Interview«Meine entbehrungsreiche Kindheit . . . hat michBescheidenheit, Geduld, Beharrlichkeit, harte Arbeit,Selbstständigkeit, Zusammenarbeit und Respektanderen gegenüber gelehrt.»Ich beabsichtige über<strong>die</strong>s Regierungen, Aufsichtsbehörden,<strong>die</strong> engeren Postvereine, regionale Koordinatorenund andere Anspruchsgruppen in <strong>die</strong> Entwicklung desPostsektors einzubeziehen. Ferner ist mir <strong>die</strong> Verbesserungder Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedsstaatenebenfalls ein wichtiges Anliegen. Denn fürden Erfolg unserer Organisation sind Konsensbildungund gegenseitiges Verständnis bei unterschiedlicherMeinung zu wichtigen Themen entscheidend.Wir müssen uns auf den Einsatz von Technologie konzentrieren,um Innovationen zu ermöglichen und dasPostgeschäft zu diversifizieren, aber auch unsere traditionellenDienstleistungen zu optimieren.Neue Quellen zur Finanzierung der Postentwicklungsollen evaluiert und – sofern sinnvoll – <strong>die</strong> Teilnahme desprivatwirtschaftlichen Sektors gefördert werden.Wie können Sie Ihre langjährige Erfahrung im operativenBereich in <strong>die</strong> <strong>UPU</strong> einfliessen lassen?Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich meine reichhaltigeErfahrung in <strong>die</strong> Entscheidungsfindung des Weltpostkongresseseinbringen und helfen kann, Resolutionen inkonkrete Taten, von denen <strong>die</strong> <strong>UPU</strong>-Mitglieder profitieren,umzusetzen.Ich kann auf nahezu dreissig Jahre Erfahrung im Postunddiplomatischen Dienst zurückblicken, während dererich für zahlreiche Institutionen und Ressourcen verantwortlichwar. Den Postsektor kenne ich sowohl von deroperativen Seite als auch aus Führungs- und Marktperspektive.Als Vorsitzender des Verwaltungsrats im letztenArbeitszyklus war ich an den Vorbereitungen für Dohabeteiligt und kenne daher <strong>die</strong> Themen, mit denen sich<strong>die</strong> <strong>UPU</strong> und <strong>die</strong> Postbranche zu befassen haben.Was ist Ihrer Meinung nach <strong>die</strong> grösste Herausforderung,welche <strong>die</strong> Post heute zu bewältigen hat?Zu den dringendsten Aufgaben, <strong>die</strong> es anzugehen gilt,gehört sicher <strong>die</strong> <strong>Bereit</strong>stellung adäquater Finanzmittelfür <strong>die</strong> Entwicklung der Post, ein Problem von dem vielePostorganisationen betroffen sind. Der technische Fortschritt,<strong>die</strong> sich immer rascher verändernden Kommunikationsmärkteund <strong>die</strong> Globalisierung stellen enormeHerausforderungen für den Postsektor dar.Damit <strong>die</strong> <strong>UPU</strong>-Mitgliedstaaten von <strong>die</strong>ser Entwicklungnicht abgehängt werden, braucht es substanzielleInvestitionen zur Modernisierung der Postinfrastruktur.Die meisten Postbetriebe bekunden zunehmend mehrMühe, das für <strong>die</strong> Investition in ihre Netzwerke notwendigeKapital aufzubringen – eine Situation, <strong>die</strong> sichangesichts der jüngsten Weltwirtschaftskrise noch verschlechterthat.Erzählen Sie uns von Ihrer KindheitGeboren und aufgewachsen bin ich im dürren HinterlandNordost-Kenias. In <strong>die</strong>ser Region regnet es nur selten,was sich auf <strong>die</strong> Lebensweise der sehr ländlichgeprägten Dorfgemeinschaften auswirkt. Die Bewohnerziehen von einem Ort zum anderen, ständig auf derSuche nach Wasser und Weideland für ihr Vieh, von demihre Existenz abhängt.Als kleiner Junge hütete ich in der schulfreien Zeit <strong>die</strong>Kühe, Ziegen und Kamele unserer Familie und war somitviel draussen in der Natur – eine Erfahrung, an <strong>die</strong> ichmich gerne erinnere.Auch heute ist es nicht selbstverständlich, dass <strong>die</strong>Kinder in meiner Heimat eine Schule besuchen können.Es mangelt an grundlegender Infrastruktur wie Strassen,Telekommunikations- und Posteinrichtungen sowie anSchulen und Gesundheitsvorsorge. Viele Kinder mit grossemPotenzial erhalten so nie <strong>die</strong> Möglichkeit einerschulischen Ausbildung und somit <strong>die</strong> Chance, ihreTräume zu verwirklichen.Inwiefern war Ihre Kindheit prägend für Sie?Ich denke, ich hatte auch Glück, unter <strong>die</strong>sen schwierigenVerhältnissen überlebt zu haben und so weitgekommen zu sein. Andererseits hat sich meine schwereKindheit als unschätzbarer Vorteil erwiesen, indem siemeinen Charakter, meinen Geist und meine Entschlossenheitgestählt hat und ich grosse Herausforderungeninstinktiv zu bewältigen weiss.Das lebensfeindliche Umfeld und meine entbehrungsreicheKindheit haben mich Bescheidenheit, Geduld,Beharrlichkeit, harte Arbeit, Selbstständigkeit, Zusammenarbeitund Respekt anderen gegenüber gelehrt –Werte, <strong>die</strong> gerade auch in einem multilateralen und multikulturellenUmfeld, wie es <strong>die</strong> <strong>UPU</strong> ist, essentiell sind.Wann sind Sie zur Post gestossen?Ich bin 1984 direkt von der Universität zur Kenya Post &Telecommunications Corporation (KPTC) gegangen, woich eine intensive einjährige Ausbildung im Bereich Postbetriebund -management am Postschulungszentrum in22 · <strong>Union</strong> <strong>Postal</strong>e 4/2012
Der neu gewählte <strong>UPU</strong>-Generaldirektor wird von denDelegierten zu seiner Wahl beglückwünschtNairobi absolvierte. Die Kurse deckten jeden Aspekt desPostgeschäfts ab.Wie ging es dann für Sie weiter?Bis 1999 nahm ich am Hauptsitz und draussen in verschiedenenGeschäftsstellen unterschiedliche Führungsaufgabenwahr. In <strong>die</strong>sem Jahr spaltete <strong>die</strong> Regierungden Postriesen KPTC in drei Einheiten auf: Telkom KenyaLtd, <strong>die</strong> Communications Commission of Kenya und <strong>die</strong><strong>Postal</strong> Corporation of Kenya (PCK). Am 1. Juli 1999wurde ich zum ersten Postmaster General von PCKernannt.Was war das für eine Organisation, deren Führung Sieübernahmen?Wir hatten Kenya Post praktisch aus dem Nichts undohne irgendwelche staatlichen Subventionen aufgebaut.Die PCK wurde eigentlich ohne adäquate Betriebsmittellanciert. Schlimmer noch, wir «erbten» einen riesigenSchuldenberg von der KPTC, hauptsächlich in Form ausstehenderRechnungen von Zulieferern, noch nichtabgewickelter Zahlungsüberweisungen, gesetzlich zuleistender Zahlungen und einen Haufen weitere Verbindlichkeiten.Geld für <strong>die</strong> Auszahlung der Löhne unserer 5500 Mitarbeiterund für <strong>die</strong> Aufrechterhaltung des normalenTagesgeschäfts war zu Beginn auch keines in der Kasse.Was wurde unter Ihrer Leitung unternommen?Wir hatten vier wertvolle Aktiven: eine gut ausgebildeteund erfahrene Mitarbeiterschaft, ein weit reichendesPostnetz, das tief verankerte Vertrauen unserer Kundschaftund der Öffentlichkeit sowie den Willen, erfolgreichzu sein. Wir gingen rasch daran, ein schlankes, effizientesManagementteam zu bilden, das <strong>die</strong>Geschäftseinheiten und den Betrieb mit fast militärischerPräzision straffte und neu organisierte.Wir nahmen unser Netzwerk unter <strong>die</strong> Lupe, optimiertenunsere Stärken und behoben unsere Schwächen,analysierten Gefahren und Risiken und maximiertenunsere Gelegenheiten im Markt. Dazu brachten wirunsere Mitarbeiter dazu, unsere Vision zu teilen, hobenden Teamgeist an und setzten strikte Disziplin durch.Dann galt es, <strong>die</strong> neue Vision, Mission und Strategieunseres Unternehmens zu definieren und <strong>die</strong> Reformationsprogrammemit grösster Konsequenz durchzusetzen,was schon innerhalb kurzer Zeit erste Früchte abwarf.Wir bauten den Schuldenberg grösstenteils ab underzielten Ende des ersten Jahres gar einen kleinenGewinn. Nach dem zweiten Jahr waren wir über demBerg. Mehr noch, wir hatten ein solides Fundament fürein lebendiges und nachhaltiges Postunternehmengelegt.Irgendwo, tausende Kilometer von Nairobi entfernt imNorden Kenias hütet ein Kind eine Ziegenherde undträumt von einem besseren Leben. Was würden Sie ihmraten?Ich würde ihm sagen, dass es über seine unmittelbareSituation hinaus in <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> blicken, hart arbeiten unddabei seine Träume nie vergessen soll, denn wer keineTräume hat, der kann sie auch nicht verwirklichen.FM4/2012 <strong>Union</strong> <strong>Postal</strong>e · 23