />

verfügen zu können. Und diese<br />

Verfügungsgewalt wächst mit zunehmendem<br />

Hierarchiegefälle: der Chef<br />

darf sich also mehr herausnehmen als<br />

der gleichgestellte Kollege. Mann darf<br />

Frau mit „Bussis“ beehren und er darf<br />

davon ausgehen, dass sie damit einverstanden<br />

ist. Das ist die Regel – solange<br />

eine Frau nicht deutlich ihre Grenzen<br />

absteckt. Willkommen im Patriarchat.<br />

Vor Gericht sind Frauen immer mit<br />

geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen<br />

konfrontiert. Mangels Zeuginnen<br />

ist es schwierig bis unmöglich, Grenzüberschreitungen<br />

glaubhaft zu machen.<br />

Die angeklagten Männer sind oft gesellschaftlich<br />

angesehener und gelten daher<br />

auch als vertrauenswürdiger. Immer wieder<br />

ist es bei den Verfahren auch darum<br />

gegangen, das Verhalten der Frauen zu<br />

bewerten. Grundlage der Bewertung war<br />

dabei, ob sie sich gemäß dem traditionellen<br />

Frauenbild verhalten haben.<br />

Medialer Einfluss. RichterInnen orientierten<br />

sich in ihren Entscheidungen mitunter<br />

am angeblichen „Empfinden des<br />

Durchschnittsmenschen“, das nicht wenig<br />

durch mediale Berichte konstruiert<br />

wird, weshalb die Frage nach der Art der<br />

Berichterstattung eine wesentliche ist.<br />

Insgesamt gab es im Untersuchungszeitraum<br />

von 1989 bis 2001 erstaunlich<br />

wenige, nämlich lediglich 33<br />

Artikel zum Thema. So genannte „Kuriositäten“<br />

aus anderen Ländern werden<br />

ausgeschlachtet, wie z.B. Gerichtsurteile<br />

in den USA über hohe Schadenersatzzahlungen.<br />

Solche Artikel haben oft eine<br />

sexuell konnotierte Headline, wie „lüsterne<br />

Kollegen“ oder „geiler Grapscher“<br />

und sie werden überwiegend von Frauen<br />

verfasst. Nur sieben Berichte beinhalten<br />

Sachinformationen. Diese Artikel<br />

weisen sehr wohl auf die weite Verbreitung<br />

sexueller Belästigung in der Arbeitswelt<br />

und auf die unzureichenden<br />

gesellschaftlichen Maßnahmen hin.<br />

Denn in fast jedem Fall verliert die Frau<br />

ihren Arbeitsplatz, unabhängig davon,<br />

ob sie recht bekommt oder nicht.<br />

In den Untersuchungszeitraum fällt<br />

auch der „Fall Wolfgang Prammer“, Ex-<br />

Mann von Barbara Prammer, der 1997 in<br />

der Arbeiterkammer Referatsleiter war.<br />

Seine Sekretärin hatte ihn der sexuellen<br />

Belästigung beschuldigt. Männliche Journalisten<br />

berichten betont sachlich und<br />

weichen damit deutlich von der restlichen<br />

Berichterstattung ab. Prammer mutiert<br />

in der Presse zum Opfer: Man wolle<br />

dadurch nur seiner politischen Karriere<br />

schaden und der seiner Frau.„Weil man<br />

ihr (Barbara Prammer, <strong>An</strong>m.) nicht anders<br />

ankann, will man unser (sic!) Privatleben<br />

treffen“, so der Beschuldigte. SEIN Verhalten<br />

an SEINEM Arbeitsplatz wird derart<br />

zum Privatleben der Ministerin gemacht.<br />

Nur sehr zögerlich erfahren wir, wessen<br />

er eigentlich beschuldigt wird.Wie in den<br />

Sachverhaltsdarstellungen der Gerichtsverfahren<br />

ist auch in den Medien nicht<br />

das Empfinden des Opfers Thema. Statt<br />

dessen gibt es in den OÖN jede Menge<br />

Platz für männliche Unschuldsbeteuerungen<br />

und Ablenkungen.<br />

Insgesamt kann sehr wohl der<br />

Schluss gezogen werden, dass durch das<br />

Ausblenden der Machtverhältnisse, das<br />

bewusste Negieren der Erfahrungen der<br />

Frauen und die Reduktion auf die Frage<br />

nach sexualmoralischen Werten im Umgang<br />

miteinander, das Recht nicht geschlechtsneutral<br />

wirkt, sondern eindeutig<br />

Männer begünstigt. Die Rechtssprechung<br />

wie auch die mediale Berichterstattung<br />

tragen daher dazu bei, die<br />

ungleiche Verteilung von Lebenschancen<br />

und Karrieremöglichkeiten aufrechtzuerhalten.<br />

❚<br />

forumwissenschaft<br />

powered by:<br />

http://www.oeh.ac.at/fem<br />

diskussion.forum.wissenschaft<br />

Barbara Deißenberger präsentiert<br />

ihre Diplomarbeit „Frauen und<br />

Literatur als literarisches Motiv<br />

in österreichischen und<br />

französischen Romanen.“<br />

<strong>An</strong>schließend Diskussion<br />

Am 11. <strong>März</strong> <strong>2003</strong>, 19.00 Uhr<br />

Ort: UFO-Uni Frauen Ort<br />

Berggasse 5/24, 1090 Wien<br />

Gerichtsentscheidungen sind unter<br />

http://www.ris.gv.at abrufbar.<br />

märz <strong>2003</strong>an.<strong>schläge</strong> 23

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