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Schuld und Strafe in philosophischer Sicht 199Hinblick darauf, daß diese eine Partizipation des Ewigen Gesetzes ist,zugleich auch als Abkehr vom göttlichen Gesetzgeber, somit als Beleidigungdieses höchsten Wesens, dann begreift man erst richtig, was mitSühneleistung gemeint ist. Sühne wird für eine an sich, d. h. in ihremgeistigen Gehalt endlose, weil unzeitliche Schuld geleistet, und zwar einemhöchsten Wesen, vor dem man in letzter Instanz verant-wortlich ist.Der Bezug der sittennormwidrigen Handlung auf eine beleidigtePerson ermöglicht erst den Gedanken, daß die Strafe gnadenweise «erlassen» werden könnte, sofern es dem Beleidigten gefällt. Das Christentumweiß, daß im absoluten Raum diese « Möglichkeit» Wirklichkeit gewordenist. Die rein natürliche Ethik dagegen rechnet mit diesem Einbruchder Gnade Gottes nicht. Für sie bleibt daher die Strafe das einzigeMittel, um die echte Umkehr zu bestätigen. Der Gedanke an die Verwirklichungvon Gnade nimmt erst dort Gestalt an, wo der Mensch sichvor einem anderen als dem ewigen Rechtsschöpfer befindet, nämlichvor der gesellschaftlichen Autorität. Diese betrachtet sich durch dieUnrechtstat stellvertretend für die Gesellschaft als Beleidigte und darumauch als berechtigt, den Täter zu «begnadigen». Obwohl der Vertreterder Gesellschaft also im eigentlichen Sinne « Gnade und Barmherzigkeit»vor Recht walten lassen kann, so tritt der Gesichtspunkt der « Gnade »und der «Barmherzigkeit»im heutigen Verständnis des Begnadigungsrechtszurück, da er, geschichtlich gesehen, mit der Vorstellung desKönigs von Gottes Gnaden, der nach dem Beispiel des barmherzigenGottes verfährt, assoziiert ist. Was heute den Träger der Autorität bewegt,Gnade vor Recht walten zu lassen, ist - abgesehen von zufälligen,z. B. politischen, Gesichtspunkten - die Überzeugung, daß jede irdischeGerechtigkeit nur Stückwerk sein kann 5 . Der Respekt vor der absolutenGerechtigkeit, die durch ein richterliches Urteil verletzt werden könnte,ersetzt völlig die christlich-religiös geprägte Anschauung, der Machthabermüsse Erbarmen üben, wie Gott es in der Erlösung getan habe.Das tatsächliche Erbarmen Gottes ist rational nicht erfaßbar. Was wirrational erkennen können, ist lediglich ein an sich mögliches ErbarmenGottes. Und zwar ruht diese Erkenntnis auf der Einsicht, daß die Schuld,die aus der Unrechtstat folgt, aus ihrem Wesen heraus geschenkt werdenkann unter der Voraussetzung, daß der Täter zur sittlichen Ordnungzurückgekehrt ist. Das Motiv echter Begnadigung bedarf darum an sichder glaubensmäßig theologischen Stütze nicht.5Vgl. Friedrich GEERDS, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, Tübingen 1960.

200 Schuld und StrafeDas Problem Schuld und Strafe ohne metaphysischen HintergrundWir hatten bisher das Problem Schuld und Strafe von der erstenrealen Norm her aufgerollt, d. h. vom Ewigen Gesetz her. Von hier ausführte der Weg in die der menschlichen Vernunft immanente Partizipationdes Ewigen Gesetzes. Die sittennormwidrige Handlung erschien soals ein Verhalten oder Tun gegen die Natur. Das daraus entstehendeSchuldbewußtsein erschien als ein Zwiespalt in der menschlichen Vernunftselber. Damit war der Zustand der Strafe von selbst gegeben.Da die sittennormwidrige Handlung als willentlich definitive Abkehrvom Endziel des Lebens an sich auch eine definitive Strafe im Gefolgehat, verbleibt im Gewissen des Menschen, nachdem er sich aus dem Zustandder Normwidrigkeit gelöst hat, das Bewußtsein, für die begangeneTat noch etwas schuldig zu sein. So ergibt sich auf natürlichem Wege dieinnere Pflicht, eine zusätzliche Sühne zu übernehmen.Wenn man sich nun von dem metaphysischen Hintergrund, vondem aus allein Norm und Sein zusammenfallen, trennt und doch nichteinfach in eine reine Instinktlehre hinabsinken will, dann bleibt nichtsanderes übrig, als die Norm rein «normativ» zu fassen, d. h. als eineVerhaltensregel, als einen heteronomen Imperativ, der seine Wirksamkeitnicht aus sich besitzt. Von diesem Gesichtspunkt aus gibt es keinen geistigenZustand der Normwidrigkeit, der zugleich Strafe wäre. Die psychologischenMomente sind Begleiterscheinungen, die aber nicht wesentlichmit der Normwidrigkeit zusammenhängen. Denn die normwidrigeHandlung würde keine Abkehr vom letzten naturhaften Ziel mehr bedeuten,sondern wäre nichts anderes als die Abkehr von der « reinenNorm », Schuld also die Anrechenbarkeit eines sittlich schlechten Aktes.Das Empfinden des Menschen, für die begangene normwidrige Tatirgendeine Sühne leisten zu müssen, gälte als rein psychologisches Phänomen,dem eigentlich keine sittliche Qualifizierung zukäme. In dieserSicht gilt also der Satz nicht mehr : «Schuld (= sittennormwidrigeHandlung) schließt Strafe ein », oder :« auf Schuld (= sittennormwidrigeHandlung) folgt wesentlich Strafe». Ebenso unbegründet erscheint dieForderung : «auf Schuld (= sittennormwidrige Handlung) muß Strafefolgen ». Man könnte höchstens noch sagen : auf normwidriges Handelnkann Strafe folgen, wenn die Seinsbedingungen gegeben sind, welche aufnormwidriges Handeln mit Strafe reagieren, etwa eine rächende Gesellschaftoder eine wirkkräftige Autorität. Die Begründung der Strafe

Schuld und Strafe in philosophischer Sicht 199Hinblick darauf, daß diese eine Partizipation <strong>de</strong>s Ewigen Gesetzes ist,zugleich auch als Abkehr vom göttlichen Gesetzgeber, somit als Beleidigungdieses höchsten Wesens, dann begreift man erst richtig, was mitSühneleistung gemeint ist. Sühne wird für eine an sich, d. h. in ihremgeistigen Gehalt endlose, weil unzeitliche Schuld geleistet, und zwar einemhöchsten Wesen, vor <strong>de</strong>m man in letzter Instanz verant-wortlich ist.Der Bezug <strong>de</strong>r sittennormwidrigen Handlung auf eine beleidigtePerson ermöglicht erst <strong>de</strong>n Gedanken, daß die Strafe gna<strong>de</strong>nweise «erlassen» wer<strong>de</strong>n könnte, sofern es <strong>de</strong>m Beleidigten gefällt. Das Christentumweiß, daß im absoluten Raum diese « Möglichkeit» Wirklichkeit gewor<strong>de</strong>nist. Die rein natürliche Ethik dagegen rechnet mit diesem Einbruch<strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes nicht. Für sie bleibt daher die Strafe das einzigeMittel, um die echte Umkehr zu bestätigen. Der Gedanke an die Verwirklichungvon Gna<strong>de</strong> nimmt erst dort Gestalt an, wo <strong>de</strong>r Mensch sichvor einem an<strong>de</strong>ren als <strong>de</strong>m ewigen Rechtsschöpfer befin<strong>de</strong>t, nämlichvor <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Autorität. Diese betrachtet sich durch dieUnrechtstat stellvertretend für die Gesellschaft als Beleidigte und darumauch als berechtigt, <strong>de</strong>n Täter zu «begnadigen». Obwohl <strong>de</strong>r Vertreter<strong>de</strong>r Gesellschaft also im eigentlichen Sinne « Gna<strong>de</strong> und Barmherzigkeit»vor Recht walten lassen kann, so tritt <strong>de</strong>r Gesichtspunkt <strong>de</strong>r « Gna<strong>de</strong> »und <strong>de</strong>r «Barmherzigkeit»im heutigen Verständnis <strong>de</strong>s Begnadigungsrechtszurück, da er, geschichtlich gesehen, mit <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>sKönigs von Gottes Gna<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s barmherzigenGottes verfährt, assoziiert ist. Was heute <strong>de</strong>n Träger <strong>de</strong>r Autorität bewegt,Gna<strong>de</strong> vor Recht walten zu lassen, ist - abgesehen von zufälligen,z. B. politischen, Gesichtspunkten - die Überzeugung, daß je<strong>de</strong> irdischeGerechtigkeit nur Stückwerk sein kann 5 . Der Respekt vor <strong>de</strong>r absolutenGerechtigkeit, die durch ein richterliches Urteil verletzt wer<strong>de</strong>n könnte,ersetzt völlig die christlich-religiös geprägte Anschauung, <strong>de</strong>r Machthabermüsse Erbarmen üben, wie Gott es in <strong>de</strong>r Erlösung getan habe.Das tatsächliche Erbarmen Gottes ist rational nicht erfaßbar. Was wirrational erkennen können, ist lediglich ein an sich mögliches ErbarmenGottes. Und zwar ruht diese Erkenntnis auf <strong>de</strong>r Einsicht, daß die Schuld,die aus <strong>de</strong>r Unrechtstat folgt, aus ihrem Wesen heraus geschenkt wer<strong>de</strong>nkann unter <strong>de</strong>r Voraussetzung, daß <strong>de</strong>r Täter zur sittlichen Ordnungzurückgekehrt ist. Das Motiv echter Begnadigung bedarf darum an sich<strong>de</strong>r glaubensmäßig theologischen Stütze nicht.5Vgl. Friedrich GEERDS, Gna<strong>de</strong>, Recht und Kriminalpolitik, Tübingen 1960.

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