12.07.2015 Aufrufe

Die freie Schulwahl in Belgien – ein Schulsystem mit Nachteilen

Die freie Schulwahl in Belgien – ein Schulsystem mit Nachteilen

Die freie Schulwahl in Belgien – ein Schulsystem mit Nachteilen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

8 <strong>Die</strong> <strong>freie</strong> <strong>Schulwahl</strong> <strong>in</strong> <strong>Belgien</strong> <strong>–</strong>e<strong>in</strong> <strong>Schulsystem</strong> <strong>mit</strong> <strong>Nachteilen</strong>E<strong>in</strong> Erfahrungsbericht von Verena Debelle*Belgier staunen über guteAusstattung der SchweizerSchulenWenn ich e<strong>in</strong>em Belgier erzähle, fürunsere K<strong>in</strong>der sei es normal, die Quartierschulezu besuchen, greift er sichan den Kopf: «Was, das ist ja schrecklich,ihr könnt die Schule nicht auswählen?!»Zeige ich ihm aber e<strong>in</strong>e unsererSchulen, z. B. <strong>in</strong> Muttenz oder Sissach,so fällt ihm der Kiefer herunter: «Unglaublich,wie luxuriös die Ausstattungist, was für e<strong>in</strong>e Turnhalle!»<strong>Die</strong>se Reaktion zeigt, wie relativ allesist. Und tatsächlich, die Infrastrukture<strong>in</strong>er Schule und die <strong>freie</strong> Wahlmöglichkeit,das kann zusammenhängen.<strong>Belgien</strong>, e<strong>in</strong> Land, <strong>in</strong> dem die <strong>freie</strong>Wahl der Schule seit eh und je <strong>in</strong> derVerfassung festgeschrieben ist, mögeals Beispiel dienen. Se<strong>in</strong>e PISA-Ergebnisses<strong>in</strong>d <strong>mit</strong> denjenigen der Schweizvergleichbar, wenn auch etwas tieferals bei uns.Freie <strong>Schulwahl</strong> bedeutet nicht<strong>freie</strong> Wahl der LehrpersonenFreie <strong>Schulwahl</strong>, das kl<strong>in</strong>gt verführerisch.Dabei vergisst man, dass es beiSchulproblemen meistens nicht um dieSchule selbst geht. <strong>Die</strong> Eltern möchtenvielmehr ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andereSchule schicken, weil sie aus irgende<strong>in</strong>emGrund Vorbehalte gegenüber derLehrperson haben. <strong>Die</strong> Lehrpersonkann man sich aber auch <strong>in</strong> <strong>Belgien</strong>nicht auswählen. Nach e<strong>in</strong>em Jahr beider neuen Lehrperson kann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dzwar die Schule (und da<strong>mit</strong> den Lehrer)wieder wechseln, muss aber auchse<strong>in</strong>e Klassenkameraden zurücklassenund sich <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em neuen Ort vertrautmachen <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Schritt, <strong>mit</strong> dem sich dasK<strong>in</strong>d oft sehr schwer tut.Aufwändiges WahlprozedereFreie Wahl, das heisst, dass sich bereitsdie Eltern e<strong>in</strong>es Dreijährigen <strong>mit</strong> der<strong>Schulwahl</strong> beschäftigen müssen. Fallssie konfessionell gebunden s<strong>in</strong>d, ist dieWahl quasi vorgespurt. Wie schon dieVorfahren, wird auch der Sprössl<strong>in</strong>gdas Collège der Jesuiten oder der Dom<strong>in</strong>ikaner<strong>in</strong>nenbesuchen. Geht es ume<strong>in</strong>e nicht religiöse Schule, wird esschwieriger. Man redet <strong>mit</strong> Bekannten,liest die viertelseitengrossen Inserate,die jede Schule während des Sommersschaltet, besichtigt Schulanlagen. Aufdem Land erhält man zuhause Besuchvom Primarlehrer, der die Vorzüge«se<strong>in</strong>er» Schule darstellt. Dann folgtdie Anmeldung. Sie kann nach den erstenzwei Schulwochen noch zurückgezogenwerden.Viel Geld für PR,aber desaströse SchulplanungWas bedeutet das nun für die Schulen?Relativ viel Geld wird für Werbung (Inseratenkampagnen,Plakate) e<strong>in</strong>gesetzt.<strong>Die</strong> Planung von Schulraum, Inventarund Anzahl Lehrpersonen istaber praktisch unmöglich, weil dieSchülerzahl nicht e<strong>in</strong>geschätzt werdenkann und starken Schwankungen unterliegt.Bei Schuljahresanfang werdenhektisch Räume geschaffen, z. B. imGang, und Lehrpersonen gesucht.Oder es stellt sich die Frage, was <strong>mit</strong>den überzähligen Räumen geschiehtund welche Lehrpersonen ihre Stelleverlieren. <strong>Die</strong>se werden zwar währendzwei Jahren weiterh<strong>in</strong> bezahlt, abersie stehen doch vor e<strong>in</strong>er ungewissenZukunft. Investitionen <strong>in</strong> Turnhallenoder <strong>in</strong> Mobiliar werden nur zögerndangepackt.


2008/09-029Eltern schicken ihre K<strong>in</strong>der lieber<strong>in</strong> die StadtAusserdem zeigt sich, dass Schulen <strong>in</strong>Städten grösseres Prestige geniessen.<strong>Die</strong> Eltern haben das Gefühl, ihren K<strong>in</strong>derne<strong>in</strong>en <strong>Die</strong>nst zu erweisen, wennsie sie <strong>in</strong> die bekannten, grösserenStadtschulen schicken. Folglich könnendie K<strong>in</strong>der nicht alle<strong>in</strong> zur Schule gehen,sondern müssen h<strong>in</strong>gefahren werden.Da <strong>in</strong> der Regel beide Eltern arbeiten,sollte sich die Schule am Weg zumArbeitsplatz bef<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> Wahl derSchule wird so<strong>mit</strong> auch noch vom Arbeitsplatzder Eltern bee<strong>in</strong>flusst. Dorfschulenh<strong>in</strong>gegen, die bei uns traditionellihren Platz haben, kämpfen <strong>in</strong> <strong>Belgien</strong>um ihr Überleben.Ausländer landen <strong>in</strong>Ghettoschulen<strong>Die</strong> <strong>freie</strong> <strong>Schulwahl</strong> bee<strong>in</strong>flusst ungewolltdie Integration von Ausländernnegativ: da bildungsferne Kreise sichnicht um die Wahl kümmern (können),gehen die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> die nächstgelegeneSchule, so dass Ghettoschulen entstehen,die von der e<strong>in</strong>gesessenen Bevölkerung<strong>mit</strong> der Zeit gemieden werden.<strong>Die</strong> Kehrseiteder <strong>freie</strong>n <strong>Schulwahl</strong>Freie <strong>Schulwahl</strong> <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Traum <strong>mit</strong> Kehrseite.Bis jetzt können wir stolz se<strong>in</strong> aufdie Schulen und Schulanlagen im Baselbiet.Sie werden von den Schulträgernangemessen f<strong>in</strong>anziert. Der Unterrichtwird <strong>in</strong> der Regel von gut ausgebildetenLehrpersonen durchgeführt. Sicher gibtes Verbesserungsmöglichkeiten. Siesollten von jeder Schule selbst ausgehenund von der Bildungsdirektion unterstütztwerden. Oft würde e<strong>in</strong>e etwasgrössere Flexibilität <strong>in</strong> Bezug auf KlassenwechselKonflikte vermeiden lassen.<strong>Die</strong>se Entwicklung sche<strong>in</strong>t sich <strong>in</strong> berechtigtenFällen auch immer öfterdurchzusetzen. Wo<strong>mit</strong> die kostspieligeund destabilisierende Option der <strong>freie</strong>n<strong>Schulwahl</strong> überflüssig würde.*Verena Debelle ist ehemalige Sekundarlehrer<strong>in</strong>und LVB-Mitglied. Sie steht<strong>in</strong> engem verwandtschaftlichen Kontakt<strong>mit</strong> der <strong>in</strong> <strong>Belgien</strong> lebenden Familie.In e<strong>in</strong>em Bildungsurlaub hat siesich <strong>mit</strong> der <strong>freie</strong>n <strong>Schulwahl</strong> <strong>in</strong> derProv<strong>in</strong>z von Namur (<strong>Belgien</strong>) befasst.CLAUDE JANIAKSTÄNDERAT BL, BINNINGENwww.privatschul<strong>in</strong>itiative-ne<strong>in</strong>.chKo<strong>mit</strong>ee Privatschul-Initiative NEINPostfach, 4410 LiestalPC-Konto 60-690738-3Am 30. NovemberInitiative«Bildungsvielfalt»NEIN

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!