Gender-Aspekte in Studium und Schule
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Lehrer/<strong>in</strong>nenbildung <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />
<strong>Gender</strong>-<strong>Aspekte</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Studium</strong> <strong>und</strong> <strong>Schule</strong><br />
Zur <strong>Gender</strong>-Kompetenz von angehenden Lehrkräften<br />
<strong>und</strong> dem Versuch e<strong>in</strong>es (Re)Image<strong>in</strong>g des Gr<strong>und</strong>schullehramts<br />
Als Mitarbeiter<strong>in</strong>nen im Gleichstellungsbüro<br />
s<strong>in</strong>d wir für gleichstellungsfördernde<br />
Maßnahmen an<br />
der Hochschule zuständig <strong>und</strong><br />
engagieren uns für e<strong>in</strong>e gender- <strong>und</strong> diversitätsgerechte<br />
Hochschulkultur. Was<br />
können wir für die Lehrer/<strong>in</strong>nenbildung<br />
tun? Es liegt nahe, dass wir uns auf e<strong>in</strong>er<br />
gleichstellungspolitischen Ebene bewegen,<br />
jedoch das Pädagogische <strong>in</strong> unserer Arbeit<br />
nicht außer Acht lassen können. Als Ausbildungshochschule<br />
<strong>und</strong> Weiterbildungs<strong>in</strong>stitution<br />
steht die Pädagogische Hochschule<br />
mit <strong>in</strong> der Verantwortung, e<strong>in</strong>e<br />
geschlechtergerechte Schulkultur weiterzuentwickeln<br />
<strong>und</strong> dafür auch die <strong>Gender</strong>thematik<br />
<strong>in</strong> die Ausbildungs<strong>in</strong>halte zu<br />
<strong>in</strong>tegrieren. Für angehende Lehrer <strong>und</strong><br />
Lehrer<strong>in</strong>nen sollte die Kategorie <strong>Gender</strong><br />
zur pädagogischen Reflexion des Schulalltags<br />
dazugehören. <strong>Gender</strong>-Kompetenz<br />
ist für Lehrkräfte e<strong>in</strong>e immer stärker geforderte<br />
Gr<strong>und</strong>kompetenz, die (Selbst-)<br />
Reflexionskompetenz <strong>und</strong> Handlungskompetenz<br />
be<strong>in</strong>haltet. Das bedeutet, „dass<br />
Lehrkräfte reflektieren, welche Auswirkungen<br />
ihre Unterrichtsgestaltung, die Wahl<br />
der Methoden, aber auch die Interaktionen<br />
mit den Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern für die<br />
Herstellung von Geschlecht haben“. 1<br />
Im Folgenden werden zwei aktuelle<br />
Maßnahmen dargestellt, die das Gleichstellungsbüro<br />
im Rahmen des Professor<strong>in</strong>nenprogramms<br />
bearbeitet: die Integration<br />
von <strong>Gender</strong>leitfragen <strong>in</strong> die schulpraktischen<br />
Studien <strong>und</strong> die Akquirierung von<br />
Männern für das Gr<strong>und</strong>schullehramt.<br />
Integration von <strong>Gender</strong>-Leitfragen <strong>in</strong><br />
die schulpraktischen Studien<br />
Wir starteten mit e<strong>in</strong>em Modellversuch,<br />
die <strong>Gender</strong>perspektive anhand von<br />
<strong>Gender</strong>-Leitfragen <strong>in</strong> die B1-Praktika zu<br />
<strong>in</strong>tegrieren. Dozent/<strong>in</strong>nen aus der Erziehungswissenschaft<br />
unterstützten unser<br />
Vorhaben <strong>und</strong> leiteten die <strong>Gender</strong>-Leitfragen,<br />
die sich <strong>in</strong> drei Ebenen gliedern, an<br />
ihre Studierenden weiter.<br />
- Die Beobachtung von Jungen <strong>und</strong> Mädchen<br />
h<strong>in</strong>sichtlich des Interaktionsverhaltens,<br />
des Sozialverhaltens <strong>und</strong> der<br />
Unterrichtsbeteiligung: Wie nehme ich<br />
Interaktionen unter Mädchen <strong>und</strong> wie<br />
unter Jungen wahr? Was fällt mir bei der<br />
Unterrichtsbeteiligung von Mädchen <strong>und</strong><br />
Jungen auf?<br />
- Die didaktische Ebene: S<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Unterrichtsmaterialien<br />
so konzipiert, dass sie<br />
vielfältige Identifikationsmöglichkeiten<br />
für Jungen <strong>und</strong> Mädchen be<strong>in</strong>halten oder<br />
s<strong>in</strong>d geschlechtstypische Rollenbilder enthalten?<br />
- Die (Selbst-)Reflexionsebene: Inwiefern<br />
empf<strong>in</strong>de ich mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Rolle als<br />
Frau/Mann als Vorbild für me<strong>in</strong>e Schüler<br />
<strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen?<br />
Die gewonnenen Erfahrungen wurden<br />
von den Studierenden separat, im<br />
Rahmen der B1-Praktikaberichte, aufgeschrieben<br />
<strong>und</strong> vom Gleichstellungsbüro<br />
zusammengefasst <strong>und</strong> kategorisiert. Zum<br />
Abschluss haben wir die Studierenden zu<br />
e<strong>in</strong>er offenen Reflexionsr<strong>und</strong>e e<strong>in</strong>geladen,<br />
<strong>in</strong> der wir konstruktive Rückmeldungen<br />
erhielten sowie die positive Resonanz aller<br />
Beteiligten, die uns bestätigte, die Weiterentwicklung<br />
der <strong>Gender</strong>-Leitfragen für die<br />
Praktika auszubauen.<br />
Von der Idee zur Wirklichkeit<br />
Die zugr<strong>und</strong>eliegende Idee ist es, den<br />
Erfahrungsraum <strong>Schule</strong> zu nutzen, um<br />
Studierende anzuregen ihre <strong>Gender</strong>konstruktion<br />
vom Jungen- <strong>und</strong> Mädchense<strong>in</strong><br />
zu h<strong>in</strong>terfragen. Diese erweiterte Perspektive<br />
dient der (Selbst)Reflexion <strong>und</strong><br />
der Entwicklung von Handlungskompetenz<br />
für geschlechterbewusstes Handeln<br />
<strong>in</strong> der <strong>Schule</strong>. Durch die Leitfragen lernen<br />
die Studierenden kontextbezogen, situa-<br />
Camilla Granz<strong>in</strong> · Anja Bechste<strong>in</strong><br />
tions- <strong>und</strong> prozessorientiert <strong>und</strong> nähern<br />
sich so der <strong>Gender</strong>thematik mit e<strong>in</strong>em<br />
differenzierten Blick, auf <strong>in</strong>teraktive Art<br />
<strong>und</strong> Weise.<br />
Um unserem Vorhaben noch e<strong>in</strong>e nachhaltigere<br />
Note zu verleihen, braucht es<br />
natürlich die gendertheoretische Wissensvermittlung.<br />
Die Lehre könnte hier hervorragend<br />
an die Beobachtungen <strong>und</strong> Erfahrungen<br />
der Studierenden anschließen <strong>und</strong><br />
beispielsweise e<strong>in</strong>e Sem<strong>in</strong>arveranstaltung<br />
unter dem Titel: „Wissenschaftliche Reflexion<br />
zu Geschlechteraspekten aus dem<br />
Schulalltag“ anbieten.<br />
Um nachhaltig <strong>Gender</strong>-Inhalte <strong>in</strong> die<br />
Ausbildung von zukünftigen Lehrkräften<br />
zu <strong>in</strong>tegrieren, ist unserer Me<strong>in</strong>ung<br />
nach die Ebene der schulpraktischen Studien<br />
äußerst s<strong>in</strong>nvoll. Strukturell werden<br />
sehr viele Studierende über die Praktika<br />
erreicht, auf der schulpraktischen Ebene<br />
werden sie so angeregt, die Kategorie<br />
Geschlecht im Schulalltag zu reflektieren,<br />
was auf der Ebene der Lehre vertieft werden<br />
sollte.<br />
Akquirierung von Männern für das<br />
Gr<strong>und</strong>schullehramt<br />
E<strong>in</strong>e „gr<strong>und</strong>legend andere Sicht auf die<br />
Bedeutung pädagogischer Arbeit mit K<strong>in</strong>dern“<br />
2 forderte der Psychologe Tim Rohrmann<br />
– unter anderem mit den Arbeitsschwerpunkten<br />
Entwicklungspsychologie<br />
<strong>und</strong> <strong>Gender</strong> <strong>in</strong> der Elementarpädagogik –<br />
auf e<strong>in</strong>er Fachtagung zu männlichen <strong>und</strong><br />
weiblichen Berufswahlstrategien <strong>in</strong> Hamburg.<br />
Sie sei „ke<strong>in</strong> ‚K<strong>in</strong>derkram’, sondern<br />
e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle <strong>und</strong> herausfordernde<br />
Aufgabe“ 3 , so Rohrmann.<br />
Statistiken zu männlichen Bildungsverlierern<br />
haben das Thema <strong>in</strong>zwischen<br />
zur Chefsache aufsteigen lassen, wie das<br />
eigens e<strong>in</strong>gerichtete Referat zur Jungen-Förderung<br />
im B<strong>und</strong>esfamilienm<strong>in</strong>isterium<br />
deutlich macht. „Aus vielen<br />
ph·fr 2011/1
Untersuchungen wissen wir: Jungen bekommen<br />
schlechtere Noten, gehen häufiger<br />
auf Hauptschulen <strong>und</strong> brechen eher<br />
die <strong>Schule</strong> ab. Das hat auch etwas damit<br />
zu tun, dass es <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> der Gr<strong>und</strong>schule kaum männliche<br />
Erzieher <strong>und</strong> Lehrer gibt“ 4 , so B<strong>und</strong>esfamilienm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Krist<strong>in</strong>a Köhler.<br />
Dass alle<strong>in</strong> der Mangel von<br />
Männern <strong>in</strong> unseren K<strong>in</strong>dergärten<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulen<br />
Jungen zu Bildungsverlierern<br />
macht, wird niemand behaupten<br />
wollen. Die Dreigliedrigkeit<br />
des Schulsystems <strong>und</strong> die Ghettoisierung<br />
von Hauptschulen,<br />
die defizitäre Ausstattung der<br />
<strong>Schule</strong>n <strong>und</strong> die Herausforderungen<br />
e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden Integrationspolitik<br />
s<strong>in</strong>d wesentliche<br />
Felder, die beim Thema „Bildungsverlierer“<br />
diskutiert werden.<br />
Es ist verständlich, wenn Frauen<br />
<strong>und</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen auf fragwürdige<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>seitige Argumentationen<br />
zur Problematik der männlichen<br />
Bildungsverlierer mit Abwehr<br />
reagieren, nach denen beispielsweise<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen Mädchen bevorzugen.<br />
So verweist der Bildungsforscher Jürgen<br />
Budde darauf, dass die Leistungsdifferenzen<br />
zwischen Jungen <strong>und</strong> Mädchen <strong>in</strong> den<br />
Schulformen, <strong>in</strong> denen mehr Frauen unterrichten<br />
(Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Hauptschule), ger<strong>in</strong>ger<br />
s<strong>in</strong>d als am Gymnasium, der Schulform<br />
mit den wenigsten Jungen <strong>und</strong> den<br />
meisten männlichen Lehrern. 5<br />
Das Stichwort für e<strong>in</strong>e geschlechtergerechtere<br />
<strong>Schule</strong> muss „<strong>Gender</strong>kompetenz“<br />
heißen. Es bedarf Frauen <strong>und</strong> Männer, die<br />
sich des sozial konstruierten Anteils ihrer<br />
Geschlechterrolle bewusst s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> die<br />
selbstreflektiert mit Jungen wie Mädchen<br />
arbeiten. E<strong>in</strong> paritätisch besetztes, heterogenes<br />
Lehrerteam, bestehend aus verschiedensten<br />
Persönlichkeiten, wäre dann,<br />
neben der <strong>Gender</strong>kompetenz dieser Lehrkräfte,<br />
e<strong>in</strong>e vorbildhafte Voraussetzung<br />
für e<strong>in</strong>e gute <strong>und</strong> geschlechterbewusste<br />
<strong>Schule</strong>. Denn Lehrer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d eben auch<br />
nur Menschen <strong>und</strong> wirken nicht nur durch<br />
ihre soziale <strong>und</strong> fachliche Kompetenz auf<br />
die Schüler/<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>.<br />
Neue Lehrer braucht das Land<br />
Mehr Männer für e<strong>in</strong> <strong>Studium</strong> als<br />
Gr<strong>und</strong>schullehrer zu motivieren hat sich<br />
deshalb im Zuge e<strong>in</strong>es Maßnahmen-Paketes<br />
für e<strong>in</strong>e geschlechtergerechtere Schu-<br />
ph·fr 2011/1<br />
le auch die Pädagogische Hochschule zum<br />
Ziel gesetzt. Das Gleichstellungsbüro hat<br />
mit Unterstützung von Kolleg/<strong>in</strong>nen aus<br />
verschiedenen Fächern, Gr<strong>und</strong>schullehramtstudenten<br />
<strong>und</strong> Referendaren, e<strong>in</strong>en<br />
Flyer kreiert, der neue Zielgruppen unter<br />
den Männern ansprechen soll. Denn,<br />
so ist man sich auch hier e<strong>in</strong>ig, ohne e<strong>in</strong><br />
verändertes Berufsbild wird man die Zahl<br />
der männlichen Gr<strong>und</strong>schullehrer nicht<br />
erhöhen. Außer dem Flyer gehören auch<br />
die Website www.ph-freiburg.de/maenner<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Schulaktion zu dieser Kampagne.<br />
Vor allem männliche Jugendliche <strong>und</strong><br />
Männer, die vor ihrem schul<strong>in</strong>tegrierten<br />
Praktikum oder vor der Entscheidung für<br />
e<strong>in</strong>en Studiengang stehen, sollen dabei<br />
erreicht werden <strong>und</strong> sich mit der Idee ause<strong>in</strong>andersetzen,<br />
mit K<strong>in</strong>dern zu arbeiten.<br />
Sicher kann die Hochschule nur e<strong>in</strong>en<br />
sehr kle<strong>in</strong>en Beitrag zu e<strong>in</strong>em veränderten<br />
Image des Gr<strong>und</strong>schullehramts beitragen,<br />
aber als Ausbildungsstätte für Lehrer/<strong>in</strong>nen<br />
steht sie hier <strong>in</strong> der Verantwortung.<br />
E<strong>in</strong>e gendergerechte <strong>Schule</strong> trägt zur Professionalisierung<br />
von Bildung bei. Davon<br />
profitieren nicht nur Lehrkräfte, unabhängig<br />
vom Geschlecht, sondern <strong>in</strong>sbesondere<br />
die Schüler/<strong>in</strong>nen.<br />
Die Referendare <strong>und</strong> ehemaligen<br />
Studenten der Pädagogischen<br />
Hochschule: Sebastian Siebrecht (l.) <strong>und</strong><br />
Benjam<strong>in</strong> Schneider. Sie berichteten<br />
über ihre Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>Studium</strong> <strong>und</strong><br />
Beruf sowie über die Notwendigkeit<br />
e<strong>in</strong>er veränderten Wahrnehmung<br />
von der Arbeit mit K<strong>in</strong>dern. Weitere<br />
Interviews mit Studierenden <strong>und</strong><br />
angehenden Gr<strong>und</strong>schullehrern s<strong>in</strong>d auf<br />
www.ph-freiburg.de/maenner zu f<strong>in</strong>den.<br />
Anmerkungen<br />
1) Budde, Jürgen (2006): Dramatisieren, Differenzieren<br />
- Entdramatisieren. Männlichkeitskonstruktionen<br />
im Unterricht. In: Der Deutschunterricht, H.<br />
1/2006, S. 86-91, S. 90.<br />
2) Rohrmann, Tim (2006). „Männer <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulen“, Internetquelle:<br />
http://www.wechselspiel-onl<strong>in</strong>e.de/literatur/Texte_TR/Rohrmann%20<strong>in</strong>%20Krabel_Stuve%202006.<br />
pdf. S.13.(09/03/2011).<br />
3) Ebd.<br />
4) Aus e<strong>in</strong>em Interview mit der B<strong>und</strong>esfamilienm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Dr. Krist<strong>in</strong>a Köhler, geführt von der Welt<br />
am Sonntag am 7.12.2009. Quelle: Internetseite<br />
des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums für Familie, Senioren,<br />
Frauen <strong>und</strong> Jugend: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/<br />
aktuelles,did=132980.html, 12.10.2010.<br />
5) Budde, Jürgen. In: Informationsblatt der Gesellschaft<br />
für Chancengleichheit: Chancen. Gleichheit<br />
<strong>und</strong> Politik. Sonderdruck 12/2009. Berl<strong>in</strong>: ZWD-<br />
Mediengesellschaft, S. 7.<br />
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