Brasilien: Halbwüchsiger, seiner Kraft nicht bewusst
Brasilien: Halbwüchsiger, seiner Kraft nicht bewusst
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Körper. An Tankstellen treibt sich allerlei Gesindel herum. Minderjährige Huren, dingbare<br />
Mörder. Auf der Ladefläche eines Lkw stoßen weiße Zeburinder ihre Hörner gegen den<br />
hölzernen Verschlag.<br />
Die " Armspannweite"<br />
Um den unermesslichen Reichtum dieses gigantischen Landes, aber auch die unsinnige<br />
Vergeudung fruchtbarsten Ackerlandes zu verstehen, muss der Europäer vorerst mit<br />
brasilianischen Maßeinheiten vertraut werden. Die "braça", die "Armspannweite", die<br />
umgerechnet etwa 2,2 Metern entspricht. Es ist erstaunlich, welches Gewicht ehemalige<br />
Pflichtschüler ihr Leben lang auf Maßeinheiten legen. Von der Volksschule her kennen wir<br />
die Elle. Ebenso das Zoll, das sich auf den Daumen bezieht, sowie Fuß und Yard, auf die<br />
unteren Gliedmaßen. Diese angeführten Maße sind mit der menschlichen Anatomie halbwegs<br />
konform.<br />
Wenn wir nun zur "braça" zurückkehren, stellen wir fest, dass kaum ein Mensch 2,2 Meter<br />
"Armspannweite" aufweisen kann. 2,2 Meter Armspannweite hat, an Leonardo da Vincis<br />
Kreis denkend, bestenfalls ein übermannsgroßer Orang-Utan.<br />
Was mochte wohl die Leute einst bewogen haben, die "braça" so übertrieben zu schätzen?<br />
Um diese geometrische Diskrepanz verstehen zu können, müssen wir ein weiteres Maß zu<br />
Rate ziehen, das aus derselben Epoche stammt. Die "tarefa", wortwörtlich übersetzt:<br />
"Aufgabe". Ein Flächenmaß.<br />
Ein "tarefa-großes" Stück Land soll angeblich von einer Person pro Tag bearbeitet werden<br />
können. Eine "tarefa" misst 4356 Quadratmeter, oder 900 Quadrat-praças. Also 30 "braças"<br />
mal 30 "braças", um es anschaulicher zu machen.<br />
Da Hauptschüler <strong>nicht</strong> nur mit allerlei Maßeinheiten vertraut sind, sondern auch mit<br />
Schlussrechnungen umgehen können, drängen sich sogleich folgende Gedanken auf:<br />
Angenommen, es gelang einem riesigen Negersklaven auf einer "Quadrat-braça" eine<br />
beliebige Arbeit in einer Minute zu verrichten, benötigte er für die 900 "Quadrat-braças", also<br />
einer "tarefa", volle 15 Stunden.<br />
In Bahia wie in anderen tropischen Regionen gibt es aber nur rund 12 Stunden Tageslicht,<br />
aber keine Akkordarbeit, wie wir sie aus Industrieländern kennen. Sich vorzustellen, dass<br />
Negersklaven 75 Minuten pro Stunde verdienen konnten, scheitert wiederum an der Tatsache,<br />
dass diese keinerlei Lohn erhielten. Höchstens Peitschenhiebe und Stockschläge. Es war also<br />
<strong>nicht</strong> nur die "braça" übertrieben groß ausgefallen, sondern auch die sogenannte "tarefa".<br />
Sollte der "braça" am Ende eine mit Harke bewaffnete Hand als Modell gedient haben?<br />
Mit einem Buschmesser, dessen Klinge mindestens einen halben Meter misst, kommt bald<br />
einer auf eine "Armspannweite" von einer "braça". Verschiedene Aufgaben können auf einem<br />
Feld vollzogen werden. Bei einigen kommt man schneller voran, bei anderen, komplizierteren<br />
und schwereren Arbeiten langsamer. Man kann eine "tarefa" mit Samen bestreuen,<br />
Maniokwurzen pflanzen oder Wald roden, von Unkraut befreien.<br />
Bis heute ist die "tarefa" ein ziemlich unbestimmter Beziehungspunkt. Sie stellt also kein Maß<br />
dar, um eine möglichst gerechte Bezahlung der verrichteten Arbeit zu ermöglichen.<br />
Landarbeiter sind nach wie vor an einen lächerlichen Taglohn gebunden. Im Schatten der