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Schuld und Strafe in philosophischer Sicht 193Erste logische Supposition des Begriffes « Schuld». - Man könnte unterSchuld zunächst verstehen Verantwortlichsein, das Verantwortenmüssen,das Einstehenmüssen, das Zur-Verantwortung-gezogen-werden-könnenfür eine begangene sitten- oder rechtswidrige Tat. Wenn das Wort«Schuld» in diesem Sinne supponiert, dann besagt das Prinzip «aufSchuld muß Strafe folgen »eigentlich nichts. Es ist eine echte Tautologie.Denn es ist damit bereits vorausgesetzt, daß die sitten- oder rechtswidrigeTat etwas im Menschen zurückläßt, wofür er einstehen und mehr als das :büßen muß. Ein Verbrecher wird noch nach langen Jahren, wenn er sichnach seinem Verbrechen schon vollständig in die Gesellschaft reintegrierthat, als schuldig bezeichnet. Er muß immer noch einstehen, Verantwortungleisten und büßen. Wer also unter Schuld nur das Zur-Verantwortung-gezogen-werden-könnenversteht, der setzt bereits den Begriffder Strafe in die Schuld hinein, ohne zu sagen, warum. Warum muß manfür eine sitten- oder rechtswidrige Tat einstehen und büßen, wenn dieUntat schon lange vergangen ist ? Ist es wirklich so selbstverständlich,daß der Verbrecher wegen seiner Tat etwas « schuldig » bleibt, weswegener permanent zur Verantwortung gezogen werden kann ? Schuld imSinne von schuldig sein, kann also nur heißen: Schuld = Pflicht zurÜbernahme von Strafe. Das Prinzip «auf Schuld muß Strafe folgen»ist darum in diesem Sinne eine reine Tautologie, somit wertlos.Zweite logische Supposition des Begriffes «Schuld ». - Zum gleichenErgebnis führt der Begriff «Schuld» im Sinne von Vorwerfbarkeit.Dieser Begriff ist nur ein anderer Name für denselben Sachverhalt. DemTäter kann die Tat vorgeworfen werden, weil er dafür verantwortlichist, dafür einstehen muß, nachdem die Tat schon lange vorüber ist.Man geht dabei von der Vorstellung aus, daß die sitten- oder rechtswidrigeTat den Täter schuldig macht, wofür er noch etwas abzugelten hat. Auchhier faßt man nicht die Tat selbst, sondern dasjenige, das aus der Tatzurückbleibt. Man betrachtet den Täter als Schuldner, wie man einenMenschen, der fremdes Gut besitzt, als Schuldner jener Sache bezeichnet,die er immer noch im Besitze hält. Ein Dieb wird als doppelter Schuldnerbetrachtet, schuldig, die entwendete Sache zurückzugeben (Rückerstattungspflicht),und schuldig im Sinne von Einstehen für die begangeneRechtsuntat des Diebstahles. Dieses letzte Schuldigsein wird gewissermaßenauch als eine Art Rückerstattung verstanden, Rückerstattungder geistigen Schuld, die aus dem Diebstahl zurückgeblieben ist.Wenn wir das Prinzip « auf Schuld muß Strafe folgen » wirklich imSinne eines «muß », d. h. eines Appells an den Autoritätsträger, von dem
194 Schuld und Strafedie Norm erlassen wurde, auslegen wollen, dann müssen wir tiefer eindringen.Wir müssen erklären, warum aus der sitten- oder rechtswidrigenTat eine Schuld, die in dem Einstehenmüssen oder in der fortdauerndenVorwerfbarkeit besteht, folgt. Wir müssen also den Begriff Schuld nichtnur als Schuldigsein für eine Tat auffassen, sondern haben die Tat selbstals Ursache des Schuldigseins zu erkennen. Damit kommen wir zueiner neuen logischen Supposition von Schuld.Dritte logische Supposition des Begriffes « Schuld», Schuld als sittennormwidrigeHandlung. - Schuld im Sinne der vorsätzlich sittennormwidrigenHandlung ist nicht nur die fortdauernde Vorwerfbarkeit, sonderndie in der Tat selbst liegende vorsätzliche Normwidrigkeit. Wennwir von diesem Wortsinn aus die Frage stellen : muß auf Schuld =sittennormwidrige Handlung Strafe folgen ?, dann klingt sie nicht mehrso selbstverständlich. Genau gestellt, lautet die Frage : Zieht Schuld =sittennormwidrige Handlung ein permanentes Schuldigsein nach sich,das auch dann noch besteht, wenn der Mensch sich längst in die Normenweltwieder eingegliedert hat ? Macht jede sitten- oder rechtswidrigeTat den Täter zum Schuldner, daß es mehr braucht, um zum NichtSchuldner zu werden, als nur die Erkenntnis und das Eingeständnis derin der Tat gesetzten Normwidrigkeit ? Man braucht in diesem Zusammenhangdurchaus keine theologischen Konzeptionen heranzuziehen.Aus der Befangenheit und Angst vor der Theologie kommt man leichtheraus, wenn man das lateinische Wort «culpa » benützt (im Unterschiedvon debitum). Die Scholastik hat culpa stets im Sinne der Normwidrigkeitdes peccatum (Sünde) verstanden. Um eine Verwechslungmit dem debitum, eine Strafe zu übernehmen, zu vermeiden, hat sieeinen doppelten reatus unterschieden : den reatus culpae und den reatuspoenae. Der erste ist die Sünde, der zweite dagegen die aus der Sündefolgende Schuldigkeit, die Strafe zu übernehmen. Nulla poena sine culpaheißt also: nulla poena sine reatu culpae, nicht aber : nulla poena sinereatu poenae. In der zweiten Formulierung sticht die Tautologie spürbarins Gehör.Wenn also das Prinzip « auf Schuld muß Strafe folgen » schon reinlogisch einen Sinn haben soll, dann muß man die Normwidrigkeit in derHandlung selbst finden. Sie muß ein Wesenselement des Vorsatzes selbstsein. Wer also einen rein normativen Schuldbegriff zugrunde legen würde,könnte das Prinzip logisch nicht mehr begründen. Denn die Strafe wärekeine Wesensfolge des Aktes. Nun ist aber jede Normwidrigkeit, welcheden Akt in seinem inneren Sein afhziert, eine sittliche Normwidrigkeit,
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