März 2003 (PDF) - An.schläge

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Fo t o : O b i o ra C - I k O fo e d u feminismenpakistan 16 an.schlägemärz 2003 Eine – im englischsprachigen Raum – schon längst etablierte Diskussion um Krieg, um die Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder, hat ein Wochenende lang endlich auch in Österreich stattgefunden, allerdings unbeachtet von einer breiteren Öffentlichkeit (siehe an.schläge 2/03). Warum findet eine wissenschaftliche Tagung wie das von der Bunten Zeitung organisierte Symposium „War and Gender/Krieg und Geschlechterrollen“ bei der österreichischen akademischen Gemeinschaft keine Beachtung? Liegt es daran, dass Österreich in seinem gemütlichen (wissenschaftlichen) Provinzialismus durch neue Sichtweisen empfindlich gestört würde? Dass der Blick über die Grenzen hinaus bedrohlich das Eigene in Frage stellt? Dass Interkulturalität eher Lippenbekenntnis ist, wenn es um die Anerkennung zum Beispiel „nicht-westlicher“ Wissenschaften geht? Und dass das Denken in Differenzen noch immer schwer fällt? Gerade in Zeiten, in denen Mächtige nur auf den günstigen Moment warten, mit Panzern und Geschossen auf das „Andere“ einzuschlagen, wäre die interkulturelle Diskussion zu Geschlecht und Krieg geradezu Pflichtthema in den Feuilletons österreichischer Zeitungen. Zwei Tage lang debattierte eine internationale Gruppe bestehend aus TheoretikerInnen und Betroffenen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa über den Krieg als „Ort“ der sozialen Konstruktion von Geschlecht. Hinter dem Symposium stand der Versuch, bestimmte Bilder und Klischees, die mit Krieg, Mann und Frau einhergehen, in den verschiedenen Erdteilen zu prüfen und eventuell zu dekonstruieren. Ist Frau mit Frieden gleichzusetzen? Was sagt uns die Figur der Soldatin? Bedeutet ihre Präsenz in „Feminismus wurde vereinnahmt“ Die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan war zu Gast in Wien. Über ihre Vorstellungen eines islamischen Feminismus sprach sie mit Erika Müller

einem so patriachalen System wie dem Militär Möglichkeiten auf Änderungen? Ist Gleichberechtigung in der Gesellschaft gegeben, nur weil Frauen in der Domäne „Militär“ zugelassen sind? Ist Krieg Männersache? Wie sehen globale Forschungsstrategien aus Geschlechterperspektive aus? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Neoliberalismus und Krieg im 21. Jahrhundert? Eine der Teilnehmerinnen am Symposium war die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan, die in ihrem Vortrag für einen vom Staat abgekoppelten islamischen Feminismus eintrat. Im Interview ging sie näher auf die verschiedenen feministischen Traditionen in Pakistan und ihre Sicht auf den „westlichen“ Feminismus ein. an.schläge:Wie entstand denn eine feministische Bewegung in Pakistan? Shehar Bano Khan: „The Woman Action Forum“ war die erste organisierte Bewegung und entstand Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Es war eine Reaktion auf die Islamisierung des ganzen Landes, die einherging mit frauenfeindlichen Gesetzen. Die Frauen kamen vor allem aus dem linken Lager. Die Bewegung war wichtig, denn sie internationalisierte die Frauen-Thematik in Pakistan. Doch nun ist sie so gut wie tot, sie agiert nicht mehr einheitlich, sie hat sich individualisiert und hat keinen substanziellen Effekt mehr. Wie ist der Name und das Konzept „Feminismus“ in Pakistan konnotiert? Unterschiedlich. Es wird manchmal nicht verstanden. Gerade die Frauen der ersten Stunde des pakistanischen Feminismus würde ich als feministische „Fundamentalistinnen“ bezeichnen, die sich der Religiösität und der Theologie verschließen. Ich bin der Meinung, dass Änderungen nur im System selbst passieren können. In Pakistan muss die Religion immer mitgedacht werden, 95% der Bevölkerung sind muslimisch. Das heißt aber nicht, dass islamischer Feminismus Änderungen bringen würde. Er ist wiederum zu religiös und zu wenig säkularisiert. Der Pakistanische Feminismus ist heute gespalten: in einen muslimischen Feminismus und – wie ich sagen würde – in einen radikalen Feminismus, der eher Gesellschaften wie der österreichischen entspricht. Pakistan ist sehr konservativ, ich kann den Frauen nicht sagen: Verlasst eure Männer und Kinder, Familienstrukturen gehören zerschlagen. Ich muss die Tradition mitbedenken. Versucht der „radikale“ pakistanische Feminismus ein westliches Modell zu kopieren? Natürlich, sie bekommen ja auch Geld aus dem Westen. Und das eckt gerade beim Klerus an, denn sie bringen westliche Werte nach Pakistan. Und beide Modelle von Feminismus, der religiöse und „westliche“, agieren innerhalb ihrer eigenen Bereiche ohne Integration des einen in den anderen. Das schafft Verwirrung, die Probleme werden nicht gelöst. Und sie haben keinen Bezug zur „Basis“, es gibt keinen Dialog. Sie sind beide voller Stereotypen und wenig flexibel. So muss ich einer westlichen Feministin erklären, warum ich für Frauenrechte eintrete, aber auch bete und faste. Und der religiösen Feministin muss ich erklären, warum ich hier auf der Straße stehen und rauchen will! Wie seht ihr den westlichen Feminismus? Ich denke, Feminismus wurde vom sogenannten westlichen Feminismus vereinnahmt. Feministinnen haben sicherlich die Gesellschaft verändert und haben den Frauen hier in Europa ein wundervolles Gefühl von Sicherheit gegeben. Aber das ist nur die Oberfläche. Als Frau spüre ich hier in Österreich eine starke Trennung zwischen den Geschlechtern. Ebenso Diskriminierung. Zum Beispiel die ständige Objektivierung der Frau hier – Ich finde das abstoßend! Frauen als Sexobjekt! Ich sehe fern und fühle mich als Frau total abgewertet! Feministinnen entdecken jetzt wahrscheinlich die Konsequenzen eines extremen Liberalismus ohne ein begleitendes Wertesystem. Es ist okay, wenn eine Frau nackt sein will, das ist ihr gutes Recht. Aber dann muss auch gesehen werden, dass wir in einer Welt leben, in der nicht alle gleich denken. Also: meine Freiheit ist für den anderen eine Provokation. Es muss eine Neubewertung von Feminismus geben, und dann muss ein Dialog zwischen muslimischen und westlichen Feministinnen stattfinden. Da gibt es eine riesige Kluft. Hat Feminismus nie die Differenz zwischen den Kulturen gesehen? Hat ein westlicher Feminismus gar imperialistisch agiert? Ich denke, das Problem ist, dass westliche Feministinnen einfach nicht verstehen wollen. Sie haben gelernt, in der Religion einen Widerspruch zum Feminismus zu sehen. Ist ein religiöser Ansatz im feministischen Diskurs vorhanden, dann wird das gleich als fundamentalistisch bezeichnet. Aber ich würde westliche Feministinnen nicht als Imperialistinnen bezeichnen. Es ist an der Zeit zu sehen, dass es auch andere Kulturen gibt. Ich denke auch, dass Feministinnen nach dem 11. September etwas hätten tun sollen. Sie hätten sich mit dem Thema der Religion auseinandersetzen sollen. Dann hätten sie auf die totale Verzerrung des Islam in den westlichen Medien reagieren müssen! Das wäre nicht nur die Aufgabe der muslimischen Feministinnen gewesen, denn Feminismus kennt keine Grenzen. Wenn wir ständig von eingeschränkten Kategorien sprechen, dann kollabiert das gesamte Konzept. Du postulierst so etwas wie einen universellen Feminismus? Zumindest in bestimmten Auseinandersetzungen. Feminismus, der nicht ausgrenzt. Und Religion spielt gerade in Entwicklungsländern eine wichtige Rolle. Wenn wir das ignorieren, ignorieren wir einen großen Teil der Bevölkerung. Und jede Theorie oder jeder politische Diskurs, der den Menschen vergisst, ist sinnlos. ❚ pakistanfeminismen Das wissenschaftliche Symposium über Krieg und Geschlechterrollen fand in der akademischen Gemeinschaft kaum Beachtung. märz 2003an.schläge 17

einem so patriachalen System wie<br />

dem Militär Möglichkeiten auf Änderungen?<br />

Ist Gleichberechtigung in der<br />

Gesellschaft gegeben, nur weil Frauen<br />

in der Domäne „Militär“ zugelassen<br />

sind? Ist Krieg Männersache? Wie sehen<br />

globale Forschungsstrategien aus<br />

Geschlechterperspektive aus? Welcher<br />

Zusammenhang besteht zwischen<br />

Neoliberalismus und Krieg im 21. Jahrhundert?<br />

Eine der Teilnehmerinnen am Symposium<br />

war die pakistanische Journalistin<br />

Shehar Bano Khan, die in ihrem Vortrag<br />

für einen vom Staat abgekoppelten<br />

islamischen Feminismus eintrat. Im Interview<br />

ging sie näher auf die verschiedenen<br />

feministischen Traditionen in Pakistan<br />

und ihre Sicht auf den „westlichen“<br />

Feminismus ein.<br />

an.<strong>schläge</strong>:Wie entstand denn eine<br />

feministische Bewegung in Pakistan?<br />

Shehar Bano Khan: „The Woman<br />

Action Forum“ war die erste organisierte<br />

Bewegung und entstand Ende der<br />

70er und <strong>An</strong>fang der 80er Jahre. Es war<br />

eine Reaktion auf die Islamisierung des<br />

ganzen Landes, die einherging mit frauenfeindlichen<br />

Gesetzen. Die Frauen kamen<br />

vor allem aus dem linken Lager.<br />

Die Bewegung war wichtig, denn sie internationalisierte<br />

die Frauen-Thematik<br />

in Pakistan. Doch nun ist sie so gut wie<br />

tot, sie agiert nicht mehr einheitlich, sie<br />

hat sich individualisiert und hat keinen<br />

substanziellen Effekt mehr.<br />

Wie ist der Name und das Konzept<br />

„Feminismus“ in Pakistan konnotiert?<br />

Unterschiedlich. Es wird manchmal<br />

nicht verstanden. Gerade die Frauen der<br />

ersten Stunde des pakistanischen Feminismus<br />

würde ich als feministische<br />

„Fundamentalistinnen“ bezeichnen, die<br />

sich der Religiösität und der Theologie<br />

verschließen. Ich bin der Meinung, dass<br />

Änderungen nur im System selbst passieren<br />

können. In Pakistan muss die Religion<br />

immer mitgedacht werden, 95%<br />

der Bevölkerung sind muslimisch. Das<br />

heißt aber nicht, dass islamischer Feminismus<br />

Änderungen bringen würde. Er<br />

ist wiederum zu religiös und zu wenig<br />

säkularisiert. Der Pakistanische Feminismus<br />

ist heute gespalten: in einen muslimischen<br />

Feminismus und – wie ich sagen<br />

würde – in einen radikalen Feminismus,<br />

der eher Gesellschaften wie der<br />

österreichischen entspricht. Pakistan ist<br />

sehr konservativ, ich kann den Frauen<br />

nicht sagen: Verlasst eure Männer und<br />

Kinder, Familienstrukturen gehören zerschlagen.<br />

Ich muss die Tradition mitbedenken.<br />

Versucht der „radikale“ pakistanische<br />

Feminismus ein westliches Modell<br />

zu kopieren?<br />

Natürlich, sie bekommen ja auch<br />

Geld aus dem Westen. Und das eckt gerade<br />

beim Klerus an, denn sie bringen<br />

westliche Werte nach Pakistan. Und beide<br />

Modelle von Feminismus, der religiöse<br />

und „westliche“, agieren innerhalb<br />

ihrer eigenen Bereiche ohne Integration<br />

des einen in den anderen. Das schafft<br />

Verwirrung, die Probleme werden nicht<br />

gelöst. Und sie haben keinen Bezug zur<br />

„Basis“, es gibt keinen Dialog. Sie sind<br />

beide voller Stereotypen und wenig flexibel.<br />

So muss ich einer westlichen<br />

Feministin erklären, warum ich für Frauenrechte<br />

eintrete, aber auch bete und<br />

faste. Und der religiösen Feministin<br />

muss ich erklären, warum ich hier auf<br />

der Straße stehen und rauchen will!<br />

Wie seht ihr den westlichen Feminismus?<br />

Ich denke, Feminismus wurde vom<br />

sogenannten westlichen Feminismus<br />

vereinnahmt. Feministinnen haben sicherlich<br />

die Gesellschaft verändert und<br />

haben den Frauen hier in Europa ein<br />

wundervolles Gefühl von Sicherheit gegeben.<br />

Aber das ist nur die Oberfläche.<br />

Als Frau spüre ich hier in Österreich eine<br />

starke Trennung zwischen den Geschlechtern.<br />

Ebenso Diskriminierung.<br />

Zum Beispiel die ständige Objektivierung<br />

der Frau hier – Ich finde das abstoßend!<br />

Frauen als Sexobjekt! Ich sehe<br />

fern und fühle mich als Frau total abgewertet!<br />

Feministinnen entdecken jetzt<br />

wahrscheinlich die Konsequenzen eines<br />

extremen Liberalismus ohne ein begleitendes<br />

Wertesystem. Es ist okay, wenn<br />

eine Frau nackt sein will, das ist ihr gutes<br />

Recht. Aber dann muss auch gesehen<br />

werden, dass wir in einer Welt leben, in<br />

der nicht alle gleich denken. Also: meine<br />

Freiheit ist für den anderen eine Provokation.<br />

Es muss eine Neubewertung<br />

von Feminismus geben, und dann muss<br />

ein Dialog zwischen muslimischen und<br />

westlichen Feministinnen stattfinden.<br />

Da gibt es eine riesige Kluft.<br />

Hat Feminismus nie die Differenz<br />

zwischen den Kulturen gesehen? Hat ein<br />

westlicher Feminismus gar imperialistisch<br />

agiert?<br />

Ich denke, das Problem ist, dass<br />

westliche Feministinnen einfach nicht<br />

verstehen wollen. Sie haben gelernt, in<br />

der Religion einen Widerspruch zum<br />

Feminismus zu sehen. Ist ein religiöser<br />

<strong>An</strong>satz im feministischen Diskurs vorhanden,<br />

dann wird das gleich als fundamentalistisch<br />

bezeichnet. Aber ich würde<br />

westliche Feministinnen nicht als<br />

Imperialistinnen bezeichnen. Es ist an<br />

der Zeit zu sehen, dass es auch andere<br />

Kulturen gibt. Ich denke auch, dass<br />

Feministinnen nach dem 11. September<br />

etwas hätten tun sollen. Sie hätten sich<br />

mit dem Thema der Religion auseinandersetzen<br />

sollen. Dann hätten sie auf<br />

die totale Verzerrung des Islam in den<br />

westlichen Medien reagieren müssen!<br />

Das wäre nicht nur die Aufgabe der<br />

muslimischen Feministinnen gewesen,<br />

denn Feminismus kennt keine Grenzen.<br />

Wenn wir ständig von eingeschränkten<br />

Kategorien sprechen, dann kollabiert<br />

das gesamte Konzept.<br />

Du postulierst so etwas wie einen<br />

universellen Feminismus?<br />

Zumindest in bestimmten Auseinandersetzungen.<br />

Feminismus, der nicht<br />

ausgrenzt. Und Religion spielt gerade in<br />

Entwicklungsländern eine wichtige Rolle.<br />

Wenn wir das ignorieren, ignorieren<br />

wir einen großen Teil der Bevölkerung.<br />

Und jede Theorie oder jeder politische<br />

Diskurs, der den Menschen vergisst, ist<br />

sinnlos. ❚<br />

pakistanfeminismen<br />

Das wissenschaftliche<br />

Symposium über Krieg und<br />

Geschlechterrollen fand in der<br />

akademischen Gemeinschaft<br />

kaum Beachtung.<br />

märz <strong>2003</strong>an.<strong>schläge</strong> 17

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