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ERSTERARTIKELDIE ANALYSE DER STRAFFÄLLIGEN HANDLUNGIN DER PRAXIS DES STRAFRICHTERSNulluni crimen sine legeDas Gebiet des Strafrichters ist begrenzt durch das Prinzip: keinVerbrechen ohne Gesetz. Damit ist dem Richter von vornherein eingroßer Teil von Handlungen, die in sich vielleicht Unrecht sein mögen,entzogen. Als man die Elektrizität gesetzlich noch nicht als «Sache»erkannte, war es nicht möglich, das unbefugte Ableiten des Stromes vomStraßenleitungsdraht als Diebstahl zu bestrafen. Jeder anständigeMensch, nicht nur jeder Richter, hatte hier klar erkannt, daß solchesHandeln eine Gaunerei darstellt, die sozial höchst schädlich ist. Da manaber - und das ist ein anderes praktisches Prinzip des Strafrichters - imZweifel zu Gunsten des Angeklagten verfahren muß, ging es nicht an,den bereits damals im Strafgesetz stehenden Begriff der «Wegnahmefremder beweglicher Sachen » anzuwenden. Ein solches Verhalten hattealso so lange straflos auszugehen, bis durch ein besonderes Gesetz zur Bestrafungder Entziehung elektrischer Energie der Strafrichter zuständigwurde (in Deutschland im Jahre 1900, mit der Ergänzung im Jahre 1935über die Erschleichung der Leistung von Automaten). Man mag dieseEinschränkung im Sinne der absoluten Gerechtigkeit als ungerecht bezeichnen.Sie schützt jedoch die Rechtsgenossen vor der Willkür desRichters und garantiert eine sichere Strafrechtsordnung, die wir nichtgern dem auch noch so wohlmeinenden Gewissen des Richters überlassenmöchten.
184 Schuld und StrafeDie Forderung der Gesellschaft nach kontrollierbarer Rechtssicherheitdrängt den Strafrichter geradezu in eine positivistische Richtunghinein. Kein Verbrechen ohne Gesetz heißt: kein Verbrechen ohnepositives Gesetz. Bei aller naturrechtlichen Grundtendenz, welche demStrafgesetz überhaupt erst das Dasein gibt, nämlich Ordnung zu schaffendurch Bestrafung von Verbrechen, drängt sich dem Strafrichter doch alsbeherrschendes Prinzip die Verpflichtung auf, nicht die Ordnung alssolche, sondern die gesetzlich umschriebene Ordnung ins Auge zu fassen,d. h. das eigene Gewissensurteil nicht vor das Gesetz zu stellen, sondernes nur in Funktion zu diesem zu begreifen. Von hier aus wird man vielleichtverstehen, warum Ethiker und Strafrechtler in so manchen Fragengeradezu gegensätzliche Auffassungen vertreten. Allerdings brauchte esnicht so zu sein, wenn der Ethiker sich des weiten und komplizierten Wegesbewußt wäre, der von der sittlichen Schuld zur Strafe gemäß demStrafgesetzbuch führt, und wenn anderseits der Strafrechtler sich darüberim klaren wäre, daß in seinem Strafrecht Werturteile verwirklichtsind, die sich nie rein positiv erklären lassen, die darum immer natürlichePhänomene bleiben und niemals eine nur technisch-juristischeHandhabung zulassen.Der allgemeine Grund, warum man überhaupt die positive Rechtsbildungvon einem schriftlich niedergelegten Gesetz abhängig macht,nämlich eine gesellschaftlich überprüfbare Rechtsprechung zu gestalten,wird durch die Grundregel« nullum crimen sine lege » unterstrichen. DerGesichtspunkt der sozialen Überprüfbarkeit muß daher den Strafrechtlerin seinem gesamten Denken bestimmen. Das Strafgesetz kann dahernicht, oder wenigstens nicht zuerst, innere, sittliche Motive erfassen,sondern muß sich zunächst an den nachweisbaren Tatbestand halten.Selbstverständlich soll niemand bestraft werden, der für einen Tatbestandnicht verantwortlich gemacht werden kann, der also nicht schuldigist. Schuldig kann aber nur sein, wer irgendwie mit Wissen und Willendabei war, d. h. mit Vorsatz oder mindestens mit einer dem Willen zurLast zu legenden Fahrlässigkeit gehandelt oder eine gebotene Handlungnicht gesetzt hat. Dieser gesamte «innere Tatbestand » muß aber immervom « äußeren Tatbestand » aus aufgerollt werden, sonst hätte man denSinn des geschriebenen Gesetzes und vor allen Dingen den des geschriebenenStrafgesetzes nicht erfüllt. Der Richter kann also nicht bei derinneren Gesinnung beginnen, aus welcher eine Tat erfolgt ist, sondernmuß zuerst untersuchen, ob der Tatbestand, und zwar hier in allerersterLinie der äußere Tatbestand überhaupt rechtliche Bewandtnis hat. Aus
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- Seite 244 und 245: Einteilung der Bibliographie1. Gesc
184 Schuld und StrafeDie For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach kontrollierbarer Rechtssicherheitdrängt <strong>de</strong>n Strafrichter gera<strong>de</strong>zu in eine positivistische Richtunghinein. Kein Verbrechen ohne Gesetz heißt: kein Verbrechen ohnepositives Gesetz. Bei aller naturrechtlichen Grundten<strong>de</strong>nz, welche <strong>de</strong>mStrafgesetz überhaupt erst das Dasein gibt, nämlich Ordnung zu schaffendurch Bestrafung von Verbrechen, drängt sich <strong>de</strong>m Strafrichter doch alsbeherrschen<strong>de</strong>s Prinzip die Verpflichtung auf, nicht die Ordnung alssolche, son<strong>de</strong>rn die gesetzlich umschriebene Ordnung ins Auge zu fassen,d. h. das eigene Gewissensurteil nicht vor das Gesetz zu stellen, son<strong>de</strong>rnes nur in Funktion zu diesem zu begreifen. Von hier aus wird man vielleichtverstehen, warum Ethiker und Strafrechtler in so manchen Fragengera<strong>de</strong>zu gegensätzliche Auffassungen vertreten. Allerdings brauchte esnicht so zu sein, wenn <strong>de</strong>r Ethiker sich <strong>de</strong>s weiten und komplizierten Wegesbewußt wäre, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r sittlichen Schuld zur Strafe gemäß <strong>de</strong>mStrafgesetzbuch führt, und wenn an<strong>de</strong>rseits <strong>de</strong>r Strafrechtler sich darüberim klaren wäre, daß in seinem Strafrecht Werturteile verwirklichtsind, die sich nie rein positiv erklären lassen, die darum immer natürlichePhänomene bleiben und niemals eine nur technisch-juristischeHandhabung zulassen.Der allgemeine Grund, warum man überhaupt die positive Rechtsbildungvon einem schriftlich nie<strong>de</strong>rgelegten Gesetz abhängig macht,nämlich eine gesellschaftlich überprüfbare Rechtsprechung zu gestalten,wird durch die Grundregel« nullum crimen sine lege » unterstrichen. DerGesichtspunkt <strong>de</strong>r sozialen Überprüfbarkeit muß daher <strong>de</strong>n Strafrechtlerin seinem gesamten Denken bestimmen. Das Strafgesetz kann dahernicht, o<strong>de</strong>r wenigstens nicht zuerst, innere, sittliche Motive erfassen,son<strong>de</strong>rn muß sich zunächst an <strong>de</strong>n nachweisbaren Tatbestand halten.Selbstverständlich soll niemand bestraft wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r für einen Tatbestandnicht verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>n kann, <strong>de</strong>r also nicht schuldigist. Schuldig kann aber nur sein, wer irgendwie mit Wissen und Willendabei war, d. h. mit Vorsatz o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>stens mit einer <strong>de</strong>m Willen zurLast zu legen<strong>de</strong>n Fahrlässigkeit gehan<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r eine gebotene Handlungnicht gesetzt hat. Dieser gesamte «innere Tatbestand » muß aber immervom « äußeren Tatbestand » aus aufgerollt wer<strong>de</strong>n, sonst hätte man <strong>de</strong>nSinn <strong>de</strong>s geschriebenen Gesetzes und vor allen Dingen <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s geschriebenenStrafgesetzes nicht erfüllt. Der Richter kann also nicht bei <strong>de</strong>rinneren Gesinnung beginnen, aus welcher eine Tat erfolgt ist, son<strong>de</strong>rnmuß zuerst untersuchen, ob <strong>de</strong>r Tatbestand, und zwar hier in allerersterLinie <strong>de</strong>r äußere Tatbestand überhaupt rechtliche Bewandtnis hat. Aus