Männliche Grundschullehrer: Männlichkeitskonstruktionen in einer ...

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Männliche Grundschullehrer: Männlichkeitskonstruktionen in einer bipolaren Geschlechterkultur und deren Auswirkungen auf die berufliche Handlungspraxis Erschienen in: von Carlsburg, Gerd-Bodo (Hrsg.) (2009): Qualität von Bildung und Kultur. Theorie und Praxis, Frankfurt: Peter Lang, S. 259-277. In Deutschland beträgt der Anteil von Männern, die als Lehrer an Grundschulen tätig sind, mittlerweile nur noch 13 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). Dieser Umstand wird im öffentlichen und medial unterstützten Diskurs verantwortlich gemacht für das schlechte Abschneiden von Jungen bei international vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA (vgl. PISA-Konsortium 2001). Tatsächlich weisen Jungen im Vergleich zu Mädchen höhere Defizite in der Lesekompetenz auf, machen seltener Abitur, sind übermäßig stark vertreten in Hauptschulen und Sonderschulen für Lernbehinderungen, werden später eingeschult und werden häufiger nicht in die nächste Klasse versetzt als dies bei Mädchen der Fall ist (vgl. Stürzer 2005: 24ff). Vor allem fehlende männliche Rollenvorbilder und eine feminisierte Schulkultur werden als Gründe für das schulische Versagen der Jungen angeführt. Werden Jungen in den Medien inzwischen als „Dumme Jungen“ (Spiegel 21/2001), als „Angeknackste Helden“ (ebd.) oder „Unterdrückte Jungs“ (WDR 2007) bezeichnet, so fordern immer wieder verschiedene Kultusminister und Kultusministerinnen die Erhöhung des quantitativen Anteils männlicher Grundschullehrer, allerdings ohne dies bislang politisch durchsetzen zu können. 1 Aber auch Sozialwissenschaftler werden nicht müde, vor einer Feminisierung der Grundschule zu warnen. So unterstützt beispielsweise der Bielefelder Sozial- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann die Forderung nach einer Männerquote, 2 genauso wie der Bozener Entwicklungspsychologe und Familienforscher Wassilios Fthenakis weiblichen Lehrerinnen unterstellt, Mädchen zu bevorzugen. 3 Heike Diefenbach und Michael Klein stellen in ihrer viel beachteten, inzwischen methodisch heftig kritisierten Studie „Bringing Boys Back In“ (2002) einen Zusammenhang zwischen dem quantitativen Anteil von Lehrerinnen und dem schulischen Versagen der Jungen her. Jungenforscher wie Boldt (2005) oder Preuss-Lausitz (2005) beschwören die Bedeutung von männlichen Bezugspersonen als Identifikationsfiguren für eine glückende Sozialisation von Jungen. Empirische Belege für die oben genannten Thesen fehlen bislang; vielmehr kommen normative Vorstellungen von Geschlecht und geschlechtlicher Identität zur Geltung, die anscheinend als Begründungen ausreichen. Der (fehlende) männliche Grundschullehrer wird stilisiert zum potentiellen Retter der Jungen und darüber hinaus eines Bildungssystems, das dem internationalen Vergleich nicht standhalten kann. Dabei wird eine Idealvorstellung von heteronormativer Männlichkeit reproduziert, die den hegemonialen gesellschaftlichen Anspruch von Männern repräsentiert. Die wenigen Männer, die an den Grundschulen tätig sind, befinden sich in der Position von Exoten, die nicht zuletzt durch den öffentlichen Diskurs, aber auch durch geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Schulleiterinnen und Schulleitern, Kolleginnen und Kollegen, Eltern und nicht zuletzt von Schülerinnen und Schülern einem Druck ausgesetzt sind, der die alltäglichen Interaktionen in der Schule prägt und bestimmt. Die 1 So zum Beispiel Bernd Busemann (Niedersachsen, 2003), Annette Schavan (Baden-Württemberg, 2003), Karin Wolff (Hessen, 2003), in jüngster Zeit Ute Erdsiek-Rave (Schleswig-Holstein, 2006) und Barbara Sommer (Nordrhein-Westfalen, 2007). 2 Im Beitrag des Westdeutschen Rundfunks „Unterdrückte Jungs“ von Michael Hoverath vom 14.1.2007. 3 In einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 12.10.2007.

<strong>Männliche</strong> <strong>Grundschullehrer</strong>: <strong>Männlichkeitskonstruktionen</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bipolaren Geschlechterkultur und deren<br />

Auswirkungen auf die berufliche Handlungspraxis<br />

Erschienen <strong>in</strong>: von Carlsburg, Gerd-Bodo (Hrsg.) (2009): Qualität von Bildung und<br />

Kultur. Theorie und Praxis, Frankfurt: Peter Lang, S. 259-277.<br />

In Deutschland beträgt der Anteil von Männern, die als Lehrer an Grundschulen tätig s<strong>in</strong>d,<br />

mittlerweile nur noch 13 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). Dieser Umstand wird<br />

im öffentlichen und medial unterstützten Diskurs verantwortlich gemacht für das schlechte<br />

Abschneiden von Jungen bei <strong>in</strong>ternational vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA<br />

(vgl. PISA-Konsortium 2001). Tatsächlich weisen Jungen im Vergleich zu Mädchen höhere<br />

Defizite <strong>in</strong> der Lesekompetenz auf, machen seltener Abitur, s<strong>in</strong>d übermäßig stark vertreten <strong>in</strong><br />

Hauptschulen und Sonderschulen für Lernbeh<strong>in</strong>derungen, werden später e<strong>in</strong>geschult und<br />

werden häufiger nicht <strong>in</strong> die nächste Klasse versetzt als dies bei Mädchen der Fall ist (vgl.<br />

Stürzer 2005: 24ff).<br />

Vor allem fehlende männliche Rollenvorbilder und e<strong>in</strong>e fem<strong>in</strong>isierte Schulkultur werden als<br />

Gründe für das schulische Versagen der Jungen angeführt. Werden Jungen <strong>in</strong> den Medien<br />

<strong>in</strong>zwischen als „Dumme Jungen“ (Spiegel 21/2001), als „Angeknackste Helden“ (ebd.) oder<br />

„Unterdrückte Jungs“ (WDR 2007) bezeichnet, so fordern immer wieder verschiedene<br />

Kultusm<strong>in</strong>ister und Kultusm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>nen die Erhöhung des quantitativen Anteils männlicher<br />

<strong>Grundschullehrer</strong>, allerd<strong>in</strong>gs ohne dies bislang politisch durchsetzen zu können. 1 Aber auch<br />

Sozialwissenschaftler werden nicht müde, vor e<strong>in</strong>er Fem<strong>in</strong>isierung der Grundschule zu<br />

warnen. So unterstützt beispielsweise der Bielefelder Sozial- und Gesundheitswissenschaftler<br />

Klaus Hurrelmann die Forderung nach e<strong>in</strong>er Männerquote, 2 genauso wie der Bozener<br />

Entwicklungspsychologe und Familienforscher Wassilios Fthenakis weiblichen Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

unterstellt, Mädchen zu bevorzugen. 3 Heike Diefenbach und Michael Kle<strong>in</strong> stellen <strong>in</strong> ihrer<br />

viel beachteten, <strong>in</strong>zwischen methodisch heftig kritisierten Studie „Br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g Boys Back In“<br />

(2002) e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen dem quantitativen Anteil von Lehrer<strong>in</strong>nen und dem<br />

schulischen Versagen der Jungen her. Jungenforscher wie Boldt (2005) oder Preuss-Lausitz<br />

(2005) beschwören die Bedeutung von männlichen Bezugspersonen als Identifikationsfiguren<br />

für e<strong>in</strong>e glückende Sozialisation von Jungen.<br />

Empirische Belege für die oben genannten Thesen fehlen bislang; vielmehr kommen<br />

normative Vorstellungen von Geschlecht und geschlechtlicher Identität zur Geltung, die<br />

ansche<strong>in</strong>end als Begründungen ausreichen. Der (fehlende) männliche <strong>Grundschullehrer</strong> wird<br />

stilisiert zum potentiellen Retter der Jungen und darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>es Bildungssystems, das<br />

dem <strong>in</strong>ternationalen Vergleich nicht standhalten kann. Dabei wird e<strong>in</strong>e Idealvorstellung von<br />

heteronormativer Männlichkeit reproduziert, die den hegemonialen gesellschaftlichen<br />

Anspruch von Männern repräsentiert.<br />

Die wenigen Männer, die an den Grundschulen tätig s<strong>in</strong>d, bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Position von<br />

Exoten, die nicht zuletzt durch den öffentlichen Diskurs, aber auch durch<br />

geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Schulleiter<strong>in</strong>nen und Schulleitern, Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

und Kollegen, Eltern und nicht zuletzt von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern e<strong>in</strong>em Druck<br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d, der die alltäglichen Interaktionen <strong>in</strong> der Schule prägt und bestimmt. Die<br />

1 So zum Beispiel Bernd Busemann (Niedersachsen, 2003), Annette Schavan (Baden-Württemberg, 2003), Kar<strong>in</strong><br />

Wolff (Hessen, 2003), <strong>in</strong> jüngster Zeit Ute Erdsiek-Rave (Schleswig-Holste<strong>in</strong>, 2006) und Barbara Sommer<br />

(Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, 2007).<br />

2 Im Beitrag des Westdeutschen Rundfunks „Unterdrückte Jungs“ von Michael Hoverath vom 14.1.2007.<br />

3 In e<strong>in</strong>em Interview <strong>in</strong> der Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung (FAZ) vom 12.10.2007.


Sichtweise auf die Lehrer ist e<strong>in</strong>e vergeschlechtlichte und wirkt sich unmittelbar auf das<br />

Selbstkonzept der Lehrer aus: Innerhalb e<strong>in</strong>er bipolaren Geschlechterphilosophie suchen diese<br />

nach Möglichkeiten, den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden. Dabei existiert e<strong>in</strong><br />

Spannungsverhältnis zwischen den Zuschreibungen e<strong>in</strong>erseits und der Tätigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

gegengeschlechtlichen Berufsfeld 4 andererseits, das per se nach e<strong>in</strong>er Positionierung als<br />

Mann im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Selbstvergewisserung der eigenen Männlichkeit verlangt.<br />

Genau diesem Spannungsverhältnis möchte sich der folgende Beitrag annähern. Hierzu wird<br />

zunächst der Begriff e<strong>in</strong>er bipolaren Geschlechterkultur geklärt. Anhand von Sequenzen, die<br />

aus e<strong>in</strong>em exemplarischen Interview mit e<strong>in</strong>em männlichen <strong>Grundschullehrer</strong> stammen,<br />

werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nächsten Schritt beispielhaft Belege geliefert, wie sich e<strong>in</strong>e solche Kultur auf<br />

das Selbstverständnis und die Handlungspraxis der Lehrer, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

gegengeschlechtlichen Beruf tätig s<strong>in</strong>d, auswirkt. 5 Abschließend werden zentrale Ergebnisse,<br />

die aus dem empirischen Material abgeleitet werden, dargestellt und Perspektiven skizziert,<br />

die für die pädagogische Praxis von Bedeutung s<strong>in</strong>d.<br />

Die bipolare Ausrichtung der Geschlechterkultur<br />

Personale Identität kann es <strong>in</strong> unserer zweigeschlechtlich organisierten Kultur nicht geben,<br />

ohne dass die Strukturkategorie Geschlecht mitgedacht wird. Die ursprünglich von Garf<strong>in</strong>kel<br />

(1967) entwickelte Omnirelevanzannahme besagt, dass die nach Geschlechtern<br />

unternommene Zweiteilung des Menschen<br />

„so tief <strong>in</strong> Wahrnehmung, Denken, Verhalten und Handeln e<strong>in</strong>gedrungen und [...] über so<br />

machtvolle <strong>in</strong>stitutionelle Ressourcen wie etwa Arbeitsteilung und heterosexuelle Paarbildung<br />

abgestützt [wird], dass sie <strong>in</strong> faktisch jeder Situation von Bedeutung“ ist. (Gildemeister 2004: 31,<br />

Herv. i. O.)<br />

Dieser Ansatz ist im wissenschaftlichen Diskurs <strong>in</strong>zwischen vielfach kritisiert worden, öffnet<br />

er doch das Tor für e<strong>in</strong>e als zu überw<strong>in</strong>den geltende differenztheoretische Sichtweise auf<br />

Geschlecht, die Differenzierungsprozesse <strong>in</strong>nerhalb der Genusgruppen nicht beleuchtet und<br />

Intersektionalität ausblendet. Gildemeister beispielsweise warnt davor, über die<br />

Omnirelevanzhypothese Generalisierungen vorzunehmen und andere Klassifikationen wie<br />

Alter, Ethnizität oder Milieu außer Acht zu lassen. Sie plädiert für die Idee des von<br />

Hirschauer (1994) entwickelten ‚undo<strong>in</strong>g gender’, das e<strong>in</strong>e situative Neutralisation der<br />

Geschlechterdifferenz darstellt, um dann <strong>in</strong> der Folge genau deren Relevantsetzung bzw.<br />

Neutralisierung mit e<strong>in</strong>em unvore<strong>in</strong>genommenen, empirischen Blick untersuchen zu können<br />

(vgl. Gildemeister 2004: 32). Nicht zu leugnen ist aber die Wirkmacht e<strong>in</strong>es<br />

differenztheoretischen Blickes auf Geschlecht, ist dieses doch die Kategorie, die durch<br />

unterschiedlichste Inszenierungstechniken alltägliche Interaktionen dom<strong>in</strong>iert. Dabei<br />

bezeichnet Geschlecht (bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit) als e<strong>in</strong>e soziale Konstruktion<br />

„nicht das, was wir s<strong>in</strong>d, sondern etwas, was wir tun.“ (Horstkemper 2000: 270, Herv. i Org.)<br />

Das ‚Tun’ ist dabei nicht als absichtsvolles, <strong>in</strong>tentionales Handeln zu verstehen, sondern als<br />

e<strong>in</strong>e Praxis, die <strong>in</strong> Interaktionen und strukturellen Rahmungen situativ vollzogen wird. Diese<br />

Praxis schreibt sich weitestgehend <strong>in</strong> die Wissens- und S<strong>in</strong>nstrukturen von Personen e<strong>in</strong>, ohne<br />

dass sie e<strong>in</strong>er bewussten Reflexion zugänglich s<strong>in</strong>d. Es handelt sich um e<strong>in</strong>e habituelle<br />

Verankerung im S<strong>in</strong>ne Bourdieus (vgl. Bourdieu 2005), die zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>korporierten<br />

4 ‚Gegengeschlechtlich’ me<strong>in</strong>t, dass das Lehramt an Grundschulen zum<strong>in</strong>dest im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er horizontalen<br />

Segregation als fem<strong>in</strong>isiert anzusehen ist (vgl. Achatz 2005), darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> der gesellschaftlichen<br />

Wahrnehmung weiblich konnotiert wird.<br />

5 Das Interview wurde im Rahmen des Dissertationsvorhabens des Autors geführt und wurde für diesen Aufsatz<br />

aufgrund se<strong>in</strong>es exemplarischen Charakters ausgewählt. Differenzierte Forschungsergebnisse, die weitere<br />

Perspektiven beleuchten und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Typologie des beruflichen Habitus männlicher <strong>Grundschullehrer</strong> münden,<br />

f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Baar (i.E. 2009).


Handlungspraxis führen. Geschlecht ist damit nicht mehr nur Strukturkategorie, sondern wird<br />

als „Prozesskategorie“ (Maihofer 2004: 21) verstanden.<br />

Geschlecht kann somit weiter unterschieden werden <strong>in</strong> ‚sex’ und ‚gender’, wobei ‚sex’ den<br />

biologisch zugeschriebenen Status, also das ‚biologische Geschlecht’ me<strong>in</strong>t und ‚gender’ den<br />

sozial und kulturell erworbenen Geschlechtscharakter, also das ‚soziale Geschlecht’<br />

bezeichnet. Diese von Oakley (1972) bereits Anfang der 1970er Jahre <strong>in</strong> die fem<strong>in</strong>istische<br />

Wissenschaftskritik e<strong>in</strong>geführte Term<strong>in</strong>ologie erfährt erstmals <strong>in</strong> Folge e<strong>in</strong>es Aufsatzes von<br />

Rub<strong>in</strong> (1975), die Gender als philosophischen Begriff ‚erf<strong>in</strong>det’, e<strong>in</strong>e breite wissenschaftliche<br />

Aufmerksamkeit und wird von West/Zimmermann (1987) entscheidend weiterentwickelt. 6<br />

Inzwischen kann die Unterscheidung als sozialwissenschaftlicher Common Sense bezeichnet<br />

werden, obschon auch diese Zweiteilung kritisiert wird. 7<br />

Auch wenn politische Programme und gesellschaftliche Bestrebungen zunehmend auf e<strong>in</strong>e<br />

Auflösung des tradierten Geschlechterverhältnisses h<strong>in</strong>wirken, so kann trotz Veränderungen,<br />

die sich beispielsweise <strong>in</strong> den Bemühungen um Gender Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g <strong>in</strong> öffentlichen<br />

Institutionen zeigen, nicht davon ausgegangen werden, dass sich Geschlechtsnormen im<br />

öffentlichen und privaten Leben generell auflösen. Das „diskursfähige Differenzwissen“<br />

(Wetterer 2003: 290) verändert und modernisiert sich zwar, die sozialen Strukturen,<br />

Institutionen und Alltagspraxen bleiben <strong>in</strong>sgesamt aber weiterh<strong>in</strong> den geschlechtsspezifischen<br />

Hierarchien verpflichtet. Nach wie vor wirkt Geschlecht als e<strong>in</strong> „generatives Muster der<br />

Herstellung sozialer Ordnung“ (Gildenmeister/Wetterer 1992: 230, Herv. i. Orig.), das auf<br />

<strong>in</strong>teraktive Prozesse beruht. Interaktionen wiederum s<strong>in</strong>d geprägt von e<strong>in</strong>em symbolischen<br />

Repertoire an Ordnungen, Handlungs- und Körperpraxen, die den Akteuren zur Verfügung<br />

stehen (vgl. Behnke 1997: 13).<br />

So entfaltet die e<strong>in</strong>gangs formulierte Omnirelevanzhypothese jenseits des theoretischen<br />

Diskurses weiterh<strong>in</strong> ihre Wirksamkeit im Alltagshandeln:<br />

„Die soziale Wirklichkeit ist zweigeschlechtlich strukturiert, die Differenz ist bereits <strong>in</strong> die soziale<br />

Welt e<strong>in</strong>geschrieben und unsere Wahrnehmung ist darauf ausgerichtet, <strong>in</strong> jeder Situation Frauen<br />

und Männer zu unterscheiden.“ (Gildemeister 2004: 33, Herv. i. O.)<br />

Geschlechterkultur und Berufsausübung<br />

Auch Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer s<strong>in</strong>d weder geschlechtsneutral, noch stehen sie außerhalb<br />

unserer zweigeschlechtlich organisierten Kultur. Gerade <strong>in</strong> der Schule f<strong>in</strong>den<br />

geschlechterdifferenzierende Zuschreibungen auf vielfältige Weise statt. Die Auswirkungen<br />

auf den Unterricht und die Erziehung und Bildung von Mädchen und Jungen werden <strong>in</strong><br />

verschiedenen Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen dargestellt. 8<br />

Welche Auswirkungen allerd<strong>in</strong>gs die Tätigkeit im weiblich konnotierten Feld Grundschule<br />

6 West/Zimmermann erweitern die Unterscheidung von ‚sex’ und ‚gender’ um den Begriff der ‚sex categorie’,<br />

die als B<strong>in</strong>deglied verstanden werden kann. ‚Sex’ ist dabei nicht mehr bloß das essentielle, biologische<br />

Geschlecht, sondern vielmehr das Geschlecht, das e<strong>in</strong>em Menschen nach biologischen Kriterien, auf die sich die<br />

Gesellschaft gee<strong>in</strong>igt hat, zur Klassifizierung von ‚männlich’ und ‚weiblich’ zugewiesen wird. ‚Sex category’<br />

bezeichnet dann die tatsächliche Zuordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e der beiden Kategorien durch die Anwendung des Kriteriums.<br />

Diese Zuordnung muss im Alltag wieder und wieder erkennbar gemacht werden. Mit ‚Gender’ ist schließlich das<br />

Verhalten geme<strong>in</strong>t, dass die Praktiken der Person mit der Zuordnung zu e<strong>in</strong>em Geschlecht <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

br<strong>in</strong>gt (vgl. Faulstich-Wieland 2004: 176f.). Zur Historie des Genderbegriffs vgl. auch Deuber-Mankowsky<br />

(2008) sowie Forster (2008).<br />

7 So machen Gildemeister/Wetterer darauf aufmerksam, dass bei dieser Unterscheidung die Gefahr e<strong>in</strong>es<br />

„verlagerten Biologismus“ (Gildemeister/Wetterer 1992: 206, Herv. i. Orig.) besteht; zudem bedeute die<br />

Bipolarität der Kategorien e<strong>in</strong>e „stillschweigende[n] Parallelisierung“ (ebd.: 207).<br />

8 Beispielhaft: „Erziehungsziel Geschlechterdemokratie“ von Thies/Röhner (2000), „Do<strong>in</strong>g gender im heutigen<br />

Schulalltag“ von Faulstich-Wieland/Weber/Willems (2004) und „Männlichkeit und gymnasialer Alltag“ von<br />

Budde (2005). Die beiden letztgenannten Studien stellen beispielsweise e<strong>in</strong>e Dramatisierungstendenz der<br />

Geschlechterdifferenz durch Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer fest, die zu Stereotypisierungen führt.


auf männliche <strong>Grundschullehrer</strong> hat, darüber existieren bislang ke<strong>in</strong>e empirischen<br />

Forschungsergebnisse.<br />

Folgt man der Argumentation Wetterers, so s<strong>in</strong>d Männer wie Frauen danach bestrebt,<br />

„ihren Beruf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise auszuführen, für sich selbst zu <strong>in</strong>terpretieren und für andere<br />

darzustellen, die darauf abzielt, Geschlechtszugehörigkeit und berufliches Alltagshandeln als<br />

kongruent <strong>in</strong> Szene zu setzen“. (Wetterer 1995: 237)<br />

Horstkemper stellt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang fest, dass e<strong>in</strong>e Berufswahl, die nicht mit dem<br />

eigenen Geschlechterstereotyp kongruiert, zu speziellen Herausforderungen führt:<br />

„Zum e<strong>in</strong>en muss die Eignung für die Tätigkeit <strong>in</strong> dem gewählten Bereich immer wieder neu<br />

bewiesen werden, der Erfolgs- und Legitimationsdruck ist hoch. Dazu müssen <strong>in</strong> der Regel auch<br />

Kompetenzen und Verhaltensweisen angeeignet werden, die eher dem anderen Geschlecht<br />

zugeschrieben werden. Zum anderen muss dies aber vorsichtig ausbalanciert werden mit den<br />

Ansprüchen der Geschlechterrolle, um nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e soziale Randstellung zu geraten oder gar<br />

isoliert zu werden.“ (Horstkemper 2000: 268)<br />

Hierzu mag es nötig se<strong>in</strong>, das berufliche Handeln der Kolleg<strong>in</strong>nen umzudeuten und weibliche<br />

Professionalität zu leugnen (vgl. Geissler 1998: 113). Männer müssen ihre Arbeit so<br />

<strong>in</strong>terpretieren, dass sie „kongruent ist zur Enaktierung der Geschlechterdifferenz“<br />

(Gildemeister/Wetterer 1992: 247), um e<strong>in</strong>e Passung von beruflicher Alltagswirklichkeit und<br />

den Anwendungsbed<strong>in</strong>gungen des männlichen Habitus zu erreichen. 9 Kontos weist auf<br />

Tendenzen h<strong>in</strong>, dass Männer ihren M<strong>in</strong>derheitenstatus <strong>in</strong> Frauenberufen <strong>in</strong> die „Kostbarkeit<br />

der Seltenheit ummünzen“ (Kontos 2008: 71) und daraus Hegemonieansprüche ableiten. E<strong>in</strong>e<br />

andere Strategie kann es se<strong>in</strong>, die wenigen Aufstiegspositionen (Schulleitung, stellvertretende<br />

Schulleitung) zu besetzen. Dieses Phänomen belegen für die Grundschule statistische Daten. 10<br />

Anhand von Ausschnitten aus e<strong>in</strong>em problemzentrierten Interview (vgl. Witzel 1982) mit<br />

e<strong>in</strong>em männlichen <strong>Grundschullehrer</strong> soll im Folgenden dargelegt werden, <strong>in</strong> welchem<br />

Spannungsverhältnis sich Männer bef<strong>in</strong>den, die den Beruf des <strong>Grundschullehrer</strong>s ausüben. 11<br />

Zwischen Marg<strong>in</strong>alisierung und positiver Diskrim<strong>in</strong>ierung: Als Mann<br />

<strong>Grundschullehrer</strong> se<strong>in</strong><br />

<strong>Männliche</strong> <strong>Grundschullehrer</strong> arbeiten weitgehend ohne männliche Kollegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

gegengeschlechtlichen Beruf. Sie halten e<strong>in</strong>en Exotenstatus <strong>in</strong>ne, der ihnen gerade auch vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergrund des öffentlichen Diskurses um die Fem<strong>in</strong>isierung des Lehrerberufs <strong>in</strong>nerhalb<br />

ihres beruflichen Feldes Privilegien verschafft und sie positive Diskrim<strong>in</strong>ierungen erfahren<br />

lässt. So berichtet David, e<strong>in</strong> 32-jähriger <strong>Grundschullehrer</strong>, der an e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Grundschule<br />

mit circa 20 Kolleg<strong>in</strong>nen und zwei Kollegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er süddeutschen Großstadt unterrichtet, von<br />

e<strong>in</strong>er Besonderung auf mehreren Ebenen, die im Folgenden dargestellt werden.<br />

Die Lehrbeauftragten: „Das ist schön, dass da jetzt mal e<strong>in</strong> Mann ist.“<br />

Nach se<strong>in</strong>en Erfahrungen während des Referendariats gefragt, kommt der Interviewpartner<br />

sehr schnell auf den Geschlechteraspekt zu sprechen:<br />

Y: Und im Referendariat, was hast du da für Erfahrungen gemacht?<br />

9 Leidner (1991) zeigt <strong>in</strong> ihrer Untersuchung zu Versicherungsagenten auf, dass Männer, deren berufliche<br />

Tätigkeit Anforderungsmerkmale aufweisen, die stereotyperweise als ‚weiblich’ gelten, durch partielle<br />

Umdeutungen e<strong>in</strong>e Maskul<strong>in</strong>isierung der Tätigkeit erreichen (vgl. Knapp 2001: 175).<br />

10 So waren im Jahre 2001/02 69,9% der Schulleitungen an baden-württembergischen Grund- und Hauptschulen<br />

männlich besetzt (vgl. Roisch 2003: 40): Diese Zahlen markieren relativ genau das spiegelverkehrte Bild des<br />

quantitativen Geschlechterverhältnisses.<br />

11 Die verwendeten Zitate wurden von Dialekte<strong>in</strong>färbungen bere<strong>in</strong>igt und der besseren Lesbarkeit wegen<br />

sprachlich geglättet, sofern etwaige Besonderheiten für die Interpretation nicht relevant waren.<br />

Unterstreichungen bedeuten e<strong>in</strong>e Betonung.


D: Also jetzt im Bezug darauf dass ich e<strong>in</strong> Mann b<strong>in</strong>?<br />

Y: Ne<strong>in</strong>, generell.<br />

D: Generell, aber eigentlich ist das schon e<strong>in</strong>e Sache, die mir relativ schnell dazu e<strong>in</strong>fällt, wenn’s<br />

um die Frage geht, wie bist du so durchgekommen, und wie war das so mit den Prüfungen, hab<br />

ich schon oft zu hören bekommen gerade bei den Unterrichtsbesuchen, das ist schön, dass da<br />

jetzt mal e<strong>in</strong> Mann ist. Also von den Frauen, die ich da hatte.<br />

Der neutralen Frage des Interviewers wird mit e<strong>in</strong>er Gegenfrage begegnet. Warum sich David<br />

hier auf das Thema ‚Mannse<strong>in</strong>s’ bezieht, ist aus dem bisherigen Interviewverlauf, <strong>in</strong> dem der<br />

Aspekt ke<strong>in</strong>e Rolle spielt, nicht begründbar. Er br<strong>in</strong>gt den Genderaspekt ohne äußere<br />

Notwendigkeit, dafür nachdrücklich <strong>in</strong>s Spiel. Von der klaren Entgegnung des Interviewers,<br />

dass dieser Aspekt zunächst ke<strong>in</strong>e Rolle spiele, lässt sich David nicht beirren; zu wichtig<br />

ersche<strong>in</strong>t ihm dieser Aspekt, zu entscheidend für die Erfahrungen, von denen er zu berichten<br />

weiß. David erzählt nicht zuallererst von den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, nicht von se<strong>in</strong>en<br />

Mentor<strong>in</strong>nen und Mentoren, nicht von Lehrproben oder enttäuschten/erfüllten Erwartungen.<br />

Die zentrale Erfahrung für ihn ist tatsächlich das Mannse<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fem<strong>in</strong>isierten Berufsfeld.<br />

Die positive Diskrim<strong>in</strong>ierung, die David erfährt, geschieht, wie er betont, durch Frauen.<br />

Unabhängig von se<strong>in</strong>er Person und se<strong>in</strong>en tatsächlichen Leistungen wird ihm e<strong>in</strong> Wohlwollen<br />

entgegengebracht, das e<strong>in</strong>zig auf se<strong>in</strong>e Geschlechtszugehörigkeit gründet. Mit diesem<br />

Wohlwollen s<strong>in</strong>d implizite Erwatungen verbunden, die Davids Mannse<strong>in</strong> als zentral für<br />

jegliche Interaktion markieren. Dieser Vorgang setzt den jungen <strong>Grundschullehrer</strong> unter e<strong>in</strong>en<br />

Druck, se<strong>in</strong>e Maskul<strong>in</strong>ität <strong>in</strong> der alltäglichen Handlungspraxis unter Beweis zu stellen, <strong>in</strong>dem<br />

er sie für alle sichtbar macht. David selbst spricht von e<strong>in</strong>er „Rolle“, die zu übernehmen er<br />

aber durchaus bereit ist.<br />

Die Kolleg<strong>in</strong>nen: „Das genießen dann viele Kolleg<strong>in</strong>nen.“<br />

Den Ort, se<strong>in</strong>e Männlichkeit zu <strong>in</strong>szenieren, sieht David dabei zunächst weniger <strong>in</strong> der Arbeit<br />

mit den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, sondern <strong>in</strong> der Interaktion mit den Kolleg<strong>in</strong>nen. Über das<br />

kollegiale Mite<strong>in</strong>ander mit diesen berichtet er:<br />

„Jetzt nicht so vom Arbeiten, vom Pädagogischen, das wissen sie gar nicht, aber, können sie ja<br />

nicht beurteilen, aber e<strong>in</strong>fach das hab ich schon mal gehört auch, ich als Mann würde e<strong>in</strong>fach auch<br />

mal Sachen so e<strong>in</strong> bisschen auf den Punkt br<strong>in</strong>gen oder ja e<strong>in</strong>fach auch mal so e<strong>in</strong>en Spruch<br />

br<strong>in</strong>gen und so und ja, e<strong>in</strong> bisschen Ironie dabei haben und das; ich hab das Gefühl, das genießen<br />

dann viele Kolleg<strong>in</strong>nen, ohne dass sie selber so wären.“<br />

David sieht sehr wohl e<strong>in</strong>en Unterschied <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er pädagogischen Arbeit und jener der<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen, darauf geht er an dieser Stelle aber nicht näher e<strong>in</strong>. Die Kolleg<strong>in</strong>nen „wissen<br />

[das] gar nicht“, können die Qualität se<strong>in</strong>er Arbeit nicht beurteilen: Der ritualisierte,<br />

scherzhafte Umgang bezeichnet e<strong>in</strong>e Ebene, auf der ansche<strong>in</strong>end für e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>haltlichen<br />

Austausch über pädagogische Konzepte und die Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern ke<strong>in</strong> Raum bleibt.<br />

Dies empf<strong>in</strong>det der Interviewpartner auch nicht weiter als schlimm, wie die Kürze des<br />

E<strong>in</strong>schubs vermuten lässt. Se<strong>in</strong>e Aufgabe als Mann sieht er vielmehr <strong>in</strong> der Pflege e<strong>in</strong>es<br />

bestimmten kollegialen Umgangs mite<strong>in</strong>ander. Er verzichtet auf e<strong>in</strong>e Selbste<strong>in</strong>schätzung, der<br />

leicht e<strong>in</strong> arroganter Unterton zugeschrieben werden könnte, stattdessen berichtet er von<br />

Äußerungen von Kolleg<strong>in</strong>nen, die ihm „als Mann“ e<strong>in</strong>en analytischen Blick attestieren sowie<br />

die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Diese naturalistische<br />

Zuschreibung, die gleichwohl nebenbei Frauen diskreditiert, fasst David als Bestätigung<br />

se<strong>in</strong>er eigenen Männlichkeit auf und <strong>in</strong>tegriert sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Selbstkonzept. Neben der Fähigkeit,<br />

„Sachen so e<strong>in</strong> bisschen auf den Punkt [zu] br<strong>in</strong>gen“, wird der scherzhafte Charakter se<strong>in</strong>er<br />

Interaktionsgestaltung, die von „e<strong>in</strong> bisschen Ironie“ geprägt s<strong>in</strong>d, betont. Nicht nur er sche<strong>in</strong>t<br />

hier die ihm entsprechende Rolle gefunden zu haben, auch se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen sche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e<br />

solche Art der Kommunikation zu schätzen. Der Aspekt des Genießens wird <strong>in</strong> Anschlag


gebracht. Se<strong>in</strong>e durch das Mannse<strong>in</strong> geprägte Art tut den Kolleg<strong>in</strong>nen gut, sie schätzen diese,<br />

„ohne dass sie selbst so wären“. Deutlich wird hier die differenztheoretische Interpretation<br />

Davids, der Geschlecht bipolar denkt: Die Geschlechtszugehörigkeit bestimmt das Verhalten<br />

<strong>in</strong> naturalistischer Weise. Der freundschaftliche, scherzhafte Umgang dient dabei zum e<strong>in</strong>en<br />

als Basis für die Beziehungsgestaltung zu den Kolleg<strong>in</strong>nen, kommt gleichzeitig auch e<strong>in</strong>er<br />

Grenzziehung gleich, die das eigene Mannse<strong>in</strong> absichert.<br />

Durch die Tätigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gegengeschlechtlichen Berufsfeld ist diese Selbstvergewisserung<br />

durchaus nötig: David berichtet von Erlebnissen, bei denen er se<strong>in</strong>e Männlichkeit als e<strong>in</strong>e<br />

gefährdete erfährt.<br />

„Witzigerweise auch zum Thema Frauen und Männer, als diese Aufgaben verteilt wurden hieß es<br />

dann, ja, wir brauchen noch e<strong>in</strong>en Frauenbeauftragten oder e<strong>in</strong>en Gleichberechtigtenbeauftragten.<br />

Und da me<strong>in</strong>te irgendjemand, ja, David soll das machen. War natürlich dann e<strong>in</strong> Lacher.“<br />

David leitet se<strong>in</strong>e Erzählung mit dem Adjektiv „witzigerweise“ e<strong>in</strong>: Im Rückblick nimmt er<br />

den Vorfall nicht besonders ernst und ordnet ihn <strong>in</strong> die Kategorie der Skurrilitäten e<strong>in</strong>.<br />

Obwohl David, wie sich <strong>in</strong> der Fortführung der Passage zeigen wird, die Person, die diesen<br />

Vorschlag unterbreitet, ausmachen kann, wählt er zunächst die Bezeichnung „irgendjemand“:<br />

Der Vorschlag hätte ansche<strong>in</strong>end von jeder beliebigen Kolleg<strong>in</strong> bzw. jedem beliebigen<br />

Kollegen gemacht werden können, verkörpert er doch allen gegenüber die gleiche Rolle und<br />

besetzt e<strong>in</strong>e bestimmte Stellung im Kollegium, die ihn als jung, männlich und zu Scherzen<br />

aufgelegt markiert. Dass der Vorschlag <strong>in</strong> der Tat skurril ist, wird durch das Lachen der<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen sichtbar: „Natürlich“ lachen diese, der Vorschlag wird von David<br />

auf diese Weise per se als grotesk und absurd def<strong>in</strong>iert. In der Situation selbst zeigt David sich<br />

allerd<strong>in</strong>gs zutiefst verunsichert.<br />

„Aber ich hab <strong>in</strong> dem Moment gar nicht gewusst me<strong>in</strong>t sie das jetzt vielleicht sogar ernst, oder<br />

me<strong>in</strong>t das irgendjemand hier ernst, dass ich jetzt Gleich- weil da gibt’s dann auch so<br />

Versammlungen oder so wo man dann mit anderen von anderen Schulen zusammenhockt, und ich<br />

hatte dann halt wirklich die Vorstellung, das machen ja sowieso nur Frauen, und wenn ich da als<br />

e<strong>in</strong>ziger Mann sitze, dann käme ich mir richtig dämlich vor.“<br />

Im Moment der Äußerung f<strong>in</strong>det David die Bemerkung nicht komisch, er kann ansche<strong>in</strong>end<br />

nicht mitlachen. Er zeiht <strong>in</strong> Erwägung, dass der Vorschlag ernst geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> könnte. David<br />

fühlt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Mannse<strong>in</strong> nicht ernst genommen. In se<strong>in</strong>er Vorstellung sieht er sich<br />

bereits körperlich <strong>in</strong> Versammlungen sitzen, bei denen er der e<strong>in</strong>zige Mann ist. Die<br />

Gefühlsbeschreibung, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen fiktiven Situation „richtig dämlich“<br />

vorzukommen, spiegelt zum e<strong>in</strong>en Davids Anspruch wider, als Mann wahrgenommen zu<br />

werden, zum anderen Verärgerung. Er fühlt sich gekränkt:<br />

„Und das war schon e<strong>in</strong> bisschen so e<strong>in</strong>e Stichelei, die ich vielleicht lieber nicht gehört hätte. Weil<br />

ich sie nicht richtig e<strong>in</strong>schätzen konnte. Von der Kolleg<strong>in</strong>. Weil ich die Kolleg<strong>in</strong> auch nicht so<br />

e<strong>in</strong>schätzen konnte.“<br />

Auch wenn David im Rückblick abmildernd von e<strong>in</strong>er „Stichelei“ spricht, so werden die<br />

Verunsicherung und die Bedeutung des Vorfalls für ihn sehr plastisch. David fühlt sich<br />

öffentlich gedemütigt. Zwar beruft er sich darauf, dass se<strong>in</strong>e Verunsicherung darauf beruht,<br />

dass er die Kolleg<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>schätzen kann, doch losgelöst von der e<strong>in</strong>en Kolleg<strong>in</strong> befürchtet<br />

er hier e<strong>in</strong>en Konsens im gesamten Kollegium, der ihm se<strong>in</strong>e Männlichkeit abspricht. E<strong>in</strong> sich<br />

anschließendes, leise vorgebrachtes „Das ist jetzt nicht euer Ernst.“ im weiteren<br />

Interviewverlauf bestätigt diesen Verdacht.<br />

David sieht sich an dieser Stelle e<strong>in</strong>er Marg<strong>in</strong>alisierung ausgesetzt, wie er ansonsten <strong>in</strong><br />

verstärktem Maß durch Personen außerhalb des Feldes Grundschule erfährt.<br />

Die Mitschüler und Kommilitonen: „E<strong>in</strong>fach eben so Trallala Anfassen R<strong>in</strong>gelpiez.“


So berichtet er im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>em Berufsf<strong>in</strong>dungsprozess von der fehlenden<br />

Akzeptanz durch se<strong>in</strong>e Mitschüler angesichts se<strong>in</strong>er Berufswahl:<br />

„Also wenn ich überlege, was das für e<strong>in</strong>en Ruf hatte bei uns zu Oberstufenzeiten beispielsweise,<br />

oder auch <strong>in</strong> der Phase, wo ich mich dann entschieden hab, das zu studieren, es war mir fast<br />

pe<strong>in</strong>lich, das zu sagen. Gegenüber me<strong>in</strong>en Kumpels, also ich hab das eigentlich nicht groß so<br />

rausposaunt.“<br />

Auf den schlechten Ruf des Berufes geht David zunächst nicht näher e<strong>in</strong>, da dies se<strong>in</strong>er<br />

Auffassung nach nicht weiter erklärungsbedürftig ist. David scheut sich, se<strong>in</strong>en Berufswunsch<br />

se<strong>in</strong>en „Kumpels“ zu offenbaren. Vermutlich erwartet er gerade von anderen jungen Männern<br />

wenig Verständnis. Das Adjektiv „pe<strong>in</strong>lich“ drückt dabei e<strong>in</strong> Schamgefühl aus. Der<br />

Berufswunsch ist nicht kongruent zu Davids Geschlecht. Aus diesem Grund vermeidet er es,<br />

se<strong>in</strong>e Entscheidung öffentlich zu machen. Offensiv vertritt er se<strong>in</strong>e Berufswahl <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>erlei<br />

Weise; die Gefahr, <strong>in</strong> die Defensive zu geraten und für se<strong>in</strong> Überschreiten der<br />

Geschlechterreviere sanktioniert zu werden, veranlasst ihn, se<strong>in</strong>e Berufswahlentscheidung für<br />

sich zu behalten. Sichtbar wird an dieser Stelle Davids Verunsicherung, die nicht erst als e<strong>in</strong>e<br />

Reaktion auf Äußerungen von außen entsteht, sondern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Inneren selbst virulent ist.<br />

Auf die konkrete Nachfrage nach dem Ruf, der dem Beruf des <strong>Grundschullehrer</strong>s bzw. der<br />

<strong>Grundschullehrer</strong><strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach anhaftet, antwortet David:<br />

„Der Ruf ist e<strong>in</strong>fach, dass es ke<strong>in</strong> richtiger ernstzunehmender Beruf ist. So hatte ich das Gefühl.<br />

Dass das e<strong>in</strong>fach eben so Trallala Anfassen R<strong>in</strong>gelpiez ist, und nicht richtig pädagogische Arbeit.“<br />

Die extrem abwertende Beschreibung als „Trallala Anfassen R<strong>in</strong>gelpiez“ br<strong>in</strong>gt zum<br />

Ausdruck, dass für diesen Beruf weder e<strong>in</strong>e bestimmte Qualifikation benötigt wird, noch dass<br />

<strong>in</strong> ihm qualifizierte Arbeit geleistet wird. David beruft sich auf se<strong>in</strong> „Gefühl“; ob er mit der<br />

geschilderten Sichtweise auf den Beruf tatsächlich konfrontiert wird, bleibt ungeklärt.<br />

Sichtbar wird e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>derwertigkeitskomplex, der selbst produziert wird.<br />

Selbst während des Studiums erfährt David ke<strong>in</strong>e Anerkennung für die Wahl des<br />

Stufenschwerpunkts Grundschule:<br />

„Und da hatte ich auch so e<strong>in</strong> bisschen daran zu knabbern auch so die ersten Studienjahre dann,<br />

auch unter Studenten natürlich. Was studierst du; ja Grundschullehramt. Genauso. Genau<br />

dasselbe.“<br />

Erfährt David zuvor Ablehnung von Mitschülern, die vermutlich allgeme<strong>in</strong> nur wenig<br />

Aff<strong>in</strong>ität zu pädagogischen Berufen aufweisen, so s<strong>in</strong>d es nun Kommilitonen und<br />

Kommiliton<strong>in</strong>nen, die das Lehramt für Haupt- oder Realschulen studieren. Die<br />

verharmlosende Formulierung „e<strong>in</strong> bisschen daran zu knabbern“ täuscht darüber h<strong>in</strong>weg, dass<br />

David die verweigerte Anerkennung tief kränkt. Die erlebte Abwertung führt soweit, dass er<br />

selbst <strong>in</strong>s Zweifeln gerät über die Qualifikation, die für die professionelle Ausübung se<strong>in</strong>es<br />

Berufes notwendig ist. So berichtet er, dass er erst während des Referendariats begreift,<br />

welche Anforderungen der Beruf tatsächlich stellt:<br />

„Und erst seit ich <strong>in</strong> dem Beruf dr<strong>in</strong> b<strong>in</strong>, eigentlich seit dem Referendariat, hab ich kapiert, dass es<br />

e<strong>in</strong> eigentlich e<strong>in</strong> absolut, oder nicht eigentlich; dass es e<strong>in</strong> absolut, ja e<strong>in</strong> absoluter Beruf ist mit<br />

hohen Anforderungen und wo man wirklich professionell arbeiten muss, sonst geht man unter. Das<br />

ist ganz klar.“<br />

David betont die für den Beruf notwendige Professionalität und verschafft dem Beruf so das<br />

auch für se<strong>in</strong> eigenes Selbstwertgefühl notwendige Prestige. Erst <strong>in</strong> der täglichen Praxis<br />

gelangt er zu dieser E<strong>in</strong>schätzung, die ihn im Weiteren vor den Vorbehalten se<strong>in</strong>er<br />

feldfremden Umgebung schützt. Se<strong>in</strong>e Erfahrungen veranlassen ihn, die zunächst mit dem<br />

Abtönungspartikel „eigentlich“ weich e<strong>in</strong>geleitete Feststellung zu korrigieren und e<strong>in</strong><br />

„absolut“ dagegenzusetzen: Se<strong>in</strong>e Position steht nicht weiter zur Diskussion. Fehlt die<br />

professionelle Haltung, dann „geht man unter“. Dieses Untergangsszenario verlangt weiter


ke<strong>in</strong>e Erklärung, denn es ist als unumstößliche Tatsache „ganz klar“. Die Vehemenz se<strong>in</strong>er<br />

Argumentation markiert sie Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Selbstvergewisserung und e<strong>in</strong>er<br />

nachträglichen Legitimierung der Berufswahl. Angesichts der Marg<strong>in</strong>alisierung, die er zuvor<br />

erlebt, wird diese umso e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glicher vorgebracht. David verstärkt se<strong>in</strong>e Aussage, <strong>in</strong>dem er<br />

die Besonderheiten der Arbeit an Grundschulen betont:<br />

„Aber <strong>in</strong> der Grundschule muss man ja so viel können, ich mach ja alle Fächer, ich muss ja überall<br />

was bieten können, dazu noch äh diese erzieherischen D<strong>in</strong>ge, die auch zunehmend anstrengender<br />

werden.“<br />

Die Betonung <strong>in</strong> dieser Sequenz stellt die hohen Anforderungen heraus, weist schon be<strong>in</strong>ahe<br />

<strong>in</strong> die Richtung e<strong>in</strong>er Überforderung. Von der unbestimmten Form „man“ gelangt David zum<br />

„ich“, um sich als beweisendes Beispiel e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen: Man muss etwas können, er muss<br />

etwas bieten, und zwar auf vielen verschiedenen Fachgebieten. Als ob dies nicht genug ist,<br />

kommen „diese erzieherischen D<strong>in</strong>ge“ h<strong>in</strong>zu; zu den fachwissenschaftlichen bzw.<br />

fachdidaktischen Anforderungen, die zunächst als Argumentation für die Notwendigkeit von<br />

Professionalität angeführt werden, tritt ergänzend die erzieherische Seite der Arbeit. Die<br />

gewählte Reihenfolge ist vermutlich dem vorherrschenden Bild des Berufs geschuldet. Die<br />

erzieherische Leistung wird vermutlich noch eher gesehen und anerkannt, der<br />

fachwissenschaftliche Aspekt sowie der fachdidaktische Anspruch werden <strong>in</strong> der<br />

Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen. Daher müssen diese zuerst betont werden. Auch<br />

diese Passage fungiert als Legitimation für die eigene Tätigkeit <strong>in</strong> der Grundschule. Denn<br />

selbst wenn David <strong>in</strong>zwischen zu se<strong>in</strong>er Berufswahl stehen kann, so sieht er sich nach wie vor<br />

e<strong>in</strong>em Rechtfertigungsdruck ausgesetzt:<br />

„Aber es hat sicherlich viel damit zu tun, dass es so e<strong>in</strong> bisschen wie so so e<strong>in</strong> n- n- ja, Familie,<br />

also als ob das so ist wie die Hausfrau mit den K<strong>in</strong>dern die Erziehung macht, so was mach ich halt<br />

<strong>in</strong> der Schule. So irgendwie.“<br />

David beschreibt das Bild se<strong>in</strong>es Berufs mit der Sichtweise von Lehrtätigkeit als familiennahe<br />

Tätigkeit. Die Nähe se<strong>in</strong>er Tätigkeit zum Reproduktionsbereich, der weiblich konnotiert und<br />

im Begriff der „Hausfrau“ se<strong>in</strong>e symbolische Zuspitzung erfährt, spiegelt noch e<strong>in</strong>mal die tief<br />

greifende Verunsicherung wider, die David mit se<strong>in</strong>er Berufswahl verb<strong>in</strong>det: Er als Mann übt<br />

e<strong>in</strong>e Tätigkeit – und diese gar als Beruf - aus, die normalerweise Frauen quasi nebenbei als<br />

Hausfrauen bewerkstelligen. Auch wenn David den professionelles Handeln erfordernden<br />

Charakter se<strong>in</strong>er Tätigkeit betont, so steht se<strong>in</strong>e Berufswahl doch im Widerspruch zu se<strong>in</strong>er<br />

Geschlechtszugehörigkeit und zu den Aufgaben, denen er sich als Mann eigentlich stellen<br />

sollte.<br />

Die Eltern: „Wie toll das da ist, dass da e<strong>in</strong> Mann ist.“<br />

Dieser Widerspruch stellt für die Eltern der Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler dah<strong>in</strong>gegen ke<strong>in</strong><br />

Problem dar. Im Gegenteil: Sie unterstellen David schon alle<strong>in</strong> auf Grund se<strong>in</strong>es Geschlechts<br />

Professionalität, sodass sie sich ihn explizit als Lehrer für ihre K<strong>in</strong>der wünschen. David<br />

berichtet:<br />

„Aber auch von dem Arbeiten mit den K<strong>in</strong>dern, da höre ich sehr oft, also habe ich <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren immer wieder gehört, auch von der Elternseite; wie toll das da ist, dass da e<strong>in</strong> Mann ist, wie<br />

wichtig das wäre.“<br />

Davids Mannse<strong>in</strong> verleiht ihm <strong>in</strong> der Wahrnehmung der Eltern e<strong>in</strong>en positiven Status, den er<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er späteren Passage selbst als „Männerbonus“ bezeichnet. Die zunächst allgeme<strong>in</strong><br />

gehaltene Feststellung wird belegt mit dem Verhalten der Elternschaft. David benutzt das<br />

Gradpartikel „sehr“, betont dieses noch, um se<strong>in</strong>e Aussage zu unterstreichen. Auch die<br />

Beschreibung mit Hilfe der Adverbien „immer wieder“ dient dieser Funktion. Se<strong>in</strong> exklusiver


Status als Mann wird wertgeschätzt. Das Adjektiv „toll“ erfährt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Ausgestaltung<br />

<strong>in</strong> Form von „wichtig“.<br />

Dieses „wichtig“ bezieht David im weiteren Verlauf des Interviews auf Scheidungsk<strong>in</strong>der, für<br />

die er die E<strong>in</strong>schätzung der Eltern teilt:<br />

„Ja und das hat me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach auch ganz viel damit zu tun, dass man zunehmend<br />

Scheidungsk<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Klasse hat, ich schon auch merke, welche K<strong>in</strong>der, ich weiß es ja natürlich<br />

auch, wer jetzt gar ke<strong>in</strong>en Papa zu Hause hat, welche K<strong>in</strong>der das dann irgendwo brauchen. Das<br />

merke ich e<strong>in</strong>deutig.“<br />

David legitimiert die Erwartungen der Eltern über die Problematik zerfallender<br />

Familienstrukturen. Von e<strong>in</strong>em recht schwach formulierten „irgendwo brauchen“ gelangt<br />

David schließlich zu e<strong>in</strong>em „e<strong>in</strong>deutig“, das ke<strong>in</strong>e Zweifel an se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung zulässt. Er<br />

selbst rückt sich <strong>in</strong> dieser Passage an die Stelle e<strong>in</strong>es Vaterersatzes. Die Verwendung der<br />

emotionalisierenden Bezeichnung „Papa“ anstelle des nüchternen Begriffs ‚Vaters’<br />

unterstreicht dabei die Orientierung Davids am Modell familiärer Erziehung als Rahmung<br />

se<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> der Grundschule.<br />

David berichtet von e<strong>in</strong>er konkreten Situation, die se<strong>in</strong>e Argumentation stützt:<br />

„Ganz <strong>in</strong>teressant vielleicht: Auf den Bögen, die also damals von me<strong>in</strong>er Klasse, als Erstklässler,<br />

da steht ja so dr<strong>in</strong> mit welchen Freunden die gern zusammenkommen wollen und so weiter, dass<br />

die Schule weiß, woh<strong>in</strong> sie die K<strong>in</strong>der h<strong>in</strong>verteilen, und da stand bei e<strong>in</strong>em Jungen dann dabei,<br />

dass, also wenn möglich, bei e<strong>in</strong>em Lehrer. Bei e<strong>in</strong>em strengen, konsequenten Lehrer. Das war so<br />

der Wunsch der Eltern von e<strong>in</strong>em Scheidungsk<strong>in</strong>d.“<br />

Die Eltern e<strong>in</strong>es Scheidungsk<strong>in</strong>des missbrauchen das Anmeldeformular für die Äußerung<br />

e<strong>in</strong>es Wunsches nach e<strong>in</strong>em männlichen Lehrer. Ob die Eltern gleichzeitig die Zuschreibung<br />

‚männlich = streng und konsequent’ vornehmen oder diese Eigenschaften gleichberechtigt<br />

neben der ersten stehen, geht aus der Schilderung nicht hervor. David selbst stellt den<br />

Zusammenhang her, beleuchtet ihn jedoch im Folgenden kritisch:<br />

„Und da hab ich dann auch so überlegt, ja warum eigentlich. Also es könnte ja auch se<strong>in</strong>, dass ich,<br />

also die konnten mich ja nicht e<strong>in</strong>schätzen, ich war halt e<strong>in</strong>fach nur männlich. Aber es hätte ja se<strong>in</strong><br />

können, dass ich den Laden überhaupt nicht im Griff habe und total überfordert b<strong>in</strong>, und e<strong>in</strong>e<br />

Kolleg<strong>in</strong> da super ihre L<strong>in</strong>ie fährt und da den Jungen <strong>in</strong> den Griff kriegt. Aber das war auch schon<br />

so dieses positive Vorurteil, na ja, der Mann, der macht das sicher streng.“<br />

David nimmt den Elternwunsch nicht selbstverständlich h<strong>in</strong>, sondern setzt sich reflexiv mit<br />

ihm ause<strong>in</strong>ander und stellt überkommene Geschlechterklischees zur Debatte. Se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige<br />

sichtbare ‚Qualifikation’ besteht zuerst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Geschlechtszugehörigkeit, die aber<br />

weiter nichts über se<strong>in</strong>e professionelle Arbeit aussagt. Die Formulierung „e<strong>in</strong>fach nur“ stellt<br />

e<strong>in</strong>e naturalistische Verb<strong>in</strong>dung von Geschlecht und Professionalität massiv <strong>in</strong> Frage. Im<br />

Konjunktiv skizziert er e<strong>in</strong> Szenarium, das durchaus denkbar sei: E<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> könne<br />

grundsätzlich geeigneter se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>en „Jungen <strong>in</strong> den Griff“ zu bekommen. Die<br />

Zuschreibung der Eltern bezeichnet David als „positives Vorurteil“, erkennt also e<strong>in</strong>erseits<br />

den Vorteil, den er durch die vorgenommene Zuschreibung hat, weist diesen Vorteil aber als<br />

Stereotypisierung zurück. Durchsetzungsfähigkeit und Konsequenz sieht David nicht an das<br />

Geschlecht des Lehrers oder der Lehrer<strong>in</strong> gebunden. Die Legitimität der Erwartungen, die an<br />

ihn aufgrund se<strong>in</strong>er Geschlechtszugehörigkeit gestellt werden, stellt er <strong>in</strong> Frage. Als<br />

Nebeneffekt gel<strong>in</strong>gt es David mit dieser Aussage, se<strong>in</strong>e eigene Durchsetzungsfähigkeit <strong>in</strong>s<br />

Spiel zu br<strong>in</strong>gen: Es „hätte ja se<strong>in</strong> können“, dass er über e<strong>in</strong>e solche gar nicht verfügt: Es ist<br />

aber nicht so. Der verwendete Konjunktiv ist e<strong>in</strong> Konjunktiv Irrealis, David ist se<strong>in</strong>er Aufgabe<br />

durchaus gewachsen. Da David den Kausalzusammenhang ‚männlich = streng’ aufhebt, kann<br />

er gleich anschließend klarstellen, dass er nicht autoritär auftritt, ohne se<strong>in</strong> Mannse<strong>in</strong> zu<br />

gefährden:


„Ich b<strong>in</strong> eigentlich nicht streng. Also ich b<strong>in</strong> nicht so e<strong>in</strong>er also von der alten Schule oder so. Aber<br />

dass dann doch irgendwo geglaubt wird, die männliche Ausstrahlung lässt die K<strong>in</strong>der eher, oder<br />

diszipl<strong>in</strong>iert die K<strong>in</strong>der eher als die weibliche. Und ich stand oft genug da vor der Klasse und hab<br />

gedacht, verdammt, mir hört ke<strong>in</strong>er zu oder so. Diesen Bonus bei den K<strong>in</strong>dern, dann zu sagen, ja,<br />

jetzt ihr habt e<strong>in</strong>en Mann vor euch; haha, hier, ich kann <strong>in</strong> Ruhe Unterricht machen; das ist nicht<br />

so.“<br />

Das Abtönungspartikel „eigentlich“ wird durch die Betonung der Negation des Strengse<strong>in</strong>s<br />

sofort aufgehoben. Die Aussage Davids ist e<strong>in</strong>deutig, soll auch so verstanden werden, denn<br />

Strenge setzt er mit „der alten Schule“, also mit autoritärem Gebaren gleich. Verwunderlich<br />

f<strong>in</strong>det er die Erwartung, dass alle<strong>in</strong> die „männliche Ausstrahlung“ genüge, K<strong>in</strong>der zu<br />

diszipl<strong>in</strong>ieren. Indem David von e<strong>in</strong>er geschlechtsgebundenen Ausstrahlung spricht, weist er<br />

gleichwohl darauf h<strong>in</strong>, dass es durchaus Geschlechterdifferenzen gibt. Diese s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

grundgelegten Habitus verankert, allerd<strong>in</strong>gs nicht an bestimmte Eigenschaften – wie<br />

beispielsweise Strenge – gebunden. Auch wenn er für sich selbst e<strong>in</strong>e „männliche<br />

Ausstrahlung“ beansprucht, lehrt ihn die Erfahrung, dass diese alle<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Garant für e<strong>in</strong>en<br />

störungsfreien Unterricht darstellt: „Oft genug“ hat er erlebt, dass die Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler ihm nicht die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er sich wünscht. David entwirft<br />

e<strong>in</strong>e grotesk anmutende, überspitzte Situationsbeschreibung, <strong>in</strong> der ‚Mann’ sich vor die<br />

Klasse stellt und das Mannse<strong>in</strong> erfolglos als verbal formuliertes Argument für e<strong>in</strong>en<br />

störungsfreien Unterricht e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt. Durch die Darstellung dieser absurden Situation koppelt<br />

David das eigene partielles Versagen im Bezug auf Autorität von der Kategorie Geschlecht<br />

ab. Es gel<strong>in</strong>gt ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em reflexiven Akt, dennoch Mann zu se<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>e geschlechtliche<br />

Identität zu wahren, auch wenn er die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllt.<br />

Zusammenfassung<br />

Davids Situation als männlicher <strong>Grundschullehrer</strong> ist von e<strong>in</strong>er tief greifenden<br />

Verunsicherung geprägt. Schon während der Berufswahlphase erfährt er e<strong>in</strong>e Abwertung des<br />

von ihm angestrebten Berufes. Der Beruf des <strong>Grundschullehrer</strong>s ist für se<strong>in</strong>e Schulfreunde,<br />

aber auch für ihn selbst, e<strong>in</strong>deutig weiblich konnotiert. Er selbst bezeichnet es als „pe<strong>in</strong>lich“,<br />

se<strong>in</strong>e Berufswahl offenbaren zu müssen, kommt die angestrebte Tätigkeit doch derjenigen<br />

e<strong>in</strong>er „Hausfrau“ gefährlich nahe. Davids Verunsicherung rührt von ‚Gender Trouble’, der <strong>in</strong><br />

der Nichtpassung des Berufs mit se<strong>in</strong>er Geschlechtszugehörigkeit begründet liegt. Das<br />

Erleben e<strong>in</strong>er Nichtpassung f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e Fortsetzung während des Studiums durch die<br />

abwertenden Reaktionen von Kommiliton<strong>in</strong>nen und Kommilitonen, die andere Lehrämter als<br />

das der Grundschule studieren.<br />

Dieser Marg<strong>in</strong>alisierung stehen die positiven Reaktionen se<strong>in</strong>er Lehrbeauftragten auf ihn als<br />

Mann während des Referendariats, aber auch der Vertrauensvorschuss seitens der Eltern<br />

sowie die Zuschreibungen der Kolleg<strong>in</strong>nen nach dem Ende se<strong>in</strong>er Ausbildung diametral<br />

entgegen. Dennoch irritiert ihn auch diese Form der positiven Diskrim<strong>in</strong>ierung. Für ihn ist es<br />

nicht ersichtlich, warum er von Lehrbeauftragten, von Kolleg<strong>in</strong>nen und Eltern auf Grund<br />

se<strong>in</strong>er Geschlechtszugehörigkeit e<strong>in</strong>e Besonderung erfährt. Er stellt die Zuschreibungen, die<br />

ihm als männlichen <strong>Grundschullehrer</strong> entgegengebracht werden, vehement <strong>in</strong> Frage, setzen<br />

diese ihn doch unter e<strong>in</strong>en hohen Erwartungsdruck. Er gerät erneut <strong>in</strong> die Gefahr, nicht als<br />

‚echter Mann’ zu gelten, wenn er die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen kann.<br />

Davids Verunsicherung wird am deutlichsten sichtbar, als er davon erzählt, wie e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong><br />

ihn als Gleichstellungsbeauftragten vorschlägt. Er fühlt sich zutiefst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Maskul<strong>in</strong>ität<br />

angegriffen, kann den Vorschlag weder e<strong>in</strong>ordnen noch auf ihn souverän reagieren. Hier zeigt<br />

sich, unter welchem enormen Druck David steht, se<strong>in</strong>e eigene Männlichkeit unter Beweis<br />

stellen zu müssen. Gerade weil David durch se<strong>in</strong>e Berufswahl e<strong>in</strong> gegengeschlechtliches<br />

Geschlechterrevier betreten hat, ist es notwendig, Grenzziehungen anzustreben, die die eigene


Geschlechtszugehörigkeit markieren. Werden diese Grenzen überschritten, so empf<strong>in</strong>det der<br />

Interviewpartner dies als Angriff auf se<strong>in</strong>e mühsam abgesicherte geschlechtliche Identität.<br />

Die Interviewpassagen mit David lassen sich als e<strong>in</strong>e Geschichte der – negativen wie<br />

positiven – Diskrim<strong>in</strong>ierung und Verunsicherung lesen, die <strong>in</strong> bestimmten Handlungspraxen<br />

bewältigt werden muss. Die Bewältigungsstrategien, die hierzu verfolgt werden, ersche<strong>in</strong>en<br />

von außen betrachtet vielleicht nicht immer durchdacht. Dennoch zieht sich durch das<br />

gesamte Interview e<strong>in</strong> Faden der Reflexion. Das Geschlechterverhältnis und die damit<br />

e<strong>in</strong>hergehenden Rollenzuweisungen werden zwar aktiv mitgeformt und mitgestaltet, von e<strong>in</strong>er<br />

Selbstverständlichkeit kann dabei aber ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>. Immer wieder gerät David <strong>in</strong>s<br />

Nachdenken und stellt Zuschreibungen <strong>in</strong> Frage. Er besteht darauf, als Person und nicht als<br />

Mann wahrgenommen zu werden, egal, ob er negative oder positive Diskrim<strong>in</strong>ierungen auf<br />

Grund se<strong>in</strong>er Geschlechtszugehörigkeit erfährt. Das Nachdenken Davids ist dabei ke<strong>in</strong><br />

flüchtiges und situatives; auch wenn er zu ke<strong>in</strong>en befriedigenden Antworten gelangt, so ist<br />

doch e<strong>in</strong> echtes Denk-Handeln erkennbar, mit dem er aus der Distanz heraus auf die<br />

Interaktionen zurückblickt. 12<br />

Ausblick und Perspektiven<br />

Die Kategorie Geschlecht wirkt, wie sichtbar gemacht werden konnte, strukturiert und<br />

strukturierend auf die Handlungspraxis, die wiederum als e<strong>in</strong>e vergeschlechtlichte und<br />

vergeschlechtlichende zu bezeichnen ist. Als Bezugsrahmen dient dabei das gesellschaftliche<br />

Geschlechterverhältnis, das nach wie vor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em essentialistischem S<strong>in</strong>n bipolar<br />

ausgerichtet ist und nach E<strong>in</strong>deutigkeit verlangt. Grenzüberschreitungen – <strong>in</strong> welcher Form<br />

auch immer – werden sanktioniert. Selbst die e<strong>in</strong>gangs rezitierten Forderungen nach e<strong>in</strong>er<br />

höheren Quote von männlichen <strong>Grundschullehrer</strong>n s<strong>in</strong>d zunächst als abstrakte Formel zu<br />

betrachten: Nur als solche werden sie unterstützt. Männer, die sich tatsächlich für e<strong>in</strong>e<br />

Tätigkeit im Feld Grundschule entscheiden, s<strong>in</strong>d nach wie vor massiven Vorbehalten und<br />

Dist<strong>in</strong>ktionen ausgesetzt, die <strong>in</strong> der Leugnung der Professionalität des Berufs sowie <strong>in</strong> der<br />

Aberkennung der Männlichkeit ihren Ausdruck f<strong>in</strong>den.<br />

Aufgezeigt werden konnte der Spagat, den männliche <strong>Grundschullehrer</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

gegengeschlechtlichen Berufsfeld vollbr<strong>in</strong>gen müssen. Auf der e<strong>in</strong>en Seite sehen sie sich<br />

e<strong>in</strong>er Marg<strong>in</strong>alisierung vor allem durch feldfremde Personen aufgrund der Nichtpassung ihres<br />

Geschlechts und ihrer Tätigkeit ausgesetzt. Das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> das ‚falsche’<br />

Geschlechterreviere wird mit der Anzweiflung oder gar Aberkennung der Männlichkeit<br />

sanktioniert. Auf der anderen Seite erfahren männliche <strong>Grundschullehrer</strong> gerade <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Feldes e<strong>in</strong>e positive Diskrim<strong>in</strong>ierung, die ihre Geschlechtszugehörigkeit ebenso stark betont<br />

und ihr Mannse<strong>in</strong> <strong>in</strong> allen Interaktionen <strong>in</strong> den Vordergrund rückt. Mit dieser Form der<br />

Besonderung werden stereotypisierende Erwartungen verbunden, deren Nichterfüllung<br />

nahezu unmöglich ersche<strong>in</strong>t. E<strong>in</strong>e Zurückweisung und Verweigerung käme auch hier e<strong>in</strong>em<br />

Verlust der eigenen Männlichkeit gleich. Die auf beiden Ebenen vorgenommene<br />

Dramatisierung von Geschlecht verlangt nach Formen der Berufsausübung, die als besonders<br />

männlich gelten. Der <strong>Grundschullehrer</strong> ist aufgefordert, e<strong>in</strong>en Gegenpol zum<br />

Professionsverständnis se<strong>in</strong>er weiblichen Kolleg<strong>in</strong>nen zu bilden und sich <strong>in</strong> komplementären<br />

Kontrast zu diesen setzen. Ob dies der Entwicklung e<strong>in</strong>es professionellen Selbst zuträglich ist,<br />

muss bezweifelt werden.<br />

Lehrern – und Lehrer<strong>in</strong>nen – müssen nicht zuletzt auf Grund des gesellschaftlichen Prestiges<br />

des Berufes als Frauenberuf Wege aufgezeigt werden, mit den geschlechtsspezifischen<br />

Zuschreibungen konstruktiv umzugehen. Hierzu ist zunächst e<strong>in</strong>e Dramatisierung der<br />

12 Hier<strong>in</strong> unterscheidet sich David im Übrigen von allen anderen Interviewpartnern, die im Rahmen der<br />

ausführlichen Studie zum beruflichen Habitus männlicher <strong>Grundschullehrer</strong> durchgeführt wurde. Während bei<br />

ihm <strong>in</strong>sgesamt von e<strong>in</strong>em reflexivem Habitus gesprochen werden kann, ist dies bei <strong>Grundschullehrer</strong>n, die sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er (prekären) Sicherheit des Geschlechterverhältnisses wähnen, nicht der Fall (vgl. Baar i.E. 2009).


Kategorie Geschlecht notwendig, um diese anschleißend entdramatisieren zu können (vgl.<br />

Budde 2005). Da das geschlechtliche Se<strong>in</strong> nicht losgelöst von personalen Identitätskonzepten<br />

existiert (vgl. Maihofer 1994), stellt dies sicherlich ke<strong>in</strong> leichtes Unterfangen dar. Die<br />

voraussehbare Verunsicherung muss dabei allerd<strong>in</strong>gs als Ressource begriffen werden, die für<br />

das Erlangen e<strong>in</strong>es reflexiven Habitus genutzt werden kann – wie auch der oben dargestellte<br />

Fall David zeigt. Dieser Herausforderung muss sich die Lehrerausbildung und –weiterbildung<br />

stellen, um die bipolare Geschlechterkultur (nicht nur) <strong>in</strong> den Schulen als Konstruktionen zu<br />

entlarven. Gel<strong>in</strong>gen kann dies durch die Vermittlung von Genderkompetenz, die das<br />

Verhalten und die E<strong>in</strong>stellungen von Frauen und Männern sowie von Mädchen und Jungen als<br />

kulturell bed<strong>in</strong>gt erkennt und <strong>in</strong> der Folge beiden Geschlechtern – jenseits von stereotypisierenden<br />

Zuschreibungen –<strong>in</strong>dividuelle und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.<br />

Der didaktische Dreischritt ‚Sensibilisierung – Wissen – Können’ <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er<br />

alle Schritte begleitenden Reflexion ersche<strong>in</strong>t dabei besonders geeignet, um e<strong>in</strong> theoriebasiertes<br />

Wissen auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong> schulbezogenes Handlungsrepertoire zu transferieren.<br />

Literatur:<br />

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