FeatureDas Geheimnisder Blauen MauritiusMauritius Post feierte 2012 ihr 240-jähriges Bestehen. Aus <strong>die</strong>semAnlass nimmt <strong>Union</strong> <strong>Postal</strong>e <strong>die</strong> frühen Briefmarken, welche <strong>die</strong>mauritische Post herausgegeben hat, unter <strong>die</strong> Lupe, denn <strong>die</strong>seRaritäten zählen heute bei den Sammlern weltweit zu denbegehrtesten Postwertzeichen überhaupt.Von KaylaRedstoneIm Jahr 1847 gravierte Joseph Osmond Barnard in PortLouis, Mauritius, <strong>die</strong> Worte «Post Office Mauritius» ineine Kupferplatte, nicht ahnend, dass er damit Briefmarkenschaffen würde, <strong>die</strong> heute weltweit zu den am meistengesuchten und teuersten der Welt gehören. Die beidenBriefmarken, <strong>die</strong> «Penny Orange» und <strong>die</strong> «TwoPenny Blue», <strong>die</strong> sogenannte Blaue Mauritius, sind <strong>die</strong>einzigen weltweit, auf denen «Post Office» vermerktsteht anstatt des üblichen «Post Paid». Dieser minimeUnterschied lässt Sammler bei Auktionen Millionenbeträgefür Exemplare <strong>die</strong>ser äusserst raren Wertzeichenbieten.Hat der Graveur nur einen Fehler gemacht oder war esAbsicht? Wir wissen es bis heute nicht.LegendenÜber Barnard ist nur wenig bekannt. Er reiste 1838 alsblinder Passagier von Portsmouth, England, nach Mauritius,wo er ein Jahr später in der lokalen Zeitung ein Inseratpublizierte, in dem er seine Dienste als Graveur undMiniaturenmaler anpries.Im November 1846 machte er eine Offerte für denDruck zweier Briefmarken: 10 Shilling für tausendDruckexemplare, plus zehn Pfund für <strong>die</strong> Kupferplatten.Sorgfältig gravierte er seine Vorlagen in das weiche82 x 63 mm grosse Plättchen, wobei er <strong>die</strong>selbe Profilansichtvon Königin Victoria mit Diadem zeichnete, wiesie auf den frühen britischen Postwertzeichen zu sehenist. Im Rand der Marken gravierte er <strong>die</strong> ominösenWorte «Post Office Mauritius». Anschliessend druckteer auf der Handpresse je 500 Exemplare der beidenWertzeichen.Philatelisten streiten sich seit Jahrzehnten darüber, obBarnard fälschlicherweise «Office» statt «Paid» eingraviertund somit einfach einen Fehler machte oder ob er<strong>die</strong>s in voller Absicht tat. Denn auf den von der mauritischenPost verwendeten Briefstempeln steht ebenfalls«Office»; vielleicht wollte er seine Wertzeichen lediglichdaran anpassen.Die Marken wurden offiziell am 20. September 1847ausgegeben. Somit war Mauritius <strong>die</strong> erste britischeÜberseekolonie, <strong>die</strong> Briefmarken herausgab. Die Briefmarkengingen am 22. September in den Verkauf, doches hält sich hartnäckig das Gerücht, dass eine bestimmtePerson bereits am Tag zuvor einige der Marken erhaltenhaben soll, nämlich Lady Elizabeth Gomm, <strong>die</strong> Frau desGouverneurs von Mauritius.MaskenballZur Zeit als <strong>die</strong> Marken gedruckt wurden, war <strong>die</strong> ehemalsfranzösische Kolonie Mauritius schon seit rund40 Jahren britisches Territorium. Auch wenn Englischoffizielle Sprache war, blieb das Französische dominierend,wodurch <strong>die</strong> Lage sehr angespannt war.Es wurde oft spekuliert, dass der von Lady Gomm am30. September 1847 veranstaltete Maskenball dazu beitragensollte, <strong>die</strong> zwischen den frankophonen und anglophonenGemeinschaften herrschenden Spannungenzu lösen. Ein weiteres Gerücht besagt, dass <strong>die</strong> vorzeitiggelieferten Marken für den Versand der Einladungen verwendetwurden, was wiederum Spekulationen nährte,dass <strong>die</strong> Briefmarken speziell für <strong>die</strong>se diplomatischheikle Mission herausgegeben worden waren.In ihrem Buch, Blue Mauritius: The Hunt for theWorld’s Most Valuable Stamps, versucht <strong>die</strong> Autorin,Helen Morgan, ihres Zeichens Schriftstellerin und Archivarin,den Zusammenhang zwischen Ball und Briefmarkenschlüssig zu beweisen. «Für meine Forschung ist <strong>die</strong>Suche nach einem schriftlichen Beweis, der Maskenballund Marken miteinander in Verbindung bringt, quasi <strong>die</strong>Suche nach dem heiligen Gral. Doch ich habe <strong>die</strong>senBeweis bis heute nicht gefunden.» Es gibt lediglich einzelnevage Hinweise in <strong>die</strong>se Richtung. Dennoch hält sie– wie viele Sammler übrigens auch – an ihrer Theorie26 · <strong>Union</strong> <strong>Postal</strong>e 4/2012
fest. Diese basiert auf drei identischen Briefumschlägen,<strong>die</strong> jeweils mit einer Penny Orange für lokale Beförderungfrankiert und den Adressaten M. Alcide Marquay,Ed. Duvivier Esq. und H. Adam Esq. Junr. zugestellt wurden.Auch wenn <strong>die</strong> Couverts Morgan zufolge keine Einladungenenthielten, gab und gibt deren Ähnlichkeit Philatelistengenügend Grund, um zu glauben,dass sie mit dem Ball inZusammenhang gebracht werden können.«Diese Verbindung wurde erstmalsin einer Philateliezeitschrift von einemanonymen Leserbriefschreiber 1897geäussert», sagt Morgan. «Als sich herausstellte,dass es drei Umschläge gab,und <strong>die</strong> Philatelieexperten <strong>die</strong> Ähnlichkeitder Umschläge bemerkten, reifte inihnen <strong>die</strong> Überzeugung, dass <strong>die</strong>Umschläge demselben Zweck ge<strong>die</strong>nthaben mussten.»Der Bordeaux-UmschlagMögen <strong>die</strong> Umschläge <strong>die</strong> Debatte, ob<strong>die</strong> Marken nun zur Frankierung der Einladungsschreibenbenutzt wurden odernicht, noch so anheizen, bei einemUmschlag konnte jedenfalls nachgewiesen werden, dasser nicht nur für den Versand der Einladungen verwendetworden war. Im Jahr 1912 machte ein Schüler, als er <strong>die</strong>verstaubte Handelskorrespondenz seines Vaters, derWeinhändler gewesen war, durchforstete, um zu sehen,ob noch Briefmarken vorhanden waren, den Fund seinesnoch jungen Lebens: den sogenannten Bordeaux-Umschlag. Auf <strong>die</strong>sem Umschlag, der einen Brief vonEdward Francis & Co. aus Port Louis, Mauritius, an denWeinhändler Ducau & Lurguie in Bordeaux, Frankreich,enthielt, war mit je einer Orangen und Blauen Mauritiusfrankiert. Laut Morgan eine für internationale Postsendungeninkorrekte Frankierung. Tatsächlich wurde einzweiter Brief nach Bordeaux richtig mit lediglich einerBlauen Mauritius frankiert.Morgan sieht im ersten Brief schlichteinen Irrtum, was angesichts der Tatsache,dass <strong>die</strong> Marken erst seit kurzem imUmlauf waren, wohl häufiger vorgekommensein dürfte. «Es werden immerFehler gemacht, weil <strong>die</strong> Menschen miteiner bestimmten Neuerung einfachnoch nicht ganz zurechtkommen. Somitlassen sich einige der Anomalien erklären»,ist sie überzeugt. Dieser an sichkleine Fehler, den Umschlag mit beidenWertzeichen zu frankieren – eine Differenzvon gerade einmal einem Penny –,war einem Käufer 1993 3,8 MillionenUS-Dollar wert. Damit ist der Bordeaux-Umschlag das teuerste Philatelie-Losaller Zeiten. Der Umschlag wurde indesseither nicht mehr Angeboten.Heute ist <strong>die</strong> Existenz von noch12 Exemplaren der Blauen und 15 derOrangen Mauritius bekannt – also insgesamt nur27 Exemplare, von denen hoffnungsfrohe Sammler träumenkönnen, sie dereinst zu besitzen, vorausgesetzt sieverfügen über das nötige Kleingeld . . . KRKayla Redstone arbeitete als Praktikantin beim <strong>UPU</strong> CommunicationProgramme, als sie <strong>die</strong>sen Artikel verfasste.Von SusanVogel-MisickaÜber <strong>die</strong> Jahre sind immer wiederExemplare der berühmten Mauritius-Marken im Handel aufgetaucht. Sowechselten bereits im Jahr 1893 jeein Exemplar der Schwarzen undBlauen Mauritius für <strong>die</strong> damaligeRekordsumme von 680 GBP proMarke den Besitzer. Knapp hundertJahre später musste ein Käufer 1988für <strong>die</strong> Blaue Mauritius alleine schon750 000 USD hinblättern.Kurz darauf folgte, was EmmanuelRichon, Kurator des Blue PennyMuseums in Port Louis, den Jahrhundertverkaufnennt: «Es war eine einzigartigeGelegenheit, um je einExemplar der beiden Marken zuerwerben», erinnert sich Richon an<strong>die</strong> Auktion vom 10. November 1993in Zürich, Schweiz. Dort bot ein Konsortiummauretanischer Unternehmenunter der Führung der MauritiusCommercial Bank rund 2,6 MillionenUSD, um <strong>die</strong> beiden Marken zurücknach Mauritius zu holen. In der gleichenAuktion wurde der Bordeaux-Umschlag einem Bieter aus Singapurfür knapp vier Millionen USD zugeschlagen.Richon weist darauf hin, dass<strong>die</strong>se Briefmarken nicht nur wichtigeZeugen für <strong>die</strong> Einführung von Postwertzeichenim 19. Jahrhundert sind,sondern auch über <strong>die</strong> koloniale Verwaltungund den Gravur-ProzessAuskunft geben. «Obwohl nur einQuadratzentimeter gross, haben sieenormen Wert», bekennt Richon.Um <strong>die</strong> Marken in einer Umgebungzu präsentieren, <strong>die</strong> ihrerBedeutung gerecht wird, errichtete<strong>die</strong> Mauritius Commercial Bank 2001eigens das Blue Penny Museum.«Wir sind stolz darauf, <strong>die</strong> Markenhier, an dem Ort, wo sie erschaffenwurden, dem Publikum dauerhaftzeigen zu können. Es ist wohl dasselbeGefühl, das <strong>die</strong> Italiener haben,wenn sie Michelangelos SixtinischeKapelle betreten», schwärmt Richon.Der Wert der beiden Penny-Markenist in den vergangenen Dekadenins unermessliche Gestiegen. So versichertedas Museum seine beidenSchätze für 5 Millionen USD, als sie2001 für eine Ausstellung nach Berlinausgeliehen wurden.Manch ein Historiker dürfte denErschaffer der Marke lediglich füreinen unkonzentriert arbeitendenStümper halten, der eine Markefälschlicherweise mit «Post OfficeMauritius» beschriftete, doch Richonist da anderer Meinung: «Niemandhat je wirkungsvollere Werbung fürunser Land gemacht als OsmondBarnard. Man darf das fast schon alsgenial bezeichnen!»Susan Vogel-Misicka ist freie Journalistinin Bern, Schweiz, und arbeitet zudem alsJournalistin für swissinfo.