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Die Menschenrechte 165stellt sei. Es besagt aber, daß die praktische Vernunft des Menschen dieMenschenrechte als Organisationsprinzipien nicht so spontan aussprichtwie etwa « das Gute ist zu tun, das Böse zu meiden », sondern sie denkerischerarbeiten oder ersinnen muß. Gewiß gibt es Freiheitsrechte, dieihre natürliche Urform unverändert behalten haben, wie z. B. das Recht,gemäß seinem Gewissen leben zu dürfen. Aber anderseits erhält diesesRecht, wenn es als vor dem staatlichen Eingriff geschütztes Menschenrechtformuliert wird, unzweideutig eine zusätzliche Note. Dem Gewissenwird eine privilegierte Stellung zugewiesen, die auch dann nicht erschüttertwerden darf, wenn unter Umständen vom Ordnungsdenken herein erzieherischer Eingriff in das Gewissen zu verteidigen wäre. Mit anderenWorten : Die Menschenrechte als subjektive Rechte des Individuumssind die Früchte eines bereits durch die Kultur geformten natürlichenDenkens. Die positiv-rechtliche Statuierung ist darum notwendig, umdie rechtliche Verbindlichkeit zu sichern. Das heißt aber anderseits nicht,daß Verbrechen gegen die Menschenrechte nur dann rechtlich verfolgbarwären, wenn sie vorher positiv-rechtlich aufgestellt worden sind.Wenn eine Gesellschaft einmal durch das Kulturstadium, das den Menschenrechtenentspricht, hindurchgegangen ist, muß man von jedem einzelnenMenschen erwarten können, daß er eine grobe Verletzung vonMenschenrechten als gegen die Natur des Menschen verstoßend erkennt.Verbrechen gegen die Menschenwürde, wie sie in der Zeit von 1939-1945verübt worden sind, können nicht einfach als rein «sittliche » Vergehenbezeichnet werden, denen der rechtliche Bezug fehlt. Zur richterlichen Aburteilungsolcher unbestreitbar verbrecherischen Grausamkeiten brauchtes eigentlich keine positiv-rechtliche Formulierung der Menschenrechte.Darin besteht übrigens auch nicht der eigentliche Sinn der Menschenrechtskataloge.Diese intendieren mehr als nur das. Sie formulieren dieder menschlichen Person im Rahmen der Gesellschaft zukommendenRechte (namentlich Freiheitsrechte) in einer Weise, daß im Zweifelsfalleimmer das Individuum den Vortritt hat. Sie sind, wie gesagt, bereitsanwendbare Ordnungsprinzipien. Ihrer Natur gemäß stehen sie unmittelbarvor der Verfassung als Leitsätze der verfassunggebenden Gewalt.Als solche bieten sie die Grundlage der Prüfung von Gesetzen auf derenrechtlichen Charakter.Wenn nun die Menschenrechte von der verfassunggebenden Gewaltformuliert worden sind, sei es in Form eines der Verfassung vorgeordnetenGrundgesetzes wie in Deutschland oder im Rahmen der Verfassungselbst, dann stellt sich weiterhin die Frage, ob man sie auch in der Gesetzes-
166 Das Rechtssubjektanwendung, in der Justiz auswerten darf. Die Rechtsfolge für die zivilePraxis wurde von verschiedenen deutschen Juristen bejaht 18 . Eininteressanter Fall in dieser Diskussion war die Frage der Ersatzpflichtbei immateriellem Schaden. Kann der Richter das Recht auf Achtungder Menschenwürde, wie es in Art. 1,1 des deutschen Grundgesetzesformuliert worden ist 19 , dazu heranziehen, um einen ehrverletzendenJournalisten zu einer Geldbuße als Schadenersatz zu verurteilen ohneausdrückliches Gesetz und sogar gegen die frühere Rechtspraxis, welcheden materiellen Ersatz für immateriellen Schaden nicht kannte ? DerFall soll hier nicht entschieden werden. Er zeigt aber deutlich das Problem: hört die Wirkkraft der Menschenrechte, die der Verfassung zugrundeliegen,beim Gesetzgeber auf oder reicht sie weiter bis in dieRechtspraxis hinein ?Wenn man sich der dem positiven Gesetz immanenten Zielsetzung,nämlich Rechtssicherheit zu schaffen, bewußt bleibt, wird man ohneweiteres die Menschenrechte als Richtweiser des Gesetzgebers bezeichnenmüssen. Der Gesetzgeber hat jene Gesetze zu schaffen, welche denMenschenrechten in der zivilen Praxis Geltung verschaffen. Damit sollaber nicht abgestritten werden, daß die Gesetze gemäß den Grundnormendes Staates, der Verfassung und somit auch gemäß den darin inkorporiertenMenschenrechten, auszulegen sind. Es ist aber eine andere Frage,ob man ein bestehendes Gesetz im Lichte der übergeordneten Normenauslegt oder ob man gewissermaßen ein neues «Gesetz » in Form einerüber die Gesetze wesentlich hinausgehenden Rechtsgewohnheit schafft.Nun könnte man einwenden, daß die Rechte des Individuums nichtnur den Staat, sondern auch die Rechtsgenossen binden. Warum alsosoll die Drittwirkung in der Rechtspraxis ausgeschlossen sein ?Die Antwort ist einfach : Wie sich das Naturgesetz an alle richtet,sowohl an die Gesellschaft als Ganzes wie auch an die einzelnen, ebensobedeutet das Freiheitsrecht ein Recht gegen ungebührliche Eingriffe,von woher diese auch kommen mögen, vom Staat oder von den Rechtsgenossen.Eine andere Frage ist aber, ob dieses natürliche Recht ohnepositives Gesetz im Zivilverfahren rechtswirksam werden soll, d. h. ob1 8Vgl. hierzu W. GEIGER, Die Grundrechte in der Privatrechtsordnung,Stuttgart 1960 ; O. KÜSTER, Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit, Karlsruhe1960 ; W. LEISNER, Grundrechte und Privatrecht, München 1960 ; Besprechungendieser Veröffentlichungen in : A. UTZ, Grundsatzfragen des öffentlichen Lebens,Bd. II, Freiburg i. Br. 1962, 254 f.l* ii Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützenist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt».
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Die Menschenrechte 165stellt sei. Es besagt aber, daß die praktische Vernunft <strong>de</strong>s Menschen dieMenschenrechte als Organisationsprinzipien nicht so spontan aussprichtwie etwa « das Gute ist zu tun, das Böse zu mei<strong>de</strong>n », son<strong>de</strong>rn sie <strong>de</strong>nkerischerarbeiten o<strong>de</strong>r ersinnen muß. Gewiß gibt es Freiheitsrechte, dieihre natürliche Urform unverän<strong>de</strong>rt behalten haben, wie z. B. das Recht,gemäß seinem Gewissen leben zu dürfen. Aber an<strong>de</strong>rseits erhält diesesRecht, wenn es als vor <strong>de</strong>m staatlichen Eingriff geschütztes Menschenrechtformuliert wird, unzwei<strong>de</strong>utig eine zusätzliche Note. Dem Gewissenwird eine privilegierte Stellung zugewiesen, die auch dann nicht erschüttertwer<strong>de</strong>n darf, wenn unter Umstän<strong>de</strong>n vom Ordnungs<strong>de</strong>nken herein erzieherischer Eingriff in das Gewissen zu verteidigen wäre. Mit an<strong>de</strong>renWorten : Die Menschenrechte als subjektive Rechte <strong>de</strong>s Individuumssind die Früchte eines bereits durch die Kultur geformten natürlichenDenkens. Die positiv-rechtliche Statuierung ist darum notwendig, umdie rechtliche Verbindlichkeit zu sichern. Das heißt aber an<strong>de</strong>rseits nicht,daß Verbrechen gegen die Menschenrechte nur dann rechtlich verfolgbarwären, wenn sie vorher positiv-rechtlich aufgestellt wor<strong>de</strong>n sind.Wenn eine Gesellschaft einmal durch das Kulturstadium, das <strong>de</strong>n Menschenrechtenentspricht, hindurchgegangen ist, muß man von je<strong>de</strong>m einzelnenMenschen erwarten können, daß er eine grobe Verletzung vonMenschenrechten als gegen die Natur <strong>de</strong>s Menschen verstoßend erkennt.Verbrechen gegen die Menschenwür<strong>de</strong>, wie sie in <strong>de</strong>r Zeit von 1939-1945verübt wor<strong>de</strong>n sind, können nicht einfach als rein «sittliche » Vergehenbezeichnet wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r rechtliche Bezug fehlt. Zur richterlichen Aburteilungsolcher unbestreitbar verbrecherischen Grausamkeiten brauchtes eigentlich keine positiv-rechtliche Formulierung <strong>de</strong>r Menschenrechte.Darin besteht übrigens auch nicht <strong>de</strong>r eigentliche Sinn <strong>de</strong>r Menschenrechtskataloge.Diese intendieren mehr als nur das. Sie formulieren die<strong>de</strong>r menschlichen Person im Rahmen <strong>de</strong>r Gesellschaft zukommen<strong>de</strong>nRechte (namentlich Freiheitsrechte) in einer Weise, daß im Zweifelsfalleimmer das Individuum <strong>de</strong>n Vortritt hat. Sie sind, wie gesagt, bereitsanwendbare Ordnungsprinzipien. Ihrer Natur gemäß stehen sie unmittelbarvor <strong>de</strong>r Verfassung als Leitsätze <strong>de</strong>r verfassunggeben<strong>de</strong>n Gewalt.Als solche bieten sie die Grundlage <strong>de</strong>r Prüfung von Gesetzen auf <strong>de</strong>renrechtlichen Charakter.Wenn nun die Menschenrechte von <strong>de</strong>r verfassunggeben<strong>de</strong>n Gewaltformuliert wor<strong>de</strong>n sind, sei es in Form eines <strong>de</strong>r Verfassung vorgeordnetenGrundgesetzes wie in Deutschland o<strong>de</strong>r im Rahmen <strong>de</strong>r Verfassungselbst, dann stellt sich weiterhin die Frage, ob man sie auch in <strong>de</strong>r Gesetzes-