SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de
SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de SAMMLUNG POLITEIA - stiftung-utz.de
Grundsätzliche Bemerkungen zur Wissenschaft vom Soll 7jeder freien Handlung mit Sicherheit funktioniert. Und es war ihm sogarklar, daß dieser «konstante » Soll-Spruch unsererseits ein Akt der Vernunftist, also nicht einfach ein Empfinden oder Gefühl besagt. Jedochkommt die « Konstanz » von der Vernunft, nicht vom Inhalt.Das Wissen um das Soll in der WertphilosophieDie Wertphilosophie hat nun den Inhalt wiederum ins Soll hereingeholt,allerdings anderseits die Vernunft eliminiert. Der Inhalt des Sollsist zwar allgemeingültig, er wird aber nur erfühlt, womit er seine Allgemeinheitund Konstanz eigentlich wieder verliert. Die Würde des Menschenwird so als echtes, allgemeingültiges Soll aufgefaßt, nicht nur alseine Bedingung, daß Soll möglich wird. Andererseits ist diese Allgemeingültigkeitim Grunde doch wieder unwirksam, da nicht abstraktive Erkenntnis,sondern konkretes, personal gebundenes Empfinden den Werterfaßt.Eine eigentliche Wissenschaft vom Soll gibt es also vom Standpunktder Wertlehre aus nicht, weil der Wert nicht Gegenstand wissenschaftlicherUntersuchung werden kann.Die Wissenschaft vom Soll im Sinne der abstraktiven RealerkenntnisDas sittliche Empfinden, das jeder Mensch in sich feststellt, ist nichtnur eine Gefühls-, sondern auch und vor allem eine Vernunftreaktion.Gewiß können wir manchmal«unvernünftig»handeln und doch keinerleisittlichen Vorwurf in uns wahrnehmen. Wirtschaftlich unvernünftig istes z.B., eine unrentable Investition vorzunehmen. Der Vorwurf, wirtschaftlichunvernünftig gehandelt zu haben, braucht aber unser Gewissennoch nicht zu belasten. Dennoch ruft unvernünftiges Handeln immerdort, wo es sich um die letzten Zielsetzungen unseres Lebens handelt,einen sittlichen Vorwurf in uns hervor. Wir entdecken, wenn wir unsereinneren Wertungen gut abhören, eine Grundforderung unserer Vernunft,stets die in unsere Natur hineinverwobenen Zielsetzungen oder «existenziellenZwecke » (Messner) zu erfüllen. Diese Forderung selbst ist einweiter nicht analysierbares Faktum, d. h. sie ist nicht die Schlußfolgerungeiner spekulativen Erkenntnis. Und dennoch ist sie « vernünftige »Forderung, d. h. seinsgerichtet im Sinne des als letztes Ziel erfaßten Gutes.Die Phänomene unseres Verantwortungsbewußtseins lassen sich systemgerecht,d. h. logisch nur deuten, wenn man folgende Punkte anerkennt :1. die abstraktive Seinserkenntnis unserer Vernunft, 2. die durch die
8 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wissenschaft vom RechtlichenVernunft naturhaft vollzogene Ummünzung jeder Seinserkenntnis, diefür unser letztes Ziel relevant ist, in ein Soll, d. h. in einen weiter nichtanalysierbaren Imperativ, der demnach als naturhafte Funktion der praktischenVernunft anzusprechen ist.Allerdings ist die Aneignung und auch die Anwendung solcher allgemeinerSoll-Sätze nicht so einfach. Die praktischen Prinzipien habennämlich Einzelfälle zu regeln. Es bieten sich aber nur sehr selten Einzelfälle,welche in gleicher Weise in einem Allgemeinsatz enthalten sind.Das Werturteil, daß jede Ehe eine Gemeinschaft von Mann und Frauauf Lebenszeit sein müsse, mag als Beispiel angeführt werden, wie mansich in etwa ein Allgemeinprinzip mit univoker Anwendungsmöglichkeitvorzustellen hat. Durchweg aber liegen die Einzelfälle je und je verschieden.Das Soll-Prinzip muß also, wenn es allgemeingültig sein will,die analoge Sinnfülle der vielen Einzelfälle in sich begreifen. Die Formulierungeines solchen Prinzips ist demnach äußerst dehnbar wie etwa imfolgenden Prinzip : Man soll nie ohne entsprechenden Grund und ohneAussicht auf wirksame Besserung ein Kind züchtigen. Der « entsprechendeGrund» und die «wirksame Besserung» werden im Einzelfallefestzustellen und zu verifizieren sein. Immerhin ist in dieser weitgespanntenFormulierung jeder Einzelfall noch mitberücksichtigt, wenngleichnicht explicite ausgesprochen. Man kann also hier nicht von einem hypothetischenWert des Soll-Prinzips sprechen, da die analoge Sinnfülle derkonkreten Wirklichkeit vollgültig enthalten ist. Wer dagegen voreiligein Soll-Prinzip aufstellt, ohne die«Ausnahmen »der Praxis in Rechnungzu ziehen, ist gezwungen, seine Prinzipien nur als hypothetisch gültigzu betrachten. So haben die Alten erklärt, das Prinzip, « jedem das Seinezu geben », gelte nicht immer, sondern nur « ut in pluribus », d. h., esgelte dann nicht, wenn das zurückzugebende Gut (etwa ein Schwert) zueinem sittlich unerlaubten Zwecke gebraucht würde 2 .Einzig von der Universalerkenntnis als einer Realerkenntnis ausergibt sich die Möglichkeit, ethische Prinzipien als soziale Grundsätzeauszusprechen, die nicht etwa nur für das Verhalten des einen zumandern, sondern zu allererst als Ganzheitsforderung an die Gesamtgesellschaftgerichtet sind. Die Folgen für die Rechtsbildung sind spürbar imVerhältnis von Recht und Moral.2Vgl. THOMAS VON AQUIN, Summa theologica, I-II, 94, 4 u. 5.
- Seite 1 und 2: SAMMLUNGPOLITEIAVeröffentlichungen
- Seite 3 und 4: Copyright 1963-by F. H. Kerle Verla
- Seite 5 und 6: VIVorwort4. Logische Rückführung
- Seite 8 und 9: INHALTSVERZEICHNISVorwortvERSTESKAP
- Seite 10 und 11: InhaltsverzeichnisDie Definition de
- Seite 12 und 13: Inhaltsverzeichnisxina) Das Individ
- Seite 14: E R S T E SKAPITELDIE RECHTSPHILOSO
- Seite 17 und 18: 4 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wi
- Seite 19: 6 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wi
- Seite 23 und 24: 10 Die Rechtsphilosophie als Soll-W
- Seite 25 und 26: 12 Die Rechtsphilosophie als Soll-W
- Seite 27 und 28: 14 Die Rechtsphilosophie als Soll-W
- Seite 29 und 30: 16 Die Rechtsphilosophie als Soll-W
- Seite 32 und 33: ERSTERARTIKELDIE NOMINALDEFINITION
- Seite 34 und 35: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 36 und 37: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 38 und 39: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 40 und 41: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 42 und 43: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 44 und 45: Die Nominaldefinition des Rechts -
- Seite 46 und 47: ZWEITERARTIKELDIE REALDEFINITION DE
- Seite 48 und 49: Die Realdefinition des Rechts 35Der
- Seite 50 und 51: Die Realdefinition des Rechts 37sun
- Seite 52 und 53: Die Realdefinition des Rechts 39wir
- Seite 54 und 55: Die Realdefinition des Rechts 41des
- Seite 56 und 57: Die Realdefinition des Rechts 43kö
- Seite 58 und 59: Die Realdefinition des Rechts 45Men
- Seite 60 und 61: Die Realdefinition des Rechts 47der
- Seite 62 und 63: Die Realdefinition des Rechts 49Sch
- Seite 64 und 65: Die metaphysische Definition als ec
- Seite 66 und 67: Die metaphysische Definition als ec
- Seite 68 und 69: Die metaphysische Definition als ec
8 Die Rechtsphilosophie als Soll-Wissenschaft vom RechtlichenVernunft naturhaft vollzogene Ummünzung je<strong>de</strong>r Seinserkenntnis, diefür unser letztes Ziel relevant ist, in ein Soll, d. h. in einen weiter nichtanalysierbaren Imperativ, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mnach als naturhafte Funktion <strong>de</strong>r praktischenVernunft anzusprechen ist.Allerdings ist die Aneignung und auch die Anwendung solcher allgemeinerSoll-Sätze nicht so einfach. Die praktischen Prinzipien habennämlich Einzelfälle zu regeln. Es bieten sich aber nur sehr selten Einzelfälle,welche in gleicher Weise in einem Allgemeinsatz enthalten sind.Das Werturteil, daß je<strong>de</strong> Ehe eine Gemeinschaft von Mann und Frauauf Lebenszeit sein müsse, mag als Beispiel angeführt wer<strong>de</strong>n, wie mansich in etwa ein Allgemeinprinzip mit univoker Anwendungsmöglichkeitvorzustellen hat. Durchweg aber liegen die Einzelfälle je und je verschie<strong>de</strong>n.Das Soll-Prinzip muß also, wenn es allgemeingültig sein will,die analoge Sinnfülle <strong>de</strong>r vielen Einzelfälle in sich begreifen. Die Formulierungeines solchen Prinzips ist <strong>de</strong>mnach äußerst <strong>de</strong>hnbar wie etwa imfolgen<strong>de</strong>n Prinzip : Man soll nie ohne entsprechen<strong>de</strong>n Grund und ohneAussicht auf wirksame Besserung ein Kind züchtigen. Der « entsprechen<strong>de</strong>Grund» und die «wirksame Besserung» wer<strong>de</strong>n im Einzelfallefestzustellen und zu verifizieren sein. Immerhin ist in dieser weitgespanntenFormulierung je<strong>de</strong>r Einzelfall noch mitberücksichtigt, wenngleichnicht explicite ausgesprochen. Man kann also hier nicht von einem hypothetischenWert <strong>de</strong>s Soll-Prinzips sprechen, da die analoge Sinnfülle <strong>de</strong>rkonkreten Wirklichkeit vollgültig enthalten ist. Wer dagegen voreiligein Soll-Prinzip aufstellt, ohne die«Ausnahmen »<strong>de</strong>r Praxis in Rechnungzu ziehen, ist gezwungen, seine Prinzipien nur als hypothetisch gültigzu betrachten. So haben die Alten erklärt, das Prinzip, « je<strong>de</strong>m das Seinezu geben », gelte nicht immer, son<strong>de</strong>rn nur « ut in pluribus », d. h., esgelte dann nicht, wenn das zurückzugeben<strong>de</strong> Gut (etwa ein Schwert) zueinem sittlich unerlaubten Zwecke gebraucht wür<strong>de</strong> 2 .Einzig von <strong>de</strong>r Universalerkenntnis als einer Realerkenntnis ausergibt sich die Möglichkeit, ethische Prinzipien als soziale Grundsätzeauszusprechen, die nicht etwa nur für das Verhalten <strong>de</strong>s einen zuman<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn zu allererst als Ganzheitsfor<strong>de</strong>rung an die Gesamtgesellschaftgerichtet sind. Die Folgen für die Rechtsbildung sind spürbar imVerhältnis von Recht und Moral.2Vgl. THOMAS VON AQUIN, Summa theologica, I-II, 94, 4 u. 5.