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Affektansteckung Empathie und Mitgefühl - Jugend und Volk

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6 Af fektansteckung, <strong>Empathie</strong> <strong>und</strong> <strong>Mitgefühl</strong>Gernot Brauchle6.1 GefühlsansteckungGefühlsansteckung (genauer <strong>Affektansteckung</strong>) ist einPhänomen, bei dem die Stimmung des anderen (z.B.Angst, Trauer, Begeisterung …) vom Beobachter selbstBesitz ergreift <strong>und</strong> dabei ganz zu dessen eigenstemGefühl wird, sich also die beobachtende Person vomGefühl des anderen „anstecken“ lässt. Gefühlsansteckungist ein angeborener Prozess <strong>und</strong> kann bereits imSäuglings- <strong>und</strong> Kleinkindalter beobachtet werden.6.2 <strong>Empathie</strong><strong>Empathie</strong> erfolgt entwicklungsmäßig später, baut aufdem Phänomen der Gefühlsansteckung auf <strong>und</strong> ist einErkenntnis vermittelnder Prozess. <strong>Empathie</strong> beinhaltetdie Erfahrung, unmittelbar die Gefühlslage des anderennachzuempfinden <strong>und</strong> sie dadurch zu verstehen.Dabei muss im Gegensatz zur Gefühlsansteckung nichtzwingend eine Identifikation mit der anderen Personerfolgen. Gleichzeitig ist man sich des emotionalen Unterschiedeszwischen einem selbst <strong>und</strong> der anderenPerson bewusst. Die Gefühlslage wird als die Gefühlslageder anderen Person erkannt. <strong>Empathie</strong> setzt sichsomit aus unterschiedlichen Kompetenzen zusammen:der Gefühlsansteckung, der Perspektivenübernahme<strong>und</strong> der Fähigkeit, den Kontext sozialer Situationen zuverstehen. Alle drei Kompetenzen müssen in sozialerErfahrung gelernt werden.6.3 <strong>Mitgefühl</strong><strong>Mitgefühl</strong> ist ein Phänomen, das von der <strong>Empathie</strong> insofernabzugrenzen ist, als <strong>Mitgefühl</strong> zusätzlich die Sorgeum die andere Person oder die Anteilnahme an derenSituation mit einschließt.Gefühlsansteckung liegt vor, wenn die Helfer das durchdie betreute Person induzierte Gefühl als ihr eigeneswahrnehmen, ohne Bewusstsein dafür, dass es vomGegenüber kommt. Gefühlsansteckung wird in der Regelerfahren, wenn Helfer selbst starke Gefühle der Hilflosigkeitoder Trauer wahrnehmen, sich am liebsten ausder Situation zurückziehen möchten, Angst verspürenoder tatsächlich die Stimme zu versagen beginnt <strong>und</strong>sie mit den Opfern weinen müssen.Mögliche FolgenEmpathisches Verhalten bedeutet jedoch auch, die extrembelastenden negativen Gefühle der Gefühlsansteckungzu regulieren (Ausgleich der emotionalen Dissonanz),damit die Helfer selbst nicht von diesen Gefühlen„überschwemmt“ werden. Übersteigt die Anforderungder Regulation die persönlichen Ressourcen, kann eslangfristig zu emotionaler Erschöpfung, Dissoziation<strong>und</strong> Burnout kommen. Erste Anzeichen dafür sind sozialerRückzug, öffentlicher Zynismus, psychosomatischeBeschwerden oder Alkoholmissbrauch.Bitte beachtenBei der Gefühlsansteckung werden Gefühle <strong>und</strong> Affekteunbewusst übernommen, also ohne von einer Einsichtkontrolliert zu sein. Das bedeutet, dass bei der Betreuungvon Opfern <strong>und</strong> Hinterbliebenen nach traumatischenEreignissen deren Gefühle <strong>und</strong> Affekte ähnlicheGefühle bei den Helfern auslösen. Helfer fühlen sichdann beispielsweise hilflos der Situation ausgeliefert,ohnmächtig, wütend <strong>und</strong> so weiter, ohne sich bewusstzu sein, dass dieses Gefühl übernommen wurde. Dieseübernommenen, intensiven negativen Gefühle erzeugenÄngste, wie die Angst, die Kontrolle über das eige neVerhalten zu verlieren <strong>und</strong> festzustellen, dass man zittert,seine Stimme verliert, „feuchte“ Augen hat oderweinen muss, <strong>und</strong> die Befürchtung, nun selbst in derSituation hilflos zu werden. Werden diese Ängste einfachabgewehrt (zum Beispiel durch Delegationshandlungen,Flucht in Organisationsaufgaben, Vergabe vonMedikamenten gegen Trauer), entstehen Mängel <strong>und</strong>Fehler in der Hilfe für Opfer <strong>und</strong> Hinterbliebene, die späterbei den Helfern selbst zu belastenden Empfindungendes Versagens <strong>und</strong> Schuldgefühlen führen.16 H i n t e r g r u n d


Gut zu wissen<strong>Empathie</strong>, die Gefühlsansteckung, Perspektivenübernahme<strong>und</strong> Erfahrung beinhaltet, ist eine notwendige<strong>und</strong> wichtige Fähigkeit von Helfern in der Betreuung vonnotleidenden Personen. Durch empathisches Verhaltenkönnen Angst, Entsetzen <strong>und</strong> Hilflosigkeit vermindert,Schutz <strong>und</strong> Sicherheit vermittelt werden <strong>und</strong> über dasBemühen, das fremde Erleben nachzuvollziehen, wesentlicheBedürfnisse in der Situation erfasst <strong>und</strong> zufriedengestelltwerden (z.B. den Verstorbenen nochmalszu sehen, sich den Unfallort anzusehen, über Schuldgefühlezu sprechen).Gefühlsansteckung ist deshalb ein belastendes, abernotwendiges Phänomen im Umgang mit traumatisiertenPersonen. Gefühlsansteckung kann zum zeitweiligenVerlust der Kontrolle über die Situation führen (z.B.durch Mitweinen), wird in der Regel aber innerhalb wenigerMinuten überw<strong>und</strong>en.Literatur bilität<strong>und</strong> Stresserleben, Hogrefe, Göttingen 1990 Bewältigung von Burnout <strong>und</strong> beruflicher Deformation,Pfeiffer, München 1998 Arbeitsbelastung <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Beschwerdenvon Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern: Einflüsse von Kontrollüberzeugungen,Mobbing <strong>und</strong> Sozialer Unterstützung.Psychologie in Erziehung <strong>und</strong> Unterricht. 46, 1999,S. 269 – 28017

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