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Kunststoffe und ihre zeitspezifischen Gestaltungsanforderungen

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<strong>Kunststoffe</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> zeitspezifi schen<br />

<strong>Gestaltungsanforderungen</strong><br />

Kunst-, Design- <strong>und</strong> Architekturgeschichte<br />

Jörn Bensch; Matr. Nr. 4143<br />

Hochschule für Kunst <strong>und</strong> Design Burg Giebichenstein,<br />

Halle (Saale) 2004<br />

1


Inhalt:<br />

1. Einleitung Seite 3<br />

2. Die Entwicklungsgeschichte der <strong>Kunststoffe</strong> Seite 5<br />

3. Die politische Dimension Seite 6<br />

4. Möglichkeiten für die Formgestaltung Seite 7<br />

6. Untersuchung an drei verschiedenen Gestaltungskonzepten Seite 9<br />

6.1 Der LEGO Stein Seite 11<br />

6.2 Verner Panton - Panton Chair Seite 12<br />

6.3 Mario Bellini - Prototyp einer luftgefüllten Verpackung Seite 14<br />

7. Fazit Seite 16<br />

8. Literaturverzeichnis Seite 17<br />

2


„Plastik wird komischerweise immer noch als ein Ersatz für natürliche Materialien be-<br />

trachtet. Das ist Unsinn. Plastik ist ein sehr brauchbares, unabhängiges Material mit<br />

unendlichen ästhetischen Möglichkeiten.“ (Verner Panton, 1926 - 1998)<br />

1. Einleitung<br />

<strong>Kunststoffe</strong> oder auch Plastik bzw. Plaste, das sind makromolekulare organische<br />

Werkstoffe, die entweder synthetisch oder durch die Umwandlung von Naturproduk-<br />

ten hergestellt werden. Die ursprüngliche Rohstoffbasis für <strong>Kunststoffe</strong> war Kohle.<br />

Wirtschaftlich sinnvoller <strong>und</strong> mittlerweile auch dominierend ist jedoch die Verwen-<br />

dung von Erdöl. Etwa 4-5 Prozent der weltweiten Erdölförderung wird heute für die<br />

Kunststoffproduktion bereitgestellt. Daneben wird auch Erdgas verwendet.<br />

Für die Kunststoffherstellung wird Rohbenzin, das sogenannte Naphtha, aus Kohle,<br />

Erdöl oder Erdgas herausdestilliert. In der Folge werden in einem thermischen Spalt-<br />

prozess, dem Cracken, verschiedene Kohlenwasserstoff Verbindungen wie Ethylen,<br />

Propylen <strong>und</strong> Butylen gewonnen. Sie bilden die Basis für die verschiedensten Kunst-<br />

stoffvariationen, die durch Polymerisation, Polykondensation <strong>und</strong> Polyaddition her-<br />

gestellt werden. Diese drei Gruppen werden außerdem, nach <strong>ihre</strong>m Verhalten beim<br />

Erhitzen, in Duroplaste <strong>und</strong> Thermoplaste unterteilt. Die überwiegend als Polykon-<br />

densate oder Poly-Additionsprodukte vorkommenden Duroplaste erhärten nach <strong>ihre</strong>r<br />

Formgebung sofort <strong>und</strong> können selbst durch erneutes Erwärmen nicht mehr umge-<br />

formt werden. Verantwortlich dafür ist <strong>ihre</strong> stark vernetzte Molekülstruktur.<br />

Dahingegen können Thermoplaste, meist wenig vernetzte Polymerisate wie zum Bei-<br />

spiel PVC (Polyvinylchlorid), beliebig oft umgeformt werden.<br />

Der, in unserem Sprachraum für die ganze Werkstoffklasse verbreitete Begriff der<br />

‚<strong>Kunststoffe</strong>ʻ wurde von einer gleichnamigen, 1911 gegründeten, Zeitschrift geprägt.<br />

Der Begriff Plastik oder Plaste, aus dem lateinischen (plastikus = formbar) abgeleitet,<br />

wird daneben auch noch verwendet. In den 20er Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

charakterisierte der spätere Nobelpreisträger Hermann Staudinger alle Stoffe als zu<br />

dieser Klasse zugehörig, die sich durch einen makromolekularen Aufbau auszeich-<br />

nen. Eine genaue Defi nition ist mit dem Hinweis auf die Polymerisation allein jedoch<br />

3


noch nicht gegeben. Auch andere synthetische Werkstoffgruppen werden durch<br />

dieses Verfahren produziert, die nach der gebräuchlichen Defi nition von Ehrenstein<br />

(Polymerwerkstoffe – Struktur, Eigenschaft, Anwendung, 1999) begriffl ich getrennt<br />

betrachtet werden. Dies sind zum Beispiel die so genannten Elastomere, wie Kau-<br />

tschuk bzw. Gummi, die bei der Herstellung auf ähnlichen Prozessen basieren <strong>und</strong><br />

chemisch in dieselbe Kategorie einzuordnen sind. Sie werden aber insbesondere<br />

durch <strong>ihre</strong> unabhängige historische Entwicklung <strong>und</strong> das besondere, elastische Ver-<br />

halten als eigenständige Kategorie angesehen. Desweiteren werden Faserstoffe oder<br />

<strong>Kunststoffe</strong> als Hilfsstoffe, zum Beispiel in Lacken <strong>und</strong> Klebstoffen, gesondert be-<br />

trachtet, auch wenn sie chemisch im Prinzip identisch mit den polymeren Konstrukti-<br />

onswerkstoffen sind. Diese Unterscheidungen beziehen sich also eigentlich mehr auf<br />

die verschiedenen Anwendungsgebiete, als auf tatsächliche Strukturunterschiede.<br />

Auch wenn die Arbeit mit den klassischen <strong>Kunststoffe</strong>n, nach der Unterscheidung<br />

von Ehrenberg, für das Design bei weitem überwiegt, gibt es doch auch interessan-<br />

te Möglichkeiten im Umgang mit anderen Polymerisationsstoffen. Dies belegen in<br />

jüngster Zeit immer mehr Entwürfe unter Einbeziehung von Silikonen, Schaum- <strong>und</strong><br />

Gelstoffen.<br />

Plaste sind nicht nur günstige <strong>und</strong> in großen Mengen verfügbare Werkstoffe, sondern<br />

ihr spezifi scher Charakter kann auch an verschiedene Anforderungen angepasst<br />

werden. Große Teile der Technik, vor allem in der Elektrotechnik, verdanken <strong>ihre</strong><br />

Ausbreitung der Verfügbarkeit von <strong>Kunststoffe</strong>n. Ihre Eigenschaften gehen in vielen<br />

Gebieten über die Möglichkeiten veredelter Naturprodukte hinaus, oder lassen sich<br />

zumindest wesentlich günstiger produzieren. Plaste sind aus unserem Alltag nicht<br />

mehr wegzudenken <strong>und</strong> werden heute bei Haushaltsgeräten <strong>und</strong> Verpackungen, in<br />

der Automobil-, Elektro- <strong>und</strong> Telekommunikationstechnik, im Bauwesen <strong>und</strong> sogar in<br />

der Luft- <strong>und</strong> Raumfahrt eingesetzt.<br />

4


2. Die Entwicklungsgeschichte der <strong>Kunststoffe</strong><br />

Neben anorganischen Stoffen, wie Stein, Metallen <strong>und</strong> Tonwaren werden für unse-<br />

re Objektwelt seit jeher auch organische Materialien, wie Holz, Leder usw. einge-<br />

setzt. Seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert ging man dazu über, Naturstoffe umzuwandeln, das<br />

heißt zu synthetisieren. Frühe synthetische Werkstoffe, wie Linoleum, Vulkanfi ber,<br />

Kunsthorn <strong>und</strong> Zelluloid waren noch das Ergebnis gezielter Veredelungen von Na-<br />

turprodukten. Doch erst die Vollsynthese ermöglichte den Durchbruch für techni-<br />

sche Anwendungen. Nachdem Adolf von Bayer 1872 mit Phenol <strong>und</strong> Formaldehyd<br />

experimentierte, <strong>und</strong> als Ergebnis der chemischen Reaktion eine klebrige, harzige<br />

Substanz erhielt, wertete er diese noch als wertlose „Schmiere“. Auch sein Schüler<br />

Werner Kleeberg, der 1905 den Nobelpreisträger für Chemie erhielt, konnte mit dem<br />

pastösen Stoff noch nichts anfangen. Aber schon 1908 gewann die Entwicklung der<br />

<strong>Kunststoffe</strong> richtig an Fahrt, als der belgische Chemiker Leo H. Baekeland ein Her-<br />

stellungsverfahren für den ersten vollsynthetischen Plastik-Werkstoff, das nach ihm<br />

benannte Bakelit, patentieren ließ. Die Phenolharzpressmassen waren Duroplaste.<br />

Der Rohstoff wurde bei großer Hitze <strong>und</strong> unter hohem Druck in großen Maschinen<br />

gepresst, vor allem für die expandierende Elektroindustrie. Der neue Werkstoff war<br />

insbesondere wegen seiner hohen Festigkeit, Temperatur, Beständigkeit <strong>und</strong> Isolier-<br />

fähigkeit gefragt. Die Einsatzgebiete für das Bakelit reichten dabei von Kleinteilen bis<br />

hin zu Gehäuseformen für Telefone oder Radios. Gestalterisch entwickelte sich erst<br />

im Laufe der Zeit aus den anfänglichen Kunsthandwerksimitationen eine eigene, den<br />

Materialien <strong>und</strong> Produktionsprozessen angemessene Formensprache. Es folgten die<br />

Entwicklung der Harnstoffharze (1924), der Melaminharze (1935) <strong>und</strong> im Bereich der<br />

Thermoplaste das Azetylen, Aetylen, Isobutylalkohol <strong>und</strong> Phenol. Mit den Thermo-<br />

plasten hielt die Spritzgusstechnik Einzug <strong>und</strong> ermöglichte im Zusammenspiel eine<br />

billige Massenverarbeitung. Weitere makromolekulare Verbindungen, wie Polyester,<br />

Silikone, Acryl, Polyamid <strong>und</strong> Fluorocarbonate folgten in unüberschaubarer Viel-<br />

zahl <strong>und</strong> ein Ende der Entwicklung neuer Stoffe mit verschiedensten Eigenschaften<br />

ist auch heute nicht abzusehen. Sie ermöglichen im Herstellungsprozess <strong>und</strong> den<br />

Gestaltungsmöglichkeiten bei Farb- <strong>und</strong> Formengebung große Freiheiten. Die stabi-<br />

len, dauerhaften <strong>und</strong> leicht zu verarbeiten Materialien erschlossen im Laufe der Zeit<br />

weitere Einsatzbereiche von der Möbel- bis zur Textilindustrie. Der Kunststoff-Boom<br />

5


wurde erst mit der Ölkrise eingebremst. Die hohen Rohölpreise <strong>und</strong> einsetzende<br />

Diskussionen über Entsorgungsprobleme <strong>und</strong> Umweltauswirkungen verschlechterten<br />

das Image von Plastik bei Bekleidung <strong>und</strong> Raumausstattung. Die achtziger Jahre wa-<br />

ren geprägt vom Erwachen des ökologischen Bewusstseins <strong>und</strong> einer Renaissance<br />

von Naturmaterialien. Erst die bewusste gestalterische Betonung der besonderen Ei-<br />

genschaften der Plaste konnte, neben der Entwicklung neuer verbesserter Varianten,<br />

diese Makel in den Neunziger Jahren ausgleichen. Freie Farbgebungsmöglichkeiten<br />

bis hin zu transluzenten Erscheinungen <strong>und</strong> die unbeschränkte Formbarkeit bieten<br />

Möglichkeiten für das Design, die mit anderen Materialien kaum oder nur unter gro-<br />

ßem Fertigungsaufwand zu verwirklichen sind. Die Abkehr vom Einsatz als billigem<br />

„Ersatzstoff“ ermöglichte für die <strong>Kunststoffe</strong> mittlerweile eine eigenständige Stellung.<br />

Die Entwicklung zum Beispiel stärke- basierender Biokunststoffe oder Verb<strong>und</strong>stof-<br />

fe aus Kunstharz <strong>und</strong> pfl anzlichen Fasern zerstreuen heute sogar die ökologischen<br />

Bedenken <strong>und</strong> erschließen dabei immer neue Einsatzbereiche. Heute fi nden Mas-<br />

senkunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen <strong>und</strong> Polyvinylchlorid wieder reißenden<br />

Absatz. Der Anteil dieser drei Werkstoffe macht fast zwei Drittel der gesamten Kunst-<br />

stoff-Produktion in Deutschland aus. Die Nachfrage ist ungebrochen, denn die fl exib-<br />

len Eigenschaften der „knetbaren“ Stoffe, so die englische Übersetzung von plastics,<br />

machen ihn für viele Einsatzgebiete attraktiv. Diese Vielseitigkeit erreicht kaum ein<br />

Naturprodukt.<br />

3. Die politische Dimension<br />

Das negative Image der <strong>Kunststoffe</strong> als minderwertige Ersatzstoffe geht wahrschein-<br />

lich auf die ersten Produkte zurück, die unter widrigen Bedingungen Einzug in die<br />

Warenwelt hielten. Ihre Konstruktion <strong>und</strong> Gestaltung war eigentlich noch auf ande-<br />

re, natürliche Werkstoffe ausgerichtet. Aus Gründen der mangelnden Verfügbarkeit<br />

solcher Materialien kamen die <strong>Kunststoffe</strong> erstmals in großen Mengen zum Einsatz.<br />

Dabei konnten die Produkte den Charakter der Notdürftigkeit selten verbergen.<br />

Kunststoff stand lange Zeit, <strong>und</strong> teilweise auch heute noch, für künstliche Surrogate<br />

mit minderwertigem Charakter.<br />

6


Die Autarkiebestrebungen im Deutschland der dreißiger Jahre waren geprägt durch<br />

die propagandistische Verbreitung des damals gerade neu entwickelten Polyvinyl-<br />

chlorid. Die IG Farben lieferten unter dem Handelsnamen „Igelit“ das Ausgangsmate-<br />

rial für alle möglichen <strong>und</strong> unmöglichen Anwendungen.<br />

Auch in der DDR sah man sich genötigt, teuer einzuführende oder nur in geringen<br />

Stückzahlen verfügbare Materialien durch <strong>Kunststoffe</strong> zu ersetzen. Dabei plädierte<br />

man für die Verwendung der Bezeichnung Plaste oder Plastik, offi ziell um die irrtüm-<br />

lichen Ersatzstoff- Assoziationen auszuschließen (vgl: Blank, Brauer, u.a. – 1958).<br />

Sicherlich spielte dabei auch das Bestreben eine Rolle, sich von der vorangegangen<br />

Propaganda der Kriegsjahre abzugrenzen, um eine höhere Akzeptanz bei den poten-<br />

tiellen Benutzern für die neuen Materialien zu schaffen.<br />

Das Zentrum der Rohöl verarbeitenden Industrie in der DDR wurde südlich von Halle<br />

angelegt, als Ausbau schon vorhandener älterer Anlagen. Der Standort Schkopau<br />

stellte dabei den Schwerpunkt für die Kunststoff- Produktion dar. Unter dem Slo-<br />

gan „Plaste <strong>und</strong> Elaste“ wurde für eine zukunftsorientierte Ausrichtung der eigenen<br />

Industrie geworben. Allerdings vermochten weiterhin vorkommende äußerliche Imi-<br />

tationsversuche natürlicher Rohstoffe, das beschädigte Image auch nicht zu verbes-<br />

sern. Kunstleder im Fahrzeug- <strong>und</strong> Möbelbau, Kunstharz getränkte Pressspanhölzer,<br />

verschieden bedruckte Linoleum-Böden in Holz- oder Steinanmutung waren in keiner<br />

Weise geeignet, den <strong>Kunststoffe</strong>n einen angemessen Rang in der Materialwelt zu<br />

gewähren. Sie blieben Indikator einer allgemeinen Mangelsituation.<br />

5. Möglichkeiten für die Formgestaltung<br />

Als besondere Eigenschaften von Plasten, auch wenn sie nicht jedem Plast in glei-<br />

chem Maße entsprechen (vgl: Blank, Brauer, u. a. – 1958; S.8) können Folgende<br />

Attribute angesehen werden: Ein niedriges spezifi sches Gewicht, eine geringe Wär-<br />

meleitfähigkeit, gute elektrische Werte, <strong>ihre</strong> Resistenz gegen aggressive Stoffe,<br />

Geschmacks- <strong>und</strong> Geruchlosigkeit, gute akustische <strong>und</strong> thermische Dämmeigen-<br />

schaften <strong>und</strong> Färbbarkeit. Ein besonderer Oberfl ächenschutz ist nicht nötig. Die<br />

mechanischen Werte variieren sehr stark, was sie für die verschiedensten Anwen-<br />

7


dungen tauglich macht. Besonders hohe Festigkeiten bei geringem Gewicht lassen<br />

sich mit Verb<strong>und</strong>stoffen erreichen (Glas-, Kohle- oder Naturfaserverb<strong>und</strong>stoffe).<br />

Als hochmolekulare organische Verbindungen besitzen <strong>Kunststoffe</strong> jedoch nur eine<br />

eingeschränkte thermische Festigkeit. Temperaturen über 150 Grad C führen früher<br />

oder später zur thermischen Zersetzung.<br />

Duroplaste werden unter anderem bei Fernseh- <strong>und</strong> Radiogehäusen, Schaltern <strong>und</strong><br />

Steckdosen eingesetzt. Aus Thermoplasten werden Behälter, Rohrleitungen <strong>und</strong><br />

Kabel gefertigt. Man kann also feststellen: „<strong>Kunststoffe</strong> sind das ‚Chamäleonʻ der<br />

Werkstoffe <strong>und</strong> daher ein von Designern gern genutzter Werkstoff.“ (vgl.: Bonten,<br />

2003) Der größte Vorteil der <strong>Kunststoffe</strong> im vergleich zu herkömmlichen Konstrukti-<br />

ons-werkstoffen liegt vermutlich im günstigen Preis- Leistungs- Verhältnis, auch wenn<br />

ihr Materialpreis relativ hoch ist. Besonders bei der Produktion großer Stückzahlen<br />

machen sich die besonderen Verarbeitungsmöglichkeiten bemerkbar, die bei indus-<br />

trieller Produktionsweise, eine relativ einfache <strong>und</strong> damit auch kostengünstige Her-<br />

stellung der Formen erlauben. Die hohe Gestaltungsfreiheit bei der Anwendung von<br />

Urformverfahren profi tiert nochmals von der vergleichsweise niedrigeren Schmelz-<br />

temperatur. Planung <strong>und</strong> Entwurf geraten dabei relativ komplex, weil die spätere<br />

Produktionsweise schon berücksichtigt werden muss. Deshalb arbeiten Designer<br />

in diesem Bereich auch Hand in Hand mit den Entwicklungsingenieuren. Die Arbeit<br />

an der äußeren Gestaltung auf der einen, <strong>und</strong> die Berücksichtigung des inneren<br />

Aufbaus bzw. der Produktion auf der anderen Seite dürfen dabei nicht unabhängig<br />

voneinander geschehen <strong>und</strong> sind wechselseitig abhängig. Zwei Herstellungstechni-<br />

ken für Produkte aus <strong>Kunststoffe</strong>n werden gr<strong>und</strong>sätzlich unterschieden: Einerseits<br />

das Urformverfahren, bei dem ein formloser Ausgangsstoff (Schmelze/Pulver/Gra-<br />

nulat) einen festen Körper zu formen. Beispiele dafür sind das Spritzgieß- <strong>und</strong> das<br />

Strangpressverfahren. Andererseits kann aus einem bestehenden Werkstück, durch<br />

gezielte Änderungen der Form oder Oberfl äche, ein neues Objekt hergestellt werden.<br />

Solche Bearbeitungen werden Umformverfahren genannt. Dazu gehört das Tiefzie-<br />

hen, Blasen, Schweißen, <strong>und</strong> Pressen von Rohlingen.<br />

8


6. Untersuchung an drei verschiedenen Gestaltungskonzepten<br />

In diesem Kapitel möchte ich an drei Beispielen die Bandbreite der Kunststoffanwen-<br />

dungen aufzeigen. Der Legostein ist, wie kaum ein anderes Produkt, mit der Ent-<br />

wicklung der Kunststoffi ndustrie verb<strong>und</strong>en. Außerdem stellt er als Designobjekt eine<br />

Arbeit dar, deren Form <strong>und</strong> Funktion ohne die Möglichkeiten der neuen Werkstoffe<br />

kaum vorstellbar ist.<br />

Ein Klassiker des Industrial Design ist auch der Panton Chair, der komplett aus<br />

Kunststoff besteht <strong>und</strong> in einem Stück gefertigt wird. Verschiedene Werkstoffeigen-<br />

schaften <strong>und</strong> Herstellungsverfahren haben bei diesem Sitzmöbel unterschiedliche<br />

gestalterische Details hinterlassen. Selbstbewusst geht der Entwurf des Freischwin-<br />

gers auf die konstruktiven <strong>und</strong> produktionstechnischen Eigenheiten der verwendeten<br />

Materialien ein <strong>und</strong> erreicht dabei eine beachtliche skulpturale Qualität. Der Stuhl ist<br />

sicher kein Massenprodukt für jeden Haushalt. Mit seiner Zeichenhaftigkeit steht er<br />

aber, wie kaum ein anderes Produkt für die neue Ära der Plaste.<br />

Der letzte vorgestellte Entwurf kommt aus einem Randgebiet der Anwendungs-<br />

möglichkeiten, zeigt dabei aber im wahrsten Sinne des Wortes die Flexibilität der<br />

<strong>Kunststoffe</strong> auf. Auch wenn Mario Bellinis luftgefüllte Schreibmaschinenverpackung<br />

ein Exot der Verpackungswelt ist, spielt er doch effektvoll mit den Möglichkeiten des<br />

Materials.<br />

9


Abb. 1<br />

Abb. 2 Abb. 3<br />

Abb. 4 Abb. 5<br />

10


6.1 Der LEGO Stein<br />

Wie kaum ein anderes Produkt spiegelt der LEGO Stein (Abb. 1) die scheinbar un-<br />

begrenzten Variationsmöglichkeiten seines Werkstoffes in übertragenem Maße wider<br />

<strong>und</strong> ist dabei noch untrennbar mit der Verbreitungsgeschichte der Plaste verb<strong>und</strong>en.<br />

In der kleinen jütländischen Ortschaft Bill<strong>und</strong> kaufte der Tischlermeister Ole Kirk<br />

Christiansen 1947 die erste Spritzgussmaschine Dänemarks. Bis dahin wurden in<br />

seinem kleinen Betrieb vorrangig Holzspielzeuge produziert. Um den Anschluss<br />

bei der Verbreitung von Kunststoffartikeln nicht zu verpassen, experimentierte man<br />

deshalb mit Entwürfen verschiedenster Art. In Anlehnung an die Kiddicraft Klötzchen<br />

in England <strong>und</strong> die Anker-Stein Baukästen aus dem thüringischen Rudolstadt, bei-<br />

de noch aus Naturmaterialien bestehend, wurde 1949 der Automatic Binding-Brick<br />

entwickelt. Dieser Noppenstein wurde noch im selben Jahr zum Patent angemeldet<br />

<strong>und</strong> später in „LEGO Mursten“ (Mauerstein) umgetauft. Er war zunächst noch kein<br />

Verkaufsschlager, vor allem deshalb, weil die Verbindungen nicht sonderlich sicher<br />

waren. Der Markenname LEGO ist übrigens aus dem dänischen „leg godt“ abgeleitet<br />

- auf deutsch „spiel gut“, was mit lateinischer Deutung aber auch als „Ich sammle“<br />

oder „Ich spiele“ gelesen werden kann.<br />

Nach weiteren Variationen patentierte der Sohn Godtfred Kirk Christiansen 1958<br />

schließlich die bekannte Kupplungsform mit Noppen auf der Oberseite <strong>und</strong> nach<br />

unten gerichteten Röhren im Inneren, was nach vielen Versuchen endlich eine zuver-<br />

lässige, robuste <strong>und</strong> stabile Steckverbindung gewährleistete.<br />

Die konsequente Einhaltung des „LEGO System“ ermöglicht zudem bis heute Bau-<br />

kasten übergreifende, grenzenlose Kombinationsmöglichkeiten. Auch wenn im Laufe<br />

der Zeit eine ganze Reihe von Spezialsteinen <strong>und</strong> Zusatzelementen in den Verkauf<br />

gebracht wurden, bezieht sich die ganze Serie doch auf eine einheitliche Gr<strong>und</strong>ma-<br />

trix mit einer überschaubaren Zahl von Gr<strong>und</strong>elementen.<br />

Die Basis wird bis heute von der achtknöpfi gen Urform gebildet.<br />

Nach <strong>und</strong> nach wurden ganze Bausätze mit Anleitung <strong>und</strong> Themenwelten bis hin zu<br />

den LEGO-Technics Baukästen entwickelt.<br />

Für die Weiterentwicklung <strong>und</strong> weitere Differenzierung wurde sogar eine Entwick-<br />

lungsabteilung, die LEGO Futura, eingerichtet. Neben der Ausarbeitung von themen-<br />

spezifi schen Programmen, wie Weltraum- Piraten- <strong>und</strong> Indianerwelten kümmern sich<br />

11


die Mitarbeiter auch um eine stetige Verbesserung der Produktqualität. Unter einem<br />

schweizer Chemie-Ingenieur wurde das vorher verwendete Celluloseazetat durch<br />

ABS (Acrylnitril-Budatien-Styrol), ein Thermoplast, abgelöst, das die Klötzchen bei<br />

größerer Spannkraft stabiler macht <strong>und</strong> eine frischere Farbgebung ermöglicht.<br />

1998 lag die weltweite Produktion von LEGO-Steinen bei vier Billionen Stück, die<br />

zahlreichen Plagiate nicht mit eingerechnet. Das entspricht 25 Millionen Packungen.<br />

In Bill<strong>und</strong> wurde Ende der sechziger Jahre auch das erste LEGOLAND eröffnet, als<br />

Darstellungsfl äche der Möglichkeiten im Umgang mit den Spielsteinen. Miniaturge-<br />

bäude, ganze Städte, aber auch Tier- <strong>und</strong> Menschenfi guren sind hier zu bestaunen,<br />

stilecht aus den Noppensteinen gefertigt. Mittlerweile kann man weitere LEGO- Wel-<br />

ten in Deutschland, den USA <strong>und</strong> England besuchen.<br />

Die Entsorgungsproblematik wird vom LEGO Marketing dadurch relativiert, dass sie<br />

empfehlen, die bunten Steine einfach nicht zu entsorgen, sondern einfach immer<br />

weiter zu spielen. Das ist in Anbetracht der Langlebigkeit des Produktes, in gestal-<br />

terischem wie materialspezifi schem Sinne, gar nicht so abwegig. Der hohe formale<br />

Abstraktionsgrad der Bausteine <strong>und</strong> die werkstoffl iche Strapazierfähigkeit, macht sie<br />

zu echten Dauerläufern.<br />

Kuriositäten des LEGO Universums lassen sich in immer neuen Rekordversuchen im<br />

LEGO-Stein-Turmbau fi nden, oder wenn die Spielsteine als Basis für künstlerische<br />

Arbeiten, wie die umstrittenen „KZ-Kästen“ von Zbigniew Libera, Verwendung fi nden.<br />

In der Tradition der Spielsteine, die zu allen denkbaren Formen zusammengesetzt<br />

werden können steht auch die noch junge Bewegung der Brick-Movies, bei denen<br />

Figuren <strong>und</strong> Steinchenwelten das Universum kleiner Stop-Motion Animationen bilden.<br />

Mit Vorliebe werden dabei Klassiker der Filmgeschichte karikiert.<br />

6.2 Verner Panton - Panton Chair<br />

Ein Beispiel dafür, wie Werkstoffe die Formgestaltung beeinfl ussen können, ist der<br />

zum Designklassiker gewordene „Panton Chair“ (Abb. 2).<br />

Verner Panton (geb. 1926 in Gamtofte, Dänemark), der Gestalter des nach ihm be-<br />

nannten Sitzmöbels, war von 1950 bis 1955 Assistent bei Arne Jacobsen.<br />

12


Seine oft visionären <strong>und</strong> manchmal auch exzentrischen Entwürfe, brachten ihm<br />

schnell den Ruf als „umstrittensten Designer Dänemarks“ ein. Mit neuen Techniken<br />

<strong>und</strong> Materialien interpretierte er bekannte Objekte auf eine völlig neue Weise. Dafür<br />

stehen seine Ideen für Luftkissenmöbel, Kegel-Sessel <strong>und</strong> ganze Beleuchtungs-sze-<br />

narien. 1962 siedelte er nach Basel um. Der Bayer-Konzern engagierte ihn Ende der<br />

60er Jahre, um verschiedene Technologien für Plastik, Schaumstoffe <strong>und</strong> Kunstfa-<br />

sern populär zu machen. Das Projekt „Visiona“ als Durchgestaltung eines komplet-<br />

ten Reisedampfers brachte 1968 <strong>und</strong> 1970 neben Teppichen, Möbeln <strong>und</strong> Lampen<br />

seinen wohl bekanntesten Entwurf hervor, den Panton-Stuhl. Im Design Lexikon<br />

- Skandinavien wird er als „einer der großen Würfe des an Innovationen gewiss nicht<br />

armen 60er-Jahre Designs“ gewürdigt. Mit dem Konzept eines einteiligen Kunststoff-<br />

Freischwingers hatten sich damals schon mehrere Designer beschäftigt (vgl.: Abb.<br />

3 von Gunnar Aagaard Andersen 1952/53 ), aber Verner Panton gelang die erste<br />

Umsetzung. Später folgte mit der „Visiona 2“ noch die erste vollsynthetische Wohn-<br />

landschaft.<br />

Auf der Suche nach dem besten Kompromiss aus gestalterischen produktionstechni-<br />

schen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Ansprüchen wurden bei der Herstellung des Stuhles seit<br />

1967 vier verschiedene Materialien bei teilweise unterschiedlichen Produktionstech-<br />

niken eingesetzt. Die erste Vorserie von 1967/68 mit einem Volumen von 100 bis 150<br />

Stück wurde in glasfaserverstärktem Polyesterharz ausgeführt. Die Laminiertechnik<br />

bedingte eine geringe <strong>und</strong> durchgehend gleiche Wandstärke, bei einer nicht voll-<br />

kommen glatten Oberfl äche <strong>und</strong> relativ scharfkantigen Rändern. Insgesamt wirken<br />

die Exemplare dieser Serie sehr leicht <strong>und</strong> elegant. Daraufhin wurde Polurethan-<br />

Hartschaum eingesetzt, was den Herstellungsprozess wesentlich vereinfachte. Die<br />

Verwendung von Polyurethan oder auch kurz PUR, lohnt sich vor allem bei größeren,<br />

formkomplexen Objekten, <strong>und</strong> schon bei der Produktion geringer Stückzahlen, da<br />

die Gusswerkzeuge beim Ausschäumen nur geringe Drücke ertragen müssen <strong>und</strong><br />

deshalb einfach ausgeführt sein können. Allerdings wurde eine aufwändige Oberfl ä-<br />

chen-Nachbearbeitung des aufgeschäumten Rohlings mit Spachteln, Schleifen <strong>und</strong><br />

Lackieren notwendig. Die unterschiedlichen Wanddicken dieser Ausführung heben<br />

mehr die organisch-skulputurale Seite hervor. Zwischenzeitlich wurde auch die effek-<br />

tive Fertigung durch das Spritzgießverfahren in Polystyrol praktiziert. Dabei waren<br />

nach dem Urformen des eingefärbten Granulats zwar keine weiteren Nachbearbei-<br />

13


tungsschritte nötig, aber Zerfallserscheinungen des Materials veranlassten 1979 die<br />

Einstellung dieser Serie. Die Modelle aus Polystyrol wiesen eine verbreiterte Aus-<br />

senkante <strong>und</strong> zusätzliche Rippen am Übergang von Fuß- <strong>und</strong> Sitzfl äche auf um eine<br />

ausreichende Steifi gkeit sicherzustellen.<br />

Die bisher aktuellste Ausgabe von 1999 aus glasfaserverstärktem Polypropylen wird<br />

auch im preiswerten Spritzgussverfahren hergestellt. Da der Werkstoff ebenfalls recht<br />

fl exibel ist, bedarf es auch einer relativ breiten Seitenkante. Der hohen Kratzempfi nd-<br />

lichkeit wird eine matte Oberfl ächenausführung entgegengesetzt.<br />

Der „Panton Chair“ ist stapelbar <strong>und</strong> besteht aus nur einem Stück. Er ist das erste<br />

komplett aus einem Material bestehende <strong>und</strong> in nur einer Werkzeug-Form spritzge-<br />

gossene Sitzmöbel.<br />

6.2 Mario Bellini – Prototyp einer aufblasbaren Verpackung<br />

Aufblasbare Objekte zeichnen sich insbesondere durch <strong>ihre</strong> Elastizität, Leichtigkeit,<br />

Transformierbarkeit aus. Gestalterisch lässt sich vor allem bei der Verwendung trans-<br />

luzenter Hüllen ein fast immaterielles Erscheinungsbild erreichen.<br />

Daneben sind die Formen wesentlich durch <strong>ihre</strong> Füllung, die Luft, geprägt. Die gleich-<br />

mäßige Ausbreitung der Druckverhältnisse führt zu eher r<strong>und</strong>en Formen, die Kom-<br />

pressionsfähigkeit von Gasen ermöglicht dabei eine hohe Elastizität.<br />

Auch wenn die Gestaltung aufblasbarer Objekte eher als ein Randphänomen des<br />

Design betrachtet wird, ist diese in unserer Alltagswelt doch recht weit verbreitet.<br />

Nicht nur Schwimmringe <strong>und</strong> Hüpfburgen, sondern auch Airbags <strong>und</strong> luftgefüllte<br />

Schuhsohlen bis hin zu Möbeln <strong>und</strong> aufblasbaren Lufttraghallen. Besonders im Be-<br />

reich der Sicherheitstechnik sind sie unentbehrlich, wie zum Beispiel bei Rettungsin-<br />

seln für die Schifffahrt, Notrutschen an Flugzeugen usw. In vielen Bereichen fi nden<br />

sich Anwendungsmöglichkeiten <strong>und</strong> -notwendigkeiten für den Einsatz luftgefüllter<br />

Formen. Die Vorteile liegen auf der Hand: ein Maximum an Stabilität <strong>und</strong> Schutz<br />

bei sehr geringem Materialaufwand, niedrigem Gewicht <strong>und</strong> variablem Volumen.<br />

Als John Dunlop 1888 den aufblasbaren Fahrradreifen erfand, ahnte er wohl noch<br />

nicht, dass sich dieses Prinzip später in so vielen unterschiedlichen Bereichen wieder<br />

14


fi nden wird. Ihre positive Ausstrahlung, mag neben der relativen Ausgefallenheit an<br />

der weichen Habtik <strong>und</strong> der organischen Erscheinung liegen. „Die produktionsbedingt<br />

meist r<strong>und</strong>en <strong>und</strong> unter Druck prallen Formen rufen Assoziationen zum menschlichen<br />

Körper hervor. Die Objekte fassen sich gut an <strong>und</strong> die Tatsache, dass wir sie mit un-<br />

serem Atem in Form bringen, verleiht ihnen etwas Lebendiges.“ (Prodʼhom, 2000)<br />

Die Weiterentwicklung der <strong>Kunststoffe</strong> <strong>und</strong> neuartige Techniken, wie das elektrische<br />

Schweißen von PVC, erlaubten in den siebziger Jahren die Herstellung dünner <strong>und</strong><br />

trotzdem fester Nähte. So ist es nicht überraschend, dass gerade in der Popart,<br />

aufblasbare Objekte mit Kunstoffhüllen <strong>ihre</strong>n ersten Höhepunkt erlebten. Sie galten<br />

als anti-konservativ, frech <strong>und</strong> fantasievoll. Nach der Ölkrise <strong>und</strong> dem eintretenden<br />

Umweltbewusstsein wurden sie zunächst uninteressant als Ausdruck utopischer<br />

Wohn- <strong>und</strong> Lebensvorstellungen. Heute halten sie im Gefolge der Kunststoffrenais-<br />

sance wieder Einzug <strong>und</strong> zitieren dabei häufi g Elemente der alten Vorbilder. Auch in<br />

das Verpackungswesen halten sie teilweise wieder Einzug. Ein wichtiger Vorläufer ist<br />

sicherlich der Prototyp einer aufblasbaren Schreibmaschinenverpackung, die Mario<br />

Bellini 1987 für die ETP55 Schreibmaschine von Olivetti entworfen hat (Abb. 4-5).<br />

Das transparent gehaltene PVC gibt den Blick auf das Gerät im Inneren frei, ohne<br />

dabei seine Schutzfunktion zu vernachlässigen. Mario Bellini, 1935 in Mailand ge-<br />

boren, hat das Olivetti Design der 60er - 80er Jahre maßgeblich geprägt. Zu seinen<br />

Entwürfen gehörten Rechenmaschinen <strong>und</strong> die zum Klassiker gewordene Schreib-<br />

maschine Lettera 92 (1971). Für Yamaha entwarf er den Kassettenrecorder TC 800<br />

<strong>und</strong> für Brionvega verschiedene Stereosysteme <strong>und</strong> Fernsehgeräte. Die aufblasbare<br />

PVC-Hülle der Schreibmaschine ist keineswegs ein Sonderfall seiner Arbeit, sondern<br />

folgt konsequent dem Prinzip, empfi ndliche Komponenten zu umhüllen. Neben sei-<br />

nen Produktentwürfen ist der Stuhl „Cassina“ von 1978 ein bezeichnendes Beispiel<br />

dafür. Er besteht aus einem Lederoverall, der über ein Metallgerüst gezogen wird.<br />

Bellinis Entwürfe sollen neben dem funktionalen immer auch einen emotionalen Nut-<br />

zen haben. Sie haben dabei aber keinen Endgültigkeitsanspruch, sondern verkörpern<br />

nur eine bestimmte Erscheinungsmöglichkeit. Gestaltung ist für Bellini Neuorganisa-<br />

tion der Umwelt. Nach eigener Aussage betreibt er „Design als Architekt“. In diesem<br />

Kontext erfüllt die außergewöhnliche <strong>und</strong> originelle Verpackung der ETP55 nicht nur<br />

<strong>ihre</strong> Funktion als Schutzhülle <strong>und</strong> Tragetasche, sondern ist gleichzeitig die Präsenta-<br />

tionsfl äche <strong>ihre</strong>s Inhaltes, dem sie damit eine besondere Originalität verleiht.<br />

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7. Fazit<br />

Nach einem Jahrh<strong>und</strong>ert sind die <strong>Kunststoffe</strong> mittlerweile als alltägliche Werkstoffe in<br />

vielen Bereichen vertreten <strong>und</strong> auch akzeptiert. Den Makel des Ersatzstoffes <strong>und</strong> der<br />

Imitation konnten sie hinter sich lassen. Die Normalisierung der Bewertung zeigt sich<br />

auch dadurch, dass der Gebrauch des Materials heute nicht mehr polarisiert, wie es<br />

noch beim Panton Chair der Fall war. Das Material allein ist als Imageträger oder als<br />

Auslöser von Kontroversen kaum noch geeignet. In den Vordergr<strong>und</strong> treten vielmehr<br />

die (produktions-) technische Angemessenheit sowie die gestalterische Qualität der<br />

Entwürfe. Hier zeigen unorthodoxe Anwendungen originelle <strong>und</strong> ausdrucksstarke<br />

Bespiele, die auch für das Design viele Möglichkeiten bieten.<br />

So verlockend optische <strong>und</strong> haptische Immitaionsmöglichkeiten natürlicher Werk-<br />

stoffe durch <strong>Kunststoffe</strong> auch sein mögen, haben sie doch eher für ein negatives<br />

Billig-Image gesorgt. Erst die Betonung der werkstoffl ichen Identität macht Anerken-<br />

nung möglich. Neben früheren Forderungen nach der ausschließlichen Bezeichnung<br />

„Plaste“ werden sie mancherorts sogar als „Innovationsstoffe“ bezeichnet (vgl.: Klein,<br />

G. - Design für Innovationsstoffe. <strong>Kunststoffe</strong>, S.37)<br />

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Literaturverzeichnis<br />

BLANK, BRAUER, u.a. (1958): Plaste – Neue Werkstoffe für eine neue Technik,<br />

Verlag die Wirtschaft, Berlin<br />

BONTEN, Christian (2003): Kunststofftechnik für Designer,<br />

Carl Hanser Verlag München Berlin<br />

FIELL, Charlotte & Peter (1997): 1000 chairs,<br />

Benedikt Taschen Verlag<br />

HÖHNE, Günter (2001):<br />

Penti, Erika <strong>und</strong> Bebo Sher - Die Klassiker des DDR-Designs,<br />

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag<br />

KLEIN, G. (2000): Design für Innovationsstoffe. <strong>Kunststoffe</strong><br />

NEUMANN, Claudia (2002): Design Lexikon Italien<br />

Dumont Literatur- <strong>und</strong> Kunstverlag<br />

POLSTER, Bernd (1999): Design Lexikon Skandinavien,<br />

Dumont Literatur- <strong>und</strong> Kunstverlag<br />

PRODʼHOM, Chantal: Blow Up - Geformte Luft in Design, Architektur, Mode u. Kunst<br />

Vitra Design Museum<br />

Original: SUNIER, Sandra u. Moulinier, Magali (2000): Air en forme<br />

Musee de design et dʻarts appliques/contemporains<br />

UHLE, Margret (1998): Die Lego Story – der Stein der Weisen,<br />

Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter, Wien<br />

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