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Die Funktion des Richters im Sinne der positiven Rechtsbildung 145läßt sich eine konkrete soziale Ordnung nicht verwirklichen. Die menschlicheErkenntnis ist zu beschränkt und die Menschen selbst sind zu verschieden,als daß alle Ansprüche, auch die gerechten, sich erfüllen ließen.Dazu kommt noch die unabweisbare Tatsache, daß jeder Mensch zuerstsein Eigenwohl und nicht das Gemeinwohl sucht, sodaß von der Ganzheitder Gesellschaft her dem einzelnen gegenüber ein gewisses Mißtrauengerechtfertigt ist. Die Gesamtordnung wird darum die materiale Gerechtigkeitgegenüber dem Individuum nicht hinter das Anliegen derRechtssicherheit stellen können. Die solenne Formalität der rechtlichenTatbestände ist ein unverzichtbarer Wert für die freiheitlich organisierteGesellschaft. Sie schafft den rechtlichen Ernst der Parteien, gibt dieGrundlage ab für den echten Beweis und ermöglicht so erst die öffentlicheDiskussion. Das positive Gesetz muß allerdings trotz seines Strebensnach öffentlicher Rechtssicherheit die nötigen Ventile einbauen, um,soweit es möglich ist, die materialen Ungerechtigkeiten zu bannen. Ausdiesem Grunde erkennen die Gesetze nach altem Vorgang die Möglichkeitder Konvaleszenz ex aequitate dort, wo im Zivilrecht bei Formenverstoßdie Nichtigkeit der Willenserklärung angeordnet und sanktioniert wurde.Es ist aber klar, daß die Wiedereinsetzung der materialen Gerechtigkeitihrerseits um der Rechtssicherheit willen durch das positive Gesetz geregeltsein muß, sobald die konkrete Rechtsbildung nicht mehr Aufgabeeines nach seiner eigenen Rechtsfindung praktizierenden Richterstandesist. Der Richter erfüllt demnach die Forderung des Naturgesetzes nurin Funktion zum positiven Gesetz.Anderseits ist folgendes zu berücksichtigen : 1. Das positive Gesetzist eine Verlängerung des Naturgesetzes. Es kann also von spontanen,natürlichen Ordnungsvorstellungen nicht absehen. Wo es diese verletzt,kann es nicht Recht sein. 2. Jedes normale Glied der Gesellschaft besitztallgemeine spontane Werturteile, und erst recht muß der Richter siebesitzen, sodaß ein offensichtlicher Verstoß eines positiven Gesetzesgegen diese spontanen Ordnungsvorstellungen nicht binden kann, nochdarf. Bei aller Bevorzugung des positiven Gesetzes gegenüber irgendwelchensubjektiven Normenbildungen sind jeder positiven Rechtsbildungdurch das natürlich-spontane Wertdenken äußerste Grenzen gesetzt,die darum auch das positive Gesetz niemals überschreiten kann, ohneden Normcharakter zu verlieren. Hier steht also der Richter unmittelbarim Dienste des Naturgesetzes. Daß dadurch kein Dualismus entsteht,wird jeder erkennen, dem die natürliche Rechtsgrundlage jedwederpositiven Rechtsbildung einleuchtet.
146 Die Rechtsschöpfung in der RechtsprechungDer recht verstandene «Positivismus» der Rechtsauslegung hatalso zunächst den Vortritt. Die Rückorientierung an Naturrechtsnormenist nur dort statthaft, wo das Gesetz nichts formuliert hat oder wo einoffenkundiger Widerspruch zu den natürlich-spontanen Ordnungsnormenvorliegt.Allerdings ist damit das Problem der Auslegung noch lange nichterschöpft. Denn der «Positivismus», von dem bisher die Rede war,besagt nur soviel, daß das positive Gesetz gegenüber irgendwelchenfreien Gerechtigkeitsüberlegungen den Vorzug hat. Es ist aber noch nichterklärt, wie die Unbestimmtheit des Gesetzes, das immer allgemeinenCharakter hat, aufzulösen sei. Nach welcher Richtung hin hat die Auslegungzu erfolgen, nach dem reinen Wortlaut oder nach dem Sinn desGesetzes und hier wiederum nach der subjektiven Intention des Gesetzgebersoder nach dem objektiven Sachverhalt, der im Gesetz formuliertist ?Die Auslegungsmethoden der Juristen in rechtsphilosophischer ÜberlegungDa, wie schon öfters gesagt, jedes Gesetz in der Allgemeinheit verbleibt,wird die rechtsschöpferische Tätigkeit des Richters niemals verschwindenkönnen. Diese ist aber in bestimmte Bahnen geleitet durchdas geschriebene Gesetz. Es ist nun für den Gesetzgeber eine Ermessensfrage,wie weit er die Perfektion in der schriftlichen Niederlegung treibenwill. Wenngleich das geschriebene Gesetz den kulturellen Hochstandeiner Gesellschaft beweist, so ist anderseits doch an das Gleichgewichtzu denken zwischen dem Anliegen der Sicherheit und dem der materialenGerechtigkeit. Im Grunde kommt es darauf an, daß die Richter so vielGerechtigkeitssinn sowohl für den Einzelfall als auch für die Rechtsordnungim gesamten besitzen, um einen beengenden Perfektionismus desgeschriebenen Gesetzes überflüssig zu machen. Jedenfalls muß erstesAnliegen des Richters sein, den Sinn des geschriebenen Gesetzes zu erfüllen.Dieser wird nun gemäß der Methodenlehre der richterlichen Auslegungin mehrfacher Weise ermittelt:1. durch grammatikalische Auslegung, d. h. durch Ermittlung desWortsinnes. Aristotelisch würde diese der Aufstellung der Nominaldefinitionentsprechen, d. h. der Bestimmung des usus loquendi, wobeider usus der des Gesetzes sein muß. So muß der Richter einen Überbückgewinnen über den verschiedenen Gebrauch des Wortes «Besitz»,ii Eigentum», « Öffentlichkeit» usw.
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146 Die Rechtsschöpfung in <strong>de</strong>r RechtsprechungDer recht verstan<strong>de</strong>ne «Positivismus» <strong>de</strong>r Rechtsauslegung hatalso zunächst <strong>de</strong>n Vortritt. Die Rückorientierung an Naturrechtsnormenist nur dort statthaft, wo das Gesetz nichts formuliert hat o<strong>de</strong>r wo einoffenkundiger Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n natürlich-spontanen Ordnungsnormenvorliegt.Allerdings ist damit das Problem <strong>de</strong>r Auslegung noch lange nichterschöpft. Denn <strong>de</strong>r «Positivismus», von <strong>de</strong>m bisher die Re<strong>de</strong> war,besagt nur soviel, daß das positive Gesetz gegenüber irgendwelchenfreien Gerechtigkeitsüberlegungen <strong>de</strong>n Vorzug hat. Es ist aber noch nichterklärt, wie die Unbestimmtheit <strong>de</strong>s Gesetzes, das immer allgemeinenCharakter hat, aufzulösen sei. Nach welcher Richtung hin hat die Auslegungzu erfolgen, nach <strong>de</strong>m reinen Wortlaut o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>sGesetzes und hier wie<strong>de</strong>rum nach <strong>de</strong>r subjektiven Intention <strong>de</strong>s Gesetzgeberso<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m objektiven Sachverhalt, <strong>de</strong>r im Gesetz formuliertist ?Die Auslegungsmetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Juristen in rechtsphilosophischer ÜberlegungDa, wie schon öfters gesagt, je<strong>de</strong>s Gesetz in <strong>de</strong>r Allgemeinheit verbleibt,wird die rechtsschöpferische Tätigkeit <strong>de</strong>s Richters niemals verschwin<strong>de</strong>nkönnen. Diese ist aber in bestimmte Bahnen geleitet durchdas geschriebene Gesetz. Es ist nun für <strong>de</strong>n Gesetzgeber eine Ermessensfrage,wie weit er die Perfektion in <strong>de</strong>r schriftlichen Nie<strong>de</strong>rlegung treibenwill. Wenngleich das geschriebene Gesetz <strong>de</strong>n kulturellen Hochstan<strong>de</strong>iner Gesellschaft beweist, so ist an<strong>de</strong>rseits doch an das Gleichgewichtzu <strong>de</strong>nken zwischen <strong>de</strong>m Anliegen <strong>de</strong>r Sicherheit und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r materialenGerechtigkeit. Im Grun<strong>de</strong> kommt es darauf an, daß die Richter so vielGerechtigkeitssinn sowohl für <strong>de</strong>n Einzelfall als auch für die Rechtsordnungim gesamten besitzen, um einen beengen<strong>de</strong>n Perfektionismus <strong>de</strong>sgeschriebenen Gesetzes überflüssig zu machen. Je<strong>de</strong>nfalls muß erstesAnliegen <strong>de</strong>s Richters sein, <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s geschriebenen Gesetzes zu erfüllen.Dieser wird nun gemäß <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>nlehre <strong>de</strong>r richterlichen Auslegungin mehrfacher Weise ermittelt:1. durch grammatikalische Auslegung, d. h. durch Ermittlung <strong>de</strong>sWortsinnes. Aristotelisch wür<strong>de</strong> diese <strong>de</strong>r Aufstellung <strong>de</strong>r Nominal<strong>de</strong>finitionentsprechen, d. h. <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s usus loquendi, wobei<strong>de</strong>r usus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Gesetzes sein muß. So muß <strong>de</strong>r Richter einen Überbückgewinnen über <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gebrauch <strong>de</strong>s Wortes «Besitz»,ii Eigentum», « Öffentlichkeit» usw.