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Ein Israel-Artikel in der Kirchenverfassung? - BCJ

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2und ferner, ob die vorgeschlagene Formulierung <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> theologischen Fragestellunggerecht wird. Im Blick darauf gibt es zunächst e<strong>in</strong>e Reihe von ungeklärten Fragen,die aber dr<strong>in</strong>gend <strong>der</strong> Klärung bedürften, dann aber auch e<strong>in</strong>e Reihe von Bedenken und<strong>E<strong>in</strong></strong>wänden, die gegen die vorgeschlagene Novellierung <strong>der</strong> <strong>Kirchenverfassung</strong> sprechen.Ohne Anspruch auf Vollständigkeit <strong>der</strong> Aspekte und ohne ihre umfassende Behandlung willich e<strong>in</strong>ige Punkte andeuten, an denen Klärungsbedarf besteht und an denen <strong>E<strong>in</strong></strong>wände nötigs<strong>in</strong>d:1) Es ist e<strong>in</strong> bewährter Grundsatz gerade lutherischer <strong>Kirchenverfassung</strong>en, dass <strong>der</strong> Bekenntnisstand- eben dieser ist im Grundartikel <strong>der</strong> Verfassung wie<strong>der</strong>gegeben! - nicht <strong>der</strong>Gesetzgebung unterliegen. Welche Gründe gibt es, dass dieser gute Grundsatz nunaufgegeben wird?Gibt es dazu e<strong>in</strong> Rechtsgutachten mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>schlägigen Erörterung? Warum wirddieses nicht den Kirchenvorständen und Gremien vorgelegt, die e<strong>in</strong>e Stellungnahmeabgeben sollen?Will man unbed<strong>in</strong>gt durch die <strong>Kirchenverfassung</strong> die Beziehung zu den Vertretern <strong>der</strong>jüdischen Kultusgeme<strong>in</strong>den stärken, dann böte sich z. B. nach dem Art. 6 über die„Stellung zu an<strong>der</strong>en Kirchen ...“ <strong>der</strong> <strong>E<strong>in</strong></strong>schub e<strong>in</strong>es Art. 6a mit <strong>der</strong> Stellung zumJudentum an: unter Ausklammerung <strong>der</strong> wirklich schwierigen hermeneutischen Fragen(s. u.), aber als e<strong>in</strong> (h<strong>in</strong>reichend) deutliches Signal nach außen wie nach <strong>in</strong>nen.Die Gremien, die jetzt Stellung nehmen sollen, sollten erfahren, ob diese und ggf. an<strong>der</strong>eAlternativen geprüft wurden und welche womöglich zw<strong>in</strong>genden Gründe eswaren, sie zu verwerfen und vielmehr den massiven <strong>E<strong>in</strong></strong>griff <strong>in</strong> den Grundartikelvorzusehen?2) Gegenüber jenem rechtsdogmatischen Grundsatz behilft sich die Synode nun damit, dasssie versucht, durch e<strong>in</strong> Stellungnahmeverfahren „e<strong>in</strong>e klare Mehrheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche“ zu bekommen.Doch daran richten sich vier Rückfragen:Das Verfahren lehnt sich durch se<strong>in</strong>e Begründung und bis <strong>in</strong> die Wortwahl h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> andas Vorbild e<strong>in</strong>es Magnus Consensus <strong>in</strong> CA 1 an: „Ecclesiae magnu consensu apudnos docent ...“. Kritisch e<strong>in</strong>zuwenden ist jedoch, dass <strong>der</strong> Magnus Consensus (wie beiden Konfessoren von Augsburg e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> langen Prozessen errungene) <strong>E<strong>in</strong></strong>mütigkeitvoraussetzt und nicht über e<strong>in</strong>e letztlich doch parlamentarische „klare Mehrheit“ (sodas Anschreiben!) zu fassen ist.Ferner: Warum s<strong>in</strong>d im Anschreiben <strong>der</strong> Synodalpräsident<strong>in</strong> und des Landesbischofsnur die Kirchengeme<strong>in</strong>den und die Dekanate mit ihren (presbyterial-synodalen) Gremienangeschrieben und nicht extra alle Geistlichen? Polyzentrisch, wie das Lehramt<strong>in</strong> den evangelischen Kirchen organisiert ist, wären auch sie eigens zur Stellungnahmeaufzufor<strong>der</strong>n, denn gerade sie s<strong>in</strong>d durch ihre Ord<strong>in</strong>ation so an Schrift und Bekenntnisgebunden, wie sie <strong>in</strong> den Grundartikeln <strong>der</strong> <strong>Kirchenverfassung</strong> benannt s<strong>in</strong>d.Wenn man auf e<strong>in</strong>en Magnus Consensus abzielt, dann muss dieser aktiv erklärt werden.Im Sommer 1530 galt dieser Magnus Consensus genau bei den Kirchentümern,die die CA unterschrieben hatten. Um den Vorgang zu illustrieren: Die Städte Memm<strong>in</strong>genund Schwe<strong>in</strong>furt hatten (aus unterschiedlichen Gründen) 1530 die CA nochnicht unterschrieben, daher galt sie (zu diesem Zeitpunkt) bei ihnen nicht. H<strong>in</strong>gegen


3führt e<strong>in</strong> Verfahren wie jetzt verfügt - Schweigen wird als Zustimmung gewertet! - zue<strong>in</strong>em erschlichenen Konsens, <strong>der</strong> eben ke<strong>in</strong> Magnus Consensus ist.Daher: warum kann das Schweigen nicht als das gewertet werden, was es ist?: Es gibtaus unterschiedlichen Gründen eben ke<strong>in</strong>e Stellungnahme! Etwa, weil die KVsparallel dazu mit vielen an<strong>der</strong>en Aufgaben befasst s<strong>in</strong>d (im Frühherbst 2010:Stellungnahmeverfahren zur Umsetzung <strong>der</strong> Landesstellenplanung)! O<strong>der</strong> weil sie sichdurch die Komplexität des Themas überfor<strong>der</strong>t sehen? O<strong>der</strong> weil die Befassung mite<strong>in</strong>em <strong>Israel</strong>-<strong>Artikel</strong> nicht vordr<strong>in</strong>glich ersche<strong>in</strong>t, zumal wenn vor Ort das Thema <strong>in</strong><strong>der</strong> geme<strong>in</strong>dlichen Wirklichkeit nicht vorkommt! Warum kann man diese Gründe füre<strong>in</strong>e Nicht-Behandlung im KV nicht gelten lassen, son<strong>der</strong>n will e<strong>in</strong>en MagnusConsensus durch die H<strong>in</strong>tertür erschleichen?3) Im gesamtkirchlichen Kontext ist zu fragen: Warum muss jede Kirche ihr Anliegen extraformulieren? Warum gibt es nicht e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Vorschlag <strong>der</strong> lutherischen Kirchen <strong>in</strong><strong>der</strong> VELKD für e<strong>in</strong>e Formulierung, die dann auch nach allen Seiten h<strong>in</strong> sorgsam abgewogenist - sorgsamer, als dies jetzt jedenfalls <strong>der</strong> Fall ist. Wie haben an<strong>der</strong>e Landeskirchen dasAnliegen aufgenommen? Hat die jetzt vorliegende Novelle dem theologischen Ausschuss <strong>der</strong>VELKD zur Stellungnahme vorgelegen? O<strong>der</strong> gibt es das Gutachten e<strong>in</strong>er theologischenFakultät dazu? Das wären zwei herkömmliche, auch heute s<strong>in</strong>nvolle Möglichkeiten <strong>der</strong>professionellen Absicherung! Lei<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d we<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Erläuterungen noch im Intranet, aufdas <strong>in</strong> diesen verwiesen wird, zu all diesen Fragen Angaben vorgehalten.4) In den Erläuterungen heißt es, <strong>der</strong> <strong>E<strong>in</strong></strong>schub e<strong>in</strong>es <strong>Israel</strong>-<strong>Artikel</strong>s hätte „deklatorischen“Charakter. Was heißt das?Im Absatz zuvor (dem ersten Absatz des Grundartikels) wird die B<strong>in</strong>dung an das Wort Gottes<strong>in</strong> <strong>der</strong> Heiligen Schrift bekannt; im Absatz danach geht es um die altkirchlichenGlaubensbekenntnisse, die lutherischen Bekenntnisschriften und die Rechtfertigung desSün<strong>der</strong>s. Diese Absätze zu Schrift und Bekenntnis s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>deutig konfessorischen Charakters!<strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Israel</strong>-Absatz deklaratorischen Charakters wirkt dar<strong>in</strong> nicht nur wie e<strong>in</strong> Fremdkörper,son<strong>der</strong>n ist es auch. O<strong>der</strong> er gew<strong>in</strong>nt irgendwann, wenn alle Erläuterungen vergessen s<strong>in</strong>d,entgegen den Beteuerungen jetzt doch konfessorischen Charakter und wird zumverpflichtenden Bekenntnis unserer Kirche. Darauf deutet auch jetzt schon dieCharakterisierung im Anschreiben: Es soll um das gehen, „was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche geglaubt wird“und damit auch zu glauben ist.5) Inhaltlich ist <strong>in</strong> dem vorgeschlagenen Text zunächst das biblische Bild von <strong>der</strong> Wurzel,dem Stamm und den Zweigen des Ölbaums aus Röm. 11,17-24 aufgegriffen. Das ist <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>erWeise zu kritisieren, auch nicht <strong>der</strong> damit verbundene H<strong>in</strong>weis <strong>in</strong> den Erläuterungen, sichnicht über <strong>Israel</strong> zu erheben (vgl. Röm. 11,24). Auch muss man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat, und zwar <strong>in</strong>spezifischer Weise, von <strong>der</strong> „bleibenden Erwählung“ <strong>Israel</strong>s sprechen: „im Blick aber auf dieErwählung s<strong>in</strong>d sie [sc. <strong>Israel</strong>] Geliebte um <strong>der</strong> Väter willen“ (Röm. 11,28).6) Wenn es jedoch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfassungsnovelle dazu heißt, die Kirche bezeuge dies „mit <strong>der</strong>Heiligen Schrift“, so ist dies zutreffend, zeigt damit aber ebenso heimlich verdeckt wie <strong>in</strong> <strong>der</strong>Sache präzise das hermeneutische Problem an. Denn: Es heißt nicht (!) „mit <strong>der</strong> ganzenHeiligen Schrift“ - und das dürfte und könnte es auch nicht heißen, weil es viel zuunterschiedliche Aussagen über <strong>Israel</strong> und se<strong>in</strong>e Erwähnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heiligen Schrift gibt:


4alttestamentlich schon die Kritik <strong>der</strong> Propheten und die Rede von nur e<strong>in</strong>em „Rest“,<strong>der</strong> umkehrt;im Johannesevangelium durchgängig die Charakterisierung <strong>der</strong> „iudaioi“ als Negativfoliebis zu Spitzenaussagen wie Joh. 8,44; <strong>in</strong> <strong>der</strong> Johannesapokalypse - man wagt kaum noch, den biblischen Text zu zitieren -die „Synagoge des Satans“ (Apk. 2,9; 3,9);im Galaterbrief die scharfe Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit denen, die e<strong>in</strong>e weitere Geltungdes mosaischen Gesetzes postulieren;im Römerbrief <strong>in</strong> dem Abschnitt Röm. 9-11 (von den Befürwortern <strong>der</strong>Gesetzesnovelle beson<strong>der</strong>s herangezogen!) die Unterscheidung zwischen dem <strong>Israel</strong>nach dem Fleisch und dem <strong>Israel</strong> nach <strong>der</strong> Verheißung: „Denn nicht alle s<strong>in</strong>d<strong>Israel</strong>iten, die von <strong>Israel</strong> stammen; auch nicht alle, die Abrahams Nachkommen s<strong>in</strong>d,s<strong>in</strong>d darum se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ (Röm. 9,6 ff.);eben das begründet Paulus, <strong>in</strong>dem er Gottes freie Gnadenwahl e<strong>in</strong>schärft, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> fürlutherische Theologie entscheidenden Stellen <strong>in</strong> genau diesem Abschnitt des Römerbriefs(Röm. 9,14 ff.);und selbst <strong>in</strong> Röm. 11 differenziert Paulus und spricht davon, „dass e<strong>in</strong>ige übriggeblieben s<strong>in</strong>d nach <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Gnade“ (11,5): „e<strong>in</strong>ige“, nicht „alle“!7) Die hermeneutische Aufgabe, auch mit solchen, manchmal auch sperrigen Texten im gesamtenKontext <strong>der</strong> Heiligen Schrift umzugehen, darf nicht übersprungen werden. Man musssich ihr vielmehr immer wie<strong>der</strong> stellen <strong>in</strong> <strong>der</strong> großen Spannbreite <strong>der</strong> biblischen Aussagen.Aufgabe <strong>der</strong> Kirchenleitung wäre es, die Herausfor<strong>der</strong>ung bei <strong>der</strong> Auslegung biblischer Textee<strong>in</strong>zuschärfen.Demgegenüber stellt <strong>der</strong> vorgeschlagene <strong>E<strong>in</strong></strong>schub e<strong>in</strong>e Engführung dar, die e<strong>in</strong>e bestimmteInterpretation zum Grundartikel <strong>der</strong> Verfassung erhebt und „deklariert“ als das, was geglaubtwird und zu glauben ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche.Laut den Erläuterungen sollen die von Paulus <strong>in</strong> Röm. 9-11 entfalteten theologischenGrundlagen maßgeblich für Lehre und Predigt werden. Schon das gibt Anlass zu Rückfragen:Warum diese und nur diese Auswahl aus dem Kanon? De facto s<strong>in</strong>d es dann e<strong>in</strong>zelne Verseund ausgewählte Spitzenaussagen aus Röm. 11, die nun mittels <strong>der</strong> Verfassung <strong>in</strong> <strong>der</strong> ELKBzum Interpretationsmaßstab für die ganze Heilige Schrift werden sollen.8) Zu erwarten wäre, dass das Gewicht und die Bedeutung dieser theologischen Entscheidung,wenn sie denn von <strong>der</strong> Synode bzw. zunächst von dem gemischten Ausschuss so gewolltwird, unmissverständlich deutlich gemacht wird. Indes: We<strong>der</strong> das Anschreiben an die Kirchenvorständenoch die beigefügten Erläuterungen zur Novelle thematisieren die hermeneutischeAufgabe und die hermeneutische Entscheidung, die mit dem Textvorschlag <strong>der</strong> Verfassungsnovelleverbunden ist. Vielmehr argumentieren sie nur appellativ und verweisen „zurbiblischen Begründung auf Röm. 11, wo zweifellos die deutlichsten Aussagen des NeuenTestaments zur bleibenden Erwählung <strong>Israel</strong>s zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d“. - Das ist zwar richtig, jedochnur deshalb, weil an an<strong>der</strong>en Stellen eben nicht von <strong>der</strong> bleibenden Erwählung <strong>Israel</strong>s gesprochenwird! Diese selbstbezügliche Schleife <strong>der</strong> Argumentation, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Wiese reflektiert,unterschlägt das hermeneutische Problem!


59) <strong>E<strong>in</strong></strong> Grundsatz lutherischer Hermeneutik ist, dass die Heilige Schrift sich <strong>in</strong> ihrer Wahrheitund Orientierungskraft selbst erschließt („scriptura sui <strong>in</strong>terpres“) und dass die Kirche aufdiese selbsterschließende Kraft des Evangeliums vertrauen kann. Dies wird theologischimmer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschärft unter Bezug auf Röm. 1,16: „Denn ich schäme mich desEvangeliums nicht; denn es ist e<strong>in</strong>e Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, dieJuden zuerst und ebenso die Griechen.“Entsprechend wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> lutherisch geprägten Verfassung <strong>der</strong> ELKB bisher <strong>in</strong> gelungenerArchitektur <strong>der</strong> Grundartikel so gestaltet, dass auf Jesus Christus als das Mensch gewordeneWort Gottes und dann auf die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes verwiesen wird,während im nächsten Absatz die altkirchlichen Bekenntnisse und die evangelisch-lutherischenBekenntnisschriften genannt werden, die ihrerseits auf die Schrift als „e<strong>in</strong>zige Norm undRichtschnur“ verweisen.Warum traut man dem Neuen Testament und auch dem Römerbrief des Apostels Paulus nichtzu, sich selbst auszulegen und Geltung zu verschaffen, und will <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er grundlegenden, aberdoch e<strong>in</strong>zelnen Frage e<strong>in</strong>en Interpretationsmaßstab festlegen?Mit <strong>der</strong> Fixierung auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne Bibelstelle als Interpretations<strong>in</strong>stanz und <strong>der</strong>Ausblendung <strong>der</strong> Breite des biblischen Zeugnisses wird man dem Vorwurf, man sei ke<strong>in</strong>Vollhörer <strong>der</strong> Heiligen Schrift, wenig mehr entgegensetzen können. Umgekehrt: All das, wasan dem geplanten <strong>E<strong>in</strong></strong>schub richtig und s<strong>in</strong>nvoll und nützlich ist, das ist im Grundartikel - <strong>in</strong>dem H<strong>in</strong>weis auf das Zeugnis <strong>der</strong> Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes - bereitsenthalten.10) Zum vorgesehenen <strong>E<strong>in</strong></strong>schub gehört auch noch die Formulierung, dass sich die Kirche„dem jüdischen Volk geschwisterlich verbunden“ weiß. Dazu folgende Rückfragen und<strong>E<strong>in</strong></strong>wände:Der Begriff „Volk <strong>Israel</strong>“ kommt <strong>in</strong> dem kurzen <strong>E<strong>in</strong></strong>schub zweimal vor, und zwar je <strong>in</strong>völlig unterschiedlichem Kontext und Gebrauch. Schon das wird zu den größtenMissverständnissen führen! Im ersten Fall (Erwählung) ist es e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong> theologischgefüllter Begriff <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eschatologischen Verheißung, im an<strong>der</strong>en Fall(Verbundenheit) ist es e<strong>in</strong> vielfach oszillieren<strong>der</strong> Begriff:Wie schwierig es ist, <strong>Israel</strong> als „Volk“, „Land“ und „Staat“ bzw. „staatliche <strong>E<strong>in</strong></strong>heit“vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abzugrenzen, lernt man schon im alttestamentlichen Sem<strong>in</strong>ar und beijedem Besuch <strong>in</strong> <strong>Israel</strong> heute, und zwar auch bei säkular gesonnenen <strong>Israel</strong>is. Daherdie dr<strong>in</strong>gende Frage, wie <strong>der</strong> Volk-Begriff <strong>in</strong> <strong>der</strong> Novellierung genau verstandenwerden soll: als enge (wie unter Geschwistern!) Verbundenheit und Loyalität auchgegenüber dem heutigen Staat <strong>Israel</strong>? Möglicherweise nicht, doch wenn das nicht: wasdann? Wie immer man die <strong>der</strong>zeitige Politik <strong>Israel</strong>s gegenüber den Paläst<strong>in</strong>ensernbeurteilt - das kann und darf jedenfalls ke<strong>in</strong>en Verfassungsrang bekommen!„Geschwisterlich“ wissen wir uns laut dem vorgeschlagenen Text verbunden - <strong>der</strong>Begriff zeigt e<strong>in</strong>e wechselweise B<strong>in</strong>dung und Beziehung an. Daher die Frage: Weißdas Geschwister davon und will es selbst diese Verbundenheit? Durchaus an etlichenOrten lauten die Signale jedenfalls an<strong>der</strong>s!Zur Geschwisterlichkeit gehört <strong>der</strong> offene Umgang mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Wurde die Verfassungsnovelle,die das Verhältnis zu ihnen neu klären soll, den Vertretern <strong>der</strong> jüdischenKultusgeme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Bayern vorgelegt und wie äußern diese sich dazu? Wenn es


6solche Äußerungen gibt, warum werden diese dann im jetzigenStellungnahmeverfahren nicht zugänglich gemacht?11) <strong>E<strong>in</strong></strong>e <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen grundsätzlich strittigen theologischen Fragen <strong>in</strong> diesem Zusammenhangist, ob „<strong>Israel</strong>“ grundsätzlich auch <strong>der</strong> Adressat <strong>der</strong> Verkündigung des Evangeliums vonJesus Christus ist o<strong>der</strong> ob Gott für sie e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Heilsweg (die Beachtung <strong>der</strong> Thora)vorgesehen hat. Auch wenn deutsche Christen bis <strong>in</strong> die dritte und vierte Generation nachdem Holocaust sicher nicht als solche Verkündiger <strong>in</strong> Frage kommen, stellt sich die Fragedoch grundsätzlich, etwa im Blick auf norwegische Christen o<strong>der</strong> messianische Juden.Mit dem geplanten <strong>E<strong>in</strong></strong>schub <strong>in</strong> die <strong>Kirchenverfassung</strong> wird die Frage nicht beantwortet, son<strong>der</strong>nverschärft: Wie verhält sich „die bleibende Erwählung des Volkes <strong>Israel</strong>s“ zu dem <strong>in</strong>demselben Grundartikel zwei Absätze später genannten „Auftrag, Gottes Heil <strong>in</strong> Jesus Christus<strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt zu bezeugen“? Durch die geplante Novellierung wird e<strong>in</strong>e systematischeUnschärfe erzeugt, die aber gerade nicht maßgeblich für Lehre und Predigt se<strong>in</strong> darf!Resümee: Unstrittig war und ist es nötig, richtig und wichtig, dass die Kirchen sich nach demHolocaust neu auf ihr Verhältnis zu <strong>Israel</strong> besonnen haben und bes<strong>in</strong>nen. Dass dies e<strong>in</strong>eAufgabe ist, die auch den Synoden <strong>in</strong> ihrer breit angelegten Me<strong>in</strong>ungsbildung zukommt, istebenso unstrittig. Dieser Aufgabe <strong>der</strong> Kirchen, sich nach dem Holocaust neu auf ihrVerhältnis zu <strong>Israel</strong> zu bes<strong>in</strong>nen, ist die Evangelisch-Lutherische Kirche <strong>in</strong> Bayern <strong>in</strong> ihrerSynoden-Erklärung von 1998 nachgekommen. Es gilt, <strong>der</strong>en Inhalte mit Leben zu füllen.An e<strong>in</strong>en Text, <strong>der</strong> Bestandteil e<strong>in</strong>er Verfassung und dort Teil <strong>der</strong> Grundartikel werden soll,s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>des weit höhere Anfor<strong>der</strong>ungen zu stellen. Diesen Anfor<strong>der</strong>ungen an Klarheit undWahrheit genügt <strong>der</strong> vorgeschlagene <strong>E<strong>in</strong></strong>schub nicht. Er lässt - auch zusammen mit se<strong>in</strong>enErläuterungen - zu viele Fragen offen und er produziert selbst Missverständnisse. Er gibtAnlass zu grundlegenden <strong>E<strong>in</strong></strong>wänden, Bedenken und Kritik. Und es bleibt schwebendunbestimmt, welche Funktion für die Lehre und Verkündigung <strong>der</strong> Kirche e<strong>in</strong> <strong>Israel</strong>-<strong>E<strong>in</strong></strong>schub<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Kirchenverfassung</strong> haben soll: nicht als positives, gesetztes Recht, aber doch <strong>in</strong>irgende<strong>in</strong>er Weise mit normieren<strong>der</strong> Kraft: „was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche geglaubt wird“. (Was würdedas zum Beispiel künftig bei Beurteilungen heißen?)Angesichts all <strong>der</strong> benannten Fragen und <strong>E<strong>in</strong></strong>wände halte ich es aus exegetischen,hermeneutischen, systematisch-theologischen, rechtsdogmatischen und auch politischdiplomatischenGründen nicht für s<strong>in</strong>nvoll, dass <strong>der</strong> <strong>Israel</strong>-<strong>Artikel</strong> - zumal <strong>in</strong> <strong>der</strong> geplantenFormulierung - <strong>E<strong>in</strong></strong>gang <strong>in</strong> den Grundartikel <strong>der</strong> <strong>Kirchenverfassung</strong> f<strong>in</strong>det.Dr. Re<strong>in</strong>hard BrandtDekan <strong>in</strong> Weißenburg (Bay.)18.07.2010Der Text kann von <strong>der</strong> Homepage www.st-andreaskirche.de herunter geladenund <strong>in</strong> freier Adaption für eigene Stellungnahmen verwendet werden.

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