SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de

SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de

stiftung.utz.de
von stiftung.utz.de Mehr von diesem Publisher
12.07.2015 Aufrufe

Grundeinteilung: Positivistische und naturrechtliche Rechtsphilosophen 217rem Blick, daß die Rechtssoziologie die natürlichen Neigungen des Menschen,seinen Freiheitsdrang, seine Sehnsucht nach gerechtem Ausgleich,seinen Willen zur Existenzsicherung als mächtige Quellen des Rechtsentdeckt hat, die zwar im Einzelmenschen schwächer sind als die Sanktionsmachtdes Staates, die aber wegen der vielfältigen sozialpsychologischenSeitenkanäle auf die Dauer dem staatlichen Recht weit überlegensind. Die Soziologie hat also, rein vom Gesichtspunkt der Rechtskraft,d. h. der Faktizität her, ein dem staatlichen Recht vorgeordnetesRecht, nämlich das der Gewohnheit, der Tradition, des Brauchtums, desBios, der Geschichte oder wie immer man es nennen will, aufgewiesen.Wir stehen hier vor Naturtatsachen, die uns die Frage aufgeben, ob das,was wir Positivismus genannt haben, nicht doch zum Teil bereits insNaturrecht hineinrage.Solange der Bios, die Tradition, das Brauchtum, die Geschichte usw.nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Faktizität, also in typisch soziologischerSicht wertfrei betrachtet werden, verbleibt man immer noch imPositivismus, d. h. bei der Auffassung, daß nur die Rechtsquellen Normensein können, die rechtliche Bewandtnis haben. Es ändert sich lediglichdie Rangordnung der Rechtsquellen, der Staat würde in der soziologischenSicht wohl an den Schluß zu stehen kommen.Man kann aber in den biologischen, geschichtlichen, kulturellen,soziologischen usw. Druckmitteln nicht nur eine physische Schwerkraft,sondern auch eine Naturkonformität erkennen. Der kluge Mensch vermeidetüppige Nahrung nicht nur deswegen, weil sie ihm vielleichtMagenschmerzen verursachen könnte, sondern vielmehr, weil die gesundeNahrung für ihn eine ethische Pflicht ist. Die tatsächliche Wirkkraft,die Sanktion der Naturgesetze (im naturwissenschaftlichen Sinneverstanden), kann von der menschlichen Vernunft als Manifestation einernatürlichen Norm verstanden werden. Sind wir aber einmal von derFaktizität her bis zur Norm vorgestoßen, dann befinden wir uns bereitsaußerhalb des Positivismus. Denn es ist nicht mehr die erfahrbare Wirkkraftals solche, sondern die natürliche Norm, welche das Recht gestaltet.Wir befinden uns auf dem Boden eines Naturrechts, zwar nicht einesthomistischen Naturrechts, jedoch eines Naturrechts, das diesen Namendeswegen verdient, weil es der von der Rechtsquelle unterschiedenenRechtsnorm echte Rechtsbewandtnis zuspricht, oder umgekehrt, in dennatürlichen Gestaltungsfaktoren des Rechts echte Normen und nicht nurWirkkräfte sieht. Ob dieses Naturrecht in logischer Weise den Normcharakterzu analysieren versteht, braucht uns hier nicht zu beschäftigen.

218 Die Systematik der RechtsdoktrinenAls Beispiel für einen echten Positivismus mag die zur Zeit in Deutsch -land diskutierte «Pensionierung» jener nationalsozialistischen, heutenoch amtierenden Richter gelten, die wegen vollstreckter exzessiverTodesurteile überführt sind. Für die Bestimmung, was exzessives Todesurteilist, gilt das im Nationalsozialismus in Kraft gewesene Gesetz. Diebesagten Richter haben sich verfehlt, weil sie aus persönlicher Leidenschaft,aus überspannter nationalsozialistischer Gesinnung Todesurteilegefällt haben, welche vom Gesetz selbst her gar nicht erfordert waren.Man macht also hier die positivistische Unterstellung, daß allein das damalsin Kraft gewesene Gesetz Norm dafür ist, ob ein Überborden vonnationalsozialistischer Gesinnung vorliegt oder nicht. Da man eine vordem Gesetz liegende rechtliche Norm nicht sieht, ist man nicht in derLage, von Bestrafbarkeit der besagten Richter zu sprechen. Aus diesemGrunde findet man auch keinen Raum für einen Disziplinarfall. Um deröffentlichen Meinung Genüge zu tun, schlugen daher offizielle Instanzendie Pensionierung der betreffenden Richter vor. Mit welchem Recht aberdie Zumutung der Pensionierung, die doch nur auf moralischen Druckhin angenommen werden konnte ? Man hat hier folgerichtig keineneigentlichen Rechtsgrund, sondern gibt dem faktischen Druck der heutigenDemokratie nach.Das mindeste, was man zur Überwindung des Positivismus annehmenmuß, ist irgendeine Idee der Gerechtigkeit, die dem Zugriff desmenschlichen Willens, auch jenes des Autoritätsträgers, entzogen ist undin letzter Instanz über Recht oder Unrecht entscheidet.Rechtspositivismus kann also definiert werden als jene rechtliche Auffassung,welche unter Ausschluß jeder apriorisch geltenden Idee der Gerechtigkeitnur die tatsächlich wirkkräftige soziale Norm als Recht erklärt.Die Ablehnung einer apriorisch gültigen Idee der Gerechtigkeit ist demPositivismus wesentlich. Er selbst erkennt maximal eine rein logischeapriorische Norm im Sinne Kelsens, gemäß welchem es eine Grundnormgeben muß, da in der Normenordnung der regressus in infinitum alsnon-sens erklärt wird. Für den Rechtspositivismus gibt es also nur eineNorm des Rechts, nämlich die im gegebenen Augenblick wirkkräftige.Jede andere, aufgrund welcher ein gegebenes Recht vielleicht als ungerechtbezeichnet werden müßte, ist keine rechtliche Norm : «Von derGeltung jeder Gerechtigkeitsnorm, sowohl einer solchen, die zu einerpositiven Rechtsnorm in Widerspruch, als auch von einer solchen, diemit einer positiven Rechtsnorm in Einklang steht, abzusehen, das istdie Annahme, daß die Geltung einer Norm des positiven Rechts von der

218 Die Systematik <strong>de</strong>r RechtsdoktrinenAls Beispiel für einen echten Positivismus mag die zur Zeit in Deutsch -land diskutierte «Pensionierung» jener nationalsozialistischen, heutenoch amtieren<strong>de</strong>n Richter gelten, die wegen vollstreckter exzessiverTo<strong>de</strong>surteile überführt sind. Für die Bestimmung, was exzessives To<strong>de</strong>surteilist, gilt das im Nationalsozialismus in Kraft gewesene Gesetz. Diebesagten Richter haben sich verfehlt, weil sie aus persönlicher Lei<strong>de</strong>nschaft,aus überspannter nationalsozialistischer Gesinnung To<strong>de</strong>surteilegefällt haben, welche vom Gesetz selbst her gar nicht erfor<strong>de</strong>rt waren.Man macht also hier die positivistische Unterstellung, daß allein das damalsin Kraft gewesene Gesetz Norm dafür ist, ob ein Überbor<strong>de</strong>n vonnationalsozialistischer Gesinnung vorliegt o<strong>de</strong>r nicht. Da man eine vor<strong>de</strong>m Gesetz liegen<strong>de</strong> rechtliche Norm nicht sieht, ist man nicht in <strong>de</strong>rLage, von Bestrafbarkeit <strong>de</strong>r besagten Richter zu sprechen. Aus diesemGrun<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t man auch keinen Raum für einen Disziplinarfall. Um <strong>de</strong>röffentlichen Meinung Genüge zu tun, schlugen daher offizielle Instanzendie Pensionierung <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Richter vor. Mit welchem Recht aberdie Zumutung <strong>de</strong>r Pensionierung, die doch nur auf moralischen Druckhin angenommen wer<strong>de</strong>n konnte ? Man hat hier folgerichtig keineneigentlichen Rechtsgrund, son<strong>de</strong>rn gibt <strong>de</strong>m faktischen Druck <strong>de</strong>r heutigenDemokratie nach.Das min<strong>de</strong>ste, was man zur Überwindung <strong>de</strong>s Positivismus annehmenmuß, ist irgen<strong>de</strong>ine I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, die <strong>de</strong>m Zugriff <strong>de</strong>smenschlichen Willens, auch jenes <strong>de</strong>s Autoritätsträgers, entzogen ist undin letzter Instanz über Recht o<strong>de</strong>r Unrecht entschei<strong>de</strong>t.Rechtspositivismus kann also <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n als jene rechtliche Auffassung,welche unter Ausschluß je<strong>de</strong>r apriorisch gelten<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gerechtigkeitnur die tatsächlich wirkkräftige soziale Norm als Recht erklärt.Die Ablehnung einer apriorisch gültigen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gerechtigkeit ist <strong>de</strong>mPositivismus wesentlich. Er selbst erkennt maximal eine rein logischeapriorische Norm im Sinne Kelsens, gemäß welchem es eine Grundnormgeben muß, da in <strong>de</strong>r Normenordnung <strong>de</strong>r regressus in infinitum alsnon-sens erklärt wird. Für <strong>de</strong>n Rechtspositivismus gibt es also nur eineNorm <strong>de</strong>s Rechts, nämlich die im gegebenen Augenblick wirkkräftige.Je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re, aufgrund welcher ein gegebenes Recht vielleicht als ungerechtbezeichnet wer<strong>de</strong>n müßte, ist keine rechtliche Norm : «Von <strong>de</strong>rGeltung je<strong>de</strong>r Gerechtigkeitsnorm, sowohl einer solchen, die zu einerpositiven Rechtsnorm in Wi<strong>de</strong>rspruch, als auch von einer solchen, diemit einer positiven Rechtsnorm in Einklang steht, abzusehen, das istdie Annahme, daß die Geltung einer Norm <strong>de</strong>s positiven Rechts von <strong>de</strong>r

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!