Straßenverkehrsrecht - SVR
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In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Anwaltsinstitut e.V.<br />
herausgegeben von Dr. jur. Frank Albrecht,Regierungsdirektor im Bundesverkehrsministerium, Berlin; Hans Buschbell,Rechtsanwalt, Düren/Köln;<br />
Wolfgang Ferner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Dr. Christian Grüneberg, Richter am OLG Köln;<br />
Ottheinz Kääb,Rechtsanwalt,Fachanwalt für Versicherungsrecht,München;Prof.Dr.Jürgen-Detlef Kuckein,Richter am BGH,Karlsruhe;Ulf D. Lemor,<br />
Geschäftsführer Europa,Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft,Brüssel;Dipl. Ing. Dr. Werner Möhler,Aachen;Dr. Dr. Frank Pluisch,<br />
Köln; Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Universität Tübingen; Priv. Doz. Dr. Stephan Seidl, Nürnberg/Erlangen.<br />
Schriftleitung:Wolfgang Ferner,Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Ass. jur. Rüdiger Balke, Koblenz; Wolfgang E. Halm,<br />
Rechtsanwalt, Köln; Prof. Dr. Helmut Janker,Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin.<br />
Mit dem Fall des Rettungskostenersatzes beim Ausweichen<br />
vor Tieren hat sich die Rechtssprechung2 in gewisser Regelmäßigkeit<br />
zu beschäftigen. Das Urteil des BGH vom 25. Juni<br />
20033 sowie des Oberlandesgerichts München4 vom 27. September<br />
2002 geben Anlass, die unterschiedlichen Rechtsauffassungen<br />
der Landgerichte und Oberlandesgerichte über die<br />
Entschädigungsleistungen als Rettungskosten gem. §§ 62, 63<br />
VVG beim Ausweichen vor Wildtieren zu durchleuchten. Die<br />
Auffassungen der Instanzgerichte differieren dabei erheblich.<br />
1. Einführung<br />
Die Fahrzeugversicherung nach § 12 Abs. 1, Ziff. 1d AKB gewährt<br />
grundsätzlich Versicherungsschutz für Beschädigungen,<br />
die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeuges und seiner unter<br />
Verschluss verwahrten oder an ihm befestigten Teile, einschließlich<br />
der durch die beigefügte Liste in der jeweiligen Fassung<br />
als zusätzlich mitversichert ausgewiesenen Fahrzeugund<br />
Zubehörteile, soweit diese durch einen Zusammenstoß<br />
des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges mit Haarwild im<br />
Sinne des § 2 Abs.1, Nr. 1 Bundesjagdgesetzes entstanden sind.<br />
Voraussetzung ist grundsätzlich, dass es zu einer Berührung<br />
mit dem Wild gekommen ist und dass dieses die Ursache für<br />
den Schaden bildet. Der Schaden darf daher nicht durch ein<br />
Verkehrszivilrecht<br />
Ordnungswidrigkeiten/Strafrecht<br />
Versicherungsrecht<br />
Verkehrsverwaltungsrecht<br />
<strong>Straßenverkehrsrecht</strong><br />
ZEITSCHRIFT FÜR DIE PRAXIS DES VERKEHRSJURISTEN<br />
Der Rettungskostenersatz bei Wildunfällen<br />
Rechtsanwalt Michael Lengler, München 1<br />
AUFSÄTZE<br />
anderes Ereignis als den Zusammenstoß – etwa eine Alkoholisierung<br />
des Fahrers – verursacht worden sein. 5<br />
Versicherungsschutz besteht auch für eine durch den Zusammenstoß<br />
ausgelöste Fehlreaktion des Fahrers. 6<br />
Gerade das aus dem Wald seitlich auf die Straße plötzlich heraustretende<br />
Wild stellt ein starkes Überraschungsmoment<br />
dar, und ist insoweit für den Fahrer oft grundsätzlich gefährlicher<br />
als ein anderes Hindernis. Er kann dann leicht in Folge<br />
der auftretenden Überraschungs- und Schreckwirkung die<br />
Herrschaft über den Wagen verlieren oder ein gefährliches Ausweichmanöver<br />
einleiten, das zu einem Zusammenstoß mit einem<br />
auf der anderen Straßenseite entgegenkommenden Fahrzeug<br />
oder zu einem Ausweichen rechts über den Fahrbahnrand<br />
hinaus führt. Die Schäden in Folge eines missglückten Brems-<br />
1 Der Verfasser ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Dr. Tscheuschner, Schauer<br />
& Lengler in München.<br />
2 OLG Düsseldorf, VersR 01, 322; OLG Hamm, SP 98, 255 f; OLG Karlsruhe, SP<br />
99, 386; OLG Koblenz, zfs 00, 209; OLG Köln, SP 97, 170 f.; OLG Naumburg,<br />
SP 98, 24; OLG Nürnberg, SP 97, 295; LG Dresden, DAR 99, 27; LG Ellwangen,<br />
SP 98, 223; LG Erfurt, SP 98, 475; LG Halle, SP 97, 171, LG Kempten, SP 98,<br />
222 f.; LG Köln, SP 99, 102; LG Lübeck, r+s 96, 220 f.; LG Stralsund, SP 98, 175;<br />
LG Verden, SP 98, 351.<br />
3 BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 Az: IV ZR 276/02 in <strong>SVR</strong> 04, 24.<br />
4 OLG München, Urteil vom 27. September 2002 – Az: 10 U 5645/01 (unveröffentlicht)<br />
sowie LG München I, Urteil vom 6. November 2001 – Az: 6 O<br />
10285/01 in NVersZ 02, 129 f.<br />
5 BGH NZV, 92, 109; OLG Karlsruhe NZV 92, 321 sowie OLG Schleswig zfs 90, 95.<br />
6OLG Hamm NJW-RR 87, 985 und OLG Jena VersR 98, 623.<br />
<strong>SVR</strong> 8/2004 | 281
AUFSÄTZE | Lengler, Der Rettungskostenersatz bei Wildunfällen<br />
oder Ausweichmanövers sollen dann nicht mehr gedeckt werden,<br />
weil die Gefahr eines Missbrauches zu groß wäre.<br />
Der Oberste Gerichtshof in Wien hat in einem Urteil vom<br />
11. Juni 1981 geurteilt, dass Schäden in Folge eines missglückten<br />
Ausweichmanövers gedeckt seien, falls es zuvor zu einer<br />
Berührung mit dem Wild, das keinen Schaden verursacht hat,<br />
gekommen ist. 7<br />
Solche Schäden können aus dem Gesichtspunkt der Rettungskosten<br />
gedeckt sein.<br />
2. Rettungskosten gem. §§ 62, 63 VVG<br />
Durch die Entscheidung des BGH 8 ist für die Rechtsprechung<br />
entschieden, dass die Schäden, die in Folge des Ausweichens<br />
zur Vermeidung einer Kollision mit Haarwild am eigenen Fahrzeug<br />
eintreten als Rettungskosten gem. §§ 62,63 VVG zu erstatten<br />
sind. Mit der Begründung, § 7 AKB ändere die in § 62<br />
Abs. 1 VVG normierte Rettungspflicht, die bereits bei einem<br />
unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall eingreife, nicht<br />
ab, hat der BGH die Ersatzpflicht der Versicherung für sogenannte<br />
Rettungskosten auch in der Kaskoversicherung bejaht.<br />
Zur Missbrauchsproblematik führt der BGH in dieser<br />
Entscheidung aus:<br />
„Der Ersatz von Rettungskosten bei drohendem Zusammenstoß<br />
mit Haarwild kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Gefahr<br />
des Missbrauchs durch den Versicherungsnehmer abgelehnt<br />
werden. Diese Gefahr, die es auch in anderen Versicherungssparten<br />
gibt, kann den Ausschluss gesetzlicher Ansprüche,<br />
soweit dies überhaupt zulässig ist, nur dann rechtfertigen, wenn<br />
er in den Versicherungsbedingungen ausdrücklich geregelt ist.“<br />
Aufwendungen des Versicherungsnehmers sind zu ersetzen,<br />
soweit sie auf der Rettungsmaßnahme beruhen. Sie müssen<br />
demzufolge von dem Willen getragen sein, einen Unfall zu vermeiden.<br />
Reaktionen eines Kraftfahrers auf plötzlich auftauchende<br />
Gefahrsituationen stellen sich nur häufig als vom Unterbewusstsein<br />
gesteuerte Handlungen dar, bei denen ein<br />
bewusster Willensentschluss nicht vorliegt. Auch derartige Verhaltensweisen<br />
fallen unter den Begriff „Rettungsmaßnahme“. 9<br />
Nur reine Schreckreaktionen sind hierunter nicht mehr zu<br />
subsumieren. 10 Ein Anspruch auf Ersatz von Rettungskosten<br />
besteht dagegen nicht, wenn die Abwendung des Versicherungsschadens<br />
lediglich eine Reflexwirkung der Rettungshandlung<br />
war. 11 In dem entschiedenen Fall war der Versicherungsnehmer<br />
einem entgegenkommenden Fahrzeug<br />
ausgewichen. Den Ersatz des dabei entstandenen Schadens<br />
hatte er als Rettungskosten im Hinblick auf das im Rahmen des<br />
teilkaskoversicherten Risikos „Glasbruch“ geltend gemacht.<br />
Der BGH hat darauf abgestellt, dass es dem Versicherungsnehmer<br />
in erster Linie darauf angekommen sei, Schaden für<br />
Leib und Leben abzuwenden. Diesem Interesse gegenüber sei<br />
die Rettung der Fahrzeugverglasung untergeordnet gewesen.<br />
Die Rettung des Hauptinteresses (Leib und Leben) habe die<br />
282 | <strong>SVR</strong> 8/2004<br />
Rettung des Nebeninteresses (Glasbruch) als Reflexwirkung<br />
nach sich gezogen.<br />
Der Versicherungsnehmer kann jedoch nicht jeden Unfallschaden,<br />
der in Folge eines Ausweichens vor einem drohenden<br />
Zusammenstoß mit Haarwild entsteht, ersetzt verlangen. Voraussetzung<br />
ist generell, dass die Rettungsmaßnahme erforderlich<br />
war, um anderenfalls entstehende höhere Kosten abzuwenden.<br />
Fehleinschätzungen des Versicherungsnehmers bei<br />
der Beurteilung der Erforderlichkeit der Rettungsmaßnahmen<br />
sind gem. § 62 VVG unschädlich, falls dem Versicherungsnehmer<br />
nicht der Vorwurf der grobfahrlässigen Fehleinschätzung<br />
12 anhaftet. 13<br />
Zu der Problematik der sogenannten grobfahrlässigen Fehleinschätzung<br />
sind in den vergangenen Jahren unzählige Entscheidungen<br />
ergangen, die in den Instanzen zu erheblich<br />
unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben.<br />
3. Zur grobfahrlässige Fehleinschätzung<br />
In einem Urteil vom 30. Juli 1996 hatte das LG Passau entschieden,<br />
dass ein Kraftfahrer, der bei angemessener Geschwindigkeit<br />
eine Linkskurve durchfährt und dabei einem<br />
sprungbereiten Fuchs auszuweichen versucht, bei einem missglückten<br />
Ausweichmanöver den Fahrzeugschaden als Rettungskosten<br />
ersetzt verlangen kann, da er dabei eine adäquate<br />
Reaktion vollzieht. 14<br />
Das LG Passau geht bei einem Ausweichmanöver vor einem<br />
Fuchs von einer objektiven Rettungssituation aus. Zutreffend<br />
ist zwar, dass ein Fuchs ein relativ kleines Tier ist, wie alle Wildtiere<br />
ist er jedoch völlig unberechenbar. Das Landgericht Passau<br />
hatte hierzu Beweis erhoben und einen Sachverständigen<br />
hinzugezogen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass nur<br />
dann mit einer relativ geringen Beschädigung zu rechnen ist,<br />
wenn ein Fuchs unmittelbar unter das Fahrzeug gezogen wird.<br />
Dies ist nur dann der Fall, wenn ein Fahrzeug auf einen unmittelbar<br />
auf der Fahrbahn stehenden Fuchs auffährt, ihn somit<br />
überfährt. Befindet sich der Fuchs jedoch in einer Sprungphase<br />
oder zeigt er sonst ein dynamisches Verhalten, so ist<br />
auch bei einem Fuchs mit erheblichen Schäden zu rechnen.<br />
Diesen Ausführungen folgte die Kammer des LG Passau.<br />
Auch das OLG München 15 hatte in einer früheren Entscheidung<br />
aus dem Jahre 1993 geurteilt, dass ein PKW-Schaden,<br />
der durch einen Unfall anlässlich eines Ausweichmanövers<br />
7 Oberster Gerichtshof in Wien, VersR 84, 452 sowie AG Stuttgart, Urteil vom<br />
2. Mai 1985, VersR 85, 1031.<br />
8 BGH NZV 91,226.<br />
9 OLG Nürnberg, NJW-RR 93, 995.<br />
10 Vgl. Knappmann, VersR 89, 113 f.<br />
11 BGH, NZV 94, 391.<br />
12 OLG Hamm, r+s 94, 167 = VersR 94, 43 L; OLG Braunschweig, VersR 94, 1293;<br />
OLG Düsseldorf, VersR 94, 592; OLG Bremen, VVGE § 63 VVG Nr. 1.<br />
13 OLG Hamm, NZV 93, 401 sowie Voit in Prölss/Martin, Kommentar zum VVG,<br />
25. Aufl., § 63 Anm. 2a.<br />
14 LG Passau, Urteil vom 23. Juli 1996 – Az: 3 S 48/96 in NJWE-VHR 97, 154.<br />
15 OLG München, NJW-RR 94, 222; Urteil vom 12. März 1993 – Az: 10 U<br />
5568/92.
eines Renault-Clio vor einem Wildhasen bei einer Geschwindigkeit<br />
von ca. 80-100 km/h entsteht, als Rettungsschaden in<br />
der Fahrzeugteilkaskoversicherung zu ersetzten ist. Der Senat<br />
ging davon aus, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten weder<br />
durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach § 63 VVG<br />
noch durch grobe Fahrlässigkeit gem. § 61 VVG ausgeschlossen<br />
ist. Das in dem Einleiten eines Ausweichmanövers liegende<br />
Risiko durfte die Klägerin in dem zugrunde liegenden Fall<br />
eingehen, weil der durch einen Zusammenstoß des Hasen<br />
mit dem kleinen Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 80-<br />
100 km/h mögliche Schaden der Klägerin nicht abwägbar war<br />
und die eingeleitete Ausweichbewegung jeglichen Schaden<br />
vermeiden sollte.<br />
In der jüngsten Entscheidung hat das LG München I der Klägerin<br />
die volle Entschädigungsleistung als Rettungskosten<br />
gem. §§ 62,63 VVG zuerkannt, welche verunfallt war nachdem<br />
sie auf einer Landstraße einem Fuchs ausgewichen war. 16<br />
Das LG München I legte dieser Entscheidung zugrunde, dass<br />
„ein Fuchs ein nicht mehr ganz kleines Tier – ähnlich einem Hasen<br />
oder einem Kaninchen – vergleichbar sei“. Vielmehr ist ein Fuchs<br />
schon ein größeres Tier, mit dem eine Kollision eine erhebliche<br />
Gefährdung darstellt. Der Versuch der Verhinderung einer Kollision<br />
mit erheblicher Sachgefährdung ist auch kein grobfahrlässiges<br />
Verhalten im Sinne von § 62 Abs. 2 VVG. Bei einer<br />
Kollision mit einem Fuchs droht erheblicher Schaden, gerade<br />
bei außerörtlich gefahrenen, relativ hohen Geschwindigkeiten,<br />
sodass ein Ausweichmanöver keinesfalls eine grobe Verletzung<br />
der im Straßenverkehr gebotenen und erforderlichen<br />
Sorgfalt darstellt. 17<br />
Demgegenüber hat das OLG Jena mit Urteil vom 17. Juli 1996<br />
erkannt, dass ein Anspruch auf Rettungskosten dann nicht<br />
besteht, wenn ein Autofahrer anlässlich eines drohenden Zusammenstoßes<br />
mit einem Fuchs bei einer Geschwindigkeit<br />
von 30-40 km/h in einer gefährlichen Kurve auf schmutzbedeckter,<br />
regennasser Fahrbahn bremst und ausweicht. 18 Das<br />
OLG Jena führt weiter aus, dass ein Zusammenstoß mit einem<br />
Fuchs bei einer Geschwindigkeit von 30-40 km/h auch bei<br />
einem leichten Fahrzeug zu keinen Beschädigungen am Fahrzeug<br />
oder sogar zu Personenschäden führen wird. Hingegen<br />
führt ein Bremsen in einer gefährlichen Kurve auf schmutzbedeckter,<br />
regennasser Fahrbahn sehr häufig zum Schleudern<br />
des Fahrzeuges und zum Abkommen von der Fahrbahn. Die<br />
Gefährdung von Fahrzeug und Insassen ist in diesem Fall bei<br />
weitem höher als bei einem Zusammenstoß mit einem Fuchs.<br />
Das OLG Jena nimmt dabei Bezug auf Entscheidungen des OLG<br />
Nürnberg und des OLG München. Zwar wurde in der Rechtsprechung<br />
teilweise auch dann ein Anspruch auf Rettungskosten<br />
bejaht, wenn dieser anlässlich des drohenden Zusammenstosses<br />
mit einem Fuchs 19 oder mit einem oder zwei<br />
Hasen 20 entstanden war. Abgesehen davon, dass der Senat an<br />
abweichende Entscheidungen anderer Gerichte nicht gebunden<br />
ist, sind die dort entschiedenen Fälle mit dem hier vorliegenden<br />
Fall nach Auffassung des OLG Jena nicht vergleichbar. In<br />
den vom OLG München und vom LG Köln entschiedenen Fäl-<br />
Lengler, Der Rettungskostenersatz bei Wildunfällen | AUFSÄTZE<br />
len lag, nach Auffassung des Senates eine wesentlich höhere<br />
Ausgangsgeschwindigkeit vor und dies ändere auch das Risiko.<br />
Der BGH hat sich zu der aufgeworfenen Problematik bisher nur<br />
teilweise geäußert. 21 Bei einem grobfahrlässigen Irrtum über<br />
die objektive Notwendigkeit, Rettungskosten aufzuwenden, ist<br />
der Versicherer zum Ersatz der Kosten nicht verpflichtet. Dies<br />
ist der Fall, wenn der Fahrer eines Mittelklasse Fahrzeuges bei<br />
einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h einem Hasen ausweicht,<br />
um einen Schaden an seinem Fahrzeug durch einen etwaigen<br />
Zusammenstoß mit dem Hasen zu vermeiden.<br />
Das LG Frankfurt hatte noch geurteilt, dass ein Ausweichen vor<br />
einem Hasen schon aus Gründen des Tierschutzes richtig sei.<br />
Der 4. Senat des BGH 22 ist dem entgegengetreten mit der Begründung,<br />
dass zwar grundsätzlich Zustimmung verdient,<br />
wer einem Hasen ausweicht. Der Versicherer hat aber nur für<br />
einen Schaden einzustehen, der dem Versicherungsnehmer<br />
entstanden ist, weil er einen anderen, unter Umständen größeren,<br />
jedenfalls aber versicherten Schaden, vermeiden wollte.<br />
Mit der Teilkaskoversicherung ist jedenfalls nicht das Leben<br />
des Hasen versichert, sondern das Fahrzeug.<br />
Zum grob fahrlässigen Handeln führt der IV. Senat beim BGH aus:<br />
„Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt<br />
nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem<br />
Maße verletzt und unbeachtet lässt, was in dem gegebenen<br />
Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen<br />
Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grobfahrlässigen<br />
Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares<br />
Fehlverhalten handeln, dass ein gewöhnliches Maß erheblich<br />
übersteigt.“ 23<br />
Ein Kraftfahrer, der mit einem Mittelklassewagen und einer<br />
Geschwindigkeit von ca. 90 km/h eine gerade Strecke befährt,<br />
verletzt seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße,<br />
da er das mit einer plötzlichen Fahrtrichtungsänderung verbundene<br />
hohe Risiko in Kauf nimmt, um einem Hasen auszuweichen.<br />
Der Kraftfahrer kann bei dieser Geschwindigkeit,<br />
wenn er nicht über ein besonderes Training verfügt, die Folgen<br />
einer plötzlichen Fahrtrichtungsänderung kaum beeinflussen.<br />
Lenkt er sein Fahrzeug dennoch unvermittelt zur Seite,<br />
lässt er ein hohes Risiko für sein Fahrzeug – wie auch seine<br />
Gesundheit – unbeachtet. Es muss jedem Kraftfahrer einleuchten,<br />
dass er dieses hohe Risiko nicht ohne Not eingehen<br />
darf, auch wenn es darum geht, einem Hasen auszuweichen,<br />
mit dem ein Zusammenstoß anderenfalls unmittelbar bevorstünde.<br />
Nach der Rechtsprechung des BGH kann vom äußeren<br />
Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven<br />
16 LG München I, NVersZ 02, 129 f.<br />
17 Zustimmend OLG Zweibrücken, VersR 00, 884, Urteil vom 25. August 1999 –<br />
Az: 1 U 218/98.<br />
18 OLG Jena, VersR 97, 609.<br />
19 LG Köln, r+s 92, 115.<br />
20 OLG München, NJW-RR 94, 222.<br />
21 BGH, Urteil vom 18. Dezember 1996 – Az: IV ZR 321/95.<br />
22 BGH, VersR 97, 351 f. Urteil vom 18. Dezember 1996 – Az: IV ZR 321/95.<br />
23 BGH (ständige Rechtssprechung), Urteil vom 8. Februar 1989 – Az: IV ZR 57/88<br />
in VersR 89, 582.<br />
<strong>SVR</strong> 8/2004 | 283
AUFSÄTZE | Lengler, Der Rettungskostenersatz bei Wildunfällen<br />
Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte<br />
Vorwerfbarkeit geschlossen werden. 24<br />
Wenn ein Hase die Fahrbahn kreuzt, ist dies nach der Auffassung<br />
des BGH kein so gewöhnliches Ereignis, dass ein objektiv<br />
grobfahrlässiges Ausweichmanöver subjektiv eine mildere<br />
Beurteilung verdient. Aus diesem Grund ist das Ausweichmanöver<br />
vor einem Hasen als grob pflichtwidrig anzusehen.<br />
Mit der Frage der groben Pflichtwidrigkeit hatte sich zuletzt das<br />
OLG München auseinandergesetzt. Der Fall behandelte ein<br />
Ausweichmanöver vor einem Fuchs. Der Senat hat Beweis erhoben<br />
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />
und weiter beabsichtigt, in Anlehnung an die Rechtsauffassung<br />
des BGH 25 zum Ausweichmanöver vor Hasen, seine bisherige<br />
Rechtssprechung 26 aufzugeben.<br />
Bei dem Fahrzeug der Klägerin, 27 das etwas niedriger als ein üblicher<br />
Mittelklassewagen war, wäre bei einer Geschwindigkeit<br />
von ca. 80 km/h der im Vergleich zum Fahrzeuggewicht von<br />
985 kg nur bis zu 10 kg schwere und bis zu 30 cm Schulterhöhe<br />
große Fuchs vom PKW über Körperhöhe erfasst und nach vorne<br />
weggeschleudert oder überrollt worden. Dabei wäre allenfalls<br />
ein geringer Schaden an der Stoßfängerverkleidung ohne<br />
Schaden an der Lenkung entstanden. Die von diesem Tier<br />
ausgehende Gefahr war nach Angaben des Sachverständigen,<br />
derart gering, dass es jedenfalls unverhältnismäßig war, das<br />
hohe Risiko eines ungleich größeren Schadens durch eine<br />
plötzliche Fahrtrichtungsänderung bei gleichzeitigem Abbremsen<br />
in Kauf zu nehmen. 28<br />
Nach den Umständen des Falles war davon auszugehen, dass<br />
ein Irrtum über die Erforderlichkeit des Ausweichens vor einem<br />
Fuchs vorgeherrscht hat. Ein Kraftfahrer, der mit einem<br />
Mittelklassewagen bei einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h<br />
im Winter, in einem Waldstück, auf einer gut ausgebauten<br />
Straße sein Fahrzeug durch überzogene Lenkreaktion ins<br />
Schleudern bringt, sodass es nach links von der Fahrbahn abkommt,<br />
lässt ein hohes Risiko für sein Fahrzeug – wie auch sein<br />
Leben – unbeachtet. Es muss jedem Kraftfahrer einleuchten,<br />
dass er dieses hohe Risiko auch nicht eingehen darf, um einem<br />
Fuchs auszuweichen. Mangels entlastender Umstände war<br />
der Schluss zu ziehen, dass die Fahrerin auch subjektiv unentschuldbar<br />
handelte, als auch ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares,<br />
ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigendes<br />
Fehlverhalten gezeigt wurde. Ein „Erschrecken“<br />
mag den Fahrer nicht zu entlasten, da von einem Kraftfahrer<br />
verlangt werden muss, einhergehend mit der Rechtsprechung<br />
des BGH, dass er auch dann, wenn kleine Tiere, wie Fuchs<br />
oder Hase auf der Fahrbahn auftauchen, sachgerecht reagiert.<br />
Die Entscheidung des OLG München steht im Einklang mit<br />
den Entscheidungen des LG Gera und des Thüringischen OLG<br />
in Jena, 29 welche ebenfalls den Ersatz von Rettungskosten abgelehnt<br />
haben, nach einem Ausweichmanöver vor einem<br />
Fuchs. Der BGH hat hierzu in der Revisionsentscheidung 30<br />
allerdings ausgeführt:<br />
„Droht ein Fahrzeugschaden durch Zusammenstoß mit einem<br />
Tier, so ist dieser versicherte Sachschaden gegen die durch ein<br />
284 | <strong>SVR</strong> 8/2004<br />
Brems- und Ausweichmanöver drohenden möglicherweise<br />
mehrfachen Fahrzeug- und Personenschäden abzuwägen. Bei<br />
der Abwägung kommt es auf die Größe des Tieres an. Für einen<br />
Hasen hat der BGH bereits entschieden, dass die Gefahr,<br />
die von einem so kleinen Tier ausgeht, dermaßen gering ist, dass<br />
es jedenfalls unverhältnismäßig ist, das hohe Risiko eines ungleich<br />
größeren Schadens in Kauf zu nehmen. Ob das gleiche<br />
auch für einen Fuchs gilt, ist eine Frage der tatrichterlichen<br />
Einzelfallwürdigung. Da die Entscheidung der Berufungsinstanz<br />
keinen Rechtsfehler erkennen lässt, ist der Senat an die<br />
Entscheidung der Vorinstanz gebunden.“<br />
4. Zusammenfassung und Ausblick<br />
Die Rechtsprechung zur Problematik der Rettungskosten bleibt<br />
auch nach dem Urteil des BGH vom 25. Juni 2003 uneinheitlich,<br />
da die Frage, ob das Ausweichen vor einem Fuchs als grobfahrlässige<br />
Pflichtverletzung anzusehen ist, nicht höchstrichterlich<br />
entschieden wurde. Während teilweise von den<br />
Landgerichten und Oberlandesgerichten Rettungskosten bei<br />
Ausweichen eines Kraftfahrers vor einem Fuchs zuerkannt werden,<br />
so wurde dies zuletzt vom OLG München und dem Thüringischen<br />
OLG in Jena verneint. Das OLG München nimmt<br />
Bezug auf das Urteil des BGH vom 18. Dezember 1996, welches<br />
allerdings keine Entscheidung über ein Ausweichmanöver<br />
vor einem Fuchs darstellt. Ob Fuchs und Hase aus dem Blikkwinkel<br />
des Gefahrenmomentes vergleichbar sind bleibt streitig.<br />
Auch von den Sachverständigen fallen die Gutachten<br />
unterschiedlich aus.<br />
Sollte sich die Rechtsprechung durchsetzen, dass Fahrzeugschäden<br />
als Rettungskosten bei Ausweichen vor einem Wildtier<br />
nicht ersetzt werden, so kann Kraftfahrern nur empfohlen<br />
werden, grundsätzlich auf jedes Ausweichmanöver vor<br />
Wild zu verzichten und stur jedes Tier, das sich in den Weg<br />
stellt zu überfahren. Die tatsächlichen Schadensfälle, die nach<br />
der Wildschadensklausel gem. § 12 AKB zu regulieren wären,<br />
dürften dann erheblich ansteigen. Nach vorsichtigen Schätzungen<br />
dürften mehr als 95 % der Ausweichmanöver vor<br />
einem Wildtier ohne Folgen verlaufen. Der Wille des Gesetzgebers<br />
war es ursprünglich, dass ein Kraftfahrer, der ein Wildtier<br />
nicht überfährt, sondern versucht, durch ein Ausweichmanöver<br />
einen größeren Schaden zu vermeiden, nicht<br />
schlechter gestellt wird, als derjenige, der den Unfall herbeiführt.<br />
Aus diesem Grund wurden die §§ 62, 63 VVG geschaffen.<br />
24 BGHZ 119,147; BGH, VersR 92, 1085.<br />
25 BGH, VersR 97, 351.<br />
26 OLG München, NJW-RR 94, 222.<br />
27 Mazda MX 5.<br />
28 OLG München, Urteil vom 27. September 2002 – Az 10 U 5645/01 (nicht veröffentlicht).<br />
29 Bereits früher OLG Jena, VersR 97, 609 f., Urteil vom 17. Juli 1996 – Az: 4 U<br />
230/96.<br />
30 BGH, <strong>SVR</strong> 04, 24 f, Urteil vom 25. Juni 2003 – Az: IV ZR 276/02.