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braunschweigisches jahrbuch - Digitale Bibliothek Braunschweig

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042675Rezensionen und Anzeigen 297Das Bürgertum in den Städten des 19. Jahrhunderts bildete keineswegs eine homogeneSozialformation, sondern stellte sich als ein heterogenes Konglomerat von Besitz- und Erwerbsklassendar, das keine scharfen Außengrenzen aufwies. Im Zuge von Verbürgerlichungs-und Entbürgerlichungsprozessen verschoben sich die Grenzen des städtischenBürgertums immer wieder aufs neue. So gesehen meint der Begriff Bürgertum im Grundegenommen nur eine Verdichtung im gesamtgesellschaftlichen Beziehungsgeflecht, wobeidie Stärke der Vernetzung nach außen hin stetig abnimmt. Besitz und Bildung waren Vorbedingungenfür den Aufstieg, und die bürgerliche Klassenbildung funktionierte über einesoziale Komponente (Mitgliedschaft in Vereinen), des weiteren über die Zugehörigkeit zurbürgerlichen Kulturszene und drittens durch die Ausweitung der politischen Partizipationauf die Mittelschichten nach dem Selbstverwaltungsprinzip. Die in der Verbürgerlichungbegriffenen Berufsklassen anerkannten gegenseitig ihre Ansprüche auf politische Partizipationan der bürgerlichen Gesellschaft im Sinne einer liberalen ZicIutopie eines sich selbststeuernden Gemeinwesens freier und gleicher Männer. Dies war eine überaus wichtigeKlammer zwischen den bürgerlichen Berufsklassen, und die städtische Selbstverwaltungspielte dabei eine überragende Rolle.Schmuhl weist in detaillierten Untersuchungen nach, dass der im 19. Jahrhundert entstehendenstädtischen Selbstverwaltung für die Konstituierung des Bürgertums in Nürnbergund Braunschwcig entscheidende Bedeutung zukam. Wenn man beispielsweise<strong>Braunschweig</strong> betrachtet, ist zu konstatieren, daß zu Ende des 18. Jahrhunderts <strong>Braunschweig</strong>saltes Stadtbürgertum, das sich noch aus der autonomen Stadtrepublik hergeleitethatte, seine Vorrangstellung verlor. Eine Honoratiorenschaft, aus Adeligen und Bürgern imUmkreis des Hofes entstanden, verkörperte ein Bürgertum neuen Typs. Die Einrichtungdes Stadtmagistrats und des Stadtdeputiertenkollegiums schufen in den 1820er Jahrenwichtige Voraussetzungen für den Auf- und Ausbau der städtischen Selbstverwaltung. Andieser konnte jedoch aufgrund des Zensuswahlrechtes nur 10 % der Gesamtbevölkerungpartizipieren, d. h. das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum hatte die wichtigen Funktioneninne. Das 1850 in <strong>Braunschweig</strong> eingeführte Dreiklassenwahlrecht sicherte bis 1918 dieMehrheit dieses Honoratiorenregiments, doch bescherte es andererseits auch der aufstrebendenSPD in der dritten Wahl klasse den Einzug in die städtische Selbstverwaltung. Die1848er Revolution mit ihren liberalen Vereinsgründungen hatte entscheidend zur Politisierungder städtischen Selbstverwaltung beigetragen. Die politischen Vereine entwickeltensich rasch zu Honoratiorenparteien, in denen sich Wirtschafts- und Bildungsbürgertum zusammenschlossen.Hier fanden auch die nun rechtlich gleichgestellten Juden Einlaß. Jedochweder die Politisierung der städtischen Gremien noch die allmähliche Verberuflichungder Magistratsbeamtenschaft gefährdeten die verfestigte liberale Honoratiorenherrschafternsthaft. Bis 1918 konnten die Partizipationsansprüche breiterer Bevölkerungsschichtenaufgrund der von den Liberalen verteidigten restriktiven Wahlgesetze abgeschottetwerden. Die Städte blieben die letzte Bastion der Liberalen im Obrigkeitsstaat des DeutschenReiches und wurden entsprechend verteidigt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegesfungierten sie als die Herren der Stadt, und erst die Novemberrevolution zertrümmerte dieverkrusteten Seihstverwaltungsstrukturen.Nürnberg und <strong>Braunschweig</strong> wurden im 19. Jahrhundert also von städtischen Führungsgruppenbeherrscht, die sieh aus dem kleinen Kreis der vollberechtigten Gemeindebürgerrekrutierten, weIche insgesamt nur einen winzigen Bruchteil der Gesamtwohnerschaftausmachten. Den Kern der städtischen Führungsgruppen bildeten die lokalen Elitendes Wirtschafts- und Bildungsbürgertums, die - gestützt auf die liberalen Vereine und Parteien- den Zugang zu den Stadtparlamenten und Magistraten kontrollierten und den Bereichder städtischen Selbstverwaltung bis in das frühe 20. Jahrhundert gegen die unterbür-

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