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Die Soll-Wissenschaft vom Rechtlichen 92. Die Soll-Wissenschaft vom RechtlichenDas Recht als Gegenstand der Soll-Wissenschaft im Sinne dertranszendentalen MethodeDas Recht als Regel zwischenmenschlicher Beziehungen ist ohne Zweifelein Soll. Es werden also für das Recht dieselben Überlegungen wirksam,die wir bereits bezüglich des Solls im allgemeinen angestellt haben.Beim Recht handelt es sich lediglich um eine Soll-Ordnung für mindestenszwei Partner. Es tritt also hier der Umstand der Situationin ganz eigenemMaße in Erscheinung. Denn die Soll-Forderung muß von beiden Seitenannehmbar sein. Sie darf nicht mit dem Imperativ des einen oder anderenin Konflikt treten. Was inhaltlich dem Soll unterstellt wird, ist aber auchhier, und hier sogar erst recht, ein Erfahrungsgegenstand.Der Erfahrungsgegenstand, also in der Rechtssphäre : die Situationdes sozialen Geschehens, ist aber in der kantischen Vorstellung nicht dasSoll, sondern nur die Bedingung, daß Soll, also Recht, möglich ist. Wodie Bedingungen nicht gegeben sind, da besteht auch kein Soll. Es gibtalso nach der kantischen Denkweise kein unrichtiges und darum auchkein richtiges Recht. Es ist etwas Recht oder nicht. Der Begriff « richtigesRecht» setzt stillschweigend die Vorstellung eines möglichen «unrichtigen», «ungerechten» Rechts voraus. Dasselbe, was sich als Recht ausgibt,es aber nicht ist, muß, wie C. A. Emge 3 erklärt, als « Anmaßung »bezeichnet werden. Dennoch können wir vielleicht, um nicht in komplizierteTerminologie zu geraten, vom «unrichtigen » und « richtigen »Recht sprechen, indem wir sagen, das « unrichtige » und « ungerechte »Recht sei scheinbares Recht, während das «richtige» Recht wirklichesRecht sei. In diesem Sinne hat übrigens auch Thomaslex justa und injusta gesprochen.von Aquin von derEs muß auch hier, wo von Rechtsgrundsätzen die Rede ist, genauwie früher, wo wir von den allgemeinen sittlichen Grundsätzen gesprochenhaben, betont werden, daß in der TranszendentalphilosophieKantsnicht von einer Analyse der Rechtsnormen als Normen die Rede seinkann, denn es gibt keine inhaltlich gefüllte Rechtsnorm, an welcher diepositive Rechtsnorm gemessen werden könnte. Es handelt sich also inder Rechtsphilosophie, welche nach der transzendentalen Methode vorgeht,nicht um eine Normenwissenschaft im eigentlichen Sinne, sondern3Einführung in die Rechtsphilosophie, Frankfurt a. M.-Wien, 1955, 93 ff.
10 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wissenschaft vom Rechtlicheneinzig um eine Wissenschaft, welche die Analyse der konkreten, erfahrungsmäßigenSituation vornimmt, auf Grund deren Recht erst möglichwird. Diese Situationsanalyse hat übrigens dem Anschein nach viel mitder thomistischen Naturrechtsanalyse gemeinsam. Auch in der thomistischenRechtsauffassung geht es nicht einfach um die Anwendung vonuniversalen Normen, sondern um die in der konkreten Erfahrung möglicheAnwendung. Dennoch ist der wesentliche Unterschied zwischenkantischer Transzendentalmethode und Thomismus nicht zu übersehen.Gemäß dem Thomismus werden Normen angewendet, so sehr diese Normendie konkrete Situation ins Auge fassen, während in der kantischenTranszendentalmethode das Konkrete danach untersucht wird, ob es dasRecht (Soll) möglich macht, nicht also, ob und wie es die Anwendungeiner universalen Norm möglich macht. Der grundsätzliche Unterschiedzwischen den beiden Anschauungsweisen hat seine Wurzel in der verschiedenenAuffassung bezüglich der Universalerkenntnis.Es ist verlockend und übrigens auch lehrreich, dem Gedankengangder kantischen Transzendentalphilosophie zu folgen, auf welchem Wegesie im konkreten Fall Recht erkennt, also ein rechtliches Soll bestimmt(wenn wir uns einmal in dieser einfachen Weise ausdrücken dürfen).Es ist durchweg im Staatsrecht die Rede davon, daß die Würde desMenschen zu den Grundrechten der staatlichen Organisation gehört. Washeißt hier aber Menschenwürde oder Menschlichkeit ? In einer ontologischeingestellten Rechtsphilosophie würde man an jene Seinsvollendungendenken, die der Mensch von Geburt mit sich bringt und die insich bereits eine Forderung an die Gesellschaft bedeuten. Umgedachtin die kantische Transzendentalphilosophie besagt der Begriff der Menschlichkeitvielmehr « Verantwortlichkeit ». Der Mensch ist ein Wesen, daseine Richtschnur, d. h. eine ihm vorgeschriebene Regel, wohl zu beurteilenvermag, ob sie «Anmaßung » (d. h. «unrichtiges » und nur scheinbaresRecht) oder Recht (d. h. «richtiges», echtes Recht) ist. Von hieraus gesehen, kann es um der Menschenwürde willen keinen «unbedingtenGehorsam » geben, da der Befehl eines anderen erst dann maßgeblichsein kann, wenn er das Verantwortungsbewußtsein des Betroffenen nichtverletzt 4 .Ein Gesetz muß also so gestaltet sein, daß es das Soll in einem jedender Gesellschaftsglieder ermöglicht.Fragen wir uns nun weiter, wo man denn die Erkenntnis über die4Vgl. C. A. EMGE a. a. O., 114 f.
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10 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wissenschaft vom Rechtlicheneinzig um eine Wissenschaft, welche die Analyse <strong>de</strong>r konkreten, erfahrungsmäßigenSituation vornimmt, auf Grund <strong>de</strong>ren Recht erst möglichwird. Diese Situationsanalyse hat übrigens <strong>de</strong>m Anschein nach viel mit<strong>de</strong>r thomistischen Naturrechtsanalyse gemeinsam. Auch in <strong>de</strong>r thomistischenRechtsauffassung geht es nicht einfach um die Anwendung vonuniversalen Normen, son<strong>de</strong>rn um die in <strong>de</strong>r konkreten Erfahrung möglicheAnwendung. Dennoch ist <strong>de</strong>r wesentliche Unterschied zwischenkantischer Transzen<strong>de</strong>ntalmetho<strong>de</strong> und Thomismus nicht zu übersehen.Gemäß <strong>de</strong>m Thomismus wer<strong>de</strong>n Normen angewen<strong>de</strong>t, so sehr diese Normendie konkrete Situation ins Auge fassen, während in <strong>de</strong>r kantischenTranszen<strong>de</strong>ntalmetho<strong>de</strong> das Konkrete danach untersucht wird, ob es dasRecht (Soll) möglich macht, nicht also, ob und wie es die Anwendungeiner universalen Norm möglich macht. Der grundsätzliche Unterschiedzwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Anschauungsweisen hat seine Wurzel in <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nenAuffassung bezüglich <strong>de</strong>r Universalerkenntnis.Es ist verlockend und übrigens auch lehrreich, <strong>de</strong>m Gedankengang<strong>de</strong>r kantischen Transzen<strong>de</strong>ntalphilosophie zu folgen, auf welchem Wegesie im konkreten Fall Recht erkennt, also ein rechtliches Soll bestimmt(wenn wir uns einmal in dieser einfachen Weise ausdrücken dürfen).Es ist durchweg im Staatsrecht die Re<strong>de</strong> davon, daß die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>sMenschen zu <strong>de</strong>n Grundrechten <strong>de</strong>r staatlichen Organisation gehört. Washeißt hier aber Menschenwür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Menschlichkeit ? In einer ontologischeingestellten Rechtsphilosophie wür<strong>de</strong> man an jene Seinsvollendungen<strong>de</strong>nken, die <strong>de</strong>r Mensch von Geburt mit sich bringt und die insich bereits eine For<strong>de</strong>rung an die Gesellschaft be<strong>de</strong>uten. Umgedachtin die kantische Transzen<strong>de</strong>ntalphilosophie besagt <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Menschlichkeitvielmehr « Verantwortlichkeit ». Der Mensch ist ein Wesen, daseine Richtschnur, d. h. eine ihm vorgeschriebene Regel, wohl zu beurteilenvermag, ob sie «Anmaßung » (d. h. «unrichtiges » und nur scheinbaresRecht) o<strong>de</strong>r Recht (d. h. «richtiges», echtes Recht) ist. Von hieraus gesehen, kann es um <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> willen keinen «unbedingtenGehorsam » geben, da <strong>de</strong>r Befehl eines an<strong>de</strong>ren erst dann maßgeblichsein kann, wenn er das Verantwortungsbewußtsein <strong>de</strong>s Betroffenen nichtverletzt 4 .Ein Gesetz muß also so gestaltet sein, daß es das Soll in einem je<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r ermöglicht.Fragen wir uns nun weiter, wo man <strong>de</strong>nn die Erkenntnis über die4Vgl. C. A. EMGE a. a. O., 114 f.