12.07.2015 Aufrufe

Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

136134.Von e<strong>in</strong>em gerechten Grafen, der se<strong>in</strong>en Sohn tötete.E<strong>in</strong>Graf mit Namen Ke<strong>in</strong>aldus lag schon lange krank zu Bett.E<strong>in</strong>es Tages hörte er, daß <strong>in</strong> der Stadt e<strong>in</strong>e große Aufregung war,<strong>und</strong> fragte nach der Ursache. Se<strong>in</strong>e Diener suchen sie ihm zunächstzu verbergen; doch als der Graf dem Boten mit e<strong>in</strong>erStrafe droht, wenn er den Gr<strong>und</strong> nicht angebe, hört er, daß se<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziger Sohn, der ihm <strong>in</strong> der Herrschaft <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> folgen soll,sich gegen e<strong>in</strong>e Jungfrau schimpflich benommen habe, <strong>und</strong> darübersei die ganze Stadt <strong>in</strong> Aufregung. Diese Nachricht versetzt denGrafen <strong>in</strong> große Trauer. Er läßt sich e<strong>in</strong> scharfes Messer reichen,als wenn er sich die Nägel schneiden wolle, <strong>und</strong> läßt kurze Zeitdarauf se<strong>in</strong>en Sohn vor sich rufen. „Du weißt doch," spricht erzu ihm, „daß du me<strong>in</strong> Sohn <strong>und</strong> ich der Eichter <strong>und</strong> Herr diesesLan<strong>des</strong> b<strong>in</strong>." „Ich weiß es, Vater," antwortet der Sohn. „Warumhast du dann e<strong>in</strong>en solchen Frevel <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Lande begangen?"Der Sohn schweigt. Der Vater aber fährt fort: „Es sei ferne vonmir, daß ich e<strong>in</strong>en solchen Verbrecher als Erben <strong>und</strong> Herrn <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> h<strong>in</strong>terlasse." Mit diesen Worten bohrt er ihm das Messer<strong>in</strong>s Herz <strong>und</strong> tötet ihn. E<strong>in</strong>e Woche später ist der Graf so schwerkrank, daß er e<strong>in</strong>en Geistlichen holen läßt; er beichtet ihm <strong>und</strong>will den Leib Christi empfangen. Der Geistliche aber fragt:„Warum hast du, Herr, <strong>in</strong> der Beicht die Ermordung de<strong>in</strong>es Sohnesnicht erwähnt?" Und der Graf erwidert: „Es sei fern von mir,jenen me<strong>in</strong>en Sohn zu nennen, der das Kecht brach <strong>und</strong> <strong>des</strong> To<strong>des</strong>schuldig war; er war nicht würdig, me<strong>in</strong> Sohn zu heißen. Undda er nicht me<strong>in</strong> Sohn, sondern e<strong>in</strong> Frevler gegen das Gesetz war,wollte ich ihn, da ich das Gericht verwalte, lieber töten, als e<strong>in</strong>gerechtes Urteil unvoUstreckt lassen. Du aber, Herr, verurteilstmich gegen das Gesetz me<strong>in</strong>es Gottes,der im Buche Deuteronomionspricht: „Die Eltern sollen zuerst gegen ihre K<strong>in</strong>der vorgehen."Ich aber lege, da du nicht gerecht urteilst, Berufung e<strong>in</strong> vor demKichterstuhl Christi; dort will ich me<strong>in</strong>em Gotte Kede stehn.Hältst du mich jedoch für unwürdig, den Leib <strong>des</strong> Herrn zuempfangen, dann bitte ich dich, zeige mir ihn wenigstens vorme<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>scheiden." Als aber die Hostie auf das Le<strong>in</strong>wandtüchle<strong>in</strong>gelegt <strong>und</strong> dem Grafen gezeigt wurde, betete dieser;

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!