Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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76keit diente. Diese bat lange Zeit Maria inständig um die Bekehrungihres Gatten. Und siehe, in einer Nacht wird der Ritterim Geiste vor den Richterstuhl Gottes entrückt und all seinerSünden angeklagt und überführt. Und als er schon den Teufelnüberliefert werden sollte, sprach der Richter: „Gibt es hierirgend einen Heiligen, den er je in seinem Leben verehrt hat?"Da antwortete die Mutter der Barmherzigkeit: „0 Herr, einmalhat er mir zu Ehren eine Wachskerze geopfert; laß ihn dafüreinen Beistand in der Not finden." Und der Richter antworteteihr: „Ich höre auf deine Bitten und gewähre ihm diese Kerze;mit ihr soll er sich verteidigen, so gut er kann." Die Teufelwollen ihn ergreifen, aber er brennt sie mit der brennendenKerze und wehrt sich tapfer. Während dieser Vision liegt derRitter in seinem Bett und schwitzt vor Angst und stöhnt so,daß seinWeib aufwacht. Und sie streckt ihre Hand nach ihm aus, undseine Haut fühlt sich rauh an wie die Rinde eines Baumes; seinBart ist lang, und sie sieht, daß sein Haar grau und wirr ist.Da glaubt sie, das müsse ein Fremder sein, und schreit auf. DieKnechte kommen mit Waffen herein, der Ritter erwacht und willin seiner Angst reden, aber seine Stimme klingt wie das Gebrülleines Löwen. Und er macht ein Zeichen, um zu sagen, daß ersprechen will. Darauf erzählt er allen sein Traumgesicht. Vonnun an ist er vollständig bekehrt; er gründet zusammen mitseiner Gemahlin von seinem Vermögen ein Krankenhaus, in demer Gott dient und Dank sagt für seine Bekehrung; die Merkmaleaber, die sein Körper seit jenem Traumgesichte zurückbehaltenhat, zeigt er vielen, die ihn dort besuchen, und so endet er seinLeben im Dienste des Herrn.65.Von dem Gesichte einer Nonne, die eifrig die Kirchenwäschebesorgte.Eine Nonne, der die Sorge für ihre Kirche anvertraut war,war eifrig um die Reinerhaltung der kirchlichen Wäsche, besondersder Kelchwäsche und des Tuches, auf welches das Sakrament gelegtwird, bemüht. Wenn der Priester diese Stücke gewaschenhatte, wusch sie sie nachher selbst voll Eifer und trocknete sie,von einem feinen Tuche bedeckt, in sauberster Weise in der Sonne,

77damit sie nicht etwa durch Staub oder Vögel verunreinigt würden.Einst stand sie bei ihrer Wäsche und sprach voll Frömmigkeit ein AveMaria, da erschien ihr eine überaus schöne Jungfrau, die auf ihrenArmen einen allerliebsten Knaben trug, und setzte sich zu ihr.Das war die Himmelskönigin. Die Nonne sprach kein Wort, abersie konnte in ihrem Staunen den Blick nicht von der edlen Frauabwenden. Die Frau aber setzte ihren Knaben auf die Wäsche.Da rief die Nonne nach ihrer Gewohnheit dreimal, daß das heiligeWäsche sei, und machte mit der Hand Zeichen der Abwehr. Dieedle Frau aber lächelte ihr freundlich zu und setzte ihr Kindauf ein unbedeckt daliegendes Kelchtuch. Nun fragte die Nonne,wie sie das wagen könne. Die Frau aber erwidert: „Wunderedich nicht, daß ich mein Kind auf die Wäsche lege, die für esbestimmt ist; oft ruht es ja darauf auf dem Altare." Mit diesenWorten verschwindet sie mit ihrem Kinde. Doch bleibt an derStelle ein solcher Wohlgeruch zurück, und das Herz der frommenNonne ist so übervoll von heiliger Freude, daß es niemand zusagen vermöchte. Aus dieser Geschichte geht hervor, wie angenehmes Gott ist, wenn er sieht, daß die Menschen die Zierdeseines Hauses lieben und für die Reinheit der Altargeräte Sorgetragen.6G.Wie Maria einem Knaben das „Gegrüsset seist du, Königin" lehrte.Wenn du wissen willst, wie das „Gegriißet seist du, Königin"zuerst unter den Menschen bekannt und eingeführt wurde, willich es dir zum Lobe Marias, so wie es sich zutrug, erzählen.Jenseits der Ebene der Champagne, in dem Gebiete der heiligenJungfrau Gertrud wurden einst viele Menschen von einer schwerenKrankheit befallen, so daß es ihnen war, als ob ihr Leib verbrennenwollte. Diese beschloß die barmherzige Gottesmuttermit Einwilligung ihres Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, inihrer Milde zu heilen. In jenen Gegenden aber war ein Klostererbaut worden zu Ehren der Gottesmutter, und um den erstenJahrestag seiner Einweihung feierlich zu begehen, kommen vielemit jener Krankheit Behafteten herbei in der Hoffnung, Eettungzu finden auf die Fürbitte der seligen Gottesmutter und JungfrauMaria. Und in dieser frommen Gesinnung beschließen sie alle,

77damit sie nicht etwa durch Staub oder Vögel verunre<strong>in</strong>igt würden.E<strong>in</strong>st stand sie bei ihrer Wäsche <strong>und</strong> sprach voll Frömmigkeit e<strong>in</strong> AveMaria, da erschien ihr e<strong>in</strong>e überaus schöne Jungfrau, die auf ihrenArmen e<strong>in</strong>en allerliebsten Knaben trug, <strong>und</strong> setzte sich zu ihr.Das war die Himmelskönig<strong>in</strong>. Die Nonne sprach ke<strong>in</strong> Wort, abersie konnte <strong>in</strong> ihrem Staunen den Blick nicht von der edlen Frauabwenden. Die Frau aber setzte ihren Knaben auf die Wäsche.Da rief die Nonne nach ihrer Gewohnheit dreimal, daß das heiligeWäsche sei, <strong>und</strong> machte mit der Hand Zeichen der Abwehr. Dieedle Frau aber lächelte ihr fre<strong>und</strong>lich zu <strong>und</strong> setzte ihr K<strong>in</strong>dauf e<strong>in</strong> unbedeckt daliegen<strong>des</strong> Kelchtuch. Nun fragte die Nonne,wie sie das wagen könne. Die Frau aber erwidert: „W<strong>und</strong>eredich nicht, daß ich me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d auf die Wäsche lege, die für esbestimmt ist; oft ruht es ja darauf auf dem Altare." Mit diesenWorten verschw<strong>in</strong>det sie mit ihrem K<strong>in</strong>de. Doch bleibt an derStelle e<strong>in</strong> solcher Wohlgeruch zurück, <strong>und</strong> das Herz der frommenNonne ist so übervoll von heiliger Freude, daß es niemand zusagen vermöchte. Aus dieser Geschichte geht hervor, wie angenehmes Gott ist, wenn er sieht, daß die Menschen die Zier<strong>des</strong>e<strong>in</strong>es Hauses lieben <strong>und</strong> für die Re<strong>in</strong>heit der Altargeräte Sorgetragen.6G.Wie Maria e<strong>in</strong>em Knaben das „Gegrüsset seist du, König<strong>in</strong>" lehrte.Wenn du wissen willst, wie das „Gegriißet seist du, König<strong>in</strong>"zuerst unter den Menschen bekannt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>geführt wurde, willich es dir zum Lobe Marias, so wie es sich zutrug, erzählen.Jenseits der Ebene der Champagne, <strong>in</strong> dem Gebiete der heiligenJungfrau Gertrud wurden e<strong>in</strong>st viele Menschen von e<strong>in</strong>er schwerenKrankheit befallen, so daß es ihnen war, als ob ihr Leib verbrennenwollte. Diese beschloß die barmherzige Gottesmuttermit E<strong>in</strong>willigung ihres Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, <strong>in</strong>ihrer Milde zu heilen. In jenen Gegenden aber war e<strong>in</strong> Klostererbaut worden zu Ehren der Gottesmutter, <strong>und</strong> um den erstenJahrestag se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>weihung feierlich zu begehen, kommen vielemit jener Krankheit Behafteten herbei <strong>in</strong> der Hoffnung, Eettungzu f<strong>in</strong>den auf die Fürbitte der seligen Gottesmutter <strong>und</strong> JungfrauMaria. Und <strong>in</strong> dieser frommen Ges<strong>in</strong>nung beschließen sie alle,

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