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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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45<strong>und</strong> da er vornehmer Abkunft <strong>und</strong> wegen se<strong>in</strong>es Fastens <strong>und</strong> Gebetesweit berühmt war, wurde er <strong>in</strong> der Kirche e<strong>in</strong>es Klostersbeigesetzt. Als aber die Brüder zusammen die Totengebete betenwollten, da hörten sie, wie aus dem Grabe e<strong>in</strong>e Stimme rief: „Ach,ich brenne, ich leide im Feuer, ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> großer Pe<strong>in</strong>!" Und alsdie Brüder h<strong>in</strong>zutraten <strong>und</strong> fragten, wer so rufe, da antwortetedie Stimme: „Ich b<strong>in</strong> es, die unglückliche Seele, die ich mir dasUrteil anmaßte über die Menschen <strong>und</strong> sie h<strong>in</strong>ter dem Eücken oftmit böser Zunge verleumdete. Deswegen leide ich jetzt dieschwere Feuerpe<strong>in</strong>." Und sie g<strong>in</strong>gen noch näher heran <strong>und</strong> sahenihn im Grabe vom Kopf bis zum Gürtel <strong>in</strong> hellen Flammen.Seht, welch Unheil die Verleumdung stiftet!28.Von e<strong>in</strong>er unschuldig verfolgten König<strong>in</strong>.Man liest, <strong>in</strong> der dreiteiligen Chronik, daß e<strong>in</strong>st e<strong>in</strong> König<strong>in</strong> England lebte, der e<strong>in</strong>e schöne <strong>und</strong> tugendsame Gemahl<strong>in</strong> hatte,auf deren Bitten er das Gelübde tat, e<strong>in</strong> enthaltsames Leben zuführen. Se<strong>in</strong>e Frömmigkeit bestimmte ihn zu e<strong>in</strong>er Pilgerfahrt<strong>in</strong>s heilige Land. Bevor er abreiste, übergab er die Kegierung<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> den Hofhalt se<strong>in</strong>em Bruder. Diesen Bruder aberreizte die Schönheit der König<strong>in</strong> bald zu sündhaftem Begehren.Doch die König<strong>in</strong> suchte ihn immer wieder h<strong>in</strong>zuhalten; endlichaber ließ sie e<strong>in</strong> Haus mit allen möglichen Lebensmitteln versorgen<strong>und</strong> schloß ihn dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>. Als jedoch der König heimkehrte, daforderte sie den E<strong>in</strong>geschlossenen auf, se<strong>in</strong>em Bruder freudig entgegenzueilen.Der aber verleumdet sie beim ersten Zusammentreffenmit se<strong>in</strong>em Bruder <strong>in</strong> der schändlichsten Weise, <strong>in</strong>dem erihr den Vorwurf macht, sie habe mit vielen anderen die Treuegegen ihren Gemahl verletzt. Der König glaubt se<strong>in</strong>em Bruder<strong>und</strong> befiehlt zwei Kämmerl<strong>in</strong>gen, sie <strong>des</strong> Nachts auf die nächsteInsel zu schaffen <strong>und</strong> dort zu töten. Während diese se<strong>in</strong> Gebotausführen, treffen sie unterwegs mit e<strong>in</strong>em Grafen zusammen, derden König auf se<strong>in</strong>er Pilgerreise begleitet hatte. Als der Grafsieht, wie man die schöne Frau zu Tode führt, empf<strong>in</strong>det er Mitleidmit ihr, entreißt sie ihren Händen <strong>und</strong> nimmt sie mit <strong>in</strong>se<strong>in</strong> Haus. Und gewonnen durch ihr tugendhaftes Verhalten, gibt

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