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11. Das römische Epos - UniFr Web Access

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Survol de la littérature antique XXXV Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike<br />

Cours SE 2007 Vorlesung SoSe 2007<br />

<strong>11.</strong>2.4. Ovid, Metamorphosen 10,243–97<br />

245<br />

250<br />

255<br />

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265<br />

270<br />

275<br />

280<br />

'Quas quia Pygmalion aevum per crimen agentis<br />

(quas = Propoetides: Mädchen auf Zypern, die Venus<br />

verachten; Pygmalion. zyprischer Bildhauer)<br />

viderat, offensus vitiis, quae plurima menti<br />

femineae natura dedit, sine coniuge caelebs<br />

vivebat thalamique diu consorte carebat.<br />

interea niveum mira feliciter arte<br />

sculpsit ebur formamque dedit, qua femina nasci<br />

nulla potest, operisque sui concepit amorem.<br />

virginis est verae facies, quam vivere credas,<br />

et, si non obstet reverentia, velle moveri:<br />

ars adeo latet arte sua. miratur et haurit<br />

pectore Pygmalion simulati corporis ignes.<br />

saepe manus operi temptantes admovet, an sit<br />

corpus an illud ebur, nec adhuc ebur esse fatetur.<br />

oscula dat reddique putat loquiturque tenetque<br />

et credit tactis digitos insidere membris<br />

et metuit, pressos veniat ne livor in artus,<br />

et modo blanditias adhibet, modo grata puellis<br />

munera fert illi conchas teretesque lapillos<br />

et parvas volucres et flores mille colorum<br />

liliaque pictasque pilas et ab arbore lapsas<br />

Heliadum lacrimas; ornat quoque vestibus artus,<br />

(Heliadum lacrimas: Töchter des Sonnengottes; sie weinten<br />

um ihren Bruder Phaethon, bis sie in Pappeln verwandelt<br />

wurden; ihre Tränen wurden zu Bernstein)<br />

dat digitis gemmas, dat longa monilia collo,<br />

aure leves bacae, redimicula pectore pendent:<br />

cuncta decent; nec nuda minus formosa videtur.<br />

conlocat hanc stratis concha Sidonide tinctis<br />

adpellatque tori sociam adclinataque colla<br />

mollibus in plumis, tamquam sensura, reponit.<br />

Miniatur, 15. Jh.<br />

Pygmalion<br />

'Festa dies Veneris tota celeberrima Cypro<br />

venerat, et pandis inductae cornibus aurum<br />

conciderant ictae nivea cervice iuvencae,<br />

turaque fumabant, cum munere functus ad aras<br />

constitit et timide "si, di, dare cuncta potestis,<br />

sit coniunx, opto," non ausus "eburnea virgo"<br />

dicere, Pygmalion "similis mea" dixit "eburnae."<br />

sensit, ut ipsa suis aderat Venus aurea festis,<br />

vota quid illa velint et, amici numinis omen,<br />

flamma ter accensa est apicemque per aera duxit.<br />

ut rediit, simulacra suae petit ille puellae<br />

incumbensque toro dedit oscula: visa tepere est;<br />

Weil Pygmalion sah, wie diese Frauen (= Propoetiden)<br />

ihr Leben verbrecherisch zubrachten, blieb er<br />

einsam und ehelos, abgestossen von den Fehlern,<br />

(245) mit denen die Natur das Frauenherz so freigebig<br />

beschenkt hat, und schon lange teilte kein<br />

Weib mehr sein Lager. Inzwischen bearbeitete er<br />

mit glücklicher Hand und wundersamer Geschicklichkeit<br />

schneeweisses Elfenbein, gab ihm eine<br />

Gestalt, wie keine Frau auf Erden sie haben kann,<br />

und verliebte sich in sein eigenes Geschöpf. (250) Es<br />

sieht aus wie ein wirkliches Mädchen! Du möchtest<br />

glauben, sie lebe, wolle sich bewegen – nur die Sittsamkeit<br />

halte sie zurück. So vollkommen verbirgt<br />

sich im Kunstwerk die Kunst! Pygmalion steht<br />

bewundernd davor, und gierig trinkt seine Brust das<br />

Feuer in sich hinein, das von dem Scheinbild ausgeht.<br />

Oft legt er prüfend die Hände an das Geschöpf,<br />

ob es (255) Fleisch und Blut sei oder Elfenbein,<br />

und will immer noch nicht wahrhaben, dass es<br />

nur Elfenbein ist. Küsse gibt er und glaubt sie<br />

erwidert; er redet mit dem Bild, er hält es im Arm.<br />

Rührt er es an, so ist ihm, als drückten sich seine<br />

Finger in den Körper ein; ja, er fürchtet, an den<br />

Gliedern, die er presst, möchten blaue Male entstehen.<br />

Bald schmeichelt er, bald bringt er (260) Gaben,<br />

wie sie ein Mädchenherz erfreuen: Muscheln, geschliffene<br />

Steinchen, kleine Vögel, Blumen in tausenderlei<br />

Farben, Lilien, bunte Bälle und Bernstein,<br />

vom Baum getropfte Tränen der Sonnentöchter. er<br />

schmückt ihr die Glieder mit Gewändern, die Finger<br />

mit Edelsteinen, den Hals mit langen Ketten. (265)<br />

Am Ohr hängt eine zierliche Perle, an der Brust ein<br />

Geschmeide. Alles steht ihr, aber auch nackt erscheint<br />

sie nicht weniger schön. Er legt sie auf<br />

Decken, die mit sidonischem Purpur gefärbt sind,<br />

nennt sie seine Gemahlin, die sein Lager teilt, und<br />

bettet den geneigten Nacken, als müsse es dieser<br />

spüren, auf weichen Flaum.<br />

(270) Der Feiertag der Venus, den ganz Cypern<br />

festlich begeht, war gekommen. Schon waren die<br />

Opferkühe, deren krumme Hörner Gold überzog, in<br />

den schneeweissen Nacken getroffen, niedergestürzt,<br />

und Weihrauch stieg empor: Da trat Pygmalion,<br />

nachdem er der heiligen Pflicht genügt hatte,<br />

zum Altar und sprach zaghaft: »Ihr Götter, könnt<br />

ihr alles gewähren, (275) so soll meine Gattin« – er<br />

wagte nicht zu sagen: »das elfenbeinerne Mädchen<br />

sein«; darum sprach er nur: »dem Mädchen aus<br />

Elfenbein gleichen!« Venus, die Goldene, erriet –<br />

war sie doch selbst bei ihrem Fest zugegen –, was

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