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<strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong><br />

Quelle: http://www.zeit.de/2002/03/Politik/print_200203_a-auschwitz.html<br />

Zeitläufte 03/2002<br />

"... zusammen 1274166"<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

Der Funkspruch des SS-Sturmbannführers Hermann Höfle liefert ein Schlüsseldokument des<br />

Holocaust<br />

von Peter Witte<br />

Fünf Tage brauchten die britischen Geheimdienstler in ihrer Dechiffrierzentrale im idyllischen Bletchley Park bei<br />

Woburn, um die Funksprüche der deutschen Polizei aus dem besetzten Europa zu entschlüsseln, die sie am 11.<br />

Januar 1943 aufgefangen hatten. Darunter befanden sich zwei, die als "Geheime Reichssache!" besondere<br />

Aufmerksamkeit erregt haben mussten. Vom ersten Funkspruch, abgesandt um 10 Uhr morgens, konnte lediglich<br />

der Empfänger identifiziert werden: "An das Reichssicherheitshauptamt, zu Händen SS Obersturmbannführer<br />

Eichmann". Der Rest fehlte.<br />

Der zweite Funkspruch fünf Minuten später hingegen lag bis auf eine kleine Lücke vollständig dekodiert vor. Er<br />

stammte von einem SS-Sturmbannführer Höfle beim SS- und Polizeiführer im polnischen Lublin und war an SS-<br />

Obersturmbannführer Heim beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Krakau gerichtet. Die britischen<br />

Kryptanalytiker wussten, dass beide Funksprüche von der Polizeifunkstelle OMQ stammten und dass OMQ als<br />

Rufzeichen für Lublin stand. Zwei der sehr seltenen Geheimen Reichssachen von derselben Funkstelle Lublin<br />

innerhalb von fünf Minuten gesendet: Es muss sich der Schluss aufgedrängt haben, dass beide Funksprüche<br />

weitgehend, wenn nicht gar völlig identisch gewesen sein dürften.<br />

Ob die Briten allerdings mit dem Inhalt viel anzufangen wussten, ist eher zu bezweifeln. Die eigentliche<br />

Nachricht besteht nur aus vier Kürzeln in Großbuchstaben, jedes gefolgt von Zahlen, am Ende offenbar eine<br />

Summe: "zusammen 1 274 166". Zahlreiche andere dekodierte deutsche Funksprüche weisen<br />

Bearbeitungsvermerke der englischen Experten auf; etliche besonders wichtig erscheinende Nachrichten wurden<br />

sogar zusammengefasst an Premierminister Winston Churchill weitergeleitet. Nichts deutet jedoch darauf hin,<br />

dass die Spezialisten die außerordentliche Bedeutung ausgerechnet dieses Funkspruchs erkannt hatten. Man nahm<br />

ihn, wie alle anderen, als "Most Secret" unter Verschluss und gab ihn erst 2000 im Public Record Office in Kew<br />

für die Öffentlichkeit frei.<br />

Hier wurde der Höfle-Funkspruch vor einigen Monaten von dem englischen Geschäftsmann und<br />

Geschichtsforscher Stephen Tyas, einem ausgewiesenen Fachmann auf diesem Gebiet, gefunden und sofort in<br />

seiner Bedeutung erfasst. Tyas benachrichtigte etwas später den Autor.<br />

Himmler gibt Sprachregelung vor<br />

Diese in der Tat völlig unscheinbare "14-tägige Meldung Einsatz Reinhart" erschließt sich in ihrer ganzen<br />

Monstrosität erst aus dem Zusammenhang. Am 13. Oktober 1941 hatte Heinrich Himmler als Reichsführer-SS<br />

und Chef der Deutschen Polizei dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, in Gegenwart<br />

von dessen Vorgesetzten Friedrich-Wilhelm Krüger den folgenschweren Befehl erteilt, mit der Vernichtung der<br />

Juden im Generalgouvernement zu beginnen.<br />

Globocnik ließ daraufhin von seinem Bauexperten Richard Thomalla nacheinander die drei Vernichtungslager<br />

Be¬zec, Sobibór und Treblinka errichten. Der Aufbau begann in Be¬zec am 1. November 1941, in Sobibór<br />

wahrscheinlich noch im selben Monat, in Treblinka, gelegen im Nachbardistrikt Warschau, Ende April/Anfang<br />

Mai 1942 nach einer Besprechung Himmlers anlässlich einer Besichtigung des Warschauer Ghettos am 17. April


1942. Globocnik wurden als Lagerführer und Mannschaften für die Vernichtungslager in mehreren Schüben etwa<br />

hundert eingearbeitete Männer aus den "Euthanasie"-Anstalten Bernburg, Hadamar, Hartheim und Pirna von der<br />

"Kanzlei des Führers" zur Verfügung gestellt. An eigenen Männern rekrutierte Globocnik aus seinem<br />

"Ausbildungslager Trawniki" etwa drei Kompanien ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener, mehrheitlich<br />

Ukrainer, als Wachleute für die Lager. Innerhalb seines Stabes bildete Globocnik eine kleine, aber schlagkräftige<br />

Einheit: die "Hauptabteilung Einsatz Reinhardt" unter Leitung seines österreichischen Landsmannes und<br />

Vertrauten Hermann Julius Höfle. Dieser bekam die Aufgabe, die einzelnen Mordaktionen mit der<br />

Zivilverwaltung zu koordinieren, die Ghettos im Generalgouvernement mithilfe weiterer "Trawniki"- und<br />

Polizeieinheiten räumen zu lassen, den Abtransport der Menschen in die Vernichtungslager zu organisieren und<br />

die abschließende Verwertung ihres Eigentums zu überwachen.<br />

Globocniks Gesamtverantwortung für die Durchführung der "Endlösung" im ganzen Generalgouvernement und<br />

später noch im Generalbezirk Bia¬ystok wurde als "Sonderauftrag Reinhardt" zusammengefasst, wie sich einer<br />

Aufstellung seiner diversen Funktionen in den Personalakten entnehmen lässt. Erstmals nachzuweisen ist die<br />

Tarnbezeichnung "Reinhardt" als Kodierung für den Judenmord Anfang Juni 1942, unmittelbar nach dem<br />

erfolgreichen Attentat auf den Stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und Chef des<br />

Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich in Prag. Die Schreibweise "Reinhardt" darf hier nicht irritieren,<br />

denn Heydrich schrieb seinen Vornamen zeitweise mit "dt", wie seiner Ahnentafel und den jährlich gedruckten<br />

SS-Dienstalterslisten bis zu seinem Tode zu entnehmen ist. Himmler selbst wies in einer Rede auf diese<br />

Besonderheit des Vornamens hin. "Einsatz Reinhardt" heißt es auch auf dem von Höfle verwendeten Dienstsiegel<br />

mit dem Reichsadler, wohingegen die Bezeichnung "Einsatz Reinhart" auf dem Funkspruch übereinstimmt mit<br />

einem von Höfle benutzten Stempel seiner Abteilung. "Einsatz Reinhardt" war also die amtliche, anfangs<br />

ausschließlich genutzte Bezeichnung, "Reinhart" lediglich eine charakteristische Variante des<br />

rechtschreibschwachen Höfle.<br />

Die systematische Ermordung der Juden im polnischen Generalgouvernement hatte Mitte März 1942 mit der<br />

Räumung der Großghettos Lublin und Lemberg (heute Lviv) begonnen. Am 17. März wurden erstmals etwa 3000<br />

Menschen in Be¬zec vergast. Anfang Mai gingen die ersten Transporte nach Sobibór, am 19. Juli befahl<br />

Himmler, dass "die Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements bis 31.<br />

Dezember 1942 durchgeführt und beendet ist".<br />

Am 22. Juli begann die Räumung des gewaltigen Warschauer Ghettos. Am folgenden Tag wurden 6250 jüdische<br />

Männer, Frauen und Kinder im neu eingerichteten Treblinka in den drei Gaskammern erstickt.<br />

Der Höfle-Funkspruch vom 11. Januar 1943 enthält neben der 14-tägigen Meldung auch den Stand vom 31.<br />

Dezember 1942, jenem von Himmler gesetzten Termin, an dem alle polnischen Juden bis auf die Zwangsarbeiter<br />

und deren Familien "umgesiedelt", also ermordet sein mussten. Der Funkspruch stellt demnach eine Art<br />

Jahresbilanz oder Vollzugsmeldung mit den Opferzahlen seit Mitte März 1942 dar. Zweifellos erreichte diese<br />

Meldung Himmler und mit größter Wahrscheinlichkeit auch Hitler selbst.<br />

Adolf Eichmann war mit seinem Referat IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt mit der "Endlösung der<br />

europäischen Judenfrage" beauftragt. Wir wissen von schriftlichen Berichten und mündlichen Vorträgen bei<br />

seinem obersten Chef Himmler. Am 15. Dezember 1942 wurde Eichmanns "Tätigkeits- und Lagebericht 1942<br />

über die Endlösung der europäischen Judenfrage" an Himmler weitergeleitet. Dieser Bericht ist nicht erhalten,<br />

aber wir kennen sehr genau Himmlers Reaktion darauf. Eichmann muss durch Schlampereien großen Unwillen<br />

erregt haben. Jedenfalls schrieb der Chef der Deutschen Polizei am 18. Januar 1943 an Eichmanns Vorgesetzten<br />

Müller: "Das Reichssicherheitshauptamt selbst hat ... auf diesem Gebiet keine statistischen Arbeiten mehr zu<br />

leisten, denn die bisherigen statistischen Unterlagen entbehren der fachlichen Genauigkeit." An die Stelle<br />

Eichmanns trat nun der professionelle Statistiker Richard Korherr. Eichmann erhielt die scharfe Anweisung,<br />

Korherr und seinen beiden Assistenten für ihre Arbeit im Referat IV B 4 sämtliche benötigten Unterlagen zur<br />

Verfügung zu stellen.<br />

Eine dieser Unterlagen muss der Höfle-Funkspruch vom 11. Januar 1943 beziehungsweise dessen Doppel an<br />

Eichmann gewesen sein, denn die hier genannte Gesamtopferzahl des "Einsatzes Reinhardt" taucht bis auf die<br />

letzte Stelle exakt in beiden erhaltenen Fassungen des so genannten "Korherr-Berichtes" wieder auf. Korherr<br />

muss in einer nicht erhaltenen ersten Fassung die Ermordung der Juden zu ausdrücklich formuliert haben und<br />

erntete dafür prompt Himmlers Kritik samt einer Sprachregelung, die Korherr zu übernehmen hatte: "Es wurden<br />

durchgeschleust durch die Lager im Generalgouvernement [Be¬zec, Sobibór, Treblinka und das KZ Lublin - d.


Verf.] 1 274 166 [Juden]."<br />

Korherr wurde schließlich am 1. April 1943 von Himmler aufgefordert, eine Zusammenfassung des Berichts<br />

herzustellen zur "Vorlage an den Führer", die Mitte April fertig war. Ob Himmler selbst oder der neue RSHA-<br />

Amtschef Kaltenbrunner diese Vorlage Hitler bei einem mündlichen Vortrag übergeben hat, ist unklar. Auf jeden<br />

Fall enthielt auch sie die Zahlenangabe des Höfle-Funkspruchs, und die Vorlage dürfte auf jeden Fall Hitler<br />

ausgehändigt worden sein, da sie ja ausdrücklich dazu bestimmt war.<br />

Noch einige Anmerkungen zum Höfle-Funkspruch: Die Verwendung der Buchstabenkürzel L, B, S und T für das<br />

KZ Lublin, Be¬zec, Sobibór und Treblinka entspricht der damals aus Geheimhaltungsgründen geübten Praxis.<br />

Der Funkspruch enthält allerdings einen Fehler, vielleicht durch unvollständige Entschlüsselung oder durch<br />

Nachlässigkeit beim Abschreiben und Zusammenstellen der einzelnen Funksprüche. Die Summe der Opferzahlen<br />

der einzelnen Teillager entspricht nicht der angegebenen Gesamtsumme. Da bekannt ist, dass Treblinka das mit<br />

Abstand größte Vernichtungslager war, kann die angegebene Zahl von 71 355 unmöglich stimmen. Der Fehler<br />

löst sich leicht auf: am Ende der Zahl wurde eine 5 vergessen; es waren also 713 555 jüdische Opfer in Treblinka.<br />

Die Zahlenangabe "0" in der 14-tägigen Meldung für Be¬zec erscheint auffällig. In der Tat waren hier am 8.<br />

Dezember die Vernichtungsaktionen endgültig eingestellt worden. Die Zahl von 515 für Sobibór scheint recht<br />

gering zu sein, aber sie entspricht der einzigen in diesem Zeitraum festgestellten Deportation aus Staw-<br />

Nowosiólki.<br />

Eine Überraschung für die Forschung dürfte die hier dokumentierte Einbeziehung des KZs Lublin-Majdanek in<br />

den "Einsatz Reinhardt" darstellen. Die tatsächliche Opferzahl dort ist höher als die hier angegebene von 24 733,<br />

so dass man von einer Teilung der Zuständigkeiten ausgehen muss. Einen Teil der Menschen ließ Globocnik<br />

offenbar auf "eigene Rechnung" in Majdanek umbringen, der andere fiel in die Verantwortung des Lagers.<br />

Mit dem aufgeschlüsselten Funkspruch liegen nun erstmals die exakten Opferzahlen der einzelnen<br />

Vernichtungslager im Generalgouvernement für das entscheidende Jahr 1942 vor (wobei man ja nicht vergessen<br />

darf, dass die Funkabschriften der Engländer, die den deutschen Code schon früh geknackt hatten, die einzigen<br />

Zeugen dieser schrecklichen Korrespondenz sind, da die Originale nahezu komplett vernichtet wurden). Dabei<br />

zeigt sich übrigens, dass allein der deutsche Historiker Wolfgang Scheffler in seinen Gerichtsgutachten aus den<br />

sechziger und siebziger Jahren auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstandes den Zahlen des Höfle-<br />

Funkspruchs bemerkenswert nahe kam.<br />

Diese Zahlen sind auch wichtig für die Ermittlung der Gesamtopferzahlen, lief doch der "Einsatz" oder später die<br />

"Aktion Reinhardt" noch bis zum 19. Oktober 1943 weiter. Auch danach war das Morden im<br />

Generalgouvernement nicht zu Ende, lag jedoch nicht mehr in der Zuständigkeit Globocniks.<br />

Hermann Höfles Leben vor dem Krieg ist weitgehend bekannt. Geboren 1911 in Salzburg, arbeitete er als<br />

Automechaniker und Taxiunternehmer. Partei- und SS-Mitglied seit 1933, wurde er 1939, nach dem Überfall der<br />

Wehrmacht auf Polen, Chef des volksdeutschen Selbstschutzes in Neu-Sandez (Nowy Sacz) und begann im<br />

September 1940 als Leiter eines Lagers für jüdische Zwangsarbeiter in Be¬zec seine Karriere als einer der<br />

Haupttäter des Holocaust.<br />

Doch Höfles Leben nach seiner Festnahme durch die Engländer am 31. Mai 1945 auf der Möslacher Alm am<br />

Weißensee in Kärnten, wo er sich mit Globocnik und anderen Komplizen versteckt hatte, ist zu erheblichen<br />

Teilen noch ungeklärt. Mehr als zwei Jahre verbrachte er zunächst in "automatischem Arrest" in britischen<br />

Internierungslagern in Österreich. Höfles zentrale Rolle bei der ersten "Räumung" des Warschauer Ghettos und<br />

der Ermordung der Juden in Treblinka im Sommer 1942 war der polnischen Exilregierung in London und damit<br />

der britischen Regierung seit November/Dezember 1942 im Detail bekannt. Gesichert ist, dass Höfle unmittelbar<br />

nach Kriegsende weltweit als Kriegsverbrecher von den Alliierten und ihren Verbündeten gesucht wurde. Im<br />

Zentralregister der Kriegsverbrecher und sicherheitsgefährdenden Personen (CROWCASS-Wanted List),<br />

herausgegeben von SHAEF, dem alliierten Hauptquartier, ist er als "Hermann Hofle" mit korrektem Geburtsjahr<br />

und SS-Rang unter Angabe des Tatortes Lublin zur Fahndung ausgeschrieben. Die Alliierten arbeiteten auf der<br />

Grundlage dieser Fahndungsliste.


Von Reich-Ranicki identifiziert<br />

1946 veröffentlichte die Zentrale Jüdische Historische Kommission in Polen eine bedeutende Dokumenten- und<br />

Materialiensammlung mit entscheidenden Höfle-Quellen. In dem Band befindet sich zudem eine gewichtige<br />

Zeugenaussage von M. Reich (Marcel Reich-Ranicki), dem ehemaligen Sekretär des Warschauer Judenrates, über<br />

die Vernichtung des Ghettos. Eindeutig wird hier der SS-Sturmbannführer Höfle als Leiter des "Einsatzes<br />

Reinhardt" und des Warschauer "Vernichtungs- oder Ausrottungskommandos" identifiziert. Kaum vorstellbar,<br />

dass es britischen Vernehmungsoffizieren nicht gelungen sein sollte, ihren Kriegsgefangenen als den international<br />

gesuchten Massenmörder zu identifizieren.<br />

Höfles Komplizen, die SS-Sturmbannführer Ernst Lerch und Georg Michalsen, wurden schon zu Beginn ihrer<br />

britischen Haft ausgedehnten Verhören unterzogen. Offensichtlich war der gemeinsame Aufenthalt mit Höfle im<br />

Versteck auf der Möslacher Alm dazu genutzt worden, die Aussagen zu koordinieren und sich gegenseitig Alibis<br />

zu verschaffen. Im britischen Public Record Office war jedoch bislang kein entsprechendes Verhör Höfles zu<br />

finden, obwohl es stattgefunden haben muss. Die englischen Behörden sollten sich endlich dazu entschließen, alle<br />

entsprechenden Dokumente freizugeben.<br />

Im August 1947 wurde Höfle aus dem Internierungslager Wolfsberg in Kärnten entlassen und der<br />

österreichischen Justiz übergeben. Zunächst befand er sich im Landesgericht Salzburg in Haft, dann kam er zum<br />

Volksgerichtshof nach Linz. Dort wusste man anscheinend auch nichts mit ihm anzufangen. Am 30. Oktober<br />

1947 wurde er auf "Gelöbnis" entlassen. In der Folge arbeitete er in seiner Heimatstadt Salzburg im gelernten<br />

Beruf als Automechaniker. Am 15. Dezember 1947 wurde er vermutlich das erste und einzige Mal von den<br />

Amerikanern vernommen. Wie die Komplizen Lerch und Michalsen verschleierte er seine Tätigkeit in Lublin und<br />

Warschau vollständig, obwohl er auf Befragen zugeben musste, dass zwei seiner Kinder in Lublin begraben<br />

liegen. Der Vernehmer sah keinen Anlass, hier nachzuhaken.<br />

Langsam wurde Höfle der Boden zu heiß. Am 9. Juli 1948 beantragte die polnische Regierung bei den westlichen<br />

Alliierten seine Auslieferung. Er sollte gemeinsam mit Ex-SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, dem Vernichter des<br />

Warschauer Ghettos, vor Gericht gestellt werden. Polnischen Auslieferungsersuchen wurde zu dieser Zeit noch<br />

vereinzelt stattgegeben. Höfle wollte nach eigener Aussage von dem Antrag erfahren haben. Wie und durch wen,<br />

bleibt ungeklärt. Jedenfalls floh er nach Italien, wo er die nächsten Jahre unter falschem Namen lebte. Stroop<br />

hingegen wurde von den Amerikanern an Polen ausgeliefert, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und im<br />

September 1951 hingerichtet.<br />

Im August 1949 erschienen in der Pariser Zeitschrift Le Monde Juif erstmals nähere Informationen im Westen<br />

über Höfle. Er sei dafür verantwortlich, "über 200 000 Juden nach Treblinka deportiert" zu haben. Anfang 1951<br />

kehrte er aus Italien nach Österreich zurück. Im März versuchte er heimlich nach Westdeutschland zu gelangen<br />

und wurde wegen illegalen Grenzübertritts festgenommen. Er nannte seinen richtigen Namen und erklärte vor<br />

einem Münchner Gericht, die Polen suchten ihn und er befürchte, gekidnappt zu werden. Dies Argument scheint<br />

für die bayerischen Behörden überzeugend gewesen zu sein, denn einen Monat später erhielt er neue Papiere<br />

mitsamt einer Aufenthaltsgenehmigung. In der Folge wurde Höfle mehrfach in Bayern gesehen, wo er sich auch<br />

mit ehemaligen Kameraden aus dem Lubliner Stabe Globocniks traf. Er scheint sich unter anderem als<br />

Schrotthändler durchgeschlagen zu haben.<br />

Aufgrund seiner Verbindungen zu alten SS-Kameraden in Bayern geriet er ins Visier der Abwehrorganisation der<br />

US-Armee, des CIC. Man hielt ihn hier für eine potenzielle Informationsquelle über ehemalige SS-Mitglieder und<br />

einen geeigneten Kontaktmann zur extremen Rechten im Süden Westdeutschlands. Höfle wurde längere Zeit<br />

beschattet. Dann machte man ihm ein Angebot zur Arbeit für den Geheimdienst. Im Februar 1954 gab die CIC<br />

eine recht positive Beurteilung über Höfle ab: Er sei pünktlich, militärisch im Auftreten und vertrauenswürdig; er<br />

zeige sich äußerst entgegenkommend. Die von ihm gelieferten Informationen seien als recht zuverlässig<br />

einzuschätzen. Allerdings neige er eher zu Unter- als zu Übertreibungen, so dass häufig nachgefragt werden<br />

müsse. Fortan erhielt Höfle vom CIC den Decknamen "Hans Hartmann" und wurde mit hundert Mark monatlich<br />

vergütet. Jedoch schon im Juni 1954 ließ ihn der CIC aus unbekannten Gründen fallen.<br />

Wiederum ist nur schwer nachzuvollziehen, dass amerikanische Geheimdienste nicht gewusst haben sollen, mit<br />

wem sie sich nach erfolgter Überprüfung einließen, zumal erst ein Jahr zuvor sowohl in London als auch in New<br />

York Gerald Reitlingers bahnbrechende Studie über die "Endlösung" erschienen war, in der Höfles Untaten


erstmals ausführlich beschrieben worden sind.<br />

Im Januar 1961 wurde der millionenfache Mörder endlich in Salzburg festgenommen. Drei Monate später begann<br />

in Jerusalem der Eichmann-Prozess. Höfle dürfte in der Untersuchungshaft das Verfahren eifrig verfolgt haben,<br />

tauchte doch sein Name dort mehrfach auf.<br />

Am 1. Juni 1962 wurde Eichmann hingerichtet. Hermann Höfle richtete sich selbst: Am 21. August 1962, kurz<br />

vor seinem Prozess, erhängte er sich in einem Wiener Gefängnis. Während Eichmann außer dem Abtransport der<br />

Juden Europas auch noch übergreifende planerische Aufgaben in der "Endlösung der Judenfrage" erfüllte, war<br />

Höfle der Mann, der, juristisch gesprochen, tatnah den Millionenmord in Be¬zec, Sobibór und Treblinka<br />

organisiert hatte. In der Anzahl der Opfer "übertraf" der weitgehend unbekannt gebliebene SS-Offizier den<br />

berüchtigten Eichmann um mehrere hunderttausend. Mit seinem Selbstmord entzog er sich endgültig jeder<br />

irdischen Gerechtigkeit und fiel beinahe dem Vergessen anheim.<br />

Die ausführliche Analyse des Höfle-Funkspruchs, verfasst zusammen mit Stephen Tyas, erschien dieser Tage in<br />

der Zeitschrift "Holocaust and Genocide Studies", Oxford University Press (ISBN 019-922506-0)

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