53. Russland im Blutrausch – Iwan der Schreckliche
53. Russland im Blutrausch – Iwan der Schreckliche
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kumentieren. Nach barbarischen Foltern ereilte sie am 22. Januar 1536<br />
<strong>der</strong> Henkerstod. Ihre Leichen steckte man in drei eiserne Käfige und<br />
zog sie bis unter die Spitze <strong>der</strong> Lambertikirche. Dort hängen sie bis zum<br />
heutigen Tag <strong>–</strong> als Nachbildungen natürlich.<br />
<strong>53.</strong> <strong>Russland</strong> <strong>im</strong> <strong>Blutrausch</strong> <strong>–</strong> <strong>Iwan</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schreckliche</strong><br />
Als am 3. Juni 1547 ungefähr 70 Abgesandte aus <strong>der</strong> russischen Stadt<br />
Pskow in <strong>der</strong> Zarenresidenz Ostrowok eintrafen, waren sie guten Mutes.<br />
Sie hofften, ihr junger Herrscher <strong>Iwan</strong> würde allen Klagen über den ungerechten<br />
Statthalter Fürst Turuntaj Gehör schenken und ihnen abhelfen.<br />
Doch <strong>Iwan</strong> ließ die ungebetenen Gäste bis auf die Haut entkleiden,<br />
fesseln, mit Branntwein übergießen und befahl, ihnen Haare und Bart<br />
mit brennenden Kerzen zu versengen. Mitten in diesem Szenarium traf<br />
die Nachricht ein, dass eine Kirchenglocke in <strong>der</strong> Moskauer Arbat-Kathedrale<br />
vom Turm gestürzt sei. Es war ein Menetekel für die kommenden<br />
37 schl<strong>im</strong>msten Terrorjahre <strong>Russland</strong>s.<br />
Der Zarewitsch <strong>Iwan</strong> Wassiljewitsch war erst drei Jahre alt, als sein Vater<br />
1533 starb. Das Land wurde von <strong>der</strong> Zarenwitwe Jelena regiert. Sie und<br />
ihr Hofstaat beobachteten schon früh bei <strong>Iwan</strong> einen Hang zu Wutausbrüchen<br />
und Sadismus, <strong>der</strong> sich zunächst gegen Tiere richtete. Als eine<br />
Verschwörung des Hochadels, <strong>der</strong> Bojaren, gegen seine Mutter aufflog,<br />
hegte <strong>Iwan</strong> fortan ein krankhaftes Misstrauen gegen je<strong>der</strong>mann. Nachdem<br />
<strong>der</strong> 16-Jährige sich 1546 zum „Gossudar“ (Selbstherrscher) von<br />
ganz <strong>Russland</strong> ernannte, begann ein Reg<strong>im</strong>e, das man zunächst als äußerst<br />
streng und zum Schluss als wahnwitzig grausam bezeichnen muss.<br />
Zunächst erwies sich seine Herrschaft als vielversprechend. Russische<br />
Truppen eroberten die bis dato von Tataren besetzten Städte Kasan<br />
(1552) und Astrachan (1554). Es sollten allerdings die einzigen militärischen<br />
Erfolge seiner fast vier Jahrzehnte währenden Regierung sein.<br />
Im Jahre 1560 starb die Zarin Anastasia, wohl <strong>der</strong> einzige Mensch auf<br />
Erden, für den <strong>Iwan</strong> liebevolle Gefühle hegte. Da Anastasia nur 27 Jahre<br />
alt geworden war, glaubte <strong>der</strong> Zar gewissen Einflüsterungen, die von<br />
Giftmord sprachen. Sein Schmerz wandelte sich in hemmungslose Wut.<br />
Eine völlig unschuldige Hofdame, Maria Adashewa, wurde <strong>der</strong> Hexerei<br />
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gegen die Zarin angeklagt. Sie musste die Hinschlachtung ihrer fünf<br />
Söhne mitansehen, ehe man sie zu Tode folterte.<br />
Zwischen 1563 und 1575 fegten neun Wellen von Massenexekutionen<br />
durch <strong>Russland</strong>. Zur Durchführung seiner Pläne gründete <strong>Iwan</strong> die<br />
„Opritschnina“ (Spezialtruppe), eine berittene Bande, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong><br />
zugleich Leibwächter, Spitzel, Polizisten und Henker waren <strong>–</strong> ähnlich<br />
wie <strong>im</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>t Stalins NKWD. Die „Opritschniki“, <strong>der</strong>en Zahl<br />
bald auf 15 000 anwuchs, verbreiteten Angst und Terror <strong>im</strong> ganzen<br />
Land. Es begann eine wahre „Feuersbrunst <strong>der</strong> Grausamkeit“, wie <strong>der</strong><br />
zeitgenössische Fürst Andrej Kurbski schrieb.<br />
Als 1569 die Bewohner <strong>der</strong> nordrussischen Stadt Nowgorod sich in ihrer<br />
Verzweiflung an den König von Schweden um Hilfe wandten, reagierte<br />
<strong>Iwan</strong> sofort. Er ließ Nowgorod von seinen Opritschniki umzingeln und<br />
alle angesehenen Bürger nie<strong>der</strong>metzeln und verbrennen. Ihre Frauen<br />
und Kin<strong>der</strong> wurden gefesselt in den Wolchow-Fluss geworfen, tauchten<br />
sie wie<strong>der</strong> auf, erschlugen <strong>Iwan</strong>s Schergen sie mit Fischerhaken und<br />
Beilen. Zu jener Zeit begann das Volk, ihn „Grosny“ (<strong>der</strong> Fürchterliche/<br />
<strong>Schreckliche</strong>) zu nennen.<br />
Die Wut des Zaren richtete sich völlig unkontrolliert gegen je<strong>der</strong>mann.<br />
Dass er große eiserne Pfannen schmieden ließ, um Menschen darin lebendig<br />
zu braten, ist vielleicht nur ein Gerücht, zeigt aber, welche Gräueltaten<br />
man ihm zutraute. Seinen getreuen Kanzler <strong>Iwan</strong> Wiskowati ließ<br />
er bei lebendigem Leibe von seiner Garde zent<strong>im</strong>eterweise zerstückeln.<br />
Gelegentlich legte er selbst Hand an. Als <strong>im</strong> Juli 1564 <strong>der</strong> junge Fürst<br />
Dmitri Obolenski einige tadelnde Worte sprach, ergriff <strong>Iwan</strong> ein Messer<br />
und stieß es ihm ins Herz. Der deutsche Reisende Peter Petrejus berichtet:<br />
„Einmal ließ er einen Fürsten in ein Bärenfell einnähen und auf das<br />
Eis bringen. Als seine großen Hunde den vermeintlichen Bären in Stücke<br />
rissen, erlustigte <strong>der</strong> Zar sich so sehr, dass er vor Freude nicht wusste,<br />
auf welchem Bein er stehen sollte.“<br />
Auch <strong>Iwan</strong>s Privatleben nahm bizarre Züge an. Binnen neun Jahren heiratete<br />
er fünf Frauen, die entwe<strong>der</strong> eines mysteriösen Todes starben o<strong>der</strong><br />
von ihm verstoßen und ins Kloster gesperrt wurden. Er machte es sich<br />
zur Gewohnheit, seine Gemahlinnen <strong>im</strong> Schlaf zu belauschen, um ihre<br />
wahre Meinung über ihn zu erfahren. Nach einem verbalen Zwist erschlug<br />
er seinen ältesten Sohn mit einer Elfenbeinkeule. Als Thronfolger<br />
blieb nun nur noch dessen schwachsinniger Bru<strong>der</strong> Fjodor übrig.<br />
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Dabei war <strong>Iwan</strong>, an<strong>der</strong>s als sein nicht min<strong>der</strong> brutaler Nachfahre Peter<br />
<strong>der</strong> Große, politisch-militärisch ein Versager. 1571 musste er hilflos vor<br />
mongolischen Truppen aus Moskau fliehen; die Hauptstadt wurde nie<strong>der</strong>gebrannt.<br />
Auch gegen Schweden und Polen erlitten seien Truppen<br />
mehrere Nie<strong>der</strong>lagen.<br />
<strong>Iwan</strong> mit seinem erschlagenen Sohn<br />
1584 starb <strong>Iwan</strong> <strong>der</strong> <strong>Schreckliche</strong>. Das einzige, was er <strong>der</strong> Welt hinterließ,<br />
waren sein schau<strong>der</strong>hafter Ruf, mehrere prunkvolle Kathedralen, ein geistesgestörter<br />
Sohn und ein fast 30 Jahre währen<strong>der</strong> Bürgerkrieg.<br />
54. Massaker an <strong>der</strong> Seine<br />
Es war früh um 3 Uhr, da gab die Glocke <strong>der</strong> Kirche St. Germain<br />
l’Auxerrois das Signal. Am 24. August 1572 begann in Paris ein kaltblütig<br />
geplanter Massenmord, <strong>der</strong> seinesgleichen in <strong>der</strong> Geschichte sucht <strong>–</strong> die<br />
Bartholomäusnacht, benannt nach dem Tagesheiligen. Ebenso treffend<br />
ist die Bezeichnung „Pariser Bluthochzeit“. Die Verantwortlichen für<br />
dieses Massaker standen an <strong>der</strong> Spitze des französischen Staates.<br />
Seit Mitte des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts tobte in Frankreich ein Religionskrieg.<br />
Die vom spanischen König unterstützten Katholiken und die „Hugenotten“<br />
genannten Evangelischen bekämpften einan<strong>der</strong> mit erbitterter<br />
Wut. Das Land wurde notdürftig von Katharina de Medici regiert, <strong>der</strong><br />
Mutter des unmündigen Königs Karl IX. Sie schwankte zwischen den<br />
Fronten hin und her. Nach dem „Blutbad von Vassy“ <strong>im</strong> März 1562,<br />
als in dem Champagne-Städtchen katholische Söldner einen hugenottischen<br />
Gottesdienst überfielen und Dutzende ermordeten, eskalierte die<br />
Situation. Katharina hielt es nun mit <strong>der</strong> Familie de Guise, <strong>der</strong>en Ober-<br />
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