Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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12.07.2015 Aufrufe

60deswegen in der Beicht getadelt wurde, sprach er, das tue er inguter Absicht, um das Unrecht, das man anderen zufüge, zustrafen. Es geschah aber, daß er in eine schwere Krankheit verfiel,die zum Tode führte. Und als er eine ganze Stunde wie tot dagelegenhatte, lebte er plötzlich wieder auf und sprach: „Kuftmir schnell einen Priester. Ich habe viele schwere Sünden begangen,derentwegen ich verdammt worden wäre, wenn mir nichtMaria, die Mutter des Herrn, zu Hilfe gekommen wäre." Alsaber seine Angehörigen fragten, welche Sünden er begangen habe,sprach er: „Ich habe die Saaten der Armen mit meinen Hundenauf der Jagd verwüstet." Und als die Anwesenden darauf sprachen:„Herr, das haben wir dir von ganzem Herzen verziehen," da erwiderteer: „Eure Verzeihung nützt mir nichts, da ich reich genugbin, um Ersatz zu leisten. Die zweite Sünde ist, daß ich Gottden Zehnten raubte, den ich als Patron der Kirche für mich behaltenzu dürfen glaubte. Die dritte Sünde aber ist die, daß ichoft zu großen Zorn in meinem Gemüte hegte unter nichtigemVerwände. Der Herr wollte mir meine Sünden nicht verzeihenund sprach zu mir: »Ich werde dir deine Schuld nicht vergessen,wenn du deinen Nächsten nicht verdbst.«"45.Von einem Weibe^ das sich dem Teufel verschrieb und von ihremSohne erlöstwurde.Man liest, daß eine vornehme Frau den Teufel beschwor undvon ihm forderte, er solle sie reich machen. Der Teufel abersprach zu ihr: „Ich will es tun, wenn du drei Gebote erfüllst.Du sollst in der Kirche die Betenden stören, die frommen Menschenin deinem Hause zur Sünde verführen und die Armen bei Tagegastlich aufnehmen und abends hinausweisen." Sie versprach diesalles und wurde reich und angesehen, und während sie die dreiTeufelsgebote erfüllte, gab sie sich den Schein, als ob sie eineHeilige wäre. Endlich wurde sie schwerkrank. Und als sie ihrenSohn fragte, was wohl jetzt für sie das Beste wäre, ermahntedieser seine Mutter zur Buße. Sie aber erzählte ihm, welcheVersprechen sie dem Teufel gegeben habe, und weigerte sich, Bußezu tun. Doch der Sohn brachte sie zuletzt so weit, daß sie Reue

61empfand und unter Tränen bat, er solle sogleich nach einemPriester schicken. Doch bevor der Priester kam, erschien derTeufel und brachte sie um. Da beichtete der Sohn für seineMutter, was er von ihr gehört hatte, und nahm auch die für siebestimmte Buße auf sich. Und als er die Buße beendet hat, erscheintihm die Mutter und spricht: „Als mich der Teufel erwürgthatte, wurde ich vor den Richterstuhl Gottes geführt und wegender Freveltaten und besonders wegen meiner Heuchelei angeklagt.Doch die Reue, die ich empfunden hatte, und der Wille, mich zubessern, retteten mich, nachdem du für mich gebeichtet hattest,vor der Verdammnis. Deine Buße aber hat mich aus den Qualenbefreit, zu denen ich verurteilt war; und heute komme ich, dirDank zu sagen, denn jetzt gehe ich in Freuden ein ins Himmelreich."46.Von einem wundertätigen Christusbilde und Julian dem Abtrünnigen.Man liest in der Kirchengeschichte, daß die heilige Martazur Erinnerung an ihre Heilung vom Blutfluß ein Bild Jesu Christifür sich meißeln ließ, genau mit den gleichen Kleidern und ihremSaum, wie sie Christus damals getragen hatte. Und sie ließ esin einem anmutigen Garten aufstellen, um bei seinem Anblickebeständig an die ihr erwiesene Wohltat erinnert zu werden. DerHerr aber sah, daß sie sich für die Wohltat dankbar erzeigte,und erwies ihr deshalb noch eine größere Gnade, indem er demBilde eine besondere Kraft verlieh. Jedes Kraut nämlich, dasunter ihm wuchs und den Saum des Kleides berührte, erhieltdurch diese Berührung die Kraft, Kranke zu heilen. Seht, welchschöne Folgen die Dankbarkeit hat! Später aber zeigte sich Juliander Abtrünnige eines so erhabenen Geschenkes unwürdig. Ersprach, diese Wirkung der Kräuter rühre nicht von dem Bilde,sondern aus der natürlichen Kraft der Erde her, und sagte: „MeinBild kann dasselbe." Und so ließ er das Bild Christi herabnehmenund stellte sein eigenes Bild dort auf. Als er es abermit den Kräutern berührte, mit denen er zuvor das Bild Christiberührt hatte, kam ein Blitz und zerschmetterte das Standbild.

61empfand <strong>und</strong> unter Tränen bat, er solle sogleich nach e<strong>in</strong>emPriester schicken. Doch bevor der Priester kam, erschien derTeufel <strong>und</strong> brachte sie um. Da beichtete der Sohn für se<strong>in</strong>eMutter, was er von ihr gehört hatte, <strong>und</strong> nahm auch die für siebestimmte Buße auf sich. Und als er die Buße beendet hat, ersche<strong>in</strong>tihm die Mutter <strong>und</strong> spricht: „Als mich der Teufel erwürgthatte, wurde ich vor den Richterstuhl Gottes geführt <strong>und</strong> wegender Freveltaten <strong>und</strong> besonders wegen me<strong>in</strong>er Heuchelei angeklagt.Doch die Reue, die ich empf<strong>und</strong>en hatte, <strong>und</strong> der Wille, mich zubessern, retteten mich, nachdem du für mich gebeichtet hattest,vor der Verdammnis. De<strong>in</strong>e Buße aber hat mich aus den Qualenbefreit, zu denen ich verurteilt war; <strong>und</strong> heute komme ich, dirDank zu sagen, denn jetzt gehe ich <strong>in</strong> Freuden e<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Himmelreich."46.Von e<strong>in</strong>em w<strong>und</strong>ertätigen Christusbilde <strong>und</strong> Julian dem Abtrünnigen.Man liest <strong>in</strong> der Kirchengeschichte, daß die heilige Martazur Er<strong>in</strong>nerung an ihre Heilung vom Blutfluß e<strong>in</strong> Bild Jesu Christifür sich meißeln ließ, genau mit den gleichen Kleidern <strong>und</strong> ihremSaum, wie sie Christus damals getragen hatte. Und sie ließ es<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anmutigen Garten aufstellen, um bei se<strong>in</strong>em Anblickebeständig an die ihr erwiesene Wohltat er<strong>in</strong>nert zu werden. DerHerr aber sah, daß sie sich für die Wohltat dankbar erzeigte,<strong>und</strong> erwies ihr <strong>des</strong>halb noch e<strong>in</strong>e größere Gnade, <strong>in</strong>dem er demBilde e<strong>in</strong>e besondere Kraft verlieh. Je<strong>des</strong> Kraut nämlich, dasunter ihm wuchs <strong>und</strong> den Saum <strong>des</strong> Klei<strong>des</strong> berührte, erhieltdurch diese Berührung die Kraft, Kranke zu heilen. Seht, welchschöne Folgen die Dankbarkeit hat! Später aber zeigte sich Juliander Abtrünnige e<strong>in</strong>es so erhabenen Geschenkes unwürdig. Ersprach, diese Wirkung der Kräuter rühre nicht von dem Bilde,sondern aus der natürlichen Kraft der Erde her, <strong>und</strong> sagte: „Me<strong>in</strong>Bild kann dasselbe." Und so ließ er das Bild Christi herabnehmen<strong>und</strong> stellte se<strong>in</strong> eigenes Bild dort auf. Als er es abermit den Kräutern berührte, mit denen er zuvor das Bild Christiberührt hatte, kam e<strong>in</strong> Blitz <strong>und</strong> zerschmetterte das Standbild.

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