58. Die Weiße Frau – Ein Gespenst macht Geschichte
58. Die Weiße Frau – Ein Gespenst macht Geschichte
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nung zum Lord-Protektor von England abzutrotzen. Er wollte dadurch<br />
vor allem seine immensen Schulden loswerden und verkündete, die<br />
Königin, „geistig ebenso krumm und schief wie körperlich“, werde sich<br />
nicht widersetzen. <strong>Die</strong> Revolte scheiterte und nun hatte Essex seine Rolle<br />
ausgespielt. Man verurteilte ihn am 24. Februar 1601 als Hochverräter<br />
zum Tode. „Alles, was er mir angetan hat, kann ich verzeihen, aber ich<br />
kann niemandem vergeben, der England schaden will“, sagte Elisabeth<br />
und unterzeichnete <strong>–</strong> anders als im Fall Maria Stuart <strong>–</strong> das Urteil ohne<br />
Zögern. Essex wurde am 25. Februar 1601 im Hof des Tower geköpft.<br />
Königin Elisabeth I.<br />
<strong>Ein</strong>st hatte Elisabeth an Essex geschrieben: „Vertraut nicht allzu blind<br />
auf Euer morsches Schiff, denn das Glück ist auf dem Ozean nicht immer<br />
gewogen.“<br />
<strong>58.</strong> <strong>Die</strong> <strong>Weiße</strong> <strong>Frau</strong> <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> <strong>Gespenst</strong><br />
<strong>macht</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
Bevor Napoleon I. am 14. Mai 1812 auf seinem Feldzug nach Russland<br />
in Bayreuth abstieg, hatte er von Aschaffenburg einen Kurier vorausgeschickt.<br />
Seine Instruktion lautete: Der Kaiser wolle keinesfalls jene<br />
Gemächer bewohnen, in denen nachts die <strong>Weiße</strong> <strong>Frau</strong> zu erscheinen<br />
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pflege. Napoleons Furcht vor dem Hohenzollerngespenst besaß gute<br />
Gründe.<br />
Als der Brandenburger Kurfürst Albrecht Achilles, einer der stärksten<br />
Männer seiner Zeit, am 11. März 1486 bei der Königswahl in Frankfurt/<br />
Main starb, geschah in seinem Bayreuther Schloss Erschreckliches. Mehrere<br />
Wachtposten erspähten um Mitternacht eine weißgekleidete <strong>Frau</strong>engestalt,<br />
die ebenso schweigend wie drohend durch die Flure streifte. Es<br />
war das erste Mal, dass dieses <strong>Gespenst</strong> auftauchte.<br />
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„Gehüllt in weiße Witwentracht,<br />
Im weißen Nonnenschleier,<br />
So schreitet sie um Mitternacht<br />
Durch Burg und Schlossgemäuer“,<br />
dichtete später der Romantiker Christian Graf zu Stolberg.<br />
Schon zwei Jahre nach Albrechts Tod wurde die <strong>Weiße</strong> <strong>Frau</strong> auf der ebenfalls<br />
den Hohenzollern gehörenden Plassenburg bei Kulmbach gesichtet.<br />
Böse Zungen behaupteten, dahinter stecke ein Fräulein von Rosenau,<br />
das derart kostümiert ungehinderten Zugang bei ihrem Galan bekam.<br />
Im Berliner Schloss trieb sich die <strong>Weiße</strong> <strong>Frau</strong> mehrfach herum. Am 1.<br />
Januar 1598 trat sie drohend vor den Kurfürsten Johann Georg. Der<br />
hatte die Geliebte seines Vaters, die „Schöne Gießerin“ Anna Sydow,<br />
entgegen seinem Versprechen in der Festung Spandau einsperren lassen,<br />
wo sie 1575 starb. Als Strafe für diesen Wortbruch sei ihm die <strong>Weiße</strong><br />
<strong>Frau</strong> erschienen. Acht Tage später war Johann Georg tot.<br />
Auch die Kurfürstin Luise Henriette, eine eher nüchterne Dame aus<br />
den Niederlanden, hatte kurz vor ihrem Tod Ende Juni 1667 eine<br />
merkwürdige Begegnung. Gemeinsam mit ihren Kammerjungfern<br />
sah sie die <strong>Weiße</strong> <strong>Frau</strong> an ihrem Schreibtisch sitzen. Ihr Gemahl, der<br />
Große Kurfürst Friedrich Wilhelm, starb 1688. Kurz zuvor berichtet<br />
der Hofprediger Anton Brunsenius vom Auftauchen des Hohenzollerngespenstes.<br />
Im Februar 1713 erschien dem ersten Preußenkönig Friedrich I. kurz<br />
vor seinem Ableben eine weiße <strong>Frau</strong>engestalt mit Leuchter und Altarkreuz.<br />
Offenbar wollte sie den in Glaubensdingen eher desinteressierten<br />
Monarchen zu letzter Buße und Reue ermahnen.
Bei so vielen Begebenheiten stellte sich natürlich die Frage, ob eine<br />
historische Gestalt hinter der <strong>Weiße</strong>n <strong>Frau</strong> steckte. So stießen die Gelehrten<br />
auf die 1351 gestorbene Gräfin Kunigunde von Orlamünde.<br />
Sie hatte sich als Witwe in den Nürnberger Burggrafen Albrecht den<br />
Schönen von Hohenzollern verliebt. Er wies sie jedoch zurück mit der<br />
Bemerkung, zwischen ihnen stünden vier Augen im Wege. <strong>Ein</strong> Chronist<br />
berichtet weiter, „Kunigunde tötete alsbald in ihrem Liebeswahn<br />
mit eigener Hand ihre zwei Kinder, indem sie ihnen eine Nadel in den<br />
Kopf stieß.“<br />
Der entsetzte Albrecht konnte den Irrtum nicht mehr rückgängig machen,<br />
denn mit den „vier Augen“ meinte er seine Eltern, die einer Heirat<br />
nie zugestimmt hätten. Gräfin Kunigunde ging auf Pilgerfahrt nach<br />
Rom, wo ihr der Papst das Versprechen abnahm, ein Kloster zu stiften.<br />
Im Tal von Berneck bei Nürnberg gründete sie daraufhin das Kloster<br />
Himmelskron und trat dort als (weiß gekleidete) Novizin ein.<br />
<strong>Die</strong>se fromme Kindsmörderin konnte natürlich nur Unheil verkünden.<br />
Am Vorabend der Schlacht bei Saalfeld am 10. Oktober 1806 erschien<br />
sie im Rudolstädter Schloss dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen,<br />
wie dessen Adjutant Karl von Nostitz berichtet. Am folgenden Tag fand<br />
der Prinz im Reitergefecht den Tod.<br />
Kaum weniger glimpflich kam ein anderer Militär davon. Im Frühjahr<br />
1809 übernachtete der französische Kürassier-General Jean-Louis<br />
d’Espagne im Schloss zu Bayreuth. Kurz nach Mitternacht wurden seine<br />
Ordonnanzoffiziere durch einen furchtbaren Schrei geweckt; den General<br />
fanden sie unter einem umgestürzten Bett. Zitternd berichtete er, wie<br />
eine weiße <strong>Frau</strong>engestalt gedroht habe, ihn zu erwürgen. Wenige Tage<br />
später kam d’Espagne in der Schlacht bei Aspern ums Leben.<br />
Sein Bericht beeindruckte offenbar auch Napoleon I., weshalb er die eingangs<br />
geschilderte Vorsichtsmaßnahme ergriff. Trotzdem verbrachte der<br />
Kaiser eine äußerst unruhige Nacht im Bayreuther Schloss. Am nächsten<br />
Morgen verließ er das Gebäude laut Augenzeugen mit den Worten „Ce<br />
maudit château!“ (<strong>Die</strong>ses verfluchte Schloss). Wahrscheinlich hatte der<br />
Hohenzollern-Hausgeist Napoleon seinen baldigen Untergang vorausgesagt.<br />
Merkwürdig war nur, dass man 1822 nach dem Tod des Schlosskastellans<br />
in dessen Nachlass ein langes weißes <strong>Frau</strong>enkleid entdeckte...<br />
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