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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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180er wirklich ihr Gemahl sei. Aber die Frau weist beharrlich allesab <strong>und</strong> schwört, sie habe nie <strong>und</strong> nimmer e<strong>in</strong>en so alten Gemahlgehabt. Da merkt, Geliebte, was Seneka spricht: „Das Alter isterwünscht <strong>und</strong> doch e<strong>in</strong> Übel; denn obschon erwünscht, erregt esVerachtung." Auf die K<strong>und</strong>e von diesem Vorfall s<strong>in</strong>d vieleMenschen herbeigeeilt, aber niemand erkennt ihn. Schließlich kehrtdas Weib <strong>und</strong> alle, die dorth<strong>in</strong> gekommen s<strong>in</strong>d, unwillig heim, dennsie glauben, daß sie zum besten gehalten worden seien.Der Unglückliche aber bleibt alle<strong>in</strong> ohne allen Trost. Dabricht er <strong>in</strong> bittere Tränen aus. Als er so we<strong>in</strong>t, geht e<strong>in</strong> mitleidigerMensch vorüber, der den Armen auffordert, mit ihm <strong>in</strong>se<strong>in</strong> Haus zu kommen. Dort gibt er ihm bereitwillig zu essen.So erholt sich der Jüngl<strong>in</strong>g. Nach dem Mahle aber denkt er andas Wort se<strong>in</strong>es Vaters, daß er <strong>in</strong> aller Not vertrauensvoll dieselige Jungfrau anrufen solle. Und alsbald begibt er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>Kloster, das Maria geweiht ist, <strong>und</strong> wirft sich <strong>in</strong> tiefer Eeue we<strong>in</strong>endvor dem Altare nieder, auf dem das Bild Mariens steht. Der Jesusknabeauf Marias Schoß aber wendet sich von ihm ab, da er <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Unwillen nicht den Sünder anblicken mag, der ihn auf dasVerlangen <strong>des</strong> Teufels verleugnet hat. Als das der Sünder sieht,wendet er sich seufzend an Maria <strong>und</strong> betet zu ihr: „Du Mutterder Barmherzigkeit, erbarme dich me<strong>in</strong>er <strong>und</strong> bitte de<strong>in</strong>en liebenSohn für mich. Er<strong>in</strong>nere dich, daß ich dich nie <strong>in</strong> allen me<strong>in</strong>enLeiden verleugnen wollte." Da setzt die Mutter ihren Knabenvon ihrem Schoß, steht auf <strong>und</strong> kommt vom Altare herab, stelltsich neben den Sünder <strong>und</strong> fleht ihren Sohn mit diesen Wortenan: „Me<strong>in</strong> lieber Sohn, der du me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Hoffnung bist, dume<strong>in</strong>e Freude <strong>und</strong> me<strong>in</strong> Glück, du weißt, daß es nicht recht ist,daß e<strong>in</strong> treuer Sohn se<strong>in</strong>er Mutter versagt, worum sie ihn bittet.Denk daran, me<strong>in</strong> geliebter Sohn, wieviel ich auf Erden für dichgelitten habe, welchen Schmerz ich bei de<strong>in</strong>em Leiden empfand,als mir de<strong>in</strong> Schmerz wie e<strong>in</strong> Schwert die Seele durchdrang.Denk auch daran, daß ke<strong>in</strong> Sünder so sehr von dem Schmutz derSünde befleckt ist, daß du ihm die Verzeihung versagen müßtest.Denn es steht geschrieben: »In der St<strong>und</strong>e, <strong>in</strong> der der Sünder erseufzt,wird er gerettet se<strong>in</strong>.«" Diese Bitten rührten Jesum, <strong>und</strong>er schenkte dem Sünder wieder se<strong>in</strong>e Gnade <strong>und</strong> nahm ihn wiederunter se<strong>in</strong>e Diener auf.

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