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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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157auch jener unbekümmert, der se<strong>in</strong>e Seele ausgeboten hatte. AmAbend jedoch, als sie alle schlafen gehen wollen, spricht derUnbekannte, der die Seele erstanden hatte: „Entscheidet ihr denHandel; wer sich e<strong>in</strong> Pferd gekauft hat, darf der auch den Zaumnehmen?" Sie sprechen alle: Ja. Da packt der Käufer den, derse<strong>in</strong>e Seele verkauft hatte, beim Kopf <strong>und</strong> trägt ihn durch dieLüfte <strong>in</strong> die Hölle fort.164.Der toteGast.E<strong>in</strong>st lebte e<strong>in</strong> dem Trünke ergebener Mann <strong>in</strong> der Nähee<strong>in</strong>es Kirchhofs, durch den er alle Abende trunken heimkehrte.Als er wieder e<strong>in</strong>mal nachts nach Hause g<strong>in</strong>g, nahm er den Wegwieder durch den Kirchhof. Dort fand er e<strong>in</strong>en Totenschädel,<strong>und</strong> gutmütig sprach er zu ihm: „Du armer Schädel, was liegstdu hier? Komm doch mit mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Wohnung, dort werdeich dir zu essen geben." Da antwortete ihm der Schädel: „Gehvoran, ich werde dir folgen." Als er diese Worte vernahm, gerieter <strong>in</strong> die höchste Angst, <strong>und</strong> das machte ihn sofort nüchtern. Sokommt er heim, <strong>und</strong> am ganzen Leibe zitternd setzt er sich zumHerde ans Feuer. Er läßt die Haustür schließen, <strong>und</strong> als mansich zum Essen setzt, befiehlt er dem Ges<strong>in</strong>de, wenn ihnen ihrLeben lieb sei, dann sollten sie niemanden, möge es se<strong>in</strong>, werwolle, <strong>in</strong> das Haus e<strong>in</strong>lassen. Plötzlich ist jemand vor der Tür.Er klopft heftig <strong>und</strong> fragt nach dem Hausherrn. Er sei von ihmzu Gaste geladen worden. Alle bleiben still <strong>in</strong> ihrem Schrecken;nur e<strong>in</strong>er antwortet, der Herr sei nicht daheim. Der Fremde aberspricht: „Sagt nur eurem Herrn, — denn ich weiß, daß er hierist — er möge öffnen. Sonst komme ich mit Gewalt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wieich gerade kann." Da empfiehlt sich der Hausherr der BarmherzigkeitGottes <strong>und</strong> läßt die Tür öifnen. Und alle sehen dieentsetzliche Gestalt e<strong>in</strong>es Toten e<strong>in</strong>treten, an <strong>des</strong>sen Knochen <strong>und</strong>Schädel nur noch Sehnen <strong>und</strong> Haut haften; vom Fleische siehtman nichts mehr. Bei se<strong>in</strong>em Anblick ergreift sie alle e<strong>in</strong> gewaltigerSchrecken. Der Tote wäscht sich se<strong>in</strong>e Hände, dann setzter sich unaufgefordert an den Tisch zwischen den Hausherrn <strong>und</strong>die Frau, <strong>und</strong> ohne e<strong>in</strong>en Bissen zu essen oder zu tr<strong>in</strong>ken <strong>und</strong> ohnee<strong>in</strong> Wort zu sprechen, quält er alle durch se<strong>in</strong>en grausigen An-

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