19.08.2012 Aufrufe

Ein Interview mit Ernst Herttrich – Fortsetzung

Ein Interview mit Ernst Herttrich – Fortsetzung

Ein Interview mit Ernst Herttrich – Fortsetzung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Ein</strong> <strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> <strong>Ernst</strong> <strong>Herttrich</strong> <strong>–</strong> <strong>Fortsetzung</strong><br />

Der Herausgeber der neuen Ausgabe von Schumanns sämtlichen Werken<br />

für Klavier zu zwei Händen im Gespräch <strong>mit</strong> Wolf-Dieter Seiffert<br />

<strong>–</strong> <strong>Fortsetzung</strong> des Gesprächs vom 1. April <strong>–</strong><br />

G. Henle Verlag: Im März dieses Jahres führten wir <strong>mit</strong> Ihnen ein <strong>Interview</strong><br />

über die damals gerade neu erschienene Ausgabe sämtlicher<br />

Werke für Klavier zweihändig von Robert Schumann. Wir sprachen<br />

dabei vor allem über die neuen Quellen, die Sie dieser Neuausgabe<br />

der Klavierwerke Schumanns zu Grunde legen konnten. Was ist außerdem<br />

noch neu an Ihrer Ausgabe?<br />

Dr. <strong>Ernst</strong> <strong>Herttrich</strong>: Neu sind vor allem zwei Dinge: 1. Wir haben für<br />

die Ausgabe die Quellen neu bewertet. Viele Werke lagen im Henle<br />

Verlag ja bereits vor. Bei ihrer Edition wurde die Bedeutung der<br />

Erstausgabe vielleicht etwas überbewertet. In der Zwischenzeit sind zu<br />

einer ganzen Reihe von Werken die originalen Stichvorlagen entdeckt<br />

worden und es stellte sich heraus, dass so manche Abweichungen der<br />

Drucke von den vorhandenen Autographen schlichtweg Stecherfehler<br />

sind. Freilich ist nach wie vor Vorsicht geboten, denn natürlich kann<br />

Schumann auch beim Durchsehen der Korrekturfahnen noch geändert<br />

haben. Da muss man im <strong>Ein</strong>zelfall immer abwägen. Grundsätzlich<br />

aber gilt, dass die Erstausgaben in der Regel zwar die Hauptquellen<br />

zu Schumanns Klavierwerken darstellen, aber den handschriftlichen<br />

Quellen eben doch mehr Gewicht beizumessen ist als das bisher<br />

geschah.<br />

2. Mehrere Klavierwerke Schumanns liegen in zwei vom Komponisten<br />

autorisierten Fassungen vor. In fast all diesen Fällen haben wir uns im<br />

Gegensatz zu früheren Ausgaben dazu entschlossen, beide Fassungen<br />

wiederzugeben.<br />

FRAGE: Um welche Werke handelt es sich dabei?<br />

HERTTRICH: Um die Impromptus op. 5, die Toccata op. 7, die Symphonischen Etüden op. 13 und die Sonate op. 14.<br />

Ebenfalls in neuen Ausgaben sind zu Schumanns Lebzeiten die Davidsbündlertänze op. 6 und die Kreisleriana op. 16<br />

erschienen. Bei ihnen sind die Abweichungen zwischen den beiden Fassungen jedoch so gering, dass wir im Notentext nur<br />

die spätere Fassung abgedruckt haben. Im Kritischen Bericht sind jedoch sämtliche Abweichungen zwischen den beiden<br />

Versionen aufgeführt.<br />

FRAGE: Spielen denn diese Fassungen in der heutigen Praxis überhaupt noch eine Rolle?<br />

HERTTRICH: O ja! <strong>Ein</strong> kleines Beispiel: Ich war im Dezember 2009 zu einer Vortragsreise in Japan. Nach einem Vortrag an<br />

der Kyoto City University of Arts wurde ich von den Klavierprofessoren und angehenden Pianisten hauptsächlich nach<br />

meiner Herausgebertätigkeit für den Henle Verlag gefragt und nach meiner Meinung zu den verschiedenen Fassungen<br />

einzelner Schumann-Klavierwerke. Das Problem ist den Leuten also durchaus bewusst. Im Konzertsaal selbst begegnet<br />

man den unterschiedlichsten Lösungen. Sehr oft werden dabei Früh- und Spätfassung <strong>mit</strong>einander vermischt, was meiner<br />

Meinung nach auf jeden Fall falsch ist.<br />

FRAGE: Bei welchen der genannten Werke sind die Unterschiede besonders groß?<br />

Der Herausgeber und seine Ausgaben: Dr. <strong>Ernst</strong> <strong>Herttrich</strong> und<br />

Schumanns sämtliche Klavierwerke in 6 Bänden<br />

HERTTRICH: Das ist unterschiedlich. Bei op. 5 und op. 13 z.B. sind jeweils zwei Stücke weggefallen, bei op. 5 ist dafür ein<br />

neues Stück hinzugekommen, bei op. 14 ein ganzer Satz, der allerdings im Autograph bereits vorhanden war, im Druck<br />

der früheren Fassung jedoch fehlte. Hinzu kommen in den vier Werken allerdings noch zahlreiche Detailabweichungen in<br />

den in beiden Versionen vorhandenen Nummern oder Sätzen. <strong>Ein</strong>en Sonderfall bildet die Toccata op. 7, bei der wir uns<br />

entschlossen haben, die Fassung des Autographs gesondert abzudrucken, weil sie von der gedruckten Fassung in Form<br />

und Inhalt substantiell abweicht und da<strong>mit</strong> praktisch eine eigenständige Werkgestalt darstellt, die in unserer Ausgabe<br />

erstmals veröffentlicht wird.


G. HenleVerlag<br />

<strong>Ein</strong>es der Schumann-Werke, das der Henle Verlag<br />

in zwei Fassungen präsentiert: die Symphonischen<br />

Etüden op. 13<br />

FRAGE: Worauf möchten Sie die Benutzer Ihrer Schumann-Ausgabe besonders<br />

aufmerksam machen?<br />

HERTTRICH: Da fallen mir verschiedene Dinge ein. Die einzelnen Bände enthalten<br />

ziemlich ausführliche Vorworte, die über die jeweiligen Entstehungsumstände<br />

der Werke, ihre Veröffentlichungsgeschichte und ihre Rezeption<br />

Auskunft geben. Ich bin der Meinung, dass die Kenntnis solcher Dinge bei der<br />

Erarbeitung eines musikalischen Kunstwerks hilfreich sein kann. Jeder Band<br />

enthält außerdem am Ende einen „Kritischen Bericht“, in dem Rechenschaft<br />

gegeben wird über die zu Rate gezogenen Quellen und über die Lesartenvarianten.<br />

Die Ausgabe versteht sich da<strong>mit</strong> als wissenschaftliche Ausgabe für den<br />

praktischen Gebrauch. Ich finde es übrigens großartig, dass der Henle Verlag<br />

sämtliche Vorworte und Kritische Berichte nicht nur druckt, sondern auch kostenlos<br />

auf seiner Homepage anbietet.<br />

FRAGE: Sind solche „Kritischen Berichte“ nicht eher Aufgabe der wissenschaftlichen<br />

Gesamtausgaben?<br />

HERTTRICH: Nein, meiner Meinung nach gar nicht und auch der Henle Verlag<br />

ist Gott sei Dank nicht dieser Meinung. Es ist ja ein leider noch recht weit verbreiteter<br />

Irrtum, dass Urtextausgaben den definitiven Notentext, fast hätte ich<br />

gesagt ultimativen Text wiedergeben. Den gibt es aber nicht! Vielmehr sind wir<br />

Editoren in jedem Werk <strong>mit</strong> Stellen konfrontiert, wo die Quellen voneinander<br />

abweichen und wir eben nicht <strong>mit</strong> letzter Sicherheit sagen können, was der<br />

Komponist gewollt hat, und bei solchen Stellen muss der Benutzer einer Urtextausgabe eben selbst eine Entscheidung für<br />

oder gegen eine bestimmte Lesart treffen. Das kann er aber nur, wenn er in einem „Kritischer Bericht“ auf die Lesartenabweichungen<br />

aufmerksam gemacht wird.<br />

FRAGE: Zurück zur Frage, worauf Sie die Benutzer Ihrer Schumann-Ausgabe außerdem noch aufmerksam machen wollen?<br />

HERTTRICH: Vielleicht darauf, dass Schumann in seinem persönlichen Exemplar<br />

der fis-Moll-Sonate op. 11 eine Kürzung im Finale vorgesehen hat, oder auf die<br />

hochinteressante Entstehungsgeschichte des Albums für die Jugend, das ursprünglich<br />

eben eine ganze Reihe weiterer Stücke enthalten sollte, die zunächst<br />

unveröffentlicht blieben. Gegenüber früheren Henle-Ausgaben sind sie in unserer<br />

Neuausgabe nun erstmals wiedergegeben. Oder vielleicht auch auf jenen Brief,<br />

in dem Franz Liszt Schumann von der rührenden Reaktion seiner Tochter auf die<br />

Kinderszenen berichtet und der im Vorwort zitiert ist. Besonders aber liegt mir<br />

am Herzen, die Benutzer zu bitten, doch die diesen Kinderszenen, aber auch<br />

anderen Werken beigegebenen Metronomzahlen ernst zu nehmen. Schumanns<br />

Metronom war nicht kaputt, wie oft behauptet, die Tempi sind von ihm so<br />

gewollt wie er es <strong>mit</strong> den Metronomzahlen angegeben hat. Wenn man sie ernst<br />

nimmt, öffnen sich neue Welten!<br />

FRAGE: Abschließend eine Frage zur Anordnung der Werke streng nach Opuszahlen<br />

in den sechs Sammelbänden. Hätte es da keine bessere Lösung gegeben?<br />

HERTTRICH: Es gibt sicher andere Lösungen, aber meiner Meinung nach keine<br />

bessere. Die Anordnung streng nach Opuszahlen hat sicher ihre Schwächen,<br />

Clara und Robert Schumann, 1850<br />

Clara and Robert Schumann, 1850<br />

weil oft sehr unterschiedliche Stücke in einem Band vereinigt sind. Aber bei jeder<br />

anderen Anordnung hätte es ähnliche Schwierigkeiten gegeben. Nehmen Sie bei- Clara und Robert Schumann, 1850<br />

Exercices · Etüden in Form freier Variationen über ein Thema von Beethoven Anh. F 25 · Exercices · Studies in<br />

spielsweise eine Anordnung nach Gattungen. Wohin gehören dabei form beispielswei-<br />

of free variations on a Theme by Beethoven Anh. F 25<br />

se die Impromptus op. 5, die Davidsbündlertänze op. 6 oder die Symphonischen Erstausgabe · First Edition Etüden op. 13? Sind es Charakterstücke<br />

oder Tänze oder Etüden oder Variationen? Was macht man dann Ed.: <strong>mit</strong> Münster den Vier Fugen op. 72 und den Fughetten op. 126,<br />

Broschur · Paperbound HN 298 10,— €<br />

die gattungsmäßig sicher eine Gruppe für sich bilden, aber vom Umfang her keinen Band ergeben, ganz zu schweigen von<br />

Fantasie C-dur op. 17 · Fantasy C major op. 17<br />

den Märschen op. 76, die völlig für sich alleine stehen. Ich bin nicht völlig glücklich <strong>mit</strong> der Anordnung nach Opuszahlen,<br />

aber ich wäre es wohl auch <strong>mit</strong> keiner anderen gewesen.<br />

Lieber Herr Dr. <strong>Herttrich</strong>, wir bedanken uns sehr herzlich für dieses informative Gespräch!<br />

revidierte Ausgabe · revised edition<br />

Ed.: <strong>Herttrich</strong> | Fing.: Theopold<br />

Broschur · Paperbound HN 276 9,— €<br />

Schumanns große Fantasie in C-dur op. 17 sollte ursprünglich als „Sonate für Beethoven“ unter dem Titel<br />

„Ruinen, Trophäen, Palmen. Große Sonate“ veröffentlicht werden; ein Vorhaben, das Schumann später<br />

aufgab. Verwirklicht hat er jedoch die mächtige Anlage der Fantasie. Im März 1838 schrieb Schumann an<br />

seine Braut Clara Wieck: „Der erste Satz davon ist wohl mein Passionirtestes, was ich je gemacht“. So gilt<br />

sie als ein Höhepunkt im Schumann’schen Klavierschaffen.<br />

Schumann’s great C-major Fantasy, op. 17, was originally intended to be published as a “Sonata for Beethoven”<br />

entitled “Ruins, Trophies, Palms. Grand Sonata.“ Although he eventually abandoned this plan, he<br />

maintained the Fantasy’s mighty design. Writing to his fiancée Clara Wieck in March 1838, he called the<br />

first movement “perhaps the most impassioned music I have ever written.” Accordingly, it marks a point of<br />

culmination in his piano music.<br />

Fantasiestücke op. 12 (<strong>mit</strong> Anhang: WoO 28) Fantasy Pieces op. 12 (with Appendix: WoO 28)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!