Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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3617.Wohltun bringt hundertfachen Lohn.Das Almosen, das ein Mensch gibt, wird ihm hundertfachwiedergegeben werden. Man liest in der Kirchengeschichte, daßeinst ein sehr vornehmer und reicher Mann lebte. Dieser hörteeines Tages, wie ein heiligmäßiger Mann über jenes Wort predigte:„Wer sein Gold und Silber, sein Weib und seine Kinder ummeinetwillen verläßt, der wird hundertfachen Lohn erhalten." Undder Eeiche suchte nach einigen Tagen jenen Mann auf und fragteihn, ob jene Worte auch wahr wären. Da spricht dieser: „Esist leichter möglich, daß der Himmel herniederfällt, als daß Gottsein Wort nicht erfüllt." Darauf spricht der Reiche: „Wenn dudie Bürgschaft dafür übernimmst, dann will ich dir alle meineGüter übergeben, damit du sie zur Ehre Gottes verteilst." Unddas tat er auch und begann mit seinen Kindern zu betteln. KurzeZeit aber, nachdem alle seine Güter zu Gottes Ehre verteilt wordenwaren, starb jener vornehme Mann. Seine Söhne aber schlepptennun den heiligmäßigen Prediger vor Gericht und beschuldigtenihn,er hätte ihre Güter vergeudet und ihren Vater betrogen, indemer ihm hundertfachen Ersatz versprochen, aber nichts wiedergegebenhätte, so daß sie jetzt kein ausreichendes Vermögen besäßen.Und als er zum Schadenersatz aufgefordert wurde, spracher: „Wir wollen zum Grabe eures Vaters gehen und fragen, obich noch sein Schuldner bin." Damit waren alle einverstanden.Und der heiligmäßige Mann trat vor das Grab und rief den Totenbei seinem Namen und sprach: „Sage mir, ob dir dein Vermögenzurückerstattet worden ist, oder nicht." Und der Tote antwortete:„Du bist frei von aller Schuld, heiliger Vater, denn mir sindmeine Güter hundertfach ersetzt, und ich besitze das ewige Leben."18.Von einem Einsiedler, der einen Aussätzigen pflegte.Man liest von einem Einsiedler, der unter anderen Tugendenbesonders die eine besaß, daß er die Kranken mit großer Hingebungpflegte. Dieser wurde einst durch ein göttliches Gesichtaufgefordert, in die nächste Stadt zu gehen. Und als er zum Stadt-

37tore kam, sah er dort einen Menschen liegen, der von einer sofurchtbaren und ekelhaften Krankheit befallen war, daß ihn sogardie Aussätzigen selbst nicht in ihrer Mitte dulden mochten. DerEinsiedler jedoch geht an ihn heran und dient ihm und tröstetihn im Herrn. Der Aussätzige aber spricht: „Gepriesen sei Gott,der Höchste, der mir diese Krankheit geschickt hat. Ich fürchteaber, daß mir der Herr wegen deiner demütigen Dienste denhimmlischen Lohn mindert." „Das wird er nicht tun;" entgegnetder Einsiedler, „denn ich habe den göttlichen Befehl erhalten,hierher zu gehen, um mir himmlischen Lohn zu verdienen." Soentbrannte ihr heiliger Wettstreit täglich von neuem. Je mehrder Einsiedler ihm diente, desto größer wurde auch sein Eifer indiesem Dienste; aber desto weniger ließ es der Kranke zu, ihnzu pflegen, damit er größere Schmerzen hätte und so sein Lohnim Himmel größer würde. So vergingen fünfundzwanzig Jahre,und es kam der Tag, an dem der Kranke zum Herrn eingehensollte. Bevor er starb, küßte er dem Einsiedler die Hände unddankte ihm für seine treue Pflege. Der Einsiedler aber bat denHerrn, er möchte ihm zeigen, wie diese heilige Seele aus demLeibe scheiden würde. Und da der Herr mit seiner Erhörungall denen nahe ist, die ihn in Wahrheit anrufen, gewährte erihm seine Bitte und zeigte es ihm. Denn als die Todesstundeherankam, hörte er eine Stimme vom Himmel; „Komm, Erwählter,gehe ein in meine Freuden." Da sprach jene glückselige Seelejubelnd zu allen Sinnen des Leibes: „Ich danke euch, daß ihrmir gehorchtet; euch, Augen, daß ihr die Eitelkeiten der Weltnicht zu schauen begehrtet; euch, Ohren, daß ihr nicht ihreNichtigkeiten hören wolltet; euch, Hände, daß ihr nicht nachsinnlichen Vergnügen langtet; euch, Füße, daß ihr nicht zuEitelkeiten eiltet; dir, Nase, daß du Wohlgerüche verschmähtest;dir, Mund, daß du den Wohlgeschmack verachtetest. Daher seiauch du, mein Körper, froher Erwartung. Du wirst die Herrschaftzum Lohne erhalten und in Frieden ruhn, bis du für deine Arbeitdie ewige Vergeltung erhalten wirst." Mit diesen Worten entschwebtedie Seele, geleitet von den Chören der Engel, zumHimmel.

3617.Wohltun br<strong>in</strong>gt h<strong>und</strong>ertfachen Lohn.Das Almosen, das e<strong>in</strong> Mensch gibt, wird ihm h<strong>und</strong>ertfachwiedergegeben werden. Man liest <strong>in</strong> der Kirchengeschichte, daße<strong>in</strong>st e<strong>in</strong> sehr vornehmer <strong>und</strong> reicher Mann lebte. Dieser hörtee<strong>in</strong>es Tages, wie e<strong>in</strong> heiligmäßiger Mann über jenes Wort predigte:„Wer se<strong>in</strong> Gold <strong>und</strong> Silber, se<strong>in</strong> Weib <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der umme<strong>in</strong>etwillen verläßt, der wird h<strong>und</strong>ertfachen Lohn erhalten." Undder Eeiche suchte nach e<strong>in</strong>igen Tagen jenen Mann auf <strong>und</strong> fragteihn, ob jene Worte auch wahr wären. Da spricht dieser: „Esist leichter möglich, daß der Himmel herniederfällt, als daß Gottse<strong>in</strong> Wort nicht erfüllt." Darauf spricht der Reiche: „Wenn dudie Bürgschaft dafür übernimmst, dann will ich dir alle me<strong>in</strong>eGüter übergeben, damit du sie zur Ehre Gottes verteilst." Unddas tat er auch <strong>und</strong> begann mit se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern zu betteln. KurzeZeit aber, nachdem alle se<strong>in</strong>e Güter zu Gottes Ehre verteilt wordenwaren, starb jener vornehme Mann. Se<strong>in</strong>e Söhne aber schlepptennun den heiligmäßigen Prediger vor Gericht <strong>und</strong> beschuldigtenihn,er hätte ihre Güter vergeudet <strong>und</strong> ihren Vater betrogen, <strong>in</strong>demer ihm h<strong>und</strong>ertfachen Ersatz versprochen, aber nichts wiedergegebenhätte, so daß sie jetzt ke<strong>in</strong> ausreichen<strong>des</strong> Vermögen besäßen.Und als er zum Schadenersatz aufgefordert wurde, spracher: „Wir wollen zum Grabe eures Vaters gehen <strong>und</strong> fragen, obich noch se<strong>in</strong> Schuldner b<strong>in</strong>." Damit waren alle e<strong>in</strong>verstanden.Und der heiligmäßige Mann trat vor das Grab <strong>und</strong> rief den Totenbei se<strong>in</strong>em Namen <strong>und</strong> sprach: „Sage mir, ob dir de<strong>in</strong> Vermögenzurückerstattet worden ist, oder nicht." Und der Tote antwortete:„Du bist frei von aller Schuld, heiliger Vater, denn mir s<strong>in</strong>dme<strong>in</strong>e Güter h<strong>und</strong>ertfach ersetzt, <strong>und</strong> ich besitze das ewige Leben."18.Von e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>siedler, der e<strong>in</strong>en Aussätzigen pflegte.Man liest von e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>siedler, der unter anderen Tugendenbesonders die e<strong>in</strong>e besaß, daß er die Kranken mit großer H<strong>in</strong>gebungpflegte. Dieser wurde e<strong>in</strong>st durch e<strong>in</strong> göttliches Gesichtaufgefordert, <strong>in</strong> die nächste Stadt zu gehen. Und als er zum Stadt-

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