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RUMÄNIEN - Kitzler Verlag

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Länderschwerpunkt<br />

„Der beste Kämpfer für<br />

die Zukunft ist die Jugend!“<br />

Im Gespräch mit Adriana Stǎnescu,<br />

Geschäftsträgerin a.i. der Botschaft von Rumänien.<br />

AußenSeiten: Rumänien ist<br />

nun über ein Jahr vollwertiges<br />

Mitglied der EU - was hat sich<br />

verändert?<br />

Stănescu: Unser Land ist seit dem 1.<br />

1. 2007 EU-Mitglied, doch die Veränderungen<br />

begannen sofort nach der<br />

Wende. Seit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen<br />

im Jahre 2000 befi ndet<br />

sich Rumänien in einem rasanten<br />

Aufh olprozess, allein zur Anpassung<br />

an das EU-Recht mussten 3000 rechtliche<br />

Bestimmungen beschlossen und<br />

durchgeführt werden.<br />

Verändert hat sich der neue politische<br />

Status, wir werden nun als Mitglied<br />

der europäischen Familie akzeptiert,<br />

können aktiv in den EU-Gremien mitarbeiten,<br />

lernen die Anwendung europäischer<br />

Regeln und sind Teil einer<br />

stabilen Partnerschaft , die es in der<br />

wechselvollen Geschichte Rumäniens<br />

so noch nie gegeben hat.<br />

AußenSeiten: Mit welchen Erwartungen<br />

hat die rumänische Bevölkerung<br />

für den EU-Beitritt gestimmt?<br />

Stănescu: Rumänien hat den EU-Beitritt<br />

freudig herbeigesehnt, der von<br />

über 70% der Rumänen befürwortet<br />

wurde. Diese hohe Zustimmung hat<br />

sich auch weiter erhalten, was nicht<br />

nur den rumänischen Enthusiasmus<br />

verdeutlicht, sondern auch ganz handfeste<br />

Gründe hat. Die Rumänen erhoffen<br />

sich durch die EU-Mitgliedschaft<br />

mehr Transparenz, mehr Demokratie,<br />

effi zientere Institutionen und insgesamt<br />

bessere Lebensbedingungen und<br />

Wohlstand. Aber sie sind sich auch<br />

bewusst, dass diese Erwartungen nicht<br />

über Nacht erfüllt werden können,<br />

sondern nur mit Ehrgeiz, Arbeit und<br />

Geduld zu erreichen sind.<br />

AußenSeiten: Rumänien hatte nach<br />

dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ besonders<br />

unter alten „Seilschaft en“ zu<br />

leiden, die Reformen und einen wirksamen<br />

Kampf gegen Korruption behinderten.<br />

Welchen Einfl uss haben diese<br />

Kräft e heute und wie erfolgreich ist die<br />

Korrupti-onsbekämpfung?<br />

Stănescu: Wenn Sie unter „Seilschaft<br />

en“ das Netzwerk der ehemaligen<br />

kommunistischen Eliten verstehen,<br />

so gebe ich Ihnen Recht, denn wie in<br />

allen postkommunistischen Ländern<br />

war dies nach der Wende ein Problem.<br />

In Rumänien versuchten sie anfänglich<br />

noch aktiv zu werden, doch sind<br />

sie allmählich aus dem System verdrängt<br />

und verfügen nicht mehr über<br />

politische Macht, auch wenn einige<br />

damals schnell sehr reich wurden.<br />

Die Korruption entstand durch den<br />

schnellen Zusammenbruch des alten<br />

Systems und den langsamen Aufb au<br />

neuer Strukturen. Anfänglich konnten<br />

wir die Korruption<br />

noch nicht einmal bekämpfen,<br />

weil es keine<br />

rechtlichen Grundlagen<br />

gab und die alten<br />

kommunistischen Gesetze<br />

niemand anwenden wollte. Wir<br />

mussten den Kampf stufenweise aufnehmen<br />

und auch präventiv vorgehen.<br />

2005 und 2006 wurden die nationalen<br />

Antikorruptionsbehörden umstrukturiert.<br />

Sie arbeiten jetzt noch effi zienter<br />

und ermitteln sehr intensiv. Dass<br />

in einem Rechtsstaat die gerichtliche<br />

Aufarbeitung ihre Zeit braucht, erleben<br />

wir überall, derzeit auch in Wien<br />

„Es wächst ein gesunder<br />

Wohlstand und wirtschaftlicher<br />

Erfolg heran.“<br />

Adriana Stănescu<br />

bei einigen viel beachteten Gerichtsverfahren.<br />

Herbert Stepic, der Vorstandsvorsitzende<br />

der Raiff eisen International, hat<br />

gesagt: „Es ist eine Mähr, dass man in<br />

Osteuropa nur mit Bestechung Geschäft<br />

e machen kann.“ Die Ru-mänen<br />

empfi nden die Korruption als<br />

Unrecht und erfahren zunehmend,<br />

dass man auch ohne Bestechung sein<br />

Ziel erreicht, auch wenn dies manchmal<br />

beschwerlicher erscheint. Es gibt<br />

eine große Informa-<br />

tionskampagne und<br />

das Justizministerium<br />

bietet Hilfe und Beratung<br />

an. Doch der<br />

beste Kämpfer für Rumäniens<br />

Zukunft ist die Jugend, denn<br />

sie will ohne Korruption leben.<br />

AußenSeiten: In den alten EU-Mitgliedsländern<br />

ist die große bürgerliche<br />

Mitte der Garant für Demokratie<br />

und einen stabilen Wohlstand. Im<br />

Kommunismus wurden die alten Eliten<br />

und das Bürgertum weitgehend<br />

zerstört. Wann wird Rumänien wie-<br />

14 AußenSeiten 1 | 2008<br />

der über einen breiten bürgerlichen<br />

Mittelstand verfügen?<br />

Stănescu: Auch hier befi nden wir uns<br />

in einem Nachholprozess. Ein starker<br />

Mittelstand setzt in einer Gesellschaft<br />

einen breiten Wohlstand voraus, der nur<br />

durch gute Ausbildung und wirtschaft -<br />

lichen Erfolg möglich ist. Nun war Rumänien<br />

im Kommunismus keine Wüste<br />

und nicht alle Eliten haben sich ins<br />

Ausland abgesetzt, aber wir haben gute<br />

Landsleute verloren. Doch jetzt kommen<br />

viele Rumänen zurück oder bauen<br />

starke Verbindungen zu ihrer alten Heimat<br />

auf. Es wächst bereits ein gesunder<br />

Wohlstand heran, der durch den wirtschaft<br />

lichen Erfolg erste Früchte trägt,<br />

denn vom wirtschaft lichen Wachstum<br />

der Unternehmen profi tieren auch die<br />

Mitarbeiter und deren Familien.<br />

Rumänien hat den stärksten Vermögenszuwachs<br />

in Europa und liegt beim<br />

Wachstum nach Russland und Bulgarien<br />

an dritter Stelle in Zentral- und<br />

Osteuropa. Das Lohnniveau in der Bevölkerung<br />

ist ebenfalls stark gestiegen,<br />

seit 2004 sogar um mehr als 70%. In<br />

Rumänien beträgt das Bruttoeinkommen<br />

zurzeit fast 400 €, netto ca. 300<br />

€. Im Vergleich mit Österreich ist das<br />

gering, aber das Einkommen hat sich<br />

in den letzten drei Jahren bereits verdoppelt<br />

und wächst stetig weiter.<br />

Ein gesunder Mittelstand misst sich<br />

jedoch nicht nur am Einkommen,<br />

sondern auch am Engagement im öffentlichen<br />

Leben und einem großen<br />

Bedürfnis nach Bildung. Hier holen<br />

wir ebenfalls stark auf. Das Interesse<br />

für Studium und Weiterbildung ist rasant<br />

gestiegen, in Österreich befi nden<br />

sich über 600 rumänische Studenten,<br />

in Deutschland, anderen EU-Ländern<br />

und den USA studieren mehrere<br />

tausend. Die rumänischen Universitäten<br />

platzen aus allen Nähten und<br />

die Weiterbildung boomt. Ein anderer<br />

Indikator für den Wohlstand ist<br />

der Tourismus. Aus Osteuropa liegt<br />

der Anteil rumänischer Touristen in<br />

Österreich von ca. 220.000 nach Russen<br />

und Ukrainer an 3. Stelle und im<br />

Jahr 2007 besuchten ca. 120.000 Rumänen<br />

Wien.<br />

AußenSeiten 1 | 2008<br />

AußenSeiten: In Österreich hat Rumänien<br />

ein Imageproblem. Teile der Bevölkerung<br />

fühlen sich durch Kriminalität<br />

bedroht und durch organisierte Bettlerstrukturen<br />

belästigt, die mehrheitlich<br />

rumänischen Staatsbürgern angelastet<br />

werden. Empfi nden Sie diese Vorwürfe<br />

als gerechtfertigt?<br />

Stănescu: Nein! - Das Bild Rumäniens<br />

kann nicht in erster Linie durch Kriminalität<br />

und Bettlerei bestimmt werden,<br />

hier möchte ich entschieden widersprechen.<br />

Das Image prägen vor allem die<br />

jungen fl eißigen Rumänen, die als ehrgeizige<br />

und sprachbegabte Arbeitnehmer<br />

sehr gefragt sind. Auch Künstler<br />

bestimmen das Ansehen Rumäniens,<br />

wie in der Staatsoper oder der Volksoper<br />

- und der bekannteste Vertreter<br />

Rumäniens in Österreich ist sicherlich<br />

Staatsoperndirektor Ioan Holender. Die<br />

Zahl der in Wien lebenden Rumänen<br />

ist in 2 Jahren von 4.800 auf 8.000 gestiegen<br />

und sie sind hier anerkannt. Österreicher<br />

denken bei Rumänien vorrangig<br />

an die gemeinsame Geschichte,<br />

das Donaudelta, die Moldauklöster, Siebenbürgen<br />

und sogar an Dracula.<br />

Leider wird auch viel über rumänische<br />

Kriminalität gesprochen und berichtet.<br />

Wir arbeiten sehr erfolgreich mit<br />

dem österreichischen Innenministerium<br />

zusammen und die Polizei in beiden<br />

Ländern unterstützt sich gegenseitig<br />

bei der Verbrechensbekämpfung<br />

in Südosteuropa. Seit 2002 haben wir<br />

in unserer Botschaft zwei Attachés für<br />

Innere Angelegenheiten, die das rumänische<br />

Innenministerium vertreten.<br />

Klar ist jedoch, der Durchschnittsrumäne<br />

ist nicht krimineller als Bürger aus<br />

anderen Staaten und die rumänische<br />

Kriminellenstatistik ist nicht höher<br />

als die entsprechende Statistik z.B. in<br />

Österreich. Der falsche Eindruck entsteht,<br />

weil man Fälle mit rumänischen<br />

Straft ätern ausführlich in den Medien<br />

darstellt und die Menschen dann diese<br />

Fälle mit unserem Land assoziieren.<br />

Kriminalität ist leider überall und hat<br />

keine Nationalität oder Grenzen!<br />

AußenSeiten: Wie sehen Sie kurz- und<br />

mittelfristig die politische und die wirt-<br />

Länderschwerpunkt<br />

schaft liche Entwicklung in Rumänien?<br />

Stănescu: Die politischen Reformen<br />

werden konsequent weitergeführt und<br />

der Fortschritt bei der Justizreform<br />

wird von der EU-Kommission intensiv<br />

begleitet. Dass unsere noch junge<br />

Demokratie bereits stabil ist, haben<br />

„Das Image prägen vor allem die<br />

jungen Rumänen“.<br />

drei Regierungswechsel bewiesen, die<br />

trotz des lebhaft en romanischen Temperaments<br />

problemlos verlaufen sind.<br />

Wir gehen davon aus, dass Rumänien<br />

2012 dem Schengen-Raum beitreten<br />

wird und 2014 die Euro-Einführung<br />

stattfi nden kann.<br />

Die wirtschaft liche Entwicklung weist<br />

eine konstante Aufwärtsbewegung auf:<br />

Im Jahr 2000 lag das Wachstum bei<br />

6%, 2004 erreichten wir 8%, 2006 dann<br />

7,5% und 2007 waren es über 6%. Die<br />

internationalen Banken gehen davon<br />

aus, dass dieses hohe Wachstumsniveau<br />

beibehalten wird und mittelfristig nicht<br />

unter 5% sinkt. Durch die Struktur-<br />

und Kohäsionsfonds, in Höhe von 30<br />

Milliarden € zwischen 2007 und 2013,<br />

unterstützt die EU den rumänischen<br />

Aufh olprozess, denn diese Förderprogramme<br />

bewirken einen erheblichen<br />

Investitionsschub und setzen eine Fülle<br />

wirtschaft licher Aktivitäten frei.<br />

�� Adriana Stănescu arbeitete im<br />

Zentrum für Europ. Sicherheitsstudien<br />

(NL) und in Bukarest im Verteidigungs-<br />

und Außenministerium, bevor sie von<br />

1988 – 2002 und wieder ab 2003 nach<br />

Wien kam. Seit September 2007 leitet<br />

Frau Stănescu die Botschaft von<br />

Rumänien als Geschäftsträgerin.<br />

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