Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

8068.Wie Christus aus dem Sakramente mit einer öffentlichenSünderinredete.In Thüringen trug einst ein Priester den Leib des Herrn ineiner Büchse, die an seinem Halse hing, aus der Stadt hinaus zueinem Kranken. Und er kommt an dem Hause einer öffentlichenDirne vorüber. Als diese ihn vorbeigehen sieht, beginnt sie nachzudenken,ob der christliche Glaube nicht etwa doch der wahresei und jenes Sakrament den Erlöser der Welt berge, das derPriester in seiner Büchse trage; und sie überlegt weiter, wie siees habe wagen können, so viele schwere Sünden zu begehen imAngesichte dessen, der für das Heil der Welt solche Schmerzenerlitten habe. Da ergreift sie die Keue, und sie verläßt das Hausder Sünde und läuft eiligst durch den tiefen Schmutz dem Priesternach und kümmert sich nicht darum, daß ihr der Schmutz biszu den Hüften emporspritzt. Und sie ruft dem Priester: „Herr,ich bitte euch, wartet auf mich." Der Priester blieb stehen. Sieaber warf sich vor dem Leibe des Herrn nieder in den Schmutzund rief: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen öottes, wenndu der bist, der alles geschaffen hat, geboren aus der JungfrauMaria, gelitten und begraben, aufgefahren zum Himmel, sitzendzur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, der kommen wirdzu richten die Lebendigen und die Toten, wenn du es bist, dender Priester in seiner Büchse trägt, dann bitte ich dich bei deinerunaussprechlichen Barmherzigkeit, vergib mir alle meine Sünden."Und siehe, der Herr antwortete aus der Büchse in lateinischerSprache: „Ich vergebe dir alle deine Sünden." Die Sünderinaber spricht, als sie die lateinischen Worte aus der Büchse vernimmt:„Herr, ich verstehe kein Latein, sprich, ich bitte dich,deutsch mit mir." Darauf spricht der Herr: „Ich nehme dichin meine (jnade auf." Als das Weib diese Worte hört, ruft sie:„Heut nimmst du mich in deine Gnade auf, die ich dich inmeinem Fleische so unzählige Male beleidigt habe, daß ich esmir gar nicht vorstellen kann. Ich sage dir Dank, Herr JesusChristus, daß du mich, deine elende Dienerin, in deine unaussprechlicheGnade aufgenommen hast." Und von diesem Augenblickean führte sie ein tugendhaftes Leben. wie gnädig und