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Die natürliche Rechtsnorm : Das Naturgesetz 912. Naturrechtsprinzipien im Rechtsbewußtsein der GesellschaftBisher war die Rede von der objektiven Ordnung, objektiv im Sinndes Objektes, dem die praktische Vernunft naturgemäß zugeordnet ist,ohne Rücksicht darauf, ob der einzelne Mensch in seinem Rechtsbewußtseinden vollen Inhalt dieses «An-sich-Objekts » aktuiert. Im Folgendenist nun von diesem aktuierten Rechtsbewußtsein die Rede. In der Formulierungdes Thomas von Aquin heißt dies, daß wir nun nicht mehr vonden Naturrechtsprinzipien « quoad objectum », sondern « quoad nos »sprechen. Diese Unterscheidung hat aber nichts zu tun mit jener zwischenidealisierter Ordnung und Wirklichkeit. Es handelt sich bei derobjektiven Ordnung nicht um ein unzugängliches Ideal, sondern um eineechte Normordnung, d. h. um die Wesensordnung, die unserer praktischenVernunft an sich entspricht.Fragen wir uns nun aber einmal, ob die Durchdringung des Objektesnicht nur im Rahmen des Möglichen, sondern auch des Wirklichen liege.Gehen wir also nicht mehr von der Wesenheit der praktischen Vernunftund ihrer natürlichen Kapazität, sondern von dem im guten Sinne«oberflächlichen » Rechtsbewußtsein, d. h. von dem unmittelbar alsTatsache erfahrbaren sozialen Bewußtsein aus. Wir untersuchen damitdas Ausmaß, in dem die Menschen tatsächlich das Objekt der praktischenVernunft erfaßt haben oder noch erfassen.Diese Frage ist, wie wir jetzt besser erkennen, nur unter der Voraussetzungder objektiven Ordnung, von der bereits die Rede war, zu stellen.Ohne die objektive Ordnung verbliebe man im maßstablosen Evolutionismus,es sei denn, man suchte als Theologe über die Natur hinaus einenabsoluten Maßstab im religiösen Glauben als dem Organ, mit welchemder einzig gültige Heilswille Gottes erfahren würde.So sehr wir in der Lage sind, in die Tiefen unserer Seele hineinzulotenund dort nach dem Absoluten zu suchen, d.h. unser konkretesWerturteil stets an irgendwie gewußten und doch nicht explizierbarenNormen zu messen, so sind wir der Kultur, in welche wir hineingeborensind, derart verhaftet, daß es uns oft schwer wird, den Unterschied zwischendem durch unsere Kultur geprägten Urteil und dem absolutenWerturteil zu bestimmen. Unser natürliches Wertbewußtsein wird sozum soziologischen, ohne allerdings von diesem absorbiert zu werden,denn sonst wären wir unseres Maßstabes, dessen wir uns bei allem Wechselstets bewußt bleiben, beraubt. Thomas von Aquin hat dieser soziolo-
92 Die Rechtsbegründunggischen Durchformung des Rechtsbewußtseins weitesten Raum zuerkannt.Zu den unveränderlichen Normen unseres Rechtsbewußtseins,den sogenannten allgemeinsten Prinzipien, zählt er : die rechte Mitte(III Sent. 37, 1, 4 ad 3), Niemandem Unrecht tun (I-II 100,3), GottesundNächstenliebe (I-II 100,11 ; CG III 117), die goldene Regel: Wasdu willst, das man dir tue, das tue auch dem andern (I-II 99,1 ad 2u. 3), Streben nach absoluter Wahrheit, Leben in Gemeinschaft (I-II94,2,5 ; CG III 117,129), Recht auf Selbsterhaltung, Selbstvervollkommnung,auf eheliche Gemeinschaft, Erziehung der Kinder (I-II 94,2). Siealle sind im allgemeinsten Prinzip verwurzelt: Das Gute ist zu tun, dasBöse zu meiden (I-II 94,2). Das Naturhafte dieser Prinzipien besteht inder Spontaneität, mit welcher sie von der praktischen Vernunft ausgesprochenwerden. Diese natürliche Spontaneität ist aber mit vielenanerzogenen und erworbenen Elementen vermischt. So ergibt sich vonselbst die individuelle Vielfalt der Werturteile. Um der gleichen, nämlichnaturhaften Direktive willen auch die gleiche konkrete Normenbildungerwarten zu wollen, bedeutete eine Verkennung der Eigenheitender praktischen Vernunft. Es geht im Bereich der praktischen Vernunftnicht mehr nur wie in dem der spekulativen um reine Seinserkenntnisse,sondern um Wertungen, die, je konkreter sie werden, um so mehr desrectus appetitus, wir würden sagen : des sittlichen Ernstes und der sittlichenWahrhaftigkeit, bedürfen. Jedoch nicht nur das ist notwendig.Es bedarf auch, wie wir bereits gesehen haben, einer reichen Erfahrung.Diese geht allerdings oft über Irrungen. Aber auch in diesen nimmt derMensch seine Gewissensstimme in Form der Verwerfung wahr. Er kommtalso auch über die irrende Erfahrung langsam, wenn auch unsicher, zukonkreten Werturteilen, die eine geradlinige Vervollkommnung der naturhaftenAnlage darstellen. Da nun alle Glieder der Menschheit in dieserLage sind, daß sie höchster sittlicher Wahrhaftigkeit und zugleich umfassendsterWerterfahrung bedürfen, diese aber nie ganz besitzen, sofolgt, daß das soziologische Werturteil in der Bildung konkreter Rechtsnormenauch dann nicht außer acht gelassen werden darf, wenn es nichtauf der Höhe der Vollkommenheit steht. Anderseits erkennt man schonhier, daß es bei der soziologischen Erhebung nicht bleiben darf, sonderneine Führung durch das positive Gesetz, statuiert von verantwortungsbewußtenPersönlichkeiten, eine unabdingbare Notwendigkeit ist.Man würde aber die naturrechtliche Bedeutung des Rechtsbewußtseinsder Gesellschaft mißkennen, wollte man dieses einfach als ein soziologischesFaktum auffassen, das man wie jede andere Situation in die
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