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Die Gerechtigkeit 105Wohlgerechtigkeit geradezu an den Rand drückte, wurde im ersten Bandder Sozialethik 25dargelegt. Die Tauschgerechtigkeit wurde von derScholastik als die eigentliche Gerechtigkeit angesehen, der darum auchdie Restitutionspflicht zugesprochen wurde.Nun erkannte die Scholastik im Anschluß an Aristoteles allerdings,daß der Ausgleich über die zwischenmenschlichen Beziehungen von Individuen(oder einzelnen Gruppen) hinausgeht. So sollte der Verwalterdes Gemeingutes dafür Sorge tragen, daß die Lasten, sozialen Hilfenund Begünstigungen «gerecht» verteilt werden. Man sprach dann vonder austeilenden Gerechtigkeit (justitia distributiva). Anderseits solltendie einzelnen ihren Teil zum Gemeinwohl beitragen, d. h. die Gerechtigkeitgegenüber dem Gesetz erfüllen (Gesetzesgerechtigkeit, justitialegalis). Die Gesetzesgerechtigkeit wurde aber zugleich auch vom Trägerder öffentlichen Autorität gefordert, allerdings selbstverständlich nichtin Form der Ausführung, sondern des «Aufbaues » einer gerechten Ordnung26 . Es besteht kein Zweifel darüber, daß Thomas hierbei an eineGerechtigkeit dachte, die über das positive Gesetz hinausging und sichauf ein dem Staat vorgeordnetes Gemeinwohl bezog. Die Tauschgerechtigkeit(justitia commutativa) und die austeilende Gerechtigkeit (justitiadistributiva) wurden in dem Sammelbegriff der « Einzelgerechtigkeit»(justitia particularis) zusammengefaßt, da beide eine Einzelperson imAuge haben.Alle diese Überlegungen basieren, wie gesagt, auf einer begrifflichenFixierung der Gerechtigkeit, gemäß welcher wir mit dem Gedankendes Gerechtseins die Erfüllung einer Aequivalenzpflicht einem anderen,von uns Getrennten gegenüber verbinden. Es ist klar, daß auf dieserGrundlage der Gedanke an einen Vorrang der Gesamtordnung vom Gesichtspunktder Gerechtigkeit aus wenig Profil erhielt. Die Gemeinwohlgerechtigkeitwar in dieser Sicht nur eine von den verschiedenen

106 Die Rechtsbegründungder man damals lebte. Es fiel niemandem ein, die Ordnung umzustellen.Das «suum » war also gewissermaßen schon fixiert. Wenngleich man einnatürliches Gemeinwohl kannte, das der verwirklichten Ordnung vorgeordnetwar, so konzentrierte man seine Gerechtigkeitsvorstellung dochauf den gegenseitigen Ausgleich zwischen den in der gegebenen Gesellschaftlebenden Partnern, d. h. man realisierte das « suum » in dem Anspruch,der den verschiedenen Rechtsträgern in der bestehenden Ordnungzukam.Wer aber unabhängig von einer existenten Ordnung die Gerechtigkeitbestimmen will, muß einen realen Inhalt angeben, der immer undüberall das «suum» ausmacht.Es läge nahe, in der Würde der menschlichen Person den realenGrund der Gerechtigkeit zu suchen, wie es etwa Del Vecchio 8 7getan hat,da sich in der menschlichen Person die geschlossene Selbständigkeit desRechtsträgers und damit auch der Begriff des Anspruches am deutlichstenmanifestieren. Mit dieser Erklärung kommt man der Grundbestimmungdes Begriffes der Gerechtigkeit als des «Anspruches eines getrenntenSubjektes» am nächsten. Ohne Zweifel läßt sich auf diese Weiseein vorstaatlicher Anspruch erkennen. Anderseits kann diese Denkweiseinsofern nicht befriedigen, als die Gerechtigkeit nicht vom einzelnenIndividuum bestimmt werden darf, sondern vom Individuum, sofern esim Verband mit andern lebt, also in einem Ordnungsganzen steht. Dashat H. Kelsen gut gesehen, da er als Ziel der positiven Rechtsordnungerkannte,« den Frieden unter den Rechtsunterworfenen»zu garantieren,«indem sie ihnen jede Gewaltanwendung verbietet, nicht aber die friedlicheÄußerung ihrer Meinungen einschränkt» 28 . Kelsen kann zwar keinevorpositive Gerechtigkeit im Sinne einer rechtlichen Norm anerkennen,da für ihn die Rechtsnorm wesentlich positiv ist. Der Friede unter denRechtsunterworfenen ist daher, wenn man Kelsen genau nach seinenAbsichten auslegt, nur jener Friede, der auf positiv-rechtlichem Bodensteht, sodaß er, von der menschlichen Erfahrung, nicht nur vom Rechther betrachtet, grausame Diktatur sein könnte. Auch die friedlicheÄußerung der Meinung kann darum nur die positivrechtlich geregelteMeinungsäußerung sein, die unter Umständen, unter menschlichem Betracht,gleich Null ist. Anderseits ist Kelsen klug genug, hinter seinen2 7Die Gerechtigkeit, 2., neu bearb. deutsche Aufl., übersetzt von F. Darmstaedter,Italienische Rechtsphilosophie 1, Basel 1950, 114 S.2 8Was ist Gerechtigkeit ?, Wien 1953, 41.

106 Die Rechtsbegründung<strong>de</strong>r man damals lebte. Es fiel nieman<strong>de</strong>m ein, die Ordnung umzustellen.Das «suum » war also gewissermaßen schon fixiert. Wenngleich man einnatürliches Gemeinwohl kannte, das <strong>de</strong>r verwirklichten Ordnung vorgeordnetwar, so konzentrierte man seine Gerechtigkeitsvorstellung dochauf <strong>de</strong>n gegenseitigen Ausgleich zwischen <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r gegebenen Gesellschaftleben<strong>de</strong>n Partnern, d. h. man realisierte das « suum » in <strong>de</strong>m Anspruch,<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Rechtsträgern in <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Ordnungzukam.Wer aber unabhängig von einer existenten Ordnung die Gerechtigkeitbestimmen will, muß einen realen Inhalt angeben, <strong>de</strong>r immer undüberall das «suum» ausmacht.Es läge nahe, in <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r menschlichen Person <strong>de</strong>n realenGrund <strong>de</strong>r Gerechtigkeit zu suchen, wie es etwa Del Vecchio 8 7getan hat,da sich in <strong>de</strong>r menschlichen Person die geschlossene Selbständigkeit <strong>de</strong>sRechtsträgers und damit auch <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Anspruches am <strong>de</strong>utlichstenmanifestieren. Mit dieser Erklärung kommt man <strong>de</strong>r Grundbestimmung<strong>de</strong>s Begriffes <strong>de</strong>r Gerechtigkeit als <strong>de</strong>s «Anspruches eines getrenntenSubjektes» am nächsten. Ohne Zweifel läßt sich auf diese Weiseein vorstaatlicher Anspruch erkennen. An<strong>de</strong>rseits kann diese Denkweiseinsofern nicht befriedigen, als die Gerechtigkeit nicht vom einzelnenIndividuum bestimmt wer<strong>de</strong>n darf, son<strong>de</strong>rn vom Individuum, sofern esim Verband mit an<strong>de</strong>rn lebt, also in einem Ordnungsganzen steht. Dashat H. Kelsen gut gesehen, da er als Ziel <strong>de</strong>r positiven Rechtsordnungerkannte,« <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Rechtsunterworfenen»zu garantieren,«in<strong>de</strong>m sie ihnen je<strong>de</strong> Gewaltanwendung verbietet, nicht aber die friedlicheÄußerung ihrer Meinungen einschränkt» 28 . Kelsen kann zwar keinevorpositive Gerechtigkeit im Sinne einer rechtlichen Norm anerkennen,da für ihn die Rechtsnorm wesentlich positiv ist. Der Frie<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>nRechtsunterworfenen ist daher, wenn man Kelsen genau nach seinenAbsichten auslegt, nur jener Frie<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r auf positiv-rechtlichem Bo<strong>de</strong>nsteht, sodaß er, von <strong>de</strong>r menschlichen Erfahrung, nicht nur vom Rechther betrachtet, grausame Diktatur sein könnte. Auch die friedlicheÄußerung <strong>de</strong>r Meinung kann darum nur die positivrechtlich geregelteMeinungsäußerung sein, die unter Umstän<strong>de</strong>n, unter menschlichem Betracht,gleich Null ist. An<strong>de</strong>rseits ist Kelsen klug genug, hinter seinen2 7Die Gerechtigkeit, 2., neu bearb. <strong>de</strong>utsche Aufl., übersetzt von F. Darmstaedter,Italienische Rechtsphilosophie 1, Basel 1950, 114 S.2 8Was ist Gerechtigkeit ?, Wien 1953, 41.

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