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Die Realdefinition des Rechts 35Der Ausdruck « Recht» (jus) ist allerdings im Bewußtsein des Menschenschon derart sittlich (justum) verankert, daß es schwer fällt, ihnaus dieser Verkettung zu lösen. Das mag ein Beweis sein, wie sehr wiruns bei der von uns eingeschlagenen Methode der Vorläufigkeit unsererRedeweise bewußt bleiben müssen.In seiner « Rechtsphilosophie » schildert Erich Fechner die verschiedenenAuffassungen vom Wesen des Rechts 11 . Er unterscheidet dabeiRealauffassungen und Idealauffassungen vom Recht. Die Realauffassungenvom Recht sind nach ihm durch folgende Theorien gekennzeichnet: 1. Rechtsbiologismus (Rassentheorie), 2. ökonomische Rechtsauffassung(mit Grundlegung in der materialistischen Geschichtsauffassung),3. Politische Rechtsauffassung (Recht als Ausdruck von Machtverhältnissen),4. Soziologismus und Positivismus im Recht (diese beidenverstanden als Zusammenfassungen aller Realtheorien, insofern nämlichdie faktische Entwicklung des Zusammenlebens irgendeine tatsächlicheMacht, eines einzelnen oder einer herrschenden Gruppe, zur Auswirkungkommen läßt). Die Idealauffassungen vom Recht teilen sich nach denAusführungen Erich Fechner's in folgende Gruppen : 1. Vernunftlehredes Rechts (Rationalismus im Rechtsdenken), 2. Werttheorie im Recht(Wertphilosophie), 3. Theologische Rechtsauffassungen (Begründung desRechts in Gott).Wir haben diese anregende Aufteilung der verschiedenen Rechtsauffassungenhier erwähnt, weil unsere Ausführungen über die Realdefinitiondes Rechts sich in manchen Punkten mit den verschiedenenRealauffassungen vom Recht, wie sie Fechner wiedergibt, trifft, anderseitsaber doch nicht verwechselt werden darf mit dem, was Fechner«Realauffassungen» vom Recht nennt. Es geht in der Realdefinitiondes Rechts nämlich nicht darum, darzulegen, was die Wissenschaftlerüber das Recht berichten und wie sie es begründet haben, sondern vielmehrum die Frage, in welcher Weise in einer Gesellschaft das soziale Sollwirksam wird.Soviel können wir bereits von der Nominaldefinition aus sagen, daßdas soziale Soll immer nur über das Bewußtsein der Gesellschaftsgliederwirksam sein kann. Denn sonst wäre Recht nicht Norm, sondern reineKausalität. Um also die Realität des Rechts definieren zu können, müssenwir die Motive untersuchen, aufgrund deren die Glieder der verschiede-22 ff.1 1Rechtsphilosophie. Soziologie und Metaphysik des Rechts, Tübingen 1956,4
36 Die Definition des Rechtsnen Gesellschaften sich dem sozialen Soll tatsächlich unterwerfen. ImUnterschied zur Nominaldefinition, wo wir gefragt haben, was die Menschensich unter dem Recht vorstellen, befassen wir uns jetzt mit ihrentatsächlichen Gründen und Begründungen, um derentwillen sie Rechtverwirklichen.Sieht es also doch so aus, als ob wir Auffassungen vom Recht untersuchenwollten ? Wer sich aber unsere Fragestellung richtig überlegt,wird herausmerken, daß es sich nicht um verschiedene Erklärungen desRechts, sondern vielmehr um verschiedene Motivierungen der Rechtsverwirklichunghandelt. Dabei wird noch in keiner Weise ein wertmäßigesUrteil gefällt, etwa eine Charakterisierung vorgenommen gemäß den Ausdrückenwie Biologismus, Soziologismus, Positivismus usw. Wir fragenuns vielmehr ganz schlicht im Sinne positiver Bestandsaufnahme, wieetwa die Rechtstheorie sie vornimmt, in welcher Weise das rechtlicheSoll in der Gesellschaft sich erfahrungsmäßig kundtut.ErsteRealdefinitionDas Recht ist ein eine Vielheit von Menschen umfassendes durchstaatliche Autorität auferlegtes Soll. In diesem Sinne treffen wir das Rechtin jedem Staatswesen an, solange dieses sich nicht in Anarchie auflöst.Die Art Und Weise, wie der Machtinhaber an seine Macht gekommen ist,spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Man braucht also nichtnotwendigerweise an einen Monarchen zu denken. Die Macht kann auchdas Resultat von Auseinandersetzungen verschiedener Kräfte sein.Denkt man aber beim Recht an ein System oder eine ganze Ordnung vonRechten, dann wird man notwendigerweise an eine konstant bleibendeMachtausübung denken müssen. In diesem Sinne gilt folgende Definitiondes Rechts : «Recht ist die Resultante relativ konstanter Machtfaktoren.» 1 2 Dieselbe Wirklichkeit hat Max Ernst Mayer im Auge : « Rechtim weiteren Sinn ist die Gesamtheit von Handlungen, die eine organisierteGesellschaft vornimmt, um die Pflege ihrer gemeinsamen Interessendurch Aufstellung und Durchführung eines Normensystems zusichern.» 13Eine Reihe von Autoren hat den Gesichtspunkt der staatlichen Machtim Recht herausgehoben. Wir führen sie hier nicht an, um Rechtsauffas-1 2Ludwig GUMPLOWICZ, Die sociologische Staatsidee, Innsbruck 2 1902, 127 ;Alfred VIERKANDT, Gesellschaftslehre, Tübingen 1922, 257.1 3Rechtsphilosophie, Berlin 1922, 56.
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36 Die Definition <strong>de</strong>s Rechtsnen Gesellschaften sich <strong>de</strong>m sozialen Soll tatsächlich unterwerfen. ImUnterschied zur Nominal<strong>de</strong>finition, wo wir gefragt haben, was die Menschensich unter <strong>de</strong>m Recht vorstellen, befassen wir uns jetzt mit ihrentatsächlichen Grün<strong>de</strong>n und Begründungen, um <strong>de</strong>rentwillen sie Rechtverwirklichen.Sieht es also doch so aus, als ob wir Auffassungen vom Recht untersuchenwollten ? Wer sich aber unsere Fragestellung richtig überlegt,wird herausmerken, daß es sich nicht um verschie<strong>de</strong>ne Erklärungen <strong>de</strong>sRechts, son<strong>de</strong>rn vielmehr um verschie<strong>de</strong>ne Motivierungen <strong>de</strong>r Rechtsverwirklichunghan<strong>de</strong>lt. Dabei wird noch in keiner Weise ein wertmäßigesUrteil gefällt, etwa eine Charakterisierung vorgenommen gemäß <strong>de</strong>n Ausdrückenwie Biologismus, Soziologismus, Positivismus usw. Wir fragenuns vielmehr ganz schlicht im Sinne positiver Bestandsaufnahme, wieetwa die Rechtstheorie sie vornimmt, in welcher Weise das rechtlicheSoll in <strong>de</strong>r Gesellschaft sich erfahrungsmäßig kundtut.ErsteReal<strong>de</strong>finitionDas Recht ist ein eine Vielheit von Menschen umfassen<strong>de</strong>s durchstaatliche Autorität auferlegtes Soll. In diesem Sinne treffen wir das Rechtin je<strong>de</strong>m Staatswesen an, solange dieses sich nicht in Anarchie auflöst.Die Art Und Weise, wie <strong>de</strong>r Machtinhaber an seine Macht gekommen ist,spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Man braucht also nichtnotwendigerweise an einen Monarchen zu <strong>de</strong>nken. Die Macht kann auchdas Resultat von Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen verschie<strong>de</strong>ner Kräfte sein.Denkt man aber beim Recht an ein System o<strong>de</strong>r eine ganze Ordnung vonRechten, dann wird man notwendigerweise an eine konstant bleiben<strong>de</strong>Machtausübung <strong>de</strong>nken müssen. In diesem Sinne gilt folgen<strong>de</strong> Definition<strong>de</strong>s Rechts : «Recht ist die Resultante relativ konstanter Machtfaktoren.» 1 2 Dieselbe Wirklichkeit hat Max Ernst Mayer im Auge : « Rechtim weiteren Sinn ist die Gesamtheit von Handlungen, die eine organisierteGesellschaft vornimmt, um die Pflege ihrer gemeinsamen Interessendurch Aufstellung und Durchführung eines Normensystems zusichern.» 13Eine Reihe von Autoren hat <strong>de</strong>n Gesichtspunkt <strong>de</strong>r staatlichen Machtim Recht herausgehoben. Wir führen sie hier nicht an, um Rechtsauffas-1 2Ludwig GUMPLOWICZ, Die sociologische Staatsi<strong>de</strong>e, Innsbruck 2 1902, 127 ;Alfred VIERKANDT, Gesellschaftslehre, Tübingen 1922, 257.1 3Rechtsphilosophie, Berlin 1922, 56.