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neue herausforderungen an die gemeindepsychiatrie - Barmherzige ...

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Der SchönfelderBeispielsweise Redewendungen, wie: „Istdoch halb so schlimm“, oder das „Talkingdown“von Gefühlen oder nicht nachvollziehbaremErleben sind eskalierend. Ichvergleiche es gerne mit dem häufigenFehlverhalten von Ärzten. M<strong>an</strong> bekommtvor einem lokalen Eingriff eine Betäubunggesetzt. Sagt m<strong>an</strong> „Autsch!“, heißtes häufig: „Das k<strong>an</strong>n nicht sein, denn ichhabe Ihnen ja etwas gespritzt!“ Deko<strong>die</strong>reich eine solche Äußerung, d<strong>an</strong>n heißt esletztlich, was du äußerst, spürst und fühlststimmt nicht! Es besteht häufig ein Kenntnisdefizitbezüglich der Wirkung unsererKörpersprache, <strong>die</strong> gerade beim psychisch<strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nten Menschen hochsensibel gedeutetwird. Körperhaltungen und Äußerungen,<strong>die</strong> Machtverhältnisse signalisieren,sind eskalierend und führen zu keiner,wir nennen es: „win–win-Situation“.Nehmen aus Ihrer Erfahrung körperlicheÜbergriffe in der Psychiatrie zu?Ich k<strong>an</strong>n hier nur begrenzt im Sinne meinerpersönlichen Erfahrung als Kr<strong>an</strong>kenpflegerim Einsatz auf psychiatrischenStationen und im Verlauf meiner 20-jährigenFortbildungsarbeit argumentieren.Generell verlieren <strong>die</strong> stigmatisiertenÜberzeugungen von überproportionalenÜbergriffen auf psychiatrischen Stationenzunehmend <strong>an</strong> Wirklichkeit. M<strong>an</strong> hat g<strong>an</strong>zeinfach mehr Kenntnisse, Erfahrungen undReaktionsmöglichkeiten auf akute, psychischbedingte Eskalationsphasen erworbenund k<strong>an</strong>n, gegenüber verg<strong>an</strong>genenZeiten, viel früher deeskalierende Situationenschaffen. Es geht ja nicht darum,den Patienten zu beherrschen, sondern<strong>die</strong> gesamte Situation unter Kontrolle zubekommen. Deeskalation ist definiert alsdas Erkennen, Deuten und Verstehen vonzunächst aggressivem Verhalten, und derVersuch, <strong>die</strong>ses <strong>an</strong> der Weiterentwicklungzu hindern.Das k<strong>an</strong>n bereits bei der biographischenAnamnese eines Klienten/Patienten beginnen.Dazu gibt es im Sinne der Vorhersagbarkeitvon körperlichen Übergriffen fun<strong>die</strong>rteForschungsergebnisse (Breakwell).Die Vorfälle mit dem Ergebnis vonschweren Körperverletzungen, teilweisemit Todesfolge, ereignen sich häufigwährend Notarzteinsätzen, richterlichenoder pflegerischen Hausbesuchen, in derhäuslichen Pflege und während der Erste-Hilfe-Maßnahmen in Notfallambul<strong>an</strong>zen,beispielsweise bei notwendigen lokalen,chirurgischen Eingriffen.Sowohl in allgemeinen Notfallambul<strong>an</strong>zenals auch in psychiatrischen Aufnahmestationenwird es immer häufiger problematisch,polyintoxinierte Klienten/Patientenmit ihren möglichen Reaktionen einzuschätzen.Welchen Stellenwert hat der Umg<strong>an</strong>gmit der eigenen Aggression in IhrerVer<strong>an</strong>staltung?M<strong>an</strong> muss als Mitarbeiter wissen, dass m<strong>an</strong>selbst oft biologisch <strong>die</strong> gleichen Phasender Eskalation durchläuft, und sich ohneSelbstkontrolle viel zu schnell auf einen„Kampf“ einlässt, worum es überhauptnicht geht. Ich habe erlebt, zu welchendramatischen Gewaltsituationen es durchungelerntes Hilfspersonal kommen k<strong>an</strong>n.Heute haben wir wesentlich bessere Möglichkeitender Krisenintervention, nicht zuletztauch durch <strong>die</strong> bereits gemachten Erfahrungen,<strong>die</strong> Präsenz von Fachpersonalund gezielter, medikamentöser Fixierungim Akutbereich.Was bedeutet es für <strong>die</strong> Mitarbeiter,ein Recht auf <strong>die</strong> eigene Würde undUnversehrtheit zu haben?Wir machen sehr häufig in unseren Ver<strong>an</strong>staltungen<strong>die</strong> Erfahrung, dass Angehörigeder sozialen Berufe <strong>die</strong> Verletzung <strong>die</strong>sesGrundrechtes <strong>an</strong> sich selbst nicht wahrnehmenoder abwerten. Menschen, <strong>die</strong> insozialen Berufen tätig sind, verwechselnhäufig das Verstehen können von abweichendemVerhalten mit der Entschuldungdes Fehlverhaltens.Ich sage oft: „Jem<strong>an</strong>den zu verstehen, bedeutetnicht gleichzeitig, sein H<strong>an</strong>deln damitzu rechtfertigen. Ein kr<strong>an</strong>ker oder behinderterMensch hat keine Sonderrechteauf Grenzüberschreitungen bei seinen Fürsorgeträgern“.Beispielsweise wertet weiblichesPersonal oft obszönes Verhalten vonKlienten ab.Ein Exhibitionist wird ja nicht wegen einessexuellen Übergriffes bestraft, sondernweil er das Recht auf sexuelle Selbstbestimmungmassiv verletzt.Wie konnten Sie Sensei Bill Marsh fürIhr Fortbildungs<strong>an</strong>gebot gewinnen?Ich selbst beg<strong>an</strong>n im Alter von 27 Jahrenmit dem Training bei Bill Marsh, den ichschon damals als sehr kompetent und integererlebte. Diese Einschätzung hat sichbei mir, trotz jahrel<strong>an</strong>ger Unterbrechung,nach Wiederaufnahme des Trainings nochverstärkt.Ich rief <strong>an</strong>, erzählte ihm von meiner Idee,und er sagte: „Okay, f<strong>an</strong>gen wir <strong>an</strong>!“Bill Marsh zeigte den Mitarbeitern desSchönfelderhofes, wie Sie sich ausÜbergriffsituationen befreien können.Ist <strong>die</strong> Selbstverteidigungsschulungder Mitarbeiter unverzichtbar odergeht es Ihnen um <strong>die</strong> Vermittlung vonschonenden Abwehrmech<strong>an</strong>ismen?Beide Fragestellungen ergänzen sich gegenseitig.Zum einen steigt <strong>die</strong> Gewaltbereitschaftbei bestimmten Klienten/Patientennachweisbar und <strong>die</strong> Notwendigkeit,Eskalation frühzeitig zu erkennen und notfallssich und den Klienten/Patienten mitminimalster Abwehr schützen zu können,wird immer dringlicher.Ein zunehmendes Klientel in den unterschiedlichstenEinrichtungen verl<strong>an</strong>gt nachmehr Kompetenz im Umg<strong>an</strong>g mit Gewalt.Gerade <strong>die</strong> hier „nachrückenden“ Jugendlichenfordern zunehmend Kompetenzender Betreuer zum Thema Gewalt, Unrechtund Gewissensbildung. Aus Amerika wurdeder Begriff „CD`s“ übernommen, derfür Character Disorders steht. Berufsgenossenschaftenfordern zunehmend <strong>die</strong>seFortbildungen aufgrund der steigendenAnzahl von Übergriffen mit zum Teil tödlichenFolgen für <strong>die</strong> Angestellten.Selbstverteidigung ist nicht <strong>die</strong> Durchführungeiner Kampfsportdisziplin, sonderneine Notwehrrechtsh<strong>an</strong>dlung, <strong>die</strong> imRahmen einer zeitlichen und verhältnismäßigenReaktion stehen muss. Das hatnichts mit Gewalt zu tun. Eine Form derDeeskalation k<strong>an</strong>n auch Flucht oder dasSich-Einschließen in einen sicheren Raumdes Arbeitnehmers sein.Wir vermitteln generell das Erkennen unddas daraus resultierende H<strong>an</strong>deln bei sich<strong>an</strong>bahnenden Sp<strong>an</strong>nungssituationen, einschließlichder möglichst verletzungsfreienSelbstverteidigung. Wir betonen <strong>die</strong> Notwendigkeitder Entschlossenheit mit denmöglichen Risiken.Die Vermittlung sogen<strong>an</strong>nter „s<strong>an</strong>fter“Techniken, nach dem Prinzip: „Darf ichSie berühren?“, und dabei noch, wie oftvermarktet, parallel therapeutische Gesprächezu führen, entbehren jeglicher Erfahrungund Realität.Das Interview führte Peter Mossem21

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