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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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120111.Von e<strong>in</strong>er Königstochter <strong>und</strong> dem Herrn der Blumen.E<strong>in</strong> heidnischer König hatte nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Tochter, dieüberaus schön war. E<strong>in</strong>es Tages g<strong>in</strong>g diese <strong>in</strong> den Garten, <strong>und</strong>dort sah sie e<strong>in</strong>e w<strong>und</strong>erbar schöne Blume, <strong>und</strong> sie dachte, daßder Gott, der alle Blumen wachsen ließ, noch viel schöner se<strong>in</strong>müßte. Daher nahm sie sich vor, vor allen Göttern den Gott derBlumen zu verehren. Die Jungfrau wurde mit e<strong>in</strong>em Jüngl<strong>in</strong>geverlobt, <strong>und</strong> als dieser kam, um sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Heim zu holen, batsie ihn um die Erlaubnis, zuvor h<strong>in</strong>ab <strong>in</strong> den Garten gehen <strong>und</strong>den Gott der Blumen verehren zu dürfen, der ihr vor allen anderenGöttern teuer wäre. Der Jüngl<strong>in</strong>g erlaubte es ihr, <strong>und</strong> sie gehtmit prächtigen Gewändern geschmückt alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Garten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.Dort erblickt sie <strong>in</strong> den Blumen e<strong>in</strong>en Jüngl<strong>in</strong>g, der an Klarheitdas Licht der Sonne übertrifft. Sie erschrickt, doch fragt sie,wer er sei; denn sie glaubt, ihr Gott sei ihr erschienen. DerJüngl<strong>in</strong>g war jedoch e<strong>in</strong> Engel <strong>und</strong> wußte, was sie dachte.Daher sprach er: „Ich b<strong>in</strong> nicht de<strong>in</strong> Gott, sondern nur se<strong>in</strong>Diener." Und die Jungfrau fragt: „Wenn der Diener so w<strong>und</strong>erbarist, wie herrlich ist dann der Herr?" Darauf erwidert derEngel: „Er ist unendlich schöner als ich." Und die Jungfrauspricht: „Ich möchte so gern erfahren, welche Dienste me<strong>in</strong>emHerrn am wohlgefälligsten s<strong>in</strong>d, denn gern möchte ich sie ihmerweisen." Der Engel entgegnet: „Am liebsten ist ihm die Jungfräulichkeit."Da ruft sie: „Die will ich aus Liebe zu ihm bewahren,wenn du e<strong>in</strong>en Weg kennst, um mich dem zu entführen,dem ich verlobt <strong>und</strong> angetraut b<strong>in</strong>." Der Engel aber spricht:„Es soll nicht dazu kommen, daß du se<strong>in</strong>e Gatt<strong>in</strong> wirst." Mitdiesen Worten hob er sie empor <strong>und</strong> entführte sie <strong>in</strong> das Landder Christen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Jungfrauenkloster <strong>und</strong> setzte sie vor demAltare nieder. Das alles war das Werk e<strong>in</strong>er St<strong>und</strong>e. Die Nonneaber, die die Kirche hütete, glaubte, als sie sie sah, sie wäre dieMutter <strong>des</strong> Erlösers, <strong>und</strong> rief die anderen Nonnen herbei, <strong>und</strong>alle fielen <strong>in</strong> Verehrung vor ihr nieder. Dann aber erkannten sie,daß sie nicht Maria war, <strong>und</strong> traten näher zu ihr h<strong>in</strong>. Da fandensie <strong>in</strong> der Jungfrau Hand e<strong>in</strong> Stück beschriebenes Pergament, aufdem zu lesen war, woher sie käme, <strong>und</strong> wer sie sei. Am Morgen

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