Klimaanpassung als Herausforderung für die Regional- und - Klimzug
Klimaanpassung als Herausforderung für die Regional- und - Klimzug
Klimaanpassung als Herausforderung für die Regional- und - Klimzug
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KLIMZUG-WORKING PAPER<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> <strong>als</strong> <strong>Herausforderung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung<br />
Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse aus<br />
der deutschen Anpassungsforschung <strong>und</strong> -praxis<br />
Mahammad Mahammadzadeh / Esther Chrischilles (Hrsg.)<br />
Köln 2012
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Mahammad Mahammadzadeh / Esther Chrischilles<br />
Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
Kompetenzfeld Umwelt, Energie, Ressourcen<br />
Vervielfältigung<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Die Verantwortung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Inhalte der einzelnen Beiträge liegt bei den Autoren. Die darin vertretenen<br />
Auffassungen sind nicht unbedingt mit denen des Herausgebers identisch.<br />
ISBN: 978-3-9815121-1-3<br />
Köln 2012
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Inhalt<br />
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................................ii<br />
Autorenverzeichnis ..........................................................................................................................v<br />
Vorwort: Hubertus Bardt...................................................................................................................1<br />
Einführung: Mahammad Mahammadzadeh / Esther Chrischilles ......................................................2<br />
Einleitende Beiträge<br />
Gérard Hutter / Bernhard Müller / Stefanie Rößler / Lena Herlitzius<br />
Räumliche Planung <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> – Steuerung durch informelle<br />
Prozesse oder Verankerung in Plänen .............................................................................................4<br />
Esther Chrischilles / Mahammad Mahammadzadeh<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> aus Sicht der kommunalen Verwaltung <strong>und</strong> der Wirtschaft.....................................16<br />
Anpassung in Städten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Stefan Greiving / Fabian Dosch<br />
Die Modellvorhaben der Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung in Stadtregionen ...................28<br />
Jörg Knieling / Lisa Kunert / Thomas Zimmermann<br />
Siedlungsstruktur <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> in Stadtregionen..................................................................39<br />
Marko Siekmann / Thomas Siekmann<br />
Wassersensible Stadtentwicklung – Informelle Planung versus verbindliche Konzepte.....................49<br />
Anpassung im Ländlichen Raum: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Christian Jacoby<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung zur Anpassung an den Klimawandel am<br />
Beispiel des Landkreises Neumarkt in der Oberpfalz (Bayern) – Modellvorhaben<br />
der Raumordnung (MORO) KLIMA NEU ..........................................................................................60<br />
Lutz Katzschner / Sebastian Kupski<br />
<strong>Regional</strong>klimakarten <strong>und</strong> ihre Nutzung <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen ........................................72<br />
Uta Steinhardt / Claudia Henze<br />
Raumbezogene Planung im Klimawandel – ebenen- <strong>und</strong> sektorübergreifend ...................................78<br />
Anpassung an den Küsten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Roland Wenk<br />
Küstenschutz <strong>als</strong> Bestandteil der vorpommerschen Raumentwicklungsstrategie<br />
– Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Regional</strong>planung..........................................................................87<br />
Bastian Schuchardt / Stefan Wittig<br />
Anpassung hat begonnen: Wie <strong>und</strong> weshalb wird der Klimawandel an der deutschen<br />
Nordseeküste bereits berücksichtigt?...............................................................................................98<br />
Rieke Müncheberg / Fritz Gosselck / Timothy Coppack / Alexander Weidauer<br />
Klimawandel an der Ostsee: Interessenskonflikte zwischen Natur- <strong>und</strong> Küstenschutz<br />
bei der Gewinnung mariner Sande..................................................................................................109<br />
i
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Hubertus Bardt.................................................................................................................................1<br />
Einführung<br />
Mahammad Mahammadzadeh / Esther Chrischilles ........................................................................2<br />
Einleitende Beiträge<br />
Räumliche Planung <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> –<br />
Steuerung durch informelle Prozesse oder Verankerung in Plänen ...........................................4<br />
Gérard Hutter / Bernhard Müller / Stefanie Rößler / Lena Herlitzius<br />
1. Einleitung<br />
2. <strong>Herausforderung</strong>en der räumlichen Planung bei der <strong>Klimaanpassung</strong><br />
3. Das „Integrierte <strong>Regional</strong>e <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm (IRKAP)“ <strong>als</strong> informelles Planungsinstrument<br />
4. Strategieorientierung am Beispiel des Themas „Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen<br />
sowie Gebäude“<br />
5. Fazit<br />
Literatur<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> aus Sicht der kommunalen Verwaltung <strong>und</strong> der Wirtschaft............................16<br />
Esther Chrischilles / Mahammad Mahammadzadeh<br />
1. Einleitung<br />
2. Unternehmerische Anpassungserfordernisse<br />
2.1.Klimawandel <strong>und</strong> unternehmensstrategische Bedeutung<br />
2.2.Direkte <strong>und</strong> indirekte Betroffenheiten<br />
2.3.Betroffenheit durch verschiedene Arten von Klimaereignissen<br />
3. Kommunale Anpassungserfordernisse<br />
3.1.<strong>Regional</strong>e Verletzlichkeiten<br />
3.2.Sektorale Verletzlichkeiten<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Anpassung in Städten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Die Modellvorhaben der Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung<br />
in Stadtregionen.............................................................................................................................28<br />
Stefan Greiving / Fabian Dosch<br />
1. Einleitung<br />
2. Die regionalen Modellvorhaben (KlimaMORO)<br />
3. Die kommunalen Modellvorhaben (StadtKlimaExWoSt)<br />
3.1 Analytisch-technische Ansätze<br />
3.2 Planerisch-bauliche Ansätze<br />
3.3 Informatorisch-organisatorische Ansätze<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
ii
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Siedlungsstruktur <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> in Stadtregionen..........................................................39<br />
Jörg Knieling / Lisa Kunert / Thomas Zimmermann<br />
1. Siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong><br />
2. <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels <strong>für</strong> Stadtregionen<br />
3. Bewertungskriterien <strong>für</strong> resiliente Siedlungsstrukturen auf regionaler Ebene<br />
4. Bewertung punkt-axialer Siedlungsstrukturkonzepte<br />
5. Analyse weiterer Siedlungsstrukturmodelle im Hinblick auf eine Weiterentwicklung punktaxialer<br />
Modelle<br />
6. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Wassersensible Stadtentwicklung – Informelle Planung versus<br />
verbindliche Konzepte...................................................................................................................49<br />
Marko Siekmann / Thomas Siekmann<br />
1. Einleitung<br />
2. dynaklim – Klimawandel <strong>und</strong> Siedlungsentwässerung<br />
3. Gefährdungsanalyse<br />
4. Vulnerabilitätsanalyse <strong>und</strong> Erstellung von Risikokarten<br />
5. Anpassungsmaßnahmen<br />
6. Instrumentarien<br />
7. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Anpassung im Ländlichen Raum: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung zur Anpassung an den Klimawandel am Beispiel<br />
des Landkreises Neumarkt in der Oberpfalz (Bayern) – Modellvorhaben der Raumordnung<br />
(MORO) KLIMA NEU.......................................................................................................................60<br />
Christian Jacoby<br />
1. Einleitung<br />
2. Struktur <strong>und</strong> Ablauf des Modellvorhabens KlimaNEU<br />
3. Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> <strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> -entwicklung<br />
3.1 Themengruppe „Energien“<br />
3.2 Themengruppe „Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur, Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit“<br />
3.3 Themengruppe „Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus“<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
<strong>Regional</strong>klimakarten <strong>und</strong> ihre Nutzung <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen................................72<br />
Lutz Katzschner / Sebastian Kupski<br />
1. Einleitung<br />
2. Methodik zur Erstellung von Klimafunktionskarten<br />
3. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
iii
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Raumbezogene Planung im Klimawandel – ebenen- <strong>und</strong> sektorübergreifend ...........................78<br />
Uta Steinhardt / Claudia Henze<br />
1. Einleitung<br />
2. <strong>Regional</strong>e Systemzusammenhänge<br />
3. Grenzen zwischen Planungshierarchien <strong>und</strong> Fachplanungen überwinden: Wasserwirtschaft<br />
<strong>und</strong> Naturschutz auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler Ebene<br />
3.1 Wasserwirtschaft <strong>und</strong> Naturschutz<br />
3.2 Wasserbezogene Planung auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler Ebene<br />
4. Vom Flächenmanagement zum Landnutzungsmanagement<br />
5. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Anpassung an den Küsten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Küstenschutz <strong>als</strong> Bestandteil der vorpommerschen Raumentwicklungsstrategie – Möglichkeiten<br />
<strong>und</strong> Grenzen der <strong>Regional</strong>planung .........................................................................................87<br />
Roland Wenk<br />
1. Einleitung<br />
2. Stand der <strong>Regional</strong>planung in der Planungsregion Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung<br />
des Küstenschutzes<br />
3. Die Raumentwicklungsstrategie „Anpassung an den Klimawandel <strong>und</strong> Klimaschutz in der Planungsregion<br />
Vorpommern“<br />
4. Raumplanerische Erfordernisse <strong>und</strong> Küstenschutz<br />
5. Zielstellungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Abstimmung von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz sowie Governance-<br />
Prozesse<br />
6. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Anpassung hat begonnen: Wie <strong>und</strong> weshalb wird der Klimawandel an der deutschen Nordseeküste<br />
bereits berücksichtigt?.......................................................................................................98<br />
Bastian Schuchardt / Stefan Wittig<br />
1. Einleitung<br />
2. Klimawandel <strong>und</strong> Küstenschutz: Sensitivität <strong>und</strong> potenzielle Auswirkungen<br />
2.1 Küstenschutz in der Metropolregion<br />
2.2 Klimawandel <strong>und</strong> Küstenschutz in der Metropolregioen<br />
3. Wie wird der Klimawandel vom Küstenschutz berücksichtigt?<br />
4. Welche Faktoren haben zur frühzeitigen Berücksichtigung des Klimawandels geführt?<br />
5. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Literatur<br />
Klimawandel an der Ostsee: Interessenskonflikte zwischen Natur- <strong>und</strong> Küstenschutz bei der<br />
Gewinnung mariner Sande...........................................................................................................109<br />
Rieke Müncheberg / Fritz Gosselck / Timothy Coppack / Alexander Weidauer<br />
1. Einleitung<br />
2. Naturschutzfachliche Belange bei der Kiesgewinnung<br />
3. Marine Sande <strong>für</strong> den Küstenschutz<br />
4. Gesetzliche Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Regelungsbedarf<br />
5. Zusammenfassung <strong>und</strong> Entwicklungsperspektiven<br />
Literatur<br />
iv
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Autorenverzeichnis<br />
Bardt, Hubertus, Dr., Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
Chrischilles, Esther, Dipl.-Volkswirtin, Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
Coppack, Timothy, Dr., Institut <strong>für</strong> angewandte Ökosystemforschung GmbH (IfAÖ), Neu Broderstorf<br />
Dosch, Fabian, Dr., B<strong>und</strong>esinstitut <strong>für</strong> Bau-, Stadt- <strong>und</strong> Raumforschung (BBSR), Bonn<br />
Gosselck, Fritz, Dr., Institut <strong>für</strong> angewandte Ökosystemforschung GmbH (IfAÖ), Neu Broderstorf<br />
Greiving, Stefan, Prof. Dr., Technische Universität Dortm<strong>und</strong>, Institut <strong>für</strong> Raumplanung/plan + risk<br />
consult<br />
Henze, Claudia, Dipl.- Landschaftsökologin, <strong>Regional</strong>e Planungsstelle Uckermark-Barnim<br />
Herlitzius, Lena, Dipl.-Ing., Technische Universität Dresden<br />
Hutter, Gérard, Dr., Leibniz-Institut <strong>für</strong> ökologische Raumentwicklung e.V.(IÖR), Dresden<br />
Jacoby, Christian, Prof. Dr, Universität der B<strong>und</strong>eswehr München<br />
Katzschner, Lutz, Prof. Dr., Universität Kassel<br />
Knieling, Jörg, Prof. Dr., HafenCity Universität Hamburg<br />
Kunert, Lisa, Dipl.-Ing., HafenCity Universität Hamburg<br />
Kupski, Sebastian, Dipl.-Ing., Universität Kassel<br />
Mahammadzadeh, Mahammad, Dr., Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
Müller, Bernhard, Prof. Dr. Dr. h.c., Leibniz-Institut <strong>für</strong> ökologische Raumentwicklung e.V. (IÖR),<br />
Dresden<br />
Müncheberg, Rieke, Dipl.-Ing., Staatliches Amt <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt Mittleres Mecklenburg<br />
(StALU MM), Rostock<br />
Rößler, Stefanie, Dr., Leibniz-Institut <strong>für</strong> ökologische Raumentwicklung e.V.(IÖR), Dresden<br />
Schuchardt, Bastian, Dr., BioConsult Schuchardt & Scholle GbR, Bremen<br />
Siekmann, Marko, Dipl.-Ing., Forschungsinstitut <strong>für</strong> Wasser- <strong>und</strong> Abfallwirtschaft (FiW) an der RWTH<br />
Aachen e.V.<br />
Siekmann, Thomas, Dipl.-Ing., Forschungsinstitut <strong>für</strong> Wasser- <strong>und</strong> Abfallwirtschaft (FiW) an der<br />
RWTH Aachen e.V.<br />
Steinhardt, Uta, Prof. Dr., Hochschule <strong>für</strong> nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH)<br />
Weidauer, Alexander, Dipl.-Phys., Institut <strong>für</strong> Angewandte Ökosystemforschung GmbH (IfAÖ), Neu<br />
Broderstorf<br />
Wenk, Roland, Dipl. agr.-Ing., Amt <strong>für</strong> Raumordnung <strong>und</strong> Landesplanung Vorpommern, Schwerin<br />
Wittig, Stefan, Dipl.-Biologe, BioConsult Schuchardt & Scholle GbR<br />
Zimmermann, Thomas, Dipl.-Ing., HafenCity Universität Hamburg<br />
v
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Vorwort<br />
Die Anpassung an <strong>die</strong> Klimafolgen <strong>und</strong> Extremwetterereignisse stellt <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung<br />
vor große <strong>und</strong> zum Teil auch neue <strong>Herausforderung</strong>en. Mit der Einbeziehung des Themenkomplexes<br />
Klimawandel, Extremwetterereignisse, Klimaschutz <strong>und</strong> Anpassung in den regionalen Planungsprozess<br />
erhöhen sich dessen Komplexität <strong>und</strong> Unsicherheitsgrad. <strong>Regional</strong>e Akteure <strong>und</strong> Entscheidungsträger<br />
verlangen nach mehr klimawandelbezogenen planungsrelevanten Informationen sowie nach<br />
adäquaten Konzepten <strong>und</strong> Methoden zur Problemlösung. Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> zielen zahlreiche<br />
Forschungsvorhaben auf <strong>die</strong> Entwicklung oder Weiterentwicklung derartiger Ansätze <strong>und</strong> Instrumente<br />
ab sowie auf <strong>die</strong> Generierung des dazu notwendigen Wissens über Klimaveränderungen <strong>und</strong> deren<br />
Wirkungszusammenhänge. Dadurch können vor allem Entscheidungsträger auf regionaler Ebene in<br />
<strong>die</strong> Lage versetzt werden, <strong>die</strong> Anpassungsaspekte rechtzeitig in Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse<br />
einzubeziehen.<br />
<strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung ist ein Querschnittsthema in der deutschen Anpassungsstrategie an den<br />
Klimawandel <strong>und</strong> hat bereits Eingang in entsprechende Forschungs- <strong>und</strong> Praxisprojekte gef<strong>und</strong>en.<br />
Die Raumplanung weist eine Vielzahl an Berührungspunkten mit anderen anpassungsrelevanten<br />
Themen wie Bau, Transport/Verkehr, Stadtentwicklung, Wasserversorgung <strong>und</strong> -entsorgung oder<br />
Ges<strong>und</strong>heit auf.<br />
Solche <strong>und</strong> andere Themen stehen im Fokus der Fördermaßnahme „KLIMZUG – Klimawandel in Regionen<br />
zukunftsfähig gestalten“, <strong>die</strong> sieben Regionen in Deutschland auf dem Weg zu einer regionalen<br />
Anpassungsstrategie unterstützt. Neben den KLIMZUG-Verb<strong>und</strong>projekten beschäftigen sich auch<br />
andere Modellvorhaben mit regionalen Anpassungsprozessen, insbesondere „KlimaMORO – Raumentwicklungsstrategien<br />
zum Klimawandel“ <strong>und</strong> „KlimaExWoSt – Urbane Strategien zum Klimawandel“.<br />
Letztere zielen vorwiegen auf eine Weiterentwicklung raumplanerischer Instrumente unter den Bedingungen<br />
des Klimawandels, wohingegen <strong>die</strong> KLIMZUG-Projekte an einer Vielzahl verschiedener Forschungsfragen<br />
zur Anpassung arbeiten, <strong>die</strong> jedoch immer mindestens auch einen indirekten Planungsbezug<br />
aufweisen. Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> wird in der vorliegenden Publikation nicht nur <strong>die</strong><br />
KLIMZUG-Forschung themenspezifisch aufgearbeitet, sondern erstm<strong>als</strong> auch um Forschungsergebnisse<br />
anderer Forschungsverbünde ergänzt.<br />
Die Autorinnen <strong>und</strong> Autoren der Beiträge setzen sich nachfolgend konzeptionell fun<strong>die</strong>rt <strong>und</strong> methodisch<br />
umfassend mit der <strong>Klimaanpassung</strong> in der <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung auseinander, stellen <strong>die</strong><br />
entwickelten Ansätze <strong>und</strong> Verfahren vor, gehen auf Möglichkeiten, Problemfelder <strong>und</strong> Grenzen der<br />
Raumplanung insbesondere auf regionaler Ebene ein <strong>und</strong> zeigen Entwicklungsperspektiven auf.<br />
Die vorgeschlagenen Konzepte <strong>und</strong> Instrumente bieten angesichts ihrer Praxisrelevanz wertvolle Hilfestellungen<br />
bei einer klimawandelgerechten <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung. Wir hoffen, dass <strong>die</strong> Publikationen<br />
sowie <strong>die</strong> darin präsentierten Strategien, Instrumente <strong>und</strong> Anwendungsbeispiele eine breite<br />
Leserschaft in der Praxis <strong>und</strong> der Forschung finden.<br />
Dr. Hubertus Bardt<br />
Stellv. Leiter Wissenschaftsbereich Wirtschaftspolitik <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />
Leiter Kompetenzfeld Umwelt, Energie, Ressourcen<br />
Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
1
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Einführung<br />
Um <strong>die</strong> im Kontext der Anpassung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung gewonnenen Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />
aus der deutschen Anpassungsforschung zu bündeln, <strong>die</strong> entwickelten Ansätze <strong>und</strong> Instrumente zu<br />
diskutieren, Handlungsbedarf ab zu leiten <strong>und</strong> nicht zuletzt mögliche Handlungsempfehlungen geben<br />
zu können, fand am 30. September 2011 ein KLIMZUG-verb<strong>und</strong>übergreifender Workshop satt. Daran<br />
waren nicht nur alle KLIMZUG-Verbünde beteiligt, sondern auch Vertreter themenverwandter Modellvorhaben<br />
wie KlimaMORO <strong>und</strong> KlimaExWost. Veranstalter <strong>und</strong> Gastgeber war das Institut der deutschen<br />
Wirtschaft Köln, das den KLIMZUG-Begleitprozess durchführt. Im Rahmen von Vorträgen <strong>und</strong><br />
moderierten Diskussionen konnte detailliert auf <strong>Klimaanpassung</strong> in Städten, im ländlichen Raum <strong>und</strong><br />
an deutschen Küsten eingegangen <strong>und</strong> jeweils <strong>die</strong> Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Regional</strong>planung<br />
aufgezeigt <strong>und</strong> diskutiert werden. Dabei wurden insbesondere folgenden Fragestellungen <strong>und</strong> Probleme<br />
thematisiert:<br />
� Wo liegen konkrete Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen einer anpassungsorientierten <strong>Regional</strong>planung?<br />
Welches sind wesentliche Handlungsfelder?<br />
� Wie können <strong>die</strong> vorhandenen Erkenntnisse aus den Projekten in <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Stadtplanung<br />
eingespeist werden? Wo liegen <strong>die</strong> wesentlichen Ansatzpunkte <strong>und</strong> Hemmnisse?<br />
� Ist eine gesetzliche Erweiterung der vorhandenen Instrumente der Raumplanung um <strong>die</strong> Aspekte<br />
der <strong>Klimaanpassung</strong> erforderlich?<br />
� Wie kann mit dem Thema „Unsicherheiten“ in der anpassungsbezogenen <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong><br />
Stadtplanung umgegangen werden?<br />
� Wie können „No-Regret-Maßnahmen“ identifiziert werden?<br />
� Wie kann <strong>die</strong> Datengr<strong>und</strong>lage verbessert <strong>und</strong> der Zugang zu vorhandenen Daten geschaffen<br />
werden?<br />
� Ist „Climate-Proofing“ ein geeignetes Instrument bei der <strong>Regional</strong>planung?<br />
� Gibt es Finanzierungsprobleme, falls ja, wie können sie reduziert werden?<br />
� Wie kann eine ausgewogene Balance zwischen formellen <strong>und</strong> informellen Instrumenten der<br />
<strong>Regional</strong>planung gef<strong>und</strong>en werden?<br />
� Welche Transferpotenziale besitzen verschiedene Analysen <strong>und</strong> Methoden wie Klimafunktionskarten,<br />
Betroffenheitsindex, Gewerbeklimalotse, klimaangepasste Siedlungsstrukturmodelle,<br />
multifunktionale Flächen oder EDV-gestützte Verw<strong>und</strong>barkeitschecks?<br />
Diese <strong>und</strong> weitere Fragstellungen sind zum großen Teil auch Gegenstand der vorliegenden Publikation.<br />
Diese ist in Anlehnung an <strong>die</strong> Aufteilung der Veranstaltung in einen einführenden Block <strong>und</strong> drei<br />
thematische Einheiten gegliedert.<br />
Der erste Beitrag von Hutter/Müller/Rößler/Herlitzius erläutert wichtige Gr<strong>und</strong>begriffe der Raumplanung<br />
<strong>und</strong> skizziert <strong>die</strong>se <strong>als</strong> Spannungsfeld auf dem unterschiedliche Akteursinteressen sowie eine<br />
Vielzahl an informellen <strong>und</strong> formellen Lösungsansätzen zum Ausgleich gebracht werden.<br />
Ein weiterer einführender Beitrag von Chrischilles/Mahammadzadeh stellt unternehmerische sowie<br />
kommunale Anpassungsansprüche dar, <strong>die</strong> sich aus klimawandelbedingten Betroffenheiten <strong>und</strong> Verletzlichkeiten<br />
ergeben. Hierbei fließen <strong>die</strong> Erkenntnisse aus der Kommunal- <strong>und</strong> Unternehmensbefragung<br />
ein, <strong>die</strong> 2011 im Rahmen des KLIMZUG-Begleitprozesses durchgeführt wurde.<br />
2
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> in Städten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Greiving/Dosch stellen <strong>die</strong> Modellvorhaben der Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung an den<br />
Klimawandel vor. Insbesondere wird das Vorhaben „Urbane Konzepte zum Klimawandel (StadtKlima-<br />
ExWoSt)“ <strong>und</strong> damit Ansätze <strong>und</strong> Ergebnisse <strong>für</strong> <strong>die</strong> lokale bis stadtregionale Ebene dargelegt.<br />
Anschließend diskutieren Knieling/Kuhnert/Zimmermann (KLIMZUG-NORD) siedlungsstrukturelle<br />
Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte in Bezug auf eine klimaangepasste Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung. Im<br />
Mittelpunkt steht dabei eine Resilienz-Analyse von punkt-axialen Modellen.<br />
Der dritte Beitrag in <strong>die</strong>sem Block wägt formelle <strong>und</strong> informelle Planungsansätze <strong>für</strong> eine wassersensible<br />
Stadtentwicklung ab. Zuvor nehmen Siekmann/Siekmann (dynaklim/KLIMZUG) eine fun<strong>die</strong>rte<br />
Abschätzung der erwarteten Belastung der Entwässerungssysteme im Siedlungsbereich vor.<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> im ländlichen Raum: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Für den ländlichen Raum stellt Jacoby (KlimaMORO) raumplanerische Handlungsempfehlungen <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel dar. Dies geschieht am Beispiel der Region Regensburg <strong>und</strong> des<br />
Landkreises Neumarkt in der Oberpfalz <strong>und</strong> fokussiert <strong>die</strong> Themen „Energien“, „Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur,<br />
Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit“ sowie „Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus“.<br />
Katschner/Kupski (KLIMZUG-Nordhessen) widmen sich in ihrem Beitrag dem Instrument der Klimafunktionskarte,<br />
mit deren Hilfe mikroklimatische Bedingungen insbesondere in Ballungsräumen abgebildet<br />
werden. Die Methodik wurde am Beispiel des Raums Kassel weiterentwickelt, um Auswirkungen<br />
des Klimawandels auf regionaler Ebene abschätzen zu können.<br />
Brandenburg bietet den regionalen Bezugspunkt zum Beitrag von Steinhardt/Henze (INKA BB), <strong>die</strong><br />
regionale Systemzusammenhänge in den Blick nehmen <strong>und</strong> ein Tool <strong>für</strong> <strong>die</strong> kommunale <strong>und</strong> regionale<br />
Planungsebene vorstellen, das der Ermittlung von Retentionsflächen <strong>die</strong>nt.<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> an den Küsten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Wenk (KlimaMORO) beschreibt hier zunächst anhand einer Raumentwicklungsstrategie das Zusammenwirken<br />
von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz. Im Fokus steht <strong>die</strong> an der südlichen Ostsee gelegene<br />
Planungsregion Vorpommern, <strong>die</strong> besonders empfindlich gegenüber einem ansteigenden Meeresspiegel<br />
ist.<br />
Beim Küstenschutz an der Nordsee wird eine Anpassung an den beschleunigten Meeresspiegelanstieg<br />
bereits realisiert. Schuchardt/Wittig (nordwest2050/KLIMZUG) diskutieren am Beispiel der Metropolregion<br />
Bremen-Oldenburg, welche Voraussetzungen <strong>die</strong>sen Prozess begünstigt haben.<br />
An der Ostsee schließlich kommt es bei der Gewinnung mariner Sande zu Interessenskonflikten zwischen<br />
Natur- <strong>und</strong> Küstenschutz. Erste Lösungsansätze im Rahmen einer anwendbaren Raumordnung<br />
im marinen Bereich skizzieren Müncheberg/Gosselck/Coppack/Weidauer (RADOST/KLIMZUG).<br />
An <strong>die</strong>ser Stelle möchten wir uns herzlich bei allen Autorinnen <strong>und</strong> Autoren <strong>die</strong>ser Publikation bedanken<br />
sowie bei Frau Elena M. Rottgardt, Leuphana Universität Lüneburg, Herrn Prof. Dr. Lutz Katzschner,<br />
Universität Kassel <strong>und</strong> Herrn Jens U. Hasse, Forschungsinstitut <strong>für</strong> Wasser <strong>und</strong> Abfallwirtschaft<br />
an der RWTH Aachen, <strong>die</strong> uns bei der Moderation des Workshops unterstützt haben.<br />
Wir wünschen eine spannende Lektüre!<br />
Mahammad Mahammadzadeh<br />
Esther Chrischilles<br />
3
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Räumliche Planung <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> – Steuerung durch informelle<br />
Prozesse oder Verankerung in Plänen?<br />
Das „Integrierte <strong>Regional</strong>e <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm“ im Modellprojekt REGKLAM <strong>als</strong> Beispiel<br />
Gérard Hutter / Bernhard Müller / Stefanie Rößler / Lena Herlitzius<br />
1. Einleitung<br />
B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder fördern derzeit in hohem Maße <strong>die</strong> Strategieentwicklung zur <strong>Klimaanpassung</strong> in<br />
Regionen. Hervorstechend ist das Förderprogramm KLIMZUG des B<strong>und</strong>esministeriums <strong>für</strong> Bildung<br />
<strong>und</strong> Forschung (BMBF) mit Vorhaben in sieben Modellregionen in Deutschland. Das KLIMZUG-<br />
Verb<strong>und</strong>vorhaben REGKLAM 1 in der Modellregion Dresden verfolgt das Ziel, bis Mitte des Jahres<br />
2013 ein „Integriertes <strong>Regional</strong>es <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm (IRKAP)“ zu formulieren. Das IRKAP ist<br />
ein informelles Planungsinstrument mit Ähnlichkeiten zu „<strong>Regional</strong>en Entwicklungskonzepten (REK)“:<br />
Es hat keine formale rechtliche Verbindlichkeit, sondern soll Akteure im Prozess zum Handeln motivieren<br />
<strong>und</strong> Kooperationen befördern. Es wird in einem offenen Prozess von einer Vielzahl von Akteuren<br />
erarbeitet <strong>und</strong> ist mit seinen vielfältigen Maßnahmenvorschlägen <strong>und</strong> Projekten in hohem Maße umsetzungsorientiert.<br />
Gleichwohl weist das IRKAP auch Bezüge zur formalen Planung auf unterschiedlichen<br />
Ebenen auf: So lieferte es Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Landesentwicklungsplanung in Sachsen <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
Flächennutzungsplanung in Dresden.<br />
In den IRKAP-Prozess involviert sind einerseits Vertreter der Wissenschaft aus unterschiedlichen<br />
Disziplinen (vor allem IÖR, TU Dresden, TU Bergakademie Freiberg) <strong>und</strong> andererseits zahlreiche<br />
Vertreter der Praxis aus Verwaltung <strong>und</strong> Wirtschaft (zum Beispiel Landeshauptstadt Dresden mit zahlreichen<br />
Ämtern <strong>und</strong> Abteilungen, Umwelt- <strong>und</strong> Innenministerium, Fachbehörden, <strong>Regional</strong>er Planungsverband<br />
Oberes Elbtal/Osterzgebirge, IHK Dresden, Unternehmen der Region). Die Beteiligung<br />
von Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen wird schrittweise intensiviert<br />
(Müller/Hutter, 2009; Hutter et al., 2011).<br />
Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> ist es das Ziel <strong>die</strong>ses Beitrags, Besonderheiten der informellen Planung zur<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> am Beispiel des IRKAP in der Modellregion Dresden herauszuarbeiten. Kapitel zwei<br />
beschäftigt sich zunächst mit den <strong>Herausforderung</strong>en von formaler <strong>und</strong> informeller räumlicher Planung<br />
bei der <strong>Klimaanpassung</strong>. Kapitel drei zeigt anhand eines Vergleichs zwischen REK <strong>und</strong> dem IRKAP<br />
einige Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede auf. Kapitel vier vertieft <strong>die</strong> Planungsinhalte des IRKAP<br />
am Thema „Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäude“, um <strong>die</strong> Strategieorientierung<br />
des Programms zu verdeutlichen. Kapitel fünf formuliert ein kurzes Fazit.<br />
2. <strong>Herausforderung</strong>en der räumlichen Planung bei der <strong>Klimaanpassung</strong><br />
Strategien zur pro-aktiven Anpassung an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels sind eine noch relativ neue<br />
<strong>Herausforderung</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> räumliche Planung <strong>und</strong> Entwicklung. Neu ist dabei nicht, dass der Klimawan-<br />
1 REGKLAM steht <strong>für</strong> „Entwicklung <strong>und</strong> Erprobung eines integrierten regionalen <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramms <strong>für</strong> <strong>die</strong> Modellre-<br />
gion Dresden“ (www.regklam.de).<br />
4
KLIMZUG-Workingpaper<br />
del überhaupt in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern („Sektoren“) berücksichtigt wird. Im Handlungsfeld<br />
der Landwirtschaft wird beispielsweise bereits seit mehreren Jahren nach neuen Strategien<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Anpassung an klimawandel-induziert veränderte Anbaubedingungen gesucht. Neu sind vielmehr<br />
der integrierte (bzw. integrative) – <strong>als</strong>o mehrere Handlungsfelder übergreifende – <strong>und</strong> der regionale<br />
Anspruch einer Anpassung an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels. Und neu ist auch, dass sich <strong>die</strong><br />
räumliche Planung dem Thema immer stärker <strong>und</strong> <strong>als</strong> einer der Hauptakteure im Handlungsfeld<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> zu profilieren beginnt.<br />
Seit einigen Jahren erlebt <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel eine ausgeprägte<br />
Dynamik. Ressorts auf B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesebene beschäftigen sich mit möglichen Anpassungsstrategien<br />
<strong>und</strong> legen entsprechende Programme bzw. Vorhaben auf. Viele B<strong>und</strong>esländer verfügen mittlerweile<br />
über Klimaschutzkonzepte, Anpassungsstrategien oder zumindest Gr<strong>und</strong>lagenarbeiten hierzu.<br />
Nachdem <strong>die</strong> Raumplanung zu Beginn der Diskussion noch relativ zurückhaltend schien, hat sie<br />
inzwischen doch vielerorts begonnen, sich aktiv in <strong>die</strong> Entwicklung von Anpassungsstrategien einzuschalten<br />
<strong>und</strong> ihre regionalen Koordinationsaufgaben auch in <strong>die</strong>sem Themenfeld wahrzunehmen.<br />
Hilfreich waren dabei b<strong>und</strong>esweite „Modellvorhaben der Raumordnung“ (KlimaMORO), so in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Brandenburg, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern <strong>und</strong> Sachsen.<br />
Auch <strong>die</strong> Wissenschaft meldet sich verstärkt zu Wort. So sind mehrere Publikationen der Akademie<br />
<strong>für</strong> Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung dem Thema <strong>Klimaanpassung</strong> gewidmet. Eine Arbeitsgruppe<br />
beschäftigte sich in den letzten Jahren unter anderem mit Planungs- <strong>und</strong> Steuerungsinstrumenten<br />
zum Umgang mit dem Klimawandel. Andere neuere Arbeiten behandeln Instrumente der regionalen<br />
Raumordnung <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung an den Klimawandel (Fröhlich et al., 2011). Andere<br />
Akademien, so <strong>die</strong> Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften <strong>und</strong> <strong>die</strong> Deutsche<br />
Akademie der Technikwissenschaften (acatech), greifen das Thema aus einer interdisziplinären Perspektive<br />
auf.<br />
Im Hinblick auf <strong>die</strong> räumliche Planung <strong>und</strong> Entwicklung – verstanden <strong>als</strong> Akteur <strong>und</strong> Handlungsfeld –<br />
gilt es, vor allem drei <strong>Herausforderung</strong>en zu beachten: das heterogene Akteursspektrum, <strong>die</strong> Veränderung<br />
von Zeithorizonten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Passfähigkeit von Instrumenten.<br />
Akteure<br />
Bei der <strong>Klimaanpassung</strong> ist von einem breiten Akteursspektrum auszugehen. Mindestens sechs „Akteursgruppen“<br />
lassen sich unterscheiden: Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Me<strong>die</strong>n, Zivilgesellschaft<br />
sowie Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung. Diese haben eigene Interessen <strong>und</strong> Handlungslogiken. Ihre Einbindung<br />
in Prozesse der <strong>Klimaanpassung</strong> ist unterschiedlich, ebenso divergiert ihre Bereitschaft, sich zu<br />
engagieren. Und auch in sich sind <strong>die</strong> Akteursgruppen bei weitem nicht homogen. Dies zeigt sich unter<br />
anderem in den unterschiedlichen Zielsetzungen der einzelnen Fachverwaltungen oder es wird<br />
augenscheinlich in der Politik. Die Raumplanung <strong>als</strong> ein Akteur der Verwaltung ist <strong>als</strong>o bei weitem<br />
nicht der einzige Akteur im Feld der <strong>Klimaanpassung</strong>. Neben den sektoralen Planungs- <strong>und</strong> Fachbehörden,<br />
denen jeweils eigene Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen, spielen weitere Akteure<br />
aus Verwaltung, Wirtschaft <strong>und</strong> Zivilgesellschaft, von der Versicherungswirtschaft über den ehrenamtlichen<br />
Naturschutz bis hin zum Katastrophenschutz, eine große Rolle. Somit kann <strong>die</strong> Raumplanung<br />
auch nicht alleine „steuern“, sondern bestenfalls <strong>die</strong> Rolle eines Förderers von Kooperation <strong>und</strong> koordiniertem<br />
Handeln sowie eines Netzwerksbildners übernehmen. Sie kann eine Plattform bieten zur<br />
Diskussion, zum Interessenausgleich <strong>und</strong> zur Entwicklung von Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen zur Anpassung<br />
an den Klimawandel. Dies steht im Kontrast zu ihrer traditionellen Aufgabe der Steuerung der<br />
Raumentwicklung durch Pläne <strong>und</strong> Programme <strong>und</strong> kommt ihrer Funktion <strong>als</strong> Auslöser <strong>und</strong> Gestalter<br />
von regionalen Entwicklungsprozessen entgegen.<br />
5
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Zeit<br />
Die integrierende räumliche Planung auf den unterschiedlichen Planungsebenen (Land, Region,<br />
Kommune) ist in unserer Gesellschaft mit ihren teilweise äußerst dynamischen Entwicklungen bereits<br />
heute ein Garant <strong>für</strong> <strong>die</strong> Berücksichtigung von Langfristperspektiven. Pläne sind auf eine Dekade hin<br />
angelegt, manche Planungshorizonte reichen weit darüber hinaus. Vergleicht man <strong>die</strong>s jedoch mit den<br />
zeitlichen Dimensionen von Szenarios des Klimawandels <strong>und</strong> der <strong>Klimaanpassung</strong>, <strong>die</strong> häufig Zeiträume<br />
von 50 bis 100 Jahren berücksichtigen, so wird <strong>die</strong> <strong>Herausforderung</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> räumliche Planung<br />
deutlich: Eine an den Erfordernissen der <strong>Klimaanpassung</strong> ausgerichtete Raumplanung muss Handlungsfelder<br />
mit völlig unterschiedlichen Zeithorizonten integrieren. Das Spektrum reicht dabei von den<br />
eher auf wenige Jahre hin angelegten Zyklen der Landwirtschaft bis hin zu den extrem langen Planungshorizonten<br />
der Forstwirtschaft, von den eher kurzfristigen Perspektiven der gewerblichen Wirtschaft,<br />
insbesondere im produzierenden Bereich bis hin zu den Entscheidungen von Firmen, lokalen<br />
Ver- <strong>und</strong> Entsorgern <strong>und</strong> privaten Eigentümern bei Investitionen in Gebäude, Technologien <strong>und</strong> Infrastrukturnetze,<br />
<strong>die</strong> eine hohe Lebensdauer haben (vgl. Frommer, 2010, 71). Zudem wird deutlich, dass<br />
selbst <strong>die</strong> Langfristorientierung der räumlichen Planung im Vergleich zu den Auswirkungen des Klimawandels<br />
<strong>und</strong> den notwendigen Anpassungsstrategien noch relativ kurz greift.<br />
Instrumente<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> kann mit Blick auf <strong>die</strong> räumliche Planung sowohl ein Thema der formalen <strong>als</strong> auch<br />
der informellen Planung sein. Bei der formalen Planung, unter anderem auf regionaler Ebene, geht es<br />
dabei einerseits um Festlegungen zur Freiraum-, Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastrukturentwicklung. Andererseits<br />
geht es aber auch um verfahrensbezogene Instrumente, etwa <strong>die</strong> Strategische Umweltprüfung,<br />
Raumordnungsverfahren oder das sogenannte Climate Proofing. Ebenso können raumordnerische<br />
Verträge oder Zielvereinbarungen zur Verwirklichung von regionalplanerischen Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> Zielen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> nutzbar gemacht werden. Bei der informellen Planung geht es zum einen<br />
um <strong>die</strong> Erarbeitung von Szenarien, Leitbildern <strong>und</strong> Entwicklungskonzepten, <strong>die</strong> Schaffung von Akteursnetzwerken<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Förderung von regionaler Kooperation, zum anderen aber auch um informatorische<br />
Steuerungsinstrumente wie Gefahren-, Risiko- oder Vulnerabilitätskarten (vgl. auch Fröhlich<br />
et al., 2011). Die räumliche Planung steht angesichts <strong>die</strong>ser Situation vor der <strong>Herausforderung</strong>, <strong>die</strong><br />
vorhandenen Instrumente situationsgerecht <strong>und</strong> flexibel anzuwenden (Instrumentenmix).<br />
Fasst man <strong>die</strong> genannten <strong>Herausforderung</strong>en zusammen, so ergibt sich ein komplexes Spannungsfeld:<br />
Versucht Raumplanung Steuerungsmacht zu erlangen, so läuft sie Gefahr, von den anderen<br />
Akteuren, <strong>und</strong> zwar nicht nur von den Fachverwaltungen, sondern auch von Wirtschaft <strong>und</strong> Zivilgesellschaft,<br />
„ausgebremst“ zu werden. Bietet sie sich lediglich <strong>als</strong> Plattform an, könnte es hingegen<br />
dazu kommen, dass sie nur mehr bedingt wahrgenommen wird, während andere Akteure <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong><br />
inhaltlich einseitig bestimmen.<br />
Raumplanung hat unter den beteiligten Akteuren <strong>die</strong> größte Expertise im Hinblick auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />
von Langfristperspektiven. Spielt sie <strong>die</strong>se Expertise aus, so läuft sie Gefahr, sich von den Erfahrungs-<br />
<strong>und</strong> Planungshorizonten einer Vielzahl von Akteuren so weit zu entfernen, dass sie von <strong>die</strong>sen<br />
<strong>als</strong> irrelevant angesehen wird. Beschäftigt sie sich zu sehr mit kurzfristigen Handlungsansätzen, so<br />
wird sie den Anforderungen an eine Anpassung an den Klimawandel nur bedingt gerecht.<br />
Im Hinblick auf <strong>die</strong> Steuerung von Entwicklungsprozessen steht der Raumplanung zwar ein großes<br />
Arsenal an Instrumenten zur Verfügung. Sie kann formal steuern wie informell ermöglichen. Stellt sie<br />
dabei formale Aspekte zu stark in den Vordergr<strong>und</strong>, droht <strong>die</strong> notwendige Flexibilität bei der <strong>Klimaanpassung</strong><br />
unterlaufen zu werden. Fokussiert sie hingegen zu stark auf informelle Steuerung, so läuft<br />
6
KLIMZUG-Workingpaper<br />
sie Gefahr, dass Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen zwar vereinbart, aber in letzter Konsequenz doch nicht<br />
umgesetzt werden, weil <strong>die</strong> übrigen Akteure sich nicht an <strong>die</strong> Vereinbarungen geb<strong>und</strong>en fühlen. Dies<br />
dürfte mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den Strategieentscheidungen immer gravierender<br />
werden.<br />
In <strong>die</strong>sem Spannungsfeld den „richtigen“ Weg im Umgang mit unterschiedlichen Akteuren <strong>und</strong> ihren<br />
Interessen, <strong>die</strong> adäquaten Ansätze zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Zeithorizonte <strong>und</strong> einen<br />
sinnvollen <strong>und</strong> erfolgreichen Instrumentenmix bei der <strong>Klimaanpassung</strong> zu finden, dürfte <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Raumplanung in den kommenden Jahren eine ihrer größten <strong>Herausforderung</strong>en sein.<br />
3. Das „Integrierte <strong>Regional</strong>e <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm (IRKAP)“ <strong>als</strong> informelles<br />
Planungsinstrument<br />
Die Region Dresden beschreitet einen Weg zur <strong>Klimaanpassung</strong>, indem sie im Rahmen des KLIM-<br />
ZUG-Vorhabens REGKLAM das sogenannte „Integrierte <strong>Regional</strong>e <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm<br />
(IRKAP)“ formuliert, erprobt <strong>und</strong> teilweise umsetzt (Projektlaufzeit: 2008 – 2013). Es ist noch zu früh,<br />
um zu beurteilen, ob <strong>die</strong>s der „richtige“ Weg ist. Das Folgende konkretisiert <strong>für</strong> das informelle Planungsinstrument<br />
IRKAP <strong>die</strong> <strong>Herausforderung</strong>en der <strong>Klimaanpassung</strong> im Hinblick auf heterogene Akteure<br />
mit unterschiedlichen Zeithorizonten <strong>und</strong> instrumentellen Steuerungsmöglichkeiten (vgl. Übersicht<br />
1).<br />
KLIMZUG-Projekte, wie REGKLAM, sollen insbesondere auch umsetzungsorientiert sein. Bildlich<br />
gesprochen: Durch Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis gemeinsam formulierte Strategiepapiere <strong>und</strong> Projektvorschläge<br />
sollen nicht in „Schubladen verschwinden“, sondern Entscheidungen in der regional bedeutsamen<br />
Politik, Verwaltung, Wirtschaft usw. beeinflussen sowie zu konkreten Verbesserungen <strong>für</strong> Regionen<br />
führen. Die im REGKLAM-Rahmenantrag an das BMBF enthaltene Zielformulierung zum<br />
IRKAP unterstreicht den regionalen, integrativen <strong>und</strong> praxis- bzw. umsetzungsorientierten Anspruch<br />
des Programms: „Als Verb<strong>und</strong>vorhaben zwischen Wissenschaft, Politik <strong>und</strong> Verwaltung sowie Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft zielt es [das Projekt REGKLAM, <strong>die</strong> Autoren] auf <strong>die</strong> modellhafte Entwicklung<br />
<strong>und</strong> Erprobung eines branchen-, sektor- <strong>und</strong> ebenenübergreifenden Integrierten <strong>Regional</strong>en <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramms<br />
(IRKAP) <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft in der Region Dresden <strong>und</strong> deren Wirtschaftsraum<br />
(Projektziel).“ (REGKLAM-Rahmenantrag, S. 1, kursiv im Original)<br />
Ausgangspunkt bei der Entwicklung von REGKLAM war <strong>die</strong> These, dass ein regionales, integratives<br />
<strong>und</strong> umsetzungsorientiertes Programm zur <strong>Klimaanpassung</strong> einen informellen Planungsansatz erfordert,<br />
der einem REK ähnelt. Übersicht 1 nennt in der linken Spalte <strong>die</strong> allgemeinen Merkmale eines<br />
REK (zusammenfassend Danielzyk/Knieling, 2011). Die rechte Spalte ordnet <strong>die</strong>sen Merkmalen Erfahrungen<br />
<strong>und</strong> Erkenntnisse aus REGKLAM zu (vertiefend Müller/Hutter, 2009; Hutter et al., 2011).<br />
Pragmatische Definition der Modellregion Dresden, Vielfalt an Raumbezügen<br />
<strong>Regional</strong>e Entwicklungskonzepte können räumlich sehr unterschiedlich zugeschnitten sein, je nachdem<br />
welche Zielsetzung, Methodik <strong>und</strong> Trägerschaft von Bedeutung ist. Klar ist, dass ihr räumliches<br />
Referenzgebiet oberhalb der kommunalen Ebene <strong>und</strong> unterhalb der Landesebene zu bestimmen ist.<br />
Für das Modellprojekt REGKLAM <strong>und</strong> das IRKAP greift allerdings der Fokus auf eine räumliche Maßstabsebene<br />
zu kurz. Es gibt zahlreiche räumliche Referenzen von Zielen <strong>und</strong> Maßnahmen. In jedem<br />
Themenfeld ergeben sich themenspezifische Mischungsverhältnisse von stärker regional oder lokal<br />
definierten Raumbezügen (zum Beispiel Branchenanalysen mit regionaler Ausrichtung, Anpassungsmaßnahmen<br />
<strong>für</strong> den öffentlichen Raum mit stark lokalem Bezug, wie Auswahl <strong>und</strong> Pflanzung von<br />
Straßenbäumen).<br />
7
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Übersicht 1: Informelle Planung <strong>und</strong> das IRKAP <strong>als</strong> Anwendungsbeispiel<br />
Informelle Planung<br />
(am Beispiel REK)<br />
IRKAP <strong>als</strong> Anwendungsbeispiel informeller Planung<br />
Mittlere Maßstabsebene Pragmatische Definition der Modellregion;<br />
Vielfalt an Raumbezügen, je nach Themenfeld unterschiedlich<br />
Integrierter Entwicklungsansatz „Breite Agenda“: mehrere Themen der <strong>Regional</strong>entwicklung;<br />
gleichwohl selektiv (z. B. Verkehrsfragen nicht im Vordergr<strong>und</strong>)<br />
Kooperation Akteure: Wissenschaft <strong>als</strong> Initiator, Organisator, <strong>und</strong> Moderator; Praxis<br />
von zentraler Bedeutung <strong>für</strong> Relevanz, Verbindlichkeit, Umsetzung<br />
Prozessuale Methodik Akteure: Organisation <strong>und</strong> Methodik gemäß Projektantrag; gleichwohl<br />
Reorganisation erforderlich (u. a. <strong>für</strong> Aufbau von Vertrauen)<br />
Strategieorientierung Zeit: Umgang mit Langfristorientierung <strong>und</strong> Unsicherheiten; Strategie<br />
durch Leitbild <strong>und</strong> Handlungsschwerpunkte, Umsetzungsorientierung<br />
durch konkrete Ziele <strong>und</strong> Maßnahmen<br />
Instrumenten-Mix IRKAP mit breiter Agenda <strong>und</strong> Umsetzungstiefe, Entwicklung von<br />
Schlüsselprojekten; Verknüpfung mit formalen/informellen Planungen<br />
(z. B. Landesentwicklungsplan, Flächennutzungsplan, Integriertes Stadt-<br />
entwicklungskonzept)<br />
Eigene Darstellung (auf der Gr<strong>und</strong>lage von: Danielzyk/Knieling, 2011, S. 477 zu REK; Müller/Hutter, 2009; Hutter et al., 2011<br />
zum IRKAP)<br />
Integrierter Entwicklungsansatz<br />
Die „Agenda“ des IRKAP dokumentiert das hohe Interesse der Praxis an einem integrierten Entwicklungsansatz.<br />
Das IRKAP ist – auf der Basis intensiver Diskussionen zwischen Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis<br />
– durch eine „breite Agenda“ geprägt. Das Spektrum reicht von Zielen <strong>und</strong> Maßnahmen in den<br />
Themenfeldern Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäude, Wasserhaushalt<br />
<strong>und</strong> Wasserwirtschaft, Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft <strong>und</strong> Gewerbliche Wirtschaft bis zu Fragen des Naturschutzes<br />
<strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heit. Für <strong>die</strong> beiden zuletzt genannten Themenfelder gibt es allerdings<br />
keine Untersetzung durch wissenschaftliche Teilprojekte von REGKLAM (zum Teil aus förderpolitischen<br />
Gründen). Die Programmentwicklung zu <strong>die</strong>sen Themen erfordert deshalb – wie bei allen anderen<br />
Themen auch, hier aber verstärkt – <strong>die</strong> Berücksichtigung von Praxiswissen, zusätzliche Forschungsaktivitäten<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Auswertung von Projekten Dritter.<br />
Kooperation<br />
REGKLAM ist, wie andere KLIMZUG-Verbünde auch, durch eine intensive Kooperation von Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Praxis geprägt. Die vergleichsweise hohen Förderbudgets der KLIMZUG-Verbünde wirken<br />
kooperationsfördernd (ein Überblick findet sich im „Aktionsplan Anpassung“, vgl. Deutsche B<strong>und</strong>esregierung,<br />
2011, Anlage H.3). REK werden oftm<strong>als</strong> nicht auf einer solchen Ressourcenbasis formuliert.<br />
Entsprechend hoch sind <strong>die</strong> Erwartungen an <strong>die</strong> integrative <strong>und</strong> strategische Ausrichtung des IRKAP.<br />
8
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Organisationsstruktur <strong>und</strong> ihre Weiterentwicklung<br />
Die im REGKLAM-Rahmenantrag dargelegte Organisationsstruktur <strong>und</strong> Vorgehensweise wurde weitgehend<br />
antragsgemäß umgesetzt. Gleichwohl zeigten sich im bisherigen Projektverlauf <strong>Herausforderung</strong>en,<br />
<strong>die</strong> eine Reorganisation bzw. Weiterentwicklung der Organisation nahelegten (zum Beispiel<br />
Etablierung einer „Arbeitsr<strong>und</strong>e von Koordinatoren <strong>und</strong> IRKAP-Team“, vgl. Hutter et al., 2011, oder<br />
eines „Fachkreises Städtebau“, vgl. Kapitel 4). <strong>Klimaanpassung</strong> durch informelle Planung erfordert<br />
ausreichend finanzielle Ressourcen <strong>und</strong> laufend Aufmerksamkeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung von Organisations-<br />
<strong>und</strong> Arbeitsweisen im Einklang mit inhaltlichen Anforderungen zu einzelnen Themenfeldern.<br />
Strategieorientierung<br />
REK enthalten „… sowohl gr<strong>und</strong>sätzliche, strategische Aussagen zur künftigen Entwicklung der Region<br />
wie auch konkrete handlungsorientierte Festlegungen …“ (Danielzyk/Knieling, 2011, S. 477). Strategieorientierung<br />
zielt auf <strong>die</strong> Synthese von gr<strong>und</strong>sätzlichen Aussagen mit konkreten Zielen <strong>und</strong> Maßnahmen<br />
(„keine Leerformeln <strong>und</strong> abstrakte Schubladenpapiere“, aber auch „keine konkreten Maßnahmen<br />
ohne strategische Orientierung“). Diese vielleicht trivial anmutende Aussage ist gerade <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Klimaanpassung</strong> weniger selbstverständlich <strong>als</strong> sie scheint. Die Zusammenführung („Synthese“) von<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen mit möglichst konkreten Aussagen ist eine <strong>Herausforderung</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> informelle Planung,<br />
weil <strong>die</strong> Unsicherheiten des langfristigen Klimawandels <strong>und</strong> seinen Folgen in der Modellregion<br />
Dresden <strong>die</strong> Formulierung räumlich spezifischer, inhaltlich eindeutiger (möglichst quantifizierter) <strong>und</strong><br />
„belastbarer“ Aussagen erschweren (Bernhofer et al., 2011). Der Umgang mit Unsicherheiten ist nicht<br />
neu <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planung. Er erhält durch den Klimawandel eine neue Dringlichkeit <strong>und</strong> betont <strong>die</strong> langfristige<br />
Ausrichtung. Kapitel vier geht am Beispiel des Themenfeldes „Städtebauliche Strukturen, Grün<strong>und</strong><br />
Freiflächen sowie Gebäude“ vertiefend auf <strong>die</strong>se <strong>Herausforderung</strong> ein.<br />
Instrumenten-Mix<br />
Strategieorientierung <strong>und</strong> Instrumenten-Mix stehen in einem engen Zusammenhang zueinander (ARL,<br />
2011). Kapitel 4 zeigt <strong>die</strong>s beispielhaft <strong>für</strong> <strong>die</strong> Siedlungsentwicklung in der Modellregion Dresden. Das<br />
IRKAP ist dabei bisher (Stand: Februar 2012) <strong>für</strong> Beides vorgesehen: Motivation zur <strong>und</strong> Stärkung der<br />
Kooperation regionaler Akteure sowie Formulierung eigener integrativer Lösungen einerseits <strong>und</strong> Unterstützung<br />
formaler Planungsverfahren andererseits (vgl. Danielzyk/Knieling, 2011, S. 494 zu <strong>die</strong>ser<br />
Gegenüberstellung). Ob <strong>die</strong>s zu viel gewollt ist, wird sich zeigen.<br />
4. Strategieorientierung am Beispiel des Themas „Städtebauliche Strukturen,<br />
Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäude“<br />
Strategieorientierung verknüpft <strong>die</strong> Umsetzungsorientierung in der informellen Planung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fokussierung<br />
auf das Machbare einerseits mit der Berücksichtigung langfristiger <strong>und</strong> komplexer Wirkungszusammenhänge<br />
der <strong>Klimaanpassung</strong> andererseits. Trotz Unsicherheiten können auch kurzfristige<br />
Handlungen von hoher Dringlichkeit sein, um <strong>die</strong> Vorteile einer pro-aktiven Anpassung an <strong>die</strong><br />
Folgen des Klimawandels in Städten <strong>und</strong> Regionen zu realisieren. Um <strong>die</strong>se <strong>Herausforderung</strong> der<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> durch informelle Planung zu verdeutlichen, geht das Folgende auf <strong>die</strong> Strategieorientierung<br />
im Themenfeld „Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäude“ im IRKAP<br />
näher ein.<br />
Die folgenden Planungsinhalte wurden <strong>und</strong> werden in einem engen Diskussionsprozess zwischen den<br />
beteiligten Wissenschaftspartnern <strong>und</strong> den relevanten Akteuren der zuständigen Stellen der kommunalen<br />
Verwaltungen (Stadtplanung, Umweltplanung, Hoch-, Tiefbau- <strong>und</strong> Grünflächenämter usw.),<br />
aber auch der zuständigen <strong>Regional</strong>en Planungsverbände, sowie der Wohnungswirtschaft <strong>und</strong> der<br />
9
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Verbände der planenden <strong>und</strong> bauenden Berufe formuliert. Die Organisationsstruktur von REGKLAM<br />
bietet dabei zahlreiche Möglichkeiten zur laufenden Verständigung von Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis über<br />
<strong>die</strong> Strategieorientierung im Themenfeld „Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie<br />
Gebäude“, wie <strong>die</strong> Arbeitsgemeinschaft speziell zum <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm, der Fachkreis Städtebau<br />
oder auch der bilaterale Austausch zwischen Praktikern <strong>und</strong> Wissenschaftlern einzelner Teilprojekte.<br />
Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Auswirkungen des Klimawandels<br />
Die Siedlungsstruktur der Modellregion Dresden ist gekennzeichnet durch <strong>die</strong> Großstadt Dresden <strong>und</strong><br />
eine Vielzahl von Mittel- <strong>und</strong> Kleinstädten sowie durch ländliche Räume mit dörflichem Charakter.<br />
Diese Vielfalt stellt ganz unterschiedliche Anforderungen an <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>. Insbesondere <strong>die</strong><br />
Stadtregion Dresden ist durch (moderate) Zuwanderung <strong>und</strong> weiteren Siedlungsdruck im suburbanen<br />
Raum geprägt – wenngleich <strong>die</strong> Innenstadtentwicklung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Revitalisierung von Brachflächen zum<br />
Schutz des Außenbereiches forciert werden. Die Folgen des demographischen Wandels schlagen<br />
sich in einigen Siedlungsgebieten der Region in einem weiteren Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> einer<br />
anhaltenden Entdichtung der Siedlungsstrukturen nieder. Die <strong>Herausforderung</strong>en einer alternden Gesellschaft<br />
hingegen stellen sich in allen Städten <strong>und</strong> Gemeinden der Region.<br />
Für <strong>die</strong> Anpassung von städtebaulichen Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäuden sind folgende<br />
Erwartungen zum Klimawandel <strong>und</strong> seinen Auswirkungen von besonderer Bedeutung (Bernhofer<br />
et al., 2011):<br />
� Der Anstieg der Durchschnittstemperaturen im Sommerhalbjahr führt insbesondere in dicht<br />
bebauten Stadtgebieten zur weiteren Überwärmung (Wärmeinsel-Effekt), welche <strong>die</strong><br />
Aufenthaltsqualität im städtischen Raum <strong>und</strong> das Wohlbefinden der Bevölkerung<br />
beeinträchtigen kann. Eine steigende Zahl an Sommertagen, heißen Tagen <strong>und</strong><br />
Tropennächten verursacht häufiger Hitzewellen, <strong>die</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Beschwerden<br />
hervorrufen, insbesondere bei Risikogruppen.<br />
� Die deutliche Zunahme der Häufigkeit von längeren Trockenperioden im Sommerhalbjahr<br />
sowie verfrühte phänologische Frühjahrsphasen <strong>und</strong> der vorverlagerte Beginn der<br />
Vegetationsperiode stellen im städtischen Raum insbesondere veränderte<br />
Rahmenbedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Pflege <strong>und</strong> Unterhaltung von Stadtgrün dar.<br />
� Der zu erwartende Rückgang der Niederschläge im Sommerhalbjahr sowie <strong>die</strong> Zunahme der<br />
potenziellen Verdunstung führen zu einer weiteren Destabilisierung des städtischen<br />
Bodenwasserhaushaltes. Ein unter anderem daraus folgender niedriger Gr<strong>und</strong>wasserstand in<br />
einzelnen Siedlungsgebieten erschwert <strong>die</strong> wasserhaushaltsabhängige Bereitstellung von<br />
ökologischen Leistungen beispielsweise von Stadtvegetation, <strong>die</strong> eine wichtige Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> Anpassungsoptionen sind.<br />
� Die anzunehmende Häufigkeit von zukünftig auftretenden Starkniederschlagsereignissen<br />
erfordert Maßnahmen <strong>für</strong> <strong>die</strong> kurzfristige Speicherung <strong>und</strong> Ableitung von Oberflächenwasser.<br />
Die Analyse von Anpassungserfordernissen <strong>und</strong> -optionen kann nicht <strong>für</strong> alle Siedlungsbereiche der<br />
Modellregion gleichermaßen mit einem hohen Detaillierungsgrad erfolgen. Durch <strong>die</strong> Auswahl von<br />
sogenannten Lupengebieten (vgl. Abbildung 1) wurden konkrete Fragestellungen bearbeitet <strong>und</strong> übertragbare<br />
Erkenntnisse generiert (zum Beispiel gebäudetypenspezifische Verw<strong>und</strong>barkeit gegenüber<br />
Klimafolgen, Analyse bioklimatischer Bedingungen in ausgewählten Siedlungsstrukturtypen). Diese<br />
räumlich konkreten Erkenntnisse helfen dabei auch, einzelne Akteure <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Herausforderung</strong>en der<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> zu sensibilisieren.<br />
10
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Leitbild „Klimawandelgerechte Siedlungsentwicklung“<br />
In der Modellregion wird eine klimawandelgerechte Siedlungsentwicklung angestrebt, <strong>die</strong> durch Siedlungs-,<br />
Freiraum- <strong>und</strong> Gebäudestrukturen, <strong>die</strong> ges<strong>und</strong>e Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsverhältnisse <strong>und</strong> eine hohe<br />
Lebensqualität gewährleisten, eine hohe Energie- <strong>und</strong> Infrastruktureffizienz sowie funktionsfähige<br />
städtische Ökosysteme, <strong>die</strong> eine Anpassung an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels ermöglichen, gekennzeichnet<br />
ist. Das Leitbild der Siedlungsentwicklung in der Modellregion Dresden bewegt sich damit,<br />
wie in anderen Regionen, im Spannungsfeld zwischen der klimaschutzorientierten kompakten Stadt<br />
der kurzen Wege <strong>und</strong> einer eher klimaangepassten aufgelockerten Stadtstruktur. Es ordnet sich damit<br />
in <strong>die</strong> gegenwärtige Debatte um ein „richtiges“ städtebauliches Leitbild unter den Bedingungen des<br />
Klimawandels ein (BMVBS, 2011, 45 ff.).<br />
Handlungsschwerpunkte<br />
Das IRKAP formuliert im Themenfeld „Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie<br />
Gebäude“ drei Handlungsschwerpunkte zur strategischen Ausrichtung konkreter Ziele <strong>und</strong><br />
Maßnahmen:<br />
(1) Umbau: In den Städten <strong>und</strong> Gemeinden geht es angesichts der überwiegend geringen<br />
Entwicklungsdynamik vor allem um den Umbau des Siedlungsbestands. Dies betrifft<br />
einerseits Gebäude, um mögliche Risiken zu reduzieren (vgl. Abbildung 1). Andererseits<br />
erfordert der Klimawandel Anstrengungen, welche <strong>die</strong> klimatische Leistungsfähigkeit der<br />
Grünflächen erhalten <strong>und</strong> fördern, so dass <strong>die</strong>se <strong>als</strong> Erholungsräume <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stadtbevölkerung<br />
künftig vermehrt zur Verfügung stehen.<br />
(2) Brachflächenpotenziale: Die Kommunen in der Modellregion Dresden verfügen über<br />
zahlreiche Brachflächen. Diese gilt es einerseits <strong>als</strong> Möglichkeitsräume <strong>für</strong> eine bauliche<br />
Innenverdichtung zu nutzen, andererseits im Sinne multifunktionaler Freiflächen zur<br />
Verbesserung der sowohl ökologischen <strong>als</strong> auch klimatischen Situation im Siedlungsraum <strong>und</strong><br />
<strong>für</strong> den Umgang mit Starkregenereignissen.<br />
(3) Stadtraum: Angesichts der geringen Spielräume, tatsächlich großräumig siedlungsstrukturelle<br />
Veränderungen herbeizuführen, bedarf es der Vielfalt, Vielzahl <strong>und</strong> Kombination kleinteiliger<br />
freiraumplanerischer <strong>und</strong> städtebaulicher Ansätze, um eine Verbesserung der mikro- <strong>und</strong><br />
bioklimatischen Situation im Stadtraum zu erreichen. Besonderes Augenmerk richtet sich auf<br />
den Übergangsbereich zwischen Gebäuden <strong>und</strong> dem öffentlichen (Frei-)Raum.<br />
Die Formulierung von drei Handlungsschwerpunkten der <strong>Klimaanpassung</strong> im Themenfeld<br />
„Städtebauliche Strukturen, Grün- <strong>und</strong> Freiflächen sowie Gebäude“ soll der langfristigen Orientierung<br />
in der Modellregion <strong>die</strong>nen. Das Argument ist, dass <strong>die</strong> drei Schwerpunkte eine generelle Gültigkeit <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Kommunen in der Modellregion haben (vgl. Abbildung 1 zu einem Fokusgebiet von REGKLAM in<br />
der Stadt Stolpen in der Modellregion Dresden) <strong>und</strong> behalten – auch angesichts der Unsicherheiten<br />
des Klimawandels <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> ständig aktueller Erkenntnisse zu Klimafolgen,<br />
Betroffenheiten <strong>und</strong> Anpassungsnotwendigkeiten.<br />
Die Handlungsschwerpunkte <strong>die</strong>nen <strong>als</strong> Schnittstelle zwischen einem <strong>für</strong> <strong>die</strong> Modellregion generell<br />
gültigen Leitbild auf der einen <strong>und</strong> konkreten Zielen <strong>und</strong> Maßnahmen auf der anderen Seite, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
besonderen Bedingungen einzelner Kommunen reflektieren. Die Schwerpunkte stehen <strong>für</strong> einen strategischen<br />
Ansatz, der das IRKAP vor allem <strong>für</strong> Entscheider – durchaus auch auf der politischen Ebene<br />
– handhabbar machen könnte.<br />
11
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 1: Fokusgebiet Stolpen-Altstadt: Gebäudetypen nach Baualtersstufen <strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>lage<br />
zur Ermittlung gebäudetypenabhängiger Anpassungsmaßnahmen<br />
Quelle: Hennersdorf, IÖR; Digitale Orthophotos (ATKIS-DOP) mit Erlaubnis des Landesvermessungsamtes Sachsen; Erlaub-<br />
nis-Nr. 2058/06<br />
Die Schwerpunkte sind Ausdruck <strong>und</strong> zugleich Mittel der Priorisierung der Vielzahl möglicher, wissenschaftlich<br />
abgeleiteter Anpassungsmaßnahmen im KLIMZUG-Verb<strong>und</strong>vorhaben REGKLAM. Sie zeigen<br />
eine klare Fokussierung auf von den beteiligten Akteuren im Rahmen der <strong>Klimaanpassung</strong> <strong>als</strong><br />
zentral angesehene räumliche oder physische Realitäten. Sie <strong>die</strong>nen <strong>als</strong> (relativ abstraktes, aber zeitstabiles)<br />
Prüfkriterium zur Aufnahme <strong>und</strong> Verortung von wissenschaftlich <strong>und</strong>/oder praktisch diskutierten<br />
Anpassungsmaßnahmen ins IRKAP.<br />
Ziele <strong>und</strong> Maßnahmen<br />
Die drei Handlungsschwerpunkte werden mit konkreten Zielen <strong>und</strong> Maßnahmen untersetzt, <strong>die</strong> sowohl<br />
einen Bezug zu Klimafolgen beschreiben <strong>als</strong> auch einen deutlichen Hinweis auf <strong>die</strong> adressierten<br />
Akteure oder Gruppen von Akteuren geben. Vier Ziele sind beim derzeitigen Abstimmungsstand<br />
formuliert (Stand: Februar 2012):<br />
� Private <strong>und</strong> öffentliche Gebäude <strong>für</strong> den Klimawandel fit machen,<br />
� Mikroklimatische Wirksamkeit von öffentlichen Grünflächen trotz Trockenheit <strong>und</strong> Hitze<br />
erhalten <strong>und</strong> erweitern,<br />
� Potenziale von Brachflächen zur Anpassung an steigende Sommertemperaturen <strong>und</strong><br />
veränderte Niederschlagsregimes in Kooperation der öffentlichen Hand mit Eigentümern <strong>und</strong><br />
Nutzern ausschöpfen,<br />
12
KLIMZUG-Workingpaper<br />
� Aufenthaltsqualität in dicht bebauten Stadtgebieten trotz steigender Sommertemperaturen <strong>und</strong><br />
Hitzewellen durch Kooperation der öffentlichen Hand mit privaten Eigentümern <strong>und</strong> Nutzern<br />
erhalten.<br />
Diese Ziele bündeln sektoren- <strong>und</strong> maßstabs- sowie akteurs- <strong>und</strong> planungsebenenübergreifende<br />
Maßnahmen (vgl. Abbildung 2).<br />
Abbildung 2: Ausgewählte bauliche Anpassungsmaßnahmen an mögliche Klimafolgen (konzeptionelle<br />
Ebene)<br />
Quelle: Naumann, Nikolowski, Zimm, IÖR (unveröffentlicht)<br />
Instrumentenmix <strong>und</strong> Schlüsselprojekte<br />
Neben der inhaltlichen Begründung einzelner Anpassungsmaßnahmen ist eine zentrale Anforderung,<br />
<strong>die</strong>se mit bestehenden Instrumenten <strong>und</strong> Planungsprozessen zu verknüpfen oder konkrete Ansätze<br />
<strong>für</strong> gegebenenfalls neue Instrumente gemeinsam mit der Praxis zu entwickeln. Über <strong>die</strong> oben<br />
angesprochene Kooperation von Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis werden deshalb kontinuierlich<br />
<strong>Klimaanpassung</strong>sbelange <strong>und</strong> konkrete Anpassungsoptionen in laufende Planungsprozesse der<br />
beteiligten Kommunen eingespeist. Neben der Beteiligung im Rahmen der Erstellung formeller<br />
Planungen (zum Beispiel Landesentwicklungsplan (LEP), Flächennutzungsplan (FNP),<br />
Landschaftsplan) bieten sich vor allem bereits bestehende informelle Instrumente an, um <strong>die</strong> Belange<br />
der <strong>Klimaanpassung</strong> zu verankern. So wird beispielsweise ein Prozess in der Stadt Dresden begleitet,<br />
<strong>Klimaanpassung</strong>serfordernisse bei der Ausweisung von Schwerpunkten zur städtebaulichen<br />
Erneuerung <strong>und</strong> Sanierung im Rahmen des informellen Planungsinstruments „Integriertes<br />
Stadtentwicklungskonzept (INSEK)“ der Stadt Dresden zu berücksichtigen.<br />
Mit in der zweiten Projektphase initiierten Umsetzungsprojekten sollen Anpassungsmaßnahmen –<br />
noch während der Projektlaufzeit – fokussiert angestoßen werden. So wird derzeit unter der<br />
Federführung des Stadtplanungsamtes der Stadt Dresden <strong>die</strong> pilothafte Umsetzung wirtschaftlich<br />
tragfähiger freiraumplanerischer Nutzungsoptionen auf Brachflächen zur Verbesserung der<br />
mikroklimatischen Situation, zum Umgang mit Starkniederschlagsereignissen <strong>und</strong> <strong>als</strong> Beitrag zum<br />
Klimaschutz vorbereitet. Dabei können Schnittstellen bearbeitet werden, sektorenübergreifende<br />
Strukturen <strong>und</strong> neue Partnerschaften erprobt <strong>und</strong> etabliert werden <strong>und</strong> das Anpassungsprogramm<br />
exemplarisch mit Leben gefüllt werden.<br />
13
KLIMZUG-Workingpaper<br />
5. Fazit<br />
Angesichts (a) der Vielfalt von Akteursgruppen <strong>und</strong> deren Interessen, (b) der unterschiedlichen Zeithorizonte<br />
von <strong>Klimaanpassung</strong> <strong>und</strong> der Handlungsorientierung der meisten betroffenen bzw. involvierten<br />
Akteure sowie (c) der unterschiedlichen Reichweite, Stärken <strong>und</strong> Schwächen von formalen <strong>und</strong> informellen<br />
Planungs- <strong>und</strong> Steuerungsinstrumenten, steht <strong>die</strong> räumliche Planung in Deutschland auf B<strong>und</strong>es-,<br />
Landes-, Regions- <strong>und</strong> kommunaler Ebene bei der <strong>Klimaanpassung</strong> vor enormen <strong>Herausforderung</strong>en.<br />
Sie soll einen fairen <strong>und</strong> gerechten Interessenausgleich herbeiführen <strong>und</strong> dabei – über ihren<br />
traditionellen Adressatenkreis hinaus – auch Handlungsangebote <strong>für</strong> Wirtschaft, zivilgesellschaftliche<br />
Gruppen <strong>und</strong> Einzelpersonen machen. Sie soll unterschiedliche Zeithorizonte miteinander in Einklang<br />
bringen. Und weiterhin wird erwartet, dass sie einen adäquaten Instrumentenmix findet, bei dem einerseits<br />
rechtliche Verbindlichkeit geschaffen wird, andererseits aber auch erfolgreiche <strong>und</strong> motivierende<br />
Projektumsetzungen stattfinden.<br />
Die Ausführungen haben am Beispiel des Integrierten <strong>Regional</strong>en <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramms in der<br />
Modellregion Dresden gezeigt, dass <strong>die</strong> räumliche Planung dabei pragmatisch vorgehen muss. Sie<br />
rückt automatisch in <strong>die</strong> Nähe von regionalen Entwicklungskonzepten, unterscheidet sich aber dennoch<br />
von ihnen in vielerlei Hinsicht. Gleichzeitig kann <strong>die</strong> Verbindung in <strong>die</strong> formale Planung hinein<br />
gelingen. Ebenso zeigt das Beispiel, hier im Fall der städtischen Planung, dass eine strategische Orientierung<br />
durch <strong>die</strong> Initiierung von konkreten Maßnahmen an „Bodenhaftung“ gewinnt. Dies kann einen<br />
wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz einer stärkeren Rolle der integrierenden räumlichen Planung<br />
bei der <strong>Klimaanpassung</strong> leisten.<br />
Noch ist es zu früh, zu sagen, ob das Experiment „<strong>Klimaanpassung</strong> durch räumliche Planung <strong>und</strong><br />
Konzepte der räumlichen Entwicklung“ tatsächlich gelingt. Ob sich <strong>die</strong> räumliche Planung dabei überhebt,<br />
wird <strong>die</strong> Zukunft zeigen. Ob <strong>die</strong> Wissenschaft in der Lage ist, ihr einen Teil der Last abzunehmen,<br />
ist ebenso unklar. Transdisziplinäres Agieren, das heißt ein wirksames Zusammenspiel von Praxis<br />
<strong>und</strong> Wissenschaft, ist gefragt. Der Ausgang aber ist offen.<br />
Literatur<br />
ARL (Akademie <strong>für</strong> Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung), 2011, Strategische <strong>Regional</strong>planung, Hannover.<br />
Bernhofer, Christian / Matschullat, Jörg / Bobeth, Achim (Hrsg.), 2011, Klimaprojektionen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
REGKLAM-Modellregion Dresden, Publikationsreihe des BMBF-geförderten Projektes REGKLAM<br />
– <strong>Regional</strong>es <strong>Klimaanpassung</strong>sprogramm <strong>für</strong> <strong>die</strong> Modellregion Dresden, Heft 2, Berlin.<br />
BMVBS (B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung), 2011, Klimawandelgerechte<br />
Stadtentwicklung. Ursachen <strong>und</strong> Folgen des Klimawandels durch urbane Konzepte begegnen,<br />
Forschungen, Heft 149, Berlin.<br />
Danielzyk, Rainer / Knieling, Jörg, 2011, Informelle Planungsansätze, in: ARL (Akademie <strong>für</strong> Raumforschung<br />
<strong>und</strong> Landesplanung) (Hrsg.), Gr<strong>und</strong>riss der Raumordnung <strong>und</strong> Raumentwicklung, Hannover,<br />
S. 473-498.<br />
Deutsche B<strong>und</strong>esregierung, 2011, Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an<br />
den Klimawandel vom B<strong>und</strong>eskabinett am 31. August 2011 beschlossen, Berlin.<br />
14
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Fröhlich, Jannes / Knieling, Jörg / Schaerffer, Mareike / Zimmermann, Thomas, 2011, Instrumente<br />
der regionalen Raumordnung <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung an den Klimawandel, Hamburg.<br />
Frommer, Birte, 2010, Akteure regionaler Anpassungsstrategien an den Klimawandel – Lernprozesse<br />
<strong>und</strong> Eigendynamiken im strategischen Diskurs, in: Hutter, Gérard; Wiechmann, Thorsten (Hrsg.),<br />
Strategische Planung. Zur Rolle der Planung in der Strategieentwicklung <strong>für</strong> Städte <strong>und</strong> Regionen,<br />
Berlin/Kassel, S. 59-84.<br />
Hutter, Gérard / Bohnefeld, Jörg / Olfert, Alfred, 2011, Zielgerichtete Netzwerke in Regionen <strong>und</strong> landespolitische<br />
Handlungsansätze zur <strong>Klimaanpassung</strong> – am Beispiel von REGKLAM, in: Cormont,<br />
Pascal; Frank, Susanne (Hrsg.), Governance in der <strong>Klimaanpassung</strong> – Strukturen, Prozesse, Interaktionen.<br />
Dortm<strong>und</strong>, S. 74-89.<br />
Müller, Bernhard / Hutter, Gérard, 2009, Dresden <strong>als</strong> Modellregion zur <strong>Klimaanpassung</strong> – Das Netzwerkprojekt<br />
REGKLAM, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden, 58, 3-4, S.112-118.<br />
15
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> aus Sicht der kommunalen Verwaltung <strong>und</strong> der<br />
Wirtschaft<br />
Esther Chrischilles / Mahammad Mahammadzadeh<br />
1. Einleitung<br />
Der Klimawandel ist kein kurzlebiges Phänomen <strong>und</strong> er „lässt sich von heute auf morgen auch nicht<br />
durch noch so große Anstrengungen auf dem Gebiet der Mitigationspolitik vermeiden“ (Stehr/von<br />
Storch, 2008). Er kann jedoch durch Maßnahmen in seiner Intensität begrenzt werden. Für einen<br />
wirksamen Umgang mit dem Klimawandel bieten sich zwei gr<strong>und</strong>sätzliche Typen von Strategien <strong>und</strong><br />
Maßnahmenbündeln an: Klimaschutz im Sinne von Maßnahmenbündeln zur Vermeidung <strong>und</strong> Verminderung<br />
von Treibhausgasemissionen <strong>und</strong> Anpassung an <strong>die</strong> Klimafolgen <strong>und</strong> Extremwetterereignisse.<br />
Dabei ist zu betonen, dass ohne einen wirksamen Klimaschutz <strong>die</strong> Strategie der Anpassung langfristig<br />
an ihre Grenzen stößt, der Klimawandel aber auch allein mit Anpassung nicht bewältigt werden kann.<br />
In <strong>die</strong>sem Beitrag steht <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> in Fokus, wenn auch insgesamt eine integrative Berücksichtigung<br />
beider Strategien erforderlich ist.<br />
Rolle der Region<br />
Das globale Problem des Klimawandels erzeugt regionalen Kooperationsdruck in politischen, wirtschaftlichen<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichen Belangen. Im Umgang mit dem Klimawandel <strong>und</strong> seinen Folgen ist<br />
<strong>die</strong> Bedeutung der Region <strong>als</strong> Handlungsraum daher zunehmend in den Vordergr<strong>und</strong> gerückt. Insbesondere<br />
bei der Anpassung an unvermeidbare Klimafolgen wird vielfach eine „<strong>Regional</strong> Governance“<br />
gefordert, d.h. „Formen der regionalen Selbststeuerung“, <strong>die</strong> „in Reaktion auf Defizite sowie <strong>als</strong> Ergänzung<br />
der marktlichen <strong>und</strong> der staatlichen Steuerung“ entstehen (Fürst, 2004, 46). Beispielsweise<br />
dann, wenn neue Aufgaben nicht mehr auf tra<strong>die</strong>rte Weise bewältigt werden können oder aber es<br />
vorteilhaft erscheint, neue Herangehensweisen zu entwickeln. Beides trifft auf <strong>die</strong> klimawandelbedingten<br />
<strong>Herausforderung</strong>en der Anpassung zu.<br />
Klimaveränderungen <strong>und</strong> Klimafolgen differieren regional, wobei <strong>die</strong> klimatischen Grenzen einer Region<br />
in der Regel nicht mit denen politischer Gebietskörperschaften wie Gemeinden übereinstimmen.<br />
Lokal isolierte Anpassungslösungen versprechen daher nur begrenzten Erfolg, wogegen sich ein regional<br />
orientiertes Vorgehen effektiver <strong>und</strong> auch effizienter erweisen kann. Hierbei ist es möglich, region<strong>als</strong>pezifische<br />
Klimaveränderungen zu berücksichtigen, ebenso wie mögliche Nutzungskonflikte <strong>und</strong><br />
Synergien zwischen kommunalen oder einzelwirtschaftlichen Akteuren. Dabei können unterschiedliche,<br />
netzwerkartige regionale Steuerungsformen entwickelt <strong>und</strong> genutzt werden, <strong>die</strong> mit dem Konzept<br />
der „<strong>Regional</strong> Governance“ beschreibbar sind (Nischwitz et al., 2001, 2). Akteursorientierte Betrachtungen<br />
im Kontext der „<strong>Regional</strong> Governance“ gehen davon aus, dass hauptsächlich <strong>die</strong> beteiligten<br />
Akteure <strong>und</strong> deren Handlungslogiken Einfluss auf Gestalt <strong>und</strong> Ausprägung der regionalen Steuerungsform<br />
nehmen (Pütz, 2006, 43).<br />
Rolle der Akteure<br />
Unternehmen <strong>und</strong> Kommunen sind zentrale regionale Akteure, <strong>die</strong> wiederum unterschiedlichen Steuerungsformen<br />
unterliegen: den Regeln des Marktes einerseits <strong>und</strong> den Regeln staatlicher Steuerung<br />
andererseits. In Bezug auf <strong>die</strong> Region weisen sie gr<strong>und</strong>sätzlich folgende Orientierung auf:<br />
16
KLIMZUG-Workingpaper<br />
• Gemeinden: Vertreter der kommunalen Politik/Verwaltung sind hauptsächlich durch hierarchische<br />
staatliche Steuerungsformen <strong>und</strong> Strukturen beeinflusst. Sie sind in der Hauptsache dem kommunalen<br />
Wahlvolk verpflichtet <strong>und</strong> daher territorial orientiert.<br />
• Wirtschaft: Unternehmen agieren innerhalb marktlich geprägter Anreizstrukturen <strong>und</strong> sind funktional<br />
häufig überregional orientiert. Ihre Bindung an <strong>die</strong> Region ist an <strong>die</strong> Bereitstellung vorteilhafter<br />
Produktionsbedingungen gekoppelt. Zudem spielen auch K<strong>und</strong>enbindung <strong>und</strong> andere Faktoren<br />
eine Rolle.<br />
Die betrachteten Akteursgruppen sind besonders bedeutsam, da sie <strong>für</strong> Anpassungsprozesse an den<br />
Klimawandel zwei zentrale Funktionen auf sich vereinen. Zum einen haben <strong>die</strong> lokalen Gebietskörperschaften<br />
wie auch <strong>die</strong> regionale Wirtschaft erheblichen Einfluss auf Entscheidungs- <strong>und</strong> auch Planungsprozesse<br />
in der Region. Sie sind in <strong>die</strong>ser Funktion Anpassungsträger, da sie maßgeblich mit<br />
bestimmen, ob <strong>und</strong> inwieweit klimawandelbedingte Veränderungen <strong>und</strong> Verletzlichkeiten wahrgenommen<br />
<strong>und</strong> Anpassungsprozesse geplant <strong>und</strong> umgesetzt werden. Zum anderen leisten Gemeinden<br />
<strong>und</strong> Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zu Wohlstand <strong>und</strong> Attraktivität einer Region, sei es über<br />
öffentliche Leistungen wie <strong>die</strong> Bereitstellung von Infrastruktur oder <strong>die</strong> Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
<strong>und</strong> Wertschöpfung. Somit unterliegen <strong>die</strong> kommunale Daseinsvorsorge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit<br />
der regionalen Wirtschaft selbst klimawandelbedingten Verletzlichkeiten. Beide Akteursgruppen haben<br />
folglich nicht nur wichtige Kompetenzen, Anpassung zu planen <strong>und</strong> umzusetzen, gleichzeitig sind ihre<br />
kommunalen oder unternehmensspezifischen Leistungen anpassungsbedürftig.<br />
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln hat vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> Anfang 2012 eine<br />
deutschlandweite Stu<strong>die</strong> zu Betroffenheiten, Verletzlichkeiten <strong>und</strong> Anpassungsbedarf in Städten <strong>und</strong><br />
Gemeinden, sowie in Unternehmen fertig gestellt, <strong>die</strong> in Kürze in der Reihe IW-Analysen erscheint<br />
(Mahammadzadeh/Chrischilles/Biebeler, 2012). Für <strong>die</strong> Kommun<strong>als</strong>tu<strong>die</strong> wurden von Juni bis August<br />
2011 b<strong>und</strong>esweit Kommunalvertreter auf der Ebene von Gemeindeverbänden <strong>und</strong> Einheitsgemeinden<br />
postalisch zu Aspekten der <strong>Klimaanpassung</strong> befragt. Es antworteten 317 Gemeinden, wobei zwischen<br />
Groß-, Mittel-, Klein-, Landstädten <strong>und</strong> ländlichen Gemeinden sowie topografischen Merkmalen unterschieden<br />
wurde. Die Befragung der Geschäftsführer deutscher Unternehmen aus den Bereichen Industrie,<br />
Logistik <strong>und</strong> unternehmensnahe Dienstleistungen wurde online durchgeführt. Sie war Teil der<br />
mehrere Themen umfassenden 16. Befragungswelle des IW-Zukunftspanels (vgl. Neligan/Schmitz,<br />
2009). Am Klimateil beteiligten sich von März bis Mai 2011 1.040 Geschäftsführer.<br />
Rolle der Planung<br />
Die empirischen Bef<strong>und</strong>e der Kommun<strong>als</strong>tu<strong>die</strong> bestätigen: Die verschiedenen Ebenen planerischer<br />
Ansätze können in vielen anpassungsrelevanten Handlungsfeldern Wirkung entfalten. In den meisten<br />
wird planerischen Maßnahmen sogar <strong>die</strong> bedeutendste Rolle zur Reduktion der klimawandelbedingten<br />
Verletzlichkeit zugesprochen. Aus Sicht der Kommunen sind planerische Instrumente am besten geeignet,<br />
<strong>als</strong>o wirksam <strong>und</strong> durchführbar, um <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels zu bewältigen, <strong>und</strong> werden<br />
anderen Instrumenten, wie Anreizmechanismen, regulatorischen, informatorischen <strong>und</strong> koordinierenden<br />
Maßnahmen oder der kommunalen Eigenverantwortung <strong>für</strong> im Besitz der Gemeinde befindliche<br />
Schutzgüter, vorgezogen. Dabei kann sich <strong>die</strong> Planung selbst natürlich einiger <strong>die</strong>ser Maßnahmenarten<br />
im Rahmen vor allem des informellen Instrumentariums be<strong>die</strong>nen. Den wichtigsten Beitrag kann<br />
<strong>die</strong> Planung nach Meinung der Gemeinden in den Bereichen Wasser, Verkehr <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit leisten<br />
(siehe Abbildung 1). Nur in den Handlungsfeldern Tourismus <strong>und</strong> Kultur sowie Industrie <strong>und</strong> Gewerbe<br />
versprechen sich Kommunalvertreter von koordinierenden bzw. von Anreizmaßnahmen größeren<br />
Erfolg, da hier vor allem private Anpassungspotenziale <strong>und</strong> -aktivitäten gefördert werden müssen.<br />
17
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Die räumliche Planung hat explizit partizipativen <strong>und</strong> integrativen Charakter <strong>und</strong> kann daher kontinuierlich<br />
den Ausgleich verschiedener Interessen <strong>und</strong> Raumansprüche herbeiführen. Das gilt auch <strong>für</strong><br />
anpassungsrelevante Planungsprozesse. Die Berücksichtigung von verwaltungsspezifischen <strong>und</strong> unternehmerischen<br />
Verletzlichkeiten schafft dabei größtmögliche Bedarfsgerechtigkeit <strong>und</strong> Umsetzbarkeit.<br />
Die Ergebnisse der IW-Unternehmensbefragung <strong>und</strong> der IW-Kommun<strong>als</strong>tu<strong>die</strong> geben wichtige<br />
Hinweise auf kommunale <strong>und</strong> unternehmerische Anpassungserfordernisse <strong>und</strong> werden nachfolgend in<br />
Ausschnitten vorgestellt <strong>und</strong> diskutiert.<br />
Abbildung 1: Eignung planerischer Anpassungsmaßnahmen in kommunalen Handlungsfeldern<br />
Angaben in Prozent<br />
Wasserversorgung/-entsorgung<br />
Transport <strong>und</strong> Verkehr<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Energieversorgung<br />
Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft<br />
Gebäude<br />
Industrie <strong>und</strong> Gewerbe<br />
Tourismus <strong>und</strong> Kultur<br />
Eigene Darstellung auf Basis der IW-Kommunalbefragung<br />
46,3<br />
43,1<br />
2. Unternehmerische Anpassungserfordernisse<br />
Die Wirtschaft ist ein wichtiger Träger der Anpassung in Deutschland. Hier liegen wichtige bereichsübergreifende<br />
Anpassungskapazitäten vor, beispielsweise in technologischer Hinsicht, <strong>die</strong> es zu nutzen<br />
<strong>und</strong> auszubauen gilt. Gleichzeitig müssen privatwirtschaftliche Akteure selbst ihre Produktions<strong>und</strong><br />
Lieferfähigkeit unter den Bedingungen des Klimawandels sichern <strong>und</strong> ihre Handlungsfähigkeit<br />
erhalten. Die deutsche Anpassungspolitik weist dem privaten Sektor ein hohes Maß an Eigenverantwortung<br />
zu. Wo private Anpassung jedoch nicht zu einem optimalen Anpassungsniveau führt, kann<br />
sie durch staatliche Rahmenbedingungen unterstützt werden. Die Raumplanung kann wesentlich zu<br />
einem Ermöglichungsrahmen effizienter privater Anpassung beitragen, beispielsweise im Bereich der<br />
Gewerbeflächen oder unternehmensnahen Infrastrukturen, wie Verkehrs-, Energie- oder Wasserversorgungsleistungen.<br />
Die wahrgenommen unternehmerischen Betroffenheiten durch Klimafolgen sind<br />
daher ein wichtiger Bestandteil konsens- <strong>und</strong> integrativ orientierter Planungsvorhaben.<br />
2.1 Klimawandel <strong>und</strong> unternehmensstrategische Bedeutung<br />
Das Thema der <strong>Klimaanpassung</strong> hat im Vergleich zum Klimaschutz keine längere Tradition in der<br />
deutschen Unternehmenspraxis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Anpassungsstrategie wird auch nicht so stark angewendet<br />
wie <strong>die</strong> Klimaschutzstrategie. Ein wichtiger Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist darin zu sehen, dass <strong>die</strong> eigene Betroffenheit<br />
der Unternehmen bei der Anpassung an ein verändertes Klima <strong>und</strong> an <strong>die</strong> Folgen der Extremwetterereignisse<br />
eine wesentliche Rolle spielt (Mahammadzadeh, 2010, 48): Je stärker <strong>die</strong> eigene<br />
Betroffenheit ist (zum Beispiel mangelndes Kühlwasser), desto eher werden <strong>die</strong> Betroffenen versuchen,<br />
sich durch entsprechende Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen anzupassen. Knapp 44 Prozent derjeni-<br />
62,1<br />
60,5<br />
60,4<br />
58,8<br />
76,4<br />
73,9<br />
18
KLIMZUG-Workingpaper<br />
gen Unternehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Klimafolgen bereits heute <strong>für</strong> sich <strong>als</strong> relevant betrachten, gaben bei der<br />
Befragung an, dass sie eine Strategie der <strong>Klimaanpassung</strong> verfolgen. Hingegen wählen nur r<strong>und</strong> 14<br />
Prozent der Unternehmen, bei denen der Klimawandel <strong>und</strong> Klimafolgen derzeit keine Relevanz besitzen,<br />
eine <strong>Klimaanpassung</strong>sstrategie. Bei der Auswahl einer Strategie des Klimaschutzes spielen aber<br />
<strong>die</strong> heutigen <strong>und</strong> künftigen Klimafolgen <strong>und</strong> damit auch <strong>die</strong> vorliegenden <strong>und</strong> erwarteten eigenen Betroffenheiten<br />
eine eher geringe Rolle. Die Gründe <strong>für</strong> den Klimaschutz sind vielfältig. Das Spektrum<br />
reicht von klimarelevanten Regulierungen über freiwillige Selbstverpflichtungen bis hin zu ökonomischen<br />
Motiven wie etwa Marktchancen durch den Klimaschutz.<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der geringen negativen Betroffenheit der deutschen Unternehmen durch natürlich-physikalische<br />
Auswirkungen des Klimawandels <strong>und</strong> von Extremwetterereignissen ist es auch nicht<br />
erstaunlich, dass <strong>die</strong> Unternehmen heute dem Klimawandel vorwiegend nicht mit einer Strategie der<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> begegnen. 48 Prozent der Unternehmen verfolgen eine Strategie des Klimaschutzes.<br />
Halb so viele Unternehmen gaben an, dass sie dem Klimawandel mit einer Anpassungsstrategie begegnen.<br />
17,2 Prozent befolgen eine kombinierte Strategie des Klimaschutzes <strong>und</strong> der <strong>Klimaanpassung</strong>.<br />
Über <strong>die</strong> Hälfte der Unternehmen begegnet dem Klimawandel mit einer oder beiden Strategien.<br />
Der Anteil der Unternehmen mit einer ausschließlichen Strategie des Klimaschutzes liegt dabei mit 30<br />
Prozent fast sechsmal höher <strong>als</strong> der Anteil der Unternehmen mit einer alleinigen Strategie der <strong>Klimaanpassung</strong>.<br />
2.2 Direkte <strong>und</strong> indirekte Betroffenheiten<br />
Direkte Betroffenheit durch <strong>die</strong> natürlich-physikalische Auswirkungen<br />
In Unternehmen können <strong>die</strong> Anpassungsprozesse <strong>und</strong> -entscheidungen durch interne oder externe<br />
Faktoren positiv (fördernd) oder negativ (hemmend) beeinflusst werden. In <strong>die</strong>sem Kontext wird der<br />
eigenen direkten Betroffenheit durch <strong>die</strong> Klimafolgen <strong>und</strong> Extremwetterereignisse eine Schlüsselrolle<br />
beigemessen. Die Unternehmensbefragung hat jedoch gezeigt, dass eine direkte negative Betroffenheit<br />
durch <strong>die</strong> Auswirkungen des Klimawandels oder Extremwetterereignisse nur von r<strong>und</strong> 15 Prozent<br />
der deutschen Unternehmen wahrgenommen wird. Dabei schätzen <strong>die</strong> Unternehmen der Logistikbranche<br />
(r<strong>und</strong> 21 Prozent), der sonstigen Industrie (19 Prozent) <strong>und</strong> der Bauwirtschaft (knapp 16 Prozent)<br />
ihre negative Betroffenheit vergleichsweise stärker ein <strong>als</strong> andere Unternehmen. Acht Prozent<br />
der Unternehmen (bei der Baubranche sogar 13 Prozent) erwarten allerdings auch positive Auswirkungen.<br />
Aber ein Großteil der Unternehmen (76 Prozent) sieht heute durch den Klimawandel keine<br />
positiven oder negativen Effekte. Die Beurteilung der eigenen Betroffenheitssituation ändert sich teilweise,<br />
wenn <strong>die</strong> Unternehmen nach ihren künftigen Erwartungen gefragt werden. Um 2030 wird eine<br />
direkte negative Betroffenheit durch Klimafolgen <strong>und</strong> Extremwetterereignisse im Vergleich zu heute<br />
von fast doppelt so vielen Unternehmen erwartet. Der Anteil derjenigen, <strong>die</strong> dadurch weder positive<br />
noch negative Folgen erwarten, beträgt jedoch immer noch 60 Prozent.<br />
Indirekte Betroffenheit regulatorischer Art<br />
Nach Einschätzungen der Unternehmen liegt gegenwärtig überwiegend eine indirekte Betroffenheit<br />
bedingt durch klimaschutz- <strong>und</strong> anpassungsbezogene Regulierungen vor. Die Betroffenheit durch<br />
klimaschutzbezogene Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen (zum Beispiel Emissionshandelsgesetz) ist mit r<strong>und</strong><br />
24 Prozent stärker ausgeprägt <strong>als</strong> <strong>die</strong> anpassungsbedingte regulatorische Betroffenheit (beispielsweise<br />
durch klimaangepasste Bauvorschriften oder Bauleitpläne) mit r<strong>und</strong> 21 Prozent. Insbesondere<br />
nehmen <strong>die</strong> Unternehmen mit über 50 Beschäftigten aus der Metallbranche <strong>und</strong> der Bauwirtschaft<br />
eine negative Betroffenheit durch <strong>die</strong> vorhandenen klimawandelbedingten Regulierungen wahr. R<strong>und</strong><br />
19 Prozent der Unternehmen erwarten aber auch eine positive Betroffenheit durch anpassungsbe-<br />
19
KLIMZUG-Workingpaper<br />
dingte Regulierungen <strong>und</strong> 16 Prozent durch Klimaschutzregulierungen. Auffällig ist dabei, dass starke<br />
positive Impulse durch anpassungsbezogene Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen von jedem dritten Unternehmen<br />
der Bauwirtschaft <strong>und</strong> von jedem fünften Chemieunternehmen erwartet werden. Um 2030<br />
wird mit einer zunehmenden Betroffenheit gerechnet. Knapp 36 Prozent der Unternehmen vermuten<br />
negative Auswirkungen durch verschärfte klimaschutzbezogene Regulierungen <strong>und</strong> 30 Prozent durch<br />
klimaanpassungsbedingte Regulierungen. Jedes fünfte Unternehmen schließt <strong>für</strong> sich positive Auswirkungen<br />
der Regulierungen um 2030 nicht aus.<br />
Indirekte Betroffenheit marktlicher Art<br />
Bezogen auf das klimaschutz- <strong>und</strong> klimaanpassungsorientierte Verhalten in Unternehmen geht von<br />
der regulatorischen Betroffenheit eher eine „Push-Wirkung“ aus. Im Unterschied hierzu erzeugen aber<br />
Impulse aus dem marktlichen Umfeld, insbesondere <strong>die</strong> marktinduzierten klimaschutz- <strong>und</strong> klimaanpassungsbezogenen<br />
Nachfrageverhalten, eine "Pull-Wirkung". Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> lässt sich auch<br />
<strong>die</strong> relativ positive Einschätzung des regulatorischen Umfelds erklären. Dadurch erhoffen sich <strong>die</strong><br />
Unternehmen auch marktliche Impulse wie Nachfrageerhöhung, Exportchancen oder öffentliche Aufträge.<br />
Die Analyse der marktlichen Betroffenheiten von Unternehmen verlangt neben der Unterscheidung<br />
zwischen dem Klimaschutz <strong>und</strong> der <strong>Klimaanpassung</strong> noch eine weitere Differenzierung nach<br />
Beschaffungs- <strong>und</strong> Absatzmarkt. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> liegt vor allem darin, dass <strong>die</strong> Betroffenheiten auf<br />
<strong>die</strong>sen Märkten unterschiedlich ausgeprägt sind <strong>und</strong> unterschiedliche Reaktionen <strong>und</strong> Anpassungserfordernisse<br />
verlangen.<br />
Die Unternehmen stufen ihre heutige Betroffenheit durch <strong>die</strong> Klimafolgen <strong>und</strong> Extremwetterereignisse<br />
auf den Beschaffungsmärkten eindeutig negativer ein (um fast das 2,5 fache) <strong>als</strong> ihre Betroffenheit auf<br />
den Absatzmärkten. Dies ist sowohl im Bereich Klimaschutz <strong>als</strong> auch bei der <strong>Klimaanpassung</strong> der<br />
Fall. Eine klimaschutzbezogene Betroffenheit auf dem Beschaffungsmarkt wird heute durch <strong>die</strong> Unternehmen<br />
leicht negativer wahrgenommen <strong>als</strong> anpassungsbedingte Betroffenheiten. Um 2030 wird jedoch<br />
<strong>die</strong> negative Betroffenheit bedingt durch <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> auf dem Beschaffungsmarkt etwas<br />
höher <strong>als</strong> <strong>die</strong> klimaschutzinduzierte Betroffenheit erwartet. Ein Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong> ist darin zusehen, dass<br />
<strong>die</strong> Unternehmen von einer zunehmenden Bedeutung des Klimawandels in Zukunft <strong>und</strong> der damit<br />
einhergehenden erhöhten Anpassungserfordernisse ausgehen. Mit Blick auf <strong>die</strong> Absatzmärkte zeichnen<br />
sich eher optimistische Erwartungen ab. Die Unternehmen sehen heute auf den Absatzmärkten<br />
primär eine positive Betroffenheit durch den Klimawandel <strong>und</strong> zwar klimaschutzbedingt stärker <strong>als</strong><br />
anpassungsbedingt. In <strong>die</strong> Zukunft blicken sie noch optimistischer <strong>als</strong> heute. Positive Impulse auf den<br />
Absatzmärkten erhoffen sich r<strong>und</strong> 38 Prozent der Unternehmen durch den Klimaschutz <strong>und</strong> knapp 25<br />
Prozent durch <strong>die</strong> Anpassung um 2030.<br />
Auf der Basis der Antworten lässt sich feststellen, dass sich r<strong>und</strong> 57 Prozent der Unternehmen durch<br />
den Klimawandel in keiner Weise negativ betroffen sehen. Bei knapp 43 Prozent wird eine positive<br />
oder negative Betroffenheit mindestens in irgendeiner Ausprägungsform (natürlich-physikalische, regulatorische,<br />
beschaffungs- <strong>und</strong> absatzmarktliche <strong>und</strong> zwar klimaschutzbedingt oder anpassungsbedingt)<br />
wahrgenommen. Über alle Arten der Betroffenheit hinweg lässt sich unter Berücksichtigung der<br />
Anzahl der abgegebenen Antworten bezüglich der negativen Betroffenheiten konstatieren, dass <strong>die</strong><br />
Logistikbranche im Vergleich zu anderen Branchen am häufigsten negativ betroffen ist, gefolgt von<br />
der sonstigen Industrie <strong>und</strong> der Bauwirtschaft.<br />
2.3 Betroffenheit durch verschiedene Arten von Klimaereignissen<br />
Mit Blick auf <strong>die</strong> Anpassungserfordernisse auf der Unternehmensebene <strong>und</strong> <strong>die</strong> daraus resultierenden<br />
möglichen Anforderungen an <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> Stadtentwicklung (beispielsweise bei Straßen-<br />
20
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>und</strong> Brückenbau oder Hochwasserschutz) ist <strong>die</strong> Frage von Bedeutung, von welchen Klimafolgen <strong>und</strong><br />
Extremwetterereignissen <strong>die</strong> Unternehmen betroffen sind oder eine Betroffenheit erwarten. Gut 27<br />
Prozent der Unternehmen – <strong>und</strong> darunter fast <strong>die</strong> Hälfte der Unternehmen der Bauwirtschaft mit einer<br />
Beschäftigtenzahl von 9 bis 49 – gaben an, an erster Stelle heute in Deutschland verstärkt von Frost<br />
betroffen zu sein (Abbildung 2). R<strong>und</strong> jedes vierte Unternehmen gibt an, heute stark von Stürmen,<br />
Starkregenereignissen/Hochwasser <strong>und</strong> vom Temperaturanstieg betroffen zu sein. Im Vergleich hierzu<br />
werden Hagel, verminderte Niederschläge im Sommer, Niedrigwasser <strong>und</strong> Blitzschlag eine untergeordnete<br />
Rolle zugesprochen. Die Befragten nehmen eine pessimistische Erwartungshaltung an,<br />
wenn sie ihre Betroffenheiten um 2030 angeben.<br />
Abbildung 2: Direkte oder indirekte Betroffenheit von Klimaereignissen in 2011 <strong>und</strong> 2030<br />
Unternehmen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> der Klimawandel ein Thema ist, positive oder negative Betroffenheit, Angaben in<br />
Prozent<br />
Frost<br />
Stürme<br />
Starkregenereignisse/<br />
Hochwasser<br />
Temperaturanstieg<br />
Hagel<br />
verminderte<br />
Niederschläge<br />
Blitzschlag<br />
Keines<br />
10,7<br />
Eigene Darstellung auf Basis des IW-Zukunftspanels 2011<br />
14,1<br />
13,4<br />
17,7<br />
Nur jedes dritte Unternehmen erwartet <strong>für</strong> sich keine Betroffenheit durch <strong>die</strong> verschiedenen Klimaereignisse<br />
um 2030 (2011 war es fast <strong>die</strong> Hälfte der Unternehmen). Mit 46 Prozent der Antworten nimmt<br />
<strong>die</strong> Betroffenheit durch den Temperaturanstieg den ersten Platz ein, gefolgt von Starkregenereignissen/Hochwasser<br />
mit 42 Prozent, Stürmen mit 38 Prozent <strong>und</strong> Frost mit 35 Prozent. Im Durchschnitt<br />
erwarten Unternehmen der Bauwirtschaft, Logistik <strong>und</strong> sonstigen Industrie etwa Ernährungsgewerbe,<br />
Holz- <strong>und</strong> Papiergewerbe sowie Wasser- <strong>und</strong> Energieversorgung im Durchschnitt eine stärkere Betroffenheit<br />
durch <strong>die</strong>se Klimaereignisse.<br />
Die negative Betroffenheit muss nicht obligatorisch zu einer Verletzlichkeitssituation führen. Verletzlichkeit<br />
liegt dann vor, wenn keine genügenden Anpassungskapazitäten <strong>und</strong> insbesondere finanzielle,<br />
personelle, technologische, infrastrukturelle, institutionelle <strong>und</strong> wissensbasierte Ressourcen zu der<br />
Bewältigung der negativen Betroffenheiten zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der schwachen<br />
negativen Betroffenheiten einerseits <strong>und</strong> der stark eingeschätzten Anpassungskapazitäten anderseits<br />
befindet sich <strong>die</strong> deutsche Wirtschaft derzeit im Schnitt in einer nicht verletzlichen Situation.<br />
Die heutigen Anpassungskapazitäten werden allerdings nicht ausreichen, angesichts der erwarteten<br />
zunehmenden negativen Betroffenheiten um 2030 das Niveau des heutigen Verletzlichkeitskomforts<br />
23,8<br />
23,3<br />
22,5<br />
24,7<br />
24,5<br />
27,1<br />
31,4<br />
35,0<br />
38,3<br />
41,5<br />
46,1<br />
heute<br />
um 2030<br />
49,6<br />
21
KLIMZUG-Workingpaper<br />
zu halten. Da<strong>für</strong> ist im Schnitt aller Branchen eine Erhöhung der heutigen Anpassungskapazitäten<br />
nötig. Eine ausführliche Betrachtung der klimawandelbedingten Verletzlichkeit in Unternehmen wird an<br />
<strong>die</strong>ser Stelle nicht vorgenommen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der höheren Relevanz <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung<br />
wird im Folgenden ausschließlich auf <strong>die</strong> Verletzlichkeiten der Gemeinden näher eingegangen.<br />
3. Kommunale Anpassungserfordernisse<br />
Mit der kommunalen Planungshoheit obliegt es Gebietskörperschaften, <strong>die</strong> städtebauliche Entwicklung<br />
eigenverantwortlich zu gestalten. Damit gehen beispielsweise Informationsrechte, Anhörungsrechte<br />
<strong>und</strong> Beteiligungsrechte der Gemeinden bei übergeordneten Fachplanungen einher. Für eine<br />
klimawandelgerechte Raumplanung sind Verletzlichkeiten der beteiligten Gemeinden daher maßgeblich.<br />
Als Maß der Verletzlichkeit wurden in der Stu<strong>die</strong> <strong>die</strong> ermittelten negativen Betroffenheiten ins<br />
Verhältnis zu den Fähigkeiten, Ressourcen <strong>und</strong> Institutionen gesetzt, mit denen Städte <strong>und</strong> Gemeinden<br />
wirksame Maßnahmen zur Anpassung umsetzen können (Anpassungskapazitäten). Je nachdem<br />
in welchem Verhältnis <strong>die</strong> negativen Betroffenheiten zu den jeweiligen Anpassungskapazitäten stehen,<br />
ergeben sich vier unterschiedliche Verletzlichkeitspositionen, <strong>die</strong> sich wie folgt voneinander abgrenzen<br />
lassen (siehe Tabelle 1).<br />
Tabelle 1: Verletzlichkeitspositionen<br />
Verletzlichkeitssituation Charakteristika<br />
Sehr verletzlich NB > AK <strong>und</strong> AK < ½ AK ausreichend<br />
Verletzlich NB > AK <strong>und</strong> AK > ½ AK ausreichend<br />
Nicht verletzlich aber kritisch AK > NB <strong>und</strong> AK < 2 AK ausreichend<br />
Nicht verletzlich <strong>und</strong> unbedenklich AK > NB <strong>und</strong> AK > 2 AK ausreichend<br />
AK ausreichend ist definiert <strong>als</strong> negative Betroffenheit (NB) = Anpassungskapazität (AK)<br />
Insgesamt erwarten über 90 Prozent der befragten Gemeinden spätestens um das Jahr 2030 negativ<br />
von Klimafolgen betroffen zu sein. Unter Betroffenheit werden sowohl natürlich-physikalische Auswirkungen<br />
wie Extremwetterfolgen, aber auch regulatorische <strong>und</strong> marktliche Betroffenheiten subsumiert.<br />
Dahingegen schätzen <strong>die</strong> Befragten <strong>die</strong> Fähigkeiten ihrer Gemeinden zur Bewältigung von Klimafolgen<br />
eher gering ein, was zukünftig zu einer Verletzlichkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels<br />
bei einer Mehrheit der deutschen Gemeinden führen könnte. Bei der aggregierten Analyse von Verletzlichkeiten<br />
<strong>für</strong> einzelne Handlungsfelder, B<strong>und</strong>esländer, topografische Merkmale <strong>und</strong> Gemeindetypen<br />
ergaben sich <strong>die</strong> größten Unterschiede vor allem in regionaler Hinsicht, d.h. in der vorliegenden<br />
Untersuchung entlang von B<strong>und</strong>esländergrenzen, sowie in Bezug auf einzelne Handlungsfelder. Solche<br />
regionalen <strong>und</strong> sektoralen Klimarisiken stellen neue <strong>und</strong> zusätzliche <strong>Herausforderung</strong>en <strong>für</strong> eine<br />
klimawandelgerechte <strong>Regional</strong>planung dar.<br />
3.1 <strong>Regional</strong>e Verletzlichkeiten<br />
Bei den heutigen Anpassungskapazitäten, aber steigenden (erwarteten) Betroffenheiten finden sich<br />
deutsche Städte <strong>und</strong> Gemeinden um 2030 im Schnitt in einer verletzlichen Situation gegenüber Klimafolgen<br />
wieder. Damit wird ausgedrückt, dass <strong>die</strong> heutigen Kapazitäten nicht mehr ausreichen, um den<br />
negativen Folgen, <strong>die</strong> um 2030 im mittleren Bereich liegen, begegnen zu können. Wo sich heute noch<br />
<strong>für</strong> beinahe alle Kommunen eine weitestgehend unbedenkliche Verletzlichkeitssituation ergibt, könnten<br />
<strong>für</strong> über <strong>die</strong> Hälfte aller Gemeinden um 2030 nicht mehr ausreichend Kapazitäten zur Anpassung<br />
an <strong>die</strong> erwarteten Klimafolgen zur Verfügung stehen (siehe Abbildung 3).<br />
22
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Gemeindevertreter in Sachsen-Anhalt sehen sich um 2030 am stärksten verletzlich. Obwohl auf kommunaler<br />
Ebene eher starke Anpassungskapazitäten bestehen, reichen <strong>die</strong>se zur Bewältigung einer<br />
erwarteten starken Betroffenheit nicht aus. Brandenburg <strong>und</strong> Baden-Württemberg weisen <strong>die</strong> nächst<br />
schlechtesten Betroffenheits-Kapazitätsverhältnisse auf. Auch <strong>für</strong> Gemeinden aus Rheinland-Pfalz,<br />
Thüringen, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein <strong>und</strong> Bayern könnten <strong>die</strong> <strong>für</strong> 2030 erwarteten<br />
Klimafolgen möglicherweise nicht mehr zu bewältigen sein.<br />
Abbildung 3: Verletzlichkeit nach B<strong>und</strong>esländern um 2030<br />
Eigene Darstellung auf Basis der IW-Kommunalbefragung 2011<br />
Das Saarland nimmt gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern <strong>die</strong> am wenigsten verletzlichen Positionen<br />
ein. Diese Einschätzungen sind in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise auf <strong>die</strong> Erwartung<br />
darüber zurückzuführen, dass das heute starke Engagement der dort ansässigen Kommunen bei<br />
der <strong>Klimaanpassung</strong> <strong>die</strong> negativen Betroffenheiten zukünftig mindern wird. Im Saarland hingegen gab<br />
keine Gemeinde im Rahmen der Befragung an, Anpassung in der kommunalen Praxis zu berücksichtigen.<br />
Folglich könnte <strong>die</strong> geringe Betroffenheitseinschätzung hier auch durch eine unzureichende<br />
Auseinandersetzung mit der Thematik begründet sein. Unter der Verletzlichkeitsgrenze bleiben außerdem<br />
Hessen <strong>und</strong> Niedersachsen.<br />
3.2 Sektorale Verletzlichkeiten<br />
Nicht nur regionale Verletzlichkeiten können der <strong>Regional</strong>planung wichtige Anhaltspunkte liefern, von<br />
Interesse ist außerdem, in welchen Bereichen Gemeinden öffentliche wie auch private Leistungen<br />
gefährdet sehen. Eine handlungsfeldspezifische Verletzlichkeitsanalyse kann wesentlich zur Identifizierung<br />
<strong>und</strong> Priorisierung von Anpassungsprozessen beitragen.<br />
23
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Die Land- <strong>und</strong> <strong>die</strong> Forstwirtschaft ist auf kommunaler Ebene das am verletzlichsten eingeschätzte<br />
Handlungsfeld. Ursächlich da<strong>für</strong> ist einerseits eine (eher) starke negative Betroffenheit. Die größten<br />
Risiken werden in Hitzeereignissen (79 Prozent), Starkregen (69 Prozent), steigenden Durchschnittstemperaturen<br />
(64 Prozent), Stürmen (53 Prozent) <strong>und</strong> zunehmender Temperaturvariabilität (42 Prozent)<br />
gesehen. Entsprechend abwechslungsreich stellt sich auch <strong>die</strong> Liste wahrscheinlicher Auswirkungen<br />
dar. Über 90 Prozent erwarten extremwetterbedingte Ernteausfälle. Aber auch den Verlust<br />
von Erträgen durch veränderte Bodenqualität oder Bodenerosion be<strong>für</strong>chten über <strong>die</strong> Hälfte aller<br />
Kommunen. Ebenso viele sehen Beeinträchtigungen aufgr<strong>und</strong> von Schädlingsbefall oder Pilzbefall<br />
voraus. Veränderte Vegetationsperioden stellen immerhin <strong>für</strong> 45 Prozent der Kommunen eine besorgniserregende<br />
Entwicklung dar. Gleichzeitig besteht in der Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft aus Sicht der<br />
kommunalen Verwaltungsträger eine eher schwach ausgeprägte Anpassungskapazität.<br />
Der Ges<strong>und</strong>heitsbereich ist zwar insgesamt etwas geringer betroffen, jedoch ebenfalls aufgr<strong>und</strong><br />
einer eher schwachen Kapazität eindeutig <strong>als</strong> verletzlich einzuordnen. Die größten Gefahren gehen<br />
dabei nach Auffassung von 84 Prozent der Kommunen von zunehmenden Hitzebelastungen aus. 68<br />
Prozent halten aber auch <strong>die</strong> zunehmende Temperaturvariabilität <strong>für</strong> eine <strong>Herausforderung</strong>. Zudem<br />
stellen steigende Durchschnittstemperaturen <strong>und</strong> Starkregenereignisse (Hochwasser) in mindestens<br />
der Hälfte der antwortenden Kommunen ein ges<strong>und</strong>heitliches Risiko dar. Diese Risiken beziehen sich<br />
neben Gefahren <strong>für</strong> Leib <strong>und</strong> Leben durch Extremwetterereignisse (77 Prozent) insbesondere auf eine<br />
zunehmende thermische Belastung in Gebäuden (66 Prozent). Auch könnten nach Ansicht von bis zu<br />
48 Prozent der Befragten ges<strong>und</strong>heitliche Probleme infolge von Allergien, Asthma <strong>und</strong> neuen Krankheiten<br />
in den Gemeinden klimawandelbedingt ansteigen.<br />
Abbildung 4: Verletzlichkeit kommunaler Handlungsfelder bis 2030<br />
Eigene Darstellung auf Basis der IW-Kommunalbefragung 2011<br />
Eine insgesamt überdurchschnittliche Anpassungskapazität wird den Bereichen Wasserversorgung<br />
<strong>und</strong> -entsorgung sowie öffentliche <strong>und</strong> private Gebäude zugeschrieben. Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> befinden<br />
24
KLIMZUG-Workingpaper<br />
sich beide Handlungsfelder, trotz einer ähnlichen hohen Betroffenheit wie der Ges<strong>und</strong>heitsbereich,<br />
knapp unterhalb der Verletzlichkeitsgrenze. Bei einer noch stärkeren Betroffenheit könnte es jedoch<br />
schnell an Kapazitäten mangeln. So befindet sich <strong>die</strong> kommunale Wasserversorgung <strong>und</strong> Wasserentsorgung<br />
bereits im Spannungsfeld zwischen zu viel <strong>und</strong> zu wenig Wasser. Über <strong>die</strong> Hälfte aller Kommunen<br />
sieht sich hier bis spätestens 2030 negativ betroffen, unter den Großstädten sind es sogar<br />
zwei Drittel. Als Hauptursache werden einerseits Starkregen (77 Prozent) <strong>und</strong> Hochwasser (60 Prozent)<br />
ausgemacht <strong>und</strong> andererseits Hitze (52 Prozent) <strong>und</strong> steigende Durchschnittstemperaturen (46<br />
Prozent). Im Ergebnis <strong>für</strong>chtet r<strong>und</strong> <strong>die</strong> Hälfte der im Handlungsfeld Wasser antwortenden Kommunen<br />
eine Überbelastung der Entwässerungsinfrastruktur, <strong>die</strong> Beeinträchtigung der Gewässerökologie<br />
<strong>und</strong>/oder eine sinkende Trinkwasserverfügbarkeit. Mehr <strong>als</strong> jeder dritte Entscheidungsträger sieht sich<br />
in der Folge auch mit erheblichen Wassernutzungskonflikten im kommunalen Wirkungskreis konfrontiert.<br />
Im Gebäudebereich sieht mit etwa einem Drittel der hier antwortenden Kommunen eine Mehrheit<br />
klimawandelbedingte Risiken, insbesondere infolge von Schäden durch Extremwetter. Aber auch<br />
thermische Belastung infolge starker Hitze spielt eine Rolle.<br />
Auch Transport <strong>und</strong> Verkehr sowie <strong>die</strong> Energieversorgung sind einem unverletzlichen, aber bereits<br />
kritischen Bereich zuzuordnen. In der Energieversorgung werden <strong>die</strong> kommunalen Möglichkeiten zum<br />
Umgang mit den Klimafolgen vergleichsweise hoch angesiedelt. Risiken werden beispielsweise durch<br />
einen erhöhten Kühlungsbedarf von Kraftwerken oder extremwetterbedingte Schäden an der Stromübertragungsnetzen<br />
<strong>und</strong> freistehenden Erzeugungsanlagen vermutet. Letztlich dominiert in <strong>die</strong>sem<br />
Handlungsfeld aber eine chancenorientierte Sicht. Die Auswertung der offenen Nennung zeigt, dass<br />
sich <strong>die</strong>se Chancen neben dem möglicherweise sinkenden Heizbedarf vor allem auf einen Ausbau der<br />
erneuerbaren Energien stützen. Ursächlich da<strong>für</strong> ist sowohl <strong>die</strong> Annahme über eine wetterbedingt<br />
steigende Wirtschaftlichkeit von erneuerbaren Energien, aber auch <strong>die</strong> Annahme, dass mit spürbaren<br />
Auswirkungen des Klimawandels ein Umbau der Energieversorgung auf stärkere Akzeptanz stößt.<br />
Im Bereich Verkehr stehen im Vergleich zu vorherigen Handlungsfeldern andere klimatische Veränderungen<br />
wie Starkregen, häufigere Frost-Tauwechsel <strong>und</strong> steigende Schneemengen im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Be<strong>für</strong>chtet werden vor allem zunehmende Schäden an Straßen, Brücken <strong>und</strong> Schienennetzen. In der<br />
Folge wird mit höheren Instandhaltungskosten <strong>für</strong> öffentliche Infrastrukturen sowie Beeinträchtigungen<br />
des Personen- <strong>und</strong> Güterverkehrs gerechnet, beispielsweise durch Verspätungen. Auf der anderen<br />
Seite liegen in den Klimaveränderungen <strong>für</strong> viele Kommunen auch Chancen <strong>für</strong> den Verkehrssektor.<br />
In der Erwartung der Befragten geht mit dem fortschreitenden Klimawandel ein stärkerer Handlungsdruck<br />
im Bereich Klimaschutz einher. Damit könne beispielsweise eine konsequentere Umsetzung<br />
effizienterer Verkehrskonzepte, eine bessere Nutzung des Schienen- <strong>und</strong> öffentlichen Personennahverkehrs<br />
sowie der Etablierung emissionsärmerer Fahrzeuge erreicht werden.<br />
Die geringsten Betroffenheiten pro Einheit vorhandener Anpassungskapazität fallen aus Verwaltungssicht<br />
in Industrie <strong>und</strong> Gewerbe sowie im Bereich Tourismus <strong>und</strong> Kultur an. Hier ergibt sich eine<br />
schwache negative Betroffenheit, <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> vorhandenen Kapazitäten zur Anpassung mehr <strong>als</strong> ausreichend<br />
sind. Beide Handlungsfelder befinden sich in dem unverletzlichen <strong>und</strong> unbedenklichen Feld<br />
des Verletzlichkeitsportfolios. Hier werden vielmehr Chancen vermutet. Für ansässige Unternehmen<br />
vor allem durch <strong>die</strong> Entwicklung neuer Umwelttechniken <strong>und</strong> Anpassungsinnovationen. Auch der<br />
Neuansiedelung zukunftsträchtiger Branchen wird große Bedeutung beigemessen. Ähnlich positiv<br />
wird <strong>die</strong> touristische Attraktivität unter den Bedingungen des Klimawandels bewertet. So werden in<br />
den Gemeinden beispielsweise eine längere touristische Saison <strong>und</strong> bessere Bedingungen <strong>für</strong> Aktivitäten<br />
im Freien (Fahrrad- <strong>und</strong> Badetourismus, Outdoor-Gastronomie) antizipiert. Auch könnte <strong>die</strong> Belastung<br />
in Städten zur stärkeren Nutzung von Naherholungsgebieten führen.<br />
25
KLIMZUG-Workingpaper<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Sowohl Städte <strong>und</strong> Gemeinden <strong>als</strong> auch Unternehmen werden zukünftig deutlich stärker <strong>als</strong> heute<br />
vom Klimawandel <strong>und</strong> seinen Folgen betroffen sein. Die Wahrnehmung insbesondere von direkten<br />
Klimafolgen ist jedoch in Kommunen deutlich stärker ausgeprägt <strong>als</strong> in Unternehmen. Die Schwachstelle<br />
kommunaler Anpassung liegt in den Anpassungskapazitäten. Für <strong>die</strong> Raumplanung müssen auf<br />
kommunaler Ebene bestimmte Regionen <strong>und</strong> Handlungsfelder aufgr<strong>und</strong> ihrer Verletzlichkeit im Fokus<br />
stehen, beispielsweise Ges<strong>und</strong>heit, Gebäude <strong>und</strong> Wasser.<br />
In der regionalen Wirtschaft liegt der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> vergleichsweise geringe Anpassungsaktivitäten vor<br />
allem in einer mangelnden Betroffenheit oder aber einem mangelndem Risikobewusstsein. Gerade<br />
auf unternehmerischer Ebene liegen jedoch durchaus Schadenspotenziale auf der Fläche (Produktionsanlagen,<br />
Gebäude) oder durch <strong>die</strong> Einschränkung von Produktionsabläufen beispielsweise infolge<br />
abnehmender Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter oder den Ausfall von Infrastrukturen. Hier können<br />
kommunikative Planungsprozesse sensibilisierend wirken <strong>und</strong> Akzeptanz <strong>für</strong> planerische Anpassungsmaßnahmen<br />
schaffen.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Planungshoheit der Kommunen sowie der Bedeutung öffentlicher <strong>und</strong> privater Leistung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Region ist Raumplanung maßgeblich durch <strong>die</strong> Interessen lokaler Akteure beeinflusst, ohne<br />
deren Unterstützung insbesondere der <strong>Regional</strong>planung eine geringe Steuerungsfähigkeit unterstellt<br />
wird. Daher gilt es einerseits verwaltungs- <strong>und</strong> unternehmensspezifische Klimarisiken <strong>und</strong> Anpassungsanforderungen<br />
zu berücksichtigen <strong>und</strong> andererseits lokale Akteure <strong>für</strong> Anpassungsnotwendigkeiten<br />
zu sensibilisieren.<br />
Literatur<br />
Fürst, Dietrich, 2004, <strong>Regional</strong> Governance, in: Benz, Arthur (Hrsg.), Governance – Regieren in<br />
komplexen Regelsystemen, Eine Einführung, Wiesbaden, S. 45-62.<br />
Neligan, Adriana / Schmitz, Edgar, 2009, Design <strong>und</strong> Analysepotenziale, in: Lichtblau, Karl / Neligan,<br />
Adriana, Das IW-Zukunftspanel. Ziele, Methoden, Themen <strong>und</strong> Ergebnisse, Deutscher Instituts-<br />
Verlag, Köln. S. 11–50.<br />
Nischwitz, Guido / Molitor, Reimar / Rohne, Silvia, 2002, Local and <strong>Regional</strong> Governance <strong>für</strong> eine<br />
nachhaltige Entwicklung, Schriftenreihe des IÖW 161/02, Berlin.<br />
Mahammadzadeh, Mahammad / Chrischilles, Esther / Biebeler, Hendrik, 2012 (im Erscheinen),<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> in Unternehmen <strong>und</strong> Kommunen, Betroffenheiten, Verletzlichkeiten <strong>und</strong> Anpassungsbedarf,<br />
IW-Anlaysen, Köln.<br />
Mahammadzadeh, Mahammad, 2010, Klimawandel: ein Thema mit strategischer Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Unternehmen, in: UmweltWirtschaftsForum (UWF), 18. Jg. 2010, Heft 1, S.45-51<br />
Pütz, Marco, 2006, <strong>Regional</strong> Governance in der räumlichen Planung, in: Kleinfeld, Ralf / Plamper,<br />
Harald / Huber, Andreas (Hrsg.): <strong>Regional</strong> Governance, Band 2, Steuerung, Koordination <strong>und</strong><br />
Kommunikation in regionalen Netzwerken <strong>als</strong> neue Formen des Regierens, Göttingen , S. 39-52.<br />
Stehr, Nico / Hans von Storch, 2008, Zeppelin Manifest zum Klimaschutz, URL:<br />
http://coast.hzg.de/staff/storch/pdf/Zeppelin-Manifest-2008.pdf [Stand: 2012-03-18].<br />
26
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Anpassung in Städten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Stefan Greiving / Fabian Dosch<br />
Die Modellvorhaben der Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung in Stadtregionen<br />
Jörg Knieling / Lisa Kunert / Thomas Zimmermann<br />
Siedlungsstruktur <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> in Stadtregionen<br />
Marko Siekmann / Thomas Siekmann<br />
Wassersensible Stadtentwicklung – Informelle Planung versus verbindliche Konzepte<br />
27
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Die Modellvorhaben der Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung<br />
in Stadtregionen<br />
Stefan Greiving / Fabian Dosch<br />
1. Einleitung<br />
Die Deutsche Anpassungsstrategie weist der Raumplanung eine herausgehobene Bedeutung zu:<br />
„Räumliche Planung kann mit den bereits bestehenden rechtlichen <strong>und</strong> planerischen Instrumenten<br />
sowohl Klimaschutz <strong>als</strong> auch Anpassung unterstützen […]. Die Raumplanung kann mit der Entwicklung<br />
von Leitbildern <strong>für</strong> anpassungsfähige <strong>und</strong> belastbare (resiliente) Raumstrukturen eine Vorreiterrolle<br />
übernehmen, <strong>die</strong> gegenüber den Auswirkungen aller gesellschaftlichen Veränderungsprozesse<br />
auf <strong>die</strong> Raumstruktur robust <strong>und</strong> flexibel reagiert“ (B<strong>und</strong>esregierung, 2008, 42).<br />
Der Klimawandel erfordert in den Städten <strong>und</strong> Stadtregionen eine dreigleisige Strategie: <strong>die</strong> Entwicklung<br />
von Strategien zum Klimaschutz (Mitigation) <strong>und</strong> zur Anpassung an den Klimawandel (Adaptation)<br />
sowie <strong>die</strong> Abstimmung der Maßnahmen mit anderen drängenden Aufgaben der nachhaltigen<br />
Stadtentwicklung<br />
Gerade Städte werden aufgr<strong>und</strong> der dichten Bebauung, der hohen Versiegelung, des erhöhten Energie-<br />
<strong>und</strong> Wasserumsatz <strong>und</strong> der Konzentration von Menschen <strong>und</strong> materiellen Werten besonders vom<br />
Klimawandel zunehmend betroffen sein. Schon jetzt zeichnet sich das Stadtklima gegenüber dem<br />
Klima des Umlandes aus durch eine höhere Wärmespeicherung von Bauwerken <strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong>, <strong>die</strong><br />
Ausbildung urbaner Wärmeinseln mit vermehrten Hitzetagen <strong>und</strong> Tropennächten, höherem Feinstaubanteil<br />
<strong>und</strong> Luftschadstoffbelastung bei geringeren Windgeschwindigkeiten, geringerer Glob<strong>als</strong>trahlung<br />
<strong>und</strong> verstärkten Starkniederschlägen (BMVBS, 2011a).<br />
Der Aktionsplan zur Deutschen Anpassungsstrategie sieht unter anderem vor, mit Modellvorhaben<br />
Regionen <strong>und</strong> Kommunen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Das B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS) fördert daher auf kommunaler <strong>und</strong> stadtregionaler<br />
Ebene in Form von Modell- <strong>und</strong> Demonstrationsvorhaben Projekte, in denen exemplarisch Konzepte<br />
<strong>und</strong> Lösungsansätze zur Anpassung an den Klimawandel entwickelt <strong>und</strong> in Modellvorhaben<br />
erprobt werden.<br />
Im Einzelnen fördert das BMVBS Modellvorhaben (vgl. auch Abbildung 1)<br />
� auf der regionalen Ebene: „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“ (KlimaMORO),<br />
deren 8 Modellvorhaben überwiegend in Stadtregionen Lösungsansätze zur Anpassung an<br />
den Klimawandel entwickeln;<br />
� auf der lokalen bis stadtregionalen Ebene: „urbane Konzepte zum Klimawandel“ des Experimentellen<br />
Wohnungs- <strong>und</strong> Städtebaus (ExWoSt) mit neun Modellvorhaben auf kommunaler<br />
Ebene (StadtKlimaExWoSt) sowie acht Pilotprojekten der Wohnungs- <strong>und</strong> Immobilienwirtschaft<br />
(ImmoKlima).<br />
Aus <strong>die</strong>sen Projekterfahrungen werden gute Beispiele, Handlungsempfehlungen <strong>und</strong> Leitlinien generiert,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Praxis von Raumordnung <strong>und</strong> Bauleitplanung ebenso positiv beeinflussen sollen, wie sie<br />
zugleich in <strong>die</strong> Weiterentwicklung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel einfließen<br />
können.<br />
28
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 1: Die regionalen (KlimaMORO) <strong>und</strong> kommunalen Modellvorhaben von BMVBS/<br />
BBSR zur Anpassung an den Klimawandel<br />
Quelle: BBSR, 2010<br />
Die Projekte werden vom B<strong>und</strong>esinstitut <strong>für</strong> Bau-, Stadt <strong>und</strong> Raumentwicklung (BBSR) betreut. 2 Die<br />
Abteilung „Klima- <strong>und</strong> Umweltberatung“ des Deutschen Wetter<strong>die</strong>nstes (DWD) sowie externe Klimatologen<br />
unterstützen <strong>die</strong> Modellvorhaben durch Beratung in klimatologischen Fragestellungen, Mitwirkung<br />
an Konferenzen <strong>und</strong> Workshops, Wirkmodellierung <strong>und</strong> Messungen.<br />
2 Unterstützt wird das BBSR dabei von Forschungsassistenzen. Dies sind <strong>für</strong> <strong>die</strong> KlimaMORO Vorhaben Raum & Energie (Wedel/Hamburg)<br />
in Kooperation mit Prof. Valleé (RWTH Aachen) <strong>und</strong> Prof. Diller (Uni Gießen), <strong>für</strong> <strong>die</strong> StadtKlimaExWost Vorhaben<br />
Prof. Greiving (plan + risk consult, Dortm<strong>und</strong>) in Kooperation mit bpw baumgart + partner (Bremen) <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> ImmoKlima<br />
Vorhaben das Institut Wohnen <strong>und</strong> Umwelt GmbH, Darmstadt.<br />
29
KLIMZUG-Workingpaper<br />
2. Die regionalen Modellvorhaben (KlimaMORO)<br />
Im Jahr 2007 startete <strong>für</strong> <strong>die</strong> Raumordnung eine Stu<strong>die</strong> mit Handlungsoptionen <strong>und</strong> möglichen Entwicklungspfaden.<br />
Dabei zeigte sich, dass ein Strategiemix erforderlich ist, der Vermeidungs- <strong>und</strong> Anpassungsstrategien<br />
sinnvoll miteinander <strong>und</strong> in enger Abstimmung mit den Fachpolitiken kombiniert<br />
(BMVBS, 2011).<br />
Das Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“ –<br />
kurz KlimaMORO – startete im Jahr 2009. In acht Modellregionen Vorpommern, Havelland-Fläming,<br />
Westsachsen, Oberes Elbtal/Osterzgebirge, Mittel- <strong>und</strong> Südhessen, Nordschwarzwald/Mittlerer Oberrhein,<br />
<strong>Regional</strong>verband Stuttgart <strong>und</strong> <strong>die</strong> Region Neumarkt wurden in knapp zwei Jahren intensiver<br />
Arbeit bis März 2011 regionale <strong>Klimaanpassung</strong>sstrategien entwickelt <strong>und</strong> erprobt. Intention war dabei,<br />
Modellregionen mit hoher Betroffenheit durch den Klimawandel zu beteiligen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
möglichst <strong>die</strong> meisten <strong>für</strong> Deutschland typischen Konstellationen abbilden zu können. Dabei wurden<br />
schwerpunktmäßig <strong>die</strong> Handlungsfelder Küstenschutz, vorsorgender Hochwasserschutz, Bioklima/Siedlungsklima<br />
<strong>und</strong> Klimaschutz bearbeitet sowie in allen Regionen Analysen zu den Wirkfolgen<br />
des Klimawandels betrieben <strong>und</strong> Pilotprojekte initiiert. Ganz zentral waren auch <strong>die</strong> Netzwerke in den<br />
Regionen <strong>und</strong> der Austausch unter den Modellvorhaben.<br />
Abbildung 2: Die Schwerpunktthemen in den KlimaMOROs<br />
Eigene Darstellung 2011<br />
Die bisherigen Arbeiten in den MORO-Modellregionen bestätigen vollinhaltlich <strong>die</strong> These, dass komplexe<br />
raumbedeutsame <strong>Herausforderung</strong>en nur durch eine Kombination formeller <strong>und</strong> informeller regionalplanerischer<br />
Instrumente erfolgreich zu bearbeiten sind.<br />
1.) Analysen: Zum einen ist eine umfassende Analyse der bestehenden <strong>und</strong> künftigen Klimaänderungen<br />
erforderlich. Die KlimaMORO Vorstu<strong>die</strong> hat hier einen ersten wertvollen b<strong>und</strong>esweiten<br />
Vergleich bestehender Betroffenheiten der Planungsregionen gegenüber dem Klimawandel vorgelegt<br />
(BMVBS, 2011). In Modellvorhaben wurden in allen Regionen <strong>die</strong> klimawandelrelevanten<br />
Analysegr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methoden der Klimafolgenbewertung region<strong>als</strong>pezifisch weiterentwickelt<br />
<strong>und</strong> auch Ex-post-Klimaanalysen durchgeführt, um das Verständnis über das gegenwärtige Klima<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> bestehende Vulnerabilität gerade gegenüber Extremwetterereignissen zu verbessern.<br />
Weitere wichtige Produkte sind hier insbesondere sektorspezifische Vulnerabilitätsanalysen in<br />
Bezug auf das zukünftige Klima, <strong>die</strong> in den Modellvorhaben Westsachsen, Region Stuttgart <strong>und</strong><br />
30
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Vorpommern durchgeführt worden sind (BMVBS, 2011b). Das Ziel der weiter laufenden Forschungen<br />
besteht darin, pragmatische Standards auf B<strong>und</strong>esebene insbesondere <strong>für</strong> Vulnerabilität<br />
hinsichtlich Hitze <strong>und</strong> Wasser (Hochwasser, Sturzfluten, Extremwitterungen, Niedrigwasser)<br />
zu entwickeln, <strong>die</strong> gleichwohl abwägungsfest sein müssen. Dazu läuft bis März 2013 das Modellvorhaben<br />
der Raumordnung (MORO) „Expertise zur Systematisierung der Gr<strong>und</strong>lagen regionalplanerischer<br />
Klimafolgenbewertung – Leitfaden regionale Klimafolgenbewertung“.<br />
2.) Instrumente: Für viele Handlungsbereiche der Raumordnung sind Vorschläge zur Weiterentwicklung<br />
des raumplanerischen Instrumentariums in den Modellvorhaben erarbeitet worden, schwerpunktmäßig<br />
<strong>für</strong> den vorsorgenden Hochwasser- <strong>und</strong> den Siedlungsklimaschutz, zum Beispiel<br />
über den im KlimaMORO „klamis“ (Mittel- <strong>und</strong> Südhessen) erarbeiteten kommunalen Handlungsleitfaden<br />
zur <strong>Klimaanpassung</strong> im Rhein-Main Raum (RV, 2011). Über<strong>die</strong>s sind komplexe raumbedeutsame<br />
<strong>Herausforderung</strong>en nur durch eine Kombination formeller <strong>und</strong> informeller regionalplanerischer<br />
Instrumente erfolgreich zu bearbeiten (BMVBS, 2011).<br />
Abbildung 1: KlimaMORO Fallbeispiele Sturzfluten <strong>und</strong> Küstenschutz<br />
Eigene Darstellung 2011; Abb. KlimaMORO-Modellvorhaben Vorpommern, Mittel-/Südhessen<br />
3.) Governance: Deshalb wird auch in allen Modellregionen – unter Federführung der <strong>Regional</strong>planungen<br />
– eine Vielzahl betroffener Akteure in den dialogorientierten Arbeitsprozess eingeb<strong>und</strong>en.<br />
Dahinter steht <strong>die</strong> Überzeugung, dass ein breites regionales Netzwerk „Klima“ <strong>die</strong> Akzeptanz<br />
<strong>und</strong> Durchsetzungsfähigkeit regionalplanerischer Vorgaben maßgeblich unterstützt.<br />
Die Ergebnisse der Phase I wurden bereits im Juni 2011 mit Experten auf einem Bilanzworkshop erörtert<br />
<strong>und</strong> auf einer Ergebniskonferenz im November 2011 vorgestellt (BMVBS, 2011c). Daraus resultierten<br />
drei zentrale Forderungen. Erstens braucht es <strong>als</strong> Handlungsvoraussetzungen fun<strong>die</strong>rte <strong>und</strong><br />
praxisnahe Analysen zur Klimabetroffenheit. Zweitens sind Raumplanungsinstrumente zielgerichteter<br />
<strong>und</strong> abwägungsfester anzuwenden. Drittens müssen erfolgreiche Einzelfalllösungen <strong>und</strong> innovative<br />
Raumentwicklungsstrategien weiterentwickelt werden <strong>und</strong> zudem sollen politische Bindungen beschlossen<br />
werden. Diese Forderungen werden in der Vertiefungsphase von KlimaMORO bis April<br />
31
KLIMZUG-Workingpaper<br />
2013 bearbeitet. Dabei werden praxisnahe <strong>und</strong> erfolgreiche Einzelfalllösungen <strong>und</strong> innovative Raumentwicklungsstrategien<br />
weiterentwickelt. Ziel sind abwägungsfeste Raumplanungsinstrumente zur<br />
<strong>Klimaanpassung</strong> mit politischer Bindungswirkung. Die folgende Übersicht 1 bietet hier einen stichwortartigen<br />
Überblick über <strong>die</strong> Beiträge formeller wie informeller Raumordnung:<br />
Übersicht 1: Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Raumentwicklungsstrategien<br />
Quelle: BBSR, 2011<br />
3. Die kommunalen Modellvorhaben (StadtKlimaExWoSt)<br />
Im Forschungsfeld "Urbane Strategien zum Klimawandel" (BMVBS, 2010), Forschungsschwerpunkt<br />
Stadtklima (StadtKlimaExWoSt) werden seit 2010 bis Mitte 2012 in neun Modellvorhaben kommunale<br />
Strategien zum Klimawandel in der Praxis erprobt <strong>und</strong> bis Mitte 2013 ausgewertet. Beteiligte Modellvorhaben<br />
sind <strong>die</strong> Städteregion Aachen, der Nachbarschaftsverband Karlsruhe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Städte Bad<br />
Liebenwerda, Essen, Jena, Nürnberg, Regensburg, Saarbrücken <strong>und</strong> Syke. Dieses Modellvorhaben<br />
wurde durch eine Vorstu<strong>die</strong> „Klimawandelgerechte Stadtentwicklung – Ursachen <strong>und</strong> Folgen des Klimawandels<br />
durch urbane Konzepte begegnen“ vorbereitet (BMVBS, 2011a).<br />
Ziel der StadtKlimaExWoSt-Vorhaben sind Strategien, Maßnahmen <strong>und</strong> Pilotprojekte einer klimawandelgerechten<br />
Stadtentwicklung. Neben der Ermittlung von Klimarisiken <strong>und</strong> der Klimafolgenbewertung<br />
werden Strategien zur Hochwasservorsorge, dem Schutz vor Extremwitterungen, zum Siedlungsklimaschutz<br />
<strong>und</strong> der Verbesserung des Bioklimas entwickelt. Die Kommunen untersuchen dabei unterschiedliche<br />
thematische Schwerpunkte in den Bereichen Stadtumbau, Stadtgestaltung <strong>und</strong> Denkmalpflege,<br />
Grün- <strong>und</strong> Freiflächenplanung, klimaangepasste Siedlungsentwicklung <strong>und</strong> Gewerbeplanung.<br />
Dies erfolgt auf verschiedenen räumlichen Ebenen vom Quartier bis zur Stadtregion, durch Verknüpfung<br />
der Sektoren, Zusammenarbeit breiter Akteursbündnisse, Forschungsvernetzung <strong>und</strong> Einbindung<br />
der Öffentlichkeit. Generell steht <strong>die</strong> Verbesserung des Bioklimas im Fokus, denn hier ist <strong>die</strong> Stadtentwicklung<br />
zentraler Akteur etwa beim klimagerechten Stadtumbau, der Freihaltung <strong>und</strong> oder der<br />
Schaffung von grünen <strong>und</strong> blauen (wassergeb<strong>und</strong>enen) Strukturen.<br />
32
KLIMZUG-Workingpaper<br />
In den Modellvorhaben werden verschiedene Ansätze im Rahmen der kommunalen Anpassungsstrategien<br />
geplant, auf <strong>die</strong> im Folgenden näher eingegangen wird.<br />
3.1 Analytisch-technische Ansätze<br />
Analytisch-technische Ansätze sind Maßnahmen zur Verbesserung der Datengr<strong>und</strong>lagen bezüglich<br />
des heutigen <strong>und</strong> des zukünftigen Klimas, zur Analyse/Abschätzung zukünftiger Extremwetterereignisse<br />
sowie Analysemaßnahmen zur Beurteilung der Betroffenheit gegenüber dem Klimawandel.<br />
Hinsichtlich der analytisch-technischen Ansätze stehen <strong>für</strong> <strong>die</strong> ExWoSt-Modellprojekte insbesondere<br />
extreme Hitze-, Trockenheits- <strong>und</strong> Starkregenereignisse im Vordergr<strong>und</strong>, hingegen kaum <strong>die</strong> Veränderung<br />
beispielsweise von Windgeschwindigkeiten, wie an der folgenden Übersicht 2 deutlich wird:<br />
Übersicht 2: Extremereignisse in den StadtKlimaExWoSt-Vorhaben<br />
Eigene Darstellung 2010<br />
Im kommunalen Maßstab geht es in den Modellprojekten konkret um Aussagen zu Hitze-Insel-<br />
Effekten in Innenstädten, um mögliche Sturzflutereignisse, aber auch um den Umgang mit veränderten<br />
Gr<strong>und</strong>wasserspiegeln oder zunehmender Winderosion in Trockenperioden. Hier besteht ein ganz<br />
spezifischer Informationsbedarf seitens einer „anpassungswilligen“ Gemeinde.<br />
In den Modellprojekten basieren <strong>die</strong> Analyseansätze <strong>und</strong> geplanten Anpassungsmaßnahmen in der<br />
Regel auf dem A1B-Szenario, oft ergänzt um ein zweites Referenzszenario. Der Zugang zu den<br />
Klimadaten erfolgte bei den Modellprojekten auf unterschiedliche Art (vgl. Übersicht 3). Teilweise wurden<br />
<strong>die</strong> Ergebnisse von regionalen Klimamodellen selbst recherchiert, anderenfalls wurden Expertisen<br />
durch <strong>die</strong> Forschungsassistenz erarbeitet bzw. Unteraufträge vergeben. Auch der DWD hat <strong>die</strong> Modellprojekte<br />
unterstützt. In den Modellprojekten wurde in den meisten Fällen das Jahr 2100 <strong>als</strong> Projektionshorizont<br />
angenommen, zum Teil aber auch Angaben zu zwischenzeitlichen Abschnitten einbezogen.<br />
Beim räumlichen Maßstab wurden bei den Modellprojekten unterschiedliche Bedarfe formuliert, was<br />
insbesondere vom thematischen Schwerpunkt abhing. Stärker strategisch ausgerichtete Ansätze, <strong>die</strong><br />
neben Hitze auch <strong>die</strong> Zunahme von Extremereignissen oder <strong>die</strong> Wasserverfügbarkeit betrachten<br />
(Städteregion Aachen, Essen, Syke), kommen mit weniger aufwändigen Klimamodellaussagen aus.<br />
33
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Modellprojekte, bei denen <strong>die</strong> „Hitze in der Stadt“ einen Schwerpunkt einnimmt (Nachbarschaftsverband<br />
Karlsruhe, Nürnberg, Regensburg), haben dagegen einen höheren Bedarf an konkreten stadtklimatischen<br />
Aussagen auf Quartiersebene, insbesondere wenn <strong>die</strong>se nicht nur aus Gründen der Ist-<br />
Analyse benötigt werden, sondern auch um Planalternativen zu bewerten.<br />
Übersicht 3: Übersicht über klimaanalytische Ansätze in den Modellprojekten<br />
Quelle: BBSR 2011<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich zeigen sich viele Varianten bei der Herangehensweise zur Abschätzung des zukünftigen<br />
Klimas. Dabei müssen aber nicht zwangsläufig aufwändige <strong>und</strong> hochkomplexe Modellrechnungen<br />
vorgenommen werden, denn Klimamodellrechnungen sind kein Selbstzweck. So sollten oft auch<br />
schon auf plausiblen Annahmen beruhende Abschätzungen ausreichen, um „No-regret-<br />
Planalternativen“ zu identifizieren, <strong>die</strong> bereits unter heutigen klimatischen Bedingungen sinnvoll erscheinen.<br />
In den Modellprojekten zeigen sich auch unterschiedliche Ansätze zur Identifikation von Verw<strong>und</strong>barkeiten<br />
(qualitativ, quantitativ). Eine scharfe Trennung zwischen Anfälligkeit <strong>und</strong> Betroffenheit scheint in<br />
der praktischen zugunsten einer integrierten Betrachtung zusammenzufließen. Neben den globalen<br />
Entwicklungspfaden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> künftige Klimaentwicklung in unterschiedlicher Stärke beeinflussen, spielen<br />
auf regionaler <strong>und</strong> lokaler Ebene andere, nicht-klimatische Einflussfaktoren eine große Rolle, <strong>die</strong><br />
bestimmend <strong>für</strong> <strong>die</strong> Vulnerabilität sind. Der ökonomische Strukturwandel, der demographische Wandel<br />
oder finanzielle Situationen können im Einzelfall <strong>die</strong> negativen Auswirkungen des Klimawandels auf<br />
lokaler Ebene deutlich übertreffen.<br />
3.2 Planerisch-bauliche Ansätze<br />
Im zweiten Arbeitsschwerpunkt der Modellvorhaben geht es um <strong>die</strong> Strategieentwicklung <strong>und</strong> Ableitung<br />
von Maßnahmen aus dem Bereich der kommunalen Bauleitplanung sowie der Gebäudeplanung<br />
zur Ausformung einer klimawandelgerechten Stadtentwicklung. Dieser Schritt ist dem ersten Analyseschritt<br />
zeitlich nachgelagert, weil er auf der Evidenzgr<strong>und</strong>lage der Vulnerabilitätsanalysen aufbaut.<br />
34
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 4: PrinzipSkizze „Coolcity“ Essen<br />
Quelle: T. Kleinebrahm Stadt Essen 2011/ BBSR StadtKlimaExWoSt 2011<br />
Viele Projekte widmen sich direkt oder indirekt einer stärkeren Berücksichtigung von <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen<br />
in der Abwägung. Während sich einige Projekte (Jena <strong>und</strong> Aachen) eine stärkere,<br />
rechtliche Verankerung wünschen („Anpassungsvorschriften“, Anpassung von DIN-Normen etc.), versuchen<br />
andere Projekte wie Bad Liebenwerda <strong>und</strong> Regensburg Anpassungsbelangen durch Integration<br />
in Regelverfahren (Landschaftsplan) oder vorbereitende fachliche Konzepte (Freiraumentwicklungskonzept,<br />
Saarbrücken) ein stärkeres Gewicht zu verleihen. Ein ergänzender Weg wird in Nürnberg<br />
durch <strong>die</strong> strukturierte Aufbereitung der Stärken <strong>und</strong> Schwächen eines Raumes (Stadtteil) in<br />
Bezug auf <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> gegangen. Auf <strong>die</strong> Bereitstellung von konkreten Bewertungskriterien<br />
<strong>und</strong> klimatischen Beurteilungsgr<strong>und</strong>lagen konzentrieren sich <strong>die</strong> Projekte aus Jena <strong>und</strong> Karlsruhe.<br />
Nürnberg <strong>und</strong> Essen versuchen darüber hinaus, über eine frühzeitige Einbindung der Belange in<br />
Wettbewerbe <strong>und</strong> städtebauliche Entwürfe, eine entsprechende Aufmerksamkeit zu erzielen. Essen<br />
setzt dabei auch gezielt Szenariotechniken ein, um <strong>die</strong> Bedeutung „grüner Korridore“ durchzuspielen<br />
(Grobszenario) <strong>und</strong> auf Quartiersebene <strong>die</strong> Wirkung von <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen im Neubaubereich<br />
wie im Bestand zu ermitteln (vgl. Abbildung 4).<br />
Planerisch-bauliche Ansätze mit städtebaulichen Entwurfsvarianten verfolgt auch der Nachbarschaftsverband<br />
Karlsruhe. Konkrete Maßnahmen etwa zur Grünvernetzung <strong>und</strong> Schaffung sogenannter Klimakomfortinseln,<br />
zur Hinterhof- <strong>und</strong> Freiflächenbegrünung, zur Schaffung von wassergeb<strong>und</strong>enen<br />
Strukturen, zur klimagerechten Überflutungsvorsorge, zum klimagerechten Stadtumbau auch in<br />
denkmalgeschützten Quartieren (zum Beispiel Regensburg) sind weitere verfolgte Ansätze. Besonders<br />
betont werden sollte, dass <strong>die</strong> Modellvorhaben in der Regel siedlungsstruktur-spezifische Strategien<br />
zur <strong>Klimaanpassung</strong>, etwa <strong>für</strong> historische Altstädte, Stadtumbaugebiete, Gewerbegebiete, Frei-<br />
35
KLIMZUG-Workingpaper<br />
räume <strong>und</strong> Siedlungsränder verfolgen, <strong>die</strong> den spezifischen Anpassungserfordernissen Rechnung<br />
tragen (BMVBS, 2012).<br />
3.3 Informatorisch-organisatorische Ansätze<br />
Information der Öffentlichkeit, Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren („Governance“),<br />
Abstimmung mit anderen Behörden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Optimierung von Information <strong>und</strong> Kommunikation im<br />
Rahmen eines Anpassungsprozesses ist der dritte Schwerpunkt der Arbeiten in den Modellvorhaben.<br />
Die Initiierung <strong>und</strong> Durchführung von Modellvorhaben mit breiter Akteursbeteiligung <strong>und</strong> Rückkoppelung<br />
in <strong>die</strong> Stadtpolitik ist ein ausgesprochen bedeutsames Element der Modellvorhaben. Die dabei<br />
verfolgten Wege sind in den Modellvorhaben sehr individuell an <strong>die</strong> jeweilige Stadtgesellschaft angepasst.<br />
Herausheben kann man aber insbesondere <strong>die</strong> kleinen Modellvorhaben Syke <strong>und</strong> Bad Liebenwerda,<br />
<strong>die</strong> beide einen besonderen Schwerpunkt auf Governance-Ansätze gelegt haben.<br />
Das Wissen aus StadtKlimaExWoSt wird sukzessive im Stadtklimalotsen, einem eigenständig anwendbaren<br />
Beratungsinstrument zur Auswahl von geeigneten <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen <strong>für</strong><br />
kommunale Akteure, gebündelt (www.stadtklimalotse.de). Der Lotse greift auf eine Datenbank mit<br />
r<strong>und</strong> 140 Maßnahmen <strong>und</strong> guten Beispielen zurück <strong>und</strong> hilft durch verschiedene Abfragemöglichkeiten<br />
<strong>die</strong> potenziell interessanten Maßnahmen <strong>für</strong> den lokalen Kontext auszuwählen. Zudem bietet ein<br />
Modul zur Abschätzung der kommunalen Betroffenheit durch den Klimawandel eine kostengünstige<br />
Alternative zu umfassenden Klimaanalysen.<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Modellvorhabenforschung zählt zu den Ansätzen diskursiver Politikberatung. Experten <strong>und</strong> politische<br />
Akteure erzeugen gemeinsam im Prozess ihrer Interaktion Output, womit <strong>die</strong> Akteure aus der Praxis<br />
über ihre eigenen Erfahrungen berichten können, wodurch Modellvorhabenforschung in der Regel<br />
bessere „Lernerfolge“ zeitigt <strong>und</strong> effektiver ist <strong>als</strong> klassische Politikberatung oder rein wissenschaftliche<br />
Forschung. Vielfach sind auch beachtliche Transpositionserfolge in andere Regionen belegt (Einig,<br />
2011, 441).<br />
Diese Chance auf breite Transpositionserfolge bieten auch <strong>und</strong> gerade <strong>die</strong> KlimaExWoSt- <strong>und</strong><br />
KlimaMORO-Modellvorhaben, weil hier <strong>die</strong> breite Masse der Städte <strong>und</strong> Regionen bislang über sehr<br />
wenig Erfahrungen mit dem Thema <strong>Klimaanpassung</strong> verfügt. Gleichzeitig ist der ganz überwiegende<br />
Teil der Klimafolgenforschung relativ weit weg von der Praxis der Raumplanung. Über <strong>die</strong> Modellprojektforschung<br />
gelingt es nachweislich, <strong>die</strong> spezifischen Interessen der lokalen <strong>und</strong> regionalen Akteure<br />
– Verwaltung <strong>als</strong> auch Politik – mit der wissenschaftlichen Expertise zusammenzubringen <strong>und</strong> damit<br />
eine reale Wirkung auf <strong>die</strong> Planungspraxis zu erzeugen. Dies zeigt auch das ungemein große Interesse<br />
der Regionen <strong>und</strong> Kommunen an den bisher stattgef<strong>und</strong>enen Veranstaltungen <strong>und</strong> Publikationen.<br />
Dazu zählen <strong>die</strong> von den KlimaMORO-Regionen erarbeiteten Handlungshilfen <strong>und</strong> Leitfäden 3 . Insbesondere<br />
der Stadtklimalotse soll hier eine Rolle <strong>als</strong> Multiplikator in der Breite spielen <strong>und</strong> gerade <strong>die</strong>jenigen<br />
Akteure ertüchtigen, sich mit <strong>Klimaanpassung</strong> zu befassen, <strong>die</strong> bisher keine oder nur kaum<br />
Berührungspunkte mit <strong>die</strong>ser <strong>Herausforderung</strong> hatten.<br />
3 Vgl. www.klimamoro.de unter Produkte <strong>und</strong> Veröffentlichungen aus den Modellregionen<br />
36
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Aus <strong>die</strong>sem expliziten Anwendungsbezug heraus lassen sich bislang <strong>die</strong> folgenden inhaltlichen Bef<strong>und</strong>e<br />
ableiten:<br />
� Es wurde ein sehr bewusster Umgang mit Prognoseunsicherheiten gewählt: Während einige<br />
Modellvorhaben, vornehmlich große Städte <strong>und</strong> Regionen mit entsprechenden Ressourcen,<br />
den Weg einer wissenschaftlich differenzierten Analyse von Extremereignissen (mikroskalige<br />
Klimamodelle, Szenarien, Simulationen) gegangen sind, haben andere regionale Klimamodelle<br />
ausgeklammert bzw. auf eigene Analysen verzichtet.<br />
� Extremereignisse werden in den heterogenen Modellvorhaben von KlimaExWoSt <strong>und</strong><br />
KlimaMORO ernst genommen – auf eine der lokalen Situation angepasste Weise.<br />
� Nur in einigen Fällen wurden <strong>die</strong> Klimadaten (Exposition) mit der Sensitivität zur Betroffenheit<br />
verschnitten <strong>und</strong> explizit auf Anpassungskapazitäten abgestellt. Insofern stellt sich <strong>die</strong> Frage,<br />
ob das Vulnerabilitätskonzept <strong>für</strong> stadtregionale Anpassungsstrategien trägt oder ob nicht eine<br />
Betrachtung der Betroffenheit hinreichend ist.<br />
� Sowohl auf Ebene der Raumordnung <strong>als</strong> auch der Bauleitplanung besteht keine Notwendigkeit<br />
zur Entwicklung neuer, spezifisch <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> geeigneter Instrumente. Vielmehr<br />
wird <strong>Klimaanpassung</strong> <strong>als</strong> integrierter Teil einer nachhaltigen Raumentwicklung bzw. städtebaulichen<br />
Entwicklung angesehen <strong>und</strong> ist mit den bestehenden Instrumenten leistbar. Gleichwohl<br />
können neue Gebietskategorien <strong>und</strong> Planzeichen <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel<br />
befördern (vgl. Übersicht 1). Auch eignen sich unter anderem multifunktionale Gebietskategorien,<br />
insbesondere zur Sicherung von Freiflächen etwa mittels regionaler Grünzüge. Es kommt<br />
auf eine gute Verzahnung informeller Ansätze zur Vorbereitung <strong>und</strong> Verwirklichung der Inhalte<br />
des formellen Instrumentariums an, das gleichwohl unverzichtbar erscheint, um rechtliche<br />
Bindungswirkungen zu erzielen. Eine umfassende Beteiligung betroffener stadtregionaler Akteure<br />
ist Erfolgsvoraussetzung <strong>für</strong> Anpassungsprozesse.<br />
� Der iterative Prozess zur Ableitung klimageprüfter räumlicher Strukturen kann <strong>als</strong> spezifisch<br />
planerischer Ansatz zur Entwicklung klimawandelgerechter Strukturen bezeichnet werden.<br />
Die regionalen <strong>und</strong> kommunalen Akteure stehen vor der Aufgabe, <strong>die</strong> vielfältigen Ergebnisse der<br />
Gr<strong>und</strong>lagen-, Pilotprojekt- <strong>und</strong> Modellvorhabenforschung zur Anpassung an <strong>die</strong> Klimafolgen nun umzusetzen.<br />
Dabei brauchen sie Unterstützung, auch des B<strong>und</strong>es. Zur akteursspezifischen Aufbereitung<br />
der Ergebnisse bietet sich künftig eine noch engere Verzahnung von Teilprojekten der KLIMZUG-<br />
Verbünde unter anderem mit den stadtregionalen Modellvorhaben KlimaMORO <strong>und</strong> KlimaExWoSt an.<br />
Literatur<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2010, Urbane Strategien<br />
zum Klimawandel. Dokumentation der Auftaktkonferenz 2010 zum ExWoSt-Forschungsfeld.<br />
Sonderveröffentlichung Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2011, Klimawandel <strong>als</strong><br />
Handlungsfeld der Raumordnung, Heft Forschungen 144, Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2011a, Klimawandelgerechte<br />
Stadtentwicklung, Heft Forschungen 149, Berlin.<br />
37
KLIMZUG-Workingpaper<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2011b, Vulnerabilitätsanalyse<br />
in der Praxis. Inhaltliche <strong>und</strong> methodische Ansatzpunkte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ermittlung regionaler Betroffenheiten,<br />
BMVBS-Online-Publikation 21/11, Bonn/Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2011c, Raumentwicklungsstrategien<br />
zum Klimawandel – MORO Informationen Heft 7/4, Bonn/Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS), 2012, Klimawandel: Wie<br />
sich Regionen <strong>und</strong> Städte anpassen können. Die Modellvorhaben der Raum- (KlimaMORO) <strong>und</strong><br />
Stadtentwicklung (StadtKlimaExWoSt). Dokumentation der 2. kliwas Statuskonferenz, Bonn<br />
(Druck in Vorbereitung).<br />
B<strong>und</strong>esregierung, 2008, Deutsche Anpassungsstrategie <strong>und</strong> Aktionsplan Anpassung 2011, Berlin.<br />
Einig, Klaus, 2011, Funktion <strong>und</strong> Folgen von Modellvorhaben <strong>für</strong> <strong>die</strong> Politikberatung, in: Raumforschung,<br />
Heft7/8.2011, Hannover, S. 435-451.<br />
RV – <strong>Regional</strong>verband FrankfurtRheinMain, 2011, Kommunen im Klimawandel – Wege zur Anpassung,<br />
Darmstadt.<br />
38
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Siedlungsstruktur <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> in Stadtregionen<br />
Jörg Knieling / Lisa Kunert / Thomas Zimmermann<br />
1. Siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong><br />
Die langfristig wirksamen Folgen des Klimawandels, wie <strong>die</strong> Zunahme der Durchschnittstemperatur<br />
oder der Anstieg des Meeresspiegels, betreffen Stadtregionen im Allgemeinen <strong>und</strong> solche in Küstenlage<br />
im Speziellen in einem besonderen Maße. Dies gilt auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Städte <strong>und</strong> Gemeinden in der<br />
Metropolregion Hamburg, <strong>für</strong> <strong>die</strong> im Rahmen des Themenfeldes „Integrierte Stadt- <strong>und</strong> Raumentwicklung“<br />
in dem Forschungsprojekt „KLIMZUG-NORD – Strategische Anpassungsansätze zum Klimawandel<br />
in der Metropolregion Hamburg“ Konzepte <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> entwickelt <strong>und</strong> erprobt<br />
werden. Um ihre Verw<strong>und</strong>barkeit zu begrenzen, ist eine vorausschauende Koordination der stadtregionalen<br />
Entwicklung unter dem Blickwinkel des Klimawandels erforderlich. Um den Folgen des Klimawandels<br />
zu begegnen <strong>und</strong> eine entsprechend angepasste stadtregionale Siedlungsentwicklung zu<br />
unterstützen, können siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte aufgr<strong>und</strong> ihrer Orientierungsfunktion<br />
bei der Prioritätensetzung hilfreich sein (vgl. Greiving et al., 2009, 6). Übergeordnete Leitbilder <strong>und</strong><br />
Konzepte sind ein fester Bestandteil der deutschen Raumplanung <strong>und</strong> beeinflussen <strong>die</strong> siedlungsstrukturellen<br />
Entwicklungsvorstellungen von Stadtregionen. Für <strong>die</strong> Planungspraxis erfüllen sie damit<br />
gr<strong>und</strong>legende Funktionen (vgl. Spiekermann, 1999, 4).<br />
<strong>Regional</strong>e Siedlungsstrukturleitbilder basieren auf entsprechenden Siedlungsstrukturmodellen, <strong>die</strong><br />
zwischen Siedlungs- <strong>und</strong> Freiflächen differenzieren <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden Nutzungstypen zueinander in Beziehung<br />
setzen. Siedlungs- bzw. Bauflächen umfassen Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsstätten sowie Einrichtungen<br />
von zentraler Bedeutung. Neben der freien Landschaft, das heißt vorwiegend land- <strong>und</strong> forstwirtschaftlich<br />
genutzte Flächen, beinhalten Freiflächen auch größere unbebaute Flächen, „<strong>die</strong> dem Siedlungsbereich<br />
selbst direkt zugeordnet sind <strong>und</strong> in einem Funktionszusammenhang mit dem Baubereich<br />
stehen: Sportplätze, Parkanlagen, Friedhöfe <strong>und</strong> ähnliche, meist in öffentlichem Eigentum stehende<br />
Flächen“ (Albers, 1974, 76). Seit Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts lässt sich eine intensive Diskussion<br />
um siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte auf der stadtregionalen Ebene nachvollziehen.<br />
Gegenwärtig dominiert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung von Stadtregionen das punkt-axiale Modell, auf das unter<br />
anderem auch das Raumordnungsgesetz in § 5 Abs. 5 im Zusammenhang mit den Inhalten von Landes-<br />
<strong>und</strong> <strong>Regional</strong>plänen <strong>als</strong> anzustrebende Siedlungsstruktur verweist.<br />
Bisher wurde allerdings kaum diskutiert, inwieweit das punkt-axiale Modell in Stadtregionen zur Anpassung<br />
an <strong>die</strong> <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels beitragen kann. Dieser Frage widmet sich der<br />
vorliegende Beitrag. Dazu werden in Kapitel zwei zunächst <strong>die</strong> Auswirkungen des Klimawandels auf<br />
Städte <strong>und</strong> Stadtregionen skizziert. Kapitel drei beschreibt Bewertungskriterien <strong>für</strong> Siedlungsstrukturkonzepte<br />
auf stadtregionaler Ebene aus Sicht der Resilienz. Daran anschließend wird im vierten Kapitel<br />
das in Deutschland vielfach verwendete Leitbild einer punkt-axialen Siedlungsstruktur beschrieben<br />
<strong>und</strong> im Hinblick auf seine Eignung <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> bewertet. Kapitel fünf prüft weitere zur Diskussion<br />
stehende siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte im Hinblick auf <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />
punkt-axialer Modelle unter dem Gesichtspunkt von Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels.<br />
Das abschließende Kapitel fasst <strong>die</strong> Ergebnisse zusammen, gibt Empfehlungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />
siedlungsstruktureller Leitbilder <strong>und</strong> deutet weiterführenden Forschungsbedarf an.<br />
39
KLIMZUG-Workingpaper<br />
2. <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels <strong>für</strong> Stadtregionen<br />
Der Klimawandel umfasst Veränderungen von Mittelwert, Variabilität <strong>und</strong> Extremen der Klimaparameter<br />
sowie eine veränderte Häufigkeit, Dauer <strong>und</strong> Stärke von Extremwetterereignissen (Zebisch et al.,<br />
2005, 6ff.; Kartschall et al., 2007, 4; Stock et al., 2009, 98). Die Veränderungen sind schwer vorhersagbar<br />
<strong>und</strong> unterscheiden sich regional. Trotz der vorhandenen Unsicherheiten <strong>und</strong> der räumlichen<br />
Variabilität besteht allerdings Einigkeit, dass <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels Stadtregionen – <strong>und</strong> insbesondere<br />
solche in Küstenlage – aufgr<strong>und</strong> der hohen Konzentration von Gebäuden, Infrastrukturen <strong>und</strong><br />
Einwohnern in einem besonderen Maße betreffen. Maßgeblich da<strong>für</strong> sind insbesondere hydrologische<br />
Veränderungen, zunehmende Temperaturen sowie das Ansteigen des Meeresspiegels.<br />
Hydrologische Veränderungen infolge des Klimawandels sind in Form von jahreszeitlichen Verschiebungen<br />
der Niederschläge sowie vermehrten Starkregenereignissen zu erwarten. Zu den damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Auswirkungen zählen ein im Sommer zunehmender <strong>und</strong> im Winter abnehmender Oberflächenabfluss<br />
<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en steigende <strong>und</strong> sinkende Gr<strong>und</strong>wasserstände sowie eine Zunahme<br />
von sehr hohen, aber auch sehr niedrigen Abflusspegeln von Flüssen. Aufgr<strong>und</strong> von zunehmenden<br />
längeren Trockenperioden können (starke) Niederschläge unter Umständen nicht in den Boden eindringen,<br />
was zu einem erhöhten Oberflächenabfluss führt. Vermehrte Starkregenereignisse <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
mit ihnen verb<strong>und</strong>ene Zunahme von Hochwasser erhöhen <strong>die</strong> Gefahr der Überflutung von Siedlungsflächen.<br />
Die Bebauung hochwassergefährdeter Bereiche <strong>und</strong> eine intensive Versiegelung erhöhen <strong>die</strong><br />
Gefahren von Überflutung <strong>und</strong> Bodenerosion (vgl. Gill, 2004, 57; Steinrücke et al., 2010, 49).<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Auswirkungen der urbanen Wärmeinsel sind Städte <strong>und</strong> Stadtregionen in besonderer<br />
Weise vom Anstieg der Jahresmitteltemperatur <strong>und</strong> von Hitzeperioden betroffen. Eine intensive Flächennutzung<br />
<strong>und</strong> Bodenversiegelung erhöhen <strong>die</strong> Luft- <strong>und</strong> Oberflächentemperaturen zusätzlich. Damit<br />
gehen ges<strong>und</strong>heitliche Probleme <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bevölkerung bis hin zu einer erhöhten Mortalitätsrate einher<br />
(vgl. Kuttler, 2004, 10).<br />
Der durch den Klimawandel ausgelöste Anstieg des Meeresspiegels beeinträchtigt vor allem Städte<br />
<strong>und</strong> Stadtregionen in Küstengebieten. Der Meeresspiegelanstieg führt unmittelbar dazu, dass <strong>die</strong><br />
Wasserstände ansteigen, mehr Überflutungen zu erwarten sind, <strong>die</strong> Küsten abgetragen werden oder<br />
es dort zumindest zu Beeinträchtigungen kommen kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Versalzung des Wassers zunimmt.<br />
Gleichzeitig erschwert der Meeresspiegelanstieg stellenweise <strong>die</strong> Entwässerung von Flächen <strong>und</strong> im<br />
Zusammenhang mit Extremereignissen, wie Sturmfluten oder Starkregen, sind vermehrte Schäden<br />
durch Sturmfluten absehbar (vgl. Hunt/Watkiss, 2007, 20). Mittelbar bedroht das steigende Überflutungsrisiko<br />
Gebäude sowie <strong>die</strong> Funktionalität von Infrastrukturen <strong>und</strong> Freiflächen (vgl. Gill, 2004, 58).<br />
3. Bewertungskriterien <strong>für</strong> resiliente Siedlungsstrukturen auf regionaler Ebene<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der beschriebenen potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf Städte<br />
oder Stadtregionen stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie eine vorausschauende Raumplanung reagieren sollte<br />
<strong>und</strong> entsprechende Siedlungsstrukturkonzepte aus Sicht des Klimawandels zu bewerten wären. Das<br />
Konzept der Resilienz bietet einen theoretischen Rahmen <strong>für</strong> den Umgang mit den Folgen des Klimawandels,<br />
der auch auf stadtregionale Siedlungsstrukturen übertragbar ist. Die Resilienz eines Systems<br />
oder Objektes zeigt an, wie schnell es nach einem Schock oder Schaden wieder in seinen Ursprungszustand<br />
zurückkehrt bzw. seine wesentlichen Funktionen aufrechterhält oder wiederherstellt<br />
(vgl. Birkmann, 2008, 10). Um das eingangs beschriebene <strong>und</strong> gegenwärtig häufig verwendete punktaxiale<br />
Siedlungsstrukturmodell im Hinblick auf seine Eignung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anpassung von Stadtregionen an<br />
<strong>die</strong> Folgen des Klimawandels analysieren <strong>und</strong> bewerten zu können, werden im Folgenden auf der<br />
40
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Gr<strong>und</strong>lage des Konzepts der Resilienz Kriterien entwickelt, <strong>die</strong> einen gegenüber äußeren Störungen,<br />
wie dem Klimawandel, toleranten Zustand beschreiben.<br />
Aufbauend auf unterschiedlichen Ansätzen zur Bewertung resilienter Städte (vgl. Godschalk, 2003;<br />
Greiving et al., 2009; Beatley, 2009) unterscheidet der entwickelte Bewertungsansatz zum einen zwischen<br />
der gesamtstädtischen bzw. stadtregionalen Maßstabsebene <strong>und</strong> der Quartiersebene sowie<br />
zum anderen zwischen den unterschiedlichen Flächennutzungen, <strong>als</strong>o Freiraum, Siedlung <strong>und</strong> Infrastruktur.<br />
Zur Bewertung werden <strong>die</strong> Merkmale Exposition, Red<strong>und</strong>anz, Stärke <strong>und</strong> Diversität herangezogen.<br />
Auf der Ebene der Stadt oder der Region bezieht sich das Merkmal Exposition auf alle drei Flächennutzungen.<br />
Von räumlich spezifischen Extremereignissen wie Sturmfluten oder Hochwasser gefährdete<br />
Bereiche sollten von Bebauung <strong>und</strong> Infrastrukturen freigehalten werden, um mögliche Risiken zu<br />
vermeiden. Freiflächen bieten sich dabei <strong>als</strong> Pufferflächen an. Darüber hinaus kommt großräumigen<br />
Freiflächenverbünden in Form von Kaltluftschneisen eine hohe Bedeutung <strong>für</strong> das Mindern der städtischen<br />
Überhitzung zu. Neben einem solchen qualitativen Ansatz umfasst das Merkmal Exposition<br />
auch quantitative Aspekte, insbesondere <strong>die</strong> Begrenzung von Siedlungsexpansion. Das Merkmal der<br />
Red<strong>und</strong>anz zielt auf der städtischen bzw. regionalen Ebene auf dezentral angeordnete Siedlungsflächen<br />
<strong>und</strong> Infrastrukturen, um ein Weiterbestehen des Gesamtsystems auch bei Ausfall einer Komponente<br />
oder eines Teilbereiches im Falle von Extremereignissen zu ermöglichen. Im Bereich der Infrastrukturen<br />
bezieht Red<strong>und</strong>anz neben der großräumigen Anordnung in Verbindung mit dem Siedlungsraum<br />
auch „parallele <strong>und</strong> funktionsäquivalente Strukturen“ (Birkmann/Fleischhauer, 2009, 122) mit<br />
ein, um <strong>die</strong> negativen Folgen von Infrastrukturausfällen zu verringern. Einzelne oder mehrere, eng<br />
miteinander verb<strong>und</strong>ene Quartiere, <strong>die</strong> weitestgehend alle lebensnotwendigen Funktionen abdecken,<br />
bilden somit <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>bestandteile einer resilienten stadtregionalen Siedlungsstruktur.<br />
Auch auf der Ebene des Quartiers ist Red<strong>und</strong>anz ein wichtiges Merkmal resilienter Siedlungsentwicklung.<br />
Eine Mischung der unterschiedlichen Nutzungen innerhalb der Siedlungsflächen ermöglicht alternative<br />
Be<strong>die</strong>nformen bei Ausfall einzelner Komponenten; gleichzeitig fördert <strong>die</strong> kompakte Struktur<br />
eine Reduktion der Siedlungsflächenexpansion. Um <strong>die</strong> Exposition zu verringern, sollten von Extremereignissen<br />
gefährdete Bereiche möglichst von Bebauung <strong>und</strong> Infrastruktur freigehalten werden.<br />
Zusätzlich zu den großräumig zu beachtenden Gefahren, <strong>die</strong> von Sturmfluten <strong>und</strong> Hochwassern ausgehen,<br />
sind auf der Quartiersebene Extremereignisse mit kleinräumig differenzierten Auswirkungen<br />
wie Überschwemmungen durch Starkregenereignisse zu berücksichtigen. Lassen sich verbindende<br />
Infrastrukturen in gefährdeten Bereichen nicht vermeiden, sollten sie zumindest robust gegenüber den<br />
Folgen von Extremereignissen ausgelegt sein. Dies verweist auf das Merkmal der Stärke. In bestehenden,<br />
von Extremereignissen betroffenen Siedlungsbereichen sind auch robuste bauliche Strukturen<br />
vorstellbar. Diversität zielt dagegen darauf, Siedlungs- <strong>und</strong> Grünflächen kleinräumig zu mischen,<br />
um <strong>die</strong> Effekte der städtischen Wärmeinsel zu verringern, <strong>die</strong> Versiegelung zu begrenzen <strong>und</strong> in<br />
räumlicher Nähe zu den Wohnungen Erholungsflächen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohner zu<br />
schaffen.<br />
Mit Hilfe der benannten Bewertungskriterien werden im Folgenden <strong>die</strong> unterschiedlichen siedlungsstrukturellen<br />
Leitbilder bewertet. Da <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels räumlich nicht einheitlich auftreten<br />
<strong>und</strong> sich <strong>die</strong> einzelnen Stadtregionen folglich hinsichtlich ihrer Vulnerabilitäten unterscheiden, müssen<br />
<strong>die</strong> jeweils spezifischen regionalen Rahmenbedingungen bei der Übertragung der Ergebnisse berücksichtigt<br />
werden. Resiliente Siedlungsstrukturen erfordern spezifische, auf <strong>die</strong> regionalen Verhältnisse<br />
abgestimmte Lösungen. Dabei sollten sowohl <strong>die</strong> geographische Lage <strong>und</strong> <strong>die</strong> mit ihr verb<strong>und</strong>enen<br />
41
KLIMZUG-Workingpaper<br />
naturräumlichen Rahmenbedingungen <strong>als</strong> auch <strong>die</strong> Größe <strong>und</strong> Dichte der Siedlungen sowie, im Zuge<br />
des Klimawandels, <strong>die</strong> projizierten Extremereignisse berücksichtigt werden (vgl. Pizarro et al., 2006,<br />
407).<br />
4. Bewertung punkt-axialer Siedlungsstrukturkonzepte<br />
Mit Hilfe der Kriterien werden im Folgenden zunächst punkt-axiale Modelle im Hinblick auf ihre Eignung<br />
<strong>für</strong> eine klimaangepasste stadtregionale Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung bewertet. Punktaxiale<br />
Modelle bauen auf dominierenden Zentren auf, von denen, entlang von Verkehrsachsen, lineare,<br />
verdichtete Siedlungsbänder mit weiteren Zentren ausgehen. Die zwischen den Entwicklungsbereichen<br />
liegenden Freiflächen sind nicht <strong>für</strong> eine Bebauung vorgesehen. Das punkt-axiale Modell impliziert<br />
eine räumlich integrative, den gesamten stadtregionalen Verflechtungsbereich umfassende<br />
Planung, um das Wachstum von Städten zu steuern <strong>und</strong> teilräumliche Planungen sinnvoll koordinieren<br />
zu können (vgl. Fürst et al., 1999, 26ff.). Die wichtigsten Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausgestaltung der<br />
bebauten Bereiche sind Nutzungsmischung <strong>und</strong> Kompaktheit. Der Hintergr<strong>und</strong> der Entwicklung punktaxialer<br />
Modelle liegt im rasanten Wachstum der Städte seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> der daraus resultierenden<br />
Wohnungsnachfrage, der Expansion von Siedlungsfläche <strong>und</strong> der Überlastung der technischen<br />
Infrastruktur. Um <strong>die</strong>sen Problemen zu begegnen, wurden stadtregionale Konzepte zur Stadtentwicklung<br />
entworfen.<br />
Einer der entscheidenden Wegbereiter des Achsenmodells war der Hamburger Planer Fritz Schumacher.<br />
Er entwickelte Anfang der 1920er Jahre vor dem Hintergr<strong>und</strong> sozialer Missstände in den Arbeiterquartieren<br />
durch den gestiegenen innerstädtischen Siedlungsdruck ein Konzept <strong>für</strong> <strong>die</strong> zukünftige<br />
Entwicklung Hamburgs <strong>und</strong> seines Umlands, den sogenannten Federplan (vgl. Bose, 1995, 126). Der<br />
Federplan sah eine radiale Erweiterung <strong>und</strong> Gliederung des Stadtkörpers entlang der Verkehrsachsen<br />
vor. Die Bündelung von Infrastruktur entlang der Achsen zielte auf <strong>die</strong> kosteneffiziente Auslastung, <strong>die</strong><br />
Verminderung des Verkehrsaufwandes <strong>und</strong> eine gute Erreichbarkeit des Stadtzentrums. Die bebauten<br />
Flächen grenzte Schumacher eindeutig von den Freiflächen ab. „Schuhmacher sah integrierte Freiraumkonzepte<br />
<strong>als</strong> wesentlichen Schritt in Hinblick auf [eine] großräumige <strong>und</strong> umfassende Planung<br />
an. Er betrachtete <strong>die</strong> im Achsenmodell entstehenden Grünachsen […] <strong>als</strong> ‚Arterien‘, welche <strong>die</strong> Versorgung<br />
der Stadt mit Frischluft bis in den Stadtkern hinein gewährleisten sollten“ (Fürst et al., 1999,<br />
29). Damit sollten <strong>die</strong> Grünachsen in den Achsenzwischenräumen stadtökologische Funktionen übernehmen<br />
<strong>und</strong> zugleich <strong>die</strong> Zersiedelung der Landschaft eindämmen. In später folgenden Planungen<br />
wurden entlang der Siedlungsachsen weitere Siedlungsschwerpunkte aufgereiht. Gemäß dem „Hamburger<br />
Dichtemodell“ befinden sich in den Subzentren <strong>die</strong> jeweiligen S- oder U-Bahn-Stationen, deren<br />
angrenzende Bereiche über Buslinien erschlossen werden. So sollte den Subzentren nicht nur eine<br />
Wohn- <strong>und</strong> Erschließungs-, sondern auch eine Arbeits- <strong>und</strong> Versorgungsfunktion (<strong>für</strong> kurz- <strong>und</strong> mittelfristige<br />
Güter) zukommen. Diese Nutzungsmischung sollte ein gewisses Maß an Eigenständigkeit<br />
ermöglichen (vgl. Fürst et al., 1999, 54f.).<br />
Auch international haben punkt-axiale Modelle <strong>die</strong> Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung in Stadtregionen<br />
beeinflusst. Ein Beispiel ist der Ende der 1940er Jahre entwickelte Kopenhagener Fingerplan, der<br />
ein äußeres Wachstum der Stadt entlang von ausgewählten S-Bahnlinien vorsieht (vgl. Hall et al.,<br />
1998, 91). Zwischen den Entwicklungsachsen (Fingern) befanden sich Grünkeile, <strong>die</strong> vor weiterer<br />
Bebauung geschützt werden sollten. Das Konzept wurde <strong>als</strong> erfolgreich eingeschätzt <strong>und</strong> in den<br />
1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren in abgewandelter Form fortgeführt. Aufgr<strong>und</strong> des fortschreitenden Bevölkerungswachstums<br />
erwies es sich jedoch nicht länger <strong>als</strong> ausreichend, nur <strong>die</strong> Erreichbarkeit zum Zentrum<br />
zu verbessern. Vielmehr wurde es <strong>als</strong> erforderlich angesehen, Arbeitsplätze zu dezentralisieren,<br />
42
KLIMZUG-Workingpaper<br />
um den Druck auf das Zentrum zu reduzieren. In der Fortschreibung des Fingerplans wurden daher<br />
Satellitenstädte <strong>für</strong> jeweils ca. 250.000 Einwohner entlang zweier Finger <strong>als</strong> regionale Subzentren<br />
geplant. Sie verfügten über eigene Industriegebiete <strong>und</strong> jeweils ein eigenständiges Zentrum. Die Anbindung<br />
der Satelliten erfolgte über eine Schnellbahn (vgl. Hall et al., 1998, 91). In den 1990er Jahren<br />
griffen auch amerikanische Stadtregionen wie Portland, Seattle <strong>und</strong> Salt Lake City bei der Steuerung<br />
der Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung auf punkt-axiale Konzepte zurück (vgl. Calthorpe/Funton,<br />
2001, 117ff.).<br />
Übersicht 1: Bewertung punkt-axialer Modelle aus Sicht von Resilienz gegenüber potenziellen<br />
Auswirkungen des Klimawandels auf der regionalen/gesamtstädtischen Maßstabsebene<br />
Eigene Darstellung<br />
Mit Blick auf eine Bewertung der Resilienz gegenüber potenziellen Auswirkungen des Klimawandels<br />
(siehe Übersicht 1) erfüllen <strong>die</strong> punkt-axialen Modelle weitestgehend <strong>die</strong> von dem Kriterium Exposition<br />
gestellten Anforderungen an resiliente Siedlungsstrukturen. Das Freihalten von Kaltluftschneisen<br />
durch Grünkeile <strong>und</strong> -gürtel wirkt positiv auf das Stadtklima <strong>und</strong> <strong>die</strong>nt der qualitativen Dimension der<br />
Exposition. Das Minimieren der Siedlungsexpansion durch eine höhere Dichte in den bestehenden<br />
Siedlungsbereichen deckt sich mit der quantitativen Dimension der Exposition. Allerdings treffen <strong>die</strong><br />
punkt-axialen Modelle keine Aussagen zur Freihaltung gefährdeter Bereiche <strong>als</strong> einen weiteren Bestandteil<br />
der qualitativen Dimension der Exposition. Die Bewertung des Kriteriums Red<strong>und</strong>anz fällt<br />
43
KLIMZUG-Workingpaper<br />
dagegen differenzierter aus. Die hierarchisch strukturierten Zentrensysteme ermöglichen zwar dezentralisierte<br />
Strukturen <strong>und</strong> auch <strong>die</strong> Verkehrsachsen <strong>und</strong> -korridore stehen parallelen <strong>und</strong> funktionsäquivalenten<br />
Infrastrukturen nicht im Wege. Allerdings bündeln sich in dem städtischen Zentrum oberzentrale<br />
Funktionen <strong>und</strong> Verkehrsachsen; zudem stellt <strong>die</strong> Bündelung der Siedlungsentwicklung auf<br />
Achsen <strong>und</strong> Zentren explizit einen besonderen Wesenszug des Konzepts dar. Damit sind punkt-axiale<br />
Siedlungsstrukturen anfällig gegenüber potenziellen Auswirkungen von Extremereignissen.<br />
Übersicht 2: Bewertung punkt-axialer Modelle aus Sicht von Resilienz gegenüber potenziellen<br />
Auswirkungen des Klimawandels auf der Quartiersebene<br />
Eigene Darstellung<br />
Auch auf der Quartiersebene erfüllen <strong>die</strong> punkt-axialen Modelle <strong>die</strong> Kriterien <strong>für</strong> resiliente Siedlungsstrukturen<br />
weitestgehend. Sie verfolgen das Ziel, eine Vielfalt an Nutzungen zuzulassen (Red<strong>und</strong>anz),<br />
kompakte städtebauliche Strukturen zu entwickeln (Exposition) sowie bebaute <strong>und</strong> unbebaute Bereiche<br />
kleinräumig zu mischen (Diversität). Zielkonflikte deuten sich zwischen dem kleinräumigen Mischen<br />
bebauter <strong>und</strong> unbebauter Bereiche einerseits <strong>und</strong> der Nachverdichtung andererseits an. Das<br />
kleinräumige Freihalten gefährdeter Bereiche von Bebauung <strong>und</strong> Infrastrukturen, das Merkmal der<br />
Stärke <strong>für</strong> gefährdete Siedlungsbereiche sowie robuste lineare Infrastrukturen in gefährdeten Bereichen<br />
thematisieren punkt-axiale Modelle hingegen nicht.<br />
Insgesamt bieten damit <strong>die</strong> gegenwärtig von der deutschen Raumplanung verfolgten punkt-axialen<br />
Modelle zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten <strong>für</strong> eine gegenüber den Folgen des Klimawandels resi-<br />
44
KLIMZUG-Workingpaper<br />
liente Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung in Stadtregionen. Allerdings thematisieren sie den Umgang<br />
mit den Folgen von Extremereignissen bisher nicht explizit, womit sich eine Bewertung nur interpretativ<br />
durchführen lässt. Von daher leitet sich ein Bedarf ab, <strong>die</strong> Modelle im Hinblick auf das neue Anforderungsspektrum<br />
weiterzuentwickeln <strong>und</strong> gegebenenfalls entsprechend zu modifizieren. Im Folgenden<br />
werden weitere Modelltypen betrachtet, <strong>die</strong> in den vergangenen Jahren diskutiert wurden, um<br />
daraus mögliche Ansatzpunkte <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Weiterentwicklung ableiten zu können.<br />
5. Analyse weiterer Siedlungsstrukturmodelle im Hinblick auf eine<br />
Weiterentwicklung punkt-axialer Modelle<br />
Weitere diskutierte siedlungsstrukturelle Modelle können den Typen Dezentrale Konzentration <strong>und</strong><br />
Dezentralisierung zugeordnet werden, auf <strong>die</strong> im Folgenden eingegangen wird. Die Dezentrale Konzentration<br />
hat das Ziel, einer dispersen Siedlungsentwicklung entgegen zu wirken (vgl. Sinz/Blach,<br />
1994, 465). Die Ursprünge der Modelltypen der Dezentralen Konzentration reichen zurück bis auf das<br />
Modell der Gartenstadt von Howard, <strong>die</strong> zur Entlastung des Zentrums von Agglomerationen neu angelegte<br />
<strong>und</strong> durch Grünflächen getrennte Entlastungsstandorte vorsah (vgl. Frey, 1999, 49f.). Modelle<br />
der Dezentralen Konzentration zielen auf den Ausbau von <strong>Regional</strong>zentren außerhalb der Agglomeration.<br />
Die dezentralen Zentren sollen nach den Prinzipien der Kompakten Stadt entwickelt werden, was<br />
unter anderem Dichte, Nutzungsmischung <strong>und</strong> hohe gestalterische <strong>und</strong> ökologische Qualität der öffentlichen<br />
Räume beinhaltet (vgl. Feuerstein, 2008, 66; Gatzweiler, 1993, 179f.).<br />
Für <strong>die</strong> Weiterentwicklung punkt-axialer Modelle im Hinblick auf Resilienz gegenüber den Auswirkungen<br />
des Klimawandels bietet insbesondere <strong>die</strong> Begrenzung des städtischen Wachstums durch Grünflächen<br />
einen Ansatzpunkt. Dies kann dazu beitragen, <strong>die</strong> von der Größe des besiedelten Bereiches<br />
bestimmte Ausprägung der urbanen Wärmeinsel zu reduzieren. Dezentralisierte Siedlungsstrukturen,<br />
<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Fortentwicklung <strong>und</strong> den Ausbau von <strong>Regional</strong>zentren bzw. Stadterweiterungen <strong>und</strong><br />
New Towns in einem Mindestabstand zum Agglomerationszentrum entstehen, können zur Red<strong>und</strong>anz<br />
beitragen. Ebenso wie <strong>die</strong> punkt-axialen bieten auch <strong>die</strong> Modelle der Dezentralen Konzentration keine<br />
Ansatzpunkte zum Umgang mit von den Folgen von Extremereignissen betroffenen Bereichen.<br />
Modelle der Dezentralisierung entstanden vor dem Hintergr<strong>und</strong> der zunehmenden Zersiedlung seit<br />
den 1980er Jahren. Der Schwerpunkt der Dezentralisierung liegt auf der Beschreibung der in den<br />
letzten Jahrzehnten in Folge der Suburbanisierung entstandenen stadtregionalen Siedlungsstrukturen.<br />
In Dezentralisierungsmodellen werden <strong>die</strong>se <strong>als</strong> bestehende Trends der Siedlungsentwicklung in den<br />
Stadtregionen anerkannt. Falls <strong>die</strong> Modelle konzeptionelle Aussagen enthalten, zielen sie meist auf<br />
eine gestalterische Aufwertung der entstandenen dispersen Strukturen. Im Vergleich zu den anderen<br />
Modellen, <strong>die</strong> meist von der „Kernstadt“ ausgehen, thematisieren sie eher <strong>die</strong> Entwicklung außerhalb<br />
der Siedlungskerne. Die „Zwischenstadt“ (vgl. Sieverts, 1999) <strong>und</strong> <strong>die</strong> „Netzstadt“ (vgl. Venturi, 1999;<br />
Oswald/Baccini, 1999, 33) analysieren <strong>die</strong> bestehenden stadtregionalen Siedlungsstrukturen <strong>und</strong> entwickeln<br />
Vorschläge <strong>für</strong> den Umgang mit <strong>die</strong>sen neuen Raumtypen im Umland von Agglomerationszentren.<br />
Im Gegensatz dazu ist das US-amerikanische Modell der „Edge City“ (vgl. Garreau, 1992,<br />
4ff.) rein deskriptiv <strong>und</strong> arbeitet <strong>die</strong> Merkmale <strong>die</strong>ses vor allem in den USA anzutreffenden Siedlungstyps<br />
heraus.<br />
Ansatzpunkte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung der punkt-axialen Modelle bietet <strong>die</strong> Dezentralisierung im<br />
Hinblick auf das Merkmal der Red<strong>und</strong>anz. Dezentrale Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumstrukturen ermöglichen<br />
ein Weiterbestehen des Gesamtsystems auch bei Ausfall einer Komponente oder eines Teilbereiches,<br />
falls Extremereignisse eintreten sollten. Insbesondere das Modell der „Edge City“ beschreibt eigen-<br />
45
KLIMZUG-Workingpaper<br />
ständig funktionsfähige Knoten. Auch im Hinblick auf eine dezentrale Ausgestaltung von Infrastrukturen<br />
bietet <strong>die</strong> Dezentralisierung Ansatzpunkte. Die „Zwischenstadt“ beschreibt beispielsweise eine<br />
Kombination verschiedener Transport- <strong>und</strong> Kommunikationsformen. Bezüge zum Umgang mit den<br />
Folgen von Extremereignissen enthalten allerdings auch <strong>die</strong> Modelle der Dezentralisierung nicht.<br />
6. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Damit sie auch unter den durch den Klimawandel veränderten Rahmenbedingungen weiterhin Orientierung<br />
bieten können, sollten <strong>die</strong> siedlungsstrukturellen Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte in Bezug auf eine<br />
klimaangepasste Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung inhaltlich überdacht <strong>und</strong> gegebenenfalls überarbeitet<br />
werden. Dabei sollte zwischen unterschiedlichen Gefährdungen differenziert werden, weil <strong>die</strong><br />
Folgen des Klimawandels räumlich nicht ubiquitär auftreten. Vielmehr unterscheiden sich Stadtregionen<br />
im Hinblick auf ihre Betroffenheit von den Folgen des Klimawandels. In einem ersten Schritt wären<br />
daher <strong>die</strong> Stadtregionen im Hinblick auf ihre unterschiedliche Gefährdung durch <strong>die</strong> Auswirkungen<br />
des Klimawandels zu typisieren, zum Beispiel „Stadtregionen mit hoher Überschwemmungsgefährdung“.<br />
Darauf aufbauend können <strong>für</strong> unterschiedliche Gefährdungstypen Merkmale klimaangepasster<br />
Stadtregionen herausgearbeitet werden. Zu prüfen wäre, inwieweit in eine solche Typisierung auch<br />
unterschiedliche sozio-ökonomische Rahmenbedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Siedlungs- <strong>und</strong> Freiraumentwicklung<br />
von Stadtregionen eingeschlossen werden können.<br />
Freiflächen können verschiedene Auswirkungen des Klimawandels in unterschiedlichem Ausmaß<br />
abschwächen. Die Anforderungen des Klimawandels weisen deshalb darauf hin, dass <strong>die</strong> siedlungsstrukturellen<br />
Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte <strong>die</strong> Bedeutung von großräumigen, verbindenden Grünstrukturen<br />
stärker herausstellen sollten. Das Kriterium der Exposition bietet ebenfalls Ansatzpunkte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />
der siedlungsstrukturellen Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte, um <strong>für</strong> <strong>die</strong> bestehenden Risiken in<br />
von Extremereignissen gefährdeten Bereichen zu sensibilisieren. Beispielsweise könnten <strong>die</strong> Modelle<br />
<strong>für</strong> überschwemmungs- bzw. sturmflutgefährdete Bereichen entlang der Flüsse <strong>und</strong> Küsten das Freihalten<br />
gefährdeter Bereiche von Siedlungen <strong>und</strong> Infrastrukturen thematisieren. Ein weiteres Thema ist<br />
der Umgang mit den potenziellen Gefahren hinter den Hochwasser-Schutzeinrichtungen, beispielsweise<br />
Deichen, <strong>die</strong> nur bis zu einem gewissen Ausmaß der Extremereignisse Schutz bieten. Diese<br />
Überlegungen müssen auch Antworten auf <strong>die</strong> Frage nach dem Umgang mit bestehenden Siedlungsstrukturen<br />
einschließen. Unter Rückgriff auf <strong>die</strong> Diskussion über den vorbeugenden Hochwasserschutz<br />
wäre der Ausschluss von neuen Siedlungsflächen <strong>und</strong> Bauvorsorgemaßnahmen in <strong>die</strong>sen<br />
Räumen zu thematisieren.<br />
Neben Aussagen zur Lage <strong>und</strong> Ausgestaltung neuer Siedlungsbereiche ist eine klimaangepasste<br />
Entwicklung des Bestandes ein maßgebliches Thema <strong>für</strong> klimaangepasste Siedlungen. Hier stehen<br />
zwei Strategien <strong>für</strong> den Umgang mit den Gefährdungen zur Auswahl. Zum einen bietet der gezielte<br />
Rückbau von Siedlungsbereichen <strong>die</strong> Chance, gefährdete Bereiche freizuhalten. Insbesondere <strong>für</strong><br />
schrumpfende Stadtregionen erscheint ein solcher Ansatz geeignet <strong>und</strong> könnte auf Überlegungen<br />
beispielsweise des Konzepts der „Perforierten Stadt“ (Lüdtke-Daltrup,, 2003) aufbauen. Neben dem<br />
Rückbau können widerstandsfähige bauliche Strukturen einen Beitrag zu klimaangepassten Siedlungsstrukturen<br />
leisten. Aufgr<strong>und</strong> des bestehenden Entwicklungsdrucks in wachsenden Stadtregionen<br />
sollten Modelle <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Räume einen solchen Ansatz aufgreifen.<br />
Mit Blick auf den Klimawandel sollten siedlungsstrukturelle Leitbilder <strong>und</strong> Konzepte infrastrukturellen<br />
Aspekten eine höhere Bedeutung beimessen <strong>und</strong> <strong>die</strong>sen Bestandteil von Siedlungen explizit einbeziehen.<br />
Ein möglicher Ansatz besteht darin, großräumig parallele bzw. funktionsäquivalente Anlagen<br />
46
KLIMZUG-Workingpaper<br />
zu integrieren, <strong>die</strong> den Ausfall einer Komponente infolge von Extremereignissen kompensieren könnten.<br />
Kritische Infrastrukturen, deren Ausfall oder Beeinträchtigung das Gemeinwesen aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
besonderen Bedeutung nachhaltig stören würde, sollten Bereiche meiden, <strong>die</strong> durch Extremereignisse<br />
gefährdet sind. Ist <strong>die</strong>s nicht möglich, wie es bei verbindenden linearen Infrastrukturen oft der Fall ist,<br />
sollten sie zumindest in widerstandsfähiger Art <strong>und</strong> Weise baulich ausgeführt werden.<br />
In der Summe zeigt sich, dass <strong>die</strong> bestehenden siedlungsstrukturellen Leitbilder aufgr<strong>und</strong> ihrer Entstehungszeit<br />
nicht in einem ausreichenden Maß auf <strong>die</strong> aus dem Klimawandel resultierenden Folgen<br />
eingehen. Auch <strong>die</strong> jüngeren der hier diskutierten Modelle bieten nur partiell Lösungsansätze. Aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer Orientierungsfunktion <strong>für</strong> <strong>die</strong> alltägliche Arbeit der Planenden, wäre zu prüfen, inwieweit<br />
sie um Aspekte resilienter Siedlungen ergänzt werden können.<br />
Literatur<br />
Albers, Gerd, 1974, Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Modellvorstellungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> strukturelle Ordnung des Verdichtungsraums,<br />
in: Akademie <strong>für</strong> Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung (Hg.): Zur Ordnung der Siedlungsstruktur,<br />
Hannover, S.69-90.<br />
Beatley, Timothy, 2009, Planning for coastal resilience: Best practices for calamitous times, Washington,<br />
DC.<br />
Birkmann, Jörn, 2008, Globaler Umweltwandel, Naturgefahren, Vulnerabilität <strong>und</strong> Naturkatastrophen:<br />
Notwendigkeit der Perspektivenerweiterung in der Raumplanung, in: Raumforschung <strong>und</strong> Raumordnung<br />
66 (1), S.5-22.<br />
Birkmann, Jörn / Fleischhauer, Mark, 2009, Anpassungsstrategien der Raumentwicklung an den Klimawandel:<br />
„Climate Proofing“ - Konturen eines neuen Instruments, in: Raumforschung <strong>und</strong> Raumordnung<br />
(67) 2, S.114-127.<br />
Bose, Michael, 1995, Wirkungsanalyse eines stadtregionalen Siedlungsstrukturkonzeptes <strong>und</strong> Ansätze<br />
<strong>für</strong> eine Neuorientierung: Das Entwicklungsmodell <strong>für</strong> Hamburg <strong>und</strong> sein Umland, Hamburg.<br />
Calthorpe, Peter / Fulton, William, 2001, The regional city: Planning for the end of sprawl, Washington<br />
DC.<br />
Feuerstein, Günther, 2008, Urban fiction, Stuttgart.<br />
Frey, Hildebrand, 1999, Designing the city towards a more sustainable urban form, London.<br />
Fürst, Franz / Himmelbach, Ursus / Potz, Petra, 1999, Leitbilder der räumlichen Stadtentwicklung im<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert – Wege zur Nachhaltigkeit? Berichte aus dem Institut <strong>für</strong> Raumplanung, 41, Dortm<strong>und</strong>,<br />
URL: http://www.raumplanung.uni-dortm<strong>und</strong>.de/irpud/fileadmin/irpud/content/<br />
documents/publications/ber41.pdf, [Stand: 2009-09-22].<br />
Garreau, Joel, 1992, Edge city: Life on the new frontier, New York.<br />
Gatzweiler, Hans-Peter, 1993, Metropolen oder Mittelstädte: Siedlungspolitik <strong>für</strong> Agglomerationsräume<br />
in den 90er Jahren, in: Raumforschung <strong>und</strong> Raumordnung (51) 4, S.175-184.<br />
Gill, Susannah, 2004, Literature review: Impacts of climate change on urban environments: draft copy,<br />
Manchester, URL: http://www.sed.manchester.ac.uk/research/cure/downloads/asccue_ litreview.pdf,<br />
[Stand: 2010-03-07].<br />
Godschalk, David R., 2003, Urban Hazard Mitigation: Creating Resilient Cities, in: Natural Hazards<br />
Review 4 (3), S.136-143.<br />
47
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Greiving, Stefan / Fleischhauer, Mark / Dosch, Fabian, 2009, Klimawandelgerechte Stadtentwicklung:<br />
Rolle der bestehenden städtebaulichen Leitbilder <strong>und</strong> Instrumente, URL: http://dnb.info/998433241/34,<br />
[Stand: 2010-10-15].<br />
Hall, Peter / Ward, Colin / Hall, Peter Geoffrey, 1998, Sociable cities: the legacy of Ebenezer Howard,<br />
Chichester.<br />
Hunt, Alistair / Watkiss, Paul, 2007, Literature review on climate change impacts on urban city centres:<br />
initial findings, Paris,URL: http://www.oecd.org/dataoecd/52/50/39760257.pdf, [Stand: 2010-<br />
07-03].<br />
Kartschall, Karin / Mäder, Claudia / Tambke, Jens, 2007, Klimaveränderungen, deren Auswirkungen<br />
<strong>und</strong> was <strong>für</strong> den Klimaschutz zu tun ist, Dessau-Roßlau, URL:<br />
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3524.pdf, [Stand: 2010-09-21].<br />
Kuttler, Wilhelm, 2004, Stadtklima – Teil 2, Phänomene <strong>und</strong> Wirkungen,in: Umweltwissenschaften<br />
<strong>und</strong> Schadstoff-Forschung (16) 4, S.263-274.<br />
Lütke-Daldrup, Engelbert, 2003, Die „perforierte Stadt“ – neue Räume im Leipziger Osten,in: Informationen<br />
zur Raumentwicklung (1/2), S.55-67.<br />
Oswald, Franz / Baccini, Peter / Michaeli, Mark, 2003, Netzstadt: Einführung in das Stadtentwerfen.<br />
Basel.<br />
Pizarro, Rafael / Blakely, Edward J. / Dee, John, 2006, Urban planning and policy faces climate<br />
change,in: Built Environment 32 (4), S.400-412.<br />
Sieverts, Thomas, 1999, Zwischenstadt: Zwischen Ort <strong>und</strong> Welt, Raum <strong>und</strong> Zeit, Stadt <strong>und</strong> Land,<br />
Braunschweig.<br />
Sinz, Manfred / Blach, Antonia, 1994, Pendeldistanzen <strong>als</strong> Kriterium siedlungsstruktureller Effizienzin:<br />
Informationen zur Raumentwicklung (1994) 7/8, S.465-480<br />
Spiekermann, Klaus, 1999, Leitbilder der räumlichen Stadtentwicklung in der kommunalen Planungspraxis.<br />
Berichte aus dem Institut <strong>für</strong> Raumplanung 42, Dortm<strong>und</strong>,URL:<br />
http://www.raumplanung.unidortm<strong>und</strong>.de/irpud/fileadmin/irpud/content/documents/publications/ber42.pdf,<br />
[Stand: 2010-05-30].<br />
Steinrücke, Monika / Dütemeier, Dirk / Hasse, Jens / Rösler, Cornelia / Lorke, Vera, 2010, Handbuch<br />
Stadtklima: Maßnahmen <strong>und</strong> Handlungskonzepte <strong>für</strong> Städte <strong>und</strong> Ballungsräume zur Anpassung an<br />
den Klimawandel, Düsseldorf, URL: www.umwelt.nrw.de/umwelt/pdf/handbuch_ stadtklima.pdf,<br />
[Stand: 2010-09-21]<br />
Stock, Manfred / Kropp, Jürgen / Walkenhorst, Oliver, 2009, Risiken, Vulnerabilität <strong>und</strong> Anpassungserfordernisse<br />
<strong>für</strong> klimaverletzliche Regionen;in: Raumforschung <strong>und</strong> Raumordnung 67 (2), S. 97–<br />
113.<br />
Venturi, Marco 1999: Leitbilder? Für welche Städte?, in: Becker, Heidede / Jessen, Johann / Sander,<br />
Robert, in: Ohne Leitbild?: Städtebau in Deutschland <strong>und</strong> Europa, Stuttgart, S.56-70.<br />
Zebisch, Marc / Grothmann, Torsten / Schröter, Dagmar / Haße, Clemens / Fritsch, Uta / Cramer,<br />
Wolfgang, 2005, Klimawandel in Deutschland: Vulnerabilität <strong>und</strong> Anpassungsstrategien klimasensitiver<br />
Systeme, Dessau,URL: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-k/k2947.pdf, [Stand:<br />
2010-10-15].<br />
48
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Wassersensible Stadtentwicklung – Informelle Planung versus verbindliche<br />
Konzepte<br />
Marko Siekmann / Thomas Siekmann<br />
1. Einleitung<br />
Die Diskussion über den Klimawandel <strong>und</strong> seine Auswirkungen wird aktuell in der Fachöffentlichkeit<br />
kontrovers geführt, wie auch von Privatpersonen aufgr<strong>und</strong> medialer Präsenz wahrgenommen. Aus<br />
Sicht der Siedlungsentwässerung ist in <strong>die</strong>sem Kontext der Umgang mit Niederschlagswasser in den<br />
Siedlungsräumen von großer Bedeutung. Implementierte Wasserinfrastrukturen weisen zumeist lange<br />
Nutzungsdauern von mehreren Dekaden auf, so dass mögliche Folgen des Klimawandels rechtzeitig<br />
zu betrachten sind. Gleichzeitig ist das mögliche Schadenspotential innerhalb der Städte aufgr<strong>und</strong> der<br />
hohen räumlichen Dichte zwischen den einzelnen Infrastrukturelementen besonders hoch. Um innovative<br />
oder neuartige Niederschlagswassernutzungs- oder -retentionskonzepte innerhalb der Städte<br />
umzusetzen, sind vermehrt <strong>die</strong> Aspekte des Städtebaus im Planungsprozess zu berücksichtigen. Mit<br />
dem Ziel einer resilienten Siedlungsentwässerung sind holistische Ansätze zu entwickeln, <strong>die</strong> anpassungsfähige<br />
Wasserinfrastruktursysteme bereitstellen.<br />
In dynaklim wird <strong>die</strong> regionale Betroffenheit anhand detaillierter Betrachtungen dreier Pilotgebiete<br />
bewertet. Als Beispiel <strong>für</strong> ein rurales Gebiet in der Emscher-Lippe-Region wird <strong>die</strong> Stadt Bönen betrachtet.<br />
Als Beispiele eher urban geprägter Gebiete erfolgen weitere Untersuchungen in den Regionen<br />
Dortm<strong>und</strong> (Rossbach-Einzugsgebiet) <strong>und</strong> Duisburg (Stadtteile Hochfeld <strong>und</strong> Duissern). Als Ergebnis<br />
der Untersuchungen werden <strong>die</strong> klimawandelbedingten Mehrbelastungen der siedlungswasserwirtschaftlichen<br />
Anlagen ermittelt <strong>und</strong> darauf aufbauend geeignete Adaptationsstrategien entwickelt.<br />
2. dynaklim – Klimawandel <strong>und</strong> Siedlungsentwässerung<br />
Das F&E-Vorhaben dynaklim beschäftigt sich mit der Anpassung regionaler Entwicklungs- <strong>und</strong> Planungsprozesse<br />
an <strong>die</strong> Auswirkungen des Klimawandels. Ein Schwerpunktthema stellt hierbei <strong>die</strong> Ermittlung<br />
des Anpassungsbedarfs regionaler Wasserinfrastruktursysteme <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung geeigneter<br />
Adaptationsstrategien dar. Übereinstimmend zeigen <strong>die</strong> bisher publizierten Zukunftsszenarien,<br />
dass der Klimawandel <strong>die</strong> mittlere Jahreslufttemperatur sowie das Niederschlagsgeschehen hinsichtlich<br />
seiner Häufigkeit, Intensität <strong>und</strong> Dauer beeinflussen wird. Daraus lassen sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Siedlungsentwässerung<br />
<strong>die</strong> folgenden Einflüsse ableiten (Siekmann, 2011a):<br />
� höhere Abflüsse nach Niederschlagsereignissen <strong>und</strong> steigendes Risiko innerstädtischer Überflutungen,<br />
� häufigere <strong>und</strong>/oder höhere Entlastungen aus Mischwasserkanalisationen in Oberflächengewässer<br />
verb<strong>und</strong>en mit höher akkumulierten Schmutzfrachten aufgr<strong>und</strong> der Verlängerung der<br />
Trockenperioden.<br />
Um <strong>die</strong> Auswirkungen des Klimawandels auf <strong>die</strong> vorhandenen Entwässerungssysteme in den betrachteten<br />
Pilotgebieten darzustellen, werden gekoppelte Modelle der Entwässerungssysteme (hydrodynamische<br />
Kanalnetzmodelle) <strong>und</strong> dreidimensionaler Oberflächenmodelle (Digitale Oberflächenmodelle,<br />
DOM) aufgestellt. Mit Hilfe der Kopplung beider Modelle ist es möglich, nach einem Überlastungs-<br />
49
KLIMZUG-Workingpaper<br />
fall der Kanalisation auftretende Sturzfluten <strong>und</strong> urbane Überflutungen rechnerisch nachzuvollziehen.<br />
Für <strong>die</strong> Pilotgebiete Bönen, Dortm<strong>und</strong>-Roßbach-Einzugsgebiet <strong>und</strong> Duisburg-Hochfeld/Duissern werden<br />
Gefährdungskarten erstellt, so dass nach einer Auswertung der Vulnerabilität der angrenzenden<br />
Gebiete eine Risikoabschätzung erfolgen kann. Mit Hilfe verschiedener Szenarien können unterschiedliche<br />
Belastungssituationen ausgewertet werden. Diese Szenarien unterscheiden im Wesentlichen<br />
zwischen üblichen Bemessungsregen, wie sie auch im DWA Arbeitsblatt A 118 (N.N., 2006)<br />
genannt werden, <strong>und</strong> Extremereignissen zur Darstellung außergewöhnlicher Naturereignisse.<br />
Als wesentliche Belastungsgröße <strong>für</strong> <strong>die</strong> Szenarienbetrachtungen <strong>die</strong>nen Niederschlagsdaten, <strong>die</strong><br />
nach einem aufwendigen Downscaling-Prozess (Quirmbach et al., 2011) auf der Gr<strong>und</strong>lage der Modellergebnisse<br />
des dynamisch hochauflösendem regionalen Klimamodelles CLM (Climate Local Model)<br />
erstellt wurden (Lautenschläger et. al, 2009; 2009a). Diese Niederschlagsdaten werden durch den<br />
Projektpartner dr. papadakis GmbH mit fachlicher Unterstützung der hydro & meteo GmbH & Co. Kg.<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Entscheidend <strong>für</strong> eine Adaptation vorliegender Systeme sind <strong>die</strong> vorliegenden Unsicherheiten bzw.<br />
Wahrscheinlichkeitskorridore, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Klimaprojektionen aufgespannt werden. Neben Ungewissheiten<br />
hinsichtlich künftiger Niederschlagsbelastungen sind <strong>die</strong> Unsicherheiten weiterer Modelleingangsdaten<br />
zu berücksichtigen, so dass durch ein optimiertes Szenarienmanagement lediglich mögliche<br />
Zukunftsbilder aufgezeigt werden können. Um trotz <strong>die</strong>ser noch vorhandenen Unsicherheiten<br />
erste Anpassungsmaßnamen im Bestand zu etablieren, wird in dynaklim untersucht, inwieweit ein<br />
proaktives Vorgehen realisiert <strong>und</strong> sogenannte No-Regret-Maßnahmen, <strong>die</strong> den Betrieb unabhängig<br />
von künftigen Belastungssituationen optimieren, integriert werden können (Siekmann/Müller, 2011).<br />
So kann eine schrittweise Anpassung der urbanen Infrastrukturen, <strong>die</strong> in Ihrer spezifischen Nutzungsdauer<br />
<strong>für</strong> lange Zeiträume ausgelegt werden, bereits jetzt erreicht werden.<br />
Um <strong>die</strong> skizzierten Auswirkungen des Klimawandels zu kompensieren <strong>und</strong> den bisherigen Unsicherheiten<br />
bei der Bestimmung der zukünftigen Bemessungsniederschläge Rechnung zu tragen, ist eine<br />
Reduzierung der an das zentrale Entwässerungssystem angeschlossenen Flächen durch dezentrale<br />
Regenwasserbewirtschaftung ein erster Schritt zur Anpassung. Der Umgang mit Extremereignissen<br />
kann nicht ausschließlich über den Ausbau des Kanalisationssystems geschehen. Die Ableitung derartiger<br />
Abflüsse kann ergänzend zu der Ableitung über <strong>die</strong> Kanalisation nur auf der Oberfläche der<br />
Gebiete erfolgen (siehe auch Siekmann, 2011a). Insbesondere in hoch verdichteten innerstädtischen<br />
Bereichen wie dem Pilotgebiet Duisburg-Hochfeld/Duissern kann mit Hilfe einer multifunktionalen Flächennutzung<br />
eine Reduzierung der Folgen von Überflutungsereignissen herbeigeführt werden. Hierzu<br />
können innerstädtische Flächen wie Spielplätze gezielt <strong>als</strong> Überflutungsflächen herangezogen werden.<br />
Das folgende Bild zeigt <strong>als</strong> Beispiel einer bereits umgesetzten Maßnahme einen Wasserplatz in<br />
Porto Alegre (Brasilien). Vor einem Pumpwerk, dessen Förderkapazitäten im Fall eines Starkniederschlagsereignisses<br />
begrenzt sind, wird bei Überschreitung des Bemessungszuflusses ein Spielplatz<br />
gezielt eingestaut. In Trockenzeiten kann der Platz, wie auf dem Foto zu sehen ist, <strong>für</strong> sportliche Aktivitäten<br />
genutzt werden.<br />
Als Ergänzung zu dem dargestellten Praxisbeispiel können über Überflutungsstraßen im Straßenraum<br />
zusätzlich anfallende Abflüsse aus anderen Gebieten einem solchen Wasserplatz zugeführt werden.<br />
So kann der vorhandene Retentionsraum sowohl bei einer Überlastung der vorhandenen Entwässerungsanalagen<br />
genutzt werden, <strong>als</strong> auch zur Reduzierung der Folgen nach urbanen Sturzfluten <strong>die</strong>nen.<br />
Die Übertragung derartiger Lösungsansätze auf Entwässerungssysteme in der Emscher-Lippe-<br />
Region ist Gegenstand des hier vorgestellten Forschungsvorhabens.<br />
50
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Wasserplatz in Porto Alegre, Brasilien<br />
Foto: Siekmann<br />
Mit dem Ziel der praktischen Umsetzung solch alternativer Bewirtschaftungsmaßnahmen sind <strong>die</strong><br />
verschiedenen Akteure aus Politik <strong>und</strong> Verwaltung in <strong>die</strong> Entscheidungsfindung zu integrieren. Der<br />
Überflutungsschutz nach Starkniederschlagsereignissen muss in <strong>die</strong>sem Fall <strong>als</strong> kommunale Gemeinschaftaufgabe<br />
verstanden werden (Schmitt, 2011), <strong>die</strong> nur mit Hilfe eines integralen Ansatzes <strong>und</strong> der<br />
Beteiligung aller maßgeblichen Akteure zu lösen ist. Im Folgenden werden Teilergebnisse des Projektes<br />
dynaklim vorgestellt. Einzelne Ansätze basieren auf den Stu<strong>die</strong>n des abgeschlossenen BMBF-<br />
Forschungsprojekts „KLIMANET-Wassersensible Stadtentwicklung“ aus dem Förderschwerpunkt klimazwei,<br />
dessen Erkenntnisse <strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>lage der Untersuchungen weiter entwickelt werden.<br />
3. Gefährdungsanalyse<br />
Um eine wassersensible Stadtentwicklung in der Region voranzutreiben <strong>und</strong> um eine Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong><br />
Diskussionen mit anderen Akteuren aus Politik <strong>und</strong> Verwaltung zu schaffen, ist eine fun<strong>die</strong>rte Abschätzung<br />
zu erwartender Be- <strong>und</strong> Überlastungen der Entwässerungssysteme vorzunehmen. Durch<br />
eine Gefährdungsanalyse gilt es daher vom Klimawandel betroffene Bereiche innerhalb der Siedlungsgebiete<br />
zu identifizieren. Neben der Identifikation überflutungskritischer Bereiche muss der Planer<br />
<strong>die</strong> Ursachen <strong>für</strong> <strong>die</strong> festgestellten Überlastungen ermitteln. Im Wesentlichen sind <strong>für</strong> urbane<br />
Überflutungen drei mögliche Ursachen zu nennen (Siekmann, 2011b):<br />
� Nicht ausreichende Dimensionierung einzelner Elemente des Entwässerungssystems entsprechend<br />
dem Stand der Praxis;<br />
� Dynamische Erhöhung der Belastungssituation (bemessungsrelevante Niederschlagsbelastung)<br />
<strong>als</strong> Folge des Klimawandels <strong>und</strong> Überlastung einzelner Elemente des Entwässerungssystems;<br />
� Starkniederschlagsereignisse mit Intensitäten, <strong>die</strong> weit oberhalb der bemessungsrelevanten Niederschlagsbelastung<br />
liegen.<br />
51
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Zur Klärung der Frage, ob <strong>und</strong> in welchem Umfang eine Anpassung der Entwässerungssysteme an<br />
projizierte klimawandelbedingte Veränderungen vorgenommen werden muss, werden <strong>die</strong> folgenden<br />
Kennzahlen zur Abschätzung des Handlungsbedarfs genutzt:<br />
� Gewichteter Auslastungsgrad,<br />
� Überstauungsgrad,<br />
� Spezifisches Überstauvolumen.<br />
Mit Hilfe <strong>die</strong>ser Kennzahlen erfolgt eine Ersteinschätzung der derzeitigen Gefährdungssituation auf<br />
der Gr<strong>und</strong>lage einer Kanalnetzsimulation (Siekmann, 2011b). Die Kanalnetzsimulation wird in der<br />
Entwässerungsplanung seit vielen Jahren <strong>als</strong> Stand der Praxis verwendet. Somit können <strong>die</strong> in der<br />
Entwässerungspraxis vielfach eingesetzten Ergebnisdaten <strong>für</strong> eine erste Bewertung genutzt werden.<br />
Tabelle 1 stellt <strong>die</strong> Ergebnisse der Gefährdungsanalyse <strong>für</strong> das Pilotgebiet Duisburg Hochfeld/Duissern<br />
dar. Um den Klimawandel darzustellen, wird in der Tabelle vereinfachend eine Erhöhung<br />
der Niederschlagsintensitäten durch Ansatz von Modellregen mit längeren statistischen Wiederkehrzeiten<br />
entsprechend des Kostra-Atlasses des DWD (Kostra-DWD, 1997) angesetzt.<br />
Tabelle 1 : Gefährdungsanalyse <strong>für</strong> das Pilotgebiet Duisburg<br />
Quelle: Siekmann, 2011c<br />
Aufbauend auf <strong>die</strong>sen Kennzahlen ergeben sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> weitere Bearbeitung folgende Szenarien. Falls<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Berechnungen sowohl <strong>für</strong> den Bereich „Bemessung <strong>und</strong> Nachweis“ wie auch <strong>für</strong> den Bereich<br />
„Überflutungsprüfung“ keine Erhöhungen der Belastungssituation im Entwässerungssystem identifiziert<br />
werden, bedarf es aus Sicht des Klimawandels keiner weiteren vorbeugenden Maßnahmen. Die<br />
Ergebnisse der Kanalnetzberechnung sind in <strong>die</strong>sem Fall ausreichend, um <strong>die</strong> Bewertung des Entwässerungssystems<br />
vorzunehmen.<br />
Im Bereich „Bemessung <strong>und</strong> Nachweis“ liegt <strong>für</strong> das gewählte Szenario kein erhöhter Handlungsbedarf<br />
vor, das vorhandene Entwässerungssystem weist ausreichende Leistungsreserven auf. Die<br />
Kennzahlen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Überflutungsprüfung stellen jedoch auch <strong>für</strong> den Ist-Zustand bereits dar, dass im<br />
Entwässerungssystem keine weiteren Leistungsreserven zur Verfügung stehen. Der leistungsgeb<strong>und</strong>enen<br />
Ableitung der Abflüsse sind hier klar Grenzen gesetzt. Der gewichtete Auslastungsgrad liegt bei<br />
allen Berechnungen nahe der theoretischen Vollfüllungsgrenze von 1,0 (Normalabfluss bei scheitel-<br />
52
KLIMZUG-Workingpaper<br />
hoher Füllung der Fließquerschnitte). Die Berechnung mit dem Modellregen der statistischen Wiederkehrzeit<br />
von 20 Jahren zeigt jedoch, dass nur an wenigen Stellen mit Überstauungen oder Überflutungen<br />
zu rechnen ist, so dass im derzeitigen Zustand ebenfalls kein erweiterter Handlungsbedarf zu<br />
erkennen ist. Die Erhöhung der Niederschlagsintensitäten zeigt jedoch, dass <strong>die</strong> Überstauungen bei<br />
Erhöhung der statistischen Wiederkehrzeit des jeweils betrachteten Modellregens signifikant zunehmen.<br />
Somit ist bedingt durch den Klimawandel zukünftig Handlungsbedarf gegeben, <strong>die</strong> Entwässerungssituation<br />
anzupassen. Bei lokalen Überlastungen können <strong>die</strong> weiteren Planungen auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />
von GIS-Auswertungen bzw. lokalen Detailplanungen erfolgen, so dass überflutete Bereiche<br />
räumlich abgegrenzt werden können. Die Anwendung eines DOM bzw. gekoppelter Modelle (Kanalnetz<br />
– DOM) kann <strong>die</strong> erforderlichen Planungen in <strong>die</strong>sem Fall unterstützen. Für <strong>die</strong> Überflutungsprüfung<br />
wird im dargestellten Fall <strong>die</strong> Anwendung der gekoppelten Modelle generell empfohlen.<br />
4. Vulnerabilitätsanalyse <strong>und</strong> Erstellung von Risikokarten<br />
Neben der zum aktuellen Stand der Technik gehörenden Kanalnetzmodellierungen kann <strong>die</strong> zuvor<br />
aufgeführte wasserwirtschaftliche Gefährdungsabschätzung genutzt werden, um überflutungsgefährdete<br />
Gebiete zu identifizieren. Nach <strong>die</strong>ser ersten Abschätzung des Handlungsbedarfes <strong>und</strong> einer<br />
Abschätzung dessen Umfangs sind ergänzend Vulnerabilitätsanalysen <strong>für</strong> das betrachtete Einzugsgebiet<br />
durchzuführen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schadensanfälligkeit potenziell überfluteter Bereiche in <strong>die</strong> Entscheidung<br />
über Anpassungsmaßnahmen mit einbezieht.<br />
Für <strong>die</strong> Vulnerabilitätsanalyse werden <strong>die</strong> überflutungsgefährdeten Bereiche weiter klassifiziert. Hierzu<br />
wird eine Gebietsanalyse erforderlich, <strong>die</strong> <strong>die</strong> städtebauliche Nutzung innerhalb der Gebiete unterteilt<br />
<strong>und</strong> den unterschiedlichen Schutzgütern in der Vulnerabilitätsanalyse ein entsprechendes Schutzbedürfnis<br />
zuordnet (Benden, 2010). Im Fokus liegt <strong>die</strong> Leitfrage nach dem tatsächlichen Schadenspotenzial<br />
infolge urbaner Sturzfluten. Hier<strong>für</strong> sind Infrastrukturen <strong>und</strong> Infrastruktursysteme herauszuarbeiten,<br />
welche im städtischen Umfeld bedeutsam sind. So sind sowohl zumeist netzgeb<strong>und</strong>ene technische<br />
Infrastrukturen <strong>als</strong> auch soziale Infrastrukturen, zumeist Einzelelemente, bei einer Bewertung<br />
der regionalen Vulnerabilität abzubilden. Für <strong>die</strong> Risikoanalyse werden dann <strong>die</strong> Ergebnisse der Gefährdungsanalyse<br />
<strong>und</strong> der Vulnerabilitätsanalyse überlagert, um den Handlungsbedarf zu bewerten<br />
<strong>und</strong> Anpassungsoptionen planerisch umzusetzen. Durch das Zusammenführen der Ergebnisse von<br />
Gefährdungs- <strong>und</strong> Vulnerabilitätsanalysen, <strong>als</strong>o dem Verschneiden der entwässerungssystemseitigen<br />
Gefährdung <strong>und</strong> der infrastrukturellen Risikoelemente, kann letztlich das punktuelle Risiko bestimmt<br />
<strong>und</strong> „Risikokarten“ erstellt werden (Gilles, 2011).<br />
Abbildung 1 zeigt <strong>als</strong> Beispiel das Ergebnis einer Berechnung mit einem gekoppelten Model (Kanalnetz<br />
<strong>und</strong> DOM). Klar zu erkennen sind <strong>die</strong> von der Überflutung betroffenen Bereiche, <strong>die</strong> im weiteren<br />
Projektfortschritt mit Vulnerabilitätskarten überlagert werden sollen. Neben den überflutungskritischen<br />
Bereichen sind <strong>die</strong> Kan<strong>als</strong>chächte durch blaue Kreuze markiert, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Quellen des Überstauvolumens<br />
darstellen.<br />
53
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 1: Überflutungskritische Bereiche, Pilotgebiet Duisburg Hochfeld/Duissern (100jähriges<br />
Überflutungsereignis)<br />
Eigene Darstellung<br />
5. Anpassungsmaßnahmen<br />
Eine wassersensible Stadtentwicklung ist in der Fachwelt aktuell sehr präsent, jedoch fehlt es in der<br />
Breite an praktischen Umsetzungen. Für ein klimawandelbedingtes proaktives Vorgehen sind in besonderem<br />
Maße <strong>die</strong> Bürger <strong>für</strong> das Thema „Wasser in der Stadt“ zu sensibilisieren, um bei Extremereignissen<br />
gegebenenfalls Nutzungseinschränkungen der Verkehrsinfrastrukturen zu tolerieren. Hierbei<br />
korreliert <strong>die</strong> Toleranz des Einzelnen mit der Sicherheit des eigenen Hab <strong>und</strong> Guts, so dass seitens<br />
der Wasserwirtschaft Aufklärungsarbeit hinsichtlich des skizzierten ganzheitlichen Ansatzes zu erfolgen<br />
hat, jedoch auch deren Endlichkeit aufgezeigt werden muss.<br />
Abbildung 2: Möglichkeiten des lokalen Objektschutzes<br />
Quelle: Röttgen, 2011<br />
54
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Die erforderliche Eigenverantwortung wird beispielsweise in dem Pilotgebiet Duisburg durch <strong>die</strong> Verankerung<br />
einer um 20 Zentimeter über Geländeoberkante (GOK) erhöhten Rückstauebene seit den<br />
70iger Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts umgesetzt. Das folgende Beispiel zeigt hierbei, dass <strong>die</strong><br />
Umsetzung des erforderlichen lokalen Objektschutzes durch einzelne Bauelemente attraktiv gestaltet<br />
werden kann.<br />
Durch <strong>die</strong> einzelnen auf Abbildung 2 dargestellten Elemente kann das Schutzniveau auf circa einen<br />
halben Meter über GOK erhöht werden. Sowohl Eingangstür wie auch <strong>die</strong> Kellerschächte sind entsprechend<br />
der lokalen Eigenverantwortung gesichert. Solche Anpassungsoptionen der Privatperson<br />
sollten <strong>als</strong> Ergänzung zu den bereits skizzierten Vorhaltungen von Überflutungsflächen <strong>und</strong> der Bereitstellung<br />
von Überflutungswegen erfolgen.<br />
6. Instrumentarien<br />
Für <strong>die</strong> Erreichung des Zieles einer anpassungsfähigen Siedlungsentwässerung durch eine wassersensible<br />
Stadtentwicklung bedarf es eines übergeordneten Instrumentariums. Hier ist zu hinterfragen,<br />
inwieweit verbindliche Konzepte vorgegeben werden müssen oder aber informelle Planungen <strong>die</strong> Zielerreichung<br />
gewährleisten können. Die Hauptfrage hierbei ist, ob ohne <strong>die</strong> Entfaltung rechtlicher Bindungswirkungen<br />
durch alleinige Erarbeitung städtebaulicher Leitbilder oder <strong>die</strong> Durchführung von<br />
Machbarkeitsstu<strong>die</strong>n mittelfristig das Ziel einer resilienten Siedlungsentwässerung erreicht wird<br />
In dem Forschungsvorhaben KLIMANET (2010) wurden <strong>die</strong> folgenden Anforderungen an ein geeignetes<br />
Instrumentarium formuliert:<br />
� Integrativer Ansatz,<br />
� Langfristhorizont,<br />
� Einbindung relevanter Akteure,<br />
� Prozessgedanke.<br />
In der folgenden Tabelle werden <strong>die</strong> Vor- <strong>und</strong> Nachteile einer informellen Planung (Wasserplan) gegenüber<br />
der Umsetzung in einem verbindlichen Konzept (Abwasserbeseitigungskonzept, ABK) zusammengefasst.<br />
Tabelle 2: Instrumentarium, informelle Planung vs. verbindliche Konzepte<br />
Vorteile<br />
Nachteile<br />
Quelle: Siekmann <strong>und</strong> Benden, 2010<br />
Integration in<br />
Stadtentwicklungskonzept<br />
oder eigenständiger<br />
„Wasserplan“<br />
• Synergien mit anderen Schutz<strong>und</strong><br />
Anpassungsmaßnahmen<br />
• breite Akteursbeteiligung<br />
• Hohe Flexibilität (informell)<br />
• keine rechtliche Verbindlichkeit<br />
• STEK: Wasser <strong>als</strong> ein Belang<br />
„unter anderen“ (Abwägung)<br />
Integration in Abwasser- bzw.<br />
Niederschlagswasserbeseitigungskonzept<br />
(ABK/NBK)<br />
• Rechtliche Bindungswirkung<br />
• kontinuierliche Fortschreibung<br />
& Monitoring<br />
• Integration aller Wasserbelange<br />
• Starke wasserwirtschaftliche<br />
Prägung (wenig Einbindung<br />
anderer Fachbereiche & Bürger)<br />
• Eingeschränkte Flexibilität<br />
(Rechtsrahmen)<br />
55
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Es wird deutlich, dass informelle Planungen eine deutlich umfangreichere Abstimmung mit allen maßgeblichen<br />
Akteuren fördert. Demgegenüber steht mit dem Abwasserbeseitigungskonzept (ABK) <strong>als</strong><br />
Planungsinstrument des wasserwirtschaftlichen Vollzugs ein etabliertes Instrument zur Verfügung,<br />
welches seit vielen Jahren erprobt ist. Durch <strong>die</strong> Einführung von Niederschlagswasserbeseitigungskonzepten<br />
<strong>als</strong> Bestandteil des ABK könnten <strong>die</strong> Aspekte einer wassersensiblen Stadtentwicklung einen<br />
rechtlichen Rahmen erfahren, ohne dass es zu einem unangemessenem Mehraufwand bei der<br />
Erstellung der Planunterlagen führen würde.<br />
Unabhängig von der Wahl des Umsetzungsinstrumentes sind <strong>die</strong> Maßnahmen zur Anpassung auf<br />
zielgruppenspezifische Weise zu planen <strong>und</strong> umzusetzen <strong>und</strong> alle maßgeblichen Akteure (Planung,<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> Zivilgesellschaft) rechtzeitig in den Prozess einzubeziehen.<br />
7. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Das Projekt „Wassersensible Stadtentwicklung“ (KLIMANET, 2010) zeigte bereits Lösungen auf, mit<br />
denen <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels insbesondere im Siedlungsbestand vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
finanzieller Restriktionen <strong>und</strong> der Unsicherheiten klimatischer Szenarien begegnet werden kann. Im<br />
F&E-Vorhaben dynaklim werden <strong>die</strong> aufgezeigten Lösungen adaptiert <strong>und</strong> auf Umsetzbarkeit in den<br />
Pilotgebieten überprüft. Das Ziel des Forschungsvorhabens ist <strong>die</strong> Umsetzung einzelner Mustervorhaben<br />
in gezielt pilotierten Leitprojekten.<br />
Ein erster Schritt einer Anpassung an den Klimawandel kann der vorrangige Einsatz dezentraler Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen<br />
sein, deren Umsetzung unabhängig von künftigen Entwicklungen<br />
aufgr<strong>und</strong> deren Nachhaltigkeit sinnvoll ist. Neben punktuell erforderlichen baulichen <strong>und</strong> betrieblichen<br />
Anpassungsmaßnahmen im Bereich der Siedlungsentwässerung sind Maßnahmen zum<br />
Überflutungsschutz nach Extremniederschlagsereignissen vorzusehen. Sowohl der lokale Objektschutz<br />
<strong>als</strong> auch multifunktionale Flächennutzungen in hoch verdichteten Siedlungsräumen werden<br />
zukünftig an Bedeutung gewinnen. Zwar sind solche Ansätze der multifunktionalen Flächennutzung in<br />
der Fachwelt sehr präsent, jedoch mangelt es aktuell an der praktischen Umsetzung solcher Pilotvorhaben.<br />
Vor allem Detailfragen zur Gestaltung <strong>und</strong> Finanzierung des Betriebes der Flächen bedürfen<br />
aktuell der Klärung.<br />
Des Weiteren wird es erforderlich sein, <strong>die</strong> Anpassung der Siedlungsentwässerung an <strong>die</strong> Folgen des<br />
Klimawandels verbindlich zu fordern. Ein möglicher Ansatz <strong>für</strong> eine Umsetzung in <strong>die</strong> Planungspraxis<br />
wird dabei in der Berücksichtigung des „Klimabelanges“ im Abwasserbeseitigungskonzept (ABK) <strong>und</strong><br />
im NBK (Niederschlagswasserbeseitigungskonzept) gesehen. Ein kontinuierlich fortgeschriebenes<br />
ABK bietet <strong>die</strong> Möglichkeit den dynamischen Anpassungsprozess im Bereich der Siedlungsentwässerung<br />
zu begleiten <strong>und</strong> gleichzeitig den rechtlichen Rahmen zu definieren.<br />
Literatur<br />
Benden, Jan (2010): Analyseprozess, in: Abschlussbericht des Verb<strong>und</strong>vorhabens Wassersensible<br />
Stadtentwicklung – Maßnahmen <strong>für</strong> eine nachhaltige Anpassung der regionalen Siedlungswasserwirtschaft<br />
an Klimatrends <strong>und</strong> Extremwetter, im Förderschwerpunkt klimazwei des BMBF, Förderkennzeichen<br />
01 LS 05017 A-C, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Ruhr<br />
Universität Bochum, Universität Duisburg Essen, S. 252-253 <strong>und</strong> 258-260.<br />
56
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Gilles, Rob, 2011: Diplomarbeit am Lehrstuhl <strong>für</strong> Siedlungswasserwirtschaft der Rheinisch-<br />
Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Innovative Infrastrukturkonzepte aus wasserwirtschaftlicher<br />
Sicht, nicht veröffentlicht, Aachen.<br />
KLIMANET-Wassersensible Stadtentwicklung, 2010: Abschlussbericht des Verb<strong>und</strong>vorhabens<br />
Wassersensible Stadtentwicklung-Maßnahmen <strong>für</strong> eine nachhaltige Anpassung der regionalen<br />
Siedlungswasserwirtschaft an Klimatrends <strong>und</strong> Extremwetter, im Förderschwerpunkt klimazwei des<br />
BMBF, Förderkennzeichen 01 LS 05017 A-C, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule<br />
Aachen, Ruhr Universität Bochum, Universität Duisburg Essen.<br />
Kostra-DWD, 1997, Koordinierte Starkregen-<strong>Regional</strong>isierungs-Auswertung, Deutscher Wetter<strong>die</strong>nst<br />
(DWD), Distribution: ITWH, Hannover.<br />
Lautenschlager, Michael / Keuler, Klaus / Wunram, Claudia / Keup-Thiel, Elke / Schubert, Martin /<br />
Will, Andrea / Rockel, Burkhardt / Boehm, Uwe , 2009: Climate Simulation with CLM, Climate of the<br />
20th Century run no.1, Data Stream 3: European region MPI-M/MaD, World Data Center for Climate,<br />
[doi: 10.1594/WDCC/CLM_C20_1_D3], URL: http://cerawww.dkrz.de/WDCC/ui/Entry.jsp?acronym=CLM_C20_1_D3<br />
[Stand: 2012-04-25].<br />
Lautenschlager, Michael / Keuler, Klaus / Wunram, Claudia / Keup-Thiel, Elke / Schubert, Martina /<br />
Will, Andreas / Rockel, Burkhardt / Boehm, Uwe, 2009a: Climate Simulation with CLM, Climate of<br />
the 20th Century run no.2, Data Stream 3: European region MPI-M/MaD, World Data Center for<br />
Climate, [doi: 10.1594/WDCC/CLM_C20_2_D3], URL: http://cerawww.dkrz.de/WDCC/ui/Entry.jsp?acronym=CLM_C20_2_D3<br />
[Stand: 2012-04-25].<br />
N.N., 2006: DWA-A 118. Hydraulische Bemessung <strong>und</strong> Nachweis von Entwässerungssystemen,<br />
Deutsche Vereinigung <strong>für</strong> Wasserwirtschaft, Abwasser <strong>und</strong> Abfall e.V.<br />
Quirmbach, Markus / Freistühler, Elke / Einfalt, Thomas / Papadakis, Ioannis, 2011: Use of precipitation<br />
data from the regional climate model CLM for hydrological modeling in the dynaklim project,<br />
Vortrag auf der 12, IWA ICUD in Porto Alegre, Brasilien.<br />
Röttgen, Manfred, 2011: Vortrag dynaklim Symposium 2011, Session 1: Resiliente Siedlungswasserwirtschaft-<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen, Überstau/Überflutung- Lösungsmöglichkeiten durch objektschutzmaßnahmen,<br />
Recklinghausen, http://www.dynaklim.de/dynaklim/index/service/Symposium-<br />
2011_Unterseiten/Sessions/Session-1.html [Stand: 2012-04-25].<br />
Schmitt, Theo G., 2011: Risikomanagement statt Sicherheitsversprechen. Paradigmenwechsel auch<br />
im kommunalen Überflutungsschutz? KA Korrespondenz Abwasser, Abfall 2011 (58) Nr.1, S. 40-<br />
49.<br />
Siekmann, Marko, 2011a: Wassersensible Stadtentwicklung. Überflutungsschutz, Anpassung an den<br />
Klimawandel, Handlungsbedarf bei den Kommunen, Vortrag TAH Workshop „Generalentwässerungsplanung“,<br />
Bochum.<br />
Siekmann, Marko, 2011b: Strategisches Konzept zur Bewertung der Vulnerabilität in urbanen Siedlungsräumen,<br />
Vortrag Essener Tagung 2011, Aachen.<br />
Siekmann, Marko, 2011c: Vortrag dynaklim Symposium 2011, Session 1: Resiliente Siedlungswasserwirtschaft-<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen, Anpassungsbedarf der regionalen Siedlungswasserwirtschaft,<br />
Recklinghausen, http://www.dynaklim.de/dynaklim/index/service/Symposium-<br />
2011_Unterseiten/Sessions/Session-1.html [Stand: 2012-04-25].<br />
57
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Siekmann, Marko / Benden, Jan, 2010: Handlungsempfehlungen zur städtebaulichen Anpassung an<br />
Starkregenereignisse. Vortrag auf dem Abschlussworkshop zum Forschungsvorhaben Wassersensible<br />
Stadtentwicklung - Maßnahmen <strong>für</strong> eine nachhaltige Anpassung der regionalen Siedlungswasserwirtschaft<br />
an Klimatrends <strong>und</strong> Extremwetter, 28.06.2010, BEW Essen.<br />
Siekmann, Thomas / Müller, Karsten, 2011: Adaptive potential of the stormwater management in urban<br />
areas faced by the climate change, Vortrag auf der 12. IWA ICUD in Porto Alegre, Brasilien.<br />
58
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Anpassung im ländlichen Raum: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Christian Jacoby<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung zur Anpassung an den Klimawandel am Beispiel des<br />
Landkreises Neumarkt in der Oberpfalz (Bayern) – Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) KLIMA NEU<br />
Lutz Katzschner / Sebastian Kupski<br />
<strong>Regional</strong>klimakarten <strong>und</strong> ihre Nutzung <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen<br />
Uta Steinhardt / Claudia Henze<br />
Raumbezogene Planung im Klimawandel – ebenen- <strong>und</strong> sektorübergreifend<br />
59
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung zur Anpassung an den<br />
Klimawandel am Beispiel des Landkreises Neumarkt in der Oberpfalz<br />
(Bayern) – Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) KLIMA<br />
NEU<br />
Christian Jacoby<br />
1. Einleitung<br />
Die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) sieht <strong>die</strong> Raumplanung in einer „Vorreiterrolle“<br />
in Bezug auf <strong>die</strong> Entwicklung von Leitbildern <strong>für</strong> anpassungsfähige <strong>und</strong> belastbare (resiliente)<br />
Raumstrukturen (B<strong>und</strong>esregierung, 2008, 42). Aufgr<strong>und</strong> ihrer sektorübergreifenden Koordinierungsfunktion<br />
wird <strong>die</strong> Raumplanung häufig <strong>als</strong> zentrales Instrumentarium eines integrierten Ansatzes<br />
der klimagerechten Entwicklung einbezogen (B<strong>und</strong>esregierung, 2011, 52). Entsprechend sieht <strong>die</strong><br />
Ministerkonferenz <strong>für</strong> Raumordnung (MKRO) „in den gravierenden Folgen des Klimawandels wie steigenden<br />
Hochwasserrisiken <strong>und</strong> Trockenheits- <strong>und</strong> Hitzeproblemen eine zentrale <strong>Herausforderung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Raumordnung in Deutschland“ (MKRO, 2009, 1).<br />
Diese Erkenntnis aufgreifend hat das B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung<br />
(BMVBS) <strong>und</strong> das B<strong>und</strong>esinstitut <strong>für</strong> Bau-, Stadt- <strong>und</strong> Raumforschung (BBSR) das Modellvorhaben<br />
der Raumordnung (MORO) "Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel" (KlimaMORO) durchgeführt,<br />
in dem regionale <strong>Klimaanpassung</strong>sstrategien durch Anwendung <strong>und</strong> Weiterentwicklung des<br />
raumordnerischen Instrumentariums in acht Modellregionen erarbeitet wurden. Auf der Abschlusskonferenz<br />
im November 2011 in Berlin wurden wichtige Ergebnisse des Vorhabens vorgestellt <strong>und</strong> diskutiert<br />
(zu dem Forschungsprogramm KlimaMORO siehe auch den Beitrag von Greiving/Dosch in <strong>die</strong>ser<br />
Publikation oder www.klimamoro.de).<br />
Als eine von acht „Modellregionen“ wurde der Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz (Bayern) in das<br />
Forschungsprogramm aufgenommen. Im Unterschied zu den sieben anderen Modellräumen handelt<br />
es sich dabei um keine Planungsregion, sondern um einen Landkreis innerhalb der Planungsregion<br />
Regensburg, <strong>die</strong> bereits seit Längerem im Handlungsbereich Erneuerbare Energien <strong>und</strong> Klimaschutz<br />
mit den Instrumenten der <strong>Regional</strong>entwicklung, insbesondere des <strong>Regional</strong>managements, aktiv ist<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> vorhandenen Netzwerke im Sinne des <strong>Regional</strong> Governance nutzt, um sich verstärkt auch<br />
den <strong>Herausforderung</strong>en der Anpassung an den Klimawandel zu stellen.<br />
Dem Forschungskonzept des Modellvorhabens im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz (kurz: Klima-<br />
NEU) liegt <strong>die</strong> Ausgangthese zugr<strong>und</strong>e, dass <strong>die</strong> <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels im Hinblick<br />
auf eine klimagerechte Entwicklung der Siedlungs-, Freiraum- <strong>und</strong> Infrastruktur in den Regionen nur<br />
<strong>als</strong> Gemeinschaftsaufgabe von regionalen <strong>und</strong> kommunalen Planungsakteuren bewältigt werden können.<br />
Die gegenseitige Stimulation <strong>und</strong> Ergänzung sowie <strong>die</strong> Verknüpfung von regionalen <strong>und</strong> kommunalen<br />
Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen <strong>für</strong> den Klimaschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel können<br />
durch Aktivitäten der <strong>Regional</strong>entwicklung, im Freistaat Bayern vor allem auch auf der Ebene der<br />
Landkreise, initiiert, gefördert, moderiert <strong>und</strong> durch Netzwerkbildung mit den Stakeholdern zu einem<br />
verstetigten Anpassungsprozess geführt werden.<br />
Der Fokus des Modellvorhabens KlimaNEU liegt entsprechend nicht primär in der Anwendung <strong>und</strong><br />
Weiterentwicklung des formellen regionalplanerischen Instrumentariums, sondern in dem Ausloten der<br />
Handlungsfelder <strong>und</strong> -möglichkeiten der <strong>Regional</strong>entwicklung, <strong>die</strong> sich im Freistaat Bayern in den<br />
zurückliegenden Jahren politisch <strong>und</strong> institutionell im Wesentlichen auf der Ebene der Landkreise<br />
60
KLIMZUG-Workingpaper<br />
etabliert haben. Solche Maßnahmen der <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>die</strong>nen gemäß § 13 ROG insgesamt der<br />
„raumordnerischen Zusammenarbeit“, insbesondere auch der „Vorbereitung <strong>und</strong> Verwirklichung von<br />
Raumordnungsplänen“ sowie der „interkommunalen Zusammenarbeit“ (Höhnberg/Jacoby, 2011). Im<br />
Einzelnen handelt es sich in Umsetzung von § 13 Abs. 2 Nr. 2 ROG im Landkreis Neumarkt um <strong>die</strong><br />
Erarbeitung eines regionalen Entwicklungskonzepts, den Aufbau regionaler <strong>und</strong> interkommunaler<br />
Netzwerke <strong>und</strong> Kooperationsstrukturen sowie <strong>die</strong> Durchführung regionaler Foren <strong>und</strong> Erstellung von<br />
Aktionsprogrammen zu aktuellen Handlungsanforderungen. Mit dem Modellvorhaben KlimaNEU wurden<br />
in einem Dialog orientierte partizipative Verfahren unter Beteiligung der regionalen Planungsstellen<br />
wie auch der Gemeinden unter der Leitung des Verfassers, der bei <strong>die</strong>sem Vorhaben <strong>die</strong> „regionale<br />
Forschungsassistenz“ übernommen hat, im Ergebnis „Raumplanerische Handlungsempfehlungen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>entwicklung“ <strong>für</strong> den Klimaschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Anpassung an den<br />
Klimawandel erarbeitet. Ergänzend wurden von dem mitwirkenden Planungsbüro Valentum, Regensburg,<br />
mit einem „Handlungskonzept“ Empfehlungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gemeinden zusammengestellt. Nach einem<br />
Einblick in Struktur <strong>und</strong> Ablauf des Projekts KlimaNEU werden in <strong>die</strong>sem Beitrag <strong>die</strong> „Raumplanerischen<br />
Handlungsempfehlungen“, <strong>die</strong> <strong>als</strong> Entwurf <strong>für</strong> ein „Aktionsprogramm zu aktuellen Handlungsanforderungen“<br />
gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 ROG zu sehen sind, im Schwerpunkt vorgestellt.<br />
2. Struktur <strong>und</strong> Ablauf des Modellvorhabens KlimaNEU<br />
Im Rahmen des Modellvorhabens der Raumordnung (MORO) „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“<br />
(KlimaMORO) wurden in dem Modellraum Landkreis Neumarkt i.d.OPf. in dem Zeitraum<br />
von Mitte 2009 bis Mitte 2011 raumplanerische Strategien <strong>und</strong> Maßnahmen zum Klimaschutz <strong>und</strong><br />
insbesondere zur Anpassung an den Klimawandel <strong>für</strong> drei Themen- bzw. Handlungsfelder entwickelt:<br />
� Energien,<br />
� Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur, Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit sowie<br />
� Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus.<br />
Hinzu kam <strong>als</strong> vierter Handlungsbereich <strong>die</strong> Bewusstseinsbildung der Akteure <strong>und</strong> Bürger im Landkreis<br />
mit Hilfe einer begleitenden Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere mit einer eigenen Webseite<br />
(http://www.klimaanpassung-landkreis-neumarkt.de/), mit der <strong>die</strong> erarbeiteten Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> durchgeführten<br />
Veranstaltungen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Workshop-Ergebnisse <strong>als</strong> auch <strong>die</strong> abschließenden Handlungsempfehlungen<br />
einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.<br />
Die Erarbeitung der Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel fand in dem Modellraum Landkreis<br />
Neumarkt i.d.OPf. unter intensiver Beteiligung der in der Region verantwortlichen Akteure wie<br />
auch der interessierten Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger statt. Zu <strong>die</strong>sem kooperativen <strong>und</strong> partizipativen Ansatz<br />
gehörte neben der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit <strong>und</strong> Bewusstseinsbildung insbesondere <strong>die</strong><br />
Durchführung von mehreren Workshops während der Laufzeit des Modellvorhabens. Zu jedem der<br />
drei oben genannten Themen- bzw. Handlungsbereiche wurden Workshops mit den interessierten<br />
Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft <strong>und</strong> Bürgerschaft durchgeführt.<br />
Die ersten Workshops in den drei Themenfeldern, <strong>die</strong> Anfang 2010 stattfanden, <strong>die</strong>nten der Erörterung<br />
der Aufgaben- <strong>und</strong> Problemstellung <strong>und</strong> hatten zum Ziel, jeweils auf Basis einer von der regionalen<br />
Forschungsassistenz erarbeiteten Stu<strong>die</strong> (Jacoby/Beutler/Heinisch/Wappelhorst, 2010 a-c) den<br />
Untersuchungsrahmen <strong>für</strong> den weiteren Ablauf des Forschungsvorhabens abzustecken <strong>und</strong> dabei<br />
insbesondere Schwerpunkte/Prioritäten <strong>für</strong> <strong>die</strong> weiteren Forschungsarbeiten zu bestimmen. Eine ergänzende<br />
schriftliche Befragung ausgewählter regionaler Institutionen <strong>und</strong> Akteure aus Verwaltung<br />
61
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>und</strong> Wirtschaft im Zeitraum April/Mai 2010 <strong>die</strong>nte der Bewertung der in den ersten Workshops erarbeiteten<br />
Handlungsfelder.<br />
In einer zweiten Workshop-R<strong>und</strong>e in den drei Themenfeldern, <strong>die</strong> im Sommer 2010 stattfand, wurden<br />
<strong>die</strong> in den Befragungen erarbeiteten Ideen sowie Ergebnisse der Akteursbefragung weiterentwickelt<br />
sowie konkrete Handlungsvorschläge erarbeitet. Der dritte <strong>und</strong> letzte Workshop Anfang 2011 <strong>die</strong>nte<br />
der Konkretisierung von Maßnahmen zu ausgewählten raumplanerischen Handlungsvorschlägen. Zur<br />
Einschätzung der regionalen Klimafolgen wurden darüber hinaus zwei schriftliche Befragungen unter<br />
den Workshop-Teilnehmern durchgeführt:<br />
� eine ausführliche Befragung am Ende der ersten Workshop-R<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
� eine kurze (nicht repräsentative) Befragung am Ende der ersten Workshops <strong>und</strong> nach Beendigung<br />
des dritten Workshops, um <strong>die</strong> Effekte des Projektes auf <strong>die</strong> Einschätzung der regionalen<br />
Klimafolgen zu messen.<br />
Auf Gr<strong>und</strong>lage der von der regionalen Forschungsassistenz erarbeiteten Inputs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Workshops<br />
(Überblick über <strong>die</strong> möglichen Folgen des Klimawandels, <strong>die</strong> übergeordneten Anpassungsstrategien<br />
sowie das verfügbare Planungsinstrumentarium) <strong>und</strong> den Ergebnissen der Workshops <strong>und</strong> Befragungen<br />
wurden <strong>die</strong> wesentlichen <strong>für</strong> den Modellraum Landkreis Neumarkt i.d.OPf. erarbeiteten raumplanerischen<br />
Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> den Klimaschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> regionale Handlungsebene (<strong>Regional</strong>planung, <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>management) in<br />
einem gesonderten Dokument dargestellt (Jacoby/Beutler/Wappelhorst, 2011). Neben <strong>die</strong>sen Vorschlägen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> regionale Handlungsebene wurde <strong>für</strong> <strong>die</strong> kreisangehörigen Kommunen ein entsprechendes<br />
Handlungskonzept von dem Büro Valentum Consulting Group, Regensburg, erstellt.<br />
Abbildung 1: Auszug aus den Stu<strong>die</strong>n <strong>für</strong> KlimaNEU <strong>als</strong> Input <strong>für</strong> <strong>die</strong> Workshops, hier: Änderung<br />
der Sommer- (links) <strong>und</strong> Winterniederschläge (rechts) im Zeitraum 2021-2050 gegenüber<br />
1971-2000 (ECHAM 5, WETTREG_2006)<br />
Quelle: KLIWA 2010, in: Jacoby/Beutler/Heinisch/Wappelhorst, 2010 a-c, 10<br />
Die Erkenntnisse aus dem Forschungsvorhaben sollen in <strong>die</strong> weiteren Planungsprozesse auf regionaler,<br />
Landkreis- <strong>und</strong> Gemeindeebene einfließen. Die Verlängerung des Modellvorhabens KlimaNEU im<br />
Rahmen der „Verstetigungsphase“ von KlimaMORO soll genutzt werden, um <strong>die</strong> Resilienz (Widerstandsfähigkeit/Robustheit)<br />
der regionalen Siedlungs-, Freiraum- <strong>und</strong> Infrastruktur in Bezug auf den<br />
Klimawandel durch erfolgreiche Planungen <strong>und</strong> Maßnahmen mittelfristig deutlich zu verbessern.<br />
62
KLIMZUG-Workingpaper<br />
3. Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> <strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> -entwicklung<br />
Die im Rahmen des Modellvorhabens KlimaNEU erarbeiteten Stu<strong>die</strong>n sowie durchgeführten Workshops<br />
<strong>und</strong> Befragungen führten im Ergebnis zu raumplanerischen Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> den<br />
Klimaschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel insbesondere <strong>für</strong> <strong>die</strong> regionale Handlungsebene,<br />
das heißt <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung in der Region Regensburg <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>entwicklung im<br />
Landkreis Neumarkt i.d.OPf. Diese Empfehlungen werden im Folgenden untergliedert nach den drei<br />
Themengruppen „Energien“, „Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur, Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit“ sowie „Land- <strong>und</strong><br />
Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus“ zusammenfassend vorgestellt.<br />
3.1 Themengruppe „Energien“<br />
Förderung alternativer Produktionsformen von Biomasse<br />
Mit dem Anbau von Energiepflanzen geht regelmäßig auch eine Zunahme von Monokulturen einher,<br />
womit sich <strong>die</strong> vom Klimawandel bedingten Probleme potenzieren. Einerseits soll <strong>die</strong> Produktion von<br />
Biomasse zur Förderung des Klimaschutzes forciert werden, andererseits entstehen durch ihre vermehrte<br />
Erzeugung landwirtschaftliche Strukturen, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels besonders<br />
gefährdet sind. Deshalb soll der Anbau von neuen, ökologisch verträglichen, sowohl einjährigen <strong>als</strong><br />
auch mehrjährigen Energiepflanzen im Rahmen von Pilotprojekten verstärkt im Landkreis untersucht<br />
<strong>und</strong> gefördert werden, um Erkenntnisse zu alternativen Formen der Produktion von Energiepflanzen<br />
zu gewinnen <strong>und</strong> <strong>die</strong>se zu verbreiten. <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>management im Landkreis<br />
Neumarkt können <strong>die</strong> Weiterentwicklung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Züchtung <strong>die</strong>ser Pflanzen unterstützen, indem Kontakte<br />
zu entsprechenden Forschungseinrichtungen aufgenommen <strong>und</strong> Netzwerke aufgebaut sowie<br />
landwirtschaftliche Betriebe in der Region <strong>für</strong> Pilotprojekte gewonnen werden. Weiterhin sollte vor<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> der klimabedingten Veränderungen verstärkt informiert <strong>und</strong> somit Sensibilität <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
ökologischen Gefahren von Monokulturen geschaffen werden.<br />
Im Rahmen von <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> -management sollte auch das Wissen über <strong>die</strong> weiteren<br />
Möglichkeiten der Bioenergienutzung verstärkt gefördert <strong>und</strong> verbreitet werden, damit eine einseitige<br />
Ausrichtung auf wenige Fruchtarten vermieden wird. Neben den Energiepflanzen bieten auch<br />
schnellwachsende Baumarten („Energiewaldpflanzungen“) sowie <strong>die</strong> Nutzung von Gülle <strong>und</strong> anderen<br />
Reststoffen Bioenergiepotenziale. Vor allem letzteres könnte <strong>die</strong> Flächenkonkurrenz zur sonstigen<br />
landwirtschaftlichen Produktion vermindern.<br />
Förderung effizienter Nutzungsformen von Biomasse<br />
Beim Betrieb von Biomasseanlagen bleiben gegenwärtig große Potenziale zur Effizienzsteigerung<br />
ungenutzt. So könnte durch <strong>die</strong> konsequente Nutzung der Abwärme der Wirkungsgrad von Bioenergieanlagen<br />
wesentlich erhöht werden. Der Landkreis <strong>und</strong> das <strong>Regional</strong>management können den Anlagenbetreibern<br />
durch Beratungs- <strong>und</strong> Informationsangebote Möglichkeiten der Effizienzsteigerung<br />
aufzeigen <strong>und</strong> bei der Beantragung von Fördergeldern <strong>für</strong> Effizienzsteigerungsmaßnahmen Unterstützung<br />
geben. Daneben sollte ein Pool aus (regionalen) Fachleuten, <strong>die</strong> bereits spezialisierte Erfahrungen<br />
auf <strong>die</strong>sem Gebiet gesammelt haben <strong>und</strong> an <strong>die</strong> sich Interessierte bei Bedarf wenden können,<br />
gebildet werden. Weiterhin sind <strong>die</strong> Effizienzpotenziale auch bei der Aufstellung bzw. Fortschreibung<br />
von regionalen Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzepten zu berücksichtigen, insbesondere auch im Zusammenhang<br />
mit dem möglichen Ausbau von Nahwärmenetzen.<br />
Einrichten eines Flächenmanagements <strong>für</strong> landwirtschaftliche Flächen<br />
Die Nutzungskonflikte auf landwirtschaftlichen Flächen zwischen Nahrungsmittel- <strong>und</strong> Energiepflanzenproduktion<br />
nehmen zu. Der Anbau von Energiepflanzen geht dabei zumeist auf Kosten der land-<br />
63
KLIMZUG-Workingpaper<br />
wirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion. Der Bedarf an landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen<br />
darf gleichzeitig aber nicht auf Kosten von extensiven Landnutzungsflächen oder Biotopflächen<br />
gehen, weil dadurch – zusätzlich zu den Gefahren aus den Folgen des Klimawandels – <strong>die</strong> ökologische<br />
Leistungs- <strong>und</strong> Funktionsfähigkeit der Kulturlandschaft reduziert wird <strong>und</strong> ein Verlust von Struktur-<br />
<strong>und</strong> Artenvielfalt droht.<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> -management im Landkreis sollten mit Unterstützung der Landwirtschaftsverbände<br />
Diskussions- <strong>und</strong> Abstimmungsprozesse zwischen den Akteuren anstoßen sowie Schulungs-<br />
oder Weiterbildungsprogramme fördern, mit dem Ziel, mittel- bis langfristig ein regionales Management<br />
der landwirtschaftlichen Flächennutzung <strong>für</strong> ein ausgewogenes Verhältnis von Nahrungsmittel-<br />
<strong>und</strong> Energiepflanzen-Anbauflächen zu installieren. Die regional benötigte Nahrungsmittel- <strong>und</strong><br />
Energiepflanzenmenge bzw. <strong>die</strong> entsprechend da<strong>für</strong> benötigten Flächen müssen hierbei <strong>als</strong> Abstimmungsgr<strong>und</strong>lage<br />
<strong>die</strong>nen, um regionale Nahrungsmittel- <strong>und</strong> Energiekreisläufe zu ermöglichen. Eventuelle<br />
Markt- oder Preisschwankungen sind dann verstärkt auch mit dem Einsatz von Anreizinstrumenten<br />
auszugleichen, zum Beispiel durch Unterstützung der Vermarktung von regionalen Produkten im<br />
Rahmen von regionalen Messen, Märkten <strong>und</strong> sonstigen Veranstaltungen.<br />
<strong>Regional</strong>es Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzept erarbeiten<br />
Das regionale Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzept, das vom Landratsamt bereits beauftragt wurde, soll<br />
<strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> ein zielgerichtetes Umsetzen von energiepolitischen Zielen im Bereich der Energieeinsparung,<br />
der Effizienzsteigerung <strong>und</strong> der dezentralen Energiebereitstellung aus Erneuerbaren<br />
Energien im Landkreis Neumarkt <strong>die</strong>nen. Dabei sollten <strong>die</strong> derzeitigen Verbräuche <strong>und</strong> ihre prognostizierten<br />
Veränderungen erfasst, <strong>die</strong> kurz- bis mittelfristig technisch <strong>und</strong> wirtschaftlich umsetzbaren<br />
Energieeinsparpotenziale einberechnet sowie <strong>die</strong> Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung <strong>und</strong> zur Nutzung<br />
regenerativer Energien bewertet werden (deENet, 2010, 4).<br />
Bei der Erstellung des Konzeptes ist weiterhin darauf zu achten, regionale Stoffkreisläufe <strong>für</strong> <strong>die</strong> Produktion<br />
von Biomasse <strong>und</strong> Nahrungsmittel zugr<strong>und</strong>e zu legen <strong>und</strong> eine Vermeidung möglicher Flächennutzungskonflikte<br />
zu berücksichtigen. Ein weiteres Kernthema im Rahmen der Effizienzbetrachtung<br />
müssen das Ausbaupotenzial von Verteilungsnetzen (zum Beispiel Nahwärmenetze) sowie <strong>die</strong><br />
Berücksichtigung optimierter Verbindungsmöglichkeiten lokaler Produktions- <strong>und</strong> Abnehmerstrukturen<br />
von Energie sein. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sind hinsichtlich der erwarteten zusätzlichen Hitzebelastungen<br />
neben Wärme- auch verstärkt Kälteverbünde in <strong>die</strong> Überlegungen einzubeziehen.<br />
Weiterhin sollten im Rahmen eines regionalen Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzeptes <strong>die</strong> bestehenden<br />
<strong>und</strong> zukünftigen Standorte von Energieproduktions- <strong>und</strong> Energieverteilungsanlagen hinsichtlich ihrer<br />
Vulnerabilität gegenüber Extremwetterereignissen <strong>und</strong> deren Folgen (beispielsweise ein Erdrutsch)<br />
analysiert werden. Zur Verminderung der Auswirkungen von eventuellen Ausfällen ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
eine vielfältige dezentrale Energieerzeugung <strong>und</strong> -verteilung anzustreben. Um neben Lastspitzen<br />
auch Unterbrechungen der Energieproduktion ausgleichen zu können, sind weiterhin mögliche Technologien<br />
<strong>und</strong> Ausbaupotenziale der Energiespeicherung (zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerk,<br />
Druckluftspeicher, Stromspeicher) in der Region anzudenken <strong>und</strong> zu berücksichtigen.<br />
Raumplanerische Steuerungsmöglichkeiten der Windenergiegewinnung nutzen<br />
Im 2007 aufgestellten Entwicklungskonzept wurde <strong>für</strong> den Landkreis Neumarkt eine vollständige Versorgung<br />
aus erneuerbaren Energien anvisiert. Zur Erreichung <strong>die</strong>ses Ziels ist auch <strong>die</strong> verstärkte Nutzung<br />
der Windenergie erforderlich. Die damit verb<strong>und</strong>ene Beeinträchtigung des Landschaftsbildes <strong>und</strong><br />
weitere mögliche negative Umweltauswirkungen müssen durch eine verbindliche Steuerung der<br />
64
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Standorte minimiert werden. Solange Vorgaben der Raumordnung zur räumlichen Steuerung der<br />
Windenergienutzung fehlen, ist eine im Landkreis abgestimmte Ausweisung geeigneter, konfliktarmer<br />
Standorte auf kommunaler Ebene dringend zu empfehlen.<br />
In den Gemeinden müssen da<strong>für</strong> windhöffige Standorte nach den Anforderungen des Natur-, Umwelt<strong>und</strong><br />
Landschaftsschutzes ausgewählt <strong>und</strong> <strong>als</strong> sogenannte Konzentrationszonen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Windkraftnutzung<br />
im Flächennutzungsplan ausgewiesen werden. Es besteht weiterhin <strong>die</strong> Möglichkeit, einen Teilflächennutzungsplan<br />
gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BauGB <strong>und</strong> vorhabenbezogene Bebauungspläne aufzustellen.<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> -management sollten bei den Kommunen werben, im Sinne einer<br />
Angebots- aber auch Konzentrationsplanung in ihrem Gemeindegebiet Vorrang- <strong>und</strong> Tabuzonen <strong>für</strong><br />
Windkraft festzulegen <strong>und</strong> dabei eine interkommunale Abstimmung der Flächenausweisungen vorzunehmen.<br />
Da zu Beginn der Projektlaufzeit eine Festsetzung von Konzentrationszonen zugunsten von Windkraftanlagen<br />
im <strong>Regional</strong>plan <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planungsregion Regensburg insgesamt nicht durchsetzbar erschien,<br />
hat der Landkreis eine Teilfortschreibung des <strong>Regional</strong>plans hinsichtlich der Ausweisung von<br />
Vorrangflächen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Windenergienutzung ausschließlich <strong>für</strong> das Gebiet des Landkreises Neumarkt<br />
in Gang gesetzt. Zum Ende der Projektlaufzeit wurde deutlich, dass <strong>die</strong>se Initiative des Landkreises<br />
<strong>als</strong> Planungsimpuls <strong>für</strong> <strong>die</strong> anderen Landkreise <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> <strong>die</strong> gesamte Planungsregion wirkte.<br />
Monitoring hinsichtlich der Nachfrage nach Flächen <strong>für</strong> Photovoltaik-Freiflächenanlagen<br />
Durch <strong>die</strong> derzeitigen Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) aus dem Jahr 2010 zur<br />
Strom-Einspeisevergütung aus Photovoltaik-Freiflächenanlagen ist der bis vor kurzem noch bestehende<br />
enorme Handlungsdruck bezüglich einer Flächensteuerung <strong>für</strong> Freiflächenanlagen nicht mehr<br />
gegeben, da <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezügliche Nachfrage stark nachgelassen hat. Aufgr<strong>und</strong> der momentanen Umbrüche<br />
in der b<strong>und</strong>esweiten Energiepolitik können sich aber schon bald wieder Änderungen der Rahmenbedingungen<br />
<strong>für</strong> Photovoltaik-Freiflächenanlagen ergeben. Deshalb sollte ein Monitoring hinsichtlich<br />
der Nachfrage nach Flächen <strong>für</strong> Photovoltaik-Freiflächenanlagen im Landkreis installiert werden,<br />
um im Bedarfsfall auf kommunaler <strong>und</strong> interkommunaler Ebene schnell reagieren zu können.<br />
In einer perspektivischen, vorausschauenden Beschäftigung mit <strong>die</strong>sem Thema sollten entsprechend<br />
dem Vorbild der Planungsempfehlungen <strong>für</strong> Kommunen der Obersten Baubehörde im Bayerischen<br />
Staatsministerium des Innern (OBB 2011) auch seitens des <strong>Regional</strong>en Planungsverbandes Kriterien<br />
festgelegt werden, wie eine zukünftige raumverträgliche Steuerung großflächiger Anlagen bei einer<br />
wieder größeren Flächennachfrage in der Region auf überörtlicher Ebene zu behandeln ist.<br />
Solarflächenkataster <strong>und</strong> Solarflächenbörse aufbauen<br />
Mit einem Solarflächenkataster sollen alle bebauten <strong>und</strong> unbebauten Flächen im Landkreis Neumarkt<br />
erfasst werden, <strong>die</strong> städtebaulich <strong>und</strong> landschaftsplanerisch verträglich <strong>für</strong> eine Solarenergienutzung<br />
zur Verfügung stehen. Das Ergebnis der Potenzialanalyse muss auch in das Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzept<br />
des Landkreises einfließen. <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>management im Landkreis<br />
Neumarkt können zur Förderung der Solarenergie den Aufbau eines Solarflächenkatasters initiieren<br />
<strong>und</strong> das Einrichten <strong>und</strong> Verwalten einer Solarflächenbörse übernehmen. Alternativ könnte <strong>die</strong>se<br />
Aufgabe der Bürgergenossenschaft „Jurenergie“, <strong>die</strong> vom Landratsamt <strong>und</strong> der Regina GmbH initiiert<br />
worden ist, übertragen werden. Für <strong>die</strong> Solarflächenbörse bietet sich eine jeweils eigene Sparte auf<br />
der Internetseite des Landkreises oder des <strong>Regional</strong>managements an.<br />
65
KLIMZUG-Workingpaper<br />
3.2 Themengruppe „Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur, Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit“<br />
<strong>Regional</strong>planerische Steuerung flächensparender Siedlungsstrukturen<br />
Flächensparende Siedlungsstrukturen <strong>die</strong>nen dem Boden- <strong>und</strong> Freiraumschutz, aber auch dem Klimaschutz<br />
durch Förderung kompakter Bauformen <strong>und</strong> Vermeidung von Verkehrsleistungen. Auch der<br />
vorbeugende Hochwasserschutz, der durch <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels in Zukunft noch an Bedeutung<br />
gewinnen wird, kann damit durch Verminderung der Bodenversiegelung unterstützt werden.<br />
Interkommunale Zusammenarbeit bei der Siedlungsplanung<br />
In Ergänzung oder gegebenenfalls auch <strong>als</strong> Ersatz <strong>für</strong> eine fehlende regionalplanerische Steuerung<br />
der Siedlungsentwicklung sollen <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>management im Landkreis Neumarkt<br />
darauf hinwirken, dass <strong>die</strong> Gemeinden bei der Entwicklung von Siedlungsflächen, insbesondere<br />
Gewerbegebieten, eine interkommunal oder sogar im gesamten Landkreis langfristig abgestimmte<br />
Siedlungskonzeption entwickeln, um so <strong>die</strong> Ziele einer umweltgerechten, flächensparenden <strong>und</strong> verkehrsvermeidenden<br />
Siedlungsentwicklung besser umsetzen zu können.<br />
Förderung einer energetischen, umwelt- <strong>und</strong> klimaverträglichen Bauleitplanung<br />
Im Rahmen der Aktivitäten der <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> des <strong>Regional</strong>managements sollten <strong>die</strong> Anstrengungen<br />
der Gemeinden hinsichtlich der verstärkten Berücksichtigung der Umwelt- <strong>und</strong> insbesondere<br />
der Klimabelange in der Bauleitplanung unterstützt werden. So könnte etwa eine Zusammenstellung<br />
guter Beispiele einer energetisch optimierten, klimaverträglichen wie auch flächensparenden<br />
Flächennutzungs- <strong>und</strong> Bebauungsplanung <strong>als</strong> Hilfestellung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gemeinden des Landkreises erarbeitet<br />
werden. Mit Hilfe der kommunalen Landschaftsplanung <strong>und</strong> naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung<br />
sowie einem konstruktiven Umgang mit der Umweltprüfung in der Bauleitplanung können <strong>die</strong><br />
Einflüsse der Bebauung auf das Klima einerseits <strong>und</strong> <strong>die</strong> klimarelevanten Funktionen von Natur <strong>und</strong><br />
Freiräumen andererseits auf <strong>die</strong> Frisch- <strong>und</strong> Kaltluftversorgung in Siedlungsgebieten besser berücksichtigt<br />
werden. Mit integrierten Konzepten zur Freiraumentwicklung können Beiträge zur Minimierung<br />
von Aufheizungseffekten, zur Sicherung von Frischluftschneisen, zur Förderung standortangepasster<br />
Bewässerungssysteme <strong>für</strong> öffentliche Grünflächen <strong>und</strong> vieles mehr erzielt werden. Ferner wäre zu<br />
prüfen, ob mit der Einrichtung (inter-)kommunaler Flächenpools <strong>die</strong> Umsetzung der verschiedenen<br />
<strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen im praktischen Vollzug erleichtert werden kann.<br />
Risikoanalyse der Hochwassergefährdung von Siedlungsräumen durchführen<br />
In Ergänzung der Risikoanalysen im Zuge der Erstellung von Hochwassergefahrenkarten, Hochwasserrisikokarten<br />
<strong>und</strong> Hochwasserrisikomanagementpläne gemäß des Wasserhaushaltsgesetzes<br />
(WHG) sollte <strong>für</strong> den Landkreis Neumarkt i.d.OPf. eine kleinräumige Risikoanalyse der Hochwassergefährdung<br />
von Siedlungsräumen durchgeführt werden. Die Koordinierung kann beispielsweise durch<br />
den Landkreis Neumarkt erfolgen, in Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt <strong>und</strong> den betroffenen<br />
Gemeinden. Zur Vorbereitung von Anpassungsmaßnahmen können durch <strong>die</strong>se Risikoanalyse<br />
direkte <strong>und</strong> indirekte potenzielle Schäden eines Hochwassers im Landkreis Neumarkt abgeschätzt<br />
werden. Diese Informationen können auch dazu beitragen, das Bewusstsein hinsichtlich der<br />
Notwendigkeit privater <strong>und</strong> öffentlicher Hochwasservorsorge zu stärken.<br />
Vermehrte Festsetzung von Überschwemmungsgebieten<br />
Die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten erfolgt mit dem Ziel, Schäden durch Hochwasserereignisse<br />
zu verringern oder gänzlich zu vermeiden <strong>und</strong> zählt zu den strategischen Vorsorgemaßnahmen<br />
im vorbeugenden Hochwasserschutz. Als Berechnungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bestimmung der Grenzen<br />
von Überschwemmungsgebieten wird in der Regel ein Hochwasserereignis herangezogen, wie es<br />
statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist (HQ 100). Da sich der Klimawandel verstärkt auf den<br />
66
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Wasserhaushalt auswirkt <strong>und</strong> sich auch deshalb schwere Hochwasserereignisse häufen, wird in der<br />
Fachdiskussion gefordert, den Orientierungswert HQ 100 um einen „Klimaaufschlag“ zu erhöhen. Im<br />
Freistaat Bayern ist entsprechend bereits in 2004 <strong>für</strong> den technischen Hochwasserschutz ein Klimaänderungszuschlag<br />
von 15% eingeführt worden (BayStMUG, 2009, 18). Für <strong>die</strong> Region Regensburg<br />
bedeutet <strong>die</strong>s, dass <strong>die</strong> Landratsämter auf Vorschlag der Wasserwirtschaftsämter alle ermittelten<br />
Überschwemmungsgebiete konsequent ausweisen <strong>und</strong> <strong>die</strong>se im <strong>Regional</strong>plan nachrichtlich übernommen<br />
werden. Darüber hinaus sollte <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung Vorranggebiete <strong>für</strong> den Hochwasserschutz<br />
ausweisen (siehe weiter unten). Hinsichtlich der Bestimmung der Überschwemmungsgebietsgrenzen<br />
wäre es sinnvoll, wenn <strong>die</strong> Landratsämter auch hier einen Klimaaufschlag einführen. Dies<br />
sollte <strong>als</strong> bisher noch freiwillige Maßnahme im Einvernehmen mit den betroffenen Gemeinden geschehen,<br />
solange keine landesweite Regelung <strong>für</strong> Bayern erfolgt.<br />
Überprüfung <strong>und</strong> Weiterentwicklung wasserwirtschaftlicher Vorranggebiete<br />
Zur Verringerung zukünftiger Hochwasserschäden stellt <strong>die</strong> Flächenvorsorge eine wichtige Maßnahme<br />
dar. Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> sollten Überschwemmungsgebiete von Bebauung freigehalten werden.<br />
Die <strong>Regional</strong>planung spielt in <strong>die</strong>sem Zusammenhang eine bedeutende Rolle, da auf <strong>die</strong>ser<br />
Ebene <strong>die</strong> Belange des Hochwasserschutzes in einem überörtlichen Rahmen abgestimmt <strong>und</strong> gesichert<br />
werden können durch <strong>die</strong> Ausweisung von Vorranggebieten <strong>für</strong> den Hochwasserabfluss <strong>und</strong><br />
Hochwasserrückhalt (Vorranggebiete Hochwasserschutz).<br />
In der Region Regensburg sind vor dem Hintergr<strong>und</strong> der dargestellten Klimaszenarien <strong>und</strong> Risiken<br />
von Seiten des <strong>Regional</strong>en Planungsverbandes/des Regionsbeauftragten in Abstimmung mit den<br />
Wasserwirtschaftsämtern <strong>und</strong> den Gemeinden wasserwirtschaftliche Vorranggebiete zu überprüfen<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls zu erweitern. Diese erweiterten Vorranggebiete sollten im Sinne eines Klimaaufschlags<br />
neben den nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 WHG festzusetzenden Überschwemmungsgebieten auch<br />
weitere Flächen wie potenzielle Überflutungsbereiche <strong>und</strong> rückgewinnbare Überschwemmungsbereiche<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochwasserentlastung <strong>und</strong> -rückhaltung gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 2 WHG umfassen, insbesondere<br />
wenn eine verstärkte Hochwassergefährdung durch den Klimawandel im Rahmen einer Risikoanalyse<br />
festgestellt wird. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob eine Ergänzung der wasserwirtschaftlichen<br />
Vorranggebiete um entsprechende Vorbehaltsgebiete im <strong>Regional</strong>plan zur Berücksichtigung<br />
der Unsicherheiten bei den Klimaszenarien sinnvoll ist, um Gebiete <strong>für</strong> den Hochwasserschutz<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Trinkwasserversorgung langfristig zu sichern, insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong> zunehmender<br />
Hochwasserereignisse einerseits <strong>und</strong> Hitzeperioden in den Sommermonaten andererseits.<br />
Erweiterte Integration der Wasserrückhaltung in <strong>die</strong> multifunktionalen <strong>Regional</strong>en Grünzüge<br />
Als eine Anpassungsmaßnahme können im <strong>Regional</strong>plan <strong>für</strong> <strong>die</strong> Region Regensburg neben Vorrang<strong>und</strong><br />
gegebenenfalls Vorbehaltsgebieten <strong>für</strong> den Hochwasserschutz auch Gebiete zur Erhaltung <strong>und</strong><br />
Verbesserung des Wasserrückhaltevermögens aufgenommen werden, um <strong>die</strong> Hochwasserentstehung<br />
„in der Fläche“ zu vermeiden. Diese Gebiete lassen sich wie auch <strong>die</strong> Vorbehaltsgebiete sehr gut in<br />
<strong>die</strong> multifunktionalen <strong>Regional</strong>en Grünzüge integrieren.<br />
Unterstützung der Kommunen beim Hochwasserschutz<br />
Bei der Berücksichtigung der ausgewiesenen Überschwemmungsgebiete, der vorgeschlagenen Vorrang-<br />
<strong>und</strong> Vorbehaltsgebiete sowie sonstiger Vorgaben zum Hochwasserschutz im Rahmen der<br />
kommunalen Bauleitplanung müssen <strong>die</strong> Kommunen unterstützt werden. Hier kann über <strong>die</strong> vorliegenden<br />
Leitfäden hinaus insbesondere der Landkreis Neumarkt in Kooperation mit der Wasserwirtschaftsverwaltung<br />
den Gemeinden Hilfestellung bieten.<br />
67
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Zusätzliche Rückhalteräume <strong>und</strong> Flutgräben in Siedlungsbereichen<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> zunehmender Extremwetter-/Starkregenereignisse sollten in den Siedlungsbereichen<br />
zusätzliche Rückhalteräume <strong>und</strong> Flutgräben festgelegt werden. Da <strong>die</strong>s in einzelnen Teilräumen<br />
auch von überörtlicher Relevanz sein kann, sollte auch hier der Landkreis <strong>als</strong> Initiator <strong>und</strong> Koordinator<br />
auftreten <strong>und</strong> in Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt <strong>und</strong> den betroffenen Gemeinden<br />
Bereiche ermitteln, <strong>die</strong> im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung zu sichern sind.<br />
Sicherung der Trinkwasserversorgung/Überprüfung der Wasserschutzgebiete<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass <strong>die</strong> Sommermonate immer trockener werden, ist auf regionaler Ebene <strong>die</strong><br />
Trinkwasserversorgung durch entsprechende Festlegungen von Vorranggebieten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Trinkwassergewinnung<br />
zu sichern. Da<strong>für</strong> ist zu prüfen, ob weitere Standorte <strong>für</strong> Speicher zur Niedrigwasseraufhöhung<br />
erforderlich sind. Langfristig könnte auch <strong>die</strong> Anlage einer Trinkwassert<strong>als</strong>perre in Verbindung<br />
mit einer Wasserkraftanlage <strong>und</strong>/oder einem Pumpspeicherkraftwerk in Frage kommen.<br />
3.3 Themengruppe „Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus“<br />
Ausgewogene, bedarfsgerechte Entwicklung der regionalen Biomasseproduktion<br />
Im Bereich der Landwirtschaft ist durch Maßnahmen der <strong>Regional</strong>entwicklung <strong>und</strong> des <strong>Regional</strong>managements<br />
eine ausgewogene Entwicklung regionaler Nahrungsmittelproduktion <strong>und</strong> regionaler Versorgung<br />
mit nachwachsenden Rohstoffen zu fördern. Die Erstellung einer Biomassestu<strong>die</strong> <strong>für</strong> den<br />
Landkreis kann hierbei eine wertvolle Informations- <strong>und</strong> Diskussionsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> <strong>die</strong> erforderlichen<br />
Abstimmungsprozesse in der Landwirtschaft sein.<br />
Förderung von Anpassungsstrategien in der Landwirtschaft im Bereich des Pflanzenbaus<br />
Der landwirtschaftliche Pflanzenbau ist nicht nur im Hinblick auf den Klimaschutz in Richtung einer<br />
Senkung der mit der Landbewirtschaftung verb<strong>und</strong>enen Treibhausgasemissionen zu optimieren, sondern<br />
auch an <strong>die</strong> mit dem Klimawandel verb<strong>und</strong>enen höheren Kohlendioxid-Konzentrationen, Temperaturerhöhungen,<br />
häufigeren Extremwetterereignissen <strong>und</strong> ungünstigeren Niederschlagsverteilungen<br />
anzupassen (Verband der Landwirtschaftskammern, 2010, 3). Dieser Anpassungsprozess wird vor<br />
allem von den Ämtern <strong>für</strong> Ernährung, Landwirtschaft <strong>und</strong> Forsten sowie den Landwirtschaftskammern<br />
<strong>und</strong> –verbänden vorangetrieben, kann jedoch von der <strong>Regional</strong>entwicklung im Landkreis Neumarkt<br />
aus einer gesamträumlichen Sicht mit unterstützt werden.<br />
Vorrangausweisungen <strong>für</strong> eine klimaverträgliche <strong>und</strong> -resiliente Landwirtschaft<br />
Sofern das in Aufstellung befindliche neue Landesplanungsgesetz Bayern <strong>die</strong>s zulässt, könnte <strong>die</strong><br />
<strong>Regional</strong>planung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Region Regensburg in intensiver Abstimmung mit den zuständigen Landwirtschaftskammern<br />
<strong>und</strong> Verbänden/Vereinen in der Landwirtschaft regionale Vorranggebiete <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft speziell <strong>für</strong> solche Flächen festlegen, <strong>die</strong> unter Berücksichtigung der derzeitigen Anbaubedingungen<br />
(Bodengüte, klimatische Faktoren, Bodenwasserhaushalt etc.) <strong>und</strong> insbesondere der<br />
Folgen des Klimawandels besonders günstige Voraussetzungen <strong>für</strong> eine umwelt- <strong>und</strong> klimaverträgliche<br />
wie auch klimaresiliente Landbewirtschaftung bieten. Sollen dabei <strong>die</strong> hohen Unsicherheiten bei<br />
den Klimaszenarien stärker berücksichtigt werden, können alternativ oder in Kombination mit den<br />
Vorranggebieten auch Vorbehaltsgebiete <strong>für</strong> <strong>die</strong> Landwirtschaft ausgewiesen werden. Denkbar wäre<br />
auch eine spezielle Ausweisung <strong>für</strong> den biologischen Landbau.<br />
Die Überlegungen <strong>für</strong> eine differenzierte Ausweisung von Vorranggebieten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Landwirtschaft (mit<br />
klimaresilienten Anbauvoraussetzungen) wurden in den Workshop-R<strong>und</strong>en zugunsten von informellen<br />
Abstimmungs- <strong>und</strong> Planungsprozessen, vorzugsweise auf kommunaler Ebene, zurückgestellt.<br />
68
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Unterstützung des Waldumbaus hin zu reich strukturierten, klimaresilienten Waldflächen<br />
Für den Bereich der Forstwirtschaft wird <strong>die</strong> Weiterführung der Aktivitäten der Forstverwaltung in Richtung<br />
eines klimaangepassten Waldumbaus empfohlen. Hierbei sollen <strong>die</strong> möglichen Synergieeffekte,<br />
<strong>die</strong> mit reich strukturierten, klimaresilienten Waldflächen in Bezug auf <strong>die</strong> Entwicklung des Tourismus,<br />
aber auch mit Blick auf den Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz verb<strong>und</strong>en sind, konsequent im Sinne einer „No<br />
regret–Strategie“ genutzt werden.<br />
Vorrangausweisungen <strong>für</strong> einen (dynamischen, klimaangepassten) Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz<br />
Zur Unterstützung des Naturschutzes <strong>und</strong> der Landschaftspflege wird <strong>die</strong> (weitergehende) Ausweisung<br />
von Vorranggebieten <strong>für</strong> den Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz empfohlen. Ergänzend ist zu prüfen, ob –<br />
unter Berücksichtigung der hohen Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels<br />
auf <strong>die</strong> Arten- <strong>und</strong> Biotopentwicklung sowie Biodiversität – mit der Ausweisung von zusätzlichen regionalen<br />
Vorbehaltsgebieten <strong>für</strong> den Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz potenzielle Entwicklungs- <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>flächen<br />
<strong>als</strong> klimabedingte Ersatz- <strong>und</strong> Erweiterungsflächen im Sinne eines dynamischen Naturschutzes<br />
mit einer geringeren Steuerungsintensität (Vorbehaltsgebiet <strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>satz der Raumordnung) gesichert<br />
werden könnten. Großer Wert ist bei <strong>die</strong>sen Planungen auf eine intensive Information <strong>und</strong> Beteiligung<br />
der Gemeinden <strong>und</strong> der Öffentlichkeit zu legen, damit <strong>die</strong> erforderliche Akzeptanz <strong>für</strong> <strong>die</strong> Flächenvorsorge<br />
geschaffen werden kann. Eine höhere Sensibilität der Bevölkerung <strong>und</strong> der Stakeholder<br />
in den Gemeinden in Bezug auf <strong>die</strong> durch Klimaänderungen möglichen zusätzlichen Gefährdungen<br />
der Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt, der biologischen Vielfalt <strong>und</strong> der natürlichen Ressourcen ließe sich vor<br />
allem auch mit einer aktiven, dialogorientierten Landschafts(rahmen)planung erreichen.<br />
Weiterentwicklung der regionalen Grünzüge<br />
Die bisherige Ausweisung der regionalen Grünzüge in der Region Regensburg sollte im Hinblick auf<br />
mögliche klimabedingte Änderungen der Freiraumqualitäten (Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Biotopstrukturen,<br />
Erholungseignung etc.) <strong>und</strong> hinsichtlich der Erfordernisse, <strong>die</strong> im Grünzug unter anderem gesicherten<br />
Klimafunktionen (Kalt-/Frischluftentstehung <strong>und</strong> -abfluss) gegebenenfalls stärker zu gewichten<br />
(„Klimaaufschlag“), überprüft <strong>und</strong> an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels angepasst werden.<br />
Aktive Nutzung der Instrumente der Landschaftsplanung <strong>und</strong> Umweltprüfung<br />
Die Instrumente der Landschaftsplanung <strong>und</strong> (Strategischen) Umweltprüfung sollten aktiv zur umwelt<strong>und</strong><br />
klimabezogenen Optimierung in der <strong>Regional</strong>- <strong>und</strong> Bauleitplanung genutzt werden. Erkenntnisse<br />
aus dem laufenden ExWoSt-Vorhaben in Regensburg, in dem <strong>die</strong> Erfordernisse des Klimawandels in<br />
<strong>die</strong> Umweltprüfung der Flächennutzungsplanung integriert werden, können <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>planung<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> kommunale Bauleitplanung der Gemeinden des Landkreises Neumarkt genutzt werden.<br />
Vorrangausweisungen <strong>für</strong> den landschaftsbezogenen Tourismus<br />
Für den Bereich des Tourismus sollte überprüft werden, ob regionale Vorrang-/Vorbehaltsgebiete <strong>für</strong><br />
den naturnahen, landschaftsbezogenen Tourismus unter Berücksichtigung ausgewiesen werden können.<br />
Dabei sollten Konflikte mit anderen Raumnutzungen, insbesondere mit den vorgeschlagenen<br />
Vorranggebieten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Windkraftnutzung, aufgedeckt <strong>und</strong> in einem abgestimmten räumlichen Konzept<br />
ausgeräumt werden.<br />
Maßnahmenvorschlag Tourismuskonzept Schwarze Laaber<br />
Für den landschaftlich attraktiven Verlauf der Schwarzen Laaber zwischen Neumarkt <strong>und</strong> Regensburg<br />
bietet sich eine Intensivierung des Tourismus <strong>und</strong> der Erholungsnutzung an. Hierzu sollte vom Landkreis<br />
Neumarkt im Rahmen der <strong>Regional</strong>entwicklung – in Abstimmung mit dem benachbarten Landkreis<br />
Regensburg – ein integriertes „Tourismuskonzept Schwarze Laaber“ erstellt werden, mit dem<br />
69
KLIMZUG-Workingpaper<br />
touristische Ziele <strong>und</strong> Maßnahmen im Einklang mit den Zielen des Hochwasserschutzes, Naturschutzes<br />
<strong>und</strong> Kulturlandschaftspflege formuliert werden.<br />
Maßnahmenvorschlag <strong>Regional</strong>er Klimalehrpfad<br />
Ein weiterer Maßnahmenvorschlag betrifft <strong>die</strong> Errichtung eines regionalen, das heißt über Gemeindegrenzen<br />
anzulegenden „Klimalehrpfads“, <strong>die</strong> in Zusammenarbeit mit Schulen <strong>und</strong> Vereinen des Landkreises<br />
erfolgen sollte <strong>und</strong> zur weiteren Sensibilisierung der Öffentlichkeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels<br />
beitragen kann. Ansatzpunkte hier<strong>für</strong> bestehen in einem bereits vorhandenen Energielehrpfad<br />
<strong>und</strong> in dem „Solardorf Mühlhausen“ im Landkreis.<br />
Maßnahmenvorschlag Ausbau von Wander-/Radwanderwegen entlang der Flüsse<br />
Neben der Schwarzen Laaber gibt es im Landkreis Neumarkt weitere landschaftlich attraktive Fließgewässer<br />
<strong>und</strong> Kanäle, an denen ein umweltverträglicher Ausbau von Wander-/Radwanderwegen erfolgen<br />
kann. Im Hinblick auf <strong>die</strong> Anpassung an den Klimawandel ist dabei auf eine ausreichende<br />
Schattenbildung durch Bäume <strong>und</strong> eine robuste Ausführung vor dem Hintergr<strong>und</strong> von zunehmenden<br />
Hochwasser- <strong>und</strong> Starkregenereignissen zu achten. Auch hierbei kann der Landkreis im Rahmen der<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung <strong>die</strong> Initiative ergreifen <strong>und</strong> in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband, den<br />
Gemeinden <strong>und</strong> Fachbehörden entsprechende Konzepte aufstellen.<br />
4. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Die neuen <strong>Herausforderung</strong>en des Klimawandels <strong>und</strong> der Energiewende verlangen nach neuen strategischen<br />
Planungsansätzen auch in der Aufgabenteilung von regionaler <strong>und</strong> kommunaler Planungsebene.<br />
Viele Landkreise im Freistaat Bayern tragen bereits aktiv mit informellen Konzepten (insbes.<br />
<strong>Regional</strong>e Entwicklungskonzepte) <strong>und</strong> Maßnahmen des <strong>Regional</strong>managements zu einer nachhaltigen<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung bei. In jüngster Zeit werden von den Landkreisen Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzepte<br />
erarbeitet <strong>und</strong> entsprechende Maßnahmen umgesetzt, so auch im Landkreis Neumarkt in der<br />
Oberpfalz <strong>als</strong> ein Modellraum im Rahmen von KlimaMORO. Darüber hinaus unterstützen <strong>die</strong> Landkreise<br />
<strong>als</strong> Initiatoren, Moderatoren <strong>und</strong> teilweise Koordinatoren <strong>die</strong> Gemeinden bei ihrer klimagerechten<br />
Ortsplanung <strong>und</strong> insbesondere bei der interkommunalen Zusammenarbeit (zum Beispiel gemeinsame<br />
Teilflächennutzungspläne aller Gemeinden eines Landkreises <strong>für</strong> <strong>die</strong> Windkraftnutzung).<br />
Darüber hinaus wirken <strong>die</strong> Landkreise <strong>als</strong> Vermittler zwischen kommunaler Bauleitplanung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>planung,<br />
fördern das Bewusstsein der Gemeinden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Notwendigkeit einer überörtlichen Koordination<br />
von raumbedeutsamen Flächennutzungen <strong>und</strong> Maßnahmen durch eine verbindliche Raumordnung<br />
<strong>und</strong> geben vor dem Hintergr<strong>und</strong> der kommunalen Problemstellungen wichtige Impulse <strong>für</strong><br />
eine problembezogene, evidenzbasierte Arbeit der <strong>Regional</strong>planung. Dieses Potenzial der Landkreise<br />
gilt es im Rahmen eines „<strong>Regional</strong> Governance“ – auch zur problemgerechten Umsetzung des Subsidiaritäts-<br />
<strong>und</strong> Gegenstromprinzips in der Raumplanung – stärker <strong>als</strong> bisher zu nutzen.<br />
Auch wenn <strong>die</strong> Landkreise keine formellen Kompetenzen im Bereich der Raumplanung haben <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
(kommunal verfassten) <strong>Regional</strong>en Planungsverbände in Bayern nach dem aktuellen Entwurf eines<br />
neuen Bayerischen Landesplanungsgesetzes weiterhin <strong>für</strong> <strong>die</strong> formelle <strong>Regional</strong>planung wie auch<br />
darüber hinaus <strong>für</strong> freiwillige Aktivitäten der <strong>Regional</strong>entwicklung zuständig sein werden, können <strong>die</strong><br />
Landkreise in der Verantwortungsgemeinschaft von Regionen <strong>und</strong> Kommunen im Hinblick auf <strong>die</strong><br />
Verwirklichung einer nachhaltigen, klimagerechten Raumentwicklung ihre aktive Rolle weiter festigen.<br />
70
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Literatur<br />
BayStMUG, Bayerisches Staatsministerium <strong>für</strong> Umwelt <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, 2009, Bayerische Klima-<br />
Anpassungsstrategie (BayKLAS), München.<br />
B<strong>und</strong>esregierung, 2008, Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel, vom B<strong>und</strong>eskabinett<br />
am 17. Dezember 2008 beschlossen, Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esregierung, 2011, Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel,<br />
vom B<strong>und</strong>eskabinett am 31. August 2011 beschlossen, Berlin.<br />
deENet (Hrsg.), 2010, <strong>Regional</strong>e Energie- <strong>und</strong> Klimaschutzkonzepte <strong>als</strong> Instrument <strong>für</strong> <strong>die</strong> Energiewende,<br />
URL: http://www.100-ee.de/ [Stand: 2011-03-30].<br />
Höhnberg, Ulrich / Jacoby, Christian, 2011, Verwirklichung <strong>und</strong> Sicherung der Raumordnung, in:<br />
ARL (Hrsg.), Gr<strong>und</strong>riss der Raumordnung <strong>und</strong> Raumentwicklung, Hannover, S. 499–566.<br />
Jacoby, Christian / Beutler, Klaus / Heinisch, Timo / Wappelhorst, Sandra, 2010a, KlimaNEU - Stu<strong>die</strong><br />
<strong>als</strong> Diskussionsgr<strong>und</strong>lage zum 1. Workshop „Energien“ am 27.01.2010, URL:<br />
http://www.klimamoro.de [Stand: 2012-03-01].<br />
Jacoby, Christian / Beutler, Klaus / Heinisch, Timo / Wappelhorst, Sandra, 2010b, KlimaNEU - Stu<strong>die</strong><br />
<strong>als</strong> Diskussionsgr<strong>und</strong>lage zum 1. Workshop „Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastruktur, Bauwesen, Ges<strong>und</strong>heit“<br />
am 02.02.2010, URL: http://www.klimamoro.de [Stand_2012_03_01].<br />
Jacoby, Christian / Beutler, Klaus / Heinisch, Timo / Wappelhorst, Sandra, 2010c, KlimaNEU - Stu<strong>die</strong><br />
<strong>als</strong> Diskussionsgr<strong>und</strong>lage zum 1. Workshop „Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus“<br />
am 10.02.2010, URL: http://www.klimamoro.de [Stand 2012-03-01].<br />
Jacoby, Christian / Beutler, Klaus / Wappelhorst, Sandra, 2011, KlimaNEU - Strategien zum Klimawandel<br />
<strong>für</strong> den Landkreis Neumarkt i.d.OPf. Raumplanerische Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> <strong>Regional</strong>entwicklung, URL: http://www.klimamoro.de/ [Stand: 2012-03-01].<br />
KLIWA, 2010, Klimaveränderung <strong>und</strong> Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wasserwirtschaft, KLIWA-Berichte, URL:<br />
http://www.kliwa.de/ [Stand 2010-10-10].<br />
MKRO, Ministerkonferenz <strong>für</strong> Raumordnung, 2009, Raumordnung <strong>und</strong> Klimawandel, Beschluss vom<br />
10. Juni 2009, Berlin, URL: http://www.bmvbs.de/ [Stand 2009-10-22].<br />
MKRO, Ministerkonferenz <strong>für</strong> Raumordnung, 2010, Räumliche Konsequenzen des Klimawandels,<br />
Beschluss vom 19. Mai 2010, Berlin, URL: http://www.bmvbs.de/ [Stand 2010-05-19].<br />
OBB, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, 2011, R<strong>und</strong>schreiben Freiflächen-Photovoltaikanlagen<br />
vom 14.01.2011, München.<br />
Verband der Landwirtschaftskammern (Hrsg.), 2010, Klimawandel <strong>und</strong> Landwirtschaft. Anpassungsstrategien<br />
im Bereich Pflanzenbau, Berlin.<br />
71
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>Regional</strong>klimakarten <strong>und</strong> ihre Nutzung <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnahmen<br />
Lutz Katzschner / Sebastian Kupski<br />
1. Einleitung<br />
Eine Klimafunktionskarte (KFK) stellt ein klimaökologisches Gutachten dar, welches <strong>für</strong> eine bestimmte<br />
geografische Verortung angefertigt wird. Hauptsächlich werden <strong>die</strong>se Gutachten <strong>für</strong> Ballungsräume<br />
<strong>und</strong> größere Städte erstellt. Gr<strong>und</strong>lage ist stets <strong>die</strong> Analyse der Ist-Situation, <strong>als</strong>o eine möglichst präzise<br />
Abbildung der realen Klimafunktionen im Untersuchungsraum. Für <strong>die</strong>se komplexe Aufgabe ist<br />
eine entsprechende Datenbasis Gr<strong>und</strong>voraussetzung. Aus klimaökologischen Gesichtspunkten sind<br />
Faktoren wie Höheninformationen <strong>und</strong> Fließgewässer ein erster Anhaltspunkt, um <strong>die</strong> natürlichen<br />
Bedingungen abzubilden. Analog hierzu spielen natürlich <strong>die</strong> anthropogenen Einflüsse eine entscheidende<br />
Rolle. Gerade in den Städten hat <strong>die</strong> vom Menschen verursachte Veränderung der Erdoberfläche<br />
den größten <strong>und</strong> in den meisten Fällen auch negativen Einfluss. Deshalb werden ebenso Daten<br />
bezüglich der Flächennutzung <strong>und</strong> Gebäudeinformationen benötigt. Je detaillierter <strong>die</strong> Eingangsdaten<br />
vorliegen, umso präziser <strong>und</strong> kleinteiliger können <strong>die</strong> Analysen ausfallen.<br />
Neben <strong>die</strong>sen Geoinformationen ist das Wissen bezüglich klimarelevanter Parameter ebenso von<br />
Bedeutung. Besonders <strong>die</strong> Belüftung eines verdichteten Stadtgebietes, der eine sehr hohe positive<br />
Wirkung nachweisbar ist, hängt von der Lage in Bezug auf das regionale Zirkulationssystem ab. Aber<br />
auch lokale <strong>und</strong> kleinräumige Zirkulationen entwickeln sich durch physikalische Prozesse <strong>und</strong> können<br />
im Rahmen einer Klimafunktionskarte berechnet werden. Hier ist allerdings ein Messdatensatz <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Kalibrierung der Ergebnisse notwendig. Neben kontinuierlichen, stationären Messungen sollten auch<br />
mobile Messkampagnen bei entsprechenden Wetterlagen durchgeführt werden, <strong>die</strong> eine vergleichsweise<br />
hohe räumliche Auflösung haben. Weitere Klimaparameter lassen sich durch <strong>die</strong> geografische<br />
Lage des Untersuchungsraumes ableiten.<br />
Im Rahmen des Forschungsprojektes KLIMZUG Nordhessen sollte <strong>die</strong> skizzierte Methodik weiterentwickelt<br />
werden, um sie auf eine Region anwenden zu können. Nach einer Erprobungsphase mit der<br />
dazugehörigen Ergebniskontrolle am Beispiel der Klimafunktionskarte Zweckverband Raum Kassel<br />
2009 (ZRK 2010), konnten <strong>die</strong> Berechnungen mit einer geringfügig erweiterten Methodik durchgeführt<br />
werden. Ergebnis ist eine Darstellung der Klimafunktionen, <strong>die</strong> durch eine weitere Berechnung auch<br />
den Trend des prognostizierten Klimawandels abbilden kann.<br />
2. Methodik zur Erstellung von Klimafunktionskarten<br />
Bei der Verknüpfung verschiedenster Sachinformationen ist <strong>die</strong> Gewichtung bzw. <strong>die</strong> Einflussnahme<br />
der einzelnen Faktoren von sehr großer Bedeutung. Da <strong>die</strong>se Faktoren aus klimatischen Gründen von<br />
Untersuchungsraum zu Untersuchungsraum unterschiedlich sind, besteht derzeit noch kein automatisiertes<br />
System zur Erstellung einer Klimafunktionskarte (Lohmeyer, 2008). Diesbezüglich können nur<br />
systematische Vorgehensweisen von Fallbeispielen herangezogen werden, da <strong>die</strong> klimatische Einordnung<br />
in den jeweiligen übergeordneten Kontext stets an das Gebiet angepasst werden muss.<br />
Klimatische Rahmenbedingungen sind sehr heterogen, was durch <strong>die</strong> geografische Lage, der absoluten<br />
Höhen über dem Meeresspiegel des Untersuchungsgebietes oder durch eine kontinentale oder<br />
maritime Beeinflussung verursacht wird. Neben <strong>die</strong>sen übergeordneten Faktoren gibt es eine Vielzahl<br />
72
KLIMZUG-Workingpaper<br />
kleinräumiger Einflüsse. Auf einer kleineren Skala können unterschiedliche Effekte, wie Binnenseen<br />
oder Tallagen, <strong>die</strong> örtlichen klimatischen Verhältnisse stark prägen. Somit ist eine vorgeschaltete klimatische<br />
Einschätzung unumgänglich, wobei entsprechend ein größerer Ausschnitt <strong>als</strong> der abgegrenzte<br />
Untersuchungsraum zu betrachten ist.<br />
Nordhessen liegt in einer gemäßigten Klimazone <strong>und</strong> wird in der Regel von den deutschen Mittelgebirgen<br />
geprägt. Somit ist <strong>die</strong> vorherrschende Windrichtung Westen (HLUG 1999). Die Besonderheit im<br />
Untersuchungsraum ist eine ausgeprägte Gebirgslandschaft mit vielen Höhenzügen <strong>und</strong> Flusstälern.<br />
Das verwendete Datenmaterial <strong>für</strong> <strong>die</strong> Berechnungen beinhaltet topografische Karten, ein digitales<br />
Geländemodell (DGM), <strong>die</strong> Flächennutzungen, verschiedene Luftbilder <strong>und</strong> Thermalbefliegungen,<br />
klimaökologische Stu<strong>die</strong>n, sowohl kontinuierliche Messstationsdaten <strong>als</strong> auch räumlich hoch aufgelöste<br />
Messkampagnen. Aus der Vielzahl der Eingangsdaten werden unterschiedliche Themenkarten<br />
generiert, welche in einem darauffolgenden Schritt durch verschiede Geo-Analyse-Prozesse in unterschiedlichen<br />
Gewichtungen miteinander verschnitten werden (siehe Abbildung 1). Bei allen Berechnungen<br />
kam das Programm ArcGIS Desktop Version 9.3.1 der Firma ESRI mit den Erweiterungen<br />
SpatialAnalyst <strong>und</strong> 3DAnalyst zum Einsatz.<br />
Abbildung 1: Schematisches Anwendungsbeispiel der Gruppierung unterschiedlicher Themenkarten<br />
in <strong>die</strong> klimatischen Komponenten Dynamik <strong>und</strong> Thermik mit anschließendem Ergebnisbeispiel<br />
Eigene Darstellung<br />
Nach der Gruppierung der Themenkarten in <strong>die</strong> beiden klimatischen Komponenten Dynamik <strong>und</strong><br />
Thermik, <strong>die</strong> beide unterschiedlichen Einfluss auf <strong>die</strong> Ebenen des <strong>Regional</strong>klimas haben, wird durch<br />
geeignete Funktionen <strong>und</strong> anschließende Generalisierungen das Produkt in Form der Klimafunktionskarte<br />
aggregiert – in <strong>die</strong>sem Beispiel <strong>als</strong> farbig unterschiedene Klimatopsausweisung.<br />
73
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Die dynamische Komponente beinhaltet <strong>die</strong> Luftbewegungen <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> Frischluft- <strong>und</strong> Kaltluftabflüsse,<br />
<strong>die</strong> physikalisch bedingt auch ohne Antrieb der regionalen Strömungsbedingung entstehen,<br />
<strong>und</strong> der Hauptwindrichtung, <strong>die</strong> bei entsprechenden Wetterlagen <strong>die</strong> Zirkulation bestimmt. Eine zusätzliche,<br />
entscheidende Themenkarte der Dynamik ist <strong>die</strong> Einflussnahme der Hangwinde. Diese<br />
Strömungen entstehen durch das Berg-Tal-Wind-System, das tagesperiodisch auftritt <strong>und</strong> gerade bei<br />
einem ausgeprägten Relief an Mächtigkeit gewinnen kann (Häckel, 1985). Die entsprechende Themenkarte<br />
wurde auf Gr<strong>und</strong>lage des DGM <strong>und</strong> der Strömungsmessdaten angefertigt. Weitere Kriterien<br />
wie Rauhigkeitslängen der Erdoberfläche wurden ebenfalls in <strong>die</strong>se Rechenschritte integriert, um das<br />
Belüftungssystem realgetreu darzustellen <strong>und</strong> <strong>die</strong> tatsächlichen Wirkungsgrade mit Hilfe der Messdaten<br />
zu kalibrieren.<br />
Das klimatische Wechselspiel setzt sich neben der Belüftungssituation zusätzlich noch aus der thermischen<br />
Eigenschaft der Erdoberfläche zusammen. Da <strong>die</strong>se Komponente <strong>die</strong> Basis darstellt <strong>und</strong><br />
dementsprechend flächendeckend kartiert sein muss, wurde <strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>die</strong> aktuelle Flächennutzungskartierung<br />
verwendet, um eine Kategorisierung vorab vornehmen zu können. Dieser detaillierte<br />
Eingangsdatensatz wird mit weiteren Themenkarten ergänzt, wobei der Oberflächenversiegelungsgrad<br />
Aufschluss über <strong>die</strong> Wärmespeicherkapazität gibt, <strong>und</strong> Freiflächen mit niedriger Oberflächenrauhigkeit<br />
Kaltluftentstehungsflächen darstellen. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang ist <strong>die</strong> Albedo der Oberfläche<br />
eine zentrale Größe, da unterschiedliche Reflexions- <strong>und</strong> Absorptionsverhalten maßgeblich den Wärmehaushalt<br />
der städtischen Grenzschicht bestimmen (Oke, 2006). In <strong>die</strong>sen Themenfeld ist der Effekt<br />
der Wärmeinsel Stadt besonders gut erkennbar, denn durch <strong>die</strong> Erwärmung der künstlichen Baumaterialien,<br />
gekoppelt mit der hohen Wärmespeicherleistung <strong>und</strong> der langsamen Abkühlrate, werden gerade<br />
in den Nachtst<strong>und</strong>en höhere Lufttemperaturen <strong>als</strong> im unbebauten Umland verursacht (Hupfer/Kuttler,<br />
2006; Baumüller, 1993 et al.).<br />
Aufgr<strong>und</strong> der zum Teil sehr genauen Themenkarten entstehen durch <strong>die</strong> GIS-Berechnungen kleinräumige<br />
Ergebnisse, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Maßstab allerdings nicht aussagekräftig sind <strong>und</strong> zu Fehlinterpretationen<br />
führen können. Deshalb werden Nachbarschaftsanalysen mit unterschiedlichen Kriterien angeschlossen<br />
um Klimatope abzubilden, <strong>die</strong> auf einem regionalklimatischen Maßstab abgestimmt sind<br />
<strong>und</strong> eine Genauigkeit von ca. 1:100.000 bis 1:400.000 aufweisen. Analog zu <strong>die</strong>ser Generalisierung<br />
werden <strong>die</strong> ermittelten Werte in sieben Klimatopstypen kategorisiert, um eine übersichtliche <strong>und</strong> aussagekräftige<br />
Klassifizierung bereitzustellen. Das Ergebnis der Analyse ist eine Klimafunktionskarte der<br />
Region Nordhessen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> klimatischen Verhältnisse in der bodennahen Atmosphärenschicht darstellt.<br />
In Abbildung 2 ist das Produkt dargestellt, welches <strong>die</strong> unterschiedlichen Klimatope durch <strong>die</strong><br />
Farbgebung illustriert <strong>und</strong> das Belüftungssystem über <strong>die</strong> Schraffuren mit Pfeilsymbolen in einer zweiten<br />
Ebene hervorhebt.<br />
Legende<br />
Die Legende der Klimafunktionskarte (thermische Analyse) ist aufgr<strong>und</strong> der eindeutigen Farbgebung<br />
sehr leicht deko<strong>die</strong>rbar <strong>und</strong> beinhaltet neben der Bezeichnung der Klimatope eine Beschreibung deren<br />
Eigenschaften. Sie ist unterteilt in klimaökologische Potenzialbereiche <strong>und</strong> klimaökologische Defizitbereiche.<br />
Außerdem ist <strong>die</strong> Ebene der Luftleitbahnen bei dem fertigen Produkt dargestellt, obwohl<br />
<strong>die</strong> klimatischen Wirkungen schon in der Klimatopanalyse mit eingegangen sind. Dies <strong>die</strong>nt lediglich<br />
einer besseren Orientierung <strong>und</strong> zur Verständigung über Wirkzusammenhänge. Eine Erklärung befindet<br />
sich in Tabelle 1.<br />
74
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 2: Klimafunktionskarte Nordhessen<br />
Quelle: Universität Kassel 2011<br />
Tabelle 1: Beschreibung der Klimatope der KFK Nordhessen<br />
Klimatop Beschreibung<br />
Naturklima Höhenlagen<br />
(Klimaökologischer Potentialbereich)<br />
Naturklima Wald<br />
(Klimaökologischer Potentialbereich)<br />
Naturklima Freiland<br />
(Klimaäkologischer Potentialbereich)<br />
Misch- /Übergangsklima<br />
(Klimaökologischer Konfliktbereich)<br />
Überwärmungstendenzen<br />
(Klimaökologischer Defizitbereich)<br />
Moderate Überwärmung<br />
(Klimaökologischer Defizitbereich)<br />
Starke Überwärmung<br />
(Klimaökologischer Defizitbereich)<br />
Luftleitbahnen<br />
Quelle: Universität Kassel 2011<br />
� Frisch- <strong>und</strong> Kaltluftentstehungsgebiet,<br />
� Höhenlagen, Kuppen mit deutlicher Überhöhung zum restlichen Untersuchungsgebiet,<br />
� aufgr<strong>und</strong> der Höhe eine Reduzierung der Lufttemperatur durch adiabatische Veränderung,<br />
� exponierte Bereiche <strong>für</strong> Wind <strong>und</strong> Niederschlag,<br />
� fern ab von Emissionsquellen.<br />
� Hauptsächlich Frischluftentstehungsgebiete,<br />
� tendenziell hochgelegene Flächen, <strong>die</strong> durch Vegetation <strong>und</strong>/oder Hangneigung ausgezeichnet<br />
sind <strong>und</strong> somit zu einer reduzierten Lufttemperatur gegenüber dem regionalen Durchschnitt<br />
führen,<br />
� keine dauerhaften Emissionsquellen.<br />
� Kaltluftenstehungsgebiete mit direkter Ausgleichswirkung auf Ungunsträume,<br />
� Naturbereiche, <strong>die</strong> günstige thermische Eigenschaften besitzen, z.T. auch siedlungsnah,<br />
� geringe Emissionen <strong>und</strong> hoher Freiflächenanteil.<br />
� Pufferzonen zwischen Defizit- <strong>und</strong> Potentialbereichen,<br />
� durchaus mit Bebauung <strong>und</strong> sonstigen Nutzungen belegt aber überdurchschnittlich positive<br />
Parameter wie Hangneigung, geringe Versiegelung <strong>und</strong>/oder Freiflächennähe.<br />
� Stadtrandklima, Überwärmungsgebiete,<br />
� baulich geprägte Flächen mit hohem Vegetationsanteil <strong>und</strong>/oder geeignete topografische Lage,<br />
� Emissionen durch Verkehr, Industrie <strong>und</strong> Hausbrand möglich.<br />
� Städtisches Überwärmungsgebiet,<br />
� hauptsächlich stark verdichtete Räume, <strong>die</strong> eine ungünstige topographische Lage <strong>und</strong> dadurch<br />
verb<strong>und</strong>ene ungünstige Belüftungssituationen verursachen,<br />
� Anreicherung von Luftschadstoffen.<br />
� Innerstädtisches Überwärmungsgebiet,<br />
� sehr hohe bauliche Dichte einer Großstadt (Kassel),<br />
� hohes Bauvolumen, nahezu keine Vegetation,<br />
� sehr reduzierte Belüftung <strong>und</strong> zusätzlich hohe Emissionswerte.<br />
� Teil des topografisch bedingten Belüftungs- <strong>und</strong> Zirkulationssystem,<br />
� wesentlicher Faktor <strong>für</strong> <strong>die</strong> bioklimatischen Verhältnisse <strong>und</strong> Lufthygiene.<br />
75
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Klimafunktionskarten <strong>als</strong> Hilfsmittel, um zukünftige Entwicklungen darzustellen<br />
Neben der Darstellung der aktuellen klimatischen Verhältnisse können darauf aufbauend auch Prognosen<br />
über zukünftige Veränderungen modelliert werden. So können klimatische Veränderungen,<br />
verursacht durch den globalen Klimawandel, skizziert werden. Hierzu wird <strong>die</strong> Klimafunktionskarte mit<br />
den analysierten Klimatopeigenschaften um prognostizierte Klimatrends der aktuellen Projektionen<br />
erweitert.<br />
Gr<strong>und</strong>lage der regionalen Klimaprojektionen sind <strong>die</strong> globalen Simulationen der ECHAM5 Reihe (A1b<br />
Szenario), <strong>die</strong> durch das dynamische <strong>Regional</strong>isierungsmodell CLM <strong>und</strong> das statistische Modell<br />
WETTREG2010 verfeinert wurden. Diese großräumigen Mittelungsdaten wurden anschließend analysiert<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> relevanten Parameter mit den Klimatopkategorien verschnitten.<br />
Die Hauptannahme der zukünftigen klimatischen Ereignisse ist eine Zunahme an austauscharmen<br />
Hochdruckwetterlagen. Daraus ergeben sich eine Zunahme der jährlichen Einstrahlungssumme sowie<br />
länger andauernde Strahlungsperioden. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang kommt der Albedo der Erdoberfläche<br />
eine höhere Bedeutung zu <strong>und</strong> <strong>die</strong> Klimaveränderung in Form von einer Steigerung der Hitzebelastung<br />
nimmt zu. Ausgehend von <strong>die</strong>ser Annahme wurden den Klimatopen spezifische Attributwerte<br />
zugeordnet, <strong>die</strong> ein realistisches Downscaling der regionalen Projektionen auf einen anwendertauglichen<br />
Maßstab ermöglichen. Ein deutliches Ergebnis ist eine Zunahme in den ohnehin benachteiligten<br />
Gebieten mit einem hohen Anteil künstlicher Baumaterialien, im Gegenzug sind unversiegelte Bereiche<br />
mit Vegetation nicht so stark betroffen. Die Konsequenz ist eine ungleichmäßige Belastungssteigerung<br />
der schon aktuell benachteiligten Stadtgebiete.<br />
Aus Abbildung 3 geht <strong>die</strong> Verschiebung der räumlichen Lage der Wärmeinsel Stadt hervor, wie sie<br />
durch <strong>die</strong> Landnutzungsänderung bzw. <strong>die</strong> Stadtentwicklung (Bildmitte) verursacht wird sowie der<br />
zusätzliche Effekt durch den Klimatrend (rechtes Bild). Bereiche der lokalen nächtlichen Frischluftzufuhr<br />
können ebenfalls dargestellt werden. Ableitend aus Abbildung 3 sind Beschattungsmaßnahmen<br />
nur im westlichen Stadtteil Kassels ohne wesentlichen Luftaustausch sinnvoll, um den Energiegewinn<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Speicherung am Tag zu verhindern, während in den östlichen Stadtteilen <strong>die</strong> Frischluftzufuhr<br />
eine wesentliche nächtliche Abkühlung bewirken kann.<br />
Abbildung 3: Entwicklung der Wärmeinsel Kassel unter Berücksichtigung der Landnutzungsänderung<br />
<strong>und</strong> dem Klimatrend (Farbgebung äquivalent einer 6-stufigen Klimaklassifikation<br />
nach thermischen Gesichtspunkten)<br />
2009 Planungen 2015 Prognose 2030<br />
Eigene Darstellung<br />
76
KLIMZUG-Workingpaper<br />
3. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Auf Basis der Klimafunktionskarten, welche eine detaillierte Kenntnis der mikroklimatischen Bedingungen<br />
im thermischen <strong>und</strong> dynamischen Bereich ermöglichen, ist es möglich <strong>die</strong> Auswirkungen des<br />
Klimawandels auf eine Region abzuschätzen. Aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, dass der Klimawandel weder<br />
linear erfolgt noch räumlich konstant ist, können Maßnahmen an <strong>die</strong> jeweilige Raumstruktur <strong>und</strong> lokale<br />
Lage angepasst werden. Somit ergibt sich eine bessere Differenzierung der Maßnahmen. Generelle<br />
Empfehlungen wie Beschattungsmaßnahmen gegen Hitze oder ein ausreichender Luftaustausch zur<br />
Abpufferung der Luftbelastung oder der innerstädtischen Wärmeinseln sind so gezielter möglich <strong>und</strong><br />
auf <strong>die</strong> lokale Situation bezogen. Die Unsicherheiten der Modellrechnungen aus den globalen Modellen<br />
können ausgeglichen <strong>und</strong> in Handlungsempfehlungen umgesetzt werden.<br />
Literatur<br />
Baumüller, Jürgen / Hoffmann, Ulrich / Reuter, Ulrich, 1998, Städtebauliche Klimafibel – Hinweise <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Bauleitplanung, Wirtschaftschaftsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart.<br />
Häckel, Hans, 1985, Meteorologie, Stuttgart.<br />
Hessische Landesanstalt <strong>für</strong> Umwelt <strong>und</strong> Geologie (Hrsg.), 1999, Umweltatlas Hessen; Wiesbaden.<br />
Höppe, Peter, 1999, The physiological equivalent temperature – A universal index for the biometeorological<br />
assessment of the thermal environment, in: International Journal of Biometeorology, 43,<br />
S.71-75.<br />
Hupfer, Peter / Kuttler, Wilhelm 1998, Witterung <strong>und</strong> Klima B.G.Teubner, Stuttgart<br />
Kreienkamp, Frank / Spekat, Arne / Enke, Wolfgang, 2010, Ergebnisse eines regionalen Szenarienlaufs<br />
<strong>für</strong> Deutschland mit dem statistischen Modell WETTREG2010, Umweltb<strong>und</strong>esamt 2010.<br />
Lohmeyer, Achim, 2008, Klimafunktions- <strong>und</strong> Klimaplanungskarten, Lohmeyer Aktuell, 20/2008,<br />
Karlsruhe.<br />
OKE, Tim, 2006, Bo<strong>und</strong>ary layer climates, Routledge, London, New York.<br />
Universität Kassel, 2011, Klimafunktionskarte Nordhessen, Fachgebiet Umweltmeteorologie, Kassel.<br />
Zweckverband Raum Kassel (ZRK), 2010, Klimafunktionskarte Zweckverband Raum Kassel 2009<br />
mit Zukunftsprognosen, ZRK 2010.<br />
77
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Raumbezogene Planung im Klimawandel – ebenen- <strong>und</strong> sektorübergreifend<br />
Uta Steinhardt / Claudia Henze<br />
1. Einleitung<br />
Die spezifischen <strong>Herausforderung</strong>en zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels in Brandenburg<br />
liegen im Spannungsfeld einer tendenziell zunehmenden Trockenheit in Verbindung mit einer Häufung<br />
von Extremwetterereignissen – insbesondere Starkniederschlägen. „Wasser ohne Ende?“ oder „Am<br />
Ende ohne Wasser?“ ist demnach das Spannungsfeld, in dem sich <strong>die</strong> notwendigen Anpassungsstrategien<br />
bewegen müssen. Diese beschränken sich jedoch nicht allein auf den Landschaftswasserhaushalt<br />
(Konkurrenz um Wasser bei Trockenheit <strong>und</strong> <strong>die</strong> schadlose Wasserabfuhr in niederschlagsreichen<br />
Perioden), sondern sind in Kombination mit einer zunehmenden Flächenkonkurrenz angesichts<br />
eines steigenden Flächenverbrauchs, insbesondere durch Siedlung <strong>und</strong> Verkehr <strong>und</strong> eine eingeschränkte<br />
Flächenverfügbarkeit, zu entwickeln. Hinzu treten <strong>als</strong> flankierende Problemfelder unangepasste<br />
Nutzungsformen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ressource Boden <strong>und</strong> dessen Fruchtbarkeit beeinträchtigen sowie<br />
Nutzungsintensivierungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Biodiversität gefährden.<br />
Dies impliziert <strong>die</strong> Notwendigkeit der Überwindung sektoraler Betrachtungen ebenso wie <strong>die</strong> Sicherung<br />
der Anschlussfähigkeit der erarbeiteten Anpassungsoptionen auf verschiedenen räumlichen<br />
Ebenen. Die <strong>Regional</strong>planung kann dabei den hohen Abstraktionsgrad der Anpassungspolitik des<br />
B<strong>und</strong>es sowie <strong>die</strong> Zielsetzungen der Anpassungsstrategien der Länder mit Blick auf <strong>die</strong> spezifischen<br />
Gegebenheiten der Region konkretisieren <strong>und</strong> dabei <strong>die</strong> Interessen der Kommunen berücksichtigen<br />
<strong>und</strong> in integrativer Weise zusammenführen. Bei allen Unsicherheiten, mit denen <strong>die</strong> Klimaprojektionen<br />
im Detail behaftet sind, ergibt sich <strong>die</strong> Notwendigkeit zur rechtzeitigen Anpassung insbesondere durch<br />
den Erhalt von Handlungsspielräumen durch Flächensicherung <strong>und</strong> multifunktionale Nutzungen. Anschlussstellen<br />
zwischen den verschiedenen Planungshierarchien gemäß dem raumordnerischen Gegenstromprinzip<br />
müssen demnach ebenso identifiziert werden wie Synergien zwischen verschiedenen<br />
Fachplanungen.<br />
In einem gemeinsamen Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsprozess erarbeiten, erproben <strong>und</strong> evaluieren<br />
Wissenschaftler/innen <strong>und</strong> Mitarbeiter/innen von Fachbehörden <strong>und</strong> Verwaltung – gemeinsam mit<br />
Landnutzern im INKA BB Teilprojekt zur Klimaadaptierten <strong>Regional</strong>planung – Planungs- <strong>und</strong> Managementmethoden,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> an der <strong>Regional</strong>planung beteiligten Akteure zur strategischen Anpassung<br />
an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels befähigen <strong>und</strong> <strong>die</strong> flexible Einbindung von entsprechenden Maßnahmen<br />
in das existierende Instrumentarium der Raumplanung sicher stellen können. Dies geschieht<br />
unter anderem exemplarisch in der Planungsregion Uckermark-Barnim <strong>und</strong> auf kommunaler Ebene in<br />
enger Kooperation mit der Gemeinde Panketal am nördlichen Berliner Stadtrand.<br />
2. <strong>Regional</strong>e Systemzusammenhänge<br />
Der Wissenschaftliche Beirat der B<strong>und</strong>esregierung Globale Umweltveränderungen hat bereits 1993<br />
eine spezifische graphische Darstellung <strong>als</strong> methodisches Hilfsmittel zur vernetzten Betrachtungsweise<br />
vorgestellt, in dem sich <strong>die</strong> komplexe, das heißt verflochtene Dynamik des globalen Wandels widerspiegelt<br />
(WBGU, 1993). Diese graphische Darstellung wurde so konzipiert, dass in erster Linie<br />
globale Prozesse abgebildet werden können. Es wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass<br />
78
KLIMZUG-Workingpaper<br />
<strong>die</strong> Methode regionalisiert werden kann, um somit Aussagen auf einer anderen Ebene treffen zu können.<br />
Eine solche geometrische Kennzeichnung von Zusammenhängen erscheint zwar oft verwirrender<br />
<strong>als</strong> eine algebraische (beispielsweise in Matrixform), verdeutlicht aber <strong>die</strong> direkte <strong>und</strong> indirekte Vernetzung<br />
der Systemkomponenten wesentlich besser. Daran anknüpfend wird <strong>für</strong> <strong>die</strong> zu betrachtenden<br />
Planungsregionen Uckermark-Barnim <strong>und</strong> Lausitz-Spreewald ein regionales Wirkungsgefüge mit<br />
Hauptaugenmerk auf der Hydrosphäre erarbeitet. Ziel ist somit <strong>die</strong> Abbildung regionaler Systemzusammenhänge<br />
im Klimawandel mittels eines „wasserzentrierten regionalen Beziehungsgeflechts“<br />
(siehe Abbildung 1) in Analogie zu dem „bodenzentrierten globalen Beziehungsgeflecht“ (WBGU,<br />
1994), dass der WBGU unter erstmaliger Anwendung <strong>die</strong>ses Instruments schuf.<br />
Abbildung 1: <strong>Regional</strong>e Systemzusammenhänge im Klimawandel<br />
Eigene Darstellung in Anlehnung an Arndt et al. 2008<br />
Abbildung 1 gibt einen Überblick über <strong>die</strong> klimawandel-relevanten Zusammenhänge in Brandenburg<br />
<strong>und</strong> fokussiert dabei auf Wassermanagement <strong>und</strong> Naturschutz <strong>als</strong> Querschnittsthemen. Elemente der<br />
Darstellung sind Geokompartimente (Geosphären <strong>als</strong> natürliche Systembestandteile in eckigen Kästen)<br />
<strong>und</strong> Aktivitätsfelder (Landnutzungssektoren in ger<strong>und</strong>eten Kästen) mit ihren jeweiligen Elementen<br />
<strong>und</strong> Funktionen sowie <strong>die</strong> sich zwischen den Elementen <strong>und</strong> Funktionen ausbildenden Zusammenhänge,<br />
<strong>die</strong> bezüglich ihrer Einwirkung (Verstärkung, Abschwächung, unbekannte Nettoeffekte) unterschieden<br />
werden. Diese Art der Darstellung bietet <strong>die</strong> Möglichkeit einer schnellen Übersicht des Wirkungsgefüges<br />
ohne sich in sektorale Abhandlungen zu vertiefen. Wichtige Trends werden schnell<br />
offensichtlich. Zur Untersetzung der den Trends oder Wechselwirkungen zugr<strong>und</strong>e liegenden Phänomene<br />
sind entsprechende Quellen (graphisch) assoziiert. Die Ergebnisse <strong>die</strong>ser empirischphänomenologischen<br />
Systemanalyse <strong>die</strong>nen <strong>als</strong> Gr<strong>und</strong>lage aller weiteren Arbeitsschritte, in denen<br />
geklärt wird, inwiefern einzelne Zusammenhänge/Wechselwirkungen Folgen des Klimawandels ver-<br />
79
KLIMZUG-Workingpaper<br />
schärfen oder mindern, inwiefern sie Konflikte oder Synergien darstellen <strong>und</strong> ob sie eine unmittelbare<br />
bzw. mittelbare Planungsrelevanz aufweisen.<br />
3. Grenzen zwischen Planungshierarchien <strong>und</strong> Fachplanungen überwinden:<br />
Wasserwirtschaft <strong>und</strong> Naturschutz auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler Ebene<br />
Der Flächenverbrauch vor allem durch Siedlungs- <strong>und</strong> Verkehrsflächen in Brandenburg war analog<br />
zur B<strong>und</strong>esrepublik in den letzten Jahren stetig sehr hoch – trotz des in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie<br />
festgesetzten Ziels, den Flächenverbrauch b<strong>und</strong>esweit von derzeit 130 auf 30 Hektar<br />
pro Jahr bis zum Jahr 2020 zu reduzieren. Voraussetzung <strong>für</strong> eine integrierte Wasserwirtschaft auf<br />
regionaler <strong>und</strong> kommunaler Ebene ist jedoch unter anderem eine geeignete Flächenbewirtschaftung<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> da<strong>für</strong> unverzichtbare Flächenverfügbarkeit (Geiger et al., 2010). Die Identifikation von Retentionsräumen<br />
<strong>und</strong> Versickerungspotentialen auf regionaler Ebene sollte vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> in Abstimmung<br />
mit integralen Siedlungswasserbewirtschaftungskonzepten mit Fokus auf eine dezentrale<br />
<strong>und</strong> naturnahe Regenwasserbewirtschaftung durch eine geeignete Kombination von technischen <strong>und</strong><br />
nichttechnischen Lösungen erfolgen.<br />
3.1 Wasserwirtschaft <strong>und</strong> Naturschutz<br />
Werden Gewässer durch Menschen notwendigerweise in Anspruch genommen, so gerät <strong>die</strong>s nicht<br />
selten in Konflikt mit geltenden naturschutzrechtlichen Zielsetzungen <strong>und</strong> Einschränkungen. Die Bohrung<br />
eines Brunnens zur Trinkwassergewinnung, der Bau von Hochwasserschutzanlagen, <strong>die</strong> Nutzung<br />
der Wasserkraft in einem Kleinkraftwerk, <strong>die</strong> Niederbringung von Erdwärmesonden oder auch<br />
<strong>die</strong> Nassauskiesung: Eine Wasserkraftturbine gefährdet den vorhandenen Fischbestand, ein Deich<br />
verändert den Lebensraum einheimischer Arten, eine Gr<strong>und</strong>wasserentnahme verändert Zustand <strong>und</strong><br />
Population des Bodens. Hier konfligiert das Interesse an der Inanspruchnahme eines Gewässers mit<br />
dem Ideal unberührter Natur. Friktionen entstehen demnach immer dann, wenn sich wasserrechtliche<br />
Belange nicht auf den ökologischen Gewässerschutz beschränken <strong>und</strong> damit nicht per se gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
naturgesetzliche Zielsetzungen verfolgen (Reinhardt, 2009).<br />
Vielfach entsteht mit den derzeit in Planung befindlichen Gewässerentwicklungskonzepten zur Umsetzung<br />
der Wasserrahmenrichtlinie ein zusätzlicher Flächenanspruch, etwa durch <strong>die</strong> Mäandrierung von<br />
Gewässerläufen <strong>und</strong> Schaffung von Ersatzauen oder Reaktivierung von Altarmen. Primär auf <strong>die</strong> Verbesserung<br />
des ökologischen Zustandes der Gewässer ausgerichtet, lassen sich in <strong>die</strong>sen Vorhaben<br />
vielfältige Schnittstellen zu Konzepten <strong>für</strong> eine integrative Siedlungswasserwirtschaft, insbesondere<br />
der Niederschlagswasserbewirtschaftung identifizieren.<br />
Abbildung 2: Rechtlicher Rahmen <strong>und</strong> potentielle Instrumente <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erschließung von Synergien<br />
zwischen Gewässerplanung <strong>und</strong> Landschaftsentwicklung<br />
Quelle: Schmidt, 2009, S. 2 <strong>und</strong> 4<br />
80
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Aber Synergieeffekte zwischen Wasserwirtschaft <strong>und</strong> Naturschutz können weit darüber hinaus reichen,<br />
wenn beispielsweise Folgen des Klimawandels in <strong>die</strong> Bewirtschaftung der Gewässer mit einbezogen<br />
werden: Die im Rahmen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie zyklisch <strong>und</strong> adaptiv angelegte<br />
Bewirtschaftungsplanung auf Einzugs- <strong>und</strong> Subeinzugsgebietsebene ist ein zentrales <strong>und</strong> übergreifendes<br />
Instrument der Anpassung an Qualitätsveränderungen wie Quantitätsfragen (siehe Abbildung<br />
2).<br />
Dies gilt beispielsweise auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Einbindung der Belange der Regenwasserbewirtschaftung innerhalb<br />
von Siedlungsgebieten in <strong>die</strong> naturschutzfachliche Planung – beispielsweise durch <strong>die</strong> Nutzung<br />
von Niederschlagswasser zur Stützung des Wasserhaushaltes von Feuchtgebieten. Wird Niederschlagswasserbewirtschaftung<br />
im Siedlungsbereich konsequent prioritär durch Versickerung <strong>und</strong><br />
Rückhalt in Kombination mit nicht vermeidbarer Ableitung realisiert, ist <strong>die</strong>se Verbindung von technischen<br />
<strong>und</strong> nicht-technischen Lösungen eine zielführende Strategie zur Anpassung der Siedlungswasserwirtschaft.<br />
Dabei sollten allgemeine Gr<strong>und</strong>sätze wie der eines weitmöglichen Erhalts des natürlichen Wasserkreislaufes<br />
ebenso Berücksichtigung finden wie <strong>die</strong> Erlebbarkeit des Wassers in Siedlungszusammenhängen.<br />
Zudem könnte eine multifunktionale Flächennutzung in Siedlungsräumen unkontrollierte<br />
Überschwemmungen verhindern, indem Freiflächen mit diversen Hauptnutzungen bei Starkregenereignissen<br />
(das heißt im Ausnahmefall) gezielt geflutet <strong>und</strong> damit <strong>als</strong> Niederschlagsretentionsraum<br />
genutzt werden. Dadurch kann das Überflutungsrisiko an Orten mit hohem Schadenspotential verringert<br />
werden (Benden/Vallée, 2010). In Neubaugebieten sind flächensparende Bebauungs- <strong>und</strong> Erschließungsformen<br />
zu entwickeln <strong>und</strong> zu realisieren <strong>und</strong> befestigte (teil-)versiegelte Flächen bei Neuerschließung<br />
unbedingt zu vermeiden. Bei Maßnahmen im Bestandsgebiet dagegen sind befestigte<br />
(teil-)versiegelte Flächen bei Sanierung zu vermeiden <strong>und</strong> Flächenentsiegelung bei Erneuerungsmaßnahmen<br />
zu realisieren.<br />
Integrative Niederschlagswasserkonzepte <strong>die</strong>ser Art, <strong>die</strong> sowohl dem Prinzip der Entsorgungssicherheit<br />
folgen, gleichzeitig aber auch den Wasserrückhalt in der Landschaft unterstützen, ermöglichen<br />
eine synergistische Verknüpfung der unterschiedlichen Flächennutzungsansprüche. So können Retentionsflächen<br />
dem Regenrückhalt <strong>die</strong>nen – in Regenrückhaltebecken gespeichertes Niederschlagswasser<br />
<strong>die</strong>nt der Vermeidung negativer Folgen von Überschwemmungen (etwa Abdrift von Fauna),<br />
wenn das überschüssige Wasser verzögert dem Vorfluter zugeführt wird. Andererseits kann es zur<br />
Aufhöhung bei Niedrigwasserführung des Gewässers genutzt werden <strong>und</strong> einer Verschlechterung der<br />
Gewässergüte entgegenwirken (Geiger et al., 2010).<br />
Um dem Anspruch gerecht zu werden, durch <strong>die</strong> Rückhaltung von Niederschlagswasser hohe <strong>und</strong><br />
schnelle Abflüsse in <strong>die</strong> Kanalisation, Hochwassergefahren <strong>und</strong> Gewässerbelastungen zu vermeiden,<br />
ist <strong>die</strong> Förderung der Errichtung von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser durch Kommunen<br />
oder Länder empfehlenswert. Das Rahmenprogramm „Ökologische Regenwasserbewirtschaftung“<br />
des Landes Bremen kann da<strong>für</strong> <strong>als</strong> Beispiel angeführt werden (Bremer Umwelt Beratung 2011).<br />
Zudem ist eine Einbindung von Versickerungsleistungen in <strong>die</strong> Eingriffs- <strong>und</strong> Ausgleichsregelung anzustreben.<br />
3.2 Wasserbezogene Planung auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler Ebene<br />
Angesichts einer zunehmenden Sommertrockenheit in Nordostbrandenburg <strong>und</strong> einer Umverteilung<br />
der Niederschläge vom Sommer in den Winter gekoppelt mit lokalen Überlastungen der Entwässerungssysteme<br />
durch Siedlungsdruck im Berliner Verdichtungsraum <strong>und</strong> bei Starkregenereignissen<br />
sowie Niedrigwassersituationen <strong>und</strong> Trockenfallen von Gewässern bzw. Gewässerabschnitten ist eine<br />
planerische Sicherung von Retentionsflächen unverzichtbar. Diese fehlt jedoch ebenso wie eine Ab-<br />
81
KLIMZUG-Workingpaper<br />
stimmung zwischen den verschiedenen Planungsebenen <strong>und</strong> Fachplanungen. Vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong><br />
gilt es, Konzepte <strong>und</strong> planerische Instrumente <strong>für</strong> eine raumbezogene <strong>und</strong> adaptive wassersensible<br />
Strategie im Klimawandel zu entwickeln, <strong>die</strong> einer abgestimmten planerischen Sicherung geeigneter<br />
Retentionsflächen (kommunal <strong>und</strong> regional) <strong>die</strong>nen.<br />
Für <strong>die</strong> kommunale <strong>und</strong> regionale Ebene in INKA BB (Gemeinde Panketal, Planungsregion Uckermark-Barnim)<br />
wurde eine gemeinsame methodische Vorgehensweise zur GIS-gestützten Ermittlung<br />
potentieller Retentionflächen (siehe Abbildung 3) auf Gr<strong>und</strong>lage des digitalen Geländemodells (DGM)<br />
erarbeitet, <strong>die</strong> <strong>die</strong> nachfolgenden Kriterien berücksichtigt:<br />
� Lage der Flächen in Korrespondenz mit theoretischen Retentionskategorien nach Kühn et al.<br />
2004,<br />
� Gr<strong>und</strong>wasserflurabstand > 1 Meter,<br />
� Abgleich der auf regionaler <strong>und</strong> kommunaler Ebene identifizierten Flächen unter Beachtung<br />
des Gegenstromprinzips der Raumordnung <strong>und</strong><br />
� abgestimmte Flächensicherung zur Anpassung an den Klimawandel.<br />
Abbildung 3: GIS-gestützte Ermittlung potentieller Retentionsflächen auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler<br />
Ebene<br />
Quelle: Stephani-Pessel et al., 2012<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise lassen sich geeignete Retentionsflächen übereinstimmend auf kommunaler wie regionaler<br />
Ebene identifizieren; <strong>die</strong> GIS-gestützte Analyse erweist sich <strong>als</strong> eine hier<strong>für</strong> geeignete Methodik.<br />
Unverzichtbar sind jedoch nähere Betrachtungen der Abfluss- <strong>und</strong> Infiltrationsgeschwindigkeit der<br />
Einzugsgebiete der Senken zur Vali<strong>die</strong>rung der Ergebnisse auf regionaler Ebene.<br />
Dem Maßstab der <strong>Regional</strong>planung von 1:100.000 geschuldet ist <strong>die</strong> Identifikation großer <strong>und</strong> möglichst<br />
zusammenhängender Suchräume <strong>für</strong> <strong>die</strong> Flächensicherung auf regionaler Ebene. Diesem Anspruch<br />
folgt <strong>die</strong> Berechnung der Dichte der Senken aus dem DGM 25 mittels Moving-Windows-<br />
Technologie, in deren Ergebnis wenige, da<strong>für</strong> größere Flächen zur Ausweisung <strong>als</strong> Vorrang- oder<br />
Vorbehaltsgebiete identifiziert werden können. Hier sind auch <strong>die</strong> zuvor (vgl. Abschnitt 3.1.) erwähnten<br />
Synergien mit Ausweisungen anderer Fachplanungen (zum Beispiel Naturschutz) zu finden. Wird <strong>die</strong><br />
Identifikation von Retentionsräumen im nächsten Arbeitsschritt gekoppelt mit der Berechnung der<br />
Abfluss- <strong>und</strong> Infiltrationsgeschwindigkeiten, wird eine quantifizierte Betrachtung möglich.<br />
Auf kommunaler Ebene, <strong>als</strong>o der Ebene der Flächennutzungs- <strong>und</strong> Bauleitplanung, <strong>die</strong> im Maßstab<br />
1:25.000 <strong>und</strong> größer realisiert wird, ist eine Identifikation von Flächen mit höherer räumlicher Auflösung<br />
<strong>und</strong> (bei Verfügbarkeit entsprechender Daten) größerer sachlicher Gliederungstiefe möglich. Die<br />
Suchräume sind entsprechend klein <strong>und</strong> flächenscharf <strong>und</strong> ermöglichen <strong>die</strong> Erarbeitung von Steckbriefen<br />
mit konkretem Flächenbezug <strong>für</strong> Flächen größer 1000 m². Werden <strong>die</strong>se mit Akteuren vor Ort<br />
– Fachverwaltungen der Gemeinde, Wasser- <strong>und</strong> Bodenverband (WBV) <strong>und</strong> Untere Wasserbehörde –<br />
abgestimmt, führt <strong>die</strong>se Herangehensweise zu deutlich mehreren <strong>und</strong> kleineren Flächen im Vergleich<br />
82
KLIMZUG-Workingpaper<br />
zur regionalen Ebene. Die Vali<strong>die</strong>rung vor Ort unter Einbeziehung der zuvor genannten Stakeholder<br />
erlaubt Aussagen mit höherem Vertrauensintervall <strong>und</strong> bietet zudem Synergien mit anderen wasserwirtschaftlichen<br />
Maßnahmen wie beispielsweise der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie über das<br />
Gewässerentwicklungskonzept (GEK) Panke. Auf <strong>die</strong>sem Weg gelingt es, an andere Arbeiten im Bereich<br />
siedlungswasserwirtschaftlicher Anpassungsmaßnahmen anzuknüpfen (siehe Abbildung 4),<br />
jedoch durch <strong>die</strong> primäre Berücksichtigung naturräumlicher Potentiale <strong>die</strong> Limits technischer Lösungen<br />
zu überwinden.<br />
Abbildung 4: Übersicht über siedlungswasserwirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen an veränderte<br />
Klimaverhältnisse bei Wasserüberangebot (links) <strong>und</strong> Wassermangel (rechts)<br />
Quelle: Mack et. al., 2012, S. 2<br />
4. Vom Flächenmanagement zum Landnutzungsmanagement<br />
Die im Rahmen des Verb<strong>und</strong>projektes INKA BB bisher erworbenen Erfahrungen decken sich mit denen<br />
anderer Wissenschaftler <strong>und</strong> Praktiker (unter anderem Fröhlich et al., 2011, Galler et al., 2011):<br />
Der Informationsfluss zwischen Kommunen, <strong>Regional</strong>planung <strong>und</strong> Genehmigungsbehörden ist unzureichend<br />
<strong>und</strong> tritt oft in Kombination mit einer unzureichenden (digitalen) Geodatenlage auf. Als zentrales<br />
Element der Bewusstseinsbildung von Akteuren <strong>und</strong> Entscheidungsträgern auf kommunaler <strong>und</strong><br />
regionaler Ebene <strong>die</strong>nen qualifizierte Übersichten über Flächenpotentiale (hier: Retentionspotentiale,<br />
Entsiegelungspotenziale), denn <strong>die</strong>se Flächenübersichten <strong>und</strong> deren graphische Aufarbeitung erzielen<br />
nicht selten einen „Aha-Effekt“.<br />
Aktivitäten zum Flächenmanagement finden bisher vorrangig bezogen auf Siedlungsentwicklung oder<br />
bauliche Aktivitäten statt. Diese gilt es auszuweiten in Richtung einer Analyse der komplexen räumlichen<br />
Ursache-Wirkung-Zusammenhänge (etwa Stadt-Umland-Beziehungen: Metropole Berlin –<br />
„Speckgürtel“ – Peripherie), in <strong>die</strong> alle relevanten Landnutzungssysteme (insbesondere Land- <strong>und</strong><br />
Forstwirtschaft, Tourismus, Energieerzeugung) mit ihren differenzierten Steuerungssystemen einer<br />
integrativen Betrachtung zugeführt werden. Erforderlich ist in Zeiten des Klimawandels insbesondere<br />
ein Paradigmenwechsel bezogen auf <strong>die</strong> Gewässerunterhaltung <strong>und</strong> zwar weg vom Gewässer <strong>und</strong> hin<br />
zum Wasser in der Landschaft (Stornowski, 2011). Dabei gilt es, <strong>die</strong> Vielzahl der Steuerungsmöglichkeiten<br />
in der räumlichen Planung zu nutzen <strong>und</strong> organisatorische Veränderungen (beispielsweise<br />
Flächenbörsen, interkommunale Abstimmung) mit der Beeinflussung von Verhaltensweisen (zum Beispiel<br />
Beratung von Gr<strong>und</strong>stückseigentümern) zu kombinieren. Es gilt, <strong>die</strong> bisherige Fixierung auf<br />
rechtlich-planerische Instrumente aufzubrechen <strong>und</strong> auch ökonomische sowie kommunikative Ansätze<br />
83
KLIMZUG-Workingpaper<br />
weiterzuentwickeln, so dass <strong>die</strong> Gesamtheit der strategisch-instrumentellen Ansätze zur Anwendung<br />
kommt. In der Praxis sind <strong>die</strong> Weiterentwicklung bestehender Instrumente sowie kommunikative <strong>und</strong><br />
kooperative Ansätze akzeptiert. Jedoch muss <strong>die</strong> Frage erlaubt sein, ob <strong>die</strong>se tatsächlich ausreichen,<br />
um bei harten Nutzungskonflikten zu langfristig tragfähigen Lösungen zu gelangen. Die (vermeintlich)<br />
effektivsten Instrumente bieten wohl ökonomische Anreizlösungen, wie sie mit Niederschlagswassersatzungen<br />
auf kommunaler Ebene geschaffen werden.<br />
5. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Nur ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Raumplanung, Wasserwirtschaft <strong>und</strong> anderen Fachplanungen<br />
wird bei allen aktuellen Bemühungen um Anpassung an <strong>die</strong> unvermeidbaren Folgen des Klimawandels<br />
zu einem dauerhaften Erfolg führen <strong>und</strong> eine Nachhaltigkeit aller (sektoral) entwickelten<br />
Strategien sichern. Unverzichtbare Voraussetzung da<strong>für</strong> sind realitätsgerechte Umweltinformationssysteme,<br />
in denen alle raumrelevanten Umweltdaten konsistent <strong>und</strong> in einer angemessenen Detaillierung<br />
vorgehalten werden <strong>und</strong> austauschbar sind. Die Erfassung <strong>die</strong>ser Daten <strong>und</strong> deren Aus-<br />
/Bewertungsmethoden sind fachübergreifend aufeinander abzustimmen. Akteure der <strong>Regional</strong>planung<br />
können den Anstoß zu einer gemeinsamen Strategieentwicklungen der unterschiedlichen Fachplanung<br />
geben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Prozesse der Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung konstruktiver multifunktionaler Lösungen<br />
auch moderieren, da sie häufig <strong>als</strong> „Unparteiische“ akzeptiert sind <strong>und</strong> zudem überfachlich agieren.<br />
Es scheint wenig erfolgreich den Klimawandel allein zu thematisieren, da zugleich Anpassungen an<br />
andere sich ändernde Rahmenbedingungen (demographischer Wandel, Finanzkrise, EU-Agrarpolitik,<br />
<strong>und</strong> vieles mehr) notwendig werden. Es gilt <strong>als</strong>o, den Klimawandel „mitzudenken“ <strong>und</strong> „mitzuplanen“!<br />
Eine Erweiterung oder Ergänzung des bestehenden Planungsrechtes scheint da<strong>für</strong> nicht erforderlich,<br />
jedoch sind <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esländer aufgefordert, Erweiterungen der Gebietskategorien <strong>und</strong> Planzeichen<br />
aktiv zu erproben (Fahrenkrug et al., 2011). Anpassung an den Klimawandel sollte sich generell stärker<br />
auf <strong>die</strong> Sicherung von Raumfunktionen <strong>und</strong> weniger auf den Erhalt von Raumstrukturen beziehen.<br />
Literatur<br />
Arndt, Torsten / Bloch, Ralf / Steinhardt, Uta, 2008: Wasserzentrierte Strukturanalyse der Planungsregion<br />
Uckermark-Barnim vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Klimawandels, in: Archiv <strong>für</strong> Forstwesen <strong>und</strong><br />
Landschaftsökologie, Heft 42, Berlin/Eberswalde, S. 49-61.<br />
Benden, Jan / Vallée, Dirk, 2010: Städtebauliche Anpassung an Starkregenereignisse durch multifunktionale<br />
Flächennutzung – Beispiele aus den Niederlanden, in: Pinnekamp, J.: Gewässerschutz<br />
– Wasser – Abwasser 220. Tagungsband zur 43. Essener Tagung <strong>für</strong> Wasser- <strong>und</strong> Abfallwirtschaft<br />
– Perspektiven <strong>und</strong> Risiken.<br />
Bremer Umwelt Beratung e.V., 2011: Ökologische Regenwasserbewirtschaftung. URL:<br />
http://www.foerderdatenbank.de [Stand: 2012-03-27].<br />
Fahrenkrug, Katrin /Vallée, Dirk; Diller, Christian, 2011: Handlungsansätze <strong>für</strong> <strong>die</strong> Raumplanung:<br />
Ergebnisse aus den KlimaMORO-Modellvorhaben, URL:<br />
84
KLIMZUG-Workingpaper<br />
http://www.klimamoro.de/fileadmin/Dateien/Veranstaltungen/4._KlimaMORO_Konferenz/Pr%C3%A<br />
4sentationen/Pr%C3%A4sentation_Forschungsassistenz.pdf [Stand: 2012-01-31].<br />
Fröhlich, Jannes / Knieling, Jörg / Schaerffer, Mareike / Zimmermann, Thomas, 2011: Instrumente<br />
der regionalen Raumordnung <strong>und</strong> Raumentwicklung zur Anpassung an den Klimawandel, HafenCity<br />
Universität Hamburg. neopolis working papers: urban and regional stu<strong>die</strong>s; no 10,<br />
Galler, Carolin / Müller, Peter / Prinzensing, Gregor / Trautmann, Katlen, 2011: Mehr Raum <strong>für</strong> Wasser!<br />
In: Leibniz-Gemeinschaft (Hrsg.), Zwischenruf. Wasser: Achtung! Klimawandel – Sek<strong>und</strong>äreffekte<br />
auf das Wasser, Berlin, S. 20-24.<br />
Geiger, Bettina / Stephani-Pessel, Heide / Steinhardt, Uta, 2010: Zwischen Trockenheit <strong>und</strong> Überflutung<br />
– Die Notwendigkeit einer raumbezogenen Gesamtstrategie zum Umgang mit den Folgen des<br />
Klimawandels, in: Kaiser, K., Libra, J., Merz, B., Bens, O., Hüttl, R.F. (Hrsg.), 2010, Aktuelle Probleme<br />
im Wasserhaushalt von Nordostdeutschland: Trends, Ursachen, Lösungen. Scientific Technical<br />
Report 10/10, Deutsches GeoForschungsZentrum, Potsdam.<br />
Kühn, Dieter / Bohl, Steffen / Schultz-Sternberg, Rüdiger, 2004: Ausweisung potenzieller Retentionsflächen<br />
auf der Basis der Bodenübersichtskarte 1:300.000 am Beispiel des B<strong>und</strong>eslandes Brandenburg.<br />
Beiträge <strong>für</strong> Forstwirtschaft <strong>und</strong> Landschaftsökologie 38, S. 8-13.<br />
Mack, Alexander / Müller, Karsten / Siekmann, Thomas, 2011: <strong>Klimaanpassung</strong>sstrategien <strong>für</strong> Entwässerungssysteme.<br />
Literatur- <strong>und</strong> Internetrecherche. dynaklim-Publikation Nr.6, Juni 2011.<br />
Reinhardt, Michael, 2009: Zum Verhältnis von Wasserrecht <strong>und</strong> Naturschutzrecht, in: Natur <strong>und</strong><br />
Recht, Jahrgang 31, S. 517-525.<br />
Schmidt, Thomas, 2009: Gewässerplanung <strong>und</strong> Landschaftsentwicklung im Lichte des neuen Wasser-<br />
<strong>und</strong> Naturschutzrechts, URL: http://www.ipu-erfurt.de/download/091112_gewaesserplan.pdf<br />
[Stand: 2012-01-31].<br />
Stephani-Pessel, Heide / Geiger, Bettina / Steinhardt, Uta, 2012: Konzeption wasserwirtschaftlicher<br />
Anpassungsmöglichkeiten an den Klimawandel auf kommunaler <strong>und</strong> regionaler Ebene, in: Wasser<br />
ohne Grenzen. Beiträge zum Tag der Hydrologie am 22./23. März 2012 an der Universität Freiburg.<br />
Stornowski, Karsten, 2011: Anpassung der Landnutzung an den Klimawandel = Verlust von Arbeitsplätzen<br />
in der Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft?,<br />
URL: http://www.irs-net.de/download/aktuelles/Statement-Stornowski.pdf [Stand: 2012-01-31].<br />
WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der B<strong>und</strong>esregierung Globale Umweltveränderungen, 1993: Welt<br />
im Wandel: Gr<strong>und</strong>struktur globaler Mensch-Umwelt-Beziehungen; Jahresgutachten 1993, Bonn,<br />
Economica Verlag.<br />
WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der B<strong>und</strong>esregierung Globale Umweltveränderungen, 1994: Welt<br />
im Wandel: Die Gefährdung der Böden; Jahresgutachten 1994, Bonn, Economica Verlag.<br />
85
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Anpassung an den Küsten: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Planung<br />
Roland Wenk<br />
Küstenschutz <strong>als</strong> Bestandteil der vorpommerschen Raumentwicklungsstrategie –<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Regional</strong>planung<br />
Bastian Schuchardt / Stefan Wittig<br />
Anpassung hat begonnen: Wie <strong>und</strong> weshalb wird der Klimawandel an der deutschen<br />
Nordseeküste bereits berücksichtigt?<br />
Rieke Müncheberg / Fritz Gosselck / Timothy Coppack / Alexander Weidauer<br />
Klimawandel an der Ostsee: Interessenskonflikte zwischen Natur- <strong>und</strong><br />
Küstenschutz bei der Gewinnung mariner Sande<br />
86
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Küstenschutz <strong>als</strong> Bestandteil der vorpommerschen Raumentwicklungsstrategie<br />
– Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Regional</strong>planung<br />
Roland Wenk<br />
1. Einleitung<br />
Der folgende Beitrag zeigt anhand einer Raumentwicklungsstrategie das Zusammenwirken von<br />
Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz zur Anpassung an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels. Die Planungsregion<br />
Vorpommern, im Nordosten der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> an der südlichen Ostsee gelegen,<br />
weist aufgr<strong>und</strong> ihrer küstenmorphologischen Eigenarten eine besondere Empfindlichkeit gegenüber<br />
einem zukünftig schneller ansteigenden Meeresspiegel auf. Die mittelfristig angelegte Raumplanung<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Fachplanungen des Küstenschutzes müssen hier intensiv abgestimmt werden, um nachteilige<br />
Wirkungen auf <strong>die</strong> <strong>Regional</strong>entwicklung zu minimieren.<br />
2. Stand der <strong>Regional</strong>planung in der Planungsregion Vorpommern unter besonderer<br />
Berücksichtigung des Küstenschutzes<br />
Nach der politischen Wende 1989/90 wurde im Jahr 1992 <strong>die</strong> Planungsregion Vorpommern konstituiert<br />
<strong>und</strong> im Landesplanungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern verankert. Der erste verbindliche <strong>Regional</strong>plan,<br />
das <strong>Regional</strong>e Raumordnungsprogramm Vorpommern (RROP VP), stammt aus dem Jahre<br />
1998. Auf einer nicht der Verbindlichkeit unterliegenden Beikarte (Abbildung 1) zeigt <strong>die</strong>ses Programm<br />
in einer kartographischen Darstellung <strong>die</strong> „Hochwassergefährdeten Räume in Vorpommern“.<br />
Über einen informellen Status hinausreichende Instrumente der Raumordnung zur Steuerung der<br />
räumlichen Entwicklung wurden im RROP VP noch nicht eingesetzt. Allerdings verweist der Begründungstext<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> im Abschnitt 10.2.3 verbal dargestellten Erfordernisse der Raumordnung bereits auf<br />
<strong>die</strong> fachplanerische Gr<strong>und</strong>lage des seinerzeit geltenden „Generalplanes Küsten- <strong>und</strong> Hochwasserschutz<br />
des Landes Mecklenburg-Vorpommern“.<br />
Das 2010 <strong>für</strong> verbindlich erklärte <strong>Regional</strong>e Raumentwicklungsprogramm Vorpommern (RREP VP)<br />
geht über <strong>die</strong>se Darstellung deutlich hinaus <strong>und</strong> formt damit <strong>die</strong> in 5.3 (3) Landesraumentwicklungsprogramm<br />
Mecklenburg-Vorpommern (LEP MV) bestimmten Aufgaben der <strong>Regional</strong>planung aus. Das<br />
RREP VP enthält sowohl textlich <strong>als</strong> auch zeichnerisch dargestellte Ziele <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze der Raumordnung,<br />
<strong>die</strong> unmittelbar auf den Küstenschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> räumliche Entwicklung in überflutungsgefährdeten<br />
Bereichen zielen. Der Text enthält im Abschnitt 5.3 ein raumordnerisches Ziel sowie weitere<br />
sechs Gr<strong>und</strong>sätze der Raumordnung. Die sich aus dem Ziel ergebenden Vorranggebiete Küstenschutz<br />
werden in der Begründung einzeln aufgeführt <strong>und</strong> beschrieben. Weiter führt <strong>die</strong> Begründung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Vorbehaltsgebiete Küstenschutz aus:<br />
„Vorbehaltsgebiete Küstenschutz an den Außen- <strong>und</strong> Boddenküsten sowie in den tiefliegenden<br />
Flussmündungsbereichen im Wirkungsraum der Ostsee umfassen <strong>die</strong> Gebiete, <strong>die</strong> nach fachplanerischer<br />
Darstellung des Generalplanes Küsten- <strong>und</strong> Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpommern unterhalb<br />
des jeweiligen Bemessungshochwasserstandes liegen. Diese Gebiete sind, auch bei vorhandenen<br />
<strong>und</strong> funktionstüchtigen Küstenschutzanlagen, durch Sturmfluten potenziell <strong>und</strong> real gefährdet.<br />
Planungen <strong>und</strong> Maßnahmen in <strong>die</strong>sen Gebieten müssen deshalb <strong>die</strong> von möglichen Sturmfluten ausgehenden<br />
Gefahren <strong>für</strong> Leben, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sachwerte in den Planungsprozess einbeziehen <strong>und</strong><br />
entsprechende Lösungen finden.<br />
Dabei ist zu beachten, dass aufgr<strong>und</strong> des voraussichtlich ansteigenden Meeresspiegels an der Ostseeküste<br />
<strong>die</strong> Aufwendungen der öffentlichen Hand <strong>für</strong> den Schutz von im Zusammenhang bebauten<br />
87
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Gebieten zunehmen, wenn Belange des Küstenschutzes ungenügend berücksichtigt werden. Die<br />
Festlegung der Vorbehaltsgebiete Küstenschutz erfolgt insbesondere aus Gründen der Vorsorge. Die<br />
Darstellung von Vorbehaltsgebieten Küstenschutz informiert alle Planungsträger über <strong>die</strong> hier bestehenden<br />
Gefährdungen durch Sturmfluten <strong>und</strong> räumt ihnen <strong>die</strong> Möglichkeit ein, auf Gefährdungen angemessen<br />
zu reagieren.<br />
Die vorhandenen Schutzanlagen <strong>für</strong> im Zusammenhang bebaute Gebiete an den Unterläufen der<br />
oberirdischen Fließgewässer (z.B. am Ryck, an der Peene, an der Uecker) sind Küstenschutzanlagen,<br />
da sie gegen Auswirkungen von Sturmfluten in der Ostsee schützen, <strong>die</strong> einen Rückstau bis in <strong>die</strong> mit<br />
geringem Gefälle fließenden Flüsse verursachen.<br />
Im Zusammenhang bebaute Gebiete sind baulich geschlossene Ortschaften, in denen durch Sturmfluten<br />
Gefahren <strong>für</strong> das Leben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ges<strong>und</strong>heit der dort lebenden Menschen sowie Schäden an<br />
Sachwerten <strong>und</strong> Kulturgütern entstehen können. Für <strong>die</strong>se Gebiete ist ein besonderer Schutz erforderlich.<br />
Aufgr<strong>und</strong> des voraussichtlich weiter ansteigenden Meeresspiegels der Ostsee empfiehlt es<br />
sich, Strategien zu erarbeiten, welche das Schadenspotenzial in <strong>die</strong>sen Gebieten langfristig verringern.“<br />
Die Abbildung 2 zeigt <strong>die</strong> zeichnerische Darstellung der Vorbehaltsgebiete Küstenschutz auf der verbindlichen<br />
Karte im Maßstab 1:100.000 mit einer dunkelblauen, v-förmigen Signatur <strong>und</strong> dunkelblauer<br />
Grenze.<br />
Das Zusammenwirken von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz wurde mit Beginn der regionalplanerischen<br />
Bearbeitung Vorpommerns 1993 auf neue Gr<strong>und</strong>lagen gestellt. Die fachplanerischen Entwicklungen<br />
des Küstenschutzes erfolgten in den neunziger Jahren nach den Vorgaben des mecklenburgvorpommerschen<br />
Landeswassergesetzes zunächst relativ autark <strong>und</strong> manifestierten sich im bereits<br />
erwähnten „Generalplan Küsten- <strong>und</strong> Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpommern“, der neuerdings<br />
zu einem „Regelwerk Küstenschutz Mecklenburg-Vorpommern“ fortgeschrieben wurde. Mit <strong>die</strong>ser<br />
Fortschreibung reagiert <strong>die</strong> Fachplanung auf <strong>die</strong> veränderte Haushaltslage des Landes, auf veränderte<br />
Schutzanforderungen der Gesellschaft, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Küstenforschung<br />
<strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Prognosen zum Anstieg des Meeresspiegels. Die fachplanerischen Vorarbeiten<br />
des Küstenschutzes wurden in <strong>die</strong> Aufstellung der regionalen Raumpläne einbezogen. Die Bedeutung<br />
des Küstenschutzes nicht nur <strong>für</strong> den Katastrophenschutz, sondern insgesamt <strong>für</strong> eine Sicherung der<br />
<strong>Regional</strong>entwicklung wurde dabei früh erkannt <strong>und</strong> in formale Instrumente der Raumordnung übersetzt.<br />
Dies blieb natürlich nicht ohne Rückwirkung auf <strong>die</strong> Fachplanung. Einerseits wird durch <strong>die</strong>se<br />
Aufnahme <strong>und</strong> Bestätigung fachlicher Aspekte in verbindliche Festlegungen der Raumplanung <strong>die</strong><br />
gesellschaftliche Bedeutung des Küstenschutzes gestützt. Andererseits steigen <strong>die</strong> Anforderungen an<br />
<strong>die</strong> Begründung von Planungen <strong>und</strong> Maßnahmen des Küstenschutzes. Und unverkennbar ist auch der<br />
Einsatz von raumplanerischen Instrumenten erforderlich, um den steigenden Platz- <strong>und</strong> Rohstoffbedarf<br />
<strong>für</strong> Projekte des Küstenschutzes zu gewährleisten. Die Abbildung 3 gibt einen Überblick über<br />
<strong>die</strong>sen Zusammenhang zwischen Fachplanung <strong>und</strong> Raumplanung.<br />
88
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 1: Erläuterungskarte Nr. 16 des RROP VP: Hochwassergefährdete Räume in<br />
Vorpommern<br />
Quelle: RROP VP, Erläuterungskarte Nr. 16, S. 189<br />
89
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 2: Vorbehaltsgebiete Küstenschutz in der Karte des RREP VP<br />
Quelle: RREP VP, Karte M 1 : 100.000<br />
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Fachplanung <strong>und</strong> Raumplanung<br />
Eigene Darstellung<br />
90
KLIMZUG-Workingpaper<br />
3. Die Raumentwicklungsstrategie „Anpassung an den Klimawandel <strong>und</strong> Klimaschutz<br />
in der Planungsregion Vorpommern“<br />
Von 2009 bis 2011 beteiligte sich der <strong>Regional</strong>e Planungsverband Vorpommern im Rahmen eines<br />
Modellvorhabens der Raumordnung (MORO, KlimaMORO) des BMVBS an der Aufstellung einer<br />
Raumentwicklungsstrategie. Kernelemente regionaler Raumentwicklungsstrategien sind <strong>die</strong> planerische<br />
Integration wichtiger naturräumlicher <strong>und</strong> sozialer Bereiche, <strong>die</strong> Koordination von Nutzungs- <strong>und</strong><br />
Schutzansprüchen, Langfristigkeit, Nachhaltigkeit, Partizipation der Zivilgesellschaft im Prozess der<br />
Aufstellung <strong>und</strong> Umsetzung sowie <strong>die</strong> Beachtung des regionalen Rahmens. Die Raumentwicklungsstrategie<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Planungsregion Vorpommern setzt bei den Handlungsfeldern Biodiversität, Landnutzung,<br />
Wasserwirtschaft/Wasserhaushalt, Siedlungsentwicklung/Tourismus <strong>und</strong> Energie an. Fragen<br />
des Küstenschutzes entfalten in jedem <strong>die</strong>ser Handlungsfelder ihre Wirkung. Die folgende Abbildung 4<br />
aus der Raumentwicklungsstrategie zeigt deshalb auch neben den Klimaindikatoren Temperatur <strong>und</strong><br />
Niederschlag <strong>als</strong> wichtigen Wirkfaktor den Anstieg des Meeresspiegels. In einem ausführlichen Diskussionsprozess<br />
erfolgte hier <strong>die</strong> Einigung darauf, <strong>für</strong> <strong>die</strong> planerischen Aussagen der Strategie einen<br />
Anstieg des Meeresspiegels bis zum Jahr 2100 von 50 cm anzunehmen.<br />
Abbildung 4: Raumentwicklungsstrategie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planungsregion Vorpommern<br />
Quelle: <strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern, 2011, S. 41<br />
Die Bedeutung des Küstenschutzes <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planungsregion Vorpommern resultiert unter anderem aus<br />
der enormen Länge der Küstenlinie von ca. 1.450 km. Viele Inseln <strong>und</strong> Halbinseln prägen <strong>die</strong> vorpommersche<br />
Küste <strong>und</strong> bilden mit den äußeren <strong>und</strong> inneren Küstengewässern (Bodden <strong>und</strong> Haffs)<br />
eine abwechslungsreiche, aber auch von Sturmfluten gefährdete Küstenlandschaft. Die überflutungsgefährdeten<br />
Flächen nehmen nach derzeitigem Kenntnisstand ca. 356 km 2 bei einem Wasserstand<br />
von 0,50 m über Höhennull ein.<br />
91
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Neben den überflutungsgefährdeten Flachküsten finden sich Steilküstenabschnitte, <strong>die</strong> in den letzten<br />
Jahren durch teils spektakuläre Hangrutschungen oder -abbrüche <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf sich gezogen<br />
haben.<br />
Flachküste südwestlich des Greifswalder Boddens<br />
Bild: <strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern<br />
Unter den an der vorpommerschen Küste vorliegenden Bedingungen ist eine möglichst gute Prognose<br />
über <strong>die</strong> Entwicklung des Meeresspiegels eine wichtige Voraussetzung <strong>für</strong> Planungen im Küstensaum.<br />
Allerdings gestaltet sich <strong>die</strong> Auswertung der vorliegenden Untersuchungen über den Zusammenhang<br />
von Küstenveränderungen <strong>und</strong> Meeresspiegelanstieg hier schwierig, weil <strong>die</strong>se sich meistens<br />
nur auf Teilaspekte des Geschehens konzentrieren. So geht der Synthesis Report Climate Change<br />
2007 des IPCC von einem globalen Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 von 18 bis 59 cm aus<br />
(eustatischer Anstieg). Im Vorfeld des Weltklimagipfels von Kopenhagen wurden dagegen bereits<br />
Anstiegswerte zwischen 75 <strong>und</strong> 190 cm bis 2100 diskutiert. Das neue „Regelwerk Küstenschutz<br />
Mecklenburg-Vorpommern“ nutzt <strong>für</strong> seine Berechnungen einen sogenannten relativen säkularen<br />
Anstieg von circa 1-1,5 mm/a. Dieser Wert beruht auf den Messungen langjähriger Zeitreihen <strong>und</strong><br />
enthält ausdrücklich keine Komponente, <strong>die</strong> eine Beschleunigung des Anstiegs durch den Klimawandel<br />
induziert.<br />
Neben <strong>die</strong>sen Differenzen ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> südliche Ostseeküste der isostatische Anstieg des Meeresspiegels<br />
von circa 1 mm/a bedeutsam, der aus der Hebung des skandinavischen Schildes <strong>und</strong> dadurch<br />
bedingter Absenkung des südlichen Ostseegebietes resultiert (Meyer, 2002).<br />
Inwieweit sich in <strong>die</strong>sen unterschiedlichen Aussagen über <strong>die</strong> Prognosewerte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ursachen des<br />
Anstiegs teilweise oder vollständige Überlappungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Resultate finden lassen, bedürfte einer<br />
eingehenden klimatologischen, geologischen <strong>und</strong> küstenmorphologischen Untersuchung.<br />
4. Raumplanerische Erfordernisse <strong>und</strong> Küstenschutz<br />
Eine Analyse der Wirkungen des ansteigenden Meeresspiegels muss zunächst zwischen Flach- <strong>und</strong><br />
Steilküsten differenzieren. Für beide Küstenformen sind unterschiedliche Wirkungspfade zu konstatieren,<br />
woraus sich auch an <strong>die</strong> Küstenformen angepasste Maßnahmen des Küstenschutzes ergeben.<br />
Insbesondere hinsichtlich der Reaktionen von Steilküsten aus Lockergestein sind <strong>die</strong> Wirkungen des<br />
92
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Meeresspiegelanstiegs in Verbindung mit der Veränderung anderer Klimaindikatoren noch nicht ausreichend<br />
erforscht.<br />
Anstieg des Meeresspiegels an Flachküsten<br />
Die technischen Möglichkeiten digitaler Höhen- <strong>und</strong> Landschaftsmodelle <strong>für</strong> <strong>die</strong> Küste erlauben heute<br />
im Zusammenhang mit Anstiegsanimationen eine vergleichsweise einfache Erfassung von Überflutungsgefahren<br />
<strong>und</strong> der Darstellung von Veränderungen des Mittelwasserstandes an Flachküsten. Sie<br />
stellen <strong>die</strong> Basisinformationen über <strong>die</strong> Höhenverhältnisse zur Verfügung, so dass planerische Überlegungen<br />
daran anknüpfen können. Die folgende Abbildung zeigt <strong>für</strong> einen typischen Bereich an der<br />
vorpommerschen Küste <strong>die</strong> Flächen, <strong>die</strong> bei einem Mittelwasserstand von +50 cm dauerhaft überflutet<br />
werden, sofern keine Maßnahmen zur Verhinderung solcher Überflutungen getroffen werden (dunkelblaue<br />
Flächensignatur). Die dunkelblau schraffiert angelegten Flächen werden überflutet, wenn der<br />
gegenwärtig amtlich festgelegte Bemessungshochwasserstand (BHW) einschließlich eines Zuschlages<br />
von 50 cm erreicht wird <strong>und</strong> ebenfalls weitere Maßnahmen unterbleiben.<br />
Abbildung 5: Anstieg des Meeresspiegels an Flachküsten<br />
Eigene Darstellung<br />
Dabei wird erkennbar, dass Gebiete mit sehr unterschiedlichen Schutz- <strong>und</strong> Nutzfunktionen von der<br />
Gefahr temporärer oder dauerhafter Überflutung betroffen sind. Die weitere Analyse <strong>die</strong>ser gebietsspezifischen<br />
Funktionen kann anhand ökonomischer, ökologischer oder anderer Bewertungen vorgenommen<br />
werden. Bevor jedoch weitere planerische Überlegungen zum Einsatz von formalen oder<br />
informellen Steuerungsinstrumenten angestellt werden, sollten im Sinne eines Governance-Prozesses<br />
bereits möglichst frühzeitig <strong>die</strong> Betroffenen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Institutionen einbezogen werden, deren Aufgabenbereiche<br />
durch eine regionalplanerische Steuerung berührt werden, in jedem Fall <strong>als</strong>o <strong>die</strong> Gemeinden<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> zuständigen Fachbehörden.<br />
Auf <strong>die</strong> betroffenen vielfältigen Schutz- <strong>und</strong> Nutzungsfunktionen muss natürlich raumplanerisch reagiert<br />
werden. Die bisher zum Einsatz gekommenen formalen Instrumente des raumordnerischen Zieles<br />
„Vorranggebiet Küstenschutz“ <strong>und</strong> des Gr<strong>und</strong>satzes „Vorbehaltsgebiet Küstenschutz“ können al-<br />
93
KLIMZUG-Workingpaper<br />
lerdings den differenzierten Problemlagen nicht gerecht werden. Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> erscheint es sinnvoll<br />
beispielsweise zwischen Schutzbereichen <strong>für</strong> Siedlungen, Anpassungszonen <strong>für</strong> Siedlungen, Zonen<br />
der Verlagerung kritischer Infrastruktur oder auch Rückzugszonen <strong>für</strong> Siedlungen im Außenbereich<br />
zu unterscheiden. Inwieweit mit <strong>die</strong>ser Differenzierung verschiedene inhaltliche Ausrichtungen<br />
vorzunehmen sind, bleibt einer weiteren Diskussion <strong>und</strong> der Entscheidungsfindung der Planungsträger<br />
vorbehalten.<br />
Anstieg des Meeresspiegels an Steilküsten<br />
Unter dem Blickwinkel der planerischen Ausgangslage verhalten sich abbruchgefährdete Steilküsten<br />
deutlich anders <strong>als</strong> Flachküsten. Gegenwärtig ist noch nicht abschließend geklärt, ob <strong>die</strong> in den letzten<br />
Jahren zunehmenden Abbrüche <strong>und</strong> Rutschungen ebenso Folge eines ansteigenden Meeresspiegels<br />
sind oder ob <strong>und</strong> wie andere Faktoren bei <strong>die</strong>sen Vorgängen mitwirken. Da ein steigender Meeresspiegel<br />
Wasser <strong>und</strong> Wellenschlag näher an den Hangfuß heranführt, scheint ein gewisser Einfluss<br />
plausibel zu sein. Andererseits ist zu beachten, dass <strong>die</strong> Steilküsten <strong>als</strong> Bestandteil der vorpommerschen<br />
Ausgleichsküste stoffdynamischen Prozessen unterliegen, über deren Verhalten bei steigendem<br />
Meeresspiegel noch keine hinreichende Sicherheit in der Bewertung besteht. Auch <strong>die</strong> beobachteten<br />
Veränderungen des Niederschlags, des oberflächigen Abflusses, des Abflusses aus wasserführenden<br />
Schichten <strong>und</strong> der Temperaturen können auf <strong>die</strong> Stabilität der Lagerungsverhältnisse in den<br />
Steilhängen Einfluss nehmen.<br />
Abbildung 6: Steilküsten in der Planungsregion Vorpommern<br />
Quelle: <strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern, 2011, S. 33<br />
Eine regionale Prognose darüber, welche Steilküsten durch Abbrüche gefährdet sind, kann sich auf<br />
<strong>die</strong> vorliegenden Datenreihen zum Küstenrückgang stützen. Für den engeren lokalen Bereich kann<br />
<strong>die</strong>s um Daten aus der Beobachtung des Abbruchgeschehens sowie der gefährdeten Hangbereiche<br />
selbst ergänzt werden. Allein daraus können jedoch noch keine detaillierten Schlussfolgerungen darüber<br />
gezogen werden, wie sich <strong>die</strong> Küstenabbrüche in den nächsten Dekaden entwickeln werden.<br />
Abbrüche <strong>und</strong> Rutschungen bergen <strong>für</strong> Menschen <strong>und</strong> Siedlungen erhebliche Gefahren. Insofern wurde<br />
auch an <strong>die</strong> regionale Raumplanung <strong>die</strong> Forderung gestellt, mit ihren Instrumenten <strong>die</strong> Nutzungs-<br />
94
KLIMZUG-Workingpaper<br />
steuerung in solchen gefährdeten Bereichen zu unterstützen. In der Diskussion stehen beispielsweise<br />
Rückzugszonen <strong>für</strong> gefährdete Siedlungsbereiche. Auch der stringente Schutz des bauplanungsrechtlichen<br />
Außenbereichs könnte durch formale Instrumente der Raumordnung verstärkt werden, zum<br />
Beispiel in Form eines Vorranggebietes <strong>für</strong> den Ablauf natürlicher Landschaftsprozesse.<br />
5. Zielstellungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Abstimmung von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz sowie<br />
Governance-Prozesse<br />
Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz sind spezialisierte Zweige staatlich-hoheitlicher Verwaltung. Im Verhältnis<br />
zueinander bezeichnen <strong>die</strong> originären Aufgaben des Küstenschutzes <strong>als</strong> Fachplanung gleichzeitig<br />
<strong>die</strong> Grenzen der Raumplanung. Deshalb ist es erforderlich, beide Aufgabenprofile gegenseitig<br />
klar zu definieren <strong>und</strong> <strong>die</strong> Schnittstellen zwischen beiden Planungen genau zu bestimmen.<br />
Als Schnittstellen lassen sich unter anderem folgende Punkte beschreiben:<br />
- <strong>die</strong> unterschiedliche Fokussierung der Betrachtung auf <strong>die</strong> Fachplanungsebene (Küstenschutz)<br />
bzw. auf <strong>die</strong> Ebene einer integrierten Gesamtplanung (Raumplanung),<br />
- Vorschläge der Fachplanung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anwendung von raumordnerischen Instrumenten gemäß<br />
§ 8 (5) bis (7) GeROG,<br />
- <strong>die</strong> Bindungswirkung raumordnerischer Ziele <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachplanung gemäß § 4<br />
GeROG<br />
- raumbedeutsame Planungen <strong>und</strong> Projekte gemäß § 3 (1) Nr. 6 GeROG.<br />
Neben <strong>die</strong>sen Schnittstellen gibt es eine erhebliche Anzahl gemeinsamer Zielstellungen von Raumplanung<br />
<strong>und</strong> Küstenschutz. Zu <strong>die</strong>sen gehören <strong>die</strong> Orientierung auf das übergeordnete Ziel der Nachhaltigkeit<br />
bei der Flächennutzung im Küstensaum, Aspekte der Vorsorge <strong>für</strong> Leben, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Sachwerte sowie <strong>die</strong> Berücksichtigung von Schutzgütern gemäß dem Gesetz über <strong>die</strong> Umweltverträglichkeitsprüfung.<br />
Die gegenseitige Ergänzung der Vorsorgeplanungen zur Risikominderung <strong>und</strong> Gefahrenvermeidung<br />
durch eine ausgearbeitete Freiraumplanung kann den <strong>für</strong> <strong>die</strong> erforderlichen Maßnahmen<br />
des Küstenschutzes notwendigen Raum gegenüber anderen Nutzungen sichern sowie Rückzugszonen<br />
oder Zonen mit öffentlichem Schutzbedarf bestimmen. Dies sichert nicht nur <strong>die</strong> Raumansprüche<br />
des Küstenschutzes im Freiraum <strong>und</strong> im Siedlungsraum, sondern kann durch <strong>die</strong> Steuerung<br />
der bau- <strong>und</strong> bergrechtlichen Planungsinstrumente unnötige Kosten der öffentlichen Hand vermeiden<br />
helfen. Die kommunale Siedlungsentwicklung, an <strong>die</strong> Ziele der Raumordnung geb<strong>und</strong>en, kann sich<br />
dann auf <strong>die</strong> Belange des Küstenschutzes einstellen. Auch <strong>für</strong> andere Fachplanungsträger können <strong>die</strong><br />
Ansprüche der Küstenschutzverwaltung transparent gemacht werden <strong>und</strong> so beispielsweise mit den<br />
Forderungen des Ökosystemschutzes <strong>für</strong> Küstenbiotope besser koordiniert werden.<br />
Die Anforderungen an eine moderne Raumplanung bleiben allerdings nicht bei den gegenseitigen<br />
Abstimmungen mit der Küstenschutzverwaltung stehen. Für eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit<br />
im Rahmen von Governance-Prozessen ist neben den der Planung zugr<strong>und</strong>eliegenden Fachdaten zur<br />
Hydrodynamik, Küstenmorphologie, Küstendynamik <strong>und</strong> Topographie der betreffenden Küstenabschnitte<br />
eine Vielzahl von Kommunikationsmethoden anzuwenden. Neben der Nutzung von Verbreitungsme<strong>die</strong>n<br />
lassen sich dazu alle Formen des direkten Gesprächs zählen wie Foren, Workshops<br />
oder öffentliche Konferenzen. Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> professionelle Gestaltung solcher Prozesse ist<br />
eine institutionalisierte Raumplanung.<br />
95
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 7: Aufgabenteilung von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz<br />
Eigene Darstellung<br />
Neben <strong>die</strong>sen aus der Organisation von Governance sich entwickelnden Aufgaben wirken in den letzten<br />
Jahren <strong>die</strong> Anstrengungen der Europäischen Union (EU) verstärkt auf das Verhältnis von Raumplanung<br />
<strong>und</strong> Küstenschutz ein. Die Hochwasserschutz-Rahmenrichtlinie der EU verlangt neuerdings<br />
<strong>die</strong> Ermittlung gefährdeter Bereiche <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung von Managementplänen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Vorsorge vor<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Bewältigung von gefährlichen Hochwasser- <strong>und</strong> Überflutungssituationen. Die Umsetzung solcher<br />
Managementanforderungen in raumplanerische Instrumente wird voraussichtlich eine der interessanten<br />
Aufgaben werden, welche Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz gemeinsam meistern müssen.<br />
6. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Das Zusammenwirken von Raumplanung <strong>und</strong> Küstenschutz erfordert eine intensive Abstimmung. Die<br />
Aufnahme raumbedeutsamer fachplanerischer Aspekte des Küstenschutzes in <strong>die</strong> räumliche Gesamtplanung<br />
führt insgesamt zu einer verbesserten Koordination auch mit anderen Fachplanungen. Die<br />
räumliche Planung ermöglicht darüber hinaus eine zeitliche Ausweitung bei der Einbeziehung sukzessiv<br />
vonstattengehender Prozesse wie dem des Anstiegs des Meeresspiegels. Mit ihren Erfahrungen<br />
bei der Gestaltung von Governance-Prozessen <strong>und</strong> einem breiten Spektrum an Kommunikationsmethoden<br />
<strong>und</strong> -instrumenten bei der Aufstellung integrierter gesamträumlicher Entwicklungsplanungen<br />
unterstützt sie <strong>die</strong> Umsetzung fachplanerischer Erfordernisse des Küstenschutzes.<br />
Literatur<br />
Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes <strong>und</strong> zur Änderung anderer Vorschriften<br />
(GeROG) vom 22.12.2008 (BGBl. I, S. 2986).<br />
IPCC, 2002, Zwischenstaatlicher Ausschuss <strong>für</strong> Klimaänderungen, Intergovernmental Panel on Climate<br />
Change IPCC, wwwipcc.ch, Climate Change 2001, Synthesis Report, Bonn.<br />
96
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Landesplanungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LPlG M-V) vom 5.5.1998. GVOBl. M-V Nr. 16<br />
vom 20. Mai 1998.<br />
Meyer, Michael, 2002, Modellierung der Entwicklung von Küstenlinien der Ostsee im Holozän –<br />
Wechselspiel zwischen Isostasie <strong>und</strong> Eustasie, Diss., Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.<br />
Ministerium <strong>für</strong> Arbeit, Bau <strong>und</strong> Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.), 2005,<br />
Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin.<br />
Ministerium <strong>für</strong> Bau, Landesentwicklung <strong>und</strong> Umwelt Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.), 1994,<br />
Generalplan Küsten- <strong>und</strong> Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin.<br />
Ministerium <strong>für</strong> Landwirtschaft, Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern<br />
(Hrsg.), 2009, Regelwerk Küstenschutz Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin.<br />
<strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern (Hrsg.), 2011, Raumentwicklungsstrategie Anpassung<br />
an den Klimawandel <strong>und</strong> Klimaschutz in der Planungsregion Vorpommern, Greifswald.<br />
<strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern (Hrsg.), 1998, <strong>Regional</strong>es Raumordnungsprogramm<br />
Vorpommern, Greifswald.<br />
<strong>Regional</strong>er Planungsverband Vorpommern (Hrsg.), 2010, <strong>Regional</strong>es Raumentwicklungsprogramm<br />
Vorpommern, Greifswald.<br />
Wassergesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LWaG) vom 30. November 1992 (GVOBl.<br />
M-V 1992, S. 669), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 4. Juli 2011 (GVOBl. M-V S.<br />
759, 765).<br />
97
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Anpassung hat begonnen: Wie <strong>und</strong> weshalb wird der Klimawandel<br />
an der deutschen Nordseeküste bereits berücksichtigt?<br />
Bastian Schuchardt / Stefan Wittig<br />
1. Einleitung<br />
Der Klimawandel wird sich an den Küsten durch den Anstieg der Mittel- <strong>und</strong> Extremwerte der Lufttemperaturen,<br />
<strong>die</strong> Veränderung der Niederschlagsverteilung <strong>und</strong> der Abflüsse vom Festland, den Anstieg<br />
des Meeresspiegels, eine Zunahme von Stürmen <strong>und</strong> Erosion <strong>und</strong> ein sich beschleunigt erhöhendes<br />
Risiko durch Sturmfluten manifestieren (EEA, 2008). Die Auswirkungen sind besonders ausgeprägt an<br />
flachen Küsten wie im Bereich der Deutschen Bucht, wo Inseln, Wattenmeer, Flussmündungen <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> befestigte Küste mit ihrer städtischen, ländlichen <strong>und</strong> industriellen Besiedlung betroffen sind (Sterr<br />
et al., 2000). Insbesondere <strong>die</strong> Ästuare von Elbe, Weser, Ems <strong>und</strong> Eider werden unter <strong>die</strong>sen Einwirkungen<br />
ihre physischen <strong>und</strong> ökologischen Eigenschaften zum Teil deutlich verändern <strong>und</strong> über<strong>die</strong>s<br />
den Anstieg des Meeresspiegels <strong>und</strong> <strong>die</strong> erhöhten Sturmflutgefahren bis weit ins Hinterland nach<br />
Bremen <strong>und</strong> Hamburg, immerhin gut 100 km von der Küste entfernt, transportieren<br />
(Schuchardt/Schirmer, 2005). Infolge <strong>die</strong>ser Gegebenheiten muss auch <strong>die</strong> Deutsche Nordseeküste<br />
mit etwa 3,5 Millionen Einwohnern <strong>als</strong> hoch sensibel gegenüber dem Klimawandel bezeichnet werden.<br />
Die Küstenregion gehört deshalb in Deutschland zu den Regionen mit einer besonderen Vulnerabilität<br />
(Zebisch et al., 2005) <strong>und</strong> der Küstenschutz an der Nordsee ist eines der ersten gesellschaftlichen<br />
Handlungsfelder, in dem <strong>die</strong> Anpassung an den beschleunigten Meeresspiegelanstieg bereits begonnen<br />
hat (NLWKN, 2007; NLWKN, 2010).<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Ergebnisse abgeschlossener (vor allem Klimaänderung Unterweser –<br />
KLIMU: Schuchardt/Schirmer 2005; Klimaänderung <strong>und</strong> Risikomanagement – KRIM:<br />
Schuchardt/Schirmer, 2007a) <strong>und</strong> laufender (nordwest2050: www.nordwest2050.de) vom B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung geförderter Verb<strong>und</strong>vorhaben wird im Folgenden am Beispiel der<br />
Metropolregion Bremen-Oldenburg umrissen, weshalb <strong>und</strong> wie der Küstenschutz an der Nordsee <strong>als</strong><br />
eines der ersten gesellschaftlichen Handlungsfelder begonnen hat Anpassung an den beschleunigten<br />
Meeresspiegelanstieg zu realisieren <strong>und</strong> welche Voraussetzungen <strong>die</strong>sen Prozess begünstigt haben.<br />
2. Klimawandel <strong>und</strong> Küstenschutz: Sensitivität <strong>und</strong> potenzielle Auswirkungen<br />
2.1 Küstenschutz in der Metropolregion<br />
Der Küstenschutz ist in der Metropolregion Bremen-Oldenburg ebenso wie an der gesamten deutschen<br />
Nordseeküste von existenzieller Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sicherung des küstennahen Siedlungs-,<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturraums <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> das Leben <strong>und</strong> Wirtschaften in <strong>die</strong>ser Region. Neben der<br />
Sicherung der Küstenlinie von Nordsee <strong>und</strong> Jadebusen spielt der Küstenschutz auch entlang des<br />
Weserästuars bis weit ins Binnenland eine wichtige Rolle.<br />
Die große Bedeutung des Küstenschutzes in der Metropolregion Bremen-Oldenburg wird bereits bei<br />
der Betrachtung der topografischen Verhältnisse deutlich. So liegen <strong>die</strong> Geländehöhen der niedersächsischen<br />
Marschengebiete überwiegend zwischen 1,4 m über <strong>und</strong> 0,5 m unter Normal Null (NN),<br />
abgesehen von einigen bis zu NN +2,5 m aufsedimentierten, ufernahen Küsten- <strong>und</strong> Flussmarschen.<br />
Auch Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven liegen überwiegend auf niedrigem Marschengelände (NLWKN,<br />
2007).<br />
98
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Der Schutz des Binnenlandes vor Überflutungen wird in der Metropolregion durch ein System verschiedener<br />
technischer <strong>und</strong> natürlicher Küstenschutzelemente gewährleistet. Zu den technischen<br />
Küstenschutzelementen zählen neben der Hauptdeichlinie zum Beispiel <strong>die</strong> Sommerdeiche <strong>und</strong> noch<br />
bestehende zweite Deichlinien sowie <strong>die</strong> Sturmflutsperrwerke an den tidebeeinflussten Nebenflüssen<br />
der Unterweser (Geeste, Hunte, Lesum, Ochtum). Zu den natürlichen Küstenschutzelementen gehören<br />
<strong>die</strong> der Küste bzw. Hauptdeichlinie vorgelagerten Wattflächen, Inseln, Dünen, Platen <strong>und</strong> Deichvorländer.<br />
Die natürlichen Schutzelemente haben eine wichtige Bedeutung <strong>für</strong> das Küstenschutzsystem,<br />
da sie maßgeblich zur Verringerung der auf <strong>die</strong> technischen Schutzelemente einwirkenden Wellenenergie<br />
<strong>und</strong> Seegangsbelastung beitragen (Regulationsfunktion der Watt- <strong>und</strong> Vorlandökosysteme)<br />
(vgl. NLWKN, 2007; Wittig et al., 2007).<br />
Abbildung 1: Die Metropolregion Bremen-Oldenburg<br />
Quelle: Metropolregion Bremen-Oldenburg<br />
Die Küstengebiete der Metropolregion Bremen-Oldenburg weisen eine hohe Sensitivität gegenüber<br />
Sturmflutereignissen auf, da <strong>die</strong>se im Extremfall zu einem Versagen des Küstenschutzsystems <strong>und</strong><br />
daraus resultierenden Sturmflutschäden in den deichgeschützten Bereichen sowie zu Verlusten an<br />
Menschenleben führen können. Zwar stellt der deterministisch ermittelte Bemessungswasserstand <strong>für</strong><br />
Küstenschutzbauwerke ein festgelegtes Sicherheitsmaß dar, das höher liegt <strong>als</strong> bisher eingetretene<br />
Sturmflutwasserstände. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass schon heute Sturmflutereignisse<br />
oberhalb <strong>die</strong>ses Bemessungswasserstandes eintreten können. Es gibt daher keinen absoluten<br />
Schutz gegen extreme Sturmflutereignisse (NLWKN, 2007), sondern es verbleibt immer ein gewisses<br />
Restrisiko hinsichtlich des Versagens von Küstenschutzelementen (Deiche, Sperrwerke,<br />
Schleusen etc.) durch zum Beispiel Wellenüberlauf, Überströmen oder Deichbruch (Mai et al., 2007;<br />
Schuchardt et al., 2011).<br />
Gleichzeitig weisen <strong>die</strong> Küstengebiete der Metropolregion Bremen-Oldenburg aufgr<strong>und</strong> der dort bestehenden<br />
Siedlungen, Gewerbe- <strong>und</strong> Industriebetriebe, Infrastrukturen <strong>und</strong> (land)wirtschaftlichen<br />
oder touristischen Nutzungen hohe Werte <strong>und</strong> damit ein hohes Schadenspotenzial auf, das in direkte<br />
99
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Schäden (Vermögens- <strong>und</strong> Anlageschäden sowie ökologische Schäden) <strong>und</strong> indirekte Schäden (zum<br />
Beispiel Produktionsausfall, Wertschöpfungs- <strong>und</strong> Einkommensverluste) unterschieden werden kann<br />
(Mai et al., 2007). Während direkte Schäden nur in von Überflutungsereignissen betroffenen Bereichen<br />
entstehen, sind indirekte Schäden nicht allein auf <strong>die</strong>se Gebiete begrenzt, sondern können aufgr<strong>und</strong><br />
der volkswirtschaftlichen Verflechtungen mit anderen Regionen auch weit darüber hinaus reichen.<br />
Ein Überflutungsereignis hat demnach nicht nur auf <strong>die</strong> Wirtschaftstätigkeit <strong>und</strong> Beschäftigungssituation<br />
der unmittelbar von der Sturmflut betroffenen Gebiete negative Effekte, sondern kann sich<br />
sowohl in räumlicher <strong>als</strong> auch in zeitlicher Hinsicht über das betroffene Gebiet bzw. das eigentliche<br />
Ereignis hinaus auswirken (Elsner et al., 2005).<br />
2.2 Klimawandel <strong>und</strong> Küstenschutz in der Metropolregion<br />
Wie sich der Klimawandel in der Metropolregion nach derzeitigem Stand des Wissens voraussichtlich<br />
manifestiert, ist <strong>für</strong> 2050 (2036–2065) <strong>und</strong> 2085 (2071–2100) in den sogenannten „nordwest2050“-<br />
Klimaszenarien abgeschätzt worden. Danach werden der beschleunigte mittlere Meeresspiegelanstieg,<br />
der zusätzliche Anstieg des mittleren Tidehochwassers <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zunahme des Windstaus auch<br />
zu einem Anstieg der Sturmflutwasserstände mit insgesamt sehr großen Spannweiten führen (siehe<br />
Schuchardt et al., 2010).<br />
Damit werden sowohl <strong>die</strong> Höhe <strong>als</strong> auch <strong>die</strong> Häufigkeit der den Deich erreichenden Wasserstände<br />
zunehmen (Wittig et al., 2007). Zudem ist mit länger anhaltenden Sturmfluten zu rechnen, da ein hoher<br />
windstaubedingter Wasserstand nicht wie bisher im Mittel sieben bis acht St<strong>und</strong>en am Deich stehen<br />
würde, sondern möglicherweise zwei bis drei St<strong>und</strong>en länger (Woth/von Storch, 2008). Beides<br />
führt zu einer Zunahme der Belastung von Küstenschutzbauwerken. Darüber hinaus könnten klimawandelbedingte<br />
Veränderungen der morphodynamischen Prozesse im Küstenvorfeld eine Verringerung<br />
der seegangs- <strong>und</strong> strömungsdämpfenden Eigenschaften der natürlichen Schutzelemente (Wattflächen,<br />
Platen, Deichvorländer) <strong>und</strong> damit Einschränkungen der Regulationsfunktion <strong>für</strong> den Küstenschutz<br />
bewirken (Wittig et al., 2007).<br />
In den interdisziplinären Verb<strong>und</strong>vorhaben KRIM <strong>und</strong> INNIG (Integriertes Hochwasserrisikomanagement<br />
in einer individualisierten Gesellschaft) wurden in der jüngeren Vergangenheit <strong>für</strong> verschiedene<br />
Gebiete der Metropolregion Untersuchungen hinsichtlich der potenziellen Auswirkungen des Klimawandels<br />
auf <strong>die</strong> Versagenswahrscheinlichkeit des Küstenschutzsystems <strong>und</strong> das Sturmflutschadensrisiko<br />
in deichgeschützten Bereichen durchgeführt. Dabei wurde mit Hilfe einer so genannten erweiterten<br />
probabilistischen Risikoanalyse sowohl <strong>die</strong> Sicherheit des Küstenschutzsystems unter Status quo-<br />
Bedingungen <strong>als</strong> auch unter den Randbedingungen des zugr<strong>und</strong>e gelegten KLIMU-Klimaszenarios<br />
betrachtet (siehe Schirmer, 2005; Schuchardt et al., 2010). Darüber hinaus wurde eine Quantifizierung<br />
der bei einem Versagen des Küstenschutzsystems auftretenden Folgeschäden im Deichhinterland<br />
vorgenommen. Durch <strong>die</strong> Multiplikation von Versagenswahrscheinlichkeit <strong>und</strong> potenziellen Folgeschäden<br />
konnte das Sturmflutschadensrisiko der untersuchten Küstenbereiche ermittelt werden (vgl.<br />
Brencher et al., 2007).<br />
Die Ergebnisse der Modellierungen zeigen, dass es unter den Randbedingungen des KLIMU-<br />
Klimaszenarios zu erhöhten Belastungen der Schutzsysteme kommt, was zur Folge hat, dass sich <strong>die</strong><br />
Versagenswahrscheinlichkeiten der Küstenschutzelemente – ohne entsprechende Anpassungsmaßnahmen<br />
– erhöhen werden. Hinsichtlich der potenziellen Folgeschäden im Deichhinterland lässt sich<br />
folgendes Bild skizzieren: Aufgr<strong>und</strong> der zu erwartenden höheren Sturmflutwasserstände erhöhen sich<br />
<strong>die</strong> bei einem Versagen des Küstenschutzsystems einströmenden Wassermassen, woraus sowohl<br />
eine Vergrößerung des von der Überflutung betroffenen Gebietes <strong>als</strong> auch der Überflutungshöhen<br />
100
KLIMZUG-Workingpaper<br />
resultiert. Aus der Multiplikation der reduzierten Versagenssicherheiten des Küstenschutzsystems mit<br />
den gestiegenen potenziellen Folgeschäden im Deichhinterland ergibt sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> zugr<strong>und</strong>e gelegten<br />
Klimawandelbedingungen ein deutlich erhöhtes Sturmflutschadensrisiko in den Küstenbereichen (vgl.<br />
Wittig et al., 2007; Brencher et al., 2007).<br />
3. Wie wird der Klimawandel vom Küstenschutz berücksichtigt?<br />
Der Küstenschutz ist in der Metropolregion Bremen-Oldenburg von existenzieller Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Sicherung des küstennahen Siedlungs-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturraums <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> das Leben <strong>und</strong><br />
Wirtschaften in <strong>die</strong>ser Region. Die beiden Generalpläne Küstenschutz Niedersachsen/Bremen<br />
(NLWKN, 2007) <strong>und</strong> Ostfriesische Inseln (NLWKN, 2010) bilden <strong>die</strong> zentralen Planungsdokumente<br />
des Küstenschutzes in Niedersachsen <strong>und</strong> Bremen. In ihnen sind <strong>die</strong> Ziele, <strong>die</strong> notwendigen Maßnahmen<br />
<strong>und</strong> der Finanzbedarf des Küsten- <strong>und</strong> Inselschutzes zusammengestellt sowie festgelegt,<br />
dass <strong>die</strong> Sollhöhen der Küstenschutzanlagen alle zehn Jahre überprüft werden müssen (NLWKN,<br />
2010). Bei der Neufassung der Generalpläne in 2007 (<strong>für</strong> das Festland) <strong>und</strong> 2010 (<strong>für</strong> <strong>die</strong> Ostfriesischen<br />
Inseln) haben sich <strong>die</strong> zuständigen Fachbehörden der Länder dazu entschlossen, nicht nur wie<br />
bisher schon den sogenannten säkularen, sondern zusätzlich den erwarteten klimawandelbedingt<br />
beschleunigten Meeresspiegelanstieg bei der Bemessung der Deichhöhen zu berücksichtigen.<br />
Es gelten seit Juli 2007 folgende Regelungen (NLWKN, 2007; NLWKN, 2010): Bei der Ermittlung des<br />
Bemessungswasserstandes <strong>für</strong> Küstenschutzbauwerke wird <strong>als</strong> Vorsorgemaß ein Zuschlag von insgesamt<br />
50 cm berücksichtigt, der sich zusammensetzt aus 25 cm <strong>für</strong> den säkularen Meeresspiegelanstieg<br />
<strong>und</strong> zusätzlichen 25 cm „Klimawandelzuschlag“. Zudem sollen Küstenschutzbauwerke statisch<br />
so ausgelegt werden, dass sie erforderlichenfalls nachträglich um r<strong>und</strong> einen Meter erhöht werden<br />
können. In Verbindung mit dem oben genannten Vorsorgemaß beinhalten <strong>die</strong> beiden Generalpläne<br />
folglich <strong>die</strong> Möglichkeit, auf einen Anstieg der Sturmflutwasserstände von insgesamt r<strong>und</strong> 150 cm zu<br />
reagieren (Schuchardt et al., 2011).<br />
Ein Vergleich des oben genannten Vorsorgemaßes <strong>und</strong> der Reservevorhaltung <strong>für</strong> nachträgliche Erhöhungen<br />
der Küstenschutzbauwerke mit den in den “nordwest2050“-Klimaszenarien festgelegten<br />
Werten <strong>für</strong> den Anstieg der Sturmflutwasserstände zeigt folgendes Bild: Während der <strong>für</strong> das 2050-<br />
Szenario festgelegte mittlere Wert des Sturmflutwasserstandanstiegs (+43 cm) noch mit dem Bemessungsvorsorgemaß<br />
von 50 cm aufgefangen werden kann, muss <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewältigung der oberen<br />
Spannweitenbereiche des 2050-Szenarios (+111 cm) bereits <strong>die</strong> oben genannte Reserve <strong>für</strong> eine<br />
nachträgliche Erhöhung der Küstenschutzbauwerke von einem Meter in Anspruch genommen werden.<br />
Insgesamt ist bis zur Mitte des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts mittels Vorsorgemaß <strong>und</strong> Reservevorhaltung aber <strong>die</strong><br />
gesamte Spannweite des zu erwartenden Anstiegs der Sturmflutwasserstände zu bewältigen. Ein<br />
anderes Bild ergibt sich dagegen <strong>für</strong> das 2085-Szenario: Hier wird bereits <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewältigung des<br />
mittleren Sturmflutwasserstandanstiegs (+90 cm) <strong>die</strong> Reservevorhaltung <strong>für</strong> eine nachträgliche Erhöhung<br />
der Küstenschutzbauwerke erforderlich. Die oberen Bereiche der Spannweiten des zu erwartenden<br />
Anstiegs der Sturmflutwasserstände (+216 cm) können dagegen auch über <strong>die</strong> volle Ausnutzung<br />
der Baureserve nicht abgedeckt werden. Je nachdem wie stark der Anstieg der Sturmflutwasserstände<br />
bis zum Ende des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ausfällt, können <strong>als</strong>o durchaus weitere Zuschläge auf <strong>die</strong> Bemessungshöhen<br />
<strong>und</strong> zusätzliche Ausbauten der Küstenschutzbauwerke notwendig werden<br />
(Schuchardt et al., 2011).<br />
101
KLIMZUG-Workingpaper<br />
4. Welche Faktoren haben zur frühzeitigen Berücksichtigung des Klimawandels<br />
geführt?<br />
Der Prozess der Anpassung an den Klimawandel, der derzeit unter anderem durch <strong>die</strong> Deutsche Anpassungsstrategie<br />
(B<strong>und</strong>esregierung, 2008) strukturiert wird, hat <strong>als</strong>o im Küstenschutz bereits begonnen<br />
<strong>und</strong> führt schon zu entsprechenden Maßnahmen. Damit ist der Küstenschutz eines der ersten in<br />
der Deutschen Anpassungsstrategie differenzierten Handlungsfelder, in dem der Anpassungsprozess<br />
zu konkreten Investitionsentscheidungen <strong>und</strong> deren Umsetzung geführt hat. Die frühzeitige Berücksichtigung<br />
des Klimawandels im Küstenschutz hat damit einen gewissen Pilotcharakter <strong>für</strong> <strong>die</strong> zukünftige<br />
Berücksichtigung des Klimawandels auch in anderen Handlungsfeldern.<br />
Im Folgenden sollen deshalb <strong>die</strong> Randbedingungen skizziert werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se frühzeitige Berücksichtigung<br />
möglich oder notwendig gemacht haben.<br />
1. Randbedingung: Anpassung hat schon immer stattgef<strong>und</strong>en<br />
Der Lebensraum Küste ist durch kontinuierliche Anpassung an dynamische <strong>und</strong> sich auch langzeitlich<br />
ändernde Randbedingungen gekennzeichnet. Das gilt sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> ökologische Situation <strong>als</strong> auch<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Küstengesellschaft. Ein zentraler Parameter ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang der Meeresspiegel,<br />
der seit der Besiedlung des Küstenraumes <strong>die</strong>sen durch seine Trans- <strong>und</strong> Regressionsphasen geprägt<br />
hat. Seit Jahrh<strong>und</strong>erten ist der steigende Meeresspiegel von der Küstengesellschaft durch umfangreiche,<br />
immer wieder verstärkte Küstenschutzanlagen beantwortet worden, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> soziale<br />
Organisation <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wahrnehmung geprägt haben (Fischer/Reise, 2011).<br />
Es hat <strong>als</strong>o seit Jahrh<strong>und</strong>erten bereits eine gesellschaftlich organisierte Anpassung an einen steigenden<br />
Meeresspiegel stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ein durch den Klimawandel beschleunigt steigender Meeresspiegel<br />
stellt damit keine gr<strong>und</strong>sätzlich neue <strong>Herausforderung</strong> dar.<br />
2. Randbedingung: Hohes Schadenspotenzial<br />
Die deutsche Nordseeküste ist durch <strong>die</strong> geographische Lage, <strong>die</strong> Topographie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Konzentration<br />
von Menschen <strong>und</strong> Werten durch extreme Wasserstände stark gefährdet <strong>und</strong> es besteht ein hohes<br />
Schadenspotenzial.<br />
3. Randbedingung: Klimafolgenforschung<br />
Die möglichen Auswirkungen eines beschleunigten Meeresspiegelanstiegs <strong>als</strong> wesentlichem Parameter<br />
des anthropogenen Klimawandels auf <strong>die</strong> deutsche (Nordsee-)Küste waren Auslöser <strong>und</strong> Beginn<br />
der Klimafolgenforschung in Deutschland. 1994 wurde der Förderschwerpunkt „Klimawandel <strong>und</strong> Küste“<br />
vom BMBF eingerichtet, in dem querschnittsorientiert <strong>die</strong> Auswirkungen vor allem in den Fallstu<strong>die</strong>n<br />
„Sylt“ (Daschkeit/Schottes, 2002) <strong>und</strong> „Unterweser“ (KLIMU; Schuchardt/Schirmer, 2005) untersucht<br />
wurden. Auch in den nachfolgenden Programmen wurden jeweils Projekte zum Zusammenhang<br />
Meeresspiegelanstieg <strong>und</strong> Küstenschutz gefördert, so dass eine umfassende wissenschaftliche Diskussion<br />
frühzeitig begann. Die Berücksichtigung in der aktuellen Maßnahmenplanung erfolgte in Niedersachsen/Bremen<br />
etwa zwölf Jahre nach Auflage des ersten Förderprogramms; in Schleswig-<br />
Holstein etwas früher.<br />
4. Randbedingung: Vorhandener Anpassungsmechanismus <strong>und</strong> Langfristigkeit<br />
Wie oben skizziert, hat bereits seit Jahrh<strong>und</strong>erten eine gesellschaftlich organisierte Anpassung an den<br />
steigenden Meeresspiegel stattgef<strong>und</strong>en. Zur gemeinsamen Anpassung daran haben sich regional<br />
unterschiedliche Organisationsformen etabliert <strong>und</strong> ein „Anpassungsmechanismus“ ist durch <strong>die</strong><br />
Deichgesetze der Länder <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gemeinschaftsaufgabe Küstenschutz rechtlich verankert. Ein durch<br />
den Klimawandel beschleunigt steigender Meeresspiegel (bzw. <strong>die</strong> Erwartung desselben) trifft <strong>als</strong>o auf<br />
102
KLIMZUG-Workingpaper<br />
einen bereits etablierten Anpassungsmechanismus, der auf <strong>die</strong> Berücksichtigung langfristiger, gerichteter<br />
Veränderungen ausgelegt ist.<br />
5. Randbedingung: Hohes Vertrauen der Bevölkerung<br />
Die Ergebnisse der interdisziplinären Klimafolgenforschung haben deutlich gemacht, dass <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />
(an der Küste) ein sehr hohes Vertrauen in <strong>die</strong> <strong>für</strong> den Küstenschutz verantwortlichen Organisationen<br />
<strong>und</strong> Behörden besitzt <strong>und</strong> eine breite gesellschaftliche Akzeptanz der Notwendigkeit des<br />
Küstenschutzes besteht (Lange et al., 2007). Durch <strong>die</strong> breite öffentliche Berichterstattung <strong>und</strong> Diskussion<br />
über den Klimawandel <strong>und</strong> (an der Küste) den beschleunigten Meeresspiegelanstieg (Peters/Heinrichs,<br />
2007) ist auch eine Erwartungshaltung seitens der Öffentlichkeit entstanden, <strong>die</strong> ein<br />
Handeln der zuständigen Stellen notwendig erscheinen ließ.<br />
6. Randbedingung: Finanzierung<br />
Da Küstenschutz laut Art. 91a Gr<strong>und</strong>gesetz <strong>als</strong> national bedeutsame Aufgabe definiert ist, erfolgt <strong>die</strong><br />
Finanzierung von Deichneubauten sowie Deicherhöhungen <strong>und</strong> -verstärkungen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
zur Verbesserung der Agrarstruktur <strong>und</strong> des Küstenschutzes (GAK) gemeinsam<br />
durch B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder, wobei der B<strong>und</strong> 70 Prozent <strong>und</strong> das jeweilige Land 30 Prozent der Kosten<br />
trägt. Zusätzlich werden Mittel der Europäischen Union eingesetzt. Nur <strong>die</strong> Unterhaltungsarbeiten an<br />
den Deichen werden von den Deichverbänden geleistet, <strong>die</strong> da<strong>für</strong> <strong>die</strong> Beiträge der Deichverbandsmitglieder<br />
einsetzen, <strong>die</strong> von allen Eigentümern im deichgeschützten Bereich zu entrichten sind<br />
(NLWKN, 2007; Lange et al., 2007).<br />
Mit dem im Jahr 2009 aufgestellten Sonderrahmenplan der GAK, der aus dem Klimawandel resultierende<br />
Mehrausgaben <strong>für</strong> den Küstenschutz abdecken soll, verpflichtet sich der B<strong>und</strong> im Zeitraum<br />
2009 bis 2025 insgesamt zusätzlich 380 Millionen € <strong>für</strong> den Küstenschutz bereitzustellen (vgl. BMVEL,<br />
2009). Während <strong>als</strong>o <strong>die</strong> Finanzierung von Deicherhöhungen wesentlich durch den B<strong>und</strong> erfolgt, wird<br />
<strong>die</strong> Festlegung der erforderlichen Deichhöhen selbst durch <strong>die</strong> einzelnen Länder vorgenommen.<br />
5. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Der Küstenschutz hat <strong>als</strong> eines der ersten Handlungsfelder den Klimawandel <strong>als</strong> neue Randbedingung<br />
akzeptiert <strong>und</strong> mit der Planung <strong>und</strong> Umsetzung von praktischen Maßnahmen begonnen. Diese<br />
relativ zügige Berücksichtigung des Klimawandels im Küstenschutz wurde vermutlich vor allem durch<br />
folgende Faktoren gefördert:<br />
� Breite wissenschaftliche <strong>und</strong> öffentliche Diskussion der Folgen des Klimawandels <strong>für</strong> <strong>die</strong> Küste;<br />
� Hohes Schadenspotenzial bei Deichversagen;<br />
� Anpassung an säkularen Meeresspiegelanstieg rechtlich verankert <strong>und</strong> seit Jahrh<strong>und</strong>erten<br />
praktiziert;<br />
� Etablierte organisatorische <strong>und</strong> technische Voraussetzungen <strong>für</strong> Anpassungsmaßnahmen;<br />
� Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen zu einem erheblichen Teil durch den B<strong>und</strong>; Entscheidung<br />
über Anpassung durch <strong>die</strong> Länder.<br />
Die Bemessung der erforderlichen Bestickhöhen ist in der Vergangenheit durch <strong>die</strong> Extrapolation der<br />
historischen Veränderungen des Meeresspiegels bzw. der Sturmflutscheitelstände erfolgt. Durch <strong>die</strong><br />
Entwicklung der Klimaforschung besonders in den letzten Jahren <strong>und</strong> <strong>die</strong> Etablierung von gekoppelten<br />
Ozean-Atmosphäre-Modellen ist eine Abschätzung zukünftiger Veränderungen, <strong>die</strong> nicht nur auf einer<br />
103
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Extrapolation eines beobachteten Trends, sondern auf einer Nachbildung der wesentlichen Systemzusammenhänge<br />
beruht, möglich geworden (von Storch, 2005). Trotz der immanenten Unsicherheit,<br />
<strong>die</strong> in den zum Teil großen Spannweiten möglicher Klimaänderungen zum Ausdruck kommen, erweitern<br />
<strong>die</strong> Ergebnisse der Klimaforschung <strong>und</strong> der internationale Abstimmungsprozess im IPCC <strong>die</strong> Entscheidungsgr<strong>und</strong>lagen<br />
des Küstenschutzes qualitativ <strong>und</strong> quantitativ ganz erheblich.<br />
Allerdings stellt <strong>die</strong> Art der Information über den beschleunigten Meeresspiegelanstieg <strong>als</strong> Ergebnis<br />
von Simulationen des Klimasystems unter der Annahme verschiedener Emissions-Szenarien eine<br />
neue Form der Information dar. Diese wurde/wird vom politisch-administrativen System (PAS) <strong>als</strong><br />
unsicher interpretiert (Peters/Heinrich 2005, Lange et al. 2005), während <strong>die</strong> Fortschreibung des beobachteten<br />
Trends von Pegelständen <strong>als</strong> „sichere Information“ interpretiert wird – was sie mitnichten<br />
ist. Die Berücksichtigung <strong>die</strong>ser neuen, scheinbar unsichereren Information durch das PAS stellte eine<br />
<strong>Herausforderung</strong> dar <strong>und</strong> kann <strong>als</strong> wesentliches Hemmnis bei der Berücksichtigung der neuen Randbedingung<br />
beschleunigter Meeresspiegelanstieg bezeichnet werden.<br />
Obwohl <strong>die</strong>ses Hemmnis durch den Diskussionsprozess der vergangenen Jahre deutlich reduziert<br />
worden ist erscheint es zum einen sinnvoll, <strong>die</strong> Informationsbasis über den Klimawandel <strong>und</strong> seine<br />
Prognostizierbarkeit weiter zu verbessern. Zum anderen sollte unseres Erachtens, wie wir bereits<br />
2007 angeregt haben (Schuchardt/Schirmer, 2007b), ein „Mechanismus“ etabliert werden, mit dem<br />
der Klimawandel zu einer „sichereren“ Randbedingung – im Sinne einer belastbaren Handlungs- <strong>und</strong><br />
Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> regionale <strong>und</strong> lokale Akteure – <strong>für</strong> den Küstenschutz <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen<br />
gesellschaftlichen Handlungsfelder gemacht werden kann.<br />
Hier lohnt ein Blick nach Süddeutschland <strong>und</strong> in <strong>die</strong> Niederlande, wo ähnliche Problemkonstellationen<br />
in der Wasserwirtschaft <strong>und</strong> dem Küstenschutz bewältigt werden mussten <strong>und</strong> wo gute Beispiele hinsichtlich<br />
der Frage wer auf welcher Basis Entscheidungen <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> treffen soll existieren.<br />
Die B<strong>und</strong>esländer Baden-Württemberg <strong>und</strong> Bayern haben schon im Jahr 1998 zusammen mit dem<br />
Deutschen Wetter<strong>die</strong>nst (DWD) eine Rahmenvereinbarung beschlossen <strong>die</strong> vorsieht, durch das Kooperationsvorhaben<br />
„Klimaveränderung <strong>und</strong> Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wasserwirtschaft“ (KLIWA) langfristig<br />
<strong>die</strong> klimawandelbedingten Auswirkungen auf den Wasserhaushalt herauszuarbeiten <strong>und</strong> verbindliche<br />
Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wasserwirtschaft abzuleiten (www.kliwa.de). Auf der Basis<br />
des jeweils aktuellsten Wissens über <strong>die</strong> Veränderungen der Hochwasserabflüsse aller Flusseinzugsgebiete<br />
werden heute aus Vorsorgegründen bei der Bemessung neuer Hochwasserschutzanlagen <strong>die</strong><br />
Auswirkungen des Klimawandels durch einen sogenannten „Klimaänderungsfaktor“ berücksichtigt (<strong>für</strong><br />
das bemessungsrelevante statistisch alle 100 Jahre auftretende Hochwasserereignis – HQ100)<br />
schwankt <strong>die</strong>ser zwischen 1,15 <strong>und</strong> 1,25; <strong>für</strong> ein HQ5 beträgt er maximal 1,67; KLIWA, 2006; KLIWA,<br />
2009). Dieser Faktor hat auch Eingang in technische Regelungen wie zum Beispiel den Leitfaden<br />
„Festlegung des Bemessungshochwassers <strong>für</strong> Anlagen des technischen Hochwasserschutzes“ in<br />
Baden-Württemberg (LfU, 2005) gef<strong>und</strong>en, der damit eine <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachverwaltungen verbindlichere<br />
Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage liefert.<br />
Die Erkenntnisse von KLIWA sind weiterhin auch im bayerischen Klimaprogramm aufgenommen worden,<br />
wo <strong>für</strong> <strong>Klimaanpassung</strong> betont wird, dass eine Weiterentwicklung regionaler Klimamodelle zur<br />
Verbesserung der Abschätzung des zukünftigen Klimawandels, eine Auswahl <strong>und</strong> Bewertung geeigneter<br />
regionaler Klimaszenarien sowie eine einheitliche Szenarienauswahl <strong>für</strong> <strong>die</strong> bayerischen Fachverwaltungen<br />
notwendig ist (Bayerische Staatsregierung, 2007).<br />
In den Niederlanden ist <strong>die</strong> sogenannte „Delta Commission“ von der Regierung beauftragt worden,<br />
Empfehlungen <strong>für</strong> einen „climate proof“ Küstenschutz abzugeben. Aufgr<strong>und</strong> des Anspruchs, den ge-<br />
104
KLIMZUG-Workingpaper<br />
genwärtigen Sicherheitsstandard im Küstenschutz um den Faktor zehn zu erhöhen, ist das „Delta<br />
Programme“ aufgelegt worden, das finanziell, politisch <strong>und</strong> administrativ im neuen „Delta Act“ verankert<br />
ist. Ausgangspunkt <strong>für</strong> den zukünftigen Schutz der niederländischen Küste ist ein Szenario über<br />
den regionalen Meeresspiegelanstieg, in dem auf der Basis des verfügbaren wissenschaftlichen Wissens<br />
davon ausgegangen wird, dass er bis 2100 um 0,65 bis 1,3 Meter <strong>und</strong> bis 2200 um 2 bis 4 Meter<br />
angestiegen sein wird (Deltacommissie, 2008). Die politisch-administrative Organisation <strong>und</strong> finanzielle<br />
Absicherung ist dabei folgendermaßen: Der Delta Act schreibt vor, dass ein Delta-Kommissar ernannt,<br />
ein jährliches Delta-Programm aufgestellt <strong>und</strong> ein Fortschrittsbericht vorgelegt werden muss.<br />
Dieses bildet <strong>die</strong> Rechtsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Einrichtung eines Delta-Fonds, aus dem das Delta-<br />
Programm finanziert wird <strong>und</strong> der vom niederländischen Parlament genehmigt werden muss. Am 29.<br />
November 2011 billigte der Ministerrat einstimmig den „Delta Act“ was bedeutet, dass das Delta-<br />
Programm, der Delta-Fonds <strong>und</strong> der Delta-Kommissar rechtlich verbindliche Form haben<br />
(http://www.deltacommissaris.nl/english/).<br />
Um <strong>die</strong> „neue Randbedingung“ Klimawandel operationabel zu machen, sind unseres Erachtens <strong>als</strong><br />
externer Input ähnlich wie <strong>für</strong> <strong>die</strong> süddeutschen B<strong>und</strong>esländer oder <strong>die</strong> Niederlande ein oder gegebenenfalls<br />
mehrere „autorisierte“ oder „legitimierte“ Klimaszenarien erforderlich, <strong>die</strong> auf dem kontinuierlich<br />
weiterentwickelten Wissen über den regionalen Klimawandel basieren müssen. Diese sollten,<br />
soweit rechtlich möglich, <strong>für</strong> alle B<strong>und</strong>esländer zentrale Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage sein <strong>und</strong> nicht nur<br />
Angaben zum Meeresspiegelanstieg, sondern auch zu den Veränderungen anderer Klimaparameter<br />
enthalten. Dazu empfehlen wir, an den etablierten <strong>und</strong> aufwändigen IPCC-Prozess anzuschließen <strong>und</strong><br />
dazu einen „Klima-Rat“ aus Vertretern von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern sowie unabhängigen Experten zu etablieren.<br />
Dieser hat <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Ergebnisse des IPCC-Prozesses <strong>für</strong> <strong>die</strong> Situation in Deutschland<br />
unter Nutzung zusätzlicher regionalisierter Modelle zu interpretieren <strong>und</strong> ein oder gegebenenfalls<br />
mehrere regional differenzierte Klimaszenarien zu formulieren, <strong>die</strong> <strong>als</strong> einheitliche Basis <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planung<br />
<strong>und</strong> Umsetzung von Adaptationsstrategien genutzt werden. Da in <strong>die</strong>sem Schritt Setzungen <strong>und</strong><br />
Wertungen erforderlich sind, ist das Ergebnis entsprechend politisch zu legitimieren, zum Beispiel<br />
durch Leitfäden, deren Anwendung zur allgemein anerkannten Regel der Technik wird (LfU, 2005),<br />
verbindliche Kooperationsvereinbarungen oder einen Kabinettsbeschluss wie in den Niederlanden.<br />
Für <strong>die</strong> regionalen <strong>und</strong> lokalen Akteure würde <strong>die</strong>s eine einheitliche <strong>und</strong> belastbarere Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage<br />
schaffen <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> Berücksichtigung des „unsicheren Wissens“ zum Klimawandel erleichtern.<br />
Literatur<br />
Bayerische Staatsregierung, 2007, Klimaprogramm Bayern 2020: Minderung von Treibhausgasen,<br />
Anpassung an den Klimawandel, Forschung <strong>und</strong> Entwicklung, S.35 , URL:<br />
http://www.bayern.de/Klimaprogramm-Bayern-2020-.1526/index.htm [Stand 2012-02-01].<br />
BMELV – B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Ernährung, Landwirtschaft <strong>und</strong> Verbraucherschutz, 2009, Rahmenplan<br />
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur <strong>und</strong> des Küstenschutzes“ <strong>für</strong> den<br />
Zeitraum 2009-2012 <strong>und</strong> Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur<br />
<strong>und</strong> des Küstenschutzes“: Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels,<br />
Bonn, URL:<br />
http://www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/559830/publicationFile/27741/Rahmenplan2009-2012.pdf<br />
[Stand 2010-04-01].<br />
105
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Brencher, Jan / Elsner, Anne / Spekker, Heiko / Matheja, Andreas / Zimmermann, Claus, 2007,<br />
Risikomanagement extremer Hochwasser (RIMAX). Verb<strong>und</strong>projekt: Integriertes Hochwasserrisikomanagement<br />
in einer individualisierten Gesellschaft (INNIG). Teilprojekt 1: Risikoanalyse <strong>und</strong> -<br />
steuerung. Schlussbericht, URL: http://www.innig.uni-bremen.de/endbericht_tp1.pdf [Stand 2010-03-<br />
08].<br />
B<strong>und</strong>esregierung, 2008, Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Vom B<strong>und</strong>eskabinett<br />
am 17. Dezember 2008 beschlossen, S.78, URL:<br />
http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/das_gesamt.pdf [Stand 2008-12-18].<br />
Daschkeit, Achim / Schottes, Peter (Hrsg.), 2002, Klimafolgen <strong>für</strong> Mensch <strong>und</strong> Küste am Beispiel der<br />
Nordseeinsel Sylt, Springer, Heidelberg.<br />
Deltacommissie, 2008, Working together with water. A living land builds for its future. Findings of the<br />
Deltacommissie 2008, S.134, URL: http://www.deltacommissie.com/doc/deltareport_full.pdf [Stand<br />
2012-02-01].<br />
EEA – European Environment Agency, 2008, Impacts of Europe’s changing climate – 2008 indicator<br />
based assessment. EEA Report No 4/2008, Joint EEA-JRC-WHO report: S.247, URL:<br />
http://www.eea.europa.eu/publications/eea_report_2008_4 [Stand 2011-01-12].<br />
Elsner, Wolfram / Otte, Christoph / Yu, Inhi, 2005, Klimawandel <strong>und</strong> regionale Wirtschaft. Vermögensschäden<br />
<strong>und</strong> Einkommensverluste durch extreme Klimaereignisse sowie Kosten-Nutzen-<br />
Analysen von Schutzmaßnahmen – Am Beispiel der nordwestdeutschen Küstenregion. Projektendbericht<br />
des Teilprojekts 5 im Verb<strong>und</strong>vorhaben „Klimawandel <strong>und</strong> präventives Risiko- <strong>und</strong> Küstenschutzmanagement<br />
an der deutschen Nordseeküste (KRIM)“, URL: http://www.krim.uni-bremen.de<br />
[Stand 2010-03-01].<br />
Fischer, Ludwig / Reise, Karsten (Hrsg.), 2011, Küstenmentalität <strong>und</strong> Klimawandel. Küstenwandel <strong>als</strong><br />
kulturelle <strong>und</strong> soziale <strong>Herausforderung</strong>. oekom Verlag München, S.230.<br />
KLIWA, 2006, Unser Klima verändert sich / Folgen – Ausmaß – Strategien. Broschüre, S.18, URL:<br />
http://www.kliwa.de/download/KLIWA.pdf [Stand 2012-02-01].<br />
KLIWA, 2009, Klimawandel im Süden Deutschlands / Ausmaß – Folgen – Strategien. Broschüre,<br />
S.19 , URL: http://www.kliwa.de/download/Klimawandel_im_Sueden_Deutschlands.pdf [Stand 2012-<br />
02-01].<br />
Lange, Helmuth / Wiesner, Andreas / Haarmann, Marion / Voosen, Esther, 2007, „Handeln nur auf<br />
der Basis sicheren Wissens“. Die Konstruktion des Risikos aus Sturmfluten <strong>und</strong> Klimawandel im politisch-administrativen<br />
System. In: B. Schuchardt & M. Schirmer (Hrsg.), Land unter? Klimawandel,<br />
Küstenschutz <strong>und</strong> Risikomanagement in Nordwestdeutschland: <strong>die</strong> Perspektive 2050, München: oekom<br />
verlag, S. 145-166.<br />
Lange, Helmuth / Haarmann, Marion / Wiesner-Steiner, Andreas / Voosen, Esther, 2005, Politischadministrative<br />
Steuerungsprozesse (PAS). Endbericht des Teilprojekts 4 im Verb<strong>und</strong>projekt „Klimawandel<br />
<strong>und</strong> präventives Risiko- <strong>und</strong> Küstenschutzmanagement an der deutschen Nordseeküste<br />
(KRIM)“, Universität Bremen, artec – Forschungszentrum Nachhaltigkeit, BMBF-Förderkennzeichen<br />
01LD0011, S.133.<br />
106
KLIMZUG-Workingpaper<br />
LfU – Landesanstalt <strong>für</strong> Umweltschutz Baden-Württemberg (Hrsg.), 2005, Festlegung des Bemessungshochwassers<br />
<strong>für</strong> Anlagen des technischen Hochwasserschutzes. Leitfaden, S.91.<br />
Mai, Stephan / Elsner, Anne / Elsner, Wolfram / Eppel, Dieter P. / Grabemann, Iris / Grabemann,<br />
Hans-Jürgen / Kraft, Dietmar / Meyer, Volker / Otte, Christoph / Wittig, Stefan / Yu, Inhi / Zimmermann,<br />
Claus, 2007, Der beschleunigte Meeresspiegelanstieg <strong>und</strong> <strong>die</strong> Küstenschutzsysteme: Methoden<br />
der erweiterten Risikoanalyse. In: B. Schuchardt & M. Schirmer, (Hrsg.), Land unter? Klimawandel,<br />
Küstenschutz <strong>und</strong> Risikomanagement in Nordwestdeutschland: <strong>die</strong> Perspektive 2050, München:<br />
oekom verlag; S. 75-92.<br />
NLWKN – Niedersächsischer Landesbetrieb <strong>für</strong> Wasserwirtschaft, Küsten- <strong>und</strong> Naturschutz (Hrsg.),<br />
2007, Generalplan Küstenschutz Niedersachsen/Bremen – Festland, Norden.<br />
NLWKN – Niedersächsischer Landesbetrieb <strong>für</strong> Wasserwirtschaft, Küsten- <strong>und</strong> Naturschutz (Hrsg.),<br />
2010, Generalplan Küstenschutz Niedersachsen – Ostfriesische Inseln, Norden.<br />
Peters, Hans Peter / Heinrichs, Harald, 2007, Das öffentliche Konstrukt der Risiken durch Sturmfluten<br />
<strong>und</strong> Klimawandel, in: B. Schuchardt & M. Schirmer, (Hrsg.), Land unter? Klimawandel, Küstenschutz<br />
<strong>und</strong> Risikomanagement in Nordwestdeutschland: <strong>die</strong> Perspektive 2050, München: oekom verlag,<br />
S. 115-144.<br />
Peters, Hans Peter / Heinrichs, Harald, 2005, Öffentliche Kommunikation über Klimawandel <strong>und</strong><br />
Sturmflutrisiken. Bedeutungskonstruktion durch Experten, Journalisten <strong>und</strong> Bürger, Schriften des Forschungszentrums<br />
Jülich, Reihe Umwelt / Environment, Band 58: S. 470.<br />
Schirmer, Michael, 2005, Das Klimaszenario der Fallstu<strong>die</strong> „Klimaänderung <strong>und</strong> Unterweserregion“<br />
(KLIMU). In: Schuchardt, Bastian & Michael Schirmer (Hrsg.), Klimawandel <strong>und</strong> Küste. Die Zukunft der<br />
Unterweserregion. Umweltnatur- <strong>und</strong> Umweltsozialwissenschaften, Springer, Berlin, Heidelberg, New<br />
York, S. 50-56.<br />
Schuchardt, Bastian / Schirmer, Michael (Hrsg.), 2005, Klimawandel <strong>und</strong> Küste. Die Zukunft der<br />
Unterweserregion, Springer-Verlag, Heidelberg, S.341.<br />
Schuchardt, Bastian / Schirmer, Michael (Hrsg.), 2007a, Land unter? Klimawandel, Küstenschutz<br />
<strong>und</strong> Risikomanagement in Nordwestdeutschland: <strong>die</strong> Perspektive 2050, oekom Verlag, München,<br />
S.237.<br />
Schuchardt, Bastian / Schirmer, Michael, 2007b, Wie können wir den Klimawandel an der Küste<br />
bewältigen?: <strong>die</strong> Perspektive 2050. Berichte zur deutschen Landesk<strong>und</strong>e 81 (2), Leipzig, S. 159-176.<br />
Schuchardt, Bastian / Wittig, Stefan / Spiekermann, Jan, 2010, Klimaszenarien <strong>für</strong> ‚nordwest2050’.<br />
Teil 2: Randbedingungen <strong>und</strong> Beschreibung, 3. Werkstattbericht, Juni 2010, S.76, URL:<br />
http://www.nordwest2050.de/index_nw2050.php?obj=file&aid=8&id=184&unid=9b37dc9f3d7d3948506<br />
c0e0b2e39d5ef [Stand 2012-11-29].<br />
Schuchardt, Bastian / Wittig, Stefan / Spiekermann, Jan, 2011, Klimawandel in der Metropolregion<br />
Bremen-Oldenburg. <strong>Regional</strong>e Analyse der Vulnerabilität ausgewählter Sektoren <strong>und</strong> Handlungsbe-<br />
107
KLIMZUG-Workingpaper<br />
reiche. 11. Werkstattbericht im Rahmen des Forschungsverb<strong>und</strong>es „nordwest2050 – Perspektiven <strong>für</strong><br />
klimaangepasste Innovationsprozesse in der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten“,<br />
BioConsult, S. 502, URL:<br />
http://www.nordwest2050.de/index_nw2050.php?obj=file&aid=8&id=272&unid=558d5bd2dde8647264f<br />
e98b295d6675e [Stand 2011-06-23].<br />
Sterr, Horst / Klein, Richard. / Reese, Stefan, 2000, Climate Change and Coastal Zones: An Overview<br />
of the State-of-the-Art on <strong>Regional</strong> and Local Vulnerability Assessment, in: Fondazione Eni Enrico<br />
Mattei, Nota di Lavorno, 38, S. 1-24.<br />
von Storch, Hans, 2005, Veränderliches Küstenklima – Die vergangenen <strong>und</strong> <strong>die</strong> zukünftigen 100<br />
Jahre, in: FANSA, M. (Hrsg.), Kulturlandschaft Marsch: Natur, Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, Isensee-<br />
Verlag, S. 230-245.<br />
Website Delta Programme Commissioner, URL: http://www.deltacommissaris.nl/english/ [Stand<br />
2012-02-01].<br />
Website KLIWA – Klimaveränderung <strong>und</strong> Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wasserwirtschaft: Was ist KLIWA?,<br />
URL: http://www.kliwa.de/ [Stand 2012-02-01].<br />
Wittig, Stefan / Elsner, Anne / Elsner, Wolfram /. Eppel, Dieter P / Grabemann, Iris / Grabemann,<br />
Hans-Jürgen / Kraft, Dietmar / Mai, Stephan / Meyer, Volker / Otte, Christoph / Schirmer, Michael /<br />
Schuchardt, Bastian / Yu, Inhi / Zimmermann, Claus, 2007, Der beschleunigte Meeresspiegelanstieg<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Küstenschutzsysteme: Ergebnisse der erweiterten Risikoanalyse, in: Schuchardt, Bastian /<br />
Schirmer, Michael (Hrsg.), Land unter? Klimawandel, Küstenschutz <strong>und</strong> Risikomanagement in Nordwestdeutschland:<br />
<strong>die</strong> Perspektive 2050, München: oekom verlag, S. 93-113.<br />
Woth, Katja / von Storch, Hans, 2008, Klima im Wandel: Mögliche Zukünfte des Norddeutschen Küstenklimas,<br />
in: Dithmarschen: Landesk<strong>und</strong>e – Kultur – Natur, Heft 1/2008, S. 20-31.<br />
Zebisch, Marc / Grothmann, Torsten / Schröter, Dagmar / Hasse, Clemens / Fritsch, Uta / Cramer,<br />
Wolgang, 2005, Klimawandel in Deutschland. Vulnerabilität <strong>und</strong> Anpassungsstrategien klimasensitiver<br />
Systeme. Forschungsbericht, Potsdam-Institut <strong>für</strong> Klimafolgenforschung, im Auftrag des Umweltb<strong>und</strong>esamtes,<br />
S.205, URL: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/2947.pdf [Stand 2005-10-19].<br />
108
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Klimawandel an der Ostsee: Interessenskonflikte zwischen Natur<strong>und</strong><br />
Küstenschutz bei der Gewinnung mariner Sande<br />
Rieke Müncheberg / Fritz Gosselck/ Timothy Coppack / Alexander Weidauer<br />
1. Einleitung<br />
Die Entwicklung von Strategien zur Anpassung an <strong>die</strong> Folgen des Klimawandels ist Ziel im Projekt<br />
RADOST. Hier werden regionale Anpassungsstrategien speziell <strong>für</strong> <strong>die</strong> deutsche Ostseeküste erforscht.<br />
RADOST ist Teil der Fördermaßnahme KLIMZUG (Klimawandel in Regionen zukunftsfähig<br />
gestalten) <strong>und</strong> wird vom B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung gefördert. Ein Arbeitsschwerpunkt<br />
innerhalb von RADOST ist <strong>die</strong> Entwicklung von Anpassungsstrategien <strong>für</strong> <strong>die</strong> nachhaltige Nutzung<br />
mariner Ressourcen im Kontext des Klimawandels.<br />
Das Ökosystem der Ostsee ist wie andere marine Naturräume der Erde den Auswirkungen des Klimawandels<br />
unterworfen. So wird in den nächsten 100 Jahren je nach berechnetem IPCC-Szenario<br />
(A1B, B1) eine Temperaturerhöhung von 3 Kelvin (K) <strong>und</strong> ein Abfall des Salzgehaltes um 2 Practical<br />
Salinity Units (PSU) erwartet. Gleichzeitig geht man an der deutschen Ostseeküste von einem Wasserstandanstieg<br />
von 30 bis 90 cm innerhalb der nächsten 100 Jahre aus. Um <strong>die</strong>sen neuen Umweltbedingungen<br />
begegnen zu können, werden Anpassungsmaßnahmen zum Küstenschutz in Mecklenburg-Vorpommern<br />
langfristig geplant <strong>und</strong> umgesetzt. Bei der Umsetzung verfolgt das Land Mecklenburg-Vorpommern<br />
eine naturnahe Küstenschutzstrategie an der Außenküste, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Staatlichen<br />
Ämter <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt (StÄLU) umgesetzt wird. Dabei werden bevorzugt natürliche<br />
Materialen eingesetzt. Durch <strong>die</strong> Aufspülung von Sanden wird der natürlichen Sedimentdynamik<br />
Rechnung getragen, indem an zu schützenden Küstenabschnitten das ero<strong>die</strong>rte Material wieder hinzu<br />
geführt wird. Die erheblichen Mengen an Sanden, <strong>die</strong> zum Ausgleich der negativen Sedimentbilanz<br />
benötigt werden, können ökologisch <strong>und</strong> ökonomisch vertretbar ausschließlich aus der Ostsee gewonnen<br />
werden. Die Alternative zu <strong>die</strong>sem naturnahen Küstenschutz wären beispielsweise Ufermauern,<br />
<strong>die</strong> zu einer Verfelsung der Küste führen würden <strong>und</strong> hier wiederum den Erhalt wertvoller Lebensräume<br />
nicht zuließen. Die Gewinnung mariner Kiese <strong>und</strong> Sande ist dabei ein wichtiger Gr<strong>und</strong>baustein<br />
deren Umfang <strong>und</strong> Bedeutung in Zukunft zunehmen wird. Dies ist <strong>für</strong> den Küstenschutz genauso zu<br />
erwarten wie auch <strong>für</strong> gewerbliche Nutzungen wie Offshore Windenergieanlagen oder <strong>die</strong> Trassenführung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Energiewirtschaft.<br />
Diese wichtigen <strong>und</strong> notwendigen Hochwasser- <strong>und</strong> Küstenschutzmaßnahmen <strong>und</strong> <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Sedimententnahmen stehen gleichzeitig im Konflikt mit anderen Nutzungsansprüchen des Naturraums.<br />
So führt <strong>die</strong> Entnahme großer Mengen Kies <strong>und</strong> Sand mit Laderaumsaugbaggern zu temporären<br />
Beeinträchtigungen der dort befindlichen marinen Lebensräume. Diese Beeinträchtigungen <strong>und</strong><br />
das damit verb<strong>und</strong>ene Abtragen der vorher vorhandenen Flora <strong>und</strong> Fauna haben Einfluss auf andere<br />
ökologisch <strong>und</strong> ökonomisch wichtige Funktionen des Naturraums. So ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Dauer der Wiederbesiedlung<br />
der Fischereiertrag wie auch <strong>die</strong> Funktion <strong>als</strong> Nahrungsgebiet <strong>für</strong> überwinternde Wasservögel<br />
eingeschränkt. Die Wiederbesiedlung mit der im <strong>und</strong> auf dem Sediment lebenden Fauna <strong>und</strong> Flora<br />
ist von den jeweiligen morphologischen Verhältnissen, der Struktur der benthischen Tiergemeinschaft<br />
<strong>und</strong> der Hydrographie sowie deren Dynamik abhängig.<br />
Mit steigendem Meeresspiegel <strong>und</strong> einer möglichen Zunahme von Sturmfluten durch <strong>die</strong> Veränderung<br />
des Klimas erhöhen sich <strong>die</strong> Aufwendungen der erforderlichen Küstenschutzmaßnahmen. Durch <strong>die</strong><br />
109
KLIMZUG-Workingpaper<br />
damit verb<strong>und</strong>ene intensivere Nutzung der durchaus begrenzten Kies- <strong>und</strong> Sandvorkommen ergibt<br />
sich ein übergeordneter Ordnungsbedarf, der über <strong>die</strong> reine politische Moderation von Konfliktszenarien<br />
hinausgeht. So werden neben weiterem Forschungsbedarf zur objektiven Einschätzung des Eingriffs<br />
in das Ökosystem auch Möglichkeiten zur Sicherstellung des Küstenschutzes <strong>und</strong> der da<strong>für</strong> benötigten<br />
Ressourcen an marinen Sanden bei künftig möglicherweise erhöhtem Bedarf <strong>als</strong> notwendig<br />
erachtet. Der marinen Sandgewinnung sollte im raumordnerischen Sinne der Vorrang eingeräumt<br />
werden, sofern sich <strong>die</strong> Flächen außerhalb von Schutzgebieten befinden. Ein umweltschonender Abbau<br />
kann nur gewährleistet werden, wenn <strong>die</strong> Lagerstätte <strong>für</strong> den staatlichen Küstenschutz auch künftig<br />
in der öffentlichen Hand liegt. Damit verb<strong>und</strong>en sind hohe Kosten hinsichtlich Erk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Monitoring<br />
<strong>die</strong>ser Lagerstätten.<br />
2. Naturschutzfachliche Belange bei der Kiesgewinnung<br />
Die diskutierten negativen Auswirkungen der Kiesgewinnung auf <strong>die</strong> Umwelt sind vielschichtig, lassen<br />
sich jedoch in zwei Kategorien einteilen: (a) art- <strong>und</strong> lebensraumspezifische Flächenverluste <strong>und</strong> (b)<br />
graduelle Funktionsverluste von Habitaten <strong>und</strong> Ökosystemen. In der deutschen Ostsee sind im<br />
Wesentlichen drei Schutzgüter betroffen: benthische Organismen <strong>und</strong> ihre Habitate, Seevögel (im<br />
speziellen benthophage <strong>und</strong> piscivore Enten <strong>und</strong> Taucher) sowie Meeressäuger (beispielsweise durch<br />
temporäre <strong>und</strong> lokale Schallemission während des Abbaus). Unmittelbare Auswirkungen auf Seevögel<br />
sind durch Störungen während des Abbaus im Bereich der Abbaufläche, der Fahrwege <strong>und</strong> der<br />
Anlandung zu erwarten, wogegen der Entzug von Nahrungsressourcen durch <strong>die</strong> Entnahme von<br />
Sedimenten sich indirekt <strong>und</strong> langfristig auf <strong>die</strong> Überlebenswahrscheinlichkeit von Individuen<br />
auswirken könnte.<br />
Die Erheblichkeitsbewertung erfordert ein zeitlich <strong>und</strong> räumlich detailliertes Monitoring, was im<br />
Idealfall vor, während <strong>und</strong> nach dem Eingriff erfolgen sollte. Dies wird durch das Staatliche Amt <strong>für</strong><br />
Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt (StALU) Mittleres Mecklenburg seit einigen Jahren realisiert. So werden in<br />
Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig in vier repräsentativen Referenzgebieten <strong>die</strong> Auswirkungen<br />
des Kiesabbaus auf das marine Ökosystem untersucht. Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Durchführung der Umweltuntersuchungen<br />
bildet der Leitfaden zur Prüfung der Umweltverträglichkeit bei Vorhaben zur Gewinnung<br />
mariner Sedimente in den Hoheitsgewässern <strong>und</strong> in der Ausschließlichen Wirtschaftszone<br />
(AWZ) der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (BLANO, 2001). Dabei werden folgende Etappen in den Untersuchungen<br />
zu Gr<strong>und</strong>e gelegt:<br />
1.Monitoring: Aufnahme vor der Baggerung (status quo ante)<br />
2.Monitoring: Aufnahme spätestens bis einen Monat nach der Baggerung<br />
3.Monitoring: Aufnahme 24 Monate nach der Baggerung<br />
4.Monitoring: Aufnahme 60 bis 72 Monate nach der Baggerung<br />
Alle Stufen eines Monitoring <strong>für</strong> eine Lagerstätte kosten etwa so viel wie <strong>die</strong> einmalige Sandentnahme<br />
<strong>für</strong> eine Aufspülung. Das Untersuchungsprogramm zur Feststellung des Regenerationsverlaufs wird<br />
neben geologisch-geophysikalischen <strong>und</strong> bathymetrischen Aufnahmen durch weitere Arbeitsschritte<br />
ergänzt. So werden abiotische Parameter wie Sauerstoff <strong>und</strong> Salzgehalt, Temperatur <strong>und</strong> Sichttiefe<br />
erfasst. Durch Greifer-Beprobung wird <strong>die</strong> im Boden lebende Fauna sowie durch Videokartierung einzelne<br />
Biotoptypen hinsichtlich Vorkommen <strong>und</strong> Verteilung erfasst. Die Ergebnisse münden in statistische<br />
Auswertungen, Habitatbeschreibungen <strong>und</strong> Aussagen zur Hydrographie.<br />
110
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abgeschlossene Untersuchungen liegen bis heute <strong>für</strong> zwei Gebiete vor, in denen ein hohes Regenerationspotential<br />
festgestellt wurde, bei nach wie vor geringfügigen bis deutlichen Veränderungen des<br />
Meeresbodenreliefs. Innerhalb der Biozönose waren <strong>die</strong> Änderungen nach fünf Jahren nicht mehr<br />
signifikant. Unter Sicherstellung eines umweltschonenden Abbaus mariner Sande zeigen <strong>die</strong> Monitorings<br />
des Staatlichen Amtes <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt Mittleres Mecklenburg keine erheblichen<br />
<strong>und</strong> nachhaltigen Einwirkungen der Gewinnungsmaßnahmen auf <strong>die</strong> ökologische Situation. Um<br />
potentielle Auswirkungen des Kiesabbaus von natürlichen Bestands- <strong>und</strong> Verteilungsschwankungen<br />
sicher voneinander zu trennen, können <strong>die</strong> Standardmethoden weiter entwickelt werden. Ein effektives<br />
Untersuchungskonzept muss stets vor dem Hintergr<strong>und</strong> der natürlichen Dynamik des marinen<br />
Ökosystems entwickelt werden. In der Praxis gibt es hinsichtlich der Erfassung <strong>die</strong>ser Dynamik methodische<br />
Grenzen <strong>und</strong> Wissenslücken <strong>und</strong> somit entsprechenden Forschungsbedarf.<br />
Innerhalb der naturschutzfachlichen Gremien entspinnt sich derzeit eine Kontroverse, <strong>die</strong> sich<br />
zwischen Konservierung des natürlichen Raumes einerseits <strong>und</strong> der nachhaltigen Gestaltung eines<br />
Kulturraumes andererseits bewegt. So ist immer wieder in der Diskussion, dass nachhaltige<br />
Managementkonzepte auch positive ökologische Bilanzen haben könnten. Innerhalb <strong>die</strong>ser<br />
Diskussion bleibt es zu erörtern <strong>und</strong> empirisch zu belegen, ob <strong>die</strong> langfristigen Konsequenzen der<br />
Kies- <strong>und</strong> Sandgewinnung nicht auch zu einer Verbesserung der Habitatqualität <strong>für</strong> bestimmte Arten<br />
führen könnten. Andererseits ist <strong>die</strong>s nicht im Sinne des Naturschutzes <strong>und</strong> entspricht auch nicht der<br />
aktuellen Gesetzgebung, <strong>die</strong> Erhalt <strong>und</strong> Schutz des ursprünglichen Zustandes des Naturraumes<br />
verfolgt. Um <strong>die</strong>se marinen Flächen mit mehreren Entwicklungszielen belegen zu können, bedürfte es<br />
einer gezielten Forschung. So wäre ein Forschungsansatz <strong>die</strong> „künstliche Verjüngung“ von<br />
benthischen Nahrungsressourcen im Zusammenhang mit der Kiesgewinnung <strong>als</strong><br />
Managementinstrument. Dabei ist zwingend zu beachten, dass <strong>die</strong> naturschutzfachliche Bewertung<br />
der ökologischen Konsequenzen einer, wie auch immer gearteten, Bewirtschaftung <strong>die</strong> gesamte<br />
Bandbreite der ökosystemaren Reaktionen berücksichtigen muss.<br />
3. Marine Sande <strong>für</strong> den Küstenschutz<br />
Die Küste von Mecklenburg-Vorpommern weist eine negative Sedimentbilanz auf, <strong>die</strong> dauerhaft ausgeglichen<br />
werden muss, um <strong>die</strong> Stabilität von Küstenschutzanlagen zu gewährleisten. Für <strong>die</strong>se Aufgabe<br />
werden jährlich etwa 500.000 m³ Sand benötigt (siehe Abbildung 1). Dieses Material wird durch<br />
Aufspülungsarbeiten in Dünen, Strand, Schorre <strong>und</strong> Deichen der Küste Mecklenburg-Vorpommerns<br />
eingebaut. Um <strong>die</strong> gesellschaftlich wichtige Aufgabe des Küstenschutzes langfristig <strong>und</strong> nachhaltig zu<br />
sichern, werden <strong>die</strong> derzeit benötigten Sande in erheblichem Umfang aus marinen Abbaugebieten der<br />
Ostsee gewonnen. Berücksichtigt man bei der Erschließung <strong>und</strong> Gewinnung des Materi<strong>als</strong> wirtschaftliche<br />
Kriterien wie Verfügbarkeit, technologische Machbarkeit <strong>und</strong> Transportwege, so kann das Material<br />
nur aus dem flachmarinen Küstenraum gewonnen werden. Darüber hinaus bestehen gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong> ökonomische Ansprüche gegenüber gleich- oder nebengeordneten Schutzgütern innerhalb<br />
<strong>die</strong>ses Naturraums wie Fischereigründe, ökologische Funktionsräume <strong>und</strong> Schutzgebiete, Verkehrs<strong>und</strong><br />
Leitungstrassen bis hin zu Bodendenkmälern <strong>und</strong> privatrechtlichen Ansprüchen. Zum Schutz der<br />
Küste <strong>und</strong> des dahinter liegenden Siedlungsraumes werden vom Land Mecklenburg-Vorpommern<br />
umfängliche Unterhaltungs-, Planungs- <strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>ungsaktivitäten geleistet.<br />
Im Küstengebiet der deutschen Ostsee gibt es umfangreiche Lagerstätten, deren Eignung durch <strong>die</strong><br />
Zusammensetzung der <strong>für</strong> den Küstenschutz eingesetzten Sande bestimmt ist. Ein wichtiges Kriterium<br />
ist <strong>die</strong> Gewährleistung einer relativ hohen Lagestabilität an Land, <strong>die</strong> nur bei gemischtkörnigen Sedimenten<br />
mit Grob-, Mittel- <strong>und</strong> Feinsand <strong>als</strong> Hauptkomponenten gegeben ist. Abweichungen von den<br />
111
KLIMZUG-Workingpaper<br />
gewünschten Zusammensetzungen sind möglich, wenn das Material nicht <strong>für</strong> <strong>die</strong> Errichtung oder Verstärkung<br />
von Küstenschutzdünen, sondern <strong>als</strong> Baustoff <strong>für</strong> den Kern von Küstenschutzdeichen vorgesehen<br />
ist.<br />
Abbildung 1: Gewinnung mariner Sande<br />
Quelle: Bergamt Str<strong>als</strong><strong>und</strong> / Staatliches Amt <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt Mittleres Mecklenburg<br />
Da <strong>die</strong> Küste <strong>als</strong> Erholungsraum durch den Menschen genutzt wird, spielen neben der Korngrößenzusammensetzung<br />
weitere Faktoren eine wichtige Rolle, <strong>die</strong> bereits im Rahmen der Aufsuchung <strong>und</strong><br />
Erk<strong>und</strong>ung der marinen Sedimente untersucht werden. So darf der Gehalt an ges<strong>und</strong>heitsgefährdenden<br />
Stoffen kritische Grenzen nicht überschreiten. Hier gelten <strong>die</strong> Standards <strong>für</strong> Kinderspiel- sowie<br />
Park- <strong>und</strong> Freiflächen. Die Aufspülsande müssen ebenfalls frei von Munitionsaltlasten sein, <strong>die</strong> in der<br />
gesamten Ostsee angetroffen, jedoch separiert werden können. Lagerstätten mit Anteilen organogener<br />
Sedimente, <strong>die</strong> Gerüche <strong>und</strong> Verfärbung verursachen (Schlick, Torf, Mudde, Holz) oder anderer<br />
bindiger Sedimente (Ton sowie Geschiebemergel) von mehr <strong>als</strong> 5 Prozent werden vom Abbau ausgeschlossen.<br />
Um <strong>die</strong>se Qualitätskriterien zu gewährleisten, wird ein umfangreicher geologischgeophysikalischer<br />
Erk<strong>und</strong>ungsprozess betrieben. Dazu gehören geophysikalische Vermessungen mit<br />
hydroakustischen Verfahren <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufnahme von Videotransekten zur optischen Bemusterung des<br />
Meeresbodens. Aus verschiedenen Bohraufschlüssen werden <strong>die</strong> Korngrößenverteilung sowie der<br />
Schadstoffgehalt des potentiellen Abbaugutes bestimmt. Neben den geophysikalischen Erk<strong>und</strong>ungen<br />
wird eine ökologische Begleituntersuchung zur Folgenabschätzung des Eingriffs im Untersuchungsgebiet<br />
durchgeführt (nach UVP-V Bergbau 4 , BNatSchG 5 , NatschAG MV 6 , FFH 7 Verträglichkeitsprüfung),<br />
aufgr<strong>und</strong> derer zulässige Gewinnungsflächen ausgewiesen sowie Ausgleichs- <strong>und</strong> Ersatzmaßnahmen<br />
festgelegt werden. Die gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen dazu werden in Kapitel vier näher beschrieben.<br />
4<br />
Verordnung über <strong>die</strong> Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben<br />
5<br />
B<strong>und</strong>esnaturschutzgesetz<br />
6<br />
Naturschutzausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />
7 Flora-Fauna-Habitat Richtlinie<br />
112
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Erhält eine geeignete Lagerstätte den Status eines Bewilligungsfeldes, so kann <strong>die</strong> Sedimentgewinnung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Maßnahmen an Küstenschutzanlagen (<strong>für</strong> relativ nahe liegende Küstenabschnitte) mit<br />
bergrechtlichen Betriebsplanverfahren in <strong>die</strong> Wege geleitet <strong>und</strong> durchgeführt werden. Dabei werden<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Sicherstellung eines umweltschonenden Abbaus verschiedene Faktoren berücksichtigt. In<br />
Mecklenburg-Vorpommern ist nur <strong>die</strong> oberflächennahe Entnahme von Rohstoffen erlaubt. Dabei sind<br />
<strong>die</strong> Abbautechnologie <strong>und</strong> -technik von Bedeutung. Der Abbau erfolgt hydraulisch mit Hilfe von Laderaumsaugspülbaggern<br />
mit einem ein bis drei Meter breiten Schleppkopf ausschließlich flächenhaft in<br />
Streifen bis in Tiefen von maximal 50 cm. Gleichzeitig darf nach dem Eingriff <strong>die</strong> Mächtigkeit des Sediments<br />
50 cm nicht unterschreiten. Um eine Regenerationszeit <strong>für</strong> benthische Lebensgemeinschaften<br />
von fünf Jahren zu ermöglichen, werden entsprechende Nutzungsintervalle eingehalten. Mit der Dokumentation<br />
ist der Abbau auf der Hauptbetriebsplanfläche eindeutig nachweisbar. Die bei der Baggerung<br />
entstandenen Rinnen auf dem Meeresboden ebnen sich durch Nivellierungsprozesse innerhalb<br />
weniger Jahre zum Teil komplett ein. Die biologische Wiederbesiedlung erfolgt aus den nicht abgebauten,<br />
höher liegenden Bereichen.<br />
4. Gesetzliche Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Regelungsbedarf<br />
Die rechtliche Situation zur Gewinnung mariner Kiese <strong>und</strong> Sande <strong>für</strong> den Küstenschutz ist durch verschiedene<br />
zum Teil parallele rechtliche Zuständigkeiten geprägt <strong>und</strong> regional stark differenziert. Unter<br />
Berücksichtigung aller Nutzungsinteressenten <strong>und</strong> Konfliktparteien sind <strong>die</strong> Zuständigkeiten vom<br />
kommunalen Bereich der landseitigen Uferzone über <strong>die</strong> vom B<strong>und</strong>esland Mecklenburg-Vorpommern<br />
verwaltete 12 Seemeilenzone bis hin zum B<strong>und</strong>, der <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bereiche der Ausschließlichen Wirtschaftszone<br />
(AWZ) zuständig ist, verteilt. Das bestehende nationale Rechts- <strong>und</strong> Verwaltungsgefüge<br />
wird zusätzlich mit Planungs-, Schutz- <strong>und</strong> Entwicklungszielen der EU belegt, <strong>die</strong> EU-rechtlich abgesichert<br />
<strong>und</strong> mit der naturschutzfachlichen Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esgesetzgebung Deutschlands umgesetzt<br />
werden. Dadurch hat sich in den letzten Jahren <strong>die</strong> Gesamtsituation zur Umsetzung von Planungs<strong>und</strong><br />
Nutzungszielen im Bereich der deutschen Ostsee insgesamt verkompliziert. Die zukünftige Nutzung<br />
von Naturraum <strong>und</strong> Ressourcen wird in den Verordnungen über <strong>die</strong> Raumordnung sowie dem<br />
Raumordnungsplan in der deutschen AWZ der Ostsee (ROP-OS-2009) <strong>und</strong> dem Landesraumentwicklungsprogramm<br />
(LEP-MV-2005) beschrieben <strong>und</strong> reguliert.<br />
In der AWZ der deutschen Ostsee findet momentan keine Rohstoffgewinnung statt <strong>und</strong> eine Wiederaufnahme<br />
der bis 1989 vorgenommenen Nutzung wird vorerst nicht angestrebt. Falls der Bedarf an<br />
Grob- <strong>und</strong> Mittelsanden zum Beispiel auf Gr<strong>und</strong> des prognostizierten Meeresspiegelanstiegs von circa<br />
30 bis 90 cm steigen sollte, stehen in der AWZ umfangreiche Vorkommen zur Verfügung. Dem gegenüber<br />
werden ein Großteil der marinen Lagerstätten Mecklenburg-Vorpommerns <strong>für</strong> Strandaufspülungen<br />
<strong>und</strong> Deichbau im Rahmen des Küstenschutzes genutzt. Entlang der Küste befinden sich <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong>se Zwecke zahlreiche Vorbehalts- <strong>und</strong> Abbauflächen. Einige Lagerstätten, <strong>für</strong> <strong>die</strong> mittlerweile Bewilligungen<br />
vorliegen, sind demnach Vorranggebiete <strong>für</strong> <strong>die</strong> marine Rohstoffsicherung.<br />
Die Entnahme <strong>die</strong>ser marinen Rohstoffe des B<strong>und</strong>eslandes erfolgt ausschließlich aus Lagerstätten,<br />
<strong>die</strong> Bestandteil der Richtlinie marine Sandgewinnung <strong>für</strong> Küstenschutz (RL-MSK-1997) sind.<br />
Das Land Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch das StALU Mittleres Mecklenburg, ist Inhaber<br />
von Bewilligungen zur Gewinnung des Bodenschatzes Sand in gegenwärtig fünfzehn Bewilligungsfeldern<br />
nach § 8 B<strong>und</strong>esberggesetz (BBergG), <strong>für</strong> <strong>die</strong> in den kommenden Jahren bergrechtliche Planfeststellungsverfahren<br />
zur Zulassung von Rahmenbetriebsplänen angestrebt werden. Die Erteilung<br />
von Bergbauberechtigungen <strong>und</strong> Betriebsplanverfahren auf der Gr<strong>und</strong>lage von Aufsuchungen zur<br />
Gewinnung von marinen Sedimenten im Bereich des zu Mecklenburg-Vorpommern gehörigen Küs-<br />
113
KLIMZUG-Workingpaper<br />
tenmeeres sowie des Festlandsockels obliegt dem Bergamt Str<strong>als</strong><strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage des BBergG,<br />
welches sowohl in der Aufsuchung <strong>als</strong> auch in der Gewinnung mariner Sande Berücksichtigung findet.<br />
Vom ökologischen Standpunkt aus gesehen führt <strong>die</strong> Entnahme der Rohstoffe zu temporären Beeinträchtigungen<br />
der marinen Lebensräume, vor allem des Benthos. Gleichzeitig ist <strong>die</strong> Regenerationszeit<br />
der Zönosen von den jeweiligen Sedimentverhältnissen, von der Besiedlungsstruktur, von Hydrographie<br />
<strong>und</strong> Gewässerdynamik sowie von der Methodik der Entnahme abhängig. Das Benthos in der<br />
Ostsee regeneriert sehr schnell, wenn <strong>die</strong> Substratzusammensetzung erhalten bleibt. Das haben <strong>die</strong><br />
Untersuchungen an den Schürfflächen <strong>und</strong> begleitende Monitoringprogramme des Landes ergeben.<br />
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass <strong>die</strong> Abbaugebiete oft dicht an <strong>und</strong> auch zum Teil in Gebieten<br />
liegen, <strong>die</strong> eine große Bedeutung <strong>für</strong> das Ökosystem der Ostsee haben. Diese Nähe ist der Tatsache<br />
geschuldet, dass <strong>die</strong> <strong>für</strong> den Küstenschutz erforderlichen Grob- <strong>und</strong> Mittelsande im Umfeld pleistozäner<br />
Hügel liegen. Diese Untiefen <strong>und</strong> riffähnlichen Strukturen sind per Definition <strong>als</strong> FFH-<br />
Lebensraumtyp EU-code 1170 "Riff" ausgewiesen. Blöcke, Steine <strong>und</strong> Geröllfelder bilden außerdem<br />
<strong>die</strong> einzigen Hartsubstratareale an der südlichen Ostseeküste. Diese Hartsubstrate stellen den Lebensraum<br />
<strong>für</strong> Aufwuchsorganismen <strong>und</strong> Großalgen dar <strong>und</strong> <strong>die</strong>nen <strong>als</strong> Aufzucht- <strong>und</strong> Laichgebiet <strong>für</strong><br />
Kleinfische <strong>und</strong> kommerziell genutzte Arten wie zum Beispiel Hering <strong>und</strong> Hornhecht. Miesmuscheln,<br />
<strong>die</strong> sich an <strong>die</strong> Hartböden anheften <strong>und</strong> Bänke bilden, sind <strong>die</strong> Hauptnahrung der überwinternden<br />
Wasservögel aus dem gesamten Baltikum (RL-Aves-2009).<br />
Um <strong>die</strong>se Lebensräume zu schützen gibt es eine Reihe von Landes-, B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> EU-<br />
Naturschutzgesetzen (NatSchG-2010, BNatSchG-2009). Sie werden im Sinne eines Handlungsrahmens<br />
in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL-1992) zusammengefasst <strong>und</strong> <strong>die</strong>nen dem Aufbau<br />
des Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000. Der Abbau von marinen Sedimenten ist auf Gr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser<br />
Gesetzeslage genehmigungspflichtig <strong>und</strong> muss langfristig geplant werden. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist es bei der<br />
Genehmigung nicht relevant, ob ein Projekt oder Plan direkt Flächen innerhalb des Natura 2000-<br />
Gebietes in Anspruch nimmt oder von außen auf das Gebiet einwirkt. Sind erhebliche Beeinträchtigungen<br />
nicht mit Sicherheit auszuschließen, muss zur weiteren Klärung des Sachverhaltes eine FFH-<br />
Verträglichkeitsprüfung (RL-UVP-EU-1985, UVPG-EU-2010) durchgeführt werden. Die FFH-<br />
Verträglichkeitsprüfung erfolgt auf der Basis der <strong>für</strong> das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beziehungsweise<br />
Schutzzweck <strong>und</strong> der zugr<strong>und</strong>e gelegten Schutzgebietsverordnung (BfN-Habitat-Mare).<br />
Zentrale Frage ist, ob ein Projekt oder Plan zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura 2000-<br />
Gebiets in seinen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen kann.<br />
Um großräumige Veränderungen des Wasseraustauschs zu vermeiden, darf der Abbau von Rohstoffen<br />
nicht zu überregionalen hydromorphologischen Veränderungen führen. Diese Forderung betrifft<br />
vor allem „Kammlagen“ solcher Gebiete, <strong>die</strong> den Wasseraustausch zwischen zwei Becken limitieren<br />
<strong>und</strong> damit den vorherrschenden Salzgehalt <strong>und</strong> Grad der Exposition bestimmen. Solche Gebiete sind<br />
zum Beispiel der Fehmarnbelt, <strong>die</strong> Kadetrinne <strong>und</strong> <strong>die</strong> Darßer Schwelle in der Ausschließlichen Wirtschaftszone.<br />
Im Hoheitsgebiet von Mecklenburg-Vorpommern stellen <strong>die</strong> Boddenrandschwellen der<br />
Wismarbucht <strong>und</strong> des Greifswalder Boddens solche Problemzonen dar.<br />
Das gemeinsame Interesse des Naturschutzes <strong>und</strong> der Fischerei einerseits <strong>und</strong> der bergbaubetreibenden<br />
Industrie <strong>und</strong> deren Abnehmern andererseits, führt zu Nutzungskonflikten (siehe Abbildung 2).<br />
Bei den durchaus kontrovers geführten Abwägungs- <strong>und</strong> Abstimmungsprozessen zur Erschließung<br />
<strong>und</strong> Nutzung der Rohstoffquellen <strong>für</strong> den Küstenschutz konkurrieren naturschutzfachliche Standpunkte<br />
auf der einen Seite mit dem prioritären Anspruch auf "Schutz <strong>für</strong> Leib <strong>und</strong> Leben" auf der anderen<br />
Seite.<br />
114
KLIMZUG-Workingpaper<br />
Abbildung 2: Nutzungskonflikt: Natura 2000 – Marine Sandgewinnung (Gewerbe sowie Küstenschutz)<br />
Quelle: IfAÖ<br />
Abbauflächen (bestehend <strong>und</strong> geplant)<br />
Naturschutzgebiete<br />
Pleistozäne Rümpfe, Hartsubstrate, Riffe<br />
Sedimentationsbecken Schlick <strong>und</strong> Mudden<br />
Mittel- <strong>und</strong> Grobsande<br />
Feine Sande mit hohem Schluffanteil<br />
Dabei zeichnet sich in den letzten Jahren (seit 2009) folgende Entwicklung ab: Die Bedeutung des<br />
Küstenschutzes nimmt mit steigendem Wasserstand zu. Das Land ist zum Schutz von Leben <strong>und</strong><br />
Eigentum seiner Bürger gesetzlich verpflichtet. Die Prognose von 30 bis 90 cm Anstieg des Meeresspiegels<br />
erscheint gering. An Flachküsten bedeutet <strong>die</strong>ser Anstieg aber große Flächen, <strong>die</strong> potentiell<br />
überschwemmt werden können. Hinzu kommen Extremwetterlagen mit Stürmen, wie sie in den letzten<br />
Jahren mit zunehmender Häufigkeit auftraten.<br />
Die erwähnte gesetzliche Lage verpflichtet andererseits zum Naturschutz. Konsequenterweise stellt<br />
der internationale Naturschutz <strong>die</strong> Bedeutung des Biotopschutzes (Lebensraumschutz) gegenüber<br />
dem Artenschutz in den Vordergr<strong>und</strong>. Die Ostseebiotope unterteilen sich in der südlichen Ostsee in<br />
einen schmalen „belebten“ Abschnitt an den Küsten <strong>und</strong> einen „toten“ Abschnitt („dead bottoms“) in<br />
den Becken unterhalb der Halokline. Der „lebende“ Küstenabschnitt ist schmal, <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />
Aktivitäten konzentrieren sich auf <strong>die</strong>sen Teil.<br />
Eine begrenzte, kontrollierte <strong>und</strong> regulierte Nutzung <strong>die</strong>ser wertvollen Lebensräume ist möglich. Grenzenloser<br />
Abbau ohne Prüfung der Auswirkungen ist nicht zu verantworten <strong>und</strong> wird auch nicht mehr<br />
gehandhabt. Um künftige Beeinträchtigungen zu minimieren <strong>und</strong> gleichzeitig Sedimentressourcen im<br />
angestrebten Umfang erschließen zu können, wurden in den letzten Jahren seitens des Staatlichen<br />
Amtes <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt Mittleres Mecklenburg große Anstrengungen unternommen, um<br />
den Prozess der Sedimentgewinnung nachhaltig zu gestalten. Da man viele ökologische Phänomene<br />
<strong>und</strong> Abläufe bei der Wiederbesiedelung der genutzten Abbauflächen nur unzureichend verstand, wurden<br />
umweltrelevante Auswirkungen durch eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen erfasst.<br />
Schon im Jahr 2004 begann das Land Mecklenburg-Vorpommern mit der Durchführung von Monitorings<br />
in Sandgewinnungsgebieten. Dieses Instrument wird auch bei der gewerblichen Nutzung mari-<br />
115
KLIMZUG-Workingpaper<br />
ner Sande gefordert <strong>und</strong> durchgeführt <strong>und</strong> stellt damit ein Instrument zur Regelung dar, <strong>die</strong> in Managementplänen<br />
weiter auszubauen sind, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kenntnisse über ein Gebiet zusammenfassen <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> Entwicklung bewerten.<br />
Wo kommen marine Sande her?<br />
Riffe sind (wie oben schon gesagt) eiszeitliche Erhebungen, <strong>die</strong> sich aus Flächen mit Restsedimenten mit<br />
Hartböden <strong>und</strong> aus Sandflächen zusammensetzten. Der gesamte Lebensraum ist nach EU-Recht geschützt.<br />
Die mit Hartböden bedeckten Flächen regenerieren im Falle des Abbaus (Steinfischerei) schwer (>100 Jah-<br />
re). Bei Erosion des Geschiebemergels werden Blöcke wieder freigesetzt. Die Grobsand- <strong>und</strong> Kiesflächen<br />
(ebenfalls Restsedimente) unterliegen gewöhnlich einer schnelleren Regeneration. Das Bergrecht schreibt<br />
vor, dass <strong>die</strong> Sedimentzusammensetzung durch <strong>die</strong> Entnahme nicht verändert werden darf. In <strong>die</strong>sem Falle<br />
ist eine Regeneration der benthischen Lebensgemeinschaften innerhalb von 3 bis 15 Jahren gewährleistet.<br />
Sandbänke dagegen bestehen aus Feinsanden. Ihnen kommt besonders eine Bedeutung bei der typischen<br />
Ausbildung der Ausgleichsküste <strong>und</strong> ihrer Küstenlebensräume zu (Lagunen, Windwatten, Salzwiesen u.a.).<br />
Sie prägen das Landschaftsbild von Mecklenburg-Vorpommern, mit dem <strong>die</strong> Tourismusindustrie Gäste an-<br />
wirbt. Industrieller Nutzungsanspruch besteht kaum.<br />
5. Zusammenfassung <strong>und</strong> Entwicklungsperspektiven<br />
Die im Zuge des globalen Klimawandels lokal in Gang gesetzten Klimaschutz- <strong>und</strong> <strong>Klimaanpassung</strong>smaßnamen<br />
werden unweigerlich zu einer Nutzungsintensivierung in der Ostsee führen. Der<br />
Bedarf an marinen Kiesen <strong>und</strong> Sanden <strong>für</strong> einen effektiven Küstenschutz steht derzeit im Konflikt zu<br />
den Belangen des Naturschutzes, <strong>und</strong> <strong>die</strong> gegenwärtige Diskussion verläuft weitestgehend unmoderiert.<br />
Die nachhaltige Nutzung von marinen Ressourcen führt zunehmend zu einer Umgestaltung des<br />
natürlichen Raums in einen Kulturraum. Doch anders <strong>als</strong> auf dem Festland, fehlt derzeit im marinen<br />
Bereich eine anwendbare Raumordnung. Es fehlen dazu zunächst <strong>die</strong> Kommunikationsstrukturen<br />
zwischen Administrationsebenen (EU, B<strong>und</strong>, Land, Kommune) <strong>und</strong> ein juristisches Regelwerk um<br />
antagonistische Rechtsansprüche zwischen Interessengruppen auszugleichen. RADOST (<strong>Regional</strong>e<br />
Anpassungsstrategien <strong>für</strong> <strong>die</strong> deutsche Ostseeküste) bildet <strong>als</strong> Bestandteil von KLIMZUG – Klimawandel<br />
in Regionen zukunftsfähig gestalten, den Rahmen <strong>für</strong> erste Schritte auf dem Weg zu einer<br />
integrierten marinen Raumordnung. Durch Förderung des politischen Diskurses unter Einbeziehung<br />
von Wissenschaft, Ethik <strong>und</strong> den Erfahrungen aus der Gestaltung des nachhaltigen Ressourcenmanagements<br />
aus dem terrestrischen Bereich können Anreize geschaffen werden, den "Kulturraum<br />
Meer" unter ökologischen, ökonomischen <strong>und</strong> humanitären Gesichtspunkten nachhaltig zu gestalten.<br />
Literatur<br />
Regelwerk Küstenschutz Mecklenburg-Vorpommern – Marine Aufspülsande, Ministerium <strong>für</strong><br />
Landwirtschaft, Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz M-V, Staatliches Amt <strong>für</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Umwelt<br />
(StALU) Mittleres Mecklenburg, Dezernatsgruppe Küste, unveröffentlichte Fassung, März 2011.<br />
Leitfaden zur Prüfung der Umweltverträglichkeit bei Vorhaben zur Gewinnung mariner Sedimente<br />
in den Hoheitsgewässern <strong>und</strong> in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland, B<strong>und</strong>/Länder-Ausschuss Nord- <strong>und</strong> Ostsee (BLANO), Januar 2001.<br />
116
KLIMZUG-Workingpaper<br />
NatSchG-2010, Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des B<strong>und</strong>esnaturschutzgesetzes<br />
(Naturschutzausführungsgesetz - NatSchAG M-V) vom 23. Februar 2010; GVOBl. M-<br />
V 2010, S. 66 letzte berücksichtigte Änderung: §§ 1, 3, 5 geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom<br />
12. Juli 2010 (GVOBl. M-V S. 383, 395).<br />
BNatSchG-2009, B<strong>und</strong>esnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch<br />
Artikel 2 des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist.<br />
FFH-Richtlinie-1992, Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen<br />
Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere <strong>und</strong> Pflanzen, Amtsblatt Nr. L 206 vom 22/07/1992<br />
S. 0007-0050; zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006.<br />
BfN-Habitat-Mare – aktiv <strong>für</strong> den Schutz der marinen Lebensvielfalt,<br />
URL:http://www.bfn.de/habitatmare/de/schutzgebiete-uebersicht.php [Stand 2011].<br />
RL-Aves-2009, Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rates vom 30. November<br />
2009 über <strong>die</strong> Erhaltung der wildlebenden Vogelarten.<br />
RL-UVP-EU-1985, UVP-Richtlinie der EU, Richtlinie 85/337/EWG vom 27. Juni 1985 über <strong>die</strong> Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
bei bestimmten öffentlichen <strong>und</strong> privaten Projekten.<br />
RL-UVPG-EU-2010, UVPG – Gesetz über <strong>die</strong> Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung<br />
vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom<br />
6. Oktober 2011 (BGBl. I S. 1986) geändert worden ist.<br />
UVPVwV-1995, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über <strong>die</strong> Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
(UVPVwV), vom 18. September 1995.<br />
RL-MSK-1997, Richtlinie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erteilung von Bergbauberechtigungen <strong>und</strong> zur Zulassung von Hauptbetriebsplänen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Aufsuchung <strong>und</strong> Gewinnung von marinen Sanden im Bereich der Küstengewässer<br />
<strong>und</strong> des Festlandsockels des Landes Mecklenburg-Vorpommern <strong>für</strong> Strandaufspülungen <strong>und</strong><br />
Küstenschutzmaßnahmen (Richtlinie marine Sandgewinnung <strong>für</strong> Küstenschutz - RL - MSK); Erlass<br />
des Wirtschaftsministeriums im Einvernehmen mit dem Ministerium <strong>für</strong> Bau, Landesentwicklung <strong>und</strong><br />
Umwelt vom 9. Dezember 1997; AmtsBl. M-V 1997 S. 1327; Zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift<br />
vom 06.04.2009 im Amtsblatt M-V 2009 S. 385.<br />
ROP-OS-2009, Die Verordnung des BMVBS über <strong>die</strong> Raumordnung in der deutschen AWZ in der<br />
Ostsee vom 10.12.2009 (BGBl. I S. 3861), <strong>die</strong> <strong>als</strong> Anlage den Raumordnungsplan (Text- <strong>und</strong> Kartenteil)<br />
enthält, ist am 19. Dezember 2009 in Kraft getreten.<br />
LEP-MV-2005, Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern (LEP M-V); Bekanntmachung<br />
des Ministeriums <strong>für</strong> Arbeit, Bau <strong>und</strong> Landesentwicklung vom 3. Mai 2005; Amtsblatt M-V<br />
2005 S. 797.<br />
117