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Grundeinteilung: Positivistische und naturrechtliche Rechtsphilosophien 215seiner Herkunft, d. h. nach seinen Quellen und nach seinen Normen.Mit diesen beiden Begriffen « Quelle » und « Norm » ist der Schlüssel zurSystematik der Rechtstheorien gegeben. Versteht man unter Quelle desRechts jedwede Ursache, welche konkret erzwingbare Ordnung schafft,und unter Norm jedwede Regel, durch welche die Rechtsursache inhaltlichbestimmt und damit auch begrenzt ist, dann kommen wir unmittelbarin eine Unterscheidung der möglichen Ansichten.Setzen wir einmal die Erkenntnis voraus, daß es drei Arten von erfahrbarerErzwingbarkeit gibt: Lebensdrang (biologisches Element), gesellschaftlichenDruck (im Sinne des Brauchtums) und willentliche, mitphysischer Sanktionskraft ausgestattete Macht, dann müssen wir sagen,daß diejenigen Rechtstheoretiker, welche die gesamte Rechtsbegründungauf diese drei erfahrbaren Faktoren, oder auch nur auf einen von ihnen,aufbauen, Rechtspositivisten sind. Sie mögen dabei von Normen derRechtsbildung reden, wie immer, solange diese nicht das erfahrbare Rechtbegrenzen oder sogar brechen, bleiben sie, rechtsphilosophisch gesehen,Positivisten.Der rechtsphilosophische Positivismus darf mit dem ethischen Positivismusnicht identifiziert werden. In der Ethik ist eine Theorie positivistisch,wenn sie keinerlei absolute, apriorisch gültige Normen für dasmenschliche Handeln anerkennt. Im übrigen gibt es einen doppeltenethischen Positivismus, einen individualethischen und einen sozialethischen.Es ist klar, daß derjenige, der bereits für das Individuum jedeapriorische Norm ablehnt, diese a fortiori auch für die Gesellschaft alsGanzes ablehnen muß. Umgekehrt gilt aber nicht das Gleiche. Man kenntzur Genüge den Slogan des Liberalismus und des Neoliberalismus, wonaches Gebote Gottes nur für den einzelnen, nicht aber für die Gesellschaftgebe. Der sozVa/ethische Positivismus führt notwendigerweise inden rechtsphilosophischen Positivismus hinein. Umgekehrt gilt nun aberhier, daß jeder rechtsphilosophische Positivist zugleich, bewußt oder unbewußt,sozialethischer Positivist ist. Denn jede a priori für die Gesellschaftals Ganzes gültige Wert Ordnung hat aus sich Rechtsbewandtnis *.Diese Zusammenhänge sind für das, was man im positiven Rechtmit « öffentlicher Moral» bezeichnet, von grundsätzlicher Bedeutung.Maurice Garcon hat in der « Affaire Sade » erklärt: « Die Meinung, welchedie öffentliche Moral macht, wird durch die Gesamtheit der in Gemeinschaftlebenden Bürger erstellt, ohne Unterschied des Alters, der Klasse4Vgl. Sozialethik, Bd. I, 161 ff.

216 Die Systematik der Rechtsdoktrinenoder des Besitzes. Die durchschnittliche Auffassung bezüglich der Moralmacht die Sitten aus, und ich behaupte, daß die Magistraten, aus welchensich die Strafgerichtskammer zusammensetzt, nur sehr schlecht dieseallgemeine Meinung repräsentieren.» sMan könnte zwar zugunsten desfranzösischen Advokaten einwenden, er habe nur erklären wollen, wieder Begriff « öffentliche Moral» des positiven Rechts auszulegen sei, währender in seinem eigenen sittlichen Urteil eine öffentliche Moral im Sinnevon apriorischer Norm angenommen hätte. Aber aus seinen Ausführungengeht hervor, daß sein hoher Begriff der Anständigkeit nur individualethischenCharakter hat, der in der Gesellschaft durch die durchschnittlicheöffentliche Meinung notwendigerweise nivelliert wird. Anders liegendie Dinge, wenn ein Sozialethiker aus Gründen der wirksamen Durchführbarkeitoder der Rechtssicherheit eine Reihe von sozialethischenNormen für die positive Gesetzgebung einklammert und so aus rechtspolitischerKlugheit für die Jurisprudenz als irrelevant erklärt.Der rechtsphilosophische Positivismus ergibt sich also in dem Augenblick,da man prinzipiell die Rechtsquellen, im definierten Sinne, als ausschließlicheNormen der Rechtsprechung ansieht, da man also alle anderenNormen ethischer Herkunft, die als apriorische Gesellschaftsnormen imBegriff der «Gerechtigkeit» zusammengefaßt sind, als vom Recht getrenntauffaßt.Der Rechtsformalismus, der in der Gesetzesauslegung am bloßenWortlaut klebt, muß in dieser Sicht als eine Teilerscheinung des Positivismusbetrachtet werden.Nun übernimmt allerdings im modernen Rechtsstaat das staatlicheRecht die übrigen Rechtsquellen. Im Hinblick darauf kann man denPositivismus auch definieren als jene Rechtsauffassung, welche nur dasdurch die staatlichen Gesetze normierte Recht anerkennt.Unter dem Einfluß der Rechtssoziologie hat sich aber in der modernenRechtsphilosophie der Gedanke entwickelt, daß das staatlicheGesetz eigentlich gar nicht das wirksamste sei, da es ohne Legitimitätdem raschen Verschwinden ausgesetzt ist. Einerseits sieht man in dieserTatsache eine Folge der allgemeinen Demokratisierung und der damitgegebenen öffentlichen Weltmeinung, die einen gewissen Druck auf diktatorischeSysteme auszuüben versteht, anderseits erklärt man mit tiefe-5L'Afiaire Sade. Compte-rendu exact du proces intente par le Ministere Public,aux Editions Jean-Jacques Pauvert. Contient notamment les temoignages de :Georges Bataille, Andre Breton, Jean Cocteau, Jean Paulhan et le texte integralde la plaidoirie prononcee par Maitre Maurice Garcon. Paris 1957, 32.

Grun<strong>de</strong>inteilung: Positivistische und naturrechtliche Rechtsphilosophien 215seiner Herkunft, d. h. nach seinen Quellen und nach seinen Normen.Mit diesen bei<strong>de</strong>n Begriffen « Quelle » und « Norm » ist <strong>de</strong>r Schlüssel zurSystematik <strong>de</strong>r Rechtstheorien gegeben. Versteht man unter Quelle <strong>de</strong>sRechts jedwe<strong>de</strong> Ursache, welche konkret erzwingbare Ordnung schafft,und unter Norm jedwe<strong>de</strong> Regel, durch welche die Rechtsursache inhaltlichbestimmt und damit auch begrenzt ist, dann kommen wir unmittelbarin eine Unterscheidung <strong>de</strong>r möglichen Ansichten.Setzen wir einmal die Erkenntnis voraus, daß es drei Arten von erfahrbarerErzwingbarkeit gibt: Lebensdrang (biologisches Element), gesellschaftlichenDruck (im Sinne <strong>de</strong>s Brauchtums) und willentliche, mitphysischer Sanktionskraft ausgestattete Macht, dann müssen wir sagen,daß diejenigen Rechtstheoretiker, welche die gesamte Rechtsbegründungauf diese drei erfahrbaren Faktoren, o<strong>de</strong>r auch nur auf einen von ihnen,aufbauen, Rechtspositivisten sind. Sie mögen dabei von Normen <strong>de</strong>rRechtsbildung re<strong>de</strong>n, wie immer, solange diese nicht das erfahrbare Rechtbegrenzen o<strong>de</strong>r sogar brechen, bleiben sie, rechtsphilosophisch gesehen,Positivisten.Der rechtsphilosophische Positivismus darf mit <strong>de</strong>m ethischen Positivismusnicht i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Ethik ist eine Theorie positivistisch,wenn sie keinerlei absolute, apriorisch gültige Normen für dasmenschliche Han<strong>de</strong>ln anerkennt. Im übrigen gibt es einen doppeltenethischen Positivismus, einen individualethischen und einen sozialethischen.Es ist klar, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r bereits für das Individuum je<strong>de</strong>apriorische Norm ablehnt, diese a fortiori auch für die Gesellschaft alsGanzes ablehnen muß. Umgekehrt gilt aber nicht das Gleiche. Man kenntzur Genüge <strong>de</strong>n Slogan <strong>de</strong>s Liberalismus und <strong>de</strong>s Neoliberalismus, wonaches Gebote Gottes nur für <strong>de</strong>n einzelnen, nicht aber für die Gesellschaftgebe. Der sozVa/ethische Positivismus führt notwendigerweise in<strong>de</strong>n rechtsphilosophischen Positivismus hinein. Umgekehrt gilt nun aberhier, daß je<strong>de</strong>r rechtsphilosophische Positivist zugleich, bewußt o<strong>de</strong>r unbewußt,sozialethischer Positivist ist. Denn je<strong>de</strong> a priori für die Gesellschaftals Ganzes gültige Wert Ordnung hat aus sich Rechtsbewandtnis *.Diese Zusammenhänge sind für das, was man im positiven Rechtmit « öffentlicher Moral» bezeichnet, von grundsätzlicher Be<strong>de</strong>utung.Maurice Garcon hat in <strong>de</strong>r « Affaire Sa<strong>de</strong> » erklärt: « Die Meinung, welchedie öffentliche Moral macht, wird durch die Gesamtheit <strong>de</strong>r in Gemeinschaftleben<strong>de</strong>n Bürger erstellt, ohne Unterschied <strong>de</strong>s Alters, <strong>de</strong>r Klasse4Vgl. Sozialethik, Bd. I, 161 ff.

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