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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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83e<strong>in</strong>en Altar, auf den sie den Leib <strong>des</strong> Herrn legen. Und derHerr segnet sie. Als das Weib den Bienenstock öffnet, sieht siedas W<strong>und</strong>er, <strong>und</strong> es überkommt sie Reue. Sie sucht den Priesterauf <strong>und</strong> beichtet ihm alles. Dieser ruft se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de zusammen,<strong>und</strong> sie begeben sich alle zu dem Bienenstocke, wo sie e<strong>in</strong>e Kapellemit Wänden <strong>und</strong> Fenstern <strong>und</strong> Dach, e<strong>in</strong>en Turm mit Öffnungen<strong>und</strong> Tür erblicken. Und voll Verw<strong>und</strong>erung nehmen sie den Leib<strong>des</strong> Herrn aus dem Bienenstocke heraus <strong>und</strong> tragen ihn unterLob- <strong>und</strong> Preisgesängen zur Kirche zurück.Von Beatrix,72.der Sakristan<strong>in</strong>.In e<strong>in</strong>em Nonnenkloster lebte e<strong>in</strong>e Jungfrau mit NamenBeatrix; die war schön <strong>und</strong> fromm <strong>und</strong> hatte die Kirche zu besorgen<strong>und</strong> die Sakristandienste zu versehen. Doch ließ sie sichvon den lüsternen Reden e<strong>in</strong>es Klerikers verführen, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>esNachts g<strong>in</strong>g sie <strong>in</strong> die Kirche vor den Marienaltar, <strong>des</strong>sen Dienstihr oblag, <strong>und</strong> verzehrt von ihrer Leidenschaft sprach sie: „Gebieter<strong>in</strong>,ich habe dir gedient, so treu ich konnte. Sieh, hier gebich dir die Schlüssel zu de<strong>in</strong>er Kirche wieder. Ich vermag denLockungen <strong>des</strong> Fleisches nicht länger zu widerstehen; ich willden Lüsten <strong>des</strong> Leibes leben." Damit legte sie die Schlüsselauf den Altar <strong>und</strong> folgte dem Kleriker aus dem Kloster. Dieseraber verstieß sie, nachdem er sie verführt hatte, <strong>und</strong> ließ siealle<strong>in</strong>. Und da sie nichts hatte, wovon sie hätte leben können, wur<strong>des</strong>ie e<strong>in</strong>e öffentliche Dirne; <strong>und</strong> so lebte sie zwanzig Jahre lang.Da traf es sich, daß sie e<strong>in</strong>st <strong>in</strong> weltlichem Gewände zur Pforteihres Klosters kam <strong>und</strong> zu dem Pförtner sprach : „Hast du Beatrixgekannt, die e<strong>in</strong>st <strong>in</strong> diesem Kloster die Aufsicht über die Kircheführte?" Und dieser antwortete: „Gewiß kenne ich sie. Sie iste<strong>in</strong>e treffliche Nonne, bereit zu jedem frommen Dienste, heiligenLebens, die seit ihrer K<strong>in</strong>dheit bis zum heutigen Tage <strong>in</strong> unseremKloster <strong>in</strong> E<strong>in</strong>tracht mit allen lebt." Über diese Worte w<strong>und</strong>ertsich Beatrix, <strong>und</strong> sie versteht nicht, was er sagt. Schon will siewieder weggehen, da ersche<strong>in</strong>t ihr die Mutter der Barmherzigkeit<strong>und</strong> Güte <strong>in</strong> ihrer Gestalt <strong>und</strong> spricht zu ihr: „Währendder zwanzig Jahre, die du fort warst, hab ich de<strong>in</strong>en Dienst ver-6*

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