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Recht und Moral 113handelt es sich zunächst oder wenigstens anscheinend um «formale»Werte, die auf rechtlicher Ebene nur insofern inhaltlich mit absolutensittlichen Normen gefüllt werden können, als der konkrete Mensch siemit natürlicher Spontaneität anzunehmen imstande ist. Eine Gesellschaftmit hohem Ethos kann in ihr Recht ein größeres Quantum inhaltlichbestimmter sittlicher Werte einbauen als eine Gesellschaft mitsittlichem Tiefstand. Das Recht geht also nicht die Höhenpfade desSittlichen, sondern verbleibt gewissermaßen an der unteren Grenze.Es ist also etwas Wahres an der Behauptung Del Vecchio's, die rechtlicheOrganisation könne grundsätzlich nur ein «Minimum» an moralischenForderungen stellen, um der persönlichen Entfaltung möglichst weitenSpielraum zu lassen 36 . Anderseits müssen wir aber doch bedenken, daßdas Recht die Sittlichkeit nur deswegen ausgeklammert hat, weil es aufdiese Weise am wenigsten der Versuchung unterliegt, den sittlichen Aufstiegder Gesellschaftsglieder zu hemmen. Es sollte aber dennoch dort,wo gemäß unserer Erfahrung die Außerachtlassung sittlicher Grundwahrheitenzur inneren Auflösung der Gesellschaft führt, und dort, woes ohne Vergewaltigung der Freiheit den sittlichen Aufstieg der Gesellschaftanzubahnen imstande ist, seiner sittlichen Herkunft sich bewußtbleiben. Die Grenzmoral ist darum nicht das Ideal der Rechtspolitik.Das Minimum sittlicher Werte im Recht kann nur verteidigt werdenim Sinne der Rücksichtnahme auf jene Freiheit, die bona fide gewissesittliche Werte der absoluten Ordnung ablehnt.Der moderne Sozialwissenschaftler geht damit einig, daß man dortsittliche Normen rechtlich urgiert, wo gemäß soziologischer Erfahrungdie Gesellschaft oder das Staatswesen der Auflösung preisgegeben würde.Er ist aber nicht damit einverstanden, daß man sittliche Normen nurunter Berufung auf ihren absoluten Wert in das Recht einführt.Nun wird es immer umstrittene Fälle geben, in denen es unklar ist,ob eine sittliche Norm noch rechtlich urgiert werden könne oder nicht.Jedenfalls steht fest, daß es einer Offenbarung zur Erkenntnis der sittlichenWerte nicht bedarf. Unsere praktische Vernunft reicht an sichaus. Allerdings können wir das «absolute» Gewissen nur für die elementarstensozialen Lebensnormen einsetzen, etwa dem Mitmenschendasselbe Recht einzuräumen, das wir für unsere eigene Person beanspruchenusw. Darüber hinaus aber ist zu bedenken, daß unser Gewissen3 4Diritto, societä e solitudine, Torino 1957, 13 ; vgl. meine Besprechung in :A. UTZ, Grundsatzfragen des öffentlichen Lebens, Bibliographie, Bd. I, Freiburg i. Br.1960, 248 f.

114 Die Rechtsbegründungbereits durch eine Kulturentwicklung hindurchgegangen ist, also nichtam Anfang der Vervollkommnung steht. Ein Richter könnte sich alsobezüglich der vorehelichen Keuschheit ohne weiteres auf die absolutensittlichen Normen berufen, weil es das natürliche, wenngleich durch einebestimmte Kultur geprägte Gewissen ist, welches die voreheliche Keuschheitals Norm der Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern fordert.Die Kultur ist doch nichts anderes als die Vervollkommnung derNatur.Wer die Gesellschaftsphilosophie nicht von einer Ganzheitsschau,sondern von den individuellen Rechten und Zwecken der menschlichenPerson her angeht, kommt, wie bereits in Bd. I der Sozialethik dargelegtwurde, nicht zur Auffassung von der Gesellschaft als sittlicher Einheit,und er findet darum auch nicht den Weg zu einer gesunden Verknüpfungvon Sittlichkeit und Recht, da für ihn die Gesellschaft nichts anderes istals die Bedingung für die freie personale Entfaltung des einzelnen. Esgenügt ihm als Ethik das persönliche Verantwortungsbewußtsein deseinzelnen, gemäß welchem er im Sinne des Interessenausgleichs einerein praktische, utilitaristische Lösung des Friedensproblems in derGesellschaft sucht. Auf diesem Standpunkt stehen alle Vertreter desIndividualismus und der mit diesem verknüpften Vertragstheorie (Hobbes,Rousseau), wie auch des Formalismus (Kant). Auch das «sozialeIdeal» R. Stammlers, d. h. «die Gemeinschaft der frei wollenden Menschen», gelangt über den Individualismus und sozialen Formalismusnicht hinaus. Von dieser Sicht aus steht das Recht nicht mehr im Dienstder absoluten Normen, sondern nur der Freiheiten, und zwar jener Freiheiten,wie sie sich de facto, unter Umständen auch völlig losgelöst vonsittlichen Werten, entfalten. Das Recht ist dann nur noch Spiegelbildjener sittlichen Normen, welche der Mehrheit der Gesellschaftsgliederentsprechen und zugleich den Freiheitsrechten der Minderheit Spielraumlassen. Mit anderen Worten : das jeweilige Minimum an sittlichen Werten,dem unter Umständen die Tendenz nach der nächst tieferen Stufebelassen werden muß. Es gilt dann nur noch der Satz : der Gebrauch, denjemand von seiner Freiheit macht, ist Sache der eigenen Person, solangeer andere nicht stört.Die Soziologie und die Kriminologie belehren uns heute, wie weitauch rein persönlich-sittliche Entscheidungen Auswirkungen ins Gesellschaftlichehaben. Wie könnte es anders sein, da jeder sich dem Nächstengegenüber so benimmt, wie er ist ? Schon unser elementarstes Wertempfindensagt uns, daß wir mit unserer ganzen Person der Umwelt

Recht und Moral 113han<strong>de</strong>lt es sich zunächst o<strong>de</strong>r wenigstens anscheinend um «formale»Werte, die auf rechtlicher Ebene nur insofern inhaltlich mit absolutensittlichen Normen gefüllt wer<strong>de</strong>n können, als <strong>de</strong>r konkrete Mensch siemit natürlicher Spontaneität anzunehmen imstan<strong>de</strong> ist. Eine Gesellschaftmit hohem Ethos kann in ihr Recht ein größeres Quantum inhaltlichbestimmter sittlicher Werte einbauen als eine Gesellschaft mitsittlichem Tiefstand. Das Recht geht also nicht die Höhenpfa<strong>de</strong> <strong>de</strong>sSittlichen, son<strong>de</strong>rn verbleibt gewissermaßen an <strong>de</strong>r unteren Grenze.Es ist also etwas Wahres an <strong>de</strong>r Behauptung Del Vecchio's, die rechtlicheOrganisation könne grundsätzlich nur ein «Minimum» an moralischenFor<strong>de</strong>rungen stellen, um <strong>de</strong>r persönlichen Entfaltung möglichst weitenSpielraum zu lassen 36 . An<strong>de</strong>rseits müssen wir aber doch be<strong>de</strong>nken, daßdas Recht die Sittlichkeit nur <strong>de</strong>swegen ausgeklammert hat, weil es aufdiese Weise am wenigsten <strong>de</strong>r Versuchung unterliegt, <strong>de</strong>n sittlichen Aufstieg<strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r zu hemmen. Es sollte aber <strong>de</strong>nnoch dort,wo gemäß unserer Erfahrung die Außerachtlassung sittlicher Grundwahrheitenzur inneren Auflösung <strong>de</strong>r Gesellschaft führt, und dort, woes ohne Vergewaltigung <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>n sittlichen Aufstieg <strong>de</strong>r Gesellschaftanzubahnen imstan<strong>de</strong> ist, seiner sittlichen Herkunft sich bewußtbleiben. Die Grenzmoral ist darum nicht das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Rechtspolitik.Das Minimum sittlicher Werte im Recht kann nur verteidigt wer<strong>de</strong>nim Sinne <strong>de</strong>r Rücksichtnahme auf jene Freiheit, die bona fi<strong>de</strong> gewissesittliche Werte <strong>de</strong>r absoluten Ordnung ablehnt.Der mo<strong>de</strong>rne Sozialwissenschaftler geht damit einig, daß man dortsittliche Normen rechtlich urgiert, wo gemäß soziologischer Erfahrungdie Gesellschaft o<strong>de</strong>r das Staatswesen <strong>de</strong>r Auflösung preisgegeben wür<strong>de</strong>.Er ist aber nicht damit einverstan<strong>de</strong>n, daß man sittliche Normen nurunter Berufung auf ihren absoluten Wert in das Recht einführt.Nun wird es immer umstrittene Fälle geben, in <strong>de</strong>nen es unklar ist,ob eine sittliche Norm noch rechtlich urgiert wer<strong>de</strong>n könne o<strong>de</strong>r nicht.Je<strong>de</strong>nfalls steht fest, daß es einer Offenbarung zur Erkenntnis <strong>de</strong>r sittlichenWerte nicht bedarf. Unsere praktische Vernunft reicht an sichaus. Allerdings können wir das «absolute» Gewissen nur für die elementarstensozialen Lebensnormen einsetzen, etwa <strong>de</strong>m Mitmenschendasselbe Recht einzuräumen, das wir für unsere eigene Person beanspruchenusw. Darüber hinaus aber ist zu be<strong>de</strong>nken, daß unser Gewissen3 4Diritto, societä e solitudine, Torino 1957, 13 ; vgl. meine Besprechung in :A. UTZ, Grundsatzfragen <strong>de</strong>s öffentlichen Lebens, Bibliographie, Bd. I, Freiburg i. Br.1960, 248 f.

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