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1 Anatomie1.1 Entwicklung der ZähneDie Entwicklung der Zähne beginnt im Foetus und ist mit etwa 6-7 Monaten alsbleibendes Gebiss abgeschlossen. Zu Beginn der Entwicklung sind zwei Zahnanlagenvorhanden, eine für den Milchzahn, die andere für den bleibenden Zahn. Letztereentwickelt sich beim Wachstum des Kiefers auf der lingualen Seite der Milchzähne. Diebleibenden Zähne sind grösser und benötigen deshalb mehr Platz als die Milchzähne.Abbildung 1: Durchbruch des MichzahnesAbbildung 2: Entwicklung der ZahnanlagenMilchgebissbleibendes GebissZahntyp(kleine Buchstaben)(grosse Buchstaben)Zahn Durchbruchzeit Zahn Durchbruchzeiti1Kz 2-3 WochenKz 3-4 MonateI1Hd 3-4 WochenHd 3-5 MonateIncisiviKz 2-3 WochenKz 3-4 Monatei2I2SchneidezähneHd 3-4 WochenHd 3-5 Monatei3Kz 2-3 WochenKz 3-4 MonateI3Hd 3-4 WochenHd 3-5 MonateCaniniKz 3-4 WochenKz 4-7 Monatec1C1EckzähneHd 3-5 WochenHd 4-7 MonateP1Hd 4-5 MonateKz 3-6 WochenKz 4-6 Monate(nur Oberkiefer)(nur Oberkiefer)p2P2Hd 4-12Hd 5-6 MonatePrämolarenWochenvordereKz 3-6 WochenKz 4-6 MonateBackenzähne p3 Hd 4-12 P3WochenHd 5-6 MonateKz 3-6 WochenKz 4-6 Monatep4 Hd 4-12 P4WochenHd 5-6 MonateKz 4-6 MonateM1MolarenHd 4-5 MonatehintereM2Hd 5-6 MonateBackenzähneHd 6-7 MonateM3(nur Unterkiefer)Tabelle 1: Durchbruchzeiten der Milchzähne und bleibenden Zähne bei Hund und KatzeWelpen werden ohne Zähne geboren. Die ersten Milchzähne erscheinen mit etwa zweibis vier Wochen, das Milchgebiss ist spätestens nach drei Monaten abgeschlossen. DieMilchzähne sind Platzhalter für die bleibenden Zähne. Obwohl sie klein und fein sind,Seite 3


haben sie lange Wurzeln. Wenn die Position des Milchzahnes korrekt ist, wird dernachfolgende bleibende Zahn die Wurzel des Milchzahnes verdrängen. Die Milchzähneverlieren durch die Resorption ihrer Wurzel schnell an Haltekraft und fallen aus.Hunde haben insgesamt 28 Milchzähne und 42 bleibende Zähne, Katzen 26 Milchzähneund 30 bleibende Zähne. Der erste Prämolar beim Hund und sämtliche Molaren habenkeine Milchzähne. Katzen fehlen der erste Prämolar im Unter- und Oberkiefer sowie derzweite Prämolar im Unterkiefer.1.2 Aufbau des ZahnesEin Zahn besteht aus drei harten Substanzen (Schmelz, Dentin und Zement) und einemzentralen weichen Gewebe (Pulpa). Der Zahn wird umgeben von einem Stützgewebe,dem so genannten Parodontium.Die Aussenseite des Zahnes wird wiederum unterteilt in:• Krone: sichtbarer Teil des Zahnes• Wurzel: im Kieferknochen eingelagerter Teil des Zahnes• Hals: Verbindung von Krone und WurzelDie Krone ist mit dem Zahnschmelz überzogen. Es ist die härteste Substanz desZahnes. Die Ameloblasten bilden den Schmelz und verlieren nach dessen Bildung ihreFunktion. Eine Neubildung von Schmelz ist also nicht möglich, weshalb eine einmalbeschädigte Schmelzlage nicht heilen wird. Auf Höhe des Zahnhalses geht der Schmelzin Zement über. Bei einem gesunden Zahn liegt diese Schmelz/Zementgrenze unterdem Zahnfleisch. Die gesamte Wurzel ist mit diesem Zement überzogen. In den meistenFällen kann Zement nachgebildet und deshalb können Wurzelbeschädigungen heilen.Die Innenseite des Zahnes besteht aus Dentin (Zahnbein) und einem Hohlraum, worinsich die Pulpa (Zahnmark) mit Bindegewebe, Blutgefässen und Nervenfasern befindet.Das Dentin ist eine leicht gelbe, elfenbeinartige Substanz, welche in der Krone vomSchmelz und in der Wurzel vom Zement bedeckt wird. Das Dentin istschmerzempfindlich (Zahnschmerzen), da die Nervenfasern der Pulpa in mikroskopischkleinen Kanälchen des Dentins weiterlaufen. Dentin wird während des ganzen Lebensvom Zahn gebildet. Das hat zur Folge, dass der Hohlraum im Zahn immer kleiner wird.An der Wurzelspitze (Apex) nimmt die Pulpa Verbindung auf mit dem umliegendenAlveolarknochen. Der Apex schliesst bei Hunden im Alter von etwas zwei Jahren.1.3 Das ParodontiumDas Parodontium ist ein Sammelbegriff für das Stützgewebe des Zahnes. Es bestehtaus folgenden Teilen:• Alveolärer Knochen• Zement• Parodontales Ligament: Verbindung des Zementes mit dem alveolären Knochen• Gingiva (Zahnfleisch)Seite 4


Die freie Gingiva am Rand des Zahnes bildet den Sulcus gingivalis (Zahnfleischtasche),welcher normalerweise 2-3 mm tief ist. Am Boden des Sulcus ist die Gingiva mit demZahn verbunden. Diese epitheliale Anheftung variiert mit Lebenszeit undGesundheitszustand des Hundes. Bei einem jungen Hund liegt die epitheliale Anheftungdem Schmelz an, bei gesunden älteren Hunden ist die sie auf der Höhe der Schmelz /Zementgrenze zu finden und bei älteren Hunden mit sich zurückbildendem Zahnfleischverschiebt sie sich in Richdtung Zement. Die am Kiefer befestigte Gingiva geht bis zurmukogingivalen Linie, die Grenze zur Maulschleimhaut, welche farblich gut zu erkennenist.Abbildung 3: Anatomie des Zahnes und des Parodontiums1.4 Die Okklusion (am Beispiel des Hundes)Darunter versteht man das Zusammenspiel des Unterkiefers mit dem Oberkiefer. DerForm, Grösse und Position der einzelnen Zähne kommt deshalb eine wichtigeBedeutung zu. Grundsätzlich hat das Gebiss des Hundes die Funkion einer Schere(Scherengebiss).(1) Die einwurzligen Schneidezähne (Inzisivi) sind aussen und im Oberkiefer grösserals innen und im Unterkiefer. Die Oberkieferschneidezähne stehen vor denUnterkieferschneidezähnen.(2) Die Fangzähne (Canini) sind gross und haben eine weit nach hinten gebogeneWurzel,welche bis unter den zweiten prämolaren Zahn reicht. Die Krone des Unterkiefercaninuspasst genau in den interdentalen Raum zwischen I3 und Caninus des Oberkiefers.(3) Der erste vordere Backenzahn (Prämolar) ist ein kleiner Zahn mit nur einer Wurzel.Die beiden folgenden Prämolaren (P2, P3) haben zwei Wurzeln, wobei der grössereAnteil auf der vorderen (mesialen) Seite liegt. Der vierte Prämolar (P4) hat imUnterkiefer zwei Wurzeln. Im Oberkiefer hat der P4 drei Wurzeln, von denen zwei nachvorne (mesial) gerichtet sind. Er hat stark entwickelte Spitzen und keine Kaufläche,weswegen er auch Reisszahn genannt wird. Die Prämolaren alternieren mit ihrenSeite 5


Opponenten des anderen Kiefers so, dass die Spitzen jeweils in den interdentalen Raumder Antagonisten kommen. Der rostralste (mesialste) Prämolar ist der P1 desUnterkiefers.(4) Der Unterkiefer trägt drei hintere Backenzähne (Molaren). Die ersten beiden habenzweiWurzeln, der letzte ist unterentwickelt und hat eine Wurzel. Der erste Molar (M1)des Unterkiefers ist der Reisszahn. Die beiden Molaren des Oberkiefers haben je dreiWurzeln. Im Unterkiefer gibt es also keine Zähne mit drei Wurzeln. Der vierte Prämolardes Oberkiefers hat den ersten Molaren des Unterkiefers als Antagonisten und seineSpitzen gleiten entlang der bukkalen Seite des ersten Molaren (die Maxilla ist breiter alsdie Mandibula).Abbildung 4: Form, Grösse, Position und Bezeichnung der einzelnen Zähne (Anthony, 1988)Abbildung 5: Normale OkklusionSeite 6


2 Der tierzahnärztliche UntersuchungsgangUntersuchungsschritteDiagnostische HinweiseSchritt 1: AnamneseerhebungAllgemeine Informationen:Impfstatus, Diät, Status der Home care,andere Erkrankungen und deren Therapie,Husten, Erbrechen, Regurgitieren,Inappetenz, Anorexie, Allergiezeichen.gegenwärtige Behandlung desGebissproblemes, Exposition zuInfektionserkrankungen, Unfälle,Wesenveränderungen, Probleme beianderen Tiere des gleiches Wurfes.Abbildung 6: Bei der AnamneseerhebungSpezifische Informationen zum Gebiss:Beginn, Dauer, Schweregrad derProblemeFress- und Kauverhalten beiunterschiedlichen DiätenFähigkeit, etwas im Maul zu haltenBeissverhaltenSeitenpräferenzKopfschiefhaltungNasenausflussGeräusche beim FressenKlappern mit den ZähnenSpeichelnSchwellungenPfoten streichen übers GesichtKatzen mit TR / FORL/Stomatitis fressenmeist nur noch NassfutterHunde: Frakturen der Zähne; TumorenCaninusfrakturen (auch unkomplizierte)Massen, FrakturenTumoren Maulhöhle, ZNS, OhrenproblemeOronasale FistelnKatzen:TR / FORLKatzen: TR / FORLEpulis, andere Massen, Frakturen, starkeParodontalerkrankungAbzesse P4/M1 (unter Auge), TumorenKatzen: TR / FORLSeite 7


Schritt 2: AllgemeinuntersuchZum Allgemeinuntersuch gehören:Atmung, Puls, Temperatur, kapilläreFüllungszeit, Schleimhautfarbe,Lymphknoten, Herzauskultation. Damitwerden grundlegende Erkrankungenerkannt.Spezifische Information zu:Konturstörungen am KopfSchwellungen im HalsbereichAbbildung 7: Untersuchung der LymphknotenNeoplasien, Abzesse, FrakturenBissverletzungen, Speichelgangstau Gl.mandibularis)Lnn mandibularis drainiert KieferhälfteSchritt 3: Uebersicht MaulhöhleEine erste Uebersicht wird im Normalfallohne Sedation oder Anästhesiegewonnen. Die Lefzen werden angehobenund eine erste Beurteilung wird beigeschlossenem Kiefer vorgenommen. Mitden Daumen und Zeigefinger der beidenHände werden nun die jeweiligen Kiefergefasst und der Fang geöffnet. Alternativkann man den Daumen auf das Palatumpressen, wodurch es den meisten Hundenverunmöglicht wird, die Kiefer zuschliessen. Mit der anderen Hand kann dieZunge manövriert oder inspiziert werden.Abbildung 8: Beurteilung des Gebisses beigeschlossenem und geöffnetem KieferSpezifische Informationen:FisteltrakteLippen und HautKaumuskulaturKopfform und KonturGestankOkklusionNasenausflussMukosa und Gingiva: Farbe, Konsistenz,Ausflüsse unter Auge: P4/M1 Abzess;sonst auch andere Zähne mit Pulpitis undFisteltrakten am UnterkieferPapillome, Verletzungen durch fehlstehende oder frakturierte Zähne;NeoplasienMasseter myositis, NeoplasienNeoplasien, Abzesse,Parodontalerkrankungen, FremdkörperFür Malokklusion Klasse 1, 2, 3 sieheweiterreichende InformationenBlutig: Neoplasie oder Aspergillose, eitrig:oronasale FistelSchlaff, blutend, rückbildend:Seite 8


Form, Blutungen, Ausflüsse, RückbildungZähne: Farbe, Form, Auflagerungen,Beweglichkeit, relative Stellung, Blutungenaus PulpaMauldach: Schwellungen, Defekte,FremdkörperZunge: Mobilität, Stärke, Zungengrund,SchwellungenSpeicheldrüsenpapillaeParodontalerkrankung, Schwellung: Epulisoder Neoplasie, Gingivostomatitis bei derKatzePlaque, Zahnstein:ParodontalerkrankungenBeweglich; fortgeschritteneParodontalerkrnakung oder Subluxation,Karies, Fraktur, TR / FORL, CORLNeoplasien, FremdkörperKatze; Gingivostomatitis, Hund:VerletzungenRanula: Verstopfung desSpeicheldrüsengangesSchritt 4: Präanästhetischer UntersuchEin präanästhetischer Untersuch soll die Risiken einer Narkose aufdecken und die Wahlder geeigneten Medikamente aufzeigen. Als minimale Datenbasis haben sich alssinnvoll erwiesen: Allgemeinuntersuch, Hämatokrit, Harnstoff. (v.a. Katze). Diesekönnen erweitert werden zu einem Chemogramm, einem roten und weissen Blutbild,Thoraxröntgen und EKG. Weitere Untersuchungen können notwendig seinSchritt 5: Vertiefter Untersuch inNarkose oder tiefer SedationEs werden die in den vorangegangenSchritten erwähnten Untersuchungenkomplettiert. Dazu bedient man sich einerParodontalsonde, eines Spiegels und einerLichtquelle.Abbildung 9: Einsatz der ParodontalsondeZusätzliche Informationen zum Untersuchbeim unsedierten Patienten:Sulcus gingivalis Tiefe (normal 1-3 mm beiHunden und 0.5 mm bei Katzen)Subgingivaler ZahnsteinFreigelegte FurkationenTiefer bei Parodontalerkrankungen undNeoplasienParodontitisBeginnende OsteolyseSeite 9


Bruchfläche und Druckempfindlichkeit beiZahnfrakturenOberflächenbeschaffenheit der ZähneVerfärbungen der ZähneMukosabeschaffenheit im PharynxOkklusionZahnzahlTemporomandibulargelenkOffen: Pulpa exponiert, WurzelbehandlungStaupegebiss, Karies,Schmelz/DentinfrakturPulpanekroseEntzündet: Gingivostomatitis der KatzeEinteilung in die diversenMalokklusionskategorienFalsche/echte Polyodontie, Hypodontie,persistierende MilchzähneKrepitus und nicht korrekter Schluss beiFrakturen und LuxationenSchritt 6: Zusätzliche UntersuchungenDie radiologische Untersuchung der Zähneund der Maulhöhle liefert wertvolleInformationen. Dazu ist nicht zwingendeine spezielle Zahnröntgenanlagenotwendig. Mit einer geeigneten Technik(vier Schrägaufnahmen der Kiefer,allenfalls eingelegte Kassetten für dierostralen Partien des Unter- resp.Oberkiefers) werden recht guteAufnahmen gemacht. Einzelzähne werdenaber deutlicher und genauer mit einerDentalröntgenanlage angebildetAlle Zahnanlagen werden ab 12. Wochesichtbar sein; Zustand von Apex undAlveolarknochen, Läsionen bei FORL;Frakturlinien.Abbildung 10: Digitale orale RadiographieZytologische Untersuchungen, zBLymphknotenBiopsien (der Zytologie überlegen)ThoraxröntgenBakterielle UntersuchungNeoplasien, InfekteNeoplasienMetastasen bei malignem MelanomMeist wenig aussagekräfitgZusammenfassung: Der BefundbogenDie erhobenen Befunde werden auf einem Befundbogen notiert. Dazu existierenverschiedene Vorlagen. Die Beurteilung der Okklusion erfordert ein spezielles Formular.Seite 10


Abbildung 11: Befundbogen HundSeite 11


Abbildung 12: Befundbogen KatzeSeite 12


3 Zahnextraktionen3.1 Allgemeine MassnahmenDas Ziel besteht darin, den Zahn komplett und mit minimaler Traumatisierung derUmgebung zu extrahieren. Das erfolgreiche Ziehen von Zähnen ist keine Frage derKraft, sondern vor allem der Geduld und der Technik.Der Zahn wird über die Sharpey’schen Fasern und das parodontale Ligament fixiert. Beider Extraktion werden diese Fasern gedehnt und eingerissen damit sich der Zahnlockern kann. Gute Kenntnisse der Anatomie und vor allem der Lage der Wurzeln imKnochen sind entscheidend für den Erfolg des Eingriffs.Vor dem Eingriff sind folgende Schritte zu beachten:a. Laboruntersuchung vor allem bei älteren Patienten und Risikopatientenb. Antibiotika bei Herzpatienten, oder wenn gleichzeitig ein anderer chirurgischerEingriffe gemacht werden mussc. Allgemeinanästhesie mit endotrachealer Intubationd. Abdecken des Rachens zum Verhindern von Rückfluss von Blutgerinnseln undSchmutz in die TracheaDie Extraktion ist ein chirurgischer Eingriff; die Regeln der Asepsis sind deshalbeinzuhalten. Es ist wichtig, dass der zu behandelnde Kiefer mit der Hand oder demFinger gestützt wird (Abbildung 13). Bei kleinen Rassen kann ein vorgeschädigter Kieferrasch frakturieren.Der Elevator wird in der Hand gehalten und die Finger sollten nahe am Werkzeugteilpositioniert sein, damit die Bewegungen kontrollierbar werden und ein Ausgleitenverhindert werden kann. Die Bewegung erfolgt aus dem Handgelenk (Abbildung 14)Der Einsatz der Zange ist auf ein Minimum zu beschränken. Wenn sie wirklich gebrauchtwerden muss, ist sie in der Längsrichtung des Zahnes und im proximalen Bereich derWurzel anzusetzen.Abbildung 13: Abstütztechnik bei der Extraktioneins Zahnes. Der Rücken des Elevator stütztsich am benachbarten Zahn.Abbildung 14: Korrekte Handhabung eines Bein’schen HebelsSeite 13


Extraktion Schritt für Schritt:a. Klarheit über die anatomischen Gegebenheiten schaffen, zuvorRöntgenaufnahme anfertigenb. Gingiva mit Skalpell einschneiden und Raspartorium vom Knochen lösenc. 2 und 3-wurzlige Zähne, deren Wurzeln oft divergierend verankert sind, mitBohrmaschine trennen (Abbildung 15)d. Wurzel mit Elevatoren vom Ligament lösen. Das Instrument wird in einem Winkelvon 30-45 Grad gegenüber der Längsachse der Wurzel in den Raum zwischenCrista aleveolaris und den Zahn gesetzt. Mit einer vorsichtigen Bewegung wirdder Hebel um gegen 90° gedreht und in dieser Position 20-30 Sekundengehalten. Unter dieser Spannung reissen die Fasern des Ligaments langsam ein(Abbildung 16). Rund um den Zahn wird nun gelockert. Blutungen und Ödemeentstehen. Sie unterstützen den Prozess der Extraktion. Je grösser der Spaltzwischen den Zähnen wird, desto grösser muss der Elevator sein. Mit dieserTechnik ist der Einsatz der Zange zur Extraktion in der Regel nicht mehrnotwendig.e. Kontrollieren, ob die Wurzeln komplett sind, sobald der Zahn aus seinem Fachentfernt ist.f. Die Alveole vorsichtig von Debris oder Eiter entfernen. Der Apex sollte nichtverletzt oder perforiert werden. Durch eine Spülung mit Chlorhexidin oder NaClwerden Reste der Extraktion zusätzlich herausgespült und ein guter Überblickgeschaffen. Das letzte Blutgerinnsel wird belassen.g. Wundverschluss mit oder ohne Schleimhautflap mit resorbierbarem Nahtmaterial(z.B. Monocryl® oder Monosyn®).Abbildung 15: Trennlinien für die Spaltungeines zwei- resp. dreiwurzligen ZahnesAbbildung 16: Der Bein’sche Hebel wird zwischenZahnwurzel und Alveolarknochen getrieben, verkantetund gehalten, damit das parodontale Ligament gelockertwirdSeite 14


3.2 Spezielle Angaben zur Extraktion beim HundSchneidezähneIm Allgemeinen werden die Schneidezähne mit dem Elevator ziemlich einfach entfernt.Die lateralen Incisivi im Oberkiefer (103/203) haben eine relativ lange Wurzel, welchedicht an der Nasenhöhle liegt. Dieser Zahn soll sehr vorsichtig entfernt werden, umeinen Durchbruch in die Nasenhöhle zu vermeiden.EckzähneDas Extrahieren eines Eckzahnes mit seiner aussergewöhnlich langen Wurzel führtleider oft zu Komplikationen. Deswegen sind zunächst andere Behandlungenvorzuziehen, denn es besteht das Risiko einer oronasalen Fistel, einer Kieferverformungoder einer Mandibulafraktur. Überdies kann das Fehlen eines Unterkiefereckzahnes zumHeraushängen der Zunge führen. Bei schwerer Parodontitis gibt es meistens genügendeResorption des alveolaren Knochens, um mit einem Elevator die Wurzel zu lösen. Beieinem gesunden Hund ist das nicht der Fall, daher muss der alveolare Knochenweggenommen werden (Alveolotomie).Es werden Schleimhautinzisionen auf der bukkalen Seite des Zahnes gemacht. DieSchleimhaut wird in Richtung des Apex vom Knochen gelöst und nach aussen geklappt.Dann wird der alveolare Knochen mit einem Bohrer entfernt (Abbildung 17). Nun werdendie Elevatoren eingebracht, um die kaudale, rostrale und mediale Wurzeloberfläche zulösen (Abbildung 18). Es ist wichtig, dass der Apex des maxillären Eckzahnes nicht inpalatinaler Richtung gedrückt wird, weil so das Risiko für das Entstehen eineroronasalen Fistel erhöht wird. Schliesslich kann man den Zahn mit einerExtraktionszange entfernen. Es gilt natürlich, vorsichtig zu arbeiten und kaum zurotieren, um Beschädigungen zu vermeiden. Die entstandene Höhle wird gereinigt, diescharfen Knochenreste werden entfernt. Die freie Schleimhaut wird reponiert und mitEinzelknopfheften vernäht. Auf diese Weise verhindert man das Entstehen oronasalenFisteln.Abbildung 17: Alveolotomie mit einem Bohrer zurVorbereitung des Extraktion eines CaninusAbbildung 18: Luxation des Caninus nach bukkalSeite 15


BackenzähneIm Allgemeinen ist es sinnvoll, einen Backzahn mit mehr als einer Wurzel zunächst inzwei oder mehr einwurzlige Elemente zu teilen. Backenzähne mit einer Wurzel sind mitder oben genannten Technik einfach zu entfernen. Backenzähne mit zwei Wurzeln,wobei der alveoläre Knochen schon stark resorbiert ist, können nach dem Trennen desparodontalen Ligaments auch recht einfach gezogen werden. Falls aber die Wurzelnnoch sehr gut halten oder die Wurzeln stark divergieren, ist es besser, den Zahn zutrennen. Besonders der grosse erste mandibuläre Molar erfordert ein Trennen, oft nachAlveolotomie.Ein Backenzahn mit drei Wurzeln in einer unangetasteten Alveole stellt wohl die grössteHerausforderung beim Extrahieren dar. Geduld und spezielle Techniken sind notwendig,um einen solchen Zahn korrekt zu entfernen:1. Für eine gute Uebersicht wird die bukkale Seite des Zahnes durch Erheben einesmukogingivalen Flaps freipräpariert.2. Ein Teil des alveolären Knochens wird entfernt, um die Furkation sichtbar zumachen.3. Die Furkation wird mit Hilfe einer dicken Nadel oder einem Elevator durchgängiggemacht. Mit Hilfe einer Gigli-Säge oder eines Fissurenbohrers (Abbildung 19) wirdder Zahn gespalten. Überhitzung wird durch permanente Wasserkühlung vermieden.Es entsteht nun eine Situation mit drei Teilen und jeweils einer Wurzel.4. Ein gerader Elevator wird horizontal zwischen zwei Segmente eingebracht(Abbildung 20) und dann wird mit anhaltender, kräftiger Bewegung versucht, diebeiden Teile aus ihren Alveolen zu befreien. Manchmal kann man dazu einenbenachbarten Zahn benutzen und den Elevatoren im interdentalen Raum platzieren.5. Mit einem Elevator und der Technik für einwurzlige Zähne wird nun der Zahn weitergelockert.6. Eine Zange ist kaum notwendig, weil die Wurzeln gut mit dem Elevator zu entfernensind. Auch hier gilt wieder, mit anhaltenden Spannung die Fasern zu ermüden.7. Nachdem alle Wurzeln entfernt worden sind, geschieht die Nachbehandlung gleichwie bei den anderen Extraktionen.Nach der Extraktion und Inspektion werden die alveolären Knochenreste entfernt(Alveoloplastik), die Alveole gespült und verschlossen (Schleimhautflap).Seite 16


Abbildung 19: Separierung eines mehrwurzligenZahnes mit einem Fissurbohrer und Wasserkühlungzur späteren Extraktion entlang seiner einzelnenWurzelnAbbildung 20: Einsatz des Bein’schen Hebelszwischen den separierten ZahnteilenAnkyloseManchmal werden bei älteren Tieren Zähne beobachtet, welche mit dem Kieferknochenankylosieren. Die Anwesenheit von Knochenresten am extrahierten Zahn kann daraufhindeuten. Manchmal kann man kaum den Knochen vom Zahn trennen. Die besteLösung besteht dann im vorsichtigen Ausbohren der Wurzel mit einem Bohrer. Fallskeine Bohreinheit zur Verfügung steht, ist zuvor zu überlegen, ob der Zahn resp.zurückgebliebene Wurzelreste überhaupt entfernt werden sollenAbgebrochene WurzelresteVor allem bei Unerfahrenheit wird die Extraktion nicht immer ohne Fehl und Tadelverlaufen. Eine abgebrochene Wurzel ist keine Seltenheit. Zunächst wird der extrahierteZahn geprüft, um festzustellen, ob er in toto entfernt wurde. Eine runde Wurzelspitzeohne scharfe Kanten ist meist der Beweis dafür, dass die Extraktion vollständig ist. Beieiner scharfen oder abwesenden Wurzelspitze muss angenommen werden, dass nochein Teil der Wurzel fest sitzt. Durch gutes Spülen und gute Belichtung kann man diesprüfen. Mit Hilfe einer Wurzelextraktionszange oder einem so genannten „root-tipelevator“kann der verbliebene Teil entfernt werden. Zur Kontrolle der vollständigenExtraktion sollte unbedingt ein Röntgenbild gemacht werden.MilchzähneDie Entfernung von Milchzähnen verlangt mehr Geduld und Vorsicht. Die Wurzeln sindoft länger und schmaler, aber vor allem fragiler, so dass die Chance auf eine Fraktursehr hoch ist. Dies geschieht oft als Folge des Gebrauchs von zu grobemInstrumentarium, Ungeduld und Unerfahrenheit. Normalerweise werden die Wurzelnresorbiert und geschwächt und brechen darum recht schnell.Die Extraktion eines persistierenden Eckzahnes – in diesem Fall stehen der Milchzahnund der bleibende Zahn im Unterkiefer nebeneinander, im Oberkiefer hintereinander –erfordert eine Alveolotomie. Beschädigungen des bleibenden Zahnes sollen vermiedenwerden.Seite 17


Der Einsatz des Hebels nach Fahrenkrug kann zur Extraktion der Canini sehr nützlichsein, da seine Form diesen Milchzähnen entspricht (Abbildung 21, Abbildung 22).3.3 Extraktionstechnik bei der KatzeBei der Katze gelten die gleichen Prinzipien wie beim Hund. Allerdings ist dieReihenextraktion von Backenzähnen eine schwierige Angelegenheit, weil dieZahnwurzeln leicht brechen können und Zähne durch FORL entweder geschwächt sindoder Ankylosen eine Lösung vom parodontalen Ligament erschweren. Deswegen kannes ratsam sein, einen etwas invasiveren Zugang zu den Zähnen zu schaffen, damit alleZahnresten entfernt werden können.1. Erheben eines mukogingivalen Flaps über mehrere Zähen auf der bukkalen Seite(Basis ist die mukogingivale Linie, Elevation mit Periostelevator)2. Abfräsen des bukkal gelegenen Knochens mit einer Turbine, dabei auch Freilegungder Furkationen3. Trennen der Zähne in die einzelnen Wurzeln4. Vorsichtiger Einsatz der Hebel von oral und von der bukkalen Seite5. Abfräsen der lingual gelegenen hervor stehenden Alveolarknochenanteile6. Verschluss des Flaps mit Einzelknopfnähten und schnell resorbierbaremFadenmaterialInsbesondere an der Mandibula hatdie oben beschriebene Technik vieleVorteile. Kieferfrakturen durch einenzu hohen Kraftansatz bei einemKraftansatz ausschliesslich von derMaulhöhle aus wird so vorgebeugt. AmOberkiefer können Verletzungen derOrbita ebenfalls verhindert werden.Die gleiche Technik wird von denAutoren auch bei der Extraktion vonz.B. P4 oder M1 aus dem Oberkieferdes Hundes empfohlen. Es kann beieinem bestehenden Abzess derWurzelspitze der Gingivaflap nurteilweise verschlossen werden, umeine natürliche Drainage zuermöglichen.Abbildung 21: Hebelnach Fahrenkrug.Abbildung 22: Ein in totoextrahierter Milchcaninus.Seite 18


3.4 Instrumente für die ZahnextraktionenFür Extraktionen von Zähnen ist ein steriles Instrumentarium erforderlich.Nützliche Instrumente aus der Parodontologie:Zange nach Dietrich:Die beiden Schenkel haben unterschiedliche Längen. Sie wird für die grobeZahnsteinentfernung gebraucht.Parodontalsonde:Gerades Endstück mit stumpfem Ende und Masseinheit zur Tiefenmessung des Sulcusgingivalis. Oft befindet sich die Kuhhornsonde am anderen Ende.Kuhhornsonde:Gebogenes Endstück mit spitzem Ende zur Beurteilung der Zahnbeschaffenheit undAuslösen von Schmerzempfindlichkeit.Bifurkationssonde:Zum Abtasten der Bifurkation eines mehrwurzligen Zahnes.Abbildung 23: Instrumente für die Parodontologie: Zange nach Dietrich, Parodontalsonde mit Milimeterprobeund Kohhornsonde, BifurkationssondeInstrumente für ExtraktionenZur Lösung des parodontalen Ligamentes können folgende Instrumente verwendetwerden:Seite 19


Luxator:Mit dünnem und scharfem Arbeitsende. Dies ermöglicht ein tieferes Eindringen als mitdem Hebel.Hebel nach FahrenkrugPassend für die Extraktion von Canini bei Katzen und Milchcanini bei Hunden.Bein’scher Hebel:Mit dickem und gerundetem Arbeitsende.Extraktionszangen:Für die Extraktion nach Lösen des parodontalen Ligamentes. Bei den dünnenZahnwurzeln von Hund und Katze besteht die grosse Gefahr der Wurzelfraktur, wenndas Ligament ungenügend gelöst wurde.Abbildung 24: Luxatoren unterschiedlicherGrössenAbbildung 25: ZahnzangenAbbildung 26: Fahrenkrughebel und Bein'scher HebelSeite 20


Chirurgisches GrundinstrumentariumFür Extraktionstechniken, bei welchen die Gingivia abgelöst werden muss, werdenzusätzlich folgende Instrumente benötigt:• Skalpellgriff mit Klinge Nr. 15• Periostelevator zur Präparation von Mukosa und Periost• Pinzette (Adson)• Präparierschere (Metzenbaum)• Fadenschere• NadelhalterWinkelstück mit BohrerZur Teilung von mehrwurzeligen Zähnen und Präparation der Zahnwurzel durchEntfernung der bukkalen Alveolarwand. Schnell angetriebene Winkelstücke (high-speed)mit Bohrer, elektrisch (20’000-160'000 rpm) oder mit Luftdruck (Turbine, 400'000 rpm).Mit Wasserzufuhr. Gerade oder kegelförmige Fissurenbohrer aus Carbid Stahl oderDiamantbohrer sind geeignet und behalten ihren Schliff auch nach Kontakt mit demSchmelz.Abbildung 27: Chirurgisches GrundinstrumentariumAbbildung 28: Turbine (oben), darunter Rosenbohrer(links) und Fissurenbohrer (rechts)Seite 21


Stahlbohrer aus CarbidAbbildung 29: runder Bohrer, gerader Zylinder, kegelförmiger ZylinderDiamantbohrerAbbildung 30: runder Bohrer, gerader Zylinder, kegelförmiger ZylinderSeite 22


4 Update FORL (RL, TR) und Stomatitis / Pharyngitis4.1 FORL (RL, TR)Etwa die Hälfte aller Katzen über 6 Jahre entwickeln Schmelzschäden an einem odermehreren Zähnen. Da sie besonders an den Zahnhälsen auffallen, wurden dieseVeränderungen früher auch als „neck-lesions“ (englischer Begriff für Zahnhalsläsionen)bekannt. Die bisherige Bezeichnung als FORL (feline odontoclastic resorptive lesion)unterstreicht die Auflösungsprozesse am Zahn, die sich jedoch nicht auf denZahnschmelz beschränken, sondern auch die Wurzel, also Dentin einbeziehen. In derneuen Nomenklatur wurde der Begriff durch TR (tooth resorption) oder RL (ResorptiveLäsionen) ersetzt. Der Begriff Karies, mit der die Erkrankung anfangs verglichen wurde,ist nicht zutreffend, da die Schmelzschäden nicht das Ergebnis vonsäureproduzierenden Bakterien sind.Befinden sich die Schmelzschäden unterhalb des Zahnfleischrandes, verursachen siemeist keine Symptome. Liegen sie jedoch unbedeckt vom Zahnfleisch, zeigen dieKatzen häufig erkennbare Schmerzen beim Fressen und herabgesetztem Appetit. Durcheinwachsendes Zahnfleisch oder Überlagerung mit Zahnstein bleiben dieSchmelzschäden nicht selten unerkannt.PathogeneseEntstehungsursache dieser Schmelzschäden ist noch nicht bekannt. Histologischhandelt es sich um eine Resorption der Zahnwurzel durch Osteoklasten. Die zerstörteWurzel wird durch knochenähnliches Reparaturgewebe ersetzt. Erste äusserlichsichtbare Schäden werden an der Zement-Schmelzgrenze gefunden, diese stellenjedoch ein bereits weit fortgeschrittenes Krankheitsgeschehen dar. Im Endstadiumkommt es zur Eröffnung der Pulpa und zu Frakturen der Krone. Die in der Alveoleverbleibenden Wurzelreste werden häufig vom Zahnfleisch überwachsen. ImKieferknochen kommt es durch Umbauprozesse zu einer Fusion von Knochen undZahnsubstanz entlang der Wurzel (Ankylose).DiagnoseFrühstadien der Erkrankung sind nur mit Hilfe von Röntgenaufnahmen zu erkennen.Dabei zeigen sich erste Läsionen an der Oberfläche der Zahnwurzel.Seite 23


Abbildung 31: FORL auf einem Backenzahn.Der Pfeil zeigt die LäsionAbbildung 32: Gleiche Katze. DieLäsion ist auch auf dem Röntgenbildsichtbar.TherapieDie Reparatur von Schmelzschäden durch FORL (TR) gilt heute als obsolet, da derZerstörungsprozess am Zahn ungehindert fortschreitet und der Erfolg einer Restaurationdaher in Frage gestellt werden muss. Da betroffene Zähne insbesondere bei Eröffnungder Pulpahöhle starke Schmerzen verursachen können, sollten sie grundsätzlichgezogen werden. Wegen der fortschreitenden Ankylose ist eine Routineextraktion oftnicht möglich. Ist die Zahnwurzel nicht mehr als solche abgrenzbar, kann auch eineKronenamputation durchgeführt werden. Dies setzt eine Röntgenuntersuchung derbetroffenen Zähne voraus. Wegen der unklaren Entstehungsursache sind Empfehlungenfür die Vorbeugung bisher nicht möglich.4.2 Chronische Gingivostomatitis bei der KatzeEntsprechend der Lokalisation der Entzündung unterscheidet man zwischen- Gingivitis (Entzündung des Zahnfleisches)- Gingivitis mit Stomatitis (sobald die Entzündung die mukogingivale Linieüberschreitet)- Oropharyngitis (wenn die Rachenschleimhaut im Bereich des arcus palatoglossusbetroffen ist)Sobald die Entzündungsreaktion einer nicht therapierten Gingivitis auf denZahnhalteapparat übergreift spricht man von einer Parodontitis, die im Gegensatz zurGingivitis zu irreversiblen Schäden am Parodontium führt.Seite 24


Abbildung 33: Milde Form der OropharyngitisAbbildung 34: Massive Veränderungen im Rachen,Oropharyngitis im EndstadiumÄtiologieEs wird davon ausgegangen, dass es sich bei der chronischen Gingivostomatitis um einmultifaktorielles Geschehen handelt. Von zentraler Bedeutung sind dabeiimmunologische Vorgänge, die durch bakterielle Antigene, Viren, genetische Faktorenund Lebensbedingungen ausgelöst werden. Während keine spezifischen pathogenenbakteriellen Erreger nachgewiesen werden konnten, spielen Calici- und Herpesvireneine wichtige Rolle bei der Entstehung des Krankheitsbildes. Man schätzt, dass 20-30%der Katzenpopulation Träger von Caliciviren sind, bei an chronischer Gingivostomatitiserkrankten konnte ein deutlich höherer Anteil nachgewiesen werden. Herpesvirenwerden wesentlich seltener isoliert, scheinen aber insbesondere bei Entzündungen desOropharynx von Bedeutung zu sein. Auch die Tatsache, dass entsprechendeentzündliche Erkrankungen der Maulhöhle durch isolierte Erreger von erkrankten Tierenexperimentell induziert werden können spricht für eine Beteiligung der beiden obengenannten Viren am Krankheitsbild. Auch andere immunsupressive Viruserkrankungen(FeLV, FIV, FIP) können ähnliche Symptome auslösen und sollten diagnostisch imVorfeld ausgeschlossen werden. Neben infektiösen Ursachen führen aber auch anderesystemische Erkrankungen wie chronisches Nierenversagen oder diabetes mellitus zuerheblichen Entzündungen der Maulhöhle.DiagnoseIm Rahmen einer sorgfältigen klinischen Untersuchung werden zuerst dieVeränderungen genau lokalisiert. Unter Allgemeinanästhesie wird das Ausmassbestehender parodontaler Schäden sowie Erkrankungen der Zähne wie z.B. FORL(feline odontoclastic resorptive lesions) erfasst. Zur Diagnosestellung sind dafürRöntgenaufnahmen aller Zähne erforderlich, da eine typische Pathologie im Bereich derZahnwurzel nur auf diese Weise erkannt werden kann. Sollten ungewöhnlicheEntzündungen der Malhöhle beobachtet werden oder die Symptome unilateral auftreten,müssen Tumoren durch Untersuchung einer Gewebsbiopsie ausgeschlossen werden.Dabei steht bei der Katze an erster Stelle das Plattenepithelkarzinom, das sichmakroskopisch nicht mit Sicherheit abgrenzen lässt. Wesentlich seltener werden auchSeite 25


eosinophile Granulome in der Maulhöhle beobachtet, die ebenso ein zum Verwechselnähnliches Krankheitsbild hervorrufen können. Mithilfe der PCR Technologie kannweiterhin eine Beteiligung von Caliciviren nachgewiesen werden.TherapieDie symptomatische Behandlung richtet sich in erster Linie gegen die chronischentzündlichen Prozesse in der Maulhöhle. Dazu werden am häufigsten Steroide(Prednisolon) oder andere Immunsuppressiva (Cyclosporin A) sowie Progestagene(Megestrolacatat) eingesetzt, wobei Langzeitgaben oft zu gefürchteten Nebenwirkungenführen, abgesehen von der Notwendigkeit einer regelmässigenMedikamentenverabreichung und Therapiekontrolle (Blutbild).Zusätzlich werden in der akuten Phase Antibiotika eingesetzt. Eine gute Wirkung habenBreitbandantibiotika wie Amoxicillin und Clavulansäure (z.B. Clavaseptin ), auch®Spiramycin in Kombination mit Metronidazol (z.B. Suanatem ® ) und Clindamycin (z.B.Antirobe ® ) werden mit gutem Erfolg angewendet. Gut bewährt hat sich auch Cefovecin(Convenia ® ), dessen Wirkung nach einmaliger Injektion bis zu 14 Tagen anhält.In den letzten Jahren konnten auch therapeutische Erfolge mit felinem rekombinantemOmega-Interferon (Virbagen Omega ® ) erzielt werden. Für dieses Medikament wurde invitro eine antivirale Wirkung durch Hemmung der Virusvermehrung, sowie eineantiproliferative und immunmodulierende Wirkung nachgewiesen werden. Sowohl die Artder Anwendung (subgingival, subcutan, orale) als auch die Dosierungsempfehlungensind uneinheitlich, was die Beurteilung des klinischen Erfolges erschwert. Intherapieresistenten Fällen kann oft erst durch die Reihenextraktion der Zähne derEntzündungsprozess gestoppt werden. Diese Art der Behandlung ist bei etwa 50% derKatzen erfolgreich, bei ca. 30-40% kann eine deutliche Besserung erzielt werden, dieverbleibenden 10-20% zeigen auch darauf keine Besserung.Seite 26


5 Parodontologie5.1 Stadien der parodontalen ErkrankungenZahnplaqueWerden Zähne nicht regelmässig gereinigt, setzt sich ein weisslicher, 1-2mm dickerBelag, die Zahnplaque, auf den Zähnen ab. Bei der Plaque handelt es ich um einendurch Wasserstrahl nicht abwischbaren, festsitzenden und strukturierten Belag. Plaquebildet sich innerhalb weniger Stunden. Sie hat eine ähnliche Farbe wie derZahnschmelz, weshalb sie vom Tierbesitzer oft nicht wahrgenommen wird. Plaque haftetvor allem dort, wo keine mechanische Reinigung durch den Kauvorgang stattfindet. Siebesteht zum grössten Teil aus einem Netzwerk von Bakterien sowie ihren Haft-,Reserve- und Abbauprodukten. Dazu kommen Futterreste, Eiweisse und Mineralstoffeaus dem Speichel, abgestorbene Epithelzellen und Granulozyten. Zahnplaque kann mitder so genannten „Home care“ verhindert oder beseitigt werden.ZahnsteinWird Plaque nicht regelmässig entfernt, bildet sich durch Einlagerung vonKalziumphosphate fester Zahnstein. Dies geschieht bereits nach 24 bis 48 Stunden.Zahnstein ist somit mineralisierte Plaque. Der zunächst weisse Zahnstein verfärbt sichmit der Zeit bräunlich und wird spätestens dann vom Besitzer als solcher erkannt. Da dieMineralien über den Speichel in die Mundhöhle gelangen, beginnt derMineralisationsprozess in der Nähe der Speicheldrüsenausführungsgänge, also an derAussenseite der oberen Backenzähne sowie der Innenseite der unteren Schneidezähne.Auf der rauen Oberfläche des Zahnsteines haftet erneut Plaque, aus der nach einergewissen Zeit wieder Zahnstein entsteht. Zahnstein ist geruchlos. Bereits in diesemStadium lohnt es sich jedoch, eine Gebissreinigung durchzuführen, da der harteZahnstein nicht mehr vom Besitzer weggebürstet werden kann. Damit verhindert manentzündliche Veränderungen.Seite 27


GingivitisGingivitis ist der Ausdruck für eineEntzündung des Zahnfleisches(Gingiva). Hervorgerufen wird siedurch Plaques (chemische Irritation)und/oder Zahnsteins (mechanischeIrritation). Kennzeichen einer Gingivitissind Rötung und Schwellung desZahnfleisches. Dennoch ist sie istschmerzlos. Erst wenn es amZahnfleischrand zu kleinen Blutungenkommt, empfindet man die Gingivitisals schmerzhaft. Gingivitis führt zuunangenehmem Maulgeruch (Foetorex ore). Sie ist ein reversibler Prozessund kann mittels Gebissreinigunginnert weniger Tagen zur Abheilunggebracht werden.Abbildung 35: Gingivitis (links) und Parodontitis (rechts). DieBakterien besiedeln Gingiva, parodontales Ligament undAlveolarknochenParodontitisDas Fortschreiten der Entzündung auf tiefer liegende Teile des Zahnhalteapparates wirdals Parodontitis bezeichnet. Nach und nach kommt es zum Abbau desZahnhalteapparates. Dabei werden somit parodontales Ligament und Alveolarknochenmit befallen. Ein wichtiges Anzeichen für einen fortgeschrittenen Entzündungsprozess istdie Vertiefung der Zahnfleischtasche (Sulcus gingivalis) als Folge des Verlustes derepithelialen Anheftung. Die Gingiva bildet sich zurück und Zahnhälse, welcheschmerzempfindlich sind, werden frei. Durch die Einwirkung von Enzymen und Toxinender Bakterien aus der Zahnplaque schreitet der Zerstörungsprozess in RichtungZahnwurzel hin fort. Neben der Zerstörung des parodontalen Ligamentes kommt es zumAbbau alveolären Knochens (Osteolyse), was unbehandelt zwangsläufig die Lockerungdes betroffenen Zahnes und schlussendlich einen Zahnverlust bedeutet. Parodontitisführt somit zu tiefen, teils mit Eiter gefüllten, schmerzhaften und übelriechendenZahnfleischtaschen. Anhand eines Röntgenbildes kann das Ausmass der Auflösungenim alveolären Knochen beurteilt werden. Die Behandlung der Parodontitis besteht ineiner gründlichen Gebissreinigung und nachfolgender präventiver Hygienemassnahmen(Home care), die erneutes Anhaften von Plaque verhindern sollen. Parodontitis ist imGegensatz zu Gingivitis irreversibel, das heisst eine vollständige Wiederherstellung desParodontiums ist nicht möglich.5.2 Einflussfaktoren für parodontale Erkrankungen• Entwicklungsstörungen (z.B. persistierende Milchzähne, Polyodontie) führen zuEngständen der Zähne, welche ein Anhaften von Plaque begünstigen, da sieschlecht gereinigt werden können.Seite 28


• Zahn-und Kieferfehlstellungen bei Kleinrassen führen ebenfalls zu Engständender Zähne, da insbesondere die brachyzephalen Rassen verhältnismässig zugrosse Zähne für ihre unterentwickelten Kiefer besitzen.• Weichfutter hat eine schlechte mechanische Reinigungskraft.• Verhaltenstörungen (Stein-, Knochen-, Metallbeissen) verursachen Verletzungender Gingiva und begünstigen den parodontalen Zerfall.5.3 Home careZiel der Home care ist das Verhindern der Plaqueanlagerung auf den Zähnen. Plaquespielt die zentrale Rolle bei der Entstehung der parodontalen Erkrankung. Plaque kannvom Besitzer selbst entfernt werden, Zahnstein hingegen verlangt den professionellenEinsatz einer tierärztlichen Praxisassistentin.Zähne putzenBereits im Junghundealter sollten mitzahnhygienischenMassnahmenbegonnen werden. Somit wird derheranwachsende Hund an dieZahnreinigung gewöhnt. Die beim Besuchin der Praxis eingeübten Schritte desZähne Putzens sollten nach 2-3 Wochenanlässlich einer Kontrolle überprüftwerden. Um einen wirkungsvollen Schutzvor Plaque zu gewährleisten, müssen dieZähne einmal täglich geputzt werden, daPlaque innert 24 bis 48 Stunden ersteAbbildung 36: Regelmässiges Zähneputzen beugtMineralisationszeichen aufweist und somit einer parodontalen Erkrankung vor.zu Zahnstein wird. Der Zahnstein lässtsich durch Zähneputzen nicht mehr beseitigen.FütterungSpezielle Futtermittel (z.B. Hills t/d), die aufgrund ihrer Pressart die mechanischeZahnreinigung unterstützen und die Bildung von Plaque und Zahnstein deutlichverlangsamen, eignen sich sowohl für Katzen als auch Hunde. Grundsätzlich solltestrukturiertem Futter oder Trockenfutter den Vorzug gegeben werden. Nassfutter reinigtdie Zähne deutlich weniger gut, haftet stärker und führt zu weniger Speichelanregung,welche die Zähne remineralisiert.Seite 29


KauspielzeugeInsbesondere beim Hund gewähren Kauspielzeuge einen guten mechanischenReinigungseffekt. In ihrer Effizienz stehen sie jedoch deutlich hinter dem Zähneputzen.5.4 ZahnextraktionenEs sollte versucht werden, möglichst viele Zähne zu erhalten. Besonders Reiss- undEckzähne haben eine wichtige Funktion. Dabei sind die Möglichkeiten derNachbehandlung zu berücksichtigen. Nach einer Zahnsanierung sollte in einer Kontrollenach 2-4 Wochen der Behandlungserfolg und die Plaquebekämpfung beurteilt werden.Falls eine gute Plaquebekämpfung durch den Besitzer nicht möglich ist, kann eindefinitiver Behandlungsplan festgelegt werden, der eine radikalere Behandlung mitZahnextraktionen beim Auftreten von Rezidiven und einen Ersatz der Home care durchhäufigere tierärztliche mundhygienische Behandlungen umfasst.Kriterien für Zahnextraktionen:• Lockere Zähne infolge einer hochgradigen Parodontitis und Osteolyse sindschmerzhaft, da im Parodont Schmerzrezeptoren sitzen. Solche Zähne müssenentfernt werden.• Eiternde Zähne müssen meist entfernt werden. Ein Röntgenbild verschafft Klarheitüber das Ausmass der Läsion, respektive über den bereits befallenenKnochenanteil.• Schmerzhafte Zähne müssen radiologisch abgeklärt werden. DieSchmerzhaftigkeit kann mittels beklopfen des Zahnes durch ein Instrument eruiertwerden. Selbst in Narkose kann oft eine Reaktion erkannt werden.Indikationen für Zahnextraktionen:• Lockere Zähne infolge hochgradiger Parodontitis und Osteolyse• Zahnwurzelabszess• Wurzelfrakturen• Persistierende Milchzähne• Überzählige Zähne• FORL (Katze)• Stomatitis-Faucitis-Pharyngitis (Katze)Seite 30


6 Fehlstellungen6.1 Dentale Fehlstellungen (Klasse 1)Bei den dentalen Fehlstellungen sind einzelne Zähne oder Zahngruppen betroffen. Eshandelt sich um Einzelzahnfehlstellungen bei korrekt ausgebildeter Kieferlänge. Dabeispielen vor allem Fehlstellungen der Unterkiefereckzähne eine grosse Rolle. Zu steilangelegte Zahnkeime oder Störungen beim Zahnwechsel führen zu einer nach innenverlagerten Spitze des Eckzahnes mit teilweise tiefen, schmerzhaften Einbissen in denGaumen. Ursache sind häufig persistierende, d.h. während dem Durchbruch derbleibenden Zähne im 6. Lebensmonat nicht ausfallende Milchzähne (Abb. 2). Bleibt derMilchzahn erhalten, kann der neue Zahn nicht die für ihn vorgesehene Positioneinnehmen. Das gleichzeitige Beobachten des Milchzahnes und seines dazugehörenden bleibenden Zahnes lässt bereits auf eine Fehlleistung schliessen. Da derbleibende Zahn nicht direkt hinter dem Milchzahn stösst, wird dessen Wurzel nurungenügend aufgelöst, so dass er nicht ausfallen kann. Durch rechtzeitige Extraktiondes Milchzahnes kann die Ausbildung einer derartigen Zahnfehlstellung in vielen Fällenvermieden werden. Ist aber der bleibenden Zahn in einer störenden engen und meisthinteren Position, kann man bei kooperativen Hunden mit dem Daumen den Zahn nachtierärztlicher Anleitung über mehrere Wochen bewegen. Ansonsten wird eine korrektiveSchiene angefertigt und platziert, wird er Zahn gekürzt oder in Ausnahmefällengezogen.Abbildung 37: Zwergspitz, 6 Monate alt, mitpersistierenden Milchcanini im Unterkiefer (aussen),welche den bleibenden Zähnen (innen) keineGelegenheit geben, ihre normale Positioneinzunehmen.Abbildung 38 persistierende Milchcanini imOberkiefer. Die Extraktion wird empfohlen, um diedem bleibenden Zahn eine normale Position zuermöglichen.Die Persistenz der Milchzähne im Oberkiefer hat meist weniger Folgen als imUnterkiefer, weil die Zähne nicht nebeneinander, sondern hintereinander stossen(Abbildung 38). Unter Umständen bekommt der Oberkiefercaninus eine zu weit nachvorne (mesial) gerichtete Spitze, wodurch dem Unterkiefercaninus kein Platz bleibt.Auch hier gilt, dass eine rechtzeitige Extraktion den Schaden minimiert. Zudem beugtSeite 31


man parodontalen Erkrankungen vor, weil Zwischenräume für die Anheftung von Plaquewegfallen.6.2 Skelettale Fehlstellungen (Klasse 2 und 3)Im Gegensatz zu den dentalen Fehlstellungen liegt ein erbliches Geschehen vor.Deswegen werden solche Malokklusionen häufig schon im Milchgebiss beobachtet.Ober- oder Unterkiefer werden zu kurz ausgebildet.Die Kieferlänge verändert sich während dem Wachstum der Welpen erheblich. Da sichOber- und Unterkiefer als eigenständige Knochen entwickeln, kann es in dieser Zeitgerade bei schnellwüchsigen Rassen zu unbedeutenden Abweichungen von dernormalen Kieferstellung kommen, die sich während des Wachstums ausgleichen.Erhebliche Längenunterschiede sind aber bereits Anzeichen für eine angeboreneKieferfehlstellung (Abbildung 40). Die Verkürzung des Unterkiefers (Brachygnathiainferior, Klasse 2) macht oft grosse Probleme, da bereits die Milcheckzähne zu weithinten stehen, vom Oberkiefereckzahn nach innen gedrängt werden und in den Gaumenstechen können. Dies schmerzt nicht nur, sondern kann das Längenwachstum desUnterkiefers weiter bremsen. Die rechtzeitige Extraktion der Unterkiefereckzähne gibtdem Unterkiefer die Chance, ungehindert weiter zu wachsen. Nach dem Wechsel derZähne ist bei einer erneuten Beurteilung zu entscheiden, ob die allenfalls störendenZähne mit korrektiven Massnahmen bewegt, gekürzt oder gezogen werden müssen.Hierbei gilt, dass eine Behandlung nur erfolgt, wenn dem Tier Leiden genommen odererspart werden. Die Behandlung wird im Stammbaum eingetragen und der Besitzer zueiner Sterilisation resp. Kastration verpflichtet. Es kann natürlich nicht sein, dass einHund mit einem normal aussehenden, aber korrigierten Gebiss auf Ausstellungen einschönes Gebiss attestiert bekommt oder gar den Fehler an Nachfahren weitergibt.Abbildung 39: Massive skelettale Fehlstellung desMilchgebisses (Brachygnathia inferior) bei einem 4Monate alten Hund. Ober- und Unterkiefercaninistehen inkorrekt zueinander.Abbildung 40: Mässige skelettale Fehlstellung(Brachygnathia inferior) bei einem 7 Monate altenSchäferhund. Unterkieferschneidezähne, Eckzähneund Backenzähne stehen zu weit hinten.Die Verkürzung des Oberkiefers (Klasse 3) stellt im Normalfall kein klinisches Problemfür den Hund dar, weil die Unterkiefereckzähne weit vorne stehen und dieOberkiefereckzähne wegen des breiteren Kiefers aussen vorbei gehen. Es muss seltenSeite 32


korrigierend eingegriffen werden. Dabei gelten die gleichen Richtlinien wie obenbeschrieben. Bei einigen Rassen, wie zum Beispiel dem Boxer, ist diese Kieferstellungein gewolltes Rassemerkmal.Abbildung 41: Verkürzter Oberkiefer bei einemerwachsenen Pudel, umgekehrtes Scherengebiss.Die Unterkiefereckzähne stossen in den Gaumen.Sie werden gekürzt.Abbildung 42: Umgekehrtes Scherengebiss beieinem Briard. Auch die Backenzähne stehen nichtkorrekt. Es ist eine skelettale Fehlstellung derKlasse 3 (Brachygnathia superior). Es gibt keineklinischen Probleme.In einigen wenigen Fällen fällt es schwer, eine Fehlstellung in die Klasse 1 (dental) oder2 (Brachygnathia inferior) vorzunehmen. Dies ist dann der Fall, wenn der Hund mit 6 – 8Monaten erstmals vorgestellt wird und das hauptsächliche Merkmal ein zu engerUnterkiefer mit in den Gaumen stechenden Unterkiefercanini ist. Eine genaueUntersuchung beim Tierarzt mit der Dokumentation aller für eine normale Okklusionrelevanten Punkte (insbesondere Abfolge der Molaren und Prämolaren) sollte aber eineRichtung aufzeigen. Im Zweifelsfall ist von einem Zuchteinsatz abzusehen.6.3 Fehlende und überzählige ZähneZu den Definitionen: Das Fehlen von Zähnen wird auch als Hypodontie bezeichnet.Dabei handelt es sich entweder um eine echte Zahnunterzahl, bei der Zähne nichtausgebildet sind oder um angelegte, aber nicht durchgebrochene Zähne (falscheHypodontie). Unter Polyodontie versteht man überzählige Zähne, die weitaus wenigerhäufig auftreten als fehlende Zahnanlagen. Dabei muss unterschieden werden, ob essich bei den überzähligen Zähnen um verbliebene Milchzähne (falsche Polyodontie)oder um doppelt angelegte bleibende Zähne handelt.Die echte Hypodontie ist besonders bei kurzköpfigen (brachycephalen) Hunden undZwergrassen zu beobachten. Beim Hund sind am häufigsten der P1 sowie die letztenMolaren von Ober- und Unterkiefer betroffen. Ob ein Zahn angelegt ist oder nicht kannmit Sicherheit nur mit einer Röntgenaufnahme abgeklärt werden. Die Zahnanlagen allerpermanenten Zähne können ab dem Alter von 12 Wochen von erfahrenen Radiologenauf dem Röntgenbild identifiziert werden. Wegen der geringen funktionellen Bedeutungwird das Fehlen vom P1 in vielen Rasseclubs toleriert, wobei die Gesamtanzahl derFehlzähne in der Regel festgeschrieben ist. Hunde, bei denen funktionell bedeutendeZähne nicht ausgebildet sind, sollten von der Zucht ausgeschlossen werden. DasSeite 33


Tolerieren von weniger als 42 Zähnen bedeutet oft, dass sich der Schädel verkürzt hatund Atemprobleme zunehmen.Abbildung 43: Fehlender P3 im Oberkiefer (echteHypodontie). Foto. Dr. S. Grundmann.Abbildung 44: Röntgenbild des Oberkiefers vomHund aus Abbildung 43. Es ist keine Zahnanlagesichtbar. Röntgen, Foto: Dr. S. Grundmann.Wesentlich seltener kommen Probleme beim Zahndurchbruch vor. Da der Zahn imRöntgenbild nachweisbar ist handelt es sich um eine falsche Hypodontie. Ursachenkönnen zum einen Hindernisse beim Durchbruch wie z.B. Zahnfehlstellungen oderMilchzahnreste sein, in diesem Fall spricht man von impaktierten Zähnen. Ist keinDurchbruchhindernis erkennbar bezeichnet man sie als retinierte Zähne. Den Zähnenkann mit geeigneten chirurgischen oder orthodontischen Massnahmen allenfalls nochder Durchbruch ermöglicht werden.Überzählige Zähne entstehen gelegentlich durch eigenständige Zahnanlagen oderTeilung von Zahnkeimen. Polyodontie wird am häufigsten bei den Schneidezähnen(Abbildung 45) und beim P1 beobachtet. Ob es sich tatsächlich um einen zusätzlichangelegten Zahn oder um einen persistierenden Milchzahn handelt, kann manchmaltrotz der morphologischen Unterschiede nur mit einem Röntgenbild abgesichert werden.Zusätzlich entwickelte Zähne können sich entweder in die Zahnreihe eingliedern oderausserhalb liegen bleiben. Sollten derartige Zähne die Okklusion behindern oder zueiner Fehlstellung anderer Zähne führen, ist eine sofortige Extraktion zu empfehlen.Auch ein Engstand der Zähne mit sich daraus entwickelnden parodontalenErkrankungen ist eine Indikation für das Ziehen überzähliger Zähne.Seite 34


Abbildung 45: Echte Polyodontie bei einem Irish Setter. Erhat 8 Oberkieferincisivi. Auch im Unterkiefer gab es zu vielebleibende Zähne.Abbildung 46: Röntgenbild des Oberkiefers.Es handelt es ausschliesslich umpermanente Zähne.Abweichungen in der Zahnzahl sind beim Hund häufig zu beobachten. Zur eindeutigenDiagnose ist in der Regel ein Röntgenbild zur Abklärung notwendig. FrühzeitigesEingreifen bei zu erwartenden Problemen wie Fehlstellungen, Zystenbildungen oderparodontalen Erkrankungen können die Ausbildung von typischen Krankheitsbildernhäufig vermeiden. Neben den daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen sindwegen möglicher Heredität auch Konsequenzen für die Zucht in Erwägung zu ziehen.Die Nichtanlage von P1 hat eine Vererblichkeit von 41 %. Bei anderen Zähnen und beider Polyodontie sind keine Zahlen bekannt.Seite 35


7 Zahnfrakturen7.1 Einteilung der Zahnbrüche und BeurteilungGrundsätzlich spricht man von unkomplizierten (nur Schmelz oder Schmelz/Dentinbetroffen) oder komplizierten Brüchen (Pulpa eröffnet, meistens Blutaustritt). Die Brüchewerden zudem nach ihrer Höhe (Kronen-, Hals-, Wurzel-, sagittale Brüche) und ihremAlter (wenig infizierte Pulpa, infizierte Pulpa) eingeteilt (Abbildung 47).Brüche der Krone haben in der Regel eine günstige Prognose. Zahnhalsbrüche könnenaus Gründen der Krafteinwirkung nur wenig bis gar nicht aufgebaut werden. Wurzel- undSagittalfrakturen haben eine ausgesprochen schlechte Prognose, weil der Zugang zurBehandlung nur ungenügend möglich ist. Nur die ganz apikalen (Wurzelspitzen) Brüchekönnen allenfalls durch Ruhigstellung behandelt werden. Im Folgenden werden nur nochdie Kronenfrakturen besprochen.Abbildung 47: Zahnfrakturen. a Halsfraktur, b Wurzelfraktur, c Wurzelspitzenfraktur, d Kronen-Wurzelfraktur, e unkomplizierte Kronenfraktur (Schmelz), f unkomplizierte Kronenfraktur(Schmelz und Dentin), g komplizierte Kronenfraktur.Bei der Beurteilung und Prognose resp. Therapieplanung wird zunächst der Grad derKomplikation beurteilt. Bei Schmelz- resp. Dentinbrüche sind manchmal nurvorübergehende Beiss- oder Fressunlust sowie später eine leichte Braunverfärbung desZahnes sichtbar. Oftmals sind es Zufallsbefunde. Der Bruch kann belassen werden odernach Abschleifen mittels Schmelz/Aetztechnik, Zahnleim (Bonding) und etwas Kunststoff(Composite) etwas ausgeglichen werden.Komplizierte Brüche bei Hunden und Katzen unter 2 Jahren verlangen nach einerraschen Behandlung. Will der Besitzer den Zahn erhalten, so soll sofort nach dem Bruchein Breitspektrum-Antibiotikum gegeben werden, um die Pulpa-Infektion möglichst zuverhindern. Dann muss innert 72 Stunden eine professionelle Zahnbehandlung mittelsVitalamputation und Ueberkappung folgen.Sind die Hunde oder Katzen älter als 2 Jahre, so eilt die Behandlung weniger, weil diePulpa entfernt werden kann (Mortalamputation). Darüber wird dann eine Kappe geformt.Seite 36


Die Endformung der Krone kann auf verschiedene Arten geschehen. Zähne, beiwelchen eine normale Belastung zu erwarten ist, werden mit Kunststoffkappenversehen. Dies geschieht meist in der gleichen Sitzung wie die Wurzelbehandlung.Kunststoffkappen können im Laufe der Jahre brüchig werden und wegfallen.Hundezähne, welche grösseren Belastungen ausgesetzt sind, bekommen entwederweisse Zirkonoxidkronen (praktisch gleiche Farbe wie Zahn, aesthetisch sehr schön)oder Stahlmantelkronen (silber oder weiss verbendet, sehr widerstandsfähig, geeignetfür Sport-, Dienst- oder Polizeihunde). Diese Kronen erfordern eine Abdrucknahme inder ersten Sitzung und eine Montage in einer zweiten Sitzung. Es sind also zweiNarkosen notwendig. Die Kappen werden in den meisten Fällen nur wenig über denvorhandenen Zahnstumpf geformt, damit sie den gewaltigen Kräften, die auf das Gebisswirken, widerstehen können.Der komplette Zahnersatz durch eine Schraubenverankerung und eine Kunststoffkroneist möglich. Es muss dabei beachtet werden, dass im Gegensatz zum Menschen andereKraftrichtungen und Kraftgrössen herrschen.Abbildung 48: frische komplizierte Kronenfraktur beieinem 1.5 Jahre alten Retriever. EineVitalamputation erhält die Pulpa.Abbildung 49: Sagittalfraktur bei einem P4. Der Zahnwird extrahiert.In jedem Fall eines Zahnbruches ist als Alternative zum Erhalt eine Zahnextraktionmöglich. Aus Gründen der Funktionalität und der Aesthetik sollten Canini immerbelassen werden. Bei den Incisivi sprechen vor allem Aesthetikgründe für einen Erhalt.Die Prämolaren und Molaren sind für das Kau- und Fressverhalten unserer Heimtierenicht mehr zwingend nötig und werden meist gezogen. Es kommt hinzu, dass dieFrakturen dieser Zähne oft sagittal und damit bis in die Wurzel reichen und zudem oftmehrere Wurzeln behandelt werden müssen. Dies erhöht die Kosten und verschlechtertdie Prognose.Seite 37


Algorithmus zur Behandlung der Zahnfrakturen (Zusammenfassung):Seite 38


7.2 Beispiele aus der ZahnfrakturbehandlungVitalamputation:Bei der Vitalamputation soll die Pulpa erhalten bleiben. Die in der kurzen Zeit seit demZahnbruch exponierte Pulpa wird mit einem sterilen Bohrer 2-4 mm tief abgetragen. DieBlutung wird gestillt und die Pulpa mit einer Zwischenschicht bedeckt (Abb. 6). DieWeiterführung der Antibiotika-Therapie ist sinnvoll, ebenso eine radiologischeVerlaufskontrolle des Apexgebietes. Damit können Pulpitiden und Alveolitiden erkanntund vorgebeut werden.Mortalamputation:Die Pulpa wird entfernt mittels Nervextirpationsnadeln. Anschliessend wird sie gespültund getrocknet und mit desinfizierenden Pasten gefüllt. Guttapercha(Kautschukstäbchen) pressen diese Pasten vollends in den Apex und den Dentin undsorgen so für einen vollständigen Verschluss. Eine Röntgenaufnahme demonstriert dasFüllen der Pulpa und die Positionierung der Guttaperchastäbchen im apikalen Delta.Abbildung 50: Nach Teilresektion der Pulpa wirdeine Zwischenschicht aufgetragen.Abbildung 51: Guttaperchastäbchen schliessen dieBehandlung mittels Mortalamputation ab.Ueberkappung mit Composite:Zahnschmelz und Dentin werden mittels Aetzlösungen und Primer für die Aufnahme desZahnleimes (Bonding) vorbereitet. Das Bonding ist meistens eine lichthärtende Substanzund wird mehrfach aufgetragen. Die Krone entsteht durch mehrmaliges Auftragen undAushärten von Kunststoff (Composite), welcher am Schluss mit Schleifscheiben geformtwird. Eine Bondingschicht bildet den Abschluss. Compositeaufbauten können nachJahren Farbveränderungen erfahren oder abbrechen. Je höher der Aufbau, destogrösser ist das Risiko eines Verlustes der Kappe.Seite 39


Abbildung 52: Haftvermittlungsvorbereitungdurch Aetzen des Schmelzes (blaues Aetzgel)Abbildung 53: Kronenformung mittels CompositeZirkonoxidkrone:Mit Zirkonoxidkronen werden dauerhafte weisse Aufbauten geschaffen. Allerdings mussdazu nach erfolgter Wurzelbehandlung und Kronenpräparation ein Spezialabdruck desZahnes und beider Kiefer genommen werden. Das Zahnlabor produziert dann diepassgenaue Krone, welche in einer zweiten Sitzung mit Spezialzement fixiert wird.Zirkonoxidkronen sind geeignet für normale Belastungen.Metallkrone:Die silberfarbenen Metallkronen sind der ideale Kronenersatz für Dienst- undPolizeihunde. Auch hier werden zwei Sitzungen resp. zwei Narkose nötig. Nach demVorbereiten des Zahnes und dem speziellen Schliff wird eine Metallkappe im Laborhergestellt und in einer zweiten Sitzung mittels Schmelz/Aetz-Technik und Zement aufdem Stumpf fixiert. Metallkronen sind sehr widerstandsfähig und für hohe Belastungengeeignet.AbbildungCaninus54: Zirkonoxiskrone auf einemAbbildung 55: Metallkrone für Dienst-, SportundPolizeihundeSeite 40


7.3 DiversesZähne können nach einem Unfall auch Schaden nehmen, ohne dass das Dentin oderder Schmelz bricht. Als wichtiges Zeichen ist eine langsame Verfärbung desZahninneren von rötlich über gelb zu braun und grau zu beobachten. Es ist dies derAusdruck einer nekrotisierenden Pulpa. Diese muss nach einem Zugang entfernt undeine Mortalamputation durchgeführt werden. Das Zugangsloch wird verschlossen.Zahnluxationen von Incisivi und Canini sollten sofort therapiert werden. Luxierte Zähnebewahrt man am besten in Milch auf. Der luxierte Zahn wird mittels einer speziellenDrahtkonstruktion am Kiefer und an den benachbarten Zähnen fixiert. Das Drahtgeflechtwird mit Kunststoff überdeckt und 6-10 Wochen belassen. Auf die gleiche Art könnenkleinere instabile Kieferanteile fixiert werden. Die erfolgreiche Reposition mehrwurzligerZähne ist kaum von Erfolg gekrönt, da wegen der divergierenden Wurzeln häufigKnochenanteile mit ausgerissen werden.Frakturen der Unterkieferknochen werden im Körper mit Cerclagen oder Plattenbehandelt. Ramusfrakturen werden belassen. Symphysenfrakturen werden mit einertemporären Drahtschlinge, fixiert hinter den Canini, therapiert. Kiefergelenkfrakturenverlangen nach einem Debridement oder einer Exzision des Gelenkes.Trümmerfrakturen der Kiefer bei Katzen können die Canini mittels Interdental bondingtemporär stabilisiert werden. Die Stellung soll den Durchgang der Lippe zurFutteraufnahme erlauben. Allenfalls ist auch eine Oesophagussonde indiziertAbbildung 56: Interdental bondingSeite 41

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